Zur Verwaltung seiner Lande in seiner Abwesenheit ordnete
Balduin
eine Regentschaft, bestehend aus seinem Oheim (dem Bruder Balduins des
Mutigen) Wilhelm Herrn von Chateau Thierrey, aus seinem Bruder
Philipp von Namur und aus Herrn Bouchard d'Avesnes (dem Sohne
Jacques d'Avesnes). Die Sorge für seine Tochter Johanna
übertrug er der verwitweten Gräfin von Flandern Mathilde;
seine Gemahlin wollte ihm selbst folgen, sobald sie ein zweites Kindbett
überstanden hätte [Sie gebar ihm die zweite Tochter Margaretha.];
und nach allen diesen Anordnungen brach er gegen Pfingsten 1202 auf, um
nach Venedig zu ziehen.
Da die Kaiserin Maria,
die ihrem Gemahl Balduin voraus nach
Palästina geeilt war, inzwischen zu Accon gegen Ende Augusts 1203
gestorben
war, waren die Erbinnen Balduins in
Flandern, seine beiden Töchter Johanna
und Margaretha, vielfachen Gefahren
ausgesetzt. Von Frankreich war am meisten zu fürchten; dennoch hielt
es Philipp von Namur im Einverständnis mit Mathilden
für die geratenste Maßregel, zum Schutz der Fräulein, sie
von Gent weg und an den französischen Hof unter Vormundschaft des
Königs zu bringen [Wenigstens faßte er die Sache so, obgleich
seine Heirat mit Marien, der Tochter
des Königs, und die Erlassung des noch rückständigen Lösegeldes
die Folge war. Allerdings hatte der König als oberster Lehensherr
einen Anspruch auf die vormundschaftliche Regierung.]. Fläminger nd
Hennegauer waren über diese Maßregel gleich sehr erbittert und
entzogen Philipp allen Anteil an der vormundschaftlichen Regentschaft,
welche nun Bourchard d'Avesnes allein weiter führte.
Der Zustand, wie er seit der Übergabe der jungen
Gräfinnen durch Philipp von Namur an den König von
Frankreich in Flandern stattfand, war in der Tat unleidlich; denn wenn
auch Bouchard d'Avesnes den Parteien im Veurnerland und den wiederausbrechenden
Geschlechterkriegen in Gent einigermaßen steuerte, war sein Ansehen
doch in Hennegau größer als in Flandern, und dies führte
vielfach die Leiden, die über ein hererenloses Land zu kommen pflegen.
Als dann die verwitwete Gräfin Mathilde
(selbst eine portugiesische Prinzessin) im Einverständnis mit dem
König von Frankreich die junge Gräfin
Johanna an Ferrante, ihren
Neffen, den Sohn König Sanchos von Portugal,
verlobt hatte, und die Hochzeit im Jahre 1211 zu Paris gehalten worden
war, verweigerte der König von Frankreich Ferrante
die Belehnung mit Flandern, bis er die Rückgabe von St. Omer und Aire
zugesagt hatte; nur die Lehensherrschaften von Guisne und Mortagne sollten
von den im letzten Frieden von Peronne wieder an Flandern gekommen Landschaften
bei Flandern gelassen werden. Da Ferrante
in der Gewalt des Königs war, mußte er sich fügen; auch
hielt ihn der Sohn des Königs, Prinz Louis,
welcher mit der Grafschaft Artois belehnt worden war, in Peronne so lange
fest, bis Aire und St. Omer von den Franzosen besetzt waren. Überall
wurde hierauf in Flandern und Hennegau dem Grafen
Ferrante und der Gräfin Johanna
gehuildigt [Nur die Genter verweigerten die Huldigung so lange, bis Johanna,
welche vom Fieber befallen in Douay zurückgeblieben war, selbst kam.
Ferrante
sei ihr Fürst nicht; er sei nur ihrer Fürstin Gemahl. Ferrante
war von Philipp von Namur, Johann dem Castellan von Brügge
und Siger dem Castellan von Gent begleitet, hatte aber eben deshalb Raes
van Gaveren und Arnulph von Oudenaerde gegen sich, die jenen feind waren;
und als er sich von Gent nach Kortryk zurückzog, brachten seine Gegner
einen Kriegshaufen in Gent zusammen, und verfolgten Ferrante
seiner
Begleitung wegen bis in die Nähe von Douay, plünderten und brannten
Kortryk, und zogen beutebeladen heim. Als aber Ferrante
mit größerem Heer und von Johanna
begleitet wieder vor Gent erschien, öffneten die Genter die Tore und
zahlten zur Buße für das frühere Benehmen eine sehr bedeutende
Summe.
Philipp von Namur starb in demselben Jahre mit Hinterlassung
eines noch unmündigen Sohnes, Philipp.]
Ihre Schwester Margaretha
übergab Johanna Herrn Bouchard d'Avesnes
zu Schutz und Aufsicht, welcher ihr in Hennegau einen glänzenden Hofstaat
einrichtete [Bouchard war als Knabe in der Zeit, wo sein Vater Jacques
sich gegen seinen Lehensherrn, den Grafen von Hennegau, an Flandern anschloß,
am flämischen Hofe geblieben, und Graf Philipp hatte ihn in Paris
und Orleans studieren lassen. Bouchard war beider Rechte Doctor
geworden.]. Er gewann das Fräulein so für sich, daß sie
sich mit ihm vermählte. Er hatte aber früher einmal die Weihe
als Subdiakon erhalten, und da Johanna dieser
Heirat zuwider war, mußte er 1215 fliehen und suchte bei Innocenc
III. Dispensation; dieser legte ihm auf als Buße, das Weib
zu verlassen und einen Kreuzzug zu unternehmen. Als er nach dem Kreuzzug
Margarethen und seine beiden Söhne
wieder sah, erklärte er, er wolle sich lieber lebendig schinden lassen,
als von ihr gehen [Nach anderen hätte die Heirat mit
Johannas Bewilligung stattgefunden, Delewarde p. 395. und nichts
habe im Wege gestanden. Auf jeden Fall fand die Heirat statt.].
Im Jahre 1212 änderte die Gräfin
Johanna im Einverständnis mit ihrem Gemahl, wahrscheinlich
auf Bitten der Genter, die Verfassung der Stadt.
Neue Zwistigkeiten zwischen Frankreich und Flandern brachen
im Jahre 1213 aus. Der König forderte von
Ferrante die gesetzmäßige Lehenshilfe, welche dieser
aber verweigerte, wenn ihm nicht zuvor die mit Unrecht entrisenen Städte
Aire und St. Omer restituiert würden. Von Cassel und Ypern bis nach
Brügge war alles von einem französischen Heer überschwemmt,
während die französische Flotte bei Damme anlegte. Indem erschien
eine englische Flotte, geführt vom Grafen William von Salisbury und
dem von durch die Franzosen vertriebenen Grafen Rainaud von Boulogne. Der
König kam mit einem Landheer zu Hilfe; allein da seine Flotte selbst,
nachdem er seine Gegner am heiligen Abend vor Pfingsten zurückgeschlagen
hatte, von der See abgeschnitten war, mußte er die Schiffe verbrennen
lassen. Auch Damme ließ er niederbrennen; Gent, Brügge und Ypern
kauften sich mit großen Summern von der Plünderung frei, nahmen
aber des Königs Befehle an; Lillie war verwüstet und die Festungswerke
wurden egschleift; Prinz Luois, der
Graf von Artois und Gaultier von Chatillon der Graf von St. Pol, dessen
Lehensmann, blieben mit einem gewaltigen Reiterhaufen zurück, auch
als der König abzog, und nach Douay und Doornik ward Besatzung gelegt.
Sobald der König die Grafschaft geräumt hatte,
kam Ferrante, der mit William von Salisbury
nach Walcheren gegangen war, zurück, und nahm den Franzosen mit Hilfe
der Holländer Lille und Doornik wieder, nachdem Graf Louis Kortryk
niedergebrannt hatte. Sofort wandte sich auch der König wieder gegen
ihn, und er verließ abermals die Grafschaft, ging nach England, und
kehrte von da, von den Grafen von Salisbury und Boulogne begleitet, zurück
nach der Grafschaft Artois, wo er einen Versuch auf Aire machte, dann sich
vor den Toren von Arras sehen ließ, alles ringsum verwüstete,
und sich endlich, als er das Artois verließ, nach Gent begab. Heinrich
von Brabant, welcher nach Philipps von Namur Tode dessen Witwe,
Prinzessin
Marie von Frankreich, geheiratet, hatte sich auf dieser Seite
feindlich gezeigt; mit Hilfe der Grafen von Salisbury, Boulogne und Holland
belagerte ihn Ferrante in Brüssel,
zwang ihn von Frankreich zu lassen, mit ihm selbst gemeinsame Sache zu
machen, und seine Söhne Heinrich und Gottfried als Geiseln zu stellen.
Im folgenden Jahre erscheint mit den niederländischen
Fürsten gegen Frankreich auch Kaiser
OTTO IV. im Bunde. Ferrante
empfing ihn prächtig in Valenciennes, und brachte aus Flandern und
Hennegau, Heinrich von Brabant aus seinem Gebiet mächtige Heerhaufen
zusammen; Waleram von Limburg führte dem Kaiser 700 Ritter zu, auch
andere deutsche Reichsfürsten erschienen, und William von Salisbury
kam mit einem englischen Hilfszuge. Trotz der Nähe dieses zahlreichen
Heeres empörten sich die Einwohner von Doornik gegen Ferrante,
und öffneten den Franzosen wieder die Tore. Den Letzteren entgegen
zog das deutsche Heer nach Mortagne: sie wichen zurück in der Richtung
von Lille, aber die Deutschen folgten, und zwangen den Herzog von Burgund,
der die Nachhut führte, in der Nähe von Doornik zum Kampfe; bei
Bouvines mußte das ganze französische Heer standhalten (27.
Juli 1214). Die Fläminger standen in der Schlacht den Leuten von Champagne
und Isle de France unter dem Grafen von St. Pol gegenüber, und unter
ihnen zeichneten sich besonders Balduin von Praet und Arnulph van Oudenaerde
durch Tapferkeit aus, sodann Hellin von Waurin, der Seneschall von Flandern,
Raes van Gaveren und seine Söhne (Arnulph, Philipp und Raes), Philipp
und Peter van Mildeghem und die von Bethune, van Ghistellen und van Haveskerke.
Trotz ihres Mutes unterlagen sie, Graf Ferrante
selbst ward gefangen und der ganze linke Flügel des kaiserlichen Heeres
geschlagen; aber er nicht allein, sondern nach eben so wildem Kampfe auch
das Mitteltreffen, zuletzt der rechte Flügel unter dem Grafen von
Boulogne, der ebenfalls, so wie auch William von Salisbury, den Farnzosen
gefangen in die Hände fiel.
Ferrante ward nach
Paris, Rainaud von Boulogne nach Peronne, William von Salisbury nach St.
Quentin gebracht. Bald nachher kam ein Waffenstillstand zwischen Frankreich
und England, in welchen auf Bitten der Gemahlin Ferrantes
Flandern
eineschlossen ward, auf fünf Jahre zustande. In Hennegau und Flandern
hatte die Gräfin Johanna sofort
die Regentschaft übernommen, und führte sie mit Hilfe ihr von
den Herrentagen der beiden Grafschaften zugeordneten Räte trotz der
Gefangenschaft ihres Gemahles und der Verwüstung ihres Landes, auf
das tüchtigste [Während Rainauds von Boulogne Gefangenschaft
starb seine Gemahlin Ida, und hinterließ nur eine Tochter als Erbin
der Grafschaft, Maria, die einem Bastard des Königs von Frankreich
verlobt ward, welcher
Philipp hieß.].
Das Jahr 1217 verging für Flandern in Ruhe und Frieden;
alles, was die Gräfin Johanna durch
die Bischöfe von Doornick, Cambray und Therouenne unterhandeln ließ,
zu Befreiung ihres Gemahles, war umsonst. Der König erklärte,
bei seinen Lebzeiten habe Ferrante Freiheit
nicht zu hoffen. Dasselbe gelobte seine Nachfolger
Louis, als Johanna bald
nach seiner Thronbesteigung im Jahre 1223 ähnliche Unterhandlungen
erneuerte. Bei der Adminstration des Landes stand der Gräfin nur ein
Ritter zur Seite, welchen Meyer Jodocus ab Materis nennt. Die Zeiten aber
der Verwaltung Johannas waren, selbst
nachdem der König von Frankreich sie im Besitz der Grafschaft unberuhigt
ließ, höchst schwierig, denn im folgenden Jahre forderte der
römische
König FRIEDRICH
(erzürnt auf Flandern wegen der früheren Verbindung des Fürsten
mit OTTO) das Aalster- und Waesland,
die vier Ambachten und die Inseln ab, unter dem Vorwande, es sei die Belehnung
nicht gesucht worden. Mit Mühe gelang es der Gräfin, den jungen
HOHENSTAUFEN
durch
Anführung der unglücklichen Gefangenschaft ihres Gemahles, die
an allen Schuld sei, zu beschwichtigen.
Um diese Zeit starb die Gräfin
Mathilde (am 6. März 1218) zu Veurne
durch einen Fall mit dem Wagen, und jener ganze Teil von Flandern, den
sie als Wittum besessen hatte, kam nun wieder unmittelbar an die Gräfin
Johanna. Die wußte auch andererwärts
den Vorteil der Domäne wahrzunehmen. So tauschte die gegen Besitzungen,
die zum Teil außerhalb ihrer herrschaftlichen Territorien lagen,
gegen reiche Fruchtzinsen und einen Wald die Castellanei von Cassel von
Michael de Harnes ein, und brachte sie unmittelbar zum gräflichen
Hausbesitz. In gleicher Weise tauschte sie etwas später (im Februar
1225) das Freie von Brügge für 23.545 livr. 5 sol. 8 den. Paris
von der Familie der Castellane von Brügge ein.
Inzwischen gaben ihre Schwester
Margaretha
und
Bouchard
d'Avesnes doch den dringenden Vorstellungen nach, die gemacht und durch
die Strenge der Kirche fortwährend noch in ihrer Wirkung vertsärkt
wurden. Sie trennten sich, und Margaretha
heiratete
einige Zeit hernach einen edeln, aber wenig begüterten Mann von burgundischem
Adel, Guillaume de Dampierre [Guillaumes Vater hieß
Gui de Dampierre; seine Mutter Beatrix war die Tochter Archimbalds des
Großen von Bourbon.].
Hennegauische Edelleute, die mit
der Verwaltung der Gräfin Johanna
unzufrieden waren, bewogen 1225 einen Einsiedler, der bei Glanchon in der
Nähe von Mortagne lebte, und an Wuchs und Gesichtsbildung dem bei
den Bulgaren verschollenen Kaiser Balduin
einigermaßen
ähnlich war, mit dem Vorgeben aufzutreten, er sei Balduin;
zuerst Lille, dann fast ganz Flandern und Hennegau erkannten ihn an, und
Johanna
wäre in Le Quesnoi fast in seine Hände geraten. In ihrer Not
wendete sich Johanna
an König Louis von Frankreich,
welcher dem Betrüger einen Tag setzte in Peronne, und ihm freies Geleit
zusagte. Kühn stellte er sich dem Könige, wurde aber von dem
Bischof von Beauvais so durch Fragen über frühere Lebenverhältnisse
in Verlegenheit gebracht, daß sein Betrug deutlich sichtbar wurde.
Er hatte freies Geleit zur Rückkehr, aber alles wandte sich nun von
ihm in Flandern und Hennegau ab; und auf der Flucht, die er versuchte,
ward er in Burgund von Everard de Chastenay gefangen und der Gräfin
ausgeliefert. Es fand sich, daß er Bertrand de Rains hieß,
aus der Champagne gebürtig war, und nachdem er nun als entlarvter
Betrüger dem Volk gezeigt worden, ließ ihn Johanna
in Lille hängen.
Der Tod Louis VIII. von Frankreich
bewog
die Gräfin Johanna abermals, ihre
Versuche zur Befreiung ihres Gemahls zu erneuern [Meyer zufolge hätte
sie diese Versuche noch bei Lebzeiten Ludwigs
VIII. wieder begonnen; wahrscheinlich gab ihr die Not, in der
sie sich befand durch den Betrüger, Veranlassung und Beschluß
ein.], und glücklich gelang es ihr diesmal unter folgenden Bedingungen:
daß, falls Ferrante wieder seine
Verbindlichkeiten gegen Frankreich breche, ihn der Bann, Flandern das Interdikt
treffen solle. Die Zitadelle von Douay solle auf zehn Jahre der Gewalt
des Königs übergeben bleiben, und der flämische Adel schwören,
den Grafen zu verlassen, falls dieser den Frieden mit Frankreich breche.
Welcher vom Adel sich dieses Eides weigere, den solle der Graf aus seinem
Lande treiben, dessen Gut solle er konfiszieren, und ihm nur mit Gunst
und Gnade des Königs die Rückkehr erlauben; auch sollten die
Grafen von Flandern in ihren Städten auf dem linken Schelde-Ufer ohne
des Königs Genehmigung keine neuen Befestigungen errichten dürfen
[Die Grundlagen dieses Vertrages waren sicher vor Ludwigs
VIII. Tode gelegt im April 1226 in Melun. Die wirkliche Ausführung
aber des Traktats und die Befreiung des Grafen fanden erst Anfang 1227
statt. Delewarde 1, c. p. 435. Manche Geldzahlung und anderes Drückende,
was der Vertrag von Melun noch enthielt, ward hernach erlassen.].
Ferrante hatte
bald nach seiner Freilassung Gelegenheit, der Königin
Blanca für die Freundlichkeit, mit
der sie zu Vermittlung seines Friedens gewirkt, durch treuen Beistand zu
danken, den er ihr gegen ihre Widersacher unter den französischen
Großen, namentlich gegen den Grafen
Philipp von Boulogne, den natürlichen
Bruder Louis' VIII.,
leistete. Unmittelbar nach dem Zuge gegen die Grafschaft Boulogne, und
wahrscheinlich durch die Aufreizung des Grafen von Boulogne veranlaßt,
brach eine Fehde aus mit dem Herzog von Brabant, welchen Ferrante
bei Asche gefangen nahm. Vielleicht wurde diese Fehde aber auch veranlaßt
durch die Angelegenheit der Grafschaft Namur; denn nachdem Philipps
Stamm sehr bald nach seinem Tode mit seinem Söhnchen abging, folgte
hier als Erbin Yolanda,
die Gemahlin Peters von Courtenay,
die Schwester Philipps, und durch sie nach ihrem Tode 1220 zuerst
ihr Sohn Philipp von Courtenay,
dann ihre Tochter Margaretha,
welche mit Heinrich von Luxemburg, Grafen von Vianen, vermählt war.
Es scheint, daß auch Ferrante
Ansprüche auf die Markgrafschaft, als eröffnetes Lehen, machte;
erst im November 1232 kam durch Vermittlung des Grafen
Philipp von Boulogne ein Vertrag zustande,
der Heinrich im Besitz der Markgrafschaft beließ; nur Vienne und
Golesmes trat er an Ferrante
und Johanna
ab.
Wie
Ferrante bis dahin auch für innere
Angelegenhiten, besonders für die Anordnung der Verfassung von Gent,
sich tätig erwiesen hatte, ist bereits oben angeführt. Am 27.
Juli des folgenden 1233.ten Jahres starb Ferrante
am Stein zu Noyon.
Bis zum Jahre 1237 ging nun Flandern
und Hennegau alles seinen gewohnten Gang in ungetrübter Weise. In
diesem Jahre aber kam Kaiser Balduin II.
von Konstantinopel, und nahm seine Erbschaft
von Vater (Peter von Courtenay)
und Mutter (Yolande)
in Anspruch; es waren Besitzungen in Champagne und Flandern und die Markgrafschaft
Namur, aus welcher er seinen Schwager Heinrich von Vianen verdrängte
[Er gab seiner Schwester als Abfindung für Namur bloß 7.000
Livre.]. In demselben Jahre gab die Gräfin
Johanna dem Andrängen ihrer Städte
nach, und heiratete im Oktober den Prinzen
Thomas von Savoyen. Ehe
König
Ludwig diesem mit der Grafschaft belehnte,
mußte er den von Ferrante
bei dessen Freilassung eingegangenen Frieden auf 25 Jahre beschwören.
Die Heirat verwickelte sofort Johannens
Länder
in eine Fehde mit Waleram von Limburg, denn des Grafen Thomas Bruder,
Wilhelm,
wurde nach Bischof Johanns Tode im Jahre 1236 Bischof in Lüttich,
und da Waleram die Waffen gegen ihn wandte, stand ihm der Bruder tapfer
treulich bei.
Von dem Jahre 1240 an beginnt dann eine Reihe von Staatshandlungen
des Grafen und der Gräfin in Flandern, wodurch sie die Verfassung
der einzelnen Städte ordneten, offenbar mit steter Berücksichtigung
der früheren Verhältnisse und auf den Wunsch und des Beiorats
der Bürger.
In dem folgenden Jahre starb Guillaume de Dampierre,
der zweite Gemahl von Johannas Schwester
Margaretha,
mit welchem diese außer einer Tochter drei Söhne gezeugt hatte:
Guillaume, Gui und Jean. Ihr Sohn von Bouchard d'Avesnes, Jean d'Avesnes,
heiratete um diese Zeit zu Dordrecht Adelheid, die Tochter Florens IV.
von Holland und Schwester des nachherigen römischen
Königs WILHELM.
Zwischen die friedlichere Tätigkeit des Grafen
Thomas griff eine Fehde ein mit Herzog Heinrich von Brabant, der den
früher von seinem Vater Heinrich (um aus der Gefangenschaft frei zu
werden) mit Ferrante geschlossenen
Vertrag gebrochen hatte; Graf Thomas drang in Brabant ein, nahm
Brüssel, und führte Herzog Heinrich und seinen Bruder Gottfried
gefangen nach Flandern. Um die Freiheit wieder zu erhalten, ging Heinrich
wahrscheinlich mit Thomas einen ähnlichen Frieden ein, wie
früher mit Ferrante.
Eben hatten wieder Streitigkeiten in Beziehung auf die
Grafschaft Namur begonnen, und Thomas sich der Feste Poilvache
und
anderer Burgen bemächtigt, als Johanna
am
5.
Dezember 1244 starb, und in der Abtei von Marquette neben Ferrante
bestattet ward. Thomas kehrte reich beschenkt nach Savoyen zurück;
Johannas
Länder kamen an ihre Schwester Margaretha,
die Witwe Dampierres.