Assing Helmut: Seite 275-276
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"Brandenburg, Anhalt und Thüringen im Mittelalter. Askanier und Ludowinger beim Aufbau fürstlicher Territorialherrschaften."

1085 geschah es dann, daß der damalige Pfalzgraf Friedrich III. in der Nähe von Zscheiplitz ermordet wurde. Darüber berichten zwar erst Chroniken, die nicht vor dem 12. Jh. geschrieben sind, doch sind ihre Mitteilungen trotzdem glaubhaft. Denn die Chroniken entstanden teilweise in Klöstern, die von den LUDOWINGERN abhängig waren, und sehen den Drahtzieher des Mordes in Ludwig dem Springer bzw. der Gemahlin des ermordeten Pfalzgrafen, Adelheid, deren Geliebter Ludwig war. Es ist unwahrscheinlich, daß die Chronikschreiber gegen ihren Klostervogt bzw. gegen dessen Vorfahren zum eigenen Nachteil falsches Zeugnis geredet hätten, und so wird es stimmen, daß der Nebenbuhler oder die ungetreue Gattin den Pfalzgrafen aus dem Wege räumen ließ. Die Motive sehen die Chronisten lediglich in den Liebesbeziehungen zwischen Ludwig und Adelheid. Sie mögen ihren Anteil daran besessen haben, denn kurze Zeit später gingen beide die Ehe ein. Doch wäre auch zu fragen, ob machtpolitische Interessen ebenfalls eine Rolle spielten. Wenn es Ludwig dem Springer gelang, neben den Zentren um die Schauenburg und die Wartburg im Südwesten Thüringens noch das Stammgebiet der sächsischen Pfalzgrafen im Nordosten Thüringens zu erwerben, hatte er zwei Eckpfeiler in der Hand, die ihm die Vorherrschaft in Thüringen bringen konnten. Ein solches strategisches Denken ist Ludwig dem Springer durchaus zuzutrauen, und so werden die Motive nicht nur in der persönlichen Sphäre gelegen haben.
Die Ermordung des Pfalzgrafen verknüpfen bis auf die "Historia brevis" die Chroniken, die sich mit der Frühzeit der LUDOWINGER beschäftigen, mit einem Ereignis, durch das Ludwig der Springer neben dem Wartburgbau bis heute am stärksten der Nachwelt in Erinnerung geblieben ist. Es ist seine Einkerkerung auf der Burg Giebichenstein bei Halle, der er sich durch einen kühnen Sprung aus dem Burgverlies in die Saale entzog. Nach diesem angeblichen Sprung gaben ihm spätere Chronisten den Beinamen. Die Einkerkerung soll erfolgt sein, weil die Blutsverwandten des ermordeten Pfalzgrafen sich bei HEINRICH IV. beschwert hätten. Der Kaiser habe daraufhin Ludwig gefangengenommen und nach Giebichenstein gebracht. Zeitgenössische Quellen bestätigen dieses Ereignis nicht. In einer im 12. Jh. im Kloster Goseck angefertigten Chronik heißt es sogar, die Mörder des Pfalzgrafen seien straffrei geblieben. Es ist möglich, daß den Berichten von Ludwigs Haft auf Giebichenstein eine Verwechslung zugrunde liegt. Wie noch ausgeführt wird, kam Ludwig der Springer zu Beginn des 12. Jh. zweimal in Gefangenschaft HEINRICHS V., des Sohnes und Nachfolgers HEINRICHS IV. Diese Haft, von der wir nicht wissen, wo sie abgebüßt wurde, dauerte damals zwei bis drei Jahre, und die gleiche Zeit wird in den Chroniken auch für Giebichenstein genannt. Deshalb ist es zweckmäßig, Ludwigs angeblichen Aufenthalt auf Burg Giebichenstein nach der Ermordung des Pfalzgrafen im Bereich der Sage zu lassen, zumal der direkte Sprung von der Burg in die Saale sowieso nicht möglich gewesen sein kann.
Wichtiger als der Giebichensteiner Saalesprung aber war der territoriale Gewinn, den Ludwig aus der Heirat mit Adelheid zog und den wir genauer betrachten wollen. Auch diesmal sind wir, wie schon so oft in den bisherigen Darlegungen, auf Mutmaßungen und Kombinationen angewiesen. Als der Mord am Pfalzgrafen erfolgte, war Adelheid schwanger. Nachdem das Kind zur Welt gekommen war, versuchte Ludwig als Stiefvater, die pfalzgräflichen Rechte wahrzunehmen. Das gelang jedoch nicht. Bis zu seinem Tode 1088 behauptete der Vater des Ermordeten die Pfalzgrafschaft, und danach ging sie nicht an den dreijährigen Enkel über, sondern an eine Seitenlinie der bisherigen Pfalzgrafen, an die Grafen von Sommerschenburg [Die Burg lag südöstlich von Helmstedt, weitab von Thüringen. Im Raum der unteren Unstrut behaupten die neuen Pfalzgrafen anscheinend so gut wie keinen Besitz.]. Hinzu kam, daß Ludwigs Stiefsohn, nachdem er herangewachsen war, sich gegen den Stiefvater wandte, um das väterliche Erbe zu erhalten [Die mit dem pfalzgräflichen Amt verbundenen Lehen gingen an die Nebenlinie; die alten Stammbesitzungen des Geschlechts, die an der unteren Unstrut lagen, waren zwischen Ludwig und dem Stiefsohn strittig.]. Die Auseinandersetzungen führten nach 1110 zu einem Kompromiß, bei dem Ludwig einige Gebiete der alten Pfalzgrafenlinie behauptete. Womöglich waren es diejenigen, die Adelheid als Witwenbesitz überlassen worden waren. Es hat den Anschein, daß Ludwig ähnlich wie im Falle der Wartburg bereits den Ausbau der dortigen Herrschaft begonnen  hatte, ehe klare rechtliche Verhältnisse geschaffen worden.