Als Ludwig das Kind
seine Tage beschloß, lag die Macht des Reiches tief darnieder. Von
außen war es von Feinden bestürmt, im Innern durch heftige Bewegungen
in den mächtig empordrängenden Herzogtümern erschüttert.
Als KONRAD I. durch die Wahl der Franken
und Bayern im November des Jahres 911 zum deutschen König erhoben
wurde, führten diese Bewegungen in Schwaben zu schweren Gewalttaten.
Ihr erstes Opfer wurde Markgraf Burchard von Rätien
mit seiner Familie [Comes et princeps Alamannorum nennt ihn
die St. Galler Überlieferung. (Ann. Alamann. ad a. 911, red. 2, her.
v. C. Henking, Mitth. z. vaterl. Gesch., her. v. histor. Ver. in St. Gallen,
XIX, 1884, 260), dux Alammaniae die Reichenauer (Herimanni Augiens. chronic.
ad a. 911, MG. SS V, p. 112; 9). In der Urkunde Bischof Salomos von Konstanz
für St. Gallen v. 28. XII. 909 heißt er Herzog. Siehe
Reg. episcopor. Constnt. 517-1496, her. v. d. Badischen hist. Kommission
(Innsbruck 1886 ff.) I, 34 nr 275. Vergl. über ihn Dümmler, Geschichte
des ostfränkischen Reiches (2. Auflage Leipzig 1887f.) III 569 mit
nr. 2 und Waitz VG, V² 57f. Über seine Herkunft und Familie vergl.
noch bes. Witte, Die älteren Hohenzollern und ihre Beziehungen z.
Elsaß (Straßburg 1895) Seite 82.].
Die Alemannischen Annalen erzählen, daß er
injusto judicio von Anselm, vermutlich einem schwäbischen Grafen,
censura inaequitatis getötet wurde, während seine Witwe
aller Güter beraubt, seine Söhne Burchard und Ulrich
aus dem Lande gejagt, und sein Allod und ehen unter seine Nachfolger verteilt
wurden. Aus dieser Nachricht der Alemannischen Annalen sind die weitgehendsten
Schlüsse gezogen worden, insbesondere hat man aus ihr gefolgert, daß
Burchard
nach der Herzogswürde für sich und seine Familie gestrebt habe.
Dabei habe er den Widerstand der Großen des Landes gefunden und sei
wegen Hochverrats angeklagt und hingerichtet worden.
Eine soclhe Deutung mag im Hinblick auf die mächtige
Stellung des Markgrafen und das Verhältnis, in dem damals die Herzogtümer
zum Reiche standen, nahe liegen, eine unbefangene Betrachtung der Quelle
vermag aber diese Auffassung nicht zu rechtfertigen. Die alemannischen
Annalen sprechen weder von einem Streben Burchards
nach
der Herzogswürde, noch von einer Anklage der schwäbischen Großen,
noch von einer Verurteilung zum Tode oder gar einer solchen durch Anselm
[Nach Baumann ist die hervorragende Beteiligung des Grafen Erchanger so
gut wie erwiesen. Erchanger sei als Pfalzgraf in Schwaben in erster Linie
befugt gewesen, die Aburteilung Burchards
wegen
Hochverrats vorzunehmen. Er habe aber als sein oberster Ankläger nicht
zugleich sein Richter sein können und deshalb "das Richteramt jenem
Anselm, der zweifelsohne ein Graf war", übertragen. Anselm erscheint
aber in den Alemann. Annalen nicht als Richter, sondern als Töter
des Markgrafen oder als Vollzieher des Urteils, wenn man so will. Das betont
auch Waitz (VG V, 58 nr. 5). Hier liegt derselbe Fehler vor wie bei Dümmler,
Roth von Schreckenstein und Witte, die das "injusto judicio" ungerechtfertigter
Anselm verbanden. Es kommt hier höchstens in Frage, was Rosenstock
meint, daß Anselm nach altem Recht etwa Ankläger und Vollstrecker
in einer Person gewesen ist. (A.a.O., Seite 20.)]. Die Worte "imjusto
judicio" und "censura inaequitatis" gaben den Anlaß zu
solchen Erklärungen und Vermutungen. Sie wurden in den meisten Fällen
nicht richtig verstanden. "Injusto judicio" kann hier nur bedeuten:
In anfechtbarem, nicht rechtskräftigem Verfahren, nicht etwa: Durch
ungerechtes Urteil. Die Beziehung der Wendung "censura inaequitatis"
auf Burchard erscheint als die allein
mögliche, nicht aber die Übersetzung mit "wegen des Vorwurfes
der Überhebung". Inaequitatis bedeutet von vornherein nur "Unbilligkeit",
"Ungerechtigkeit". Man hat neuerdings darauf hingewiesen, daß dem
Vorwurf der Überhebung gegen Burchard
passend
gegenübertritt "seines Bruders Adalbert Bezeichnung als
justissimus comes, als dessen, der mit ins Verderben stürzt, obwohl
er sich sozusagen nichts herausgenommen hat. Dieser Hinweis ist zweifellos
richtig. Aber dem Versuch, hieraus abzuleiten, daß Burchard
nach der Herzogswürde gestrebt habe, Adalbert aber nicht, daß
deswegen der Annalist dem mächtigeren der beiden ermordeten Brüder
jedes anerkennende Wort versagt, dem jüngeren aber zugebilligt habe,
muß entgegengetreten werden. Wir wissen im Gegenteil, daß Burchard
die Herzogswürde tatsächlich besessen hat. Es ist möglich
oder sogar wahrscheinlich, daß sie für ihn mehr einen Titel
als tatsächliche Herzogsgewalt und -rechte bedeutet habe. Die Grundlage
seiner Macht wird in der Markgrafschaft oder Grafschaft gelegen haben.
Er war ursprünglich zweifellos ein "primus inter pares". Im
Besitze alter und neuer oder auch angemaßter Macht hat er sich vielleicht
durch herrisches Wesen, harte, ungerechte oder willkürliche
Maßnahmen und Gewalttaten verhaßt gemacht, wie wir es unzählige
Male im früheren Mittelalter wiederfinden. Dagegen richtete sich dann
der Vorwurf der "inaequitatis". Dies führte seinen Surz herbei.
Es ist wahrscheinlich, daß sich eine allgemeine Verschwörung
der schwäbischen Großen unter Bischof Salomos, vielleicht auch
unter Erchangers Führung bildete, um den Markgrafen und seine ganze
Familie unter dem Schein eines richerlichen Verfahrens zu vernichten. Dies
war das "injustum judicium" der Alemannischen Annalen. Es ist möglich,
daß die Klage wegen "reatus majestatis" hierzu als Vorwand
gedient hat. Die Beraubung der Witwe und die Verbannung der Söhne
würden darauf hinweisen. Die hiermit in Zusammenhang stehende Ermordung
des Bruders im selben Jahre zeigt aber deutlich, wie unvollkommen offene
Gewalt durch gerichtliches Verfahren in dem Vorgehen gegen die BURCHARDINGER
verdeckt war. Diese Auffassung erhält eine Stütze
in einer kurzen Nachricht des Hermann von Reichenau, die besagt, daß
Burchard auf einer von ihm einberufenen
Versammlung bei einem Tumult erschlagen worden sei. Es läßt
sich denken, daß dieser Tumult von den Verschwörern zur Vollbringung
der Mordtat provoziert war [Dem Bilde, das Rosenstock von dieser Versammlung
entwirft, kann ich nicht zustimmen. Er spricht von einem herzoglichen Landtag
und der Konstituierung eines selbständigen Gerichts durch "die scheinbar
Burkhards Pflichtigen", die ihn "vor
ihr Ding" stellten. Von alledem ist uns nichts übnerliefert. Ein geordneter
Rechtsgang - auch in dieser Form - kann nicht stattgefunden haben. - Hauck
versteigt sich zu der Behauptung: "Er wurde in der Volksversammlung, die
seine Würde anerkennen sollte, getötet".]. Mit Recht hat man
diese Nachricht der der Annalen nachgestellt, da sie über 100 Jahre
nach den Ereignissen niedergeschrieben wurde. Soviel geht aber aus ihr
klar hervor, daß man in Reichenau, in nächster Nähe von
St. Gallen, von einer Verurteilung Burchards
zum Tode wegen hochverräterischer Bestrebungen nichts gewußt
hat.
Die Tat geschah vermutlich in den Novembertagen
des Jahres 911. Die Vertreibung und Beraubung der Familie des Getöteten
folgte nach [Die Verurteilung der Schwiegermutter Burchards des Jüngeren,
Gisela, auf der Pfalz Bodmann wegen Hochverrats geschah auf Grund
falscher Zeugnisse, um das gewalttätige und rechtswidrige Vorgehen
nachträglich zu legitimieren.].