Fleckenstein Josef: Seite 84,128-136
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"Die Herkunft der Welfen"

Immerhin ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass der Name Heinrich, der in einer älteren Form als Hericco, Hericus im Kreis der HUOSI belegt ist, durch diese Verbindung auf die WELFEN übergegangen ist. Dazu würde die Nachricht der Historia Welforum passen, dass Heinrich mit dem goldenen Wagen, der erste WELFE dieses Namens, die Mönche von Ammergau, der Gründung seines Vaters Eticho, nach dessen Tode nach Altomünster überführt habe, was vielleicht darauf hinweist, dass eben Eticho mit einer HUOSI vermählt gewesen ist; dass er also durch Heirat die welfischen "Ansprüche" auf Altomünster begründet und Heinrich sie durchgesetzt hatte.
Der WELFE Heinrich mit dem goldenen Wagen nimmt in der frühen welfischen Überlieferung unverkennbar eine besondere Stelle ein. Mit Recht; denn er hat mit einer Vergangenheit gebrochen, die sein Geschlecht zur Selbstgenügsamkeit gezwungen hatte, und ihm eine neue Bahn in die Zukunft eröffnet. Entscheidend dafür ist ein Ereignis gewesen, das alle Quellen zur frühen welfischen Geschichte kennen und das die Genealogia auf die kurze Formel bringt: Heinricus imparoti hominium facit. Die Historia überliefert die gleiche Nachricht in stark erweiterter Form. Sie fügt vor allem hinzu, dass Heinrich, mit dem Kaiser befreundet und sein Begleiter bei seinen Zügen durch das Reich, die Lehnshuldigung maxime ipsius imperatoris instinctu geleistet und dafür von ihm ein mächtiges Lehen von 4.000 Hufen empfangen habe; beides, wie sie hervorhebt, gegen den Willen seines Vaters Eticho.
Tatsächlich hat die Verbindung des WELFEN Heinrich gerade mit KONRAD I. auch unter anderen Gesichtspunkten die meiste Wahrscheinlichkeit für sich: KONRAD hatte immerhin versucht, in Schwaben noch direkte Herrschaft auszuüben und sich deshalb gegen die Bildung einer eigenen Herzogsgewalt gestemmt. Er war dabei auf schwäbische Anhänger angewiesen. Und Heinrich konnte sich um so eher auf seine Seite schlagen, als er im König einem Verwandten begegnete, der vielleicht nicht zufällig 911/12 das Kloster St. Gallen für das Unrecht ihres gemeinsamen Vorfahren Ruthard entschädigt hat. Vor allem aber: Da die Historia Welforum berichtet, dass Heinrich sich persönlich in der Umgebung des Herrschers aufgehalten habe, und tatsächlich ein bisher nicht identifizierter comes Heinrich in den Jahren 912 und 913 in den Urkunden KONRADS I. unter lauter schwäbischen Intervenienten hervortritt, in Schwaben aber in dieser Zeit außer Heinrich mit dem goldenen Wagen kein anderer Großer dieses Namens begegnet, wird es erlaubt sein, ihn mit dem WELFEN Heinrich mit dem goldenen Wagen gleichzusetzen. So wäre KONRAD I. der Herrscher, dem Heinrich die Lehnshuldigung geleistet hat, um von ihm ein beneficium zu erlangen.
Dagegen hat König noch auf eine ganz spezielle Angabe des Annalisten und der Schwäbischen Weltchronik aufmerksam gemacht, die nicht frei erfunden sein kann und vor allem genau lokalisierbar ist: sie nennen im Zusammenhang mit dem Umritt Heinrichs, durch den er die Größe des Lehens festgelegt haben soll, den "Mährenberg"; er soll außerhalb der umzogenen Grenze geblieben sein. Dieser Angabe entspricht so vorzüglich der von König identifizierte, unweit der Südgrenze der späteren welfischen Grafschaft Schussengau gelegene Mährenberg, dass damit wohl als gesichert gelten darf, dass es sich bei dem Lehen tatsächlich um den Schussengau gehandelt hat. Dieses neu gewonnene Gebiet, auf das der Name des alten Fiskus Schussengau überging, war seinem Umfang nach nicht mit dem Fiskalbezirk identisch, sondern um beträchtliche Teile des Argen-, Linz- und Eritgaues vergrößert worden. Es umschloß damit einen Raum, in dem einst Ruthard, Konrad der Ältere und Welfo als Grafen gewaltet hatten und in dem bereits alter WELFEN-Besitz lag: gewiß ein Grund, weshalb die Belehnung gerade mit diesem Gebiet erfolgte. Es vereinigte jetzt den alten, seither vereinzelten WELFEN-Besitz in einem einzigen großen Komplex und bot daher dem Geschlecht in seinem überkommenen schwäbischen Wirkungsbereich eine neue Grundlage, auf der es seine verlorene, aber nicht vergessene Bedeutung als ehemals führendes Geschlecht zurückerlangen konnte, zumal diese Grundlage nach Osten hin erweiterungsfähig war.
Heinrich hat die Entwicklung anerkannt und für sein Geschlecht die Möglichkeit zu einem Neuanfang zurückgewonnen. Die Verbindung mit dem Königtum war dazu nur der erste Schritt. Er brachte die Vergrößerung und Abrundung alter Besitzungen durch das beneficium im Schussengau ein. Der nächste Schritt führte zum konsequenten Ausbau dieses Komplexes, beginnend in Altdorf, dem Hauptort des Gaues. Hier hat Heinrich mit dem goldenen Wagen um 935 das erste große Eigenkloster der WELFEN gegründet, das bestimmt war, die Grablege des Geschlechtes zu bergen. Es lag unmittelbar am Fuße des Berges, auf dem wahrscheinlich die alte WELFEN-Burg stand, die wie das Kloster den Namen des Ortes Altdorf annahm. Als unter den Adelsgeschlechtern die Sitte aufkam, sich nach ihrem Hauptsitz zu benennen, war es Altdorf, das dem Geschlecht zunächst den Namen gab. Auch als die benachbarte Ravensburg, die Welf II. errichtet, sich allmählich zum Hauptsitz des Geschlechtes entwickelte, kam Altdorf nicht in Vergessenheit. Mit der Wendung, die Heinrich mit dem goldenen Wagen herbeigeführt hat, indem er seinem Geschlecht im Schussengau eine neue Heimat schuf, war die Verwurzelung im schwäbischen Boden verbunden.