Lexikon des Mitttelalters:
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Hersfeld,
Kloster und Stadt in Hessen, am linken Ufer der Fulda
im Mündungsgebiet von Haune und Geis.
[1] Kloster: An der Stelle der 736 (nicht 743)
von dem Bonifatius-Schüler Sturmi gegründeten Einsiedelei (cella)
ließ Lul, der Nachfolger des Bonifatius auf dem Mainzer Erzstuhl,
zwischen 769/775 auf bischöflichem Eigengut ein Kloster errichten.
775 dem Schutz Karls des Großen unterstellt
und mit dem Recht freier Abtswahl ausgestattet (MGH D.K.d.G. 1, 89 = Weirich,
Nr. 5/6), erhielt die Reichsabtei Hersfeld (Heireulfisfelt) durch die Schenkungen
der fränkischen Könige und anderer Personen reichen Grundbesitz
im hessisch-thüringischen Raum (»Breviarium s. Lulli«,
9. Jh. = Weirich, Nr. 38). Durch die von Lul (nach 780) veranlaßte
Übertragung der Gebeine des hl. Wigbert († 747) von Fritzlar nach
Hersfeld wurde die Verehrung der Gründungspatrone Simon und Judas
zurückgedrängt. Die neue, dem Andenken Wigberts gewidmete Kirche
wurde am 28. Okt. 850 von Erzbischof Hrabanus Maurus von Mainz geweiht.
Nach dem Brand von 1038 erfolgte bereits 1040 die Weihe des Ostteils der
wiederhergestellten Kirche, während der gesamte Bau erst 1144 vollendet
wurde.
Der Aufschwung des geistigen Lebens im 10. Jh. gab den
Anstoß für eine Geschichtsschreibung in Hersfeld (verlorene
»Hersfelder Annalen«, bis 984). Besondere Förderung erfuhr
die an Handschriften klassischer Autoren reiche Bibliothek durch Abt
Gozbert (970-984). Nach dem erfolgreichen Wirken Godehards
von Niederaltaich in Hersfeld (Abt von 1005-1012) stand die
Schule des Klosters in hohem Ansehen. Mit dem Mönch Lampert
erreichte die Geschichtsschreibung des 11. Jh. einen Höhepunkt; er
verfaßte 1073 eine Vita des Klostergründers Lul. In der Frage
der Kirchenreform verteidigte Hersfeld den Standpunkt des benediktinischen
Reichsmönchtums. Während des Investiturstreits stand Hersfeld
auf der Seite Heinrichs IV., zu dessen
Verteidigung hier 1092/93 ein unbekannter Mönch eine Streitschrift
(»Liber de unitate ecclesiae conservanda«) verfaßte.
Mehrfach benutzte Heinrich IV. das
Kloster als Ausgangspunkt für seine Feldzüge gegen die Sachsen
(1086 Belagerung durch die Königsgegner). Die Bildung eines Territoriums
im späten MA war begleitet von Auseinandersetzungen mit den auf die
Wahrung ihrer Vogteirechte bedachten Landgrafen von Thüringen und
Hessen.
[2] Stadt: Hersfelds Lage am Schnittpunkt wichtiger Fernstraßen begünstigte die Ansiedlung von Handwerkern und Kaufleuten sowie die Errichtung eines Marktes (urkundlich bezeugt seit 1142), seit 1170 wird Hersfeld als Stadt bezeichnet. Die Pfarrechte der älteren Marienkirche gingen auf die Marktkirche über. Die um 1230 begonnene Ummauerung wurde wohl erst im 14. Jh. vollendet. Im 12. Jh. eingewanderte flandrische Tuchmacher begründeten einen bis in die Neuzeit hinein florierenden Gewerbezweig. Die spätmittelalterliche Entwicklung der Stadt wurde von Auseinandersetzungen mit den Hersfelder Äbten (Vitalisnacht 1378) begleitet, die erst mit der Übertragung des Schutzes an die Landgrafen vonHessen Anfang des 15. Jh. endeten.
T. Struve