Störmer, Wilhelm: Seite 64-70
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"Die süddeutschen Welfen unter besonderer Berücksichtigung ihrer Herrschaftspolitik." in: Ay, Karl-Ludwig/Maier, Lorenz/Jahn Joachim: Die Welfen. Landesgeschichtliche Aspekte ihrer Herrschaft.

Man muß es meines Erachtens offenlassen, ob die WELFEN Eticho und Heinrich mit dem Goldenen Wagen von ihm oder vom schwäbischen Grafen Welf (wie Fleckenstein meint) abstammen. Durch die Feststellung, daß Rudolf comes den WELFEN tatsächlich zugehört, wird die Schärfe der Zäsur von 859 doch wesentlich gemildert und abgefangen.
Kehren wir nun wieder zu den bayerisch-schwäbischen WELFEN des 9./10. Jahrhunderts zurück. Die Historia Welforum, die nach Welf I. und Judith bis herauf zu Eticho und Heinrich mit dem Goldenen Wagen (10. Jahrhundert) fast nichts auszusagen weiß, stilisiert diese dunkle Zeit als ein spannungsreiches Thema zwischen Splendid isolation und Königsnähe. Der Historiker weiß, daß die angesprochene Splendid isolation im 9./10. Jahrhundert in Wirklichkeit eine Verdrängung der süddeutschen WELFEN aus der reichspolitischen Szene durch die ostfränkischen Spät-KAROLINGER war. Die Historia Welforum sieht den wesentlichen Wandel in jenem Heinrich mit dem Goldenen Wagen, der im 10. Jahrhundert gegen den Willen seines Vaters Eticho einem Kaiser wieder Huldigung geleistet und dafür ein umfangreiches Lehen von 4.000 Hufen im bayerischen Oberland erhalten habe [31 Historia Welforum (wie Anm. 2), Seite 8-11; verkürzt in der Genealogia Welforum, ebd., Anhang, Seite 76. Die Genealogia beginnt überhaupt erst mit Eticho. Zum Sagenmotiv im Beinamen Heinrich "mit dem Goldenen Wagen" oder "mit dem Goldenen Pflug" siehe Schmid, Selbstverständnis (wie Anm. 1), Seite 428f.].
Daß sich dieser Heinrich laut Historia Welforum mit Beata von Hohenwarth vermählte [33 Historia Welforum (wie Anm. 2), c. 5, Seite 10. Die Genealogia Welforum (ebd.), c. 2, Seite 76, berichtet nur Heinricus Atham duxit uxorem. Zu den HOHENWARTERN, die gewissermaßen an der Ostflanke des welfischen Interessengebiets ihre Besitzungen bis Südtirol haben, siehe Stephanie Hamann, Das Frauenkloster Hohenwart als dynastische Gründung des Hochmittelalters, in: Tiroler Heimat 48/49, 1985, Seite 25-33.], deren Burg nördlich von Wittelsbach und Scheyern lag, deutet die Interessen dieses WELFEN an: die Gewinnung des bayerisch-schwäbischen Grenzgebietes zwischen Alpen und Donau.
Schwieirgkeiten bereitet die zeitliche Einordnung Heinrichs mit dem Goldenen Wagen und damit auch seines Vaters Eticho. Josef Fleckenstein und Wolfgang Metz versuchten, den WELFEN Heinrich in die Zeit der Könige KONRAD I. und HEINRICH I. einzufügen [35 Fleckenstein, Herkunft (wie Anm. 1), Seite 128ff; Wolfgang Metz, Heinrich "mit dem Goldenen Wagen", in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 107, 1971, Seite 136-161.]. Dies erscheint prosopographisch durchaus richtig; beide haben eine Reihe von Indizien dafür gefunden.
Einer solchen Datierung scheint freilich entgegenzustehen, daß die Historia Welforum Heinrich mit dem Goldenen Wagen als Vater Bischof Konrads von Konstanz (934-975) bezeichnet. Angesichts der Tatsache, daß der Verfasser der Historia für das 10. Jahrhundert erhebliche Schwierigkeiten der genealogischen Einordnung hatte (Heinrichs Vater Eticho wird beispielsweise als Bruder der Kaiserin Judith bezeichnet), wird man dann vielleicht daran denken können, Bischof Konrad sei in Wirklichkeit nicht der Sohn, sondern der Bruder Heinrichs mit dem Goldenen Wagen gewesen.
Ein weiters Faktum muß nachdenklich stimmen. Die Historia Welforum sagt, daß Heinrichs Vater Eticho aus Gram übeer den politischen Wechsel des Sohnes das Klösterchen Ammergau gegründet habe, in das er eintrat [39 Historia Welforum (wie Anm. 2), c. 4, Seite 8-10.]. Die ersten Jahrzehnte des 10. Jahrhunderts sind aber allgemein eine Zeit, in der zumindest in Bayern fast keine Klöster gegründet wurden [40 Friedrich Prinz, Klöster und Stifte, in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Band 1, München ²1981, Seite 464f.; Wilhelm Störmer, Früher Adel (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, Band 6,2), Stuttgart 1973, Seite 377-381.]. Auch der Bericht der Historia Welforum, Heinrich habe das Kloster bzw. die Mönche des väterlichen Klosters Ammergau nach Altomünster transferiert, "wo der heilige Bekenner Alto ruht", und dort eine "reiche Abtei" entstehen lassen [41 Historia Welforum, c. 4, Seite 10f.], paßt wohl nur in die Zeit nach den Ungarneinfällen, also nach 955.
Es gibt ein weiteres Indiz für meine Vermutung, daß Heinrichs gewaltiger Königsgutgewinn nicht im frühen 10. Jahrhundert stattgefunden haben kann. Historia Welforum und Genealogia Welforum berichten beide, daß Heinrichs Sohn Rudolf eine Ita aus dem Hause ÖHNINGEN geheiratet habe, und betonen beide, daß Itas Vater der nobilissimus comes Kuno (von Öhningen), die Mutter aber eine Tochter Kaiser OTTOS DES GROESSEN namens Richlind gewesen sei [42 Ebd., c. 5, Seite 10-13.]. Wenn sich nun der Sohn Heinrichs mit dem Goldenen Wagen namens Rudolfs mit der Tochter Kunos von Öhningern vermählte, dann kan dies nur in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts gewesen sein. Das bedeutet aber, daß die Hinwendung Heinrichs mit dem Goldenen Wagen zum Kaiser (= OTTO DER GROSSE) wohl doch rund um die Jahrhundertmitte stattgefunden haben müßte, und zwar angesichts des Konfliktfeldes Herzog Liudolf und LUITPOLDINGER contra OTTO DER GROSSE oder gar erst Heinrich II. (mit schwäbischem Anhang) contra OTTO II.
Es ließe sich durchaus feststellen, daß Heinrichs Vater Eticho, in dem auch LUITPOLDINGER-Blut geflossen haben könnte, nach dem Tod des Bayern-Herzogs Arnulf (937) auf der Seite der oppositionellen LUITPOLDINGER stand, als Arnulfs Söhne, offensichtlich mit Zustimmung der Mehrheit der Bayern, König OTTO I. die Huldigung verweigerten [45 Vgl. Reindel (wie Anm. 38), Nr. 93, Seite 183ff.]. So ließe sich dann auch verstehen, daß die WELFEN des frühen 11. Jahrhunderts entfremdete Tegernseer Kirchenlehen besaßen: Im Zentzralort Ober-, Unter-Haching (südlich von München) und im nahen Otterloh, in Sufferloh unweit des Tegernseer Hauptortes Warngau und in Heimgarten (Landkreis Ebersberg) unweit der Tegernseer Maierhöfe Ostermünchen und Tuntenhausen [46 Ebd., Nr. 49, Seite 87 und 90ff. Zu den Tegernseer Maierhöfen siehe Ferdinand Kramer (Hg.), Tuntenhausen. Vom Herrenhof zum Wallfahrtsort, Weißenhorn 1991, Seite 40ff., 44f. und 91 ff.].
Das politische Programm jenes Heinrich, der wohl nach 975 starb, wird auch ersichtlich aus den westbayerischen Klostergründungen: die Historia Welforum berichtet, Eticho, der Vater Heinrichs, habe vor Schmerz, daß der Sohn die Königsnähe gesucht und dafür 4.000 Hufen im bayerischen Oberland als Königslehen erhalten habe, sich von der Welt abgewandt und ein Kloster im Dorfe Ammergau gegründet, in dem oder bei dem er seinen Lebensabend verbrachte und wo er bestattet wurde. Diese Klostergründung liegt nun allem Anschein nach gerade in jener Region, die der Sohn als königliches Lehen erhalten hatte. Dazu kommt, daß Ammergau an einer für den König wichtigen alten Römerstraße liegt, die von Augsburg über Epfach nach Garmisch-Partenkirchen verwendet wurde. Der Sohn Heinrich freilich transferierte nach dem Tod des Vaters dieses Kloster - oder vielleicht nur einen Teil der Mönche - ins oberbayerische Altomünster, "wo der heilige Bekenner Alto ruht", ein Reklause des 8. Jahrhunderts [47 Historia Welforum (wie Anm. 2), c. 4, Seite 8ff. Zu Altomünster siehe Wilhelm Liebhart, Altomünster, in: Fritz Mayer, Rudolf Wagner (Hg.), Der Altlandkreis Aichach, Aichach 1979, Seite 81f. Liebhart datiert die Transferierung der Ammergauer Benediktiner nach Altomünster auf die Zeit um 970. Von den frühen Äbten dieses Klosters sind folgende Namen bekannt: Rudolf, Eberhard, Heinrich und Hilpold (ebd., Seite 82). Rudolf und Heinrich sind Namen, die auch die WELFEN tragen.]. Betrachtet man das Urbar Altomünster [48 Fr. H. Hundt, Salbücher des Klosters Altomünster aus der Zeit des Ordens vom hl. Benedikt, in: Oberbayerisches Archiv 21, 1860, Seite 165-322. Diese Besitzungen (mit 15 Maierhöfen) lagen in den bayerischen Landgerichten Aichach, Friedberg, Mering, Kranzberg, Dachau, Landberg und Kitzbühel.], dann bemerkt man, daß Güter im Ammergau fehlen. Die Ammergauer Klostergüter sind also kaum an Altomünster übertragen worden. Vielleicht waren sie später die Basis für die Gründung Rottenbuchs.
Dieses Altomünster, das bald ein wichtiges zweites Hauskloster der WELFEN werden sollte, liegt genau östlich von Augsburg, etwa 25 Kilometer vom Bischofssitz entfernt. Man wird nicht annehmen dürfen, daß das neue Kloster abseits vom WELFEN-Besitz lag. Von hier aus suchten sich die WELFEN im 11. Jahrhundert der Bischofsstadt Zug um Zug zu nähern. Wenn es in der Historia Welforum heißt, Heinrich "ließ dort (= in Altomünster) eine sehr fromme und reiche Abtei entstehen", dann verweist der Satz auch auf die große grundherrschaftliche Basis der WELFEN östlich des Lechs, die in etwa rekonstuierbar ist anhand des spätmittelalterlichen Urbars des Klosters. Heinrich und seine Söhne wandten sich dann offenbar nach dem Westen zu: Er selbst gründete nach Altomünster das Frauenkloster Altdorf bei Ravensburg, das später so signifikant für die WELFEN werden sollte; Konrad, Sohn oder doch eher Bruder, wurde Bischof von Konstanz, Rudolf vermählte sich mit Ita, einer Tochter des hochadeligen und viel diskutierten Kuno von Öhningen. Der jüngste Bruder Eticho agierte offensichtlich ebenso in Schwaben, denn die Nachkommen aus seiner nicht standesgemäßen Ehe saßen in der Schweiz, nämlich die Herren von Heziliszell, von Uster und von Rapperswil [49 Historia Welforum, c. 5, Seite 10ff.].
Ein weiterer Eticho, der bisweilen als WELFE angesprochen wird, bereitet Schwierigkeiten. 982 bis 988 ist diese Person Bischof von Augsburg. Historia Welforum und Genealogia Welforum kennen ihn freilich nicht, und in der Augsburger Historiographie wird erst im 16. Jahrhundert behauptet, dieser Bischof Eticho stamme aus dem Geschlecht der älteren WELFEN. Angesichts dieser Überlieferungssituation ist es höchst unwahrscheinlich, daß er dem WELFEN-Geschlecht angehörte, das sich ja ohnehin so sehr um Augsburg festbiß und sicherlich immer wieder den familiären Zugriff auf den Bischofssitz erstrebte. Bischof Eticho könnte bestenfalls in das Verwandtschaftsumfeld der WELFEN gehört haben; er war aber bezeichnenderweise nicht relevant für die welfische Historiographie.