Schölkopf Ruth
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"Die sächsischen Grafen 919-1024 "

Die gesicherte Geschichte des Werler Grafenhauses begann 997, als OTTO III. dem Stift Meschede ob petitionem Gerbergae comitissae einen Besitz in Stockhausen in pago Locdorf ac in comitatu Herimanni comitis übertrug. Drei Jahre später erwirkte eine matrona Gerberga für das von ihr gegründete Nonnenkloster in Oedingen in pago Lacdorpgo in comitatu Herimanni eius filius von OTTO III. eine Bestätigungsurkunde, die dem Kloster freie Wahl der Äbtissin und ihrem Sohn Hermann und seinen Nachkommen die Stellung des Klostervogtes zusicherte.
Ungefähr in die gleiche Zeit fällt die Auseinandersetzung Hermanns von Werl mit Erzbischof Heribert von Köln. Anlaß der Feindseligkeit war die durch den Erzbischof erfolgte Festnahme Gerbergas, der Mutter des Grafen. Die tieferen Gründe dieses Vorgehens treten nicht zutage.
Fragen wir zunächst: wer war die urkundlich bezeugte Gerberga? Bollnow stellte als Ergebnis seiner Arbeit an Hand des sächsischen Annalisten fest, dass Gerberga, die Mutter Hermanns von Werl, allenfalls mit Gerberga von Burgund, der Tochter König Konrads von Burgund und der Mathilde, einer Enkelin HEINRICHS I., identisch sein könnte, was nach seiner überkritischen Methode keinesfalls für ihn zwingend ist. Von einer Vermutung zur Behauptung und deren Begründung ging Fr. von Klocke über. Er unterschied eine Gerberga "aus dem Sauerland" von Gerberga von Burgund. Die Stifterin des Klosters Oedingen sei identisch mit Gerberga aus dem Sauerland, einer Frau von großer Tatkraft und reichem väterlichen Erbgut, mit dem sie wesentlich zum Ausbau des Machtbereiches der Werler Grafen beigetragen habe. Wer ihr Gatte war, ist ungewiß. Fr. von Klocke schaltete sowohl den 978 erwähnten als auch den 985 bezeugten Grafen Hermann als Stammvater der Werler Grafen aus. Als gesichert ließ er nur gelten, dass der von Thietmar genannte und in der Stiftungsurkunde aufgeführte Hermann ihr Sohn war. Die Unterscheidung der beiden Gerbergen ging wesentlich von der Titulierung comitissa und der Tatsache ihrer Festnahme durch den Erzbischof von Köln aus. Gerberga von Burgund sei hingegen wesentlich jünger gewesen. Sie habe nach dem Tode ihres ersten Gatten, des Herzogs Hermann von Schwaben, in zweiter Ehe den seit 997 bezeugten Grafen Hermann, den Sohn der Gerberga aus dem Sauerland und den ersten wirklich in Werl erweisbaren Angehörigen dieses Grafenhauses, geheiratet. Gerberga habe aus erster Ehe schon die beiden Töchter Mathilde und Gisela, wie Hermann von einer unbekannten Gattin die Söhne Heinrich, Konrad und Adalbert gehabt. Aus beider um 1004 geschlossenen Ehe seien dann die Kinder Rudolf, Bernhard und Mathilde hervorgegangen. Hömberg dagegen trat nachdrücklich für eine Personengleichheit der beiden Gerbergen ein. Endgültige Sicherheit ist meines Erachtens aus Mangel an Zeugnissen nicht zu gewinnen. Gerberga war vermutlich in 1. Ehe mit einem ungenannten Grafen von Werl verheiratet, den Bollnow vorsichtigerweise nicht namhaft macht. In zweiter Ehe heiratete sie Herzog Hermann von Schwaben, dem sie die Kinder Gisela - die spätere Kaiserin - Beatrix, Bertold und Hermann (Herzog von Schwaben, + 1012) gebar. Bollnow hielt eine 3. Ehe nach dem Tode Herzog Hermanns (+ 1003) erneut mit einem Grafen von Werl für nicht ausgeschlossen. Die Schwierigkeit beruht darin, dass der sächsische Annalist als Geschwister der Gisela von Schwaben erwähnt: soror eius Mathildis fratresque eius Rodulfus et Bernardus nati erant in Westfalia de loco, qui dicitur Werla. Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussage ergeben sich dadurch, dass Rudolf in der Vita Meinwerci kein einziges Mal in den Zeugnislisten auftauchte. Andererseits wird man aus chronoligischen Erwägungen den Bernhard des Annalisten mit Bernhard, dem Sohn des Grafen Hermann von Werl, identifizieren müssen, so dass dem Annalisten in der Generationsfolge ein Gedächtnisfehler unterlaufen wäre. Bollnow löste das Problem auf die Weise, dass er Hermann von Werl einen Sohn Gerbergas aus 1. Ehe und damit einen Halbbruder der Kaiserin Gisela sein ließ. Die übrigen Geschwister der Gisela, die der Annalist aufführte - also Mathilde, Rudolf und Bernhard - sollen Kinder des Grafen Hermann (von Werl) und damit Giselas Bruderkinder sein. Die Lösung hat viel für sich, zumal wenn man die 2. Ehe Hermanns in Erwägung zieht, die Bollnow nicht erwähnte. Wir können nur mutmaßen, dass vielleicht Rudolf und Mathilde Kinder aus dieser 2. Ehe waren, was allerdings der Aussage Thietmars widerspricht, der die Ehe wegen der nahen Verwandtschaft für kinderlos hielt: nullam in procreanda prole spem deinceps adipiscitur. Diese Aussage stand möglicherweise unter dem Eindruck der göttlichen Strafe für die Exkommunikation. Vielleicht wurden die Kinder auch erst nach Thietmars Tod (+ 1018) geboren. Die 2. Ehe würde erklären, warum Rudolf, der an zwei Stellen als comes natus de Westfalia, ex loco, qui dicitur Werla bezeugt ist, in der Vita Meinwerci nicht unter den vier Söhnen Hermanns aufgezählt wurde. Zum Zeitpunkt des Testates (1024) war er demnach noch unmündig und kam als Zeuge nicht in Betracht, da er frühestens 1007 geboren wurde. Hömberg fand eine andere Lösung, auf die in einem anderen Zusammenhang bereits hingewiesen wurde.
Ebenso strittig ist die Beantwortung der Frage nach Gerbergas Gatten. Bollnow wich ihr aus. Er begnügte sich mit der allgemeinen Feststellung, dass er ein Graf von Werl war. Hömberg machte Graf Bernhard als Gatten der Gerberga namhaft.
In Frage käme ein Graf Hermann, der zur gleichen Zeit auftrat. Nach Auslage einer Urkunde sprach er im Ort Böllinghausen (bei Erwitte) im Gau Engern Recht, der in den Besitz des Klosters Meschede überging. Dieses Gebiet liegt in der Nähe von Werl, dem Stammsitz der Familie. Es schließt sich organisch an die Grafschaft des Grafen Hermann im Locdorpgau an. Zeitliche Bedenken erheben sich ebenfalls nicht. Vor allem spricht eine Erwähnung bei Thietmar dafür, ihn als Mitglied des Werler Grafenhauses zu betrachten. Die Textstelle besagt, dass 984 der Streit zwischen Heinrich von Bayern und seinem Sohn - dem späteren König - Herimanni comitis consilio geschlichtet wurde. Was konnte einen westfälischen Grafen veranlassen, sich in Sachen des bayerischen Herzogshauses zu verwenden. Die Antwort lautet: hier sprachen verwandtschaftliche Verpflichtungen mit. Gerbergas Halbschwester und somit Hermanns vermutliche Schwägerin war Gisela, die Gattin des Bayern-Herzogs Heinrich des Zänkers, der sich 984 mit seinem Sohn auseinandersetzte. Von hier aus gesehen erhellt sich die schon erwähnte Bezeichnung der Annalen consobrini imperatoris für die Söhne Hermanns von Werl. Hömberg hielt den 978 erwähnten Grafen Hermann für Gerbergas Schwiegervater, und zwar auf Grund der Tatsache, dass ihr Sohn wiederum den Namen Hermann trug. Da nur eine einzige Erwähnung vorliegt, können aus seinen Amtsdaten auch nicht annähernd gesicherte Angaben über das Alter des genannten Grafen gemacht werden. Alle anderen Kombinationen - wie Gatte oder Schwager - haben darum genau so viel Wahrscheinlichkeit für sich. Vielleicht war er mit dem Grafen Hermann identisch, der nach dem Fuldaer Totenbuch am 13. Juli 995 starb, zu welchem Tage auch das Merseburger Totenbuch das Ableben eines Grafen Hermann verzeichnete.