Keller Hagen: Seite 123-158
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"Schwäbische Herzöge als Thronbewerber: Hermann II. (1002), Rudolf von Rheinfelden (1077), Friedrich von Staufen (1125). Zur Entwicklung von Reichsidee und Fürstenverantwortung, Wahlverständnis und Wahlverfahren im 11. und 12. Jahrhundert"
in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 131. Band

Als Kaiser HEINRICH V. 1125 starb, war der schwäbische Herzog Friedrich von Staufen durch seine Mutter Agnes ein Enkel HEINRICHS IV. und Neffe HEINRICHS V., als ältester Sohn der Kaisertochter aus deren erster Ehe der nächstberechtigte männliche Erbe. Seiner Obhut vertraute der sterbende Kaiser deshalb seine Hinterlassenschaft und seine Gemahlin Mathilde an - nicht als dem Universalerben oder gar dem bereits feststehenden Nachfolger im Königtum, "sondern eher als dem Sachwalter einer Erbengemeinschaft, der er selbst angehörte". Doch Friedrich von Schwaben hoffte nicht nur, aus der Königswahl als Nachfolger der SALIER hervorzugehen, sondern trat bei der Wahl mit dem Anspruch auf, dass nur ihm die Königsherrschaft zustehe. Bekanntlich hat er sich durch dieses Auftreten die Sympathien der Reichsfürsten, deren Zustimmung er bedurfte, endgültig verscherzt - nicht er, sondern LOTHAR VON SUPPLINBURG wurde zum König erhoben. Aber die STAUFER haben dies stets als Mißachtung ihres Anspruchs, als Verletzung ihres Rechtes angesehen; und so wird schon unter FRIEDRICH BARBAROSSA die 1138 erfolgte, 1152 bekräftigte Nachfolge der STAUFER als "Rückkehr" des Königtums an die legitimen Erben, an das Geschlecht der "WAIBLINGER" verstanden.
Damit fiel die Entscheidung wieder an die größere Wahlversammlung zurück, der aber das Wahlmännergremium eine Empfehlung durch die Benennung von drei Kandidaten gab. Man sollte sich entscheiden zwischen Herzog Friedrich von Staufen, Herzog Lothar von Sachsen und dem Markgrafen Leopold von Österreich. Unschwer ist zu erkennen, was sich bei den Beratungen im engeren Kreis abgespielt haben muß: Die beiden Hauptkandidaten, Friedrich und Lothar, konnten nicht die Zustimmung aller Kompromissäre auf sich vereinigen; vielleicht scheute sich auch dieses kleine Gremium nur davor, die Verantwortung für eine Spaltung zu übernehmen, die mit der Entscheidung für einen der beiden Kandidaten eintreten konnte. Deshalb benannte man einen dritten Kandidaten, der durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen und seine Verbindungen zu den beiden Hauptbewerbern vielleicht auch deren Zustimmung erlangen konnte und der für die Parteiungen, die sich in der Befürwortung der einen oder der anderen Kandidatur artikulierten, als neutraler Mann gelten durfte.
Die Wahl trat damit in eine kritische Phase. Man mußte sich nun zwischen drei feststehenden Bewerbern entscheiden und wußte doch nicht, ob die Entscheidung von den ausgeschiedenen akzeptiert würde. Deshalb verlangte man von allen drei Fürsten die Erklärung, sich ohne Widerstand und Vorbehalt der Entscheidung zu fügen, die man in der Versammlung gemeinsam - es ist nicht von "Mehrheit" die Rede treffen würde. Leopold und Lothar, die schon vorher die Nominierung aus Demut (humilitas) zurückgewiesen hatten, leisteten dieses Versprechen sofort in den Formen, die man erwartete. Friedrich von Staufen dagegen, der die Demutsäußerungen der beiden anderen Nominierten wörtlich genommen hatte und nun zu seiner Wahl in der Versammlung erschienen war, leistete das geforderte Versprechen nicht. An ihn, der sich auf einen Erbanspruch berief oder berufen konnte, richtete der Erzbischof von Mainz als Wahlleiter die auch den anderen gestellte Frage in zugespitzter Form: ob er zur Ehre der Kirchen und des Reiches und zur dauernden Befestigung der freien Wahl die gleiche Zusicherung ablegen werde. Friedrich gab vor, ohne Zustimmung der Seinen im Lager hierauf nicht antworten zu können, und entzog sich von da an der Versammlung und den Beratungen über die Königswahl.
Zum Verständnis des Wahlverfahrens und der hinter ihm stehenden Gemeinschafts- und Wahlauffassungen trägt auch das weitere Verhalten in der Wahlversammlung bei. Mit der Weigerung Friedrichshatte sich die Zahl der möglichen Kandidaten nicht einfach von drei auf zwei reduziert. Sondern der bisherige Wahlvorgang war damit aufgehoben; der Versuch, durch die Kompromißwahl zu einer einhelligen Entscheidung zu gelangen, war endgültig gescheitert. Deshalb erbat man von den bisher Benannten, das heißt von Lothar und Leopold, einen ausdrücklichen Verzicht auf alle Ansprüche, die sie aus dem Vorschlag möglicherweise ableiten konnten. Die Beratung begann ganz von vorne; was im ersten Gang geschehen war, sollte keine Rolle mehr spielen. Eine Gruppe der Versammelten machte allerdings hier nicht mehr mit: sie verlangte, nachdem der Gegenkandidat ausgescheiden war, tumultartig die Ernennung Lothars, hob den Herzog auf ihre Schultern und trug ihn trotz seines Protestes unter den laudes regiae im Saale umher.
Mit der offiziellen Benennung LOTHARS und dem Verhalten der Gruppe, die ihn favorisierte, war eine neue, äußerst schwierige Situation geschaffen. Wie der Vergleich mit den vorhergehenden Königswahlen zeigt und wie auch Berichte über andere Wahlen im frühen 12. Jahrhundert erkennen lassen, hatte sich in dem Augenblick, in dem man sich offen für einen Kandidaten aussprach, ein Teil der Wahlberechtigten definitiv festgelegt. Eine einhellige Entscheidung war nun nur noch zu erreichen, wenn auch die übrigen sich diesem Vorschlag anschlossen - sonst kam es unweigerlich zum offenen Dissens, was in diesem Falle wohl den Bürgerkrieg bedeutet hätte. Insofern kam es darauf an, ein Auseinanderlaufen der Wahlversammlung zu verhindern und die Fortsetzung der Beratungen zu erzwingen, was dem Erzbischof von Mainz und den anwesenden päpstlichen Legaten schließlich auch gelang. Diejenigen, die die discordia provoziert und die übrigen Fürsten in ihrer Ehre und ihrem Recht gekränkt hatten, mußten formal Genugtuung für ihr Verhalten leisten, damit die Einheit, die Gemeinschaft der mit der Wahl betrauten Fürsten, wiederhergestellt werden konnte. Bekanntlich ist es gelungen, nicht nur die Versammlung zur allgemeinen Anerkennung LOTHARS zu bringen, sondern auch Herzog Friedrich zum Beitritt zur Wahlentscheidung zu bewegen. Auch nach dieser Wahl scheint noch einmal über das Verhältnis von Reich und Kirche diskutiert und der bisherige Ausgleich bekräftigt, vielleicht sogar weiterentwickelt worden zu sein.