Rogge, Helmuth: Seite 15-20
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"Das Verbrechen des Mordes begangen an weltlichen deutschen Fürsten in der Zeit von 911 bis 1056."

Als Ludwig das Kind seine Tage beschloß, lag die Macht des Reiches tief darnieder. Von außen war es von Feinden bestürmt, im Innern durch heftige Bewegungen in den mächtig empordrängenden Herzogtümern erschüttert. Als KONRAD I. durch die Wahl der Franken und Bayern im November des Jahres 911 zum deutschen König erhoben wurde, führten diese Bewegungen in Schwaben zu schweren Gewalttaten. Ihr erstes Opfer wurde Markgraf Burchard von Rätien mit seiner Familie [Comes et princeps Alamannorum nennt ihn die St. Galler Überlieferung. (Ann. Alamann. ad a. 911, red. 2, her. v. C. Henking, Mitth. z. vaterl. Gesch., her. v. histor. Ver. in St. Gallen, XIX, 1884, 260), dux Alammaniae die Reichenauer (Herimanni Augiens. chronic. ad a. 911, MG. SS V, p. 112; 9). In der Urkunde Bischof Salomos von Konstanz für St. Gallen v. 28. XII. 909 heißt er Herzog. Siehe Reg. episcopor. Constnt. 517-1496, her. v. d. Badischen hist. Kommission (Innsbruck 1886 ff.) I, 34 nr 275. Vergl. über ihn Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reiches (2. Auflage Leipzig 1887f.) III 569 mit nr. 2 und Waitz VG, V² 57f. Über seine Herkunft und Familie vergl. noch bes. Witte, Die älteren Hohenzollern und ihre Beziehungen z. Elsaß (Straßburg 1895) Seite 82.].
Die Alemannischen Annalen erzählen, daß er injusto judicio von Anselm, vermutlich einem schwäbischen Grafen, censura inaequitatis getötet wurde, während seine Witwe aller Güter beraubt, seine Söhne Burchard und Ulrich aus dem Lande gejagt, und sein Allod und ehen unter seine Nachfolger verteilt wurden. Aus dieser Nachricht der Alemannischen Annalen sind die weitgehendsten Schlüsse gezogen worden, insbesondere hat man aus ihr gefolgert, daß Burchard nach der Herzogswürde für sich und seine Familie gestrebt habe. Dabei habe er den Widerstand der Großen des Landes gefunden und sei wegen Hochverrats angeklagt und hingerichtet worden.
Eine soclhe Deutung mag im Hinblick auf die mächtige Stellung des Markgrafen und das Verhältnis, in dem damals die Herzogtümer zum Reiche standen, nahe liegen, eine unbefangene Betrachtung der Quelle vermag aber diese Auffassung nicht zu rechtfertigen. Die alemannischen Annalen sprechen weder von einem Streben Burchards nach der Herzogswürde, noch von einer Anklage der schwäbischen Großen, noch von einer Verurteilung zum Tode oder gar einer solchen durch Anselm [Nach Baumann ist die hervorragende Beteiligung des Grafen Erchanger so gut wie erwiesen. Erchanger sei als Pfalzgraf in Schwaben in erster Linie befugt gewesen, die Aburteilung Burchards wegen Hochverrats vorzunehmen. Er habe aber als sein oberster Ankläger nicht zugleich sein Richter sein können und deshalb "das Richteramt jenem Anselm, der zweifelsohne ein Graf war", übertragen. Anselm erscheint aber in den Alemann. Annalen nicht als Richter, sondern als Töter des Markgrafen oder als Vollzieher des Urteils, wenn man so will. Das betont auch Waitz (VG V, 58 nr. 5). Hier liegt derselbe Fehler vor wie bei Dümmler, Roth von Schreckenstein und Witte, die das "injusto judicio" ungerechtfertigter Anselm verbanden. Es kommt hier höchstens in Frage, was Rosenstock meint, daß Anselm nach altem Recht etwa Ankläger und Vollstrecker in einer Person gewesen ist. (A.a.O., Seite 20.)]. Die Worte "imjusto judicio" und "censura inaequitatis" gaben den Anlaß zu solchen Erklärungen und Vermutungen. Sie wurden in den meisten Fällen nicht richtig verstanden. "Injusto judicio" kann hier nur bedeuten: In anfechtbarem, nicht rechtskräftigem Verfahren, nicht etwa: Durch ungerechtes Urteil. Die Beziehung der Wendung "censura inaequitatis" auf Burchard erscheint als die allein mögliche, nicht aber die Übersetzung mit "wegen des Vorwurfes der Überhebung". Inaequitatis bedeutet von vornherein nur "Unbilligkeit", "Ungerechtigkeit". Man hat neuerdings darauf hingewiesen, daß dem Vorwurf der Überhebung gegen Burchard passend gegenübertritt "seines Bruders Adalbert Bezeichnung als justissimus comes, als dessen, der mit ins Verderben stürzt, obwohl er sich sozusagen nichts herausgenommen hat. Dieser Hinweis ist zweifellos richtig. Aber dem Versuch, hieraus abzuleiten, daß Burchard nach der Herzogswürde gestrebt habe, Adalbert aber nicht, daß deswegen der Annalist dem mächtigeren der beiden ermordeten Brüder jedes anerkennende Wort versagt, dem jüngeren aber zugebilligt habe, muß entgegengetreten werden. Wir wissen im Gegenteil, daß Burchard die Herzogswürde tatsächlich besessen hat. Es ist möglich oder sogar wahrscheinlich, daß sie für ihn mehr einen Titel als tatsächliche Herzogsgewalt und -rechte bedeutet habe. Die Grundlage seiner Macht wird in der Markgrafschaft oder Grafschaft gelegen haben. Er war ursprünglich zweifellos ein "primus inter pares". Im Besitze alter und neuer oder auch angemaßter Macht hat er sich vielleicht durch herrisches Wesen, harte, ungerechte oder willkürliche Maßnahmen und Gewalttaten verhaßt gemacht, wie wir es unzählige Male im früheren Mittelalter wiederfinden. Dagegen richtete sich dann der Vorwurf der "inaequitatis". Dies führte seinen Surz herbei. Es ist wahrscheinlich, daß sich eine allgemeine Verschwörung der schwäbischen Großen unter Bischof Salomos, vielleicht auch unter Erchangers Führung bildete, um den Markgrafen und seine ganze Familie unter dem Schein eines richerlichen Verfahrens zu vernichten. Dies war das "injustum judicium" der Alemannischen Annalen. Es ist möglich, daß die Klage wegen "reatus majestatis" hierzu als Vorwand gedient hat. Die Beraubung der Witwe und die Verbannung der Söhne würden darauf hinweisen. Die hiermit in Zusammenhang stehende Ermordung des Bruders im selben Jahre zeigt aber deutlich, wie unvollkommen offene Gewalt durch gerichtliches Verfahren in dem Vorgehen gegen die BURCHARDINGER verdeckt war. Diese Auffassung erhält eine Stütze in einer kurzen Nachricht des Hermann von Reichenau, die besagt, daß Burchard auf einer von ihm einberufenen Versammlung bei einem Tumult erschlagen worden sei. Es läßt sich denken, daß dieser Tumult von den Verschwörern zur Vollbringung der Mordtat provoziert war [Dem Bilde, das Rosenstock von dieser Versammlung entwirft, kann ich nicht zustimmen. Er spricht von einem herzoglichen Landtag und der Konstituierung eines selbständigen Gerichts durch "die scheinbar Burkhards Pflichtigen", die ihn "vor ihr Ding" stellten. Von alledem ist uns nichts übnerliefert. Ein geordneter Rechtsgang - auch in dieser Form - kann nicht stattgefunden haben. - Hauck versteigt sich zu der Behauptung: "Er wurde in der Volksversammlung, die seine Würde anerkennen sollte, getötet".]. Mit Recht hat man diese Nachricht der der Annalen nachgestellt, da sie über 100 Jahre nach den Ereignissen niedergeschrieben wurde. Soviel geht aber aus ihr klar hervor, daß man in Reichenau, in nächster Nähe von St. Gallen, von einer Verurteilung Burchards zum Tode wegen hochverräterischer Bestrebungen nichts gewußt hat.
Die Tat geschah vermutlich in den Novembertagen des Jahres 911. Die Vertreibung und Beraubung der Familie des Getöteten folgte nach [Die Verurteilung der Schwiegermutter Burchards des Jüngeren, Gisela, auf der Pfalz Bodmann wegen Hochverrats geschah auf Grund falscher Zeugnisse, um das gewalttätige und rechtswidrige Vorgehen nachträglich zu legitimieren.].