Der Bruder des Pfalzgrafen Dietrich, Sigbert, hatte die
Grafschaft im Liesgau wohl vom Bruder seiner Mutter Bertha geerbt
[1211 Siegbert (Sicca) machte um 973 für seine Mutter Bertha
eine Schenkung in Sohlingen, Negenborn und Gittelde; Trad. Corb. A §
310/B § 49.], der Burkhard hieß und 965 als Graf im
Liesgau bezeugt ist. Den Namen des Vaters von Pfalzgraf Dietrich und
Graf Siegbert erfahren wir aus einer großen Schenkung ihrer Mutter
Bertha für ihren Mann Waldered und ihre Tochter Ghysla
(Gisela) an zehn Orten um Höxter und Brakel [1213 Trad.
Corb. A § 361/B § 100 (um 984). Schon etwa ein Jahrzehnt vorher
hatte Bertha eine Seelenheilstiftung für ihren Mann Waldered
gemacht, wohl unmittelbar nach seinem Tode; Trad. Corb. A § 308/B
§ 47 (etwa 973). - Daß Waldered und Bertha zur
Familie wirklich gehören, wird durch andere Quellen bestätigt.
Vgl. unten bei Anm. 3429.]. Die Namenskombination Burkhard-Bertha-Gisela
weist nun zweifellos auf die schwäbischen BURKHARDINGER, die
irgendwie mit der Familie im Liesgau zusammenhängen müssen [1214
Der 926 gefallene Herzog Burkhard I. von Schwaben hatte bereits
zwei Töchter mit Namen Gisela und Bertha.
- Wir werden auf diese BURKHARDINGER noch einmal zurückkommen
müssen; vgl. unten bei Anm. 2960 ff. mit weiteren stützenden
Argumenten.]. Nach dem Bruder der Großmutter nannte Sigbert, der
Sohn Pfalzgraf Dietrichs, einen seiner Söhne ebenfalls Burkhard, der
als comes für seinen Vater Sibertus etwa 1007 eine familia
in Rotwardeshusen bei Warburg schenkt [1215 Trad. Corb. A §
445/B § 183. Über Rotward als IMMEDINGER-Name siehe unten
Anm.1236. Möglicherweise ist der Bucco laicus der Trad. Corb.
A § 461(B § 1999 hat Bacca), der in Ebergötzen im Liesgau
tradiert, noch dieser Burkhard. Diese etwa in das Jahr 1013 zu datierende
Schenkung muß er dann angesichts seines Todes gemacht haben, da bereits
1013 die Grafschaft seines Vaters Sirus/Sigbert auf dessen Bruder Thancmar
übergeht.]. Ein Sohn des älteren Sigbert ist wohl auch der Erzbischof
Unwan von Bremen gewesen, für den immedingische Abkunft bezeugt
ist.
Schließlich hat die Forschung die Verbindung von
Kuno und Richlind mit einem Zweikampf
bei einem Hoftag 950 in Worms zusammengesehen, bei dem ein Sachse Burchard
die Ehre einer neptis des Königs OTTO erfolgreich
gegen einen Cuonradus filius Gebehardi comitis verteidigte [1233
Continuatio Reginonis ad a. 950. Die Geschichte ist bei Thietmar II
39 in stark veränderter Gestalt wiedergegeben. Die Tochter OTTOS
DES GROSSEN wird hier Liudgard
genannt. Diese war mit Konrad dem Roten von Lothringen verheiratet.]. Nach
dem ganzen oben dargestellten Sachverhalt liegt es nahe, hinter den
Sachsen Burchard den (späteren) Liesgaugrafen zu vermuten, der
als Oheim des Pfalzgrafen Dietrich in engem Zusammenhang mit dem betreffenden
Personenkreis stand.
Die Behandlung der Harzgrafen und ihrer immedingischen
Vorfahren ist deshalb besonders wichtig, weil in neuerer Zeit K.A. Eckhardt
die WETTINER als Harzgrafen-Zweig angesprochen hat [2955c
K.A. Eckhardt (wie Anm. 1832) Seite 64ff.]. Sehen wir
uns die Namen der ältesten WETTINER an (Dietrich, Dedi, Friedrich,
Ricdag) [2955d Vgl. Thietmar VI 50 (34).], so scheint das auf den
ersten Blick auch von unserem Standpunkt durchaus akzeptabel. Dennoch müssen
wir uns für einen cognatischen Zusammenhang entscheiden. Denn Thietmar
von Merseburg gibt uns meines Erachtens genauere Auskunft. Er schreibt,
sie stammten de tribu, quae Bucici dicitur. K.A. Eckhardt
versucht dieser Schwierigkeit mit einer Hypothesenhäufung aus dem
Weg zu gehen, die von slawistischem Standpunkt aus unmöglich ist.
Einmal muß er gegen den sonstigen Sprachgebrauch annehmen, dass tribus
hier nicht "Stamm, Geschlecht" bedeutet, sondern "Heimat". Dann konstruiert
er einen unmöglichen Lautwandel von Q - B, weil er den pagus Quezizi,
der in der Grafschaft des WETTINERS Friedrich von Eilenburg lag, als diese
Heimat ansieht, von der das Geschlecht seinen Namen erhielt. Abgesehen
davon, dass Quezizi seiner Bildung nach ebenso ein patronymischer Personengruppenname
war wie Bucici und dass die WETTINER erst seit eben diesem Friedrich diesen
Raum beherrschten, stammen die späteren WETTINER aber auch nicht von
Friedrich, sondern von dessen Bruder Dedi ab. Wir müssen also Thietmar
mehr Glauben schenken und mit der herrschenden Meinung annehmen, dass die
WETTINER von einem Buco (= Burkhard) abstammten. Doch wird
man dabei nicht mit der bisherigen allgemeinen Auffassung annehmen dürfen,
dass mit diesem
Burghard
jener thüringische Markherzog gemeint
sei, der die POPPONEN in dieser Funktion ablöste [2958 So noch
R. Schölkopf (wie Anm. 948) Seite 98ff. und Stammtafel Burchardinger.].
Dagegen hat schon W. Schlesinger mit guten Gründen Einspruch erhoben.
Die Lösung muß meines Erachtens in ganz anderer Richtung gesucht
werden, wobei wir einen kleinen Umweg einschlagen müssen.
H. Decker-Hauff hat auf einen Pfäferser Gedenkbucheintrag
von 950/51 aufmerksam gemacht [2960
H. Decker-Hauff, Die Ottonen und Schwaben, in: Zeitschrift
für württembergische Landesgeschichte 14 (1955) Seite 247ff.],
der König HEINRICH I., OTTO
I., seine Brüder
Herzog Heinrich
von Bayern,
Erzbischof Brun von Köln,
seinen Schwiegersohn Konrad den Roten, seinen Sohn Herzog
Liudolf von Schwaben, dessen Schwiegervater, den KONRADINER
Hermann I. von Schwaben, einen weiteren Heriman, Reginlinde,
die Gemahlin
Herzog Burkhards I. von Schwaben und dann Herzog
Hermanns I., Ida die Tochter Hermanns I. und der Reginlinde,
sowie noch Keila (= Gisela), Hicha und einen Wernarius enthält.
Für uns ist der Nachtrag wichtig (von 950/53):
Wieldrut
Purchardus du(x)
Purchardus
Herm...
Hamelrich
Der Burchardus dux wird dabei mit Herzog Burkhard
I. von Schwaben identidfiziert (+ 926) und der zweite
Purchardus
mit dessen Sohn, der 954 Herzog in Schwaben wurde und ziemlich gleichzeitig,
fast 50 Jahre alt, die junge Hadwig von Bayern
heiratete. Nun weist Decker-Hauff [2961 H. Decker-Hauff (wie
Anm. 2960) Seite 253.] ganz richtig darauf hin, dass es unter den damaligen
Bedingungen ganz unwahrscheinlich ist, dass dies die erste Ehe Burkhards
II. war. Er schließt daraus, dass die im Nachtrag genannte
Wieltrud
seine erste Gemahlin und Hermann und Hamelrich
seine Söhne waren.
Die Prüfung der Handschrift selbst durch G. Tellenbach
läßt hier Korrekturen und Ergänzungen notwendig werden
[2962 G. Tellenbach, Kritische Studien zur großfränkischen
und alemannischen Adelsgeschichte, in: Zeitschrift für württembergische
Landesgeschichte 15 (1956) Seite 174ff. mit Faksimile gegenüber Seite
168.]. Einmal müssen Her m... und Hamelrich einem anderen Eintrag
zugewiesen werden. Wieldrut dagegen
ist ein ersten Nachtrag zur Gruppe der Frauennamen, denen noch vielleicht
von der ersten Hand aber in einem neuen Ansatz Purchardus dux und
Purchardus angefügt wurden. Dafür gehören aber in
der Männerkolonne unter dem zweiten Hermann eine Reihe von Namen zum
ursprünglichen Eintrag, die mit Rihtag beginnt und mit Thiemr (wohl
= Thietmar, dem Vater Geros und des Sigefridus legatus), Sigifredis (=
Sigefridus legatus oder unbekannter Bruder Thietmars), Purchardus und 10
weiteren Namen, die hier beiseite bleiben können, fortfährt.
Wichtig ist, dass bei dieser Kolonne der Name Keroho (Gero) nachträglich
an die Seite geklemmt wurde. Mit einer anderen Feder, aber von gleicher
Hand sind in dieser Kolonne dann noch die Namen Bernhard, Hodo, Meinwerh,
Herim(ann), Tiotmarus, Kerardus, Hunoldus, Brunis angefügt. Es ist
deutlich, dass hier die Beziehung der mit den OTTONEN
versippten Familie des Markgrafen Gero [2963 Vgl. unten bei Anm.
3412.], die Gruppe der in die Harzgrafen-Familie eingegangenen Namen der
RICDAG-Sippe (Rihtac) und der IMMEDINGER (Meinwerh) mit den schwäbischen
BURKHARDEN
unmißverständlich
hervortritt. Da es jedoch ein Königseintrag ist, muß hier nicht
immer mit verwandtschaftlichen Beziehungen gerechnet werden.
Vergleichen wir aber nun damit das, was wir über
die Verschwägerung der schwäbischen BURKHARDINGER
mit den immedingischen Liesgaugrafen, die wohl mit den Harzgrafen
zusammen zu sehen sind (Unwan als Erbe im Liesgau, Friedrich als Nachfolger
Pfalzgraf Dietrichs), schon oben [2964 Vgl. oben bei Anm. 1211 ff.,
wo die Namenkombination Burkhard/Bertha/Gisela schon eigentlich
kaum mehr daran zweifeln läßt. Die Beziehungen dieser Gruppe
wird auch in dem Eintrag Markgraf Geros in St. Gallen, den K. Schmid in:
Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 108 (1960) Seite 211ff,
analysiert hat, sehr deutlich. Hier finden wir neben den Namen der Familie
des Markgrafen wiederum die Namen Uueldrud, Purghart nebeneinander
genannt, aus Gründen, die wir im nächsten Kapitel erörtern
werden (bei Anm. 3412). In einem der von K. Schmid damit verglichenen verwandten
Reichenauer Einträge ist auch Pernhart, in einem zweiten dessen Vater
Wichard (Uuihart) wieder aufgeführt.] feststellen konnten, bleibt
kein Zweifel. Der Liesgau-Graf Burkhard muß mit den schwäbischen
Herzögen zusammenhängen. Als weiteres Argument muß der
Name Wieldrut
dienen, der wie der Burkhards
(mit Ausnahme des EKBERTINERS im 9. Jahrhundert) in Sachsen überhaupt
nicht vorkommt und nun dort als Name der Mutter des Grafen Bernhard auftaucht,
der in Duderstadt, das manche zum Liesgau zählen, vielleicht als Nachfolger
Burkhards amtiert [2965 Vgl. MGH DO II 78 (974); Trad. Corb.
A § 302/B § 41 (etwa 972): Bernhard mit Mutter Weldrut und Vater
Widugo (Wichard).]. Ein Ber(n)hart erscheint denn auch richtig im Nachtrag
des Pfäferser Eintrags. Wie schon Tellenbach bemerkte, besteht kein
Anlaß, in Wieldrut die 1. Gemahlin
Burkhards
II. zu sehen. Er hält sie für eine Verwandte. Vielleicht
war sie eine Schwester Burkhards I. Sie steht vor ihm im Eintrag.
Damit würden sich auch die besitzgeschichtlichen Verhältnisse
im Liesgau am besten in Einklang bringen lassen.
So wie sich die Quellen auf diese Weise zusammenordnen,
wird man daher auf folgende Vermutung geführt. Burkhard II. wurde
nach dem Tod seines Vaters 926 nach Sachsen verbracht und dort mit einer
IMMEDINGERIN vermählt, um die Kreise des neuen Herzogs Hermann
in Schwaben nicht zu stören. Der "Sachse"Burkhard,
der 950 jenen Zweikampf in Worms zugunsten einer
OTTONEN-Prinzessin
ausfocht, mag sein Sohn gewesen sein, der dann 965 als Graf im Liesgau
bezeugt ist [2967 GH DO I 312.]. Er ist mit seinem Bruder Dedi
(Dietrich), der seinen Namen von der immedingischen Mutter
vermittelt erhielt, 982 in Calabrien gegen die Araber gefallen [2968
Es geht aus der Thietmarstelle (III 20) zwar nicht ausdrücklich
hervor, daß die unter den Gefallenen genannten Burchard und
Dedi Brüder waren, aber sie sind doch auf so enge Weise zusammengefaßt
und von den anderen abgehoben, daß ich gegen Eckhardtz an der herrschenden
Meinung festhalte.]. Burkhard hatte eine Emme
zur Frau, zu deren Gunsten er etwa 968 in der Gegend von Lüdge, woher
sie stammte, eine Schenkung an Corvey machte [2970 Trad. Corb. A
§ 282/B § 21 (etwa 968); Breka bei Lüdge, Aschem zwischen
Lüdge und Elbrinxen. Vgl. oben bei Anm. 1872.].
Der Kurzname Burkhards, Bucco, hat sich im Namen des
Ortes Buensen (Bukkenhausen) südöstlich von Einbeck erhalten,
wo um 1100 eine edle Frau mit uns aus dieser Familie nun vertrauten Namen
Berta dem Kloster Helmarshausen zwei Hufen verkaufte. Doch haben die BURKHARDINGER
- wohl durch die Katastrophe in Italien bedingt - im Liesgau ihre Position
wieder an die IMMEDINGER abgeben müssen (Graf Sigbert). Wohl
durch eine Tochter Sigberts ist dann die Grafschaft zum Teil an die stadischen
KATLENBURGER gekommen, die den Leitnamen Dietrich nun zu dem ihren machten
[2972 Vgl. oben bei Anm. 1217.].
Dedi, der Sohn des 982 gefallenen gleichnamigen Vaters,
hat im Jahr darauf mit einem böhmischen Heer Zeitz ausgeraubt. Sein
Tätigkeitsfeld lag noch immer im Harzgau, während sein Bruder
Aufgaben im Sorbenland erfüllte. Ob der agnatus der beiden, der Markgraf
Ricdag, ein Sohn des Liesgau-Grafen Burkhard war oder von einem
dritten Bruder abstammte, läßt sich nicht sagen. Sein schon
in Pfäfers genannter Name, der ihn wohl noch nicht persönlich
meint, darf doch als Bestätigung der Aussage Thietmars angesehen werden.
Die Aussage des Sachsenspiegels, die wettinischen Markgrafen von Meißen
seien Schwaben, wird sich also nicht auf eine Herkunft aus dem Schwabengau
(Suevon) an der Bode, wo Markgraf Ricdag allerdings Grafenrechte ausübte,
beziehen, sondern wird in ihrer Abstammung vom schwäbischen Herzogshaus
der
BURKHARDINGER begründet sein.
Gleichzeitig erweist sich auch die Nachricht der Altceller Annalen aus
dem 14. Jahrhundert, dass Herzog Widukind der Vorfahr der WETTINER war,
als nicht ganz unbegründet, und wenn sie traditio domestica wurde
oder blieb (bis Anfang des 18. Jahrhunderts), war das nur in dem Sinne
falsch, dass die WETTINER nicht Agnaten, sondern über die immedigisch-harzgräflichen
Verwandten der ersten Frau Burkhards II. von Schwaben diese Tradition
vermittelt erhielten. Gleichzeitig mag die Übernahme dieser sächsischen
Tradition es erklären, dass der Name Burkhard nicht weiter als Leitname
benutzt wurde, während er bei den immedingischen Verwandten gelegentlich
noch auftaucht.