Aus der Deutschen Literaturzeitung
                                             Nr. 10  11.  6. März 1920

                Neuere Forschungen zur Geschichte Heinrichs des Löwen
                                von Ferdinand Güterbock

Die Kontroverse über den Sturz Heinrichs des Löwen ist neuerdings während des letzten Jahrzehnts wieder stärker aufgelebt, ohne aber bisher eine zusammenhängende Würdigung zu erfahren. Es handelt sich hier um ein zentrales Problem der politischen Geschichte wie der Verfassungs- und Rechtsgeschichte des Mittelalters, und so will ich den Gang, den die Forschung seit der Veröffentlichung meiner in dieser Zeitschrift (1910 Nr. 22 Sp. 1386 ff.) zuletzt besprochenen Untersuchungen genommen hat, in wenigen Strichen zu skizzieren versuchen, indem ich zunächst die biographischen Werke allgemeineren Inhalts kurz behandle, dann die Spezialuntersuchungen über die Probleme der politischen Geschichte und schließlich die über die verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Fragen berühre.
Heinrich der Löwe ist wohl eine der populärsten Gestalten der STAUFER-Zeit, aber seine ruhmreichen Tage und sein tragisches Geschick haben bislang noch keine würdige Schilderung erhalten. Als in den sechziger Jahren des 19. Jahrh.s die deutsche Geschichtswissenschaft zu hoher Blüte kam und sich mit Eifer der Erforschung der Vorzeit zuwandte, da fand der große WELFEN-Herzog gleich zwei Biographen. Beide Autoren gehörten jedoch gerade nicht zu den damals zahlreichen Forschern ersten Ranges, und die zwei Werke wurden fast allseitig unter scharfem Tadel abgelehnt [H. Prutz, Heinrich der Löwe (1865); M. Philippson, Heinrich der Löwe (1867). Vgl. hierzu A. Cohn in Götting. gel. Anz. Jahrg. 1866, S. 61 ff. und Jahrg. 1868 S. 1041 ff.; L. Weiland in Histor. Zeitschr. XIX, 377 ff. (1868)]. Ein eigenes Mißgeschick will es nun, daß das schwächere der beiden Bücher nach einem halben Jahrhundert jetzt im Jahre 1918 eine Neuauflage erlebt, eine allerdings umgearbeitete Auflage, in der aber die schon früher gerügten Mängel der Arbeitsweise - Flachheit und Weitschweifigkeit der Darstellung bei kritischem Unvermögen und Flüchtigkeit der Forschung - in nicht verringertem Maße hervortreten. Wir tun gut, möglichst schnell einen Schleier über diese Veröffentlichung zu breiten, zumal die Verantwortung wohl weniger den greisen inzwischen verstorbenen Gelehrten trifft, als den offenbar schlecht beratenen Verlag, der den auf anderen Gebieten erfahrenen Verfasser zu einem solchen Unternehmen angespornt hat [Martin Philippson (Prof. Dr.), Heinrich der Löwe, Herzog von Bayern und Sachsen. Sein Leben und seine Zeit. 2., gänzlich umgearbeitete Aufl. Leipzig, Oskar Leiner, 1918. 650 S. In dem Vorwort, das vom Februar 1914 datiert ist, betont der Verf., daß ihn der Verlag zu der Neuauflage aufgefordert habe.].
Über die Taten Heinrichs des Löwen, soweit sie mit der Reichsgeschichte im Zusammenhang stehen, informieren noch heute am besten die einzelnen Abschnitte in Giesebrechts Kaisergeschichte, deren Trefflichkeit in den drei letzten hier in Betracht kommenden Bänden nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Einen Überblick über Heinrichs Leben gewährt überdies die im Jahre 1912 publizierte Oxforder Abhandlung von Austin Lane Poole, die das rege Interesse bezeugt, das man in England dem mit einer englischen Königstochter verheirateten WELFEN-Herzog entgegenbringt [Austin Lane Poole, B. A., Henry the Lion.The Lothian historical essay for 1912. Corpus Christi College Oxford. Oxford, B. H. Blackwell, u. London, Simpkin, Marshall & Co., 1912. 111 S. Vgl. hierzu J. Haller in Histor. Zeitschr. CXII, 657 f., der m. E. allzu hart über das Buch aburteilt; siehe dagegen das Urteil in The English Historical Review 1913, Seite 395 f.]. Der würdigen Ausstattung des Büchleins entspricht ein gediegener Inhalt. Für die knappe, das Wesentliche hervorhebende Darstellung hat der Verf. die zeitgenössischen Annalenwerke mit Fleiß und nicht ohne Kritik durchforscht; zum Teil sind ihm, wie bei einer Erstlingsarbeit verzeihlich, Irrtümer unterlaufen. Eine intime Kenntnis besitzt er von der älteren und neueren deutschen Fachliteratur, und an ihrer Hand, so namentlich im Anschluß an meine und Hallers Forschungen, bemüht er sich, in die verwickelsten Streitfragen einzudringen. Daß er hier ohne Sucht nach Originaliät sich darauf beschränkt, über Untersuchungen anderer zu referieren und zwischen den divergierenden Meinungen meist mit Umsicht seinen Standpunkt zu wählen, das halte ich gerade für einen die Abhandlung auszeichnenden Vorzug. Und es scheint mir auch kein Nachteil zu sein, daß der jugendliche Gelehrte sein Thema eng umgrenzt, daß er möglichst objektiv und nüchtern die Tatsachen festzustellen und nur die äußeren Lebensschicksale seines Helden zu schildern sucht. Im ganzen wird diese biographische Skizze aus der Feder eines englischen Historikers uns als willkommener Beitrag für die Ausfüllung einer bisher schmerzlich empfundenen Lücke dienen können.
Ähnliches erstrebt in anderer Richtung eine freilich anspruchsvoller auftretende Arbeit von stark subjektiver Prägung: das im Jahre 1919 veröffentlichte Buch von Editha Gronen über "Die Machtpolitik Heinrichs des Löwen" [Editha Gronen (Dr. phil.), Die Machtpolitik Heinrichs des Löwen und sein Gegensatz gegen das Kaisertum. (Eberings Histor. Studien, heft CXXXIX.) Berlin, Emil Ebering, 1919. 157 S. 8°. M 10 u. 30% T.Z.]. Die Verf., eine Schülerin Alexander Cartellieris, handelt nicht von dem WELFEN-Herzog als Kolonisator und Städtegründer [Über Heinrichs Städtepolitik siehe neuerdings namentlich H. Bloch in Zeitschr. d. Vereins f. Lübeckische Geschichte XVI, 1ff. (1914), F. Rörig, ebendort XVII, 27 ff. (1915), G. v. Below in Mitteil. d. Instituts f. österr. Geschichtsforschung XXXV, 381ff (1914), die alle drei trotz abweichender Ansichten im einzelnen doch darin übereinstimmen, daß sie dem WELFEN-Herzog keine weitgehenden Pläne auf dem Gebiet städtischen Verfassungslebens, sondern nur eine gewisse Fürsorge für die städtische Entwicklung zuschreiben.], nicht von seiner sächsischen und bayerischen Landespolitik, sondern fast ausschließlich von seiner Politik gegenüber den staufischen Herrschern und den auswärtigen Mächten. Unter sorgfältiger Heranziehung des umfangreichen Quellenmaterials will sie hier namentlich den Umschwung in der Politik des Herzogs, seinen Wandel aus einem Freund in einen Feind BARBAROSSAS motivieren. Völlig abweichend von der allgemein herrschenden Auffassung sieht sie in Heinrich dem Löwen einen großen weitschauenden Politiker, der zielbewußt auf einen Konflikt mit BARBAROSSA lossteuert, der planvoll Fäden mit Kaiser Manuel von Konstantinopel und König Heinrich von England anknüpft und der, um eine angiovinisch-welfische Weltherrschaft zu begründen, heimtückisch auf den Augenblick lauert, bis er dem allzu vertrauensseligen staufischen Vetter kurz vor der Schlacht von Legnano den Dolch in den Rücken bohrt. Aus einer solchen Auffassung heraus betrachtet die Verf. als erste Ursachen des Konfliktes nicht etwa Streitigkeiten um Goslar oder das Welfsche Erbe, sondern sie bezeichnet schon von Anfang an (S. 15) die Freundschaft zwischen Heinrich und BARBAROSSA nur als "scheinbare", sie vermutet bereits 1162 (S. 37) ein Schwanken Heinrichs, und sie wittert seit 1164, da eine Gesandtschaft Manuels nach Braunschweig kam, einen Plan Heinrichs, in "Verbindung mit den Reichsfeinden" zu treten, um "die Stellung des STAUFERS in Italien (!) zu geeigneter Zeit zu erschüttern" (S. 46); bei solchen Gedankengängen wird ihr naturgemäß Heinrichs Pilgerfahrt im J. 1172 zu einer "politischen Reise, deren Spitze gegen den Kaiser gerichtet war" (S. 61). Hier wie auch sonst sucht sie die Absichten ihres Helden aus später eingetretenen Ereignissen zu erschließen. Und die zeitgenössischen Quellenzeugnisse? Wenn Heinrich während des Schismas Hand in Hand mit BARBAROSSA geht, so ist das "eben nur Schein; es war noch nicht an der Zeit, das wahre Gesicht zu zeigen, Verschleierung hieß das Gebot der Stunde" (S. 47, ähnlich S. 54). Wenn Heinrich häufig am kaiserlichen Hof weilt, dann wollte er "beobachten" (S. 51) und "seine Absichten verschleiern" (S. 63). Wenn Heinrich auf Wunsch des Kaisers eine englische Prinzessin heiratet, so beabsichtigt er seine Position "dem Kaiser gegenüber zu stärken" (S. 54). Mögen die Quellen, ja mögen die Tatsachen eine noch so deutliche Süprache reden, es ist nur ein trügerischer "Schein", den die Verf. scharfsichtig durchschaut, und den sie umzudeuten versteht. Kurz eine Dichtung, kein Geschichtswerk! Auch im einzelnen mangelt die Kritik. Zumeist stützt sich die Verf. auf methodisch schwache Arbeiten, wie die von Hardegen (vgl. MJÖG. XXXI, S. 628.), von Niese und Biereye (vgl. hier weiter unten), und in strittigen Fragen entscheidet sie sich fast regelmäßig für die falsche Seite: so z. B. S. 15 Note 6 für Niese gegen Simonsfeld, S. 35 N. 85 für Philippson gegen Giesebrecht, S. 59 N. 46 für Philippson, S. 63 N. 60 für Haller gegen Hampe, S. 65 N. 65 für Giesebrecht gegen Weiland, S. 69 N. 10 für Niese usw. Wo sie einmal eine eigene Untersuchung bringt, S. 131 ff., geht sie vollkommen fehl. In dem Vorwort betont sie den Reiz der Forschung, die bei lückenhafter Überlieferung ein anschauliches Bild durch "Rückschlüsse und Vermutungen" gewinnen läßt. In der Tat bietet ihr Buch ein großzügig entworfenes Bild, aber ein Phantasiegemälde, das für die Wissenschaft nicht zu verwerten ist.
Was nun die Spezialforaschung betrifft, so ist zweifellos die bedeutendste Leistung des letzten Jahrzehnts das 1911 erschienene Werk von Johannes Haller über den Sturz Heinrichs des Löwen [Johannes Haller, Der Sturz Heinrichs des Löwen. Eine quellenkritische und rechtsgeschichtliche Untersuchung. Leipzig, Veit & Comp., 1911 (S.-A. aus Archiv f. Urkundenforsch. III, S. 293-450)]. Der Verf. kommte in geistvoller Polemik gegen meine Untersuchungen fast durchweg zu neuen Ergebnissen. Aus dem reichen Inhalt seines Buches, mit dem ich mich an anderer Stelle auseinandersetzte, will ich hier nur einige seiner positiven Darlegungen, die die nachfolgende Forschung beinflußt haben, herausheben. H. verteidigt gegen meine Zweifel die geschichtliche Authenzität der Zusammenkunft von Chiavenna, indem er vor allem die Wurzeln der späten sagenumsponnnen Überlieferung in möglichst frühe Zeiten zurückzuverfolgen sucht (in einer besonderen Miszelle stellt er die Hypothese auf, daß die gemeinsame Quelle der, wie er meint, auffallend gleichlautenden Quellenberichte ein kaiserliches Manifest von 1181 gewesen sei [Mitteil. d. Instituts f. österreich. Geschichtsforschung XXXIII, S. 681-685 (1912)]. Als Hauptstütze dient ihm außer dem Bericht Ottos von S. Blasius [Über Ottos fragliche Zuverlässigkeit siehe ein stark abweichendes Urteil Hallers in Mitteil. d. Instituts f. österreich. Geschichtsforschung XXXV, 423, das freilich von A. Hofmeister in Histor. Zeitschr. CXV, 205 abgelehnt wird.] insbesondere die Erzählung des Gobelinus Person, die er im Anschluß an Scheffer-Boichorst aus zeitgenössischen Annalen ableitet. Die Widersprüche der verschiedenen Quellenzeugnisse erscheinen ihm nicht stark genug, um die Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, und das Gegenargument, daß der Mönch von Ancin nichts von der Zusammenkunft erfahren hat, schätzt er gering ein [Vgl. hierzu noch Reinhold Timm, Eine Untersuchung der Continuatio Aquicinctina (Erlanger Dissertation. Borna-Leipzig 1913 63 S.) und Paul Kath, Sigeberti Continuatio Aquincinctina. Eine quellenkritische Unersuchung (Greifswalder Dissertation Brüssel Brüssel 1914, 222 S.; auch im Bulletin de la Commission Royale d'Histoire de Belgique LXXXIII.)]. Über Rankes und Giesebrechts Ansichten hinaus hält er auch die Fußfallszene für sicher bezeugt, und, indem er die Darstellung Burchards und Eikes auf eine gemeinsame schriftliche Vorlage zurückführt, glaubt er selbst an die höhnendnen Worte des Truchseß Jordan. Aus der so gewonnen Prämisse einer tiefen Demütigung BARBAROSSAS folgert er, daß der Kaiser nach Rache dürstend die vollständige Zertrümmerung der welfischen Macht sogleich beschlossen und dann Zug um Zug unerbittlich durchgeführt habe, daß der Herzog von berechtigtem Argwohn erfüllt dem Gerichtsverfahren ausgewichen und schließlich der vorsichtig und schlau arbeitenden Politik seines staufischen Gegners zum Schaden des Reiches erlegen sei.
Diesen wuchtigen, eindrucksvollen Ausführungen Hallers, denen jedenfalls Originalität und innere Konsequenz nachzurühmen ist, hat Karl Hampe sein feinsinniges, abgeklärtes Urteil entgegengestellt [Karl Hampe in Histor. Zeitschr. IX, 49 bis 82 (1912)]. Er wendet sich entschieden gegen die einseitige Apologie des WELFEN-Herzogs; er betont, daß BARBAROSSA als weitsichtiger Staatsmann den Löwen nicht vernichten, nur seine für das Reich schädlich gewordene Macht eindämmen wollte, daß die von Trotz und Selbstüberschätzung erfüllte Haltung Heinrichs seine eigene vollständige Vernichtung herbeiführen mußte. Mit dieser m. E. durchaus zutreffenden Auffassung verbindet er den Glauben an die geschichtliche Wirklichkeit der Chiavennabegegnung und auch der Fußfallszene, die er zum mindesten als wahrscheinlich betrachtet, obgleich er den einzelnen Argumenten Hallers im Grunde nur selten beipflichtet, obgleich er z. B. die Erzählung Gobelins nicht so hoch bewertet, die Darstellung Burchards und Eikes nur auf eine mündliche Quelle zurückführt, die Worte des Truchseß Jordan nicht für bare Münze nimmt. Da ich der Detailkritik Hampes fast immer zustimme, und da ich weitergehend der Ansicht bin, daß die gegen die Annahme einer Zusammenkunft sprechenden Gründe sich noch wesentlich verstärken lassen, so halte ich an meiner skeptischen Anschauung fest, einer Anschauung, die ja neuerdings immer mehr Anklang bei Bernheim, Brandi, Holder-Egger u. a. gefunden hat [E. Bernheim in Göttig. gel. Anz. Jahrg. 1909, S. 748; K. Brandi in Zeitschr. d. histor. Ver. f. Niedersachsen LXXVIII, 82 (1913); O. Holder-Egger in Chronik Burchards von Ursberg SS. rer. Germ. 2. Aufl. S. 53, Anm. 6 (1916).], und die sich nicht eben schlecht mit der gerade von Hampe vertretenen Auffassung vereinigt, daß BARBAROSSAS Vorgehen gegen den Herzog weniger  aus persönlichen Stimmungen als aus staatsmännischen Erwägungen zu erklären sei. Abgesehen von Chiavennafrage erscheinen mir aber Hampes Darlegungen überzeugend: sie leuchten mit bewunderungswürdiger Klarheit tief in die inneren Zusammenhänge der Geschichte, in die Politik BARBAROSSAS und Heinrichs des Löwen hinein.
Jüngere auf Haller und Hampe folgenden Forscher brachten der Wissenschaft wenig Gewinn. Das gilt auch von dem begabten, uns leider zu früh entrissenen Hans Niese, der in vielen seiner Arbeiten, zumal aus der Zeit FREIDRICHS II., Wertvolles geleistet, der jedoch zuletzt die Probleme der Epoche FRIEDRICHS I. wohl etwas übereilt in Angriff genommen und hier seine Fähigkeiten nicht voll entfaltet hat. Zwar schlug er meist selbständig eigene Wege ein; aber seine Ansichten über die Goslarfrage, über den bei Gobelin überlieferten Ursprung von Heinrichs und BARBAROSSAS Konflikt, über das politische Können und Wollen BARBAROSSAS u. a. m. sind meiner Meinung nach nicht genügend durchdacht und ruhen zum Teil auch auf nicht solider Quellenforschung [Hans Niese in Histor. Zeitschr. CXII, S. 548-561 (1914); vgl. auch weiter unten. Ausführliche Nachweise in meinem demnächst erscheinenden Buch (Quellen u. Darstellungen zur Gesch. Niedersachsens. Bd. XXXII.)].
Wenig bedeutend ist die Untersuchung, die Wilhelm Biereye über die Wendeneinfälle und Zweikampfforderung Dietrichs von Landsberg beisteuert: die Art, wie der Verf. hier trotz entgegenstehender Quellenzeugnisse die Herausforderung in die Zeit nach dem Würzburger Tag verlegen, wie er den in der Lauterberger Chronik überlieferten Todestag Dietrichs von Beiersdorf zu 1179 datieren, wie er den Slaveneinfall der zeitgenössischen Pegauer Annalen aus dem Jahr 1180 streichen möchte, diese Art der Forschung zeugt von einem Fehlen jeglicher quellenkritischer Methode [Wilhelm Biereye in Histor. Zeitschr. CXV, S. 311-323 (1915).]. Brauchbarer  ist sein Beitrag zu der Dietrich Schaefer-Festschrift, wo er "die Kämpfe gegen Heinrich den Löwen in den Jahren 1177 bis 1181" behandelt: er vertritt dort die der Hallerschen Auffassung entgegengesetzte Schaefersche Anschauung, daß BARBAROSSA bis zuletzt Heinrich den Löwen zu halten suchte, und er gerät dabei zum Teil (S.169 ff.) in brüchige Hypothesen z. B. von einer Begünstigung Heinrichs durch Barbarossa im J. 1179, einer Annäherung der Fürsten an Heinrich im J. 1180 u. a m. Immerhin bringt uns diese gut geschriebene Abhandlung trotz einzelner Mängel im ganzen durch einen schätzenswerten Beitrag zur Zeitgeschichte [Forschungen und Versuche zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift für Dietrich Schaefer. Jena, G. Fischer, 1915, S. 149-196.]
Werfen wir nunmehr noch einen Blick auf die Untersuchungen über den Prozeß Heinrichs des Löwen, auf die Erforschung der für die Rechts- und Verfassungsgeschichte wichtigen Probleme.
Haller, von dessen Werk wir auch hier wieder den Ausgang nehmen wollen, übernimmt als Ergebnis meiner Untersuchung, daß Heinrich der Löwe nicht, wie Ficker meinte, in drei, sondern in zwei Verfahren nach Land- und nach Lehnrecht verurteilt wurde. Während ich aber auf Grund des bisher angenommenen Wortlauts der Gelnhäuser Urkunde einen Termin im landrechtlichen und mehrere Termine im lehnrechtlichen Verfahren ansetze und so ein kürzeres landrechtliches in ein längeres lehnrechtliches Gerichtsverfahren einzuordnen suchte, läßt H. das lehnrechtliche Verfahren erst nach Abschluß des Achtverfahrens beginnen, indem er dem Text der Urkunde ein quia in trina ändert und die neue Lesart als paläographisch und philologisch begründet hinstelt. Mit Hilfe der neuen Lesart und einer neuen Interpretation des Ausdrucks trino edicto (einmalige Ladung mit dreimaligem Aufruf) kommt er zu dem Ergebnis eines längeren landrechtlichen und eines kürzeren lehnrechtlichen Verfahrens, wodurch der Widerspruch zwischen urkundlicher und annalistischer Überlieferung großtenteils beseitigt wird. Ferner legt er das Majestätsverbrechen Heinrichs nicht, wie ich es tat, als gerichtlichen Ungehorsam, sondern als Widerstand des Angeklagten gegen das Achturteil aus; Heinrichs schwäbische Stammesgenossen, die das Achturteil fällen halfen, faßt er im Anschluß an Waitz als Hochfreie auf, und auch sonst vertritt er mit viel Scharfsinn in fast all und jedem  - ich kann an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen - eine der meinigen widersprechenden Auffassung.
Fast gleichzeitig mit Hallers Abhandlung erschien von Jul. Fickers bahnbrechendem Werk "Vom Reichsfürstenstande" der zweite Band, der von dem Verf. schon vor fünfzig Jahren abgefaßt erst jetzt der Öffentlichkeit übergeben wurde [Julius Ficker, Vom Reichsfürstenstande. Forsch. zur Gesch. der Reichsverfassung zunächst im 12. u. 13. Jahrh. 2. Bd. herausgeg. von Paul Puntschart. 1. Teil Innsbruck 1911. Die Rezensioin Hans Fehrs in Zeitschr. d. Savignystiftung f. Rechtsgesch. Germ. Abt., XXXIII, S. 549 ff. wird der  Bedeutung des Werkes nicht voll gerecht und kommt zu gänzlich irrigen Schlußfolgerungen.]: es stelte sich heraus, daß der anerkannt sachkundige Kenner des einschlägigen Materials bereits vor zwei Menschenaltern verschiedentlich eine mit meinen späteren Forschungen völlig übereinstimmende Auffassung vertreten hat: so (S. 370 ff.) bezüglich der mehr moralischen als rechtlichen Verpflichtung Heinrichs zur Hilfeleistung (S. 168 ff.) beüglich der Gerichtsvorrechte der älteren Reichsfürsten und vor allem (S. 180 ff.) bezüglich des Fürstentums von Heinrichs schwäbischen Stammesgenossen und des ersten Auftretens des neuen engeren Reichsfürstenstandes.
In selbständigen Untersuchungen neben meinen und Hallers Forschungen hat ferner Niese den Prozeß Heinrichs im Rahmen des mittelalterlichen Prozeßwessens behandelt [Hans Nise in Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgsch. Germ. Abt., XXXIV, 195-258 (1913). Vgl. hierzu E. Rosenstock, Königshaus und Stämme. S. 324, N. 42 (1914).]. Von seinen eigenartigen und interessanten Ausführungen, die mir freilich aus den oben angedeuteten Gründen fast durchgängig verfehlt erscheinen, berühre ich hier nur wenige Punkte. Mit Recht lehnt N. die Hallersche Deutung des Ausdruckes trino edicto ab. Die Konjektur trina statt quia nimmt er zwar an, er erkennt aber richtig, daß alsdann durch den Fortfall des quia eine grammatisch unmögliche Koordinierung von oppresserat und contempserit entsteht, und hilft sich mit dem Ausweg, der Urkunde ein mißlungenes Diktat vorzuwerfen. In der Urkunde, einem zeitgenössischen offiziellen Aktenstück der Reichskanzlei, hält er weiterhin  das Vorkommen von Irrtümern für möglich, und er stützt sich lieber auf die späte Chronik Arnolds von Lübeck, die er als "unsere weitaus beste Quelle" bezeichnet. Vornehmlich auf Grund von Arnolds Darstellung verteidigt er die alte, schon von Ficker u. a. widerlegte Weilandsche Ansicht, daß das Majestätsverbrechen Heinrichs die Hilfsverweigerung vor der Schlacht von Legnano gewesen, daß das land- und lehnrechtliche Verfahren mit zusammenfallenden gleichen Terminen völlig parallel verlaufen sei, und er wiederholt auch die irrige Weilandsche Behauptung, daß der Kaiser mit seiner Klage von Anfang des Prozesses an hervorgetreten sei. Die Forschung kehrt so im Kreislauf zu dem Ausgangspunkt der Kontroverse zurück.
Ausser Haller und Niese war Karl Schambach, ein Schüler Hampes, in einer Reihe von Untersuchungen, die von 1910 bis 1919 erschienen, unermüdlich bestrebt, das Problem des Prozesses aufzuhellen [Karl Schambach, Noch einmal Gelnhäuser Urkunde und der Prozeß Heinrichs des Löwen. Hannover, Friedrich Gersbach, 1918. (S.-A. a. Zeitschr. d. histor. Vereins f. Niedersachsen. LXXXI, S. 1-43 und LXXXIII, S. 189-276; ferner in Histor. Vierteljahrschr. XIII., S. 87-95 und 279 f. (1910), XV, 303 (1912), XVI, S. 374-378 (1913), XIX, S. 80-83 (1919).]. Im Gegensatz zu allen früheren Forschern hält auch er das quia der Urkunde für irrig, und er sucht von hier aus eine neue originelle Lösung, indem er den langen Satz in zwei selbständige Hauptsätze zerteilt, sodaß das Verbum contempserit nicht von quod oder quia, sondern von qualiter abhängen würde. Aber eine solche Lösung, die bereits Waitz bekämpft hat, ist schon aus rein grammatischern Gründen unannehmbar,  da, um nur einen Grund zu erwähnen, der letzte Kausalsatz mit dem Konjunktiv seines Verbums absentasset unmöglich zu einem selbständig konstruierten Hauptsatz gezogen werden kann. Kommt hiermit ein Hauptgedanke Sch.s, den er durch alle seine Publikationnen nun schon ein Jahrzehnt verteidigt, in Fortfall, so erscheinen mir seine  Forschungen deshalb doch noch keineswegs als nutzlos. Allerdings kann ich auch seinen Auslegungen des Majestätsverbrechens (er nimmt zuletzt die weithergeholte Deutung Hallers an) nicht zustimmen. Aber einleuchtend sind viele seiner Darlegungen über den Prozeßverlauf. Hier bekennt er sich im wesentlichen zu meiner Auffassung, daß auf dem Würzburger Tag nur das lehnrechtliche Urteil fiel, daß die Acht vorher nicht in Kayna, sondern schon in Magdeburg, daß die Oberacht ein Jahr später zu Regensburg verkündet ward, daß so damals zwischen Acht und Oberacht die Frist von Jahr und Tag im ursprünglichen Wortsinn [Über die Bedeutung von Jahr und Tag vgl. H. Brunner (in Festgabe der Berliner juristischen Fakultät für Otto Gierke, Breslau 1910, S. 44 f.), der hier unter Aufgabe seiner früheren Ansicht zugibt, daß die Frist ursprünglich nur ein Jahr und einen Tag betragen habe: hiermit dürfte die Kontroverse jetzt endgültig in dem von mir verfochtenenn Sinne entschieden sein.] zum ersten Male nachweisbar eingehalten wurde. Mag er in manchen Einzelheiten, wie in der Tagesdatierung der Acht- und Oberachtspruches und in der Fixierung der landrechtlichen Termine, irren, so bringt er doch andererseits auch sehr beachtenswerte Ausführungen, und eine Hauptthese die er wie Haller, allerdings mit unzureichender Begründung, verficht, die Ansetzung des lehnrechtlichen Verfahrens nach Abschluß des Achtverfahrens, dürfte der Wahrheit näher kommen als die früher von mir vertretene Ansicht eines teilweise parallelen Verlaufs. Außer dem positiven Gewinn enthalten aber die Arbeiten Sch.s noch treffende Kritisierungen anderer Forscher. So stellt er sich Niese gegenüber auf den methodisch allein möglichen Standpunkt, daß die Darstellung der Gelnhäuser Urkunde unbedingt zuverlässig ist, und daß von ihrem Wortlaut jede Forschung den Ausgang nehmen muß. Und auch Biereye und P. J. Meier gegenüber befindet er sich sachlich im Recht. Das ist um so mehr zu betonen, als seine Kritik oft schwerfällige und nicht immer erfreuliche Formen annimmt.
Was sonst an Veröffentlichungen über den Prozeß in den letzten Jahren erschienen ist, ist kaum erwähnenswert. Die Broschüre W. Ch. Franckes läßt keine ernsthafte Besprechung zu, da dem Verf.  die historischen Anfangsgründe fehlen und er hilflos den Zeugnissen der Quellen wie den Ansichten der Forscher gegenüber steht [W. Ch. Francke (hannov. Amtsrichter, preuß. u. hanseat. Oberlandesgerichtsrat a. D.), Barbarossa Angaben über das Gerichtsverfahren gegen Heinrich den Löwen. Hannover, Helwing, 1913. 48 S. M. 1,50.]. Höher zu schätzen ist die Abhandlung des auf anderem Gebiet bewährten Braunschweiger Gelehrten P. J. Meier: er vertritt die Ansicht, daß die Gelnhäuser Urkunde uns den vollen Wortlaut des in Würzburg gegen Heinrich ergangenen Urteils wiedergebe, eine These, die sich freilich unschwer entkträften läßt [P. J. Meier in Braunschweig. Jahrbuch XV S. 1-17 (1915)]. Außerdem hat Biereye meine Auffassung des Majestätsverbrechens verteidigt, aber mit einer Begründung, die philologisch nicht haltbar ist [Wilhelm Biereye in Histor. Vierteljahrschr. XVIII, S. 107-115 (1916).]. Fener bringt ein Rostocker Forscher, Richard Möller, noch eine Untersuchung über die Neuordnung des Reichsfürstenstandes und den Prozeß Heinrichs des Löwen [Richard Möller in Zeitschr. d. Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germ. Abt.) XXIX, s. 1-44 (1918).]. In Anlehnung an meinen Aufsatz und an die Auffassung Hermann Blochs [H. Bloch, Die staufischen Kaiserwahlen und die Entstehung des Kurfürstentums, S.297 (1911).] von einer gesetzlichen Neuregelung des Reichsfürstenstandes stellt M. die Hypothese auf, daß diese Neuregelung durch ein Weistum auf dem Kaynaer Hoftag vom August 1179 erfolgt sei, eine Hypothese, der jede quellenmäßige Unterlage fehlt. Seine Ansichten über den Prozeß Heinrichs schöpft er ähnlich wie Niese vornehmlich aus der Chronik Arnolds von Lübeck als der "zuerlässigsten" und "bestinformierten Quelle". Quellenkritik ist ihm fremd, er liebt Konstruktionnen. Aber bei der Wiedergabe anderer Forscher mangelt ihm Klarheit und Schärfe, und mehrfach verwickelt er sich in innere Widersprüche, so z. B. in der von Ficker und mir gleichlautend beantworteten Frage des zeitweiligen Nebeneinanderbestehens eines land- und eines lehnrechtlichen Fürstenbegriffs. Zugegeben ist ihm, daß seine Polemik gegen die Lehre Fehrs von einem doppelten Lehns- und Amtsfürstentum im 13. Jahrh. nicht der Berechtigung entbehrt.
Keinen wissenschaftlichen Wert besitzen schließlich die kritischen Beilagen in den schon oben charakterisierten Büchern von Martin Philippson und Editha Gronen. Wenn insbesondere Philippson (S. 620 f.) mit Weiland eine rechtliche Verpflichtung Heinrichs zur Hilfeleistung annimmt, wenn er mit Weiland und Nierse die Hilfsverweigerung als Majestätsverbrechen auslegt, ja wenn er jedes landrechtliche Verfahren in dem Prozeßverlauf leugnet, so können solche Anschauungen bei dem heutigen Stand der Forschung als überholt gelten.
Rechtshistoriker haben sich mit dem Prozeß Heinrichs schon seit längerer Zeit nicht mehr eingehender beschäftigt. Das ist zu bedauern, wenn man bedenkt, welchen Nutzen etwa Abhandlungen von Stutz oder von den erst jüngst verstorbenen Zeumer, Brunner, Schröder dem Problem hätten bringen könnnen. Allerdings ist zu beachten, daß noch grundlegende quellenkritische und diplomatische Fragen der Klärung bedürfen, so namentlich Text und Interpretation der Gelnhäuser Urkunde, da Hallers Konjektur trina die Forschung in eine Sackgasse führte, aus der man bisher (vgl. Niese und Schambach) vergebens einen gangbaren Ausweg gesucht hat.
Das positive Ergebnis der zahlreichen neueren Untersuchungen ist auffallend gering. Außerdem muß leider festgestellt werden, daß die Untersuchungen, auch solche, die in unseren ersten Zeitschriften Aufnahme fanden, zum Teil methodisch und kritisch minderwertig sind, ja gelegentlich sogar Gewissenhaftigkeit und wissenschaftlichen Ernst vermissen lassen. Ohne irgendwie neues Material beizubringen, wagen sich jahraus jahrein Forscher mit unzureichendem Handwerkszeug an die schwierigen Probleme, um deren Lösung sich einst schon Gelehrte vom Range Waitz' und Fickers genmüht haben. Vergebens weist so mancher Universitätslehrer warnend den Schüler auf leichtere und daher lohnendere Aufgaben biographischer Natur.
Vergebens ertönt überdies immer lauter die Klage, daß das Niveau quellenkritischer Untersuchungen sich bedenklich zu senken beginnt. Eine gewissenhafte methodische Quellenbehandlung ist, wie mit Recht betont wird [Vgl. z. B. R. Holtzmann in Histor. Vierteljahrschr. XVIII, 4 (1916/18).], die unerläßliche Vorbedingung jeder historischen Arbeit, und so kann die deutsche Geschichtswissenschaft ihre führende Stellung in der Welt nur dann zurückerobern, wenn sie die sich lockernden Zügel der alten strengen Zucht und guten methodischen Schulung wieder straffer anzieht.