Lange Karl-Heinz: Seite 142-145
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"Die Grafen von Northeim 950-1144"

Die älteste der vier Töchter Ottos von Northeim und Richenzas, Ethilinde, erhielt den Namen ihrer Urgroßmutter väterlicherseits, der Gemahlin Graf Siegfrieds I. Ihre Geburt läßt sich ebensowenig wie der ihrer Schwestern und Brüder zeitlich genau bestimmen, da wir deren Altersfolge im einzelnen nicht kennen. Haben wir somit mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Ethilinde und ihre Schwestern vor beziehungsweise zwischen ihren Brüdern geboren sein könnte, so läßt sich ihre Geburt wiederum nur in die Jahre 1050-1060 ansetzen.
Es hat den Anschein, dass Ethilinde nach der Herzogserhebung ihres Vaters im Jahre 1061 aus politischen Rücksichten noch im unmündigen Kindesalter dem Grafen Welf IV. in die Ehe gegeben worden ist. Welf war der Sohn Azzos II. von Este und der WELFIN Kuniza (Kunigunde) und wird etwa zwischen 1030 und 1040 geboren sein. Da er im bayrisch-schwäbischen Raum über bedeutende Herrschaftsgrundlagen verfügte, wird sich Otto von Northeim von der Ehe seiner ältesten Tochter eine wesentliche Steigerung seiner Macht und seines Einflusses in Bayern versprochen haben, und es hat durchaus den Anschein, dass sich der Herzog in dieser Erwartung nicht getäuscht sah. Die Ereignisse des Jahres 1070 führten jedoch zum Abbruch aller Beziehungen zwischen Welf und Otto. Die Aussicht auf den Gewinn der bayrischen Herzogswürde bestimmte den WELFEN, seinem beim König in Ungnade gefallenen Schwiegervater jegliche Unterstützung zu versagen und seine Ehe mit Ethilinde zu lösen, das politische Motiv des Ehebruchs liegt daher klar zu Tage. Welf und Ethilinde hatten keine Kinder, eine Tatsache, die bei dem jugendlichen Alter der NORTHEIMERIN durchaus begreiflich erscheint. Die bekannten Nachkommen Welfs IV. sind aus dessen zweite Ehe mit Judith von Flandern hervorgegangen. Welf starb am 9. November 1101 auf einer Kreuzfahrt ins Heilige Land.
Ethilinde heiratete in zweiter Ehe einen westfälischen Grafen mit Namen Hermann, den die Chronisten des 12. und 13. Jahrhunderts nach der Burg Kalvelage in der Grafschaft Vechta benennen. Ob er diese Burg bereits besessen hat, läßt sich mangels zeitgenössischer Quellen nicht mit Sicherheit sagen. Erst sein und Ethilindes einziger Sohn Hermann erscheint seit dem Jahre 1115, mit Gewißheit seit dem Jahre 1126, als Graf von Kalvelage. Die Ehe Ethihildes und Hermanns kann fühestens kurz nach 1070 geschlossen sein; genauere Anhaltspunkte fehlen. Auch über die Vorfahren Hermanns lassen sich keine sicheren Angaben machen. Hömberg möchte sowohl die Grafen von Kalvelage als auch die von Kappenberg von einem im Jahre 1017 auftretenden Grafen Hermann ableiten, den er für den Großvater des Gemahls der Ethilinde hält. Lassen sich auch keinerlei konkrete Einwände gegen Hömbergs Aufstellungen erheben, so können diese doch nur als Hypotheken gelten. Auch die Herkunft der Grafen von Kalvelage aus dem westfälischen Münsterland läßt sich nicht einwandfrei nachweisen. Die Nachkommen Hermanns II. nennen sich nach der Burg Ravensberg. Man hat daher seit langem in der Forschung die These vertreten, dass bereits Ethilinde ihrem Gemahl Hermann im Bistum Osnabrück Komitatsrechte aus väterlichen, das heißt northeimischen Erbe in die Ehe gebracht habe. Beweise für eine Annahme fehlen aber gänzlich. Es ist schon darauf verwiesen worden, dass die gräflichen Gerechtsame Ottos von Northeim nach seinem Tode bei der männlichen Linie des Geschlechts verblieben sind. Außerdem fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, dass die NORTHEIMER in Mittelwestfalen jemals Grafenrechte ausgeübt haben. Dagegen sind möglicherweise durch die Mitgift der Ethilinde auch im Bistum Osnabrück Allodialgüter northeimischer Herkunft an Hermann I. übergegangen, aber die westfälischen Besitzungen der NORTHEIMER lagen, was in diesem Zusammenhang betont werden muß, fast ausnahmslos in den Gebieten südlich der Lippe. Sichere Angaben über Umfang und Lage der an Hermann gelangten northeimischen Erbgüter in Westfalen lassen sich daher nicht machen.
Ein im Jahre 1082 gestorbener Graf Hermann läßt sich mit einiger Sicherheit auf den Gemahl der Ethilinde beziehen; über ihren Tod haben sich keinerlei Nachrichten erhalten. Der Sohn beider, Graf Hermann II. von Kalvelage, wäre demnach zwischen 1071 und 1082 geboren. Seine Gemahlin (Judith?) soll nach Prinz und Hömberg eine Tochter Graf Ottos von Zütphen gewesen sein und als Miterbin ihres Vaters die Machtstellung der Grafen von Kalvelage-Ravensberg in Nordwestfalen begründet haben. Da sich der Name und Herkunft von Hermanns Gemahlin jedoch nicht mit Sicherheit nachweisen lassen, muß auch die vermutete Übernahme zütphenscher Gerechtsame im Raum um Kalvelage durch den Sohn der Ethilinde problematisch bleiben. Hermann begegnet zum letzten Male urkundlich im Jahre 1134. Über seinen Tod haben sich keine glaubwürdigen Nachrichten erhalten.