Justins I. größter
Pluspunkt war aber sein Neffe, die treibende Kraft hinter dem Thron, eine
graue Eminenz, die ihn unfehlbarer lenkte als alle Sekretäre, die
ihm die unsichere Hand die hölzerne Schablone entlangführten.
Dieser Neffe hatte höchstwahrscheinlich schon
Justins Inthronisation in die Wege geleitet; er war es, der
mit Vitalian nach typisch byzantinischem
Muster verfuhr; er war es der nach fünfunddreißig Jahren Schisma
die Versöhnung mit dem Papsttum herbeiführte; und er war es auch,
der 521 seine Einsetzung als Konsul mit den aufwendigsten Spielen
und Spektakeln im Hippodrom feierte, die Konstantinopel je erlebt hatte.
Justinian wurde im
Jahre 482 in Tauresium, einem kleinen Dorf unweit des Heimatortes
seines Onkels, geboren. Seine Muttersprache war wie die Justins
mit
ziemlicher Sicherheit Thrakisch. Die gesamte Region der Balkanhalbinsel
war jedoch schon lange gründlich romanisiert, und
Justinian wuchs wahrscheinlich zweisprachig auf. Wir wissen
nicht, wie und wann er nach Konstantinopel kam, ziemlich sicher aber auf
Justins
Initiative und noch als Kind. Er galt später als Mann von Bildung
und Kultur, die er sich kaum an einem anderen Ort als in der Hauptstadt
angeeignet haben konnte. Als er seine Ausbildung beendet hatte, muß
sein Onkel ein Offizierspatent für ihn arrangiert haben, denn
zur Zeit von Anastasios' Tod war er
Offizier
der Scholae, einer der Palasttruppen. Auch scheint ihn
Justin
bereits offiziell adoptiert zu haben, denn er hatte seinen ursprünglichen
Namen Petrus Sabbatius abgelegt und als Zeichen der Dankbarkeit
gegenüber seinem Wohltäter den Namen angenommen, unter dem er
Geschichte machen sollte.
Doch all dies sind kaum mehr als Spekulationen. Erst
nach 518 ist Justinians außergewöhnliche
Laufbahn historisch belegt. Eine der ersten Amtshandlungen seines Onkels
nach der Thronbesteigung war, ihn in den Rang eines Patrikios zu
erheben und ihn zum Comes der Hofangestellten zu ernennen, eine
Position die ihm Zugang zu den innersten Machtzentren gewährte. Damit
begann seine eigentliche Herrschaft.
Kurz nach 520 - das genaue Datum ist nicht belegt - kam
es zur zweiten großen Wende in Justinians
Leben:
Er lernte seine zukünftige Kaiserin kennen.
Theodora erscheint, milde gesagt, nicht als die ideale Partnerin.
Justinian bevorzugte
ebenfalls die Blauen und hatte vor seiner Inthronisation viel Zeit und
Energie darauf verwandt, sich ihre Unterstützung zu sichern. Wahrscheinlich
lernte er dabei Theodora kennen. Sie
war unterdessen Mitte Dreißig, schön und intelligent wie eh
und je, hinzu kam jedoch jene Weisheit und Reife, an der es ihr in früheren
Jahren offenbar gemangelt hatte: Sie bezauberte ihn auf der Stelle, und
er war ihr in kurzer Zeit verfallen. Die beiden wurden ein Liebespaar und
zeugten ein Kind, das aber schon als Baby starb. Doch nicht genug
damit: Trotz ihrer Herkunft war Justinian
entschlossen, dass sie seine Frau werden sollte. Dabei gab es zwangsläufig
gewisse Hindernisse zu überwinden. Nachdem 524 Kaiserin
Euphemia gestorben war, stimmte Kaiser
Justin einem Gesetz zu, das Schauspielerinnen im Ruhestand,
denen ein hoher Rang verliehen worden war, freistellte, zu heiraten, wen
sie wollten. Damit war der Weg frei und im Jahre 525 erklärte der
PatriarchJustinian und Theodora
in
der Hagia Sophia zu Mann und Frau. Nur zwei Jahre später, am 4. April
527, wurden sie zu Mit-Kaiser und Kaiserin gekrönt, und als der alte
Justin
am 1. August starb, besaßen
sie die alleinige und unumschränkte Herrschaft über das Byzantinische
Reich.
Während der Sommers 542 erkrankte auch Kaiser
Justinian an der Beulenpest, die 300.000 Opfer gefordert
hatte. Während jenes unseligen Sommers schwebte er wochenlang zwischen
Leben und Tod. In dieser Zeit lag die oberste Staatsgewalt in den Händen
seiner Frau Theodora; gleichzeitig
galt es, sich mit einem neuen, dringenden Problem zu befassen, nämlich
mit der Nachfolge. Theodora wußte,
dass ihre Zukunft auf dem Spiel stand. Sie und
Justinian hatten keine Kinder, und falls er starb, konnte sie
ihre Macht nur behalten, wenn sie für ihn einen Nachfolger ihrer Wahl
durchzusetzen vermochte. Während Justinians
Krankheit
hatten die höheren Offiziere des im Osten stehenden Heeres bei einem
Treffen in Mesopotamien geeinigt, keinen in ihrer Abwesenheit und ohne
ihre Zustimmung gewählten Herrscher anzuerkennen. Nach Justinians
Genesung fielen die Heerführer Buzes und Belisar als
Anstifter des Treffens der Rache der Kaiserin
Theodora zum Opfer.
Erst im folgenden Jahr, also 543, hatte sich Justinian
so weit erholt, dass er die Amtsgeschäfte wiederaufnehmen konnte.
Kurz darauf wurde Belisar begnadigt und kam teilweise wieder zu
Ehren. Auch seine Schätze wurden ihm zurückerstattet, allerdings
um rund 30 Zentner Gold geschrumpft, die Theodora
großzügig ihrem Mann geschenkt hatte. Die Versöhnung wurde
durch die Verlobung von Joannina, Antonianas und Belisars
einzigem Kind, mit Anastasios, dem Enkel
Theodoras, besiegelt.
Justinian begrüßte
549 seinen Heerführer Belisar wie einen lange verlorenen Freund,
was er in gewissem Sinn ja auch war. Über Jahre hinweg hatte Theodora
die beiden Männer von einander ferngehalten. Sie traute Belisar
nie ganz und warnte ihren Mann fortwährend vor dessen möglicher
Treulosigkeit, Doppelzüngigkeit und kaiserlichen Ambitionen. Justinian
scheint ihr allerdings nie wirklich geglaubt zu haben. Dennoch genügten
die Zweifel, die sie gesät hatte, um in ihm ein unbestimmtes Gefühl
des Mißtrauens zu wecken, und dies hielt so lange an wie Theodora
lebte. Justinian trauerte zwar Zeit
seines Lebens um seine Frau, aber er hatte sich, bis Belisar nach
Konstantinopel zurückkehrte, doch vom ersten Schock über den
Verlust erholt und begrüßte ihn mit offenen Armen. Belisar
wurde zu seinem engsten Vertrauten, und Justinian
ließ von ihm sogar im Augusteum eine goldene Statue neben der seines
Onkels
Justin aufstellen.
Dann starb Justinian
in der Nacht auf den 15. November 565, plötzlich, ohne jede
Vorwarnung, vermutlich an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Der
einzige Beamte, der sich zu der Zeit bei ihm befand, war Patriklios
Callinicus, der Vorsteher des Heiligen Schlafzimmers, und dieser berichtete
darauf, der Kaiser habe mit dem letzten Atemzug einen Nachfolger bestimmt:
seinen Neffen Justin, den Sohn seiner
Schwester
Vigilantia.