Schneidmüller Bernd: Seite 120,121-123
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"Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung."

Mit Welf oder Welfhard, von der Forschung in der Nachfolge des karolingerzeitlichen Grafen Welf vom Linz- oder Alpgau als Welf II. bezeichnet, tritt das Geschlecht deutlicher und fortan in lückenloser Folge in die zeitgenössische Überlieferung ein. Welfs Heirat mit Irmentrud/Imiza "von Gleiberg" (im Lahntal nördlich von Gießen), einer Tochter des Grafen Friedrich von Luxemburg, führte zu weitläufigen Bindungen im hohen Adel des Reichs. Die LUXEMBURGER wußten um ihre Herkunft von KARL DEM GROSSEN und durften sich im frühen 11. Jahrhundert mit einer Kaiserverwandtschaft schmücken.
Solche Herkunft und solche Verwandtschaft zeichneten ein adliges Haus aus. Nach der kaiserlichen Tante wurde auch die Tochter aus der Ehe Welfs mit Irmentrud/Imiza als Kuniza (=Kunigunde) benannt. Die welfische Überlieferung des 12. Jahrhunderts nannte indes nur die drei Brüder Irmentruds/Imizas und den materiellen Zugewinn durch die Heirat. Beides beleuchtet die bedeutende Stellung Welfs II. Die nicht sicher datierte Eheschließung kam vielleicht mit Zustimmung des Kaiserpaaars zustande. Irmentruds/Imizas Onkel wurde unter König HEINRICH II. bayerischer Herzog (Heinrich V., 1004-1009 und 10171026). Später bekleidete ihr Bruder das gleiche Amt (Heinrich VII., 1042-1047). Ein zweiter Bruder stieg zum Herzog von Nieder-Lothringen auf (Friedrich, 1046-1065), ein dritter amtierte als Bischof von Metz (Adalbero, 1047-1072). Dieses Beziehungsgefüge gewährleistete noch Jahrzehnte später die Kontinuität der welfischen Familie.
Fürs erste bescherte die Eheschließung mit Irmintrud/Imiza Welf II. beträchtliche Reichsnähe und den Erwerb zweier wichtiger Besitzungen, des Königsguts Mering bei Augsburg und des nicht sicher identifizierten lombardischen Hofs Elisina mit angeblich 11.000, vielleicht auch nur 1.100 Hufen Landbesitz. Mering befand sich gegenüber dem Lechfeld, dem Aufmarschgebiet der Reichsheere für die mittealterlichen Italienzüge, und lag an einer alten Römerstraße in Richtung Mittenwald, Reschen und Brenner. Der Besitzwechsel zu den WELFEN, in der späteren Erinnerung ausdrücklich festgehalten, könnte mit den Verfügungen der Kaiserin Kunigunde als Witwe 1025 in Verbindung gebracht werden, die in vielfältiger Weise in Bayern handelnd hervortrat.
Mit Mering erwarben die WELFEN einen wichtigen Stützpunkt im unmittelbaren Umfeld der Bischofsstadt Augsburg. Hier spitzten sich die Reibereien zu, die aus der verkehrsgeographischen und strategischen Bedeutung dieser Landschaft für den Alpenübergang in den Vintschgau zu erklären sind. Eingebettet blieben die Auseinandersetzungen zwischen Welf II. und den Bischöfen von Augsburg und Freising in größere reichsgeschichtliche Konflikte zu Beginn der salischen Königsherrschaft KONRADS II. (1024-1039).
Der WELFE schloß sich nämlich 1025 dem Aufstand Herzog Ernsts II. von Schwaben an. Immerhin könnten nach dem Tod Kaiser HEINRICHS II. 1024 neben KONRAD II. auch der Schwaben-Herzog, die sächsischen BRUNONEN und vielleicht sogar die WELFEN Ansprüche auf die Krone angemeldet haben. Allerdings lassen sich bei den WELFEN im 11. und 12. Jahrhundert keine Spuren genealogischen Wissens um die alte Verwandtschaft mit den burgundischen WELFEN finden; die Beteiligung am Aufstand gegen KONRAD wäre also das einzige (schwache) Indiz.
Die Erhebung in S-Deutschland war bedrohlich genug. Die Gruppe um Herzog Ernst und Graf Welf II. suchte nämlich Kontakt zu fränkischen und lothringischen Herren. Bis zum Tod Ernsts und Welfs II. 1030 dauerte der Konflikt, wiederholt unterbrochen durch Begnadigungen, die den zeittypischen Mustern von Konflikt und Konfliktbeilegung entsprachen. Wie so oft führten Krisen zur Verschriftlichung. Mit einem Mal können wir welfische Einfluß- und Expansionszonen erkennen, sogleich auch die Gefährdung im Streit mit dem Kaiser. Zum Jahr 1026 berichtet Wipo, der Biograph Kaiser KONRADS II., "von der Verschwörung einiger Deutscher": "Während der Kaiser noch in Italien weilte, waren bei den Deutschen erfolglos große Mißgunst, viele Ratschläge und zahlreiche Zusammenrottungen gegen den Kaiser deutlich geworden. Mit den Geringeren will ich beginnen und zu den Größeren voranschreiten: Ein gewisser Graf Welf in Schwaben, reich an Gütern und waffenstark, und Bischof Bruno von Augsburg hatten sich gegenseitig bekämpft und viel Übles durch Plünern und Brandschatzen im Reich angerichtet. Endlich drang der Graf in Augsburg ein, plünderte das Schatzhaus des Bischofs und verwüstete die ganze Stadt. Auf Druck des Kaisers erstattete er dem Bischof später alles zurück und entschuldigte ihn." Seinem Augsburger Amtskollegen Bruno war Bischof Egilbert von Freising 1026 vergeblich zur Hilfe geeilt. Den Sieg über die Bischöfe wie die Zerstörungstaten rühmte die welfische Überlieferung des 12. Jahrhunderts. Sie verschweigt indes Welfs Unterwerfung vor dem König (deditio) auf einem Hoftag in Ulm, seine zeitweilige Verbannung (exilium), die erzwungene Wiedergutmachung im Juli 1027 und den katastrophalen Verlust der Grafschaftsrechte in S-Tirol. Bei der Rückkehr von der römischen Kaiserkrönung hatte KONRAD II. schon im Mai/Juni 1027 in drei Urkunden die Herrschaft über die S-Tiroler Grafschaften völlig neu geregelt. In Brixen und in Kaltenbrunn auf dem Ritten wies er Bischof Ulrich von Trient die Grafschaft Trient, Vintschgau und Bozen zu. Wenige Tage später, am 7. Juni 1027 in Stegen im Pustertal erhielt Bischof Hartwig von Brixen die früheren Grafschaft des Grafen Welf im Eisack- und Inntal nördlich der Säbener Klause.
Wann Welf II. in den Besitz der Grafschaft an der bedeutsamen Brennerroute gekommen war, läßt sich nicht ermitteln. Vermutungen, daß dies erst wenige Jahre oder Jahrzehnte zuvor, vielleicht unter HEINRICH II., geschehen sei, hängen mit nicht zu beweisenden Modellvorstellungen vom Ausgriff der WELFEN in den Alpenraum zur Jahrtausendwende zusammen. Die Aberkennung der Grafschaft südlich des Brenners, kombiniert mit der Nachricht vom Jagdunfall von Welfs Bruder Heinrich bei Lana, läßt dagegen welfisches Handeln und Herrschen südlich des Alpenkamms um die Jahrtausendwende gut erkennen. Die frühe Überlieferung bietet also gesicherte Nachrichten von Amt und Besitz in Schwaben, Bayern, im Vintschgau und im Eisack- und Inntal. Sie zeigt damit die Beherrschung der wichtigen Paßrouten (Reschen, Brenner) über die Alpen als Charaktersitikum welfischer Adelsherrschaft.
Mit der Übertragung der welfischen Grafschaft an den Bischof griff der Kaiser hart in diesen Komplex ein. KONRAD ging 1027 über die Mehrung von bischöflichen Herrschaftsrechten hinaus, die andernorts meist nur den Bischof zwischen König und Graf treten ließen. Die endgültige Absetzung schaltete Welf II. als Amtsinhaber der S-Tiroler Grafschaft völlig aus und machte den Brixener Bischof zum alleinigen Herrschaftsträger.
Wir können nicht abschätzen, wie solche Erfahrungen aus Revolte, Amtsverlust, Unterwerfung und Exil das welfische Selbstbewußtsein geprägt haben. Bezeichnenderweise meldet die spätere Hausüberlieferung ja nur die militärischen Erfolge aus der großen Krisenzeit von 1026/27.  So bleibt es müßig zu spekulieren, was man eineinhalb Jahrhunderte später am WELFEN-Hof noch von der Absetzung Welfs II. 1027 wußte, von seiner Revolte, seiner Unterwerfung, seinem Exil oder seinem Ende.
Welf II. starb 1030 und wurde in der väterlichen Grablege Altdorf beigesetzt.