Wenskus Reinhard: Seite 143,146,330-334
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"Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel."

Der Bruder des Pfalzgrafen Dietrich, Sigbert, hatte die Grafschaft im Liesgau wohl vom Bruder seiner Mutter Bertha geerbt [1211 Siegbert (Sicca) machte um 973 für seine Mutter Bertha eine Schenkung in Sohlingen, Negenborn und Gittelde; Trad. Corb. A § 310/B § 49.], der Burkhard hieß und 965 als Graf im Liesgau bezeugt ist. Den Namen des Vaters von Pfalzgraf Dietrich und Graf Siegbert erfahren wir aus einer großen Schenkung ihrer Mutter Bertha für ihren Mann Waldered und ihre Tochter Ghysla (Gisela) an zehn Orten um Höxter und Brakel [1213 Trad. Corb. A § 361/B § 100 (um 984). Schon etwa ein Jahrzehnt vorher hatte Bertha eine Seelenheilstiftung für ihren Mann Waldered gemacht, wohl unmittelbar nach seinem Tode; Trad. Corb. A § 308/B § 47 (etwa 973). - Daß Waldered und Bertha zur Familie wirklich gehören, wird durch andere Quellen bestätigt. Vgl. unten bei Anm. 3429.]. Die Namenskombination Burkhard-Bertha-Gisela weist nun zweifellos auf die schwäbischen BURKHARDINGER, die irgendwie mit der Familie im Liesgau zusammenhängen müssen [1214 Der 926 gefallene Herzog Burkhard I. von Schwaben hatte bereits zwei Töchter mit Namen Gisela und Bertha. - Wir werden auf diese BURKHARDINGER noch einmal zurückkommen müssen; vgl. unten bei Anm. 2960 ff. mit weiteren stützenden Argumenten.]. Nach dem Bruder der Großmutter nannte Sigbert, der Sohn Pfalzgraf Dietrichs, einen seiner Söhne ebenfalls Burkhard, der als comes für seinen Vater Sibertus etwa 1007 eine familia in Rotwardeshusen bei Warburg schenkt [1215 Trad. Corb. A § 445/B § 183. Über Rotward als IMMEDINGER-Name siehe unten Anm.1236. Möglicherweise ist der Bucco laicus der Trad. Corb. A § 461(B § 1999 hat Bacca), der in Ebergötzen im Liesgau tradiert, noch dieser Burkhard. Diese etwa in das Jahr 1013 zu datierende Schenkung muß er dann angesichts seines Todes gemacht haben, da bereits 1013 die Grafschaft seines Vaters Sirus/Sigbert auf dessen Bruder Thancmar übergeht.]. Ein Sohn des älteren Sigbert ist wohl auch der Erzbischof Unwan von Bremen gewesen, für den immedingische Abkunft bezeugt ist.
Schließlich hat die Forschung die Verbindung von Kuno und Richlind mit einem Zweikampf bei einem Hoftag 950 in Worms zusammengesehen, bei dem ein Sachse Burchard die Ehre einer neptis des Königs OTTO erfolgreich gegen einen Cuonradus filius Gebehardi comitis verteidigte [1233 Continuatio Reginonis ad a. 950. Die Geschichte ist bei Thietmar II 39 in stark veränderter Gestalt wiedergegeben. Die Tochter OTTOS DES GROSSEN wird hier Liudgard genannt. Diese war mit Konrad dem Roten von Lothringen verheiratet.]. Nach dem ganzen oben dargestellten Sachverhalt liegt es nahe, hinter den Sachsen Burchard den (späteren) Liesgaugrafen zu vermuten, der als Oheim des Pfalzgrafen Dietrich in engem Zusammenhang mit dem betreffenden Personenkreis stand.
Die Behandlung der Harzgrafen und ihrer immedingischen Vorfahren ist deshalb besonders wichtig, weil in neuerer Zeit K.A. Eckhardt die WETTINER als Harzgrafen-Zweig angesprochen hat [2955c
K.A. Eckhardt (wie Anm. 1832) Seite 64ff.]. Sehen wir uns die Namen der ältesten WETTINER an (Dietrich, Dedi, Friedrich, Ricdag) [2955d Vgl. Thietmar VI 50 (34).], so scheint das auf den ersten Blick auch von unserem Standpunkt durchaus akzeptabel. Dennoch müssen wir uns für einen cognatischen Zusammenhang entscheiden. Denn Thietmar von Merseburg gibt uns meines Erachtens genauere Auskunft. Er schreibt, sie stammten de tribu, quae Bucici dicitur. K.A. Eckhardt versucht dieser Schwierigkeit mit einer Hypothesenhäufung aus dem Weg zu gehen, die von slawistischem Standpunkt aus unmöglich ist. Einmal muß er gegen den sonstigen Sprachgebrauch annehmen, dass tribus hier nicht "Stamm, Geschlecht" bedeutet, sondern "Heimat". Dann konstruiert er einen unmöglichen Lautwandel von Q - B, weil er den pagus Quezizi, der in der Grafschaft des WETTINERS Friedrich von Eilenburg lag, als diese Heimat ansieht, von der das Geschlecht seinen Namen erhielt. Abgesehen davon, dass Quezizi seiner Bildung nach ebenso ein patronymischer Personengruppenname war wie Bucici und dass die WETTINER erst seit eben diesem Friedrich diesen Raum beherrschten, stammen die späteren WETTINER aber auch nicht von Friedrich, sondern von dessen Bruder Dedi ab. Wir müssen also Thietmar mehr Glauben schenken und mit der herrschenden Meinung annehmen, dass die WETTINER von einem Buco (= Burkhard) abstammten. Doch wird man dabei nicht mit der bisherigen allgemeinen Auffassung annehmen dürfen, dass mit diesem Burghard jener thüringische Markherzog gemeint sei, der die POPPONEN in dieser Funktion ablöste [2958 So noch R. Schölkopf (wie Anm. 948) Seite 98ff. und Stammtafel Burchardinger.]. Dagegen hat schon W. Schlesinger mit guten Gründen Einspruch erhoben. Die Lösung muß meines Erachtens in ganz anderer Richtung gesucht werden, wobei wir einen kleinen Umweg einschlagen müssen.
H. Decker-Hauff hat auf einen Pfäferser Gedenkbucheintrag von 950/51 aufmerksam gemacht [2960
H. Decker-Hauff, Die Ottonen und Schwaben, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 14 (1955) Seite 247ff.], der König HEINRICH I., OTTO I., seine Brüder Herzog Heinrich von Bayern, Erzbischof Brun von Köln, seinen Schwiegersohn Konrad den Roten, seinen Sohn Herzog Liudolf von Schwaben, dessen Schwiegervater, den KONRADINER Hermann I. von Schwaben, einen weiteren Heriman, Reginlinde, die Gemahlin Herzog Burkhards I. von Schwaben und dann Herzog Hermanns I., Ida die Tochter Hermanns I. und der Reginlinde, sowie noch Keila (= Gisela), Hicha und einen Wernarius enthält.
Für uns ist der Nachtrag wichtig (von 950/53):
             Wieldrut
             Purchardus du(x)
             Purchardus
             Herm...
             Hamelrich
Der Burchardus dux wird dabei mit Herzog Burkhard I. von Schwaben identidfiziert (+ 926) und der zweite Purchardus mit dessen Sohn, der 954 Herzog in Schwaben wurde und ziemlich gleichzeitig, fast 50 Jahre alt, die junge Hadwig von Bayern heiratete. Nun weist Decker-Hauff  [2961 H. Decker-Hauff (wie Anm. 2960) Seite 253.] ganz richtig darauf hin, dass es unter den damaligen Bedingungen ganz unwahrscheinlich ist, dass dies die erste Ehe Burkhards II. war. Er schließt daraus, dass die im Nachtrag genannte Wieltrud seine erste Gemahlin und Hermann und Hamelrich seine Söhne waren.
Die Prüfung der Handschrift selbst durch G. Tellenbach läßt hier Korrekturen und Ergänzungen notwendig werden [2962 G. Tellenbach, Kritische Studien zur großfränkischen und alemannischen Adelsgeschichte, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 15 (1956) Seite 174ff. mit Faksimile gegenüber Seite 168.]. Einmal müssen Her m... und Hamelrich einem anderen Eintrag zugewiesen werden. Wieldrut dagegen ist ein ersten Nachtrag zur Gruppe der Frauennamen, denen noch vielleicht von der ersten Hand aber in einem neuen Ansatz Purchardus dux und Purchardus angefügt wurden. Dafür gehören aber in der Männerkolonne unter dem zweiten Hermann eine Reihe von Namen zum ursprünglichen Eintrag, die mit Rihtag beginnt und mit Thiemr (wohl = Thietmar, dem Vater Geros und des Sigefridus legatus), Sigifredis (= Sigefridus legatus oder unbekannter Bruder Thietmars), Purchardus und 10 weiteren Namen, die hier beiseite bleiben können, fortfährt. Wichtig ist, dass bei dieser Kolonne der Name Keroho (Gero) nachträglich an die Seite geklemmt wurde. Mit einer anderen Feder, aber von gleicher Hand sind in dieser Kolonne dann noch die Namen Bernhard, Hodo, Meinwerh, Herim(ann), Tiotmarus, Kerardus, Hunoldus, Brunis angefügt. Es ist deutlich, dass hier die Beziehung der mit den OTTONEN versippten Familie des Markgrafen Gero [2963 Vgl. unten bei Anm. 3412.], die Gruppe der in die Harzgrafen-Familie eingegangenen Namen der RICDAG-Sippe (Rihtac) und der IMMEDINGER (Meinwerh) mit den schwäbischen BURKHARDEN unmißverständlich hervortritt. Da es jedoch ein Königseintrag ist, muß hier nicht immer mit verwandtschaftlichen Beziehungen gerechnet werden.
Vergleichen wir aber nun damit das, was wir über die Verschwägerung der schwäbischen BURKHARDINGER mit den immedingischen Liesgaugrafen, die wohl mit den Harzgrafen zusammen zu sehen sind (Unwan als Erbe im Liesgau, Friedrich als Nachfolger Pfalzgraf Dietrichs), schon oben [2964 Vgl. oben bei Anm. 1211 ff., wo die Namenkombination Burkhard/Bertha/Gisela schon eigentlich kaum mehr daran zweifeln läßt. Die Beziehungen dieser Gruppe wird auch in dem Eintrag Markgraf Geros in St. Gallen, den K. Schmid in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 108 (1960) Seite 211ff, analysiert hat, sehr deutlich. Hier finden wir neben den Namen der Familie des Markgrafen wiederum die Namen Uueldrud, Purghart nebeneinander genannt, aus Gründen, die wir im nächsten Kapitel erörtern werden (bei Anm. 3412). In einem der von K. Schmid damit verglichenen verwandten Reichenauer Einträge ist auch Pernhart, in einem zweiten dessen Vater Wichard (Uuihart) wieder aufgeführt.] feststellen konnten, bleibt kein Zweifel. Der Liesgau-Graf Burkhard muß mit den schwäbischen Herzögen zusammenhängen. Als weiteres Argument muß der Name Wieldrut dienen, der wie der Burkhards (mit Ausnahme des EKBERTINERS im 9. Jahrhundert) in Sachsen überhaupt nicht vorkommt und nun dort als Name der Mutter des Grafen Bernhard auftaucht, der in Duderstadt, das manche zum Liesgau zählen, vielleicht als Nachfolger Burkhards amtiert [2965 Vgl. MGH DO II 78 (974); Trad. Corb. A § 302/B § 41 (etwa 972): Bernhard mit Mutter Weldrut und Vater Widugo (Wichard).]. Ein Ber(n)hart erscheint denn auch richtig im Nachtrag des Pfäferser Eintrags. Wie schon Tellenbach bemerkte, besteht kein Anlaß, in Wieldrut die 1. Gemahlin Burkhards II. zu sehen. Er hält sie für eine Verwandte. Vielleicht war sie eine Schwester Burkhards I. Sie steht vor ihm im Eintrag. Damit würden sich auch die besitzgeschichtlichen Verhältnisse im Liesgau am besten in Einklang bringen lassen.
So wie sich die Quellen auf diese Weise zusammenordnen, wird man daher auf folgende Vermutung geführt. Burkhard II. wurde nach dem Tod seines Vaters 926 nach Sachsen verbracht und dort mit einer IMMEDINGERIN vermählt, um die Kreise des neuen Herzogs Hermann in Schwaben nicht zu stören. Der "Sachse"Burkhard, der 950 jenen Zweikampf in Worms zugunsten einer OTTONEN-Prinzessin ausfocht, mag sein Sohn gewesen sein, der dann 965 als Graf im Liesgau bezeugt ist [2967 GH DO I 312.]. Er ist mit seinem Bruder Dedi (Dietrich), der seinen Namen von der immedingischen Mutter vermittelt erhielt, 982 in Calabrien gegen die Araber gefallen [2968 Es geht aus der Thietmarstelle (III 20) zwar nicht ausdrücklich hervor, daß die unter den Gefallenen genannten Burchard und Dedi Brüder waren, aber sie sind doch auf so enge Weise zusammengefaßt und von den anderen abgehoben, daß ich gegen Eckhardtz an der herrschenden Meinung festhalte.]. Burkhard hatte eine Emme zur Frau, zu deren Gunsten er etwa 968 in der Gegend von Lüdge, woher sie stammte, eine Schenkung an Corvey machte [2970 Trad. Corb. A § 282/B § 21 (etwa 968); Breka bei Lüdge, Aschem zwischen Lüdge und Elbrinxen. Vgl. oben bei Anm. 1872.].
Der Kurzname Burkhards, Bucco, hat sich im Namen des Ortes Buensen (Bukkenhausen) südöstlich von Einbeck erhalten, wo um 1100 eine edle Frau mit uns aus dieser Familie nun vertrauten Namen Berta dem Kloster Helmarshausen zwei Hufen verkaufte. Doch haben die BURKHARDINGER - wohl durch die Katastrophe in Italien bedingt - im Liesgau ihre Position wieder an die IMMEDINGER abgeben müssen (Graf Sigbert). Wohl durch eine Tochter Sigberts ist dann die Grafschaft zum Teil an die stadischen KATLENBURGER gekommen, die den Leitnamen Dietrich nun zu dem ihren machten [2972 Vgl. oben bei Anm. 1217.].
Dedi, der Sohn des 982 gefallenen gleichnamigen Vaters, hat im Jahr darauf mit einem böhmischen Heer Zeitz ausgeraubt. Sein Tätigkeitsfeld lag noch immer im Harzgau, während sein Bruder Aufgaben im Sorbenland erfüllte. Ob der agnatus der beiden, der Markgraf Ricdag, ein Sohn des Liesgau-Grafen Burkhard war oder von einem dritten Bruder abstammte, läßt sich nicht sagen. Sein schon in Pfäfers genannter Name, der ihn wohl noch nicht persönlich meint, darf doch als Bestätigung der Aussage Thietmars angesehen werden. Die Aussage des Sachsenspiegels, die wettinischen Markgrafen von Meißen seien Schwaben, wird sich also nicht auf eine Herkunft aus dem Schwabengau (Suevon) an der Bode, wo Markgraf Ricdag allerdings Grafenrechte ausübte, beziehen, sondern wird in ihrer Abstammung vom schwäbischen Herzogshaus der BURKHARDINGER begründet sein. Gleichzeitig erweist sich auch die Nachricht der Altceller Annalen aus dem 14. Jahrhundert, dass Herzog Widukind der Vorfahr der WETTINER war, als nicht ganz unbegründet, und wenn sie traditio domestica wurde oder blieb (bis Anfang des 18. Jahrhunderts), war das nur in dem Sinne falsch, dass die WETTINER nicht Agnaten, sondern über die immedigisch-harzgräflichen Verwandten der ersten Frau Burkhards II. von Schwaben diese Tradition vermittelt erhielten. Gleichzeitig mag die Übernahme dieser sächsischen Tradition es erklären, dass der Name Burkhard nicht weiter als Leitname benutzt wurde, während er bei den immedingischen Verwandten gelegentlich noch auftaucht.