HESSEN
 

Lexikon des Mittelalters:
********************
III. Ottonisch-Salische Zeit:
Zum Nachfolger Konrads I. erhoben am 12. Mai 919 im konradinischen Mittelpunkt Fritzlar, auf fränkischem Boden, Franken und Sachsen den liudolfingischen Herzog der Sachsen Heinrich zum König. Hier wird die Lage Hessens im Herzen des ostfränkisch-deutschen Reiches wie die Fritzlars im Zentrum Hessens besonders deutlich. Künftig traten auch die hessischen Pfalzen und Königshöfe, vor allem Fritzlar, im Itinerar der Könige stärker hervor; in Fritzlar fanden mehrfach Hoftage und Synoden statt. Wie vor 800 wirkte sich die Nähe Hessens zu Sachsen in den Kämpfen Heinrichs IV. mit der sächsischen Opposition aus, die auch im nördlichen Hessen ausgetragen wurden. Während besonders die Reichsabtei Hersfeld dem König als Basis für seine sächsischen Feldzüge diente, zerstörte 1079 der Gegen-König Rudolf von Rheinfelden Fritzlar.
Auch engere persönl. Beziehungen der Könige zu Hessen entwickelten sich in dieser Zeit. Ks. Otto II. wies 974 die Hessen dicht benachbarte westthüringische Pfalz Eschwege seiner Gemahlin Theophanu als Wittum an, und ihre Tochter Sophia von Gandersheim errichtete um 1000 hier ein Kanonissenstift. Heinrich II. übergab 1008 Pfalz und Fiskus Kassel seiner Gemahlin Kunigunde zu Wittum, die ab 1017 in Kaufungen, nach der Verlegung der Pfalz dorthin, ein Benediktinerinnenkloster gründete. Um 1015 entstand in Wetter (nördlich Marburg) ein königliches Kanonissenstift, und schon Ende des 10. Jh. hatte Otto III. das Kloster Helmarshausen als Reichskloster übernommen. Neben reichen Besitz- und Wildbannschenkungen förderten die ottonischen Könige die Reichsklöster und -stifte Hessens durch Markt-, Münz- und Zollprivilegien, so 1000 Helmarshausen, 1019 Fulda und Kaufungen; auch der Hersfelder Abt übte unter Heinrich III. das Münzrecht aus. Das Königsgut verringerte sich auch in Hessen zusehends nicht nur durch Schenkungen vor allem an die Kirchen, sondern besonders zur Zeit Heinrichs IV. durch Entfremdung wohl meist von seiten des grundherrlichen Adels und durch ihn wiederum oft zugunsten der Kirchen. Die größten Grundherrschaften unterhielten neben dem König die Reichskirchen, allen voran das Kloster Fulda, gefolgt von Hersfeld, dessen Hauptbesitz aber in Thüringen lag. Die Klöster betrieben wiederum einen umfangreichen Landesausbau, an dem sich auch zahlreiche weltl. Grundherren beteiligten.
Auch weiterhin nicht in einem Herzpgtum zusammengefaßt, wurde Hessen wie in karolingischen Zeit von Grafen verwaltet. Nach den Konradinern entstammten sie als Amtsgrafen meist wechselnden Geschlechtern. In ältere Zeit reichten die Grafen Gozmar an der oberen Eder zurück, wahrscheinl. Vorläufer der Grafen von Reichenbach und Ziegenhain; ebenso die Grafen Thiemo an oberer Lahn und Eder, wohl die Vorfahren der Grafen von Wittgenstein-Battenberg; die Grafen Giso im oberen Lahngau. Landfremd waren die mit der Grafschaft im Hessengau von Konrad II. belehnten schwäbischen Edelherren von Winterthur: Graf Werner I. und seine drei gleichnamigen Nachfolger, die auch das Amt des Reichsbannerführers versahen, erwarben in den folgenden 100 Jahren noch weitere Grafschaften sowie Vogteien über Klöster und Stifte (Fritzlar, Hasungen, Kaufungen, Eigenkloster Breitenau). So überragte Graf Werner IV. († 1121) zu Anfang des 12. Jh. die übrigen Grafen in Hessen bei weitem.
Seit dem frühen 12. Jahrhundert entwickelten sich die Grafschaften aus Amtsbereichen zu 'Territorien'. Zugleich begannen die Erzbischöfe von Mainz, von ihren geistliichen und weltlichen Mittelpunkten Amöneburg und Fritzlar aus ein geistliches Territorium aufzubauen, das sich nach Thüringen (Erfurt, Eichsfeld) fortsetzte. Seitdem bestimmte das territorialpolit. Ringen um die Vormacht in Hessen seine Geschichte bis in das 15. Jahrhundert.

V. Hessen unter den Ludowingern:
Nachfolger der Grafen Giso, die 1121 die Grafen Werner beerbt hatten, wurden 1122 bzw. 1137 die Grafen (seit 1131 Landgrafen) von Thüringen aus dem Hause der Ludowinger. Sie erbten die gisonischen Allodialgüter an der oberen Lahn um Marburg und am Rhein sowie die Klostervogteien über Wetter und Hersfeld, dazu die Wernersche Grafschaft Hessen (auch Gudensberg oder Maden genannt) an unterer Eder und Fulda und die Klostervogteien über Breitenau, Fritzlar und Hasungen sowie das Reichslehen Kassel. Die entfernte Lage der hessischen Besitzungen veranlaßte die Landgrafen der drei ersten Generationen, sie jeweils den jüngeren Brüdern - Heinrich Raspe I., II. und III. - zu übergeben. Auch als seit 1180 die Landgrafen ihre Westgebiete selbst verwalteten, wurde die Grafschaft Hessen neben den Reichsfürstentümern Landgrafschaft Thüringen und Pfalzgrafschaft Sachsen als selbständiges Nebenland angesehen. Schwerpunkte der durch die Grafschaft Ziegenhain getrennten Landesteile waren im NO das Reichslehen Kassel und im SW die Marburg. Während ihnen der alte Mittelpunkt Hessens, die mainzische Stadt Fritzlar, verschlossen blieb, schufen sich die Ludowinger mit ihrer planmäßigen Städtepolitik seit etwa 1180 im Anschluß an ältere oder neu erbaute Burgen neue Zentren für Wirtschaft, Verwaltung und Verteidigung (Alsfeld, Grünberg, Homberg a. d. E., Gudensberg, Kassel, Rotenburg a. d. F. usw.). Marburg wurde Witwensitz der Langräfin Elisabeth († 1231); das von ihr gegründete Hospital und das Grab der Heiligen (1235) übertrugen die Landgrafen dem Deutschen Orden (Kommende Marburg, später Ballei Hessen).