Man muß es meines Erachtens offenlassen, ob die
WELFEN
Eticho und Heinrich mit dem Goldenen Wagen von ihm oder vom
schwäbischen Grafen Welf (wie Fleckenstein meint) abstammen.
Durch die Feststellung, daß Rudolf comes den WELFEN
tatsächlich zugehört, wird die Schärfe der Zäsur
von 859 doch wesentlich gemildert und abgefangen.
Kehren wir nun wieder zu den bayerisch-schwäbischen
WELFEN des 9./10. Jahrhunderts zurück.
Die Historia Welforum, die nach Welf I. und Judith
bis herauf zu Eticho und Heinrich mit dem Goldenen Wagen
(10. Jahrhundert) fast nichts auszusagen weiß, stilisiert diese dunkle
Zeit als ein spannungsreiches Thema zwischen Splendid isolation und Königsnähe.
Der Historiker weiß, daß die angesprochene Splendid isolation
im 9./10. Jahrhundert in Wirklichkeit eine Verdrängung der süddeutschen
WELFEN aus der reichspolitischen Szene
durch die ostfränkischen Spät-KAROLINGER
war. Die Historia Welforum sieht den wesentlichen Wandel in jenem Heinrich
mit dem Goldenen Wagen, der im 10. Jahrhundert gegen den Willen
seines Vaters Eticho einem Kaiser wieder Huldigung geleistet und
dafür ein umfangreiches Lehen von 4.000 Hufen im bayerischen Oberland
erhalten habe [31 Historia Welforum (wie Anm. 2), Seite 8-11; verkürzt
in der Genealogia Welforum, ebd., Anhang, Seite 76. Die Genealogia beginnt
überhaupt erst mit Eticho. Zum Sagenmotiv im Beinamen Heinrich
"mit dem Goldenen Wagen" oder "mit dem Goldenen Pflug"
siehe Schmid, Selbstverständnis (wie Anm. 1), Seite 428f.].
Daß sich dieser Heinrich laut Historia Welforum
mit Beata von Hohenwarth vermählte [33 Historia Welforum
(wie Anm. 2), c. 5, Seite 10. Die Genealogia Welforum (ebd.), c. 2, Seite
76, berichtet nur Heinricus Atham duxit uxorem. Zu den HOHENWARTERN,
die gewissermaßen an der Ostflanke des welfischen
Interessengebiets ihre Besitzungen bis Südtirol haben, siehe Stephanie
Hamann, Das Frauenkloster Hohenwart als dynastische Gründung des Hochmittelalters,
in: Tiroler Heimat 48/49, 1985, Seite 25-33.], deren Burg nördlich
von Wittelsbach und Scheyern lag, deutet die Interessen dieses WELFEN
an: die Gewinnung des bayerisch-schwäbischen Grenzgebietes zwischen
Alpen und Donau.
Schwieirgkeiten bereitet die zeitliche Einordnung Heinrichs
mit dem Goldenen Wagen und damit auch seines Vaters Eticho.
Josef Fleckenstein und Wolfgang Metz versuchten, den WELFEN
Heinrich in die Zeit der Könige
KONRAD I. und HEINRICH I.
einzufügen [35 Fleckenstein, Herkunft (wie Anm. 1), Seite 128ff;
Wolfgang Metz, Heinrich "mit dem Goldenen Wagen", in: Blätter für
deutsche Landesgeschichte 107, 1971, Seite 136-161.]. Dies erscheint prosopographisch
durchaus richtig; beide haben eine Reihe von Indizien dafür gefunden.
Einer solchen Datierung scheint freilich entgegenzustehen,
daß die Historia Welforum Heinrich mit dem Goldenen Wagen
als Vater Bischof Konrads von Konstanz (934-975) bezeichnet.
Angesichts der Tatsache, daß der Verfasser der Historia für
das 10. Jahrhundert erhebliche Schwierigkeiten der genealogischen Einordnung
hatte (Heinrichs Vater Eticho wird beispielsweise als Bruder
der Kaiserin Judith bezeichnet),
wird man dann vielleicht daran denken können, Bischof Konrad
sei in Wirklichkeit nicht der Sohn, sondern der Bruder Heinrichs mit
dem Goldenen Wagen gewesen.
Ein weiters Faktum muß nachdenklich stimmen. Die
Historia Welforum sagt, daß Heinrichs Vater Eticho
aus Gram übeer den politischen Wechsel des Sohnes das Klösterchen
Ammergau gegründet habe, in das er eintrat [39 Historia Welforum
(wie Anm. 2), c. 4, Seite 8-10.]. Die ersten Jahrzehnte des 10. Jahrhunderts
sind aber allgemein eine Zeit, in der zumindest in Bayern fast keine Klöster
gegründet wurden [40 Friedrich Prinz, Klöster und Stifte,
in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Band 1, München
²1981, Seite 464f.; Wilhelm Störmer, Früher Adel (Monographien
zur Geschichte des Mittelalters, Band 6,2), Stuttgart 1973, Seite 377-381.].
Auch der Bericht der Historia Welforum, Heinrich habe das Kloster
bzw. die Mönche des väterlichen Klosters Ammergau nach Altomünster
transferiert, "wo der heilige Bekenner Alto ruht", und dort eine "reiche
Abtei" entstehen lassen [41 Historia Welforum, c. 4, Seite 10f.],
paßt wohl nur in die Zeit nach den Ungarneinfällen, also nach
955.
Es gibt ein weiteres Indiz für meine Vermutung,
daß Heinrichs gewaltiger Königsgutgewinn nicht im frühen
10. Jahrhundert stattgefunden haben kann. Historia Welforum und Genealogia
Welforum berichten beide, daß Heinrichs Sohn Rudolf
eine Ita aus dem Hause ÖHNINGEN geheiratet habe, und
betonen beide, daß Itas Vater der nobilissimus comes Kuno
(von Öhningen), die Mutter aber eine Tochter Kaiser
OTTOS DES GROESSEN namens Richlind
gewesen sei [42 Ebd., c. 5, Seite 10-13.]. Wenn sich nun der Sohn
Heinrichs mit dem Goldenen Wagen namens Rudolfs mit der Tochter
Kunos von Öhningern vermählte, dann kan dies nur in der zweiten
Hälfte des 10. Jahrhunderts gewesen sein. Das bedeutet aber, daß
die Hinwendung Heinrichs mit dem Goldenen Wagen zum Kaiser (= OTTO
DER GROSSE) wohl doch rund um die Jahrhundertmitte stattgefunden
haben müßte, und zwar angesichts des Konfliktfeldes Herzog
Liudolf und LUITPOLDINGER contra OTTO
DER GROSSE oder gar erst Heinrich
II. (mit schwäbischem Anhang) contra OTTO
II.
Es ließe sich durchaus feststellen, daß Heinrichs
Vater Eticho, in dem auch LUITPOLDINGER-Blut geflossen haben
könnte, nach dem Tod des Bayern-Herzogs Arnulf
(937) auf der Seite der oppositionellen LUITPOLDINGER
stand, als Arnulfs Söhne, offensichtlich
mit Zustimmung der Mehrheit der Bayern, König
OTTO I. die Huldigung verweigerten [45 Vgl. Reindel (wie
Anm. 38), Nr. 93, Seite 183ff.]. So ließe sich dann auch verstehen,
daß die WELFEN des frühen
11. Jahrhunderts entfremdete Tegernseer Kirchenlehen besaßen: Im
Zentzralort Ober-, Unter-Haching (südlich von München) und im
nahen Otterloh, in Sufferloh unweit des Tegernseer Hauptortes Warngau und
in Heimgarten (Landkreis Ebersberg) unweit der Tegernseer Maierhöfe
Ostermünchen und Tuntenhausen [46 Ebd., Nr. 49, Seite 87 und
90ff. Zu den Tegernseer Maierhöfen siehe Ferdinand Kramer (Hg.), Tuntenhausen.
Vom Herrenhof zum Wallfahrtsort, Weißenhorn 1991, Seite 40ff., 44f.
und 91 ff.].
Das politische Programm jenes Heinrich, der wohl
nach 975 starb, wird auch ersichtlich aus den westbayerischen Klostergründungen:
die Historia Welforum berichtet, Eticho, der Vater Heinrichs,
habe vor Schmerz, daß der Sohn die Königsnähe gesucht und
dafür 4.000 Hufen im bayerischen Oberland als Königslehen erhalten
habe, sich von der Welt abgewandt und ein Kloster im Dorfe Ammergau
gegründet, in dem oder bei dem er seinen Lebensabend verbrachte
und wo er bestattet wurde. Diese Klostergründung liegt nun allem Anschein
nach gerade in jener Region, die der Sohn als königliches Lehen erhalten
hatte. Dazu kommt, daß Ammergau an einer für den König
wichtigen alten Römerstraße liegt, die von Augsburg über
Epfach nach Garmisch-Partenkirchen verwendet wurde. Der Sohn Heinrich
freilich transferierte nach dem Tod des Vaters dieses Kloster - oder vielleicht
nur einen Teil der Mönche - ins oberbayerische Altomünster, "wo
der heilige Bekenner Alto ruht", ein Reklause des 8. Jahrhunderts [47
Historia Welforum (wie Anm. 2), c. 4, Seite 8ff. Zu Altomünster
siehe Wilhelm Liebhart, Altomünster, in: Fritz Mayer, Rudolf Wagner
(Hg.), Der Altlandkreis Aichach, Aichach 1979, Seite 81f. Liebhart datiert
die Transferierung der Ammergauer Benediktiner nach Altomünster auf
die Zeit um 970. Von den frühen Äbten dieses Klosters sind folgende
Namen bekannt: Rudolf, Eberhard, Heinrich und Hilpold (ebd., Seite 82).
Rudolf und Heinrich sind Namen, die auch die WELFEN
tragen.]. Betrachtet man das Urbar Altomünster [48 Fr. H. Hundt,
Salbücher des Klosters Altomünster aus der Zeit des Ordens
vom hl. Benedikt, in: Oberbayerisches Archiv 21, 1860, Seite 165-322. Diese
Besitzungen (mit 15 Maierhöfen) lagen in den bayerischen Landgerichten
Aichach, Friedberg, Mering, Kranzberg, Dachau, Landberg und Kitzbühel.],
dann bemerkt man, daß Güter im Ammergau fehlen. Die Ammergauer
Klostergüter sind also kaum an Altomünster übertragen worden.
Vielleicht waren sie später die Basis für die Gründung Rottenbuchs.
Dieses Altomünster, das bald ein wichtiges zweites
Hauskloster der WELFEN werden sollte,
liegt genau östlich von Augsburg, etwa 25 Kilometer vom Bischofssitz
entfernt. Man wird nicht annehmen dürfen, daß das neue Kloster
abseits vom WELFEN-Besitz lag. Von
hier aus suchten sich die WELFEN im
11. Jahrhundert der Bischofsstadt Zug um Zug zu nähern. Wenn es in
der Historia Welforum heißt, Heinrich "ließ dort (=
in Altomünster) eine sehr fromme und reiche Abtei entstehen", dann
verweist der Satz auch auf die große grundherrschaftliche Basis der
WELFEN östlich des Lechs, die in etwa rekonstuierbar ist
anhand des spätmittelalterlichen Urbars des Klosters. Heinrich
und seine Söhne wandten sich dann offenbar nach dem Westen zu: Er
selbst gründete nach Altomünster das Frauenkloster
Altdorf bei Ravensburg, das später so signifikant für die
WELFEN werden sollte; Konrad,
Sohn oder doch eher Bruder, wurde Bischof von Konstanz, Rudolf
vermählte sich mit Ita, einer Tochter des hochadeligen
und viel diskutierten Kuno von Öhningen. Der jüngste Bruder Eticho
agierte offensichtlich ebenso in Schwaben, denn die Nachkommen aus seiner
nicht standesgemäßen Ehe saßen in der Schweiz, nämlich
die Herren von Heziliszell, von Uster und von Rapperswil
[49 Historia Welforum, c. 5, Seite 10ff.].
Ein weiterer Eticho, der bisweilen als WELFE
angesprochen wird, bereitet Schwierigkeiten. 982 bis 988 ist diese Person
Bischof von Augsburg. Historia Welforum und Genealogia Welforum
kennen ihn freilich nicht, und in der Augsburger Historiographie wird erst
im 16. Jahrhundert behauptet, dieser Bischof Eticho stamme aus dem
Geschlecht der älteren WELFEN.
Angesichts dieser Überlieferungssituation ist es höchst unwahrscheinlich,
daß er dem WELFEN-Geschlecht
angehörte, das sich ja ohnehin so sehr um Augsburg festbiß und
sicherlich immer wieder den familiären Zugriff auf den Bischofssitz
erstrebte. Bischof Eticho könnte bestenfalls in das Verwandtschaftsumfeld
der WELFEN gehört haben; er war
aber bezeichnenderweise nicht relevant für die
welfische Historiographie.