Zettler, Alfons: Seite 157-161
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"Geschichte des Herzogtums Schwaben."

Es verwundert daher nicht, daß die KONRADINER mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchten, im Innern Schwabens Fuß zu fassen und an ältere herzogliche Traditionen anzuknüpfen. In dieser Richtung wird es zu bewertens ein, wenn Herzog Hermann II. sich gemeinsam mit seiner Gemahlin Gerberga, einer Tochter des burgundischen Königs Konrad (+ 993), in auffälliger Weise an der oberen Donau betätigte. In der Burg von (Ober-)Marchatl, wo sich Besitz und Macht des alteingesessenen Geschlechts der von den alten Alamannen-Herzögen abstammenden ALAHOLFINGER konzentrierte, gründete das Paar in Anlehnung an die frühmittelalterliche Peterskirche das Stift St. Peter und Paul und stattete es mit sieben Kanonikerpfründen aus. Mit Graf Adalbert "vom Marchtal" und dessen in Reichenau begrabenem Sohn "Herzog Bertold" waren die ALAHOLFINGER 973 offenbar im Mannesstamm ausgestorben, nicht ohne einen guten Teil ihrer Güter dem Bodenseekloster vermacht und als Seelgerät eingesetzt zu haben. Überdies stiftete Hermann für "Herzog Bertold" ein Seelgerät an der Marchtaler Kirche und nannte einen aus seiner Ehe mit Gerberga hervorgegangenen Sohn "Bertold". Die Burg Marchtal dürfte mit weiteren alaholfingischen Besitzungen über eine - uns allerdings im Einzelnen verborgen bleibende - Heiratsverbindung an das Herzogspaar gelangt sein; anders ist die Gründung des Stifts und vor allem die Nachbenennung des Sohnes und präsumtiven Nachfolgers Hermanns II. mit dem ALAHOLFINGER-Namen Bertold kaum zu verstehen. So ist es durchaus denkbar, daß die vielgesuchte, nicht sicher beim Namen bekannte Frau Herzog Konrads aus diesem schwäbischen Familienkreis stammte und den Ansatzpunkt zu solchen, alaholfingischer Tradition verpflichteten Handeln bot. Bertold, der von den hochberühmten Abt Gregor, Leiter des ehemaligen konradinischen Herzogsklosters Einsiedeln, aus der Taufe gehoben wurde, starb allerdings bereits vor 993 im Säuglingsalter. Offensichtlich beabsichtigte das Herzogspaar, neben Straßburg, dem "Haupt" des Hermannschen Dukats, in Marchtal einen weiteren herrschaftlichen Schwerpunkt im Innern Schwabens zu schaffen. Es ist hier der Versuch erkennbar, der neuen, aber in der Sicht Hermanns II. gleichwohl alteingesessenen konradinischen "Herzogsdynastie" einen "Vorort" zu geben. Bei diesem Beginnen wandelte man in den Spuren der ALAHOLFINGER und vereinnahmte uralte alemannisch-herzogliche Tradition. Doch war dieser Ansatz wenig Erfolg beschieden, auch wenn es tatsächlich zu einer Dynastiebildung über drei, oder, falls die verschwägerten babenbergischen Herzöge mitgezählt werden, über sechs Generationen kam.
Ihm folgte der nach dem Vorbild des Königtums bereits zum Nachfolger designierte Hermann II., der sich in den Jahren um 993 im innerschwäbischen Marchtal so auffällig betätigt hatte. Während über die Beteiligung Herzog Konrads an dem Regiment OTTOS III. nach dessen Eintritt in die selbständige Regierung 994 nichts bekannt ist, vor allem auch nichts über eine Romfahrt anläßlich der Kaiserkrönung OTTOS 996, begleitete Hermann wenige Monate nach Konrads Tod den Kaiser auf dessen zweitem Zug in die Ewige Stadt (997-999). Die Zeitspanne, in der Kaiser OTTOS selbständige Regierung und Konrads Herzogtum sich überschnitten, war freilich kurz, und der Herzog mag in jenen Jahren auch schon im vorgerücktem Alter gestanden und einen Teil seiner Amtsführung seinem Sohn und designierten Nachfolger Hermann überlassen haben. Gerade der große Altersunterschied zu dem "Teenager" OTTO, zu dessen wichtigsten Autoritätspersonen Konrad ursprünglich zählte, könnte eine Erklärung liefern. Wie so oft in solchen Fällen kam es mit der Volljährigkeit des Schutzbefohlenen wahrscheinlich zu einer Distanzierung von der vaterähnlichen, oder besser: überväterlichen Person, und es dürfte eine gewisse Entfremdung zwischen OTTO und Konrad eingetreten sein. Die skizzierten Ereignisse um den schwäbischen Erbfall der Hadwig, die geeignet waren, die herzogliche Macht im Lande zugunsten des jungen Königs und Heinrichs von Bayern weiter auszuhölen, mögen das Ihre dazu beigetragen haben.
In dem seit 997 sogleich kraftvoll agierenden Hermann von Schwaben erwuchs dem Bayern-Herzog Heinrich, Nachfolger Kaiser OTTOS III. ein gewichtiger Gegenspieler: der erste Thronbewerber aus Schwaben in der Geschichte des Reiches. Ende des Jahres 1001 [Richtig: 24. Januar 1002] starb der 19-jährige Kaiser völlig unerwartet und wie Heinrich meldete auch Hermann von Schwaben sogleich einen Anspruch auf die Krone an. Thietmar berichtet ausführlich von den anschließenden Ereignissen, die sich nahezu ein halbes Jahr hinzogen und von den Versuchen der Bewerber, die Fürsten jeweils für sich zu gewinnen. Dabei war Heinrich, als er den Leichenzug des Kaisers in Bayern aufhielt, zunächst kein Erfolg beschieden. Der zog nach der Beisetzung der kaiserlichen Eingeweide im schwäbischen Augsburg weiter nach Aachen, und dort bettete man an Ostern 1002 OTTO nach dem Vorbild KARLS DES GROSSEN inmitten der Pfalzkapelle zur letzten Ruhe. Bei den Aachener Beisetzungsfeierlichkeiten soll es wiederum Hermann von Schwaben gelungen sein, einen großen Teil der Fürsten auf seine Seite zu ziehen. Doch Heinrich, der in Aachen nicht erschien, vermochte wenig später seinen schwäbischen Konkurrenten auszuspielen und sich von den Großen Frankens, Ober-Lothringens und Bayerns in Mainz zum König erheben und von Erzbischof Willigis krönen zu lassen.
An dieser Stelle sind nun die in der Forschung bis in jüngste Zeit kontrovers diskutierten Probleme um den Vorrang von Erbrecht oder Wahlerecht bei der Erhebung HEINRICHS II. zu vertiefen, sondern nur die "schwäbischen" Aspekte noch kurz in den Blick zu nehmen. Hier ist wichtig, daß bei den Auseinandersetzungen auch der Besitz der Hl. Lanze eine Rolle spielte, was von dem Chronisten Hermann sogar absolut gesetzt wird, wenn er sagt: "Herzog Heinrich nahm die Reichsinsignien an sich und wurde ... König". Die Begleiter der kaiserlichen Leiche, darunter Erzbischof Heribert von Köln, ein Verwandter des Schwaben-Herzogs, hatten die Lanze vorausgeschickt, vermutlich an die Adresse Hermanns, oder, falls der an OTTOS letztem Italienzug teilgenommen hatte - was wir nicht wissen -  mag Hermann sie selbst an sich genommen haben und dem Leichenzug vorausgeeilt sein. Die Parallele zur Überbringung der Lanze an König Rudolf II. von Burgund als Einladung zur Krönung in Italien ist nicht zu übersehen (oben Seite 122). Ein entscheidendes Moment für Hermanns Anspruch auf die Krone dürfte hier zu suchen sein, verstärkt durch die Ehe mit Gerberga, einer Schwester des kinderlosen letzten burgundischen Königs Rudolf III., die ihm gute Aussichten auf das weithin begehrte burgundischen Erbe eröffnete.
Wenn andererseits die Gegner Heinrichs, die vermutlich weitgehend mit den Anhängern Hermanns zusammenfielen, die Eignung des Bayern als König vehement bestritten, scheinen dafür folgende Argumente maßgeblich gewesen zu sein:
zum einen mangelte es Heinrich an einem Sohn, und zum anderen verfügte er anfänglich nicht über die Heilige Lanze, deren Herausgabe er von seinen Gegnern erst erzwingen mußte.
Aber Heinrich hatte noch einen Trumpf in der Hand, und dieser sollte letztlich stechen. Er pochte demonstrativ auf sein erblich begründetes Anrecht auf den Thron, denn er war ja der nächste männliche Verwandte des Kaisers. Die burgundische Karte hingegen, über die auch Heinrich (von Seiten seiner Mutter Gisela, einer Schwester der Gerberga) verfügte, brauchte er gar nicht auszuspielen. Der hohen Stellenwert Burgunds im Thronstreit von 1002 spiegelt sich allerdings ganz deutlich im Kreis der Bewerber, denn drei von den vier Ernst zu nehmenden Kandidaten, Hermann, Heinrich und Odo von Champagne, waren jeweils mit einer der drei Schwestern König Rudolfs - Gerberga, Gisela, Berta - verbunden.
Bei Hermann, mit dem Schwaben und das Elsaß an der Jahrtausendwende zeitweise ins "Rampenlicht der Reichsgeschichte" rückten, hoben die Zeitgenossen ebenso seine Macht wie seine Milde hervor - beides klassische Herrschertugenden - und betonte so eine grundsätzliche Eignung zum König. Darin spiegelt sich aber auch, daß der Konflikt zwischen den beiden Rivalen durch die Krönung Heinrichs in Mainz nicht endgültig gelöst war. Einerseits erzählen die Chronisten von einem Plan Hermanns, sich mit Heinrich auf eine Teilung der Königsherrschaft zu einigen. Auf dieses denkwürdige Vorhaben spielt HEINRICH selbst an, wenn es in seinem Diplom vom Januar 1003 für die Bischofskirche Straßburg heißt, Heinrich sei mit Gottes Hilfe die einmütige Erhebung durch Völker und Fürsten zuteil geworden ebenso wie "die erbliche Nachfolge im Königtum ohne jegliche Teilung". Doch ließ Heinrich sich nicht auf den Teilungsvorschlag seines Gegners ein, sondern verwüstete statt dessen im Sommer 1002 Schwaben, um Hermann zu bezwingen. Dieser wiederum griff im Gegenzug Bischof Werner von Straßburg an, einen Anhänger HEINRICHS, und plünderte dessen Sitz, wobei auch das Straßburger Münster Schaden nahm. Es muß eine besondere Demütigung und Herausforderung für Hermann bedeutet haben, wenn sich König HEINRICH zur selben Zeit mitten inm Herzen Schwabens, im Bodenseekloster Reichenau aufzuhalten und den Herzog aus dieser seiner eigenen Provinz heraus zu attackieren vermochte.
Und noch eine andere Geschichte machte damals die Runde. Der redselige Thietmar von Merseburg erzählt sie folgenmdermaßen: "Der gottesfürchtige und demütige Herzog Hermann von Schwaben und Elsaß griff gegen HEINRICH zu den Waffen, verleitet von vielen, denen seine Milde zusagte ... Während der König am Geburtsfest St. Johannes des Täufers (24. Juni 1002) auf der Insel Reichenau weilte, meldete ihm plötzlich ein wie so oft unzuverlässiges Gerücht, Herzog Hermann sei im Anmarsch, um ihren Streit durch Kampfentscheidung zu beenden; das veranlaßte ihm zum Aufbruch, um die Ankunft des Herzogs und die Entscheidung Gottes im Kampf auf einer weiten grünen Ebene zu erwarten. Dort feierte er das Apostelfest (29. Juni), erhielt aber, nachdem er lange auf die Entscheidung gewartet hatte, die sichere Nachricht, der Herzog wolle und könne sein Vorhaben nicht ausführen. Da rieten ihm schlecht beratene Anhänger, er solle sich mit Konstanz für Straßburg schadlos halten. Denn Lambert, der Bischof jener Stadt, unterstützte Hermann ebenso wie Bischof Ulrich von Chur, weniger aus Überzeugung als infolge der Nachbarschaft seiner Stadt. Doch der gottesfürchtige und seines Erfolges sichere König verschmähte solche ruchlose Ratschläge; er suchte stattdessen die Höfe des Herzogs plündern heim, ließ sich aber schließlich durch die Klagen der Armen zu dem Entschluß bewegen, nach Franken zurückzukehren". Dort, in Bruchsal, trafen König und Herzog zusammen und legten ihren Konflikt am 1. Oktober 1002 bei, nachdem sich Hermann HEINRICH unterworfen hatte. Der Herrscher kam den berechtigt erscheinenden Wünschen des Herzogs nach, während dieser versprach, den von ihm in Straßburg angerichteten Schaden wiedergutzumachen.
Es liegt auf der Hand, daß HEINRICH noch nach seiner Krönung von Hermann etwas forderte, was dieser nicht ohne weiteres herauszugeben bereit war. Deshalb begab sich der König - ungehindert, wie es scheint - mitten in Hermanns Herzogtum, um diesen in die Knie zu zwingen. HEINRICH machte damit deutlich, daß er eigentlich auch das Herzogtum Schwaben für sich selbst beanspruchen und ihm nach Belieben nehmen konnte. In dieser Lage blieb Hermann nur die Möglichkeit, HEINRICH mit Gewalt zu begegnen oder sich ihm bedingungslos zu unterwerfen und ihm zu huldigen. Nach einigem diplomatischen und dilatorischen Vorgeplänkel wählte Hermann das Zweite. Daß er dabei vergleichsweise gut wegkam, wird darauf zurückzuführen sein, daß er dem König das aushändigte, was dieser von ihm verlangte. Das kann nicht wenig gewesen sein, und schon gar nicht die Straßburger Wiedergutmachung, denn aufgrund der Einigung in Bruchsal wurde Herzog Hermann Lehnsmann und Schwurfreund (miles et amicusfidus) HEINRICHS [20 Annales Quedlinburgenses ad a. 1002, MGH SS 3, Hannover 1839, Seite 78.]. Eine so hohe Ehre und ein solcher Vorrang bei Hof wie der des amicus oder amicusfidus regis wurde nur Wenigen zuteil. Allein als Gegenleistung oder Gnade für die Unterwerfung und Huldigung kann HEINRICH dies nicht gewährt haben. Es dürfte dabei um ein unverzichtbares Zubehör der Krone gegangen sein, das HEINRICH noch fehlte - die Hl. Lanze! Damit weist Bruchsal im Herbst 1002 auf König HEINRICHS I. Tag zu Worms 926 zurück.
Diese Ereignisse kurz nach der Jahrtausendwende eröffneten König HEINRICH infolge des Hinscheidens Hermanns II. im Mai 1003 zusammen mit der Tatsache, daß der Herzog nur einen unmündigen Sohn hinterließ, die Möglichkeit, seine Herrschaft im Südwesten des Reiches voll zur Geltung zu bringen.