STAMMTAFEL im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters
STAMMTAFELN ZUR EUROPÄISCHEN STAATEN BAND I und II
Tafel 23-25
Lexikon des Mittelalters: Band VII Spalte 186
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Premysliden
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Dynastie der Fürsten
und Könige in Böhmen und Mähren,
die bis 1306 regierte.
Ihr sagenhafter Urahn
war Premsyl
der Pflüger, der in der "Chronica Boemorum" des Cosmas
genannte Gemahl der
Libussa; auch die
weiteren vorchristlichen PREMYSLIDEN
werden von Cosmas überliefert. Im 9. Jh. gehörten sie zu
jenen
böhmischen Lokalfürsten (duces), deren Machtzentren die
Burgen
(civitates) waren. Die PREMYSLIDEN
saßen im mittelböhmischen Levy Hradec, von wo sie
gegen
Ende des 9. Jh. auf die neu gegründete Prager Burg übersiedelten.
Nur allmählich konnten die PREMYSLIDEN
von hier aus Autorität gegenüber den anderen
Lokalfürsten
gewinnen. 882-884 wurde der erste
historisch belegte PREMYSLIDE,
Borivoj I.
(†
um 888/89), im Großmährischen Reich getauft; nach
ihm hatte der großmährische Fürst
Svatopluk († 894) die
Oberherrschaft über Böhmen,
bis Borivojs
Söhne Spytihnev
I. (894-915) und Vratislav
I. (915-921) die Herrschaft übernahmen, aber bereits
den Einfluß
des Deutschen Reiches anerkennen mußten. Der Mord an Wenzel
dem Heiligen (935) und die Regierungszeit
Boleslavs I. (935-972) markierten die Begründung eines
einheitlichen
böhmischen Zentralstaates, wozu die Errichtung des Bistums Prag
unter
Boleslav
II. (972-999) im Jahre 973 beitrug. Die letzten nicht-premyslidischen
'duces' wurden - meistens gewaltsam - beseitigt. Gefolgsleute Boleslavs
ermordeten 995 die SLAVNIKIDEN in
Libice.
In der 2. Hälfte des 10. Jh. beherrschten die PREMYSLIDEN
auch die Nachbarländer (Schlesien, Kleinpolen, Nord-Mähren,
West-Slowakei).
Seit Ende des 10. Jh. verschärften sich die Spannungen
gegenüber
Polen. Die Thronkämpfe zwischen Boleslavs
Söhnen führten um 1000 zu einer Krise, die
Interventionen
Polens und des Deutschen Reiches nach sich zog. 1019 (1020?) beendete Udalrich
(1012-1034) die polnische Besetzung Mährens, das auf
Dauer
eingegliedert wurde. Sein Sohn Bretislav
I. (1025-1055) führte erfolgreich Krieg gegen Polen.
Nach
militärischen Auseinandersetzungen mit König
HEINRICH III. trat er dann als Verbündeter des
Reiches
gegen Ungarn auf (Menfö, Schlacht von). Die Nachfolge regelt Bretislav
durch die Senioratsordnung (1055), wonach der jeweils
älteste
PREMYSLIDE die Herrschaft ausüben
sollte. Während
Spytihnev II. (1055-1061)
und Vratislav
II. (1061-1092), seine ältesten Söhne,
nacheinander herrschten
(Jaromir/Gebhard wurde
Bischof von Prag), regierten die jüngeren Söhne als
Teilfürsten
in Mähren: Konrad
I. (†
1092) erhielt Brünn und Znaim, Otto
I. (†
1087) und seine Nachfolger herrschten in Olmütz;
ihre Ansprüche auf den Prager Thron verloren sie dadurch dennoch
nicht.
Kaiser HEINRICH
IV. erhob Vratislav
II. als Belohnung für seine militärische und politische
Hilfe gegen die Sachsen und die fürstliche Opposition 1085/86 zum
König. Doch war der Königstitel an seine Person
gebunden: Konrad
I. von Brünn (1092) und Bretislav
II. (1092-1100) mußten sich mit dem
Herzogstitel begnügen. 1099 erreichte
Bretislav II. die Anerkennung seines
Halb-Bruders
Borivoj II. (1100-1107, 1117-1120) als Nachfolger. Damit
unterlief
er erstmals das Senioratsgesetz. Versuche, das Seniorat durch die
Primogenitur
zu ersetzen, verschärften am Anfang und gegen Ende des 12. Jh. die
Thronkämpfe.
Die Gegnerschaft der beiden Prager Hauptlinien, die von den
jüngsten Söhnen
Vratislavs, Vladislav
I. (1109-1117, 1120-1125) und Sobeslav I. (1124-1140), abstammten, hatte
schwerwiegende innen- und außenpolitische
Folgen. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Vladislavschen Zweig
(Vladislav II.,
Friedrich,
Vladislav Heinrich,
Otakar Premysl)
und dem Sobeslavschen Zweig (Sobeslav
II., Wenzel
I.) verschärfte sich durch die Intervention der mährischen
PREMYSLIDEN
(Udalrich
von Brünn, Konrad
II. von Znaim, Konrad
III. Otto von Znaim) und anderer Thronanwärter (DEPOLTICI/THEOBALDE,
Heinrich Bretislav und andere).
Aber nur selten kamen die nicht aus Prag stammenden
PREMYSLIDEN
zum Zug (Svatopluk
1107-1109, Konrad
II. Otto 1189-1191, Heinrich
Bretislav 1193-1197). Die Bemühungen der mährischen
Teilfürsten, die
Oberherrschaft in Prag zu gewinnen, trafen auf hartnäckigen
Widerstand des Prager Hofs. Zugleich nutzte der heimische Adel die
Gelegenheit,
seine Position zu stärken. Die Thronstreitigkeiten führten
auch
zur Einmischung des Deutschen Reiches, besonders unter
FRIEDRICH I. Vladislav
II. (1140-1172) erhielt 1158 vom Kaiser die Königskrone, die
aber nicht auf seine Nachfolger überging. Das
Selbstbewußtsein
der einzelnen Haupt- und Nebenzweige offenbarte sich in ihrer
Heiratspolitik.
PREMYSLIDEN schlossen Ehen mit PIASTEN,
ARPADEN, WETTINERN und BABENBERGERN,
aber auch mit den Familien der Grafen von Bogen, von Berg und den WITTELSBACHERN;
die mährischen PREMYSLIDEN und andere
mit den Herrscher-Häusern in Rußland und Serbien.
Dynastische
Kontakte intensivierten die Kulturbeziehungen Böhmens zu den
Nachbarländern.
Mit Herzog Wenzel
(† um 1192) erlosch der Sobeslavsche
Zweig des Geschlechts
und um 1200 starben die meisten mährischen PREMYSLIDEN
aus; ihr letzter Vertreter war Siffrid († 1227),
Kanoniker in Olmütz. Das kam dem Vladislavschen Zweig
und besonders Otakar
I. Premysl (1192-1193, 1197-1230) zugute, der seit 1198 König
von Böhmen war. Seine geschickte Politik gegenüber PHILIPP
VON SCHWABEN, OTTO IV.
und
FRIEDRICH II. führten dazu,
dass
schließlich in der Goldenen Bulle
FRIEDRICHS
II. (1212) ihm und seinen Nachfolgern die Königswürde
und alle erworbenen Privilegien von seiten des Deutschen Reiches
zuerkannt
wurden. Nach dem Tod seines kinderlosen Bruders Vladislav
Heinrich († 1222), Markgraf von Mähren,
und nach der Vertreibung
der THEOBALDE (um 1223), die
später im Exil ausstarben, waren die
Nachkommen Otakars
Premysl die einzigen Repräsentanten des ganzen Geschlechts.
Bereits 1216 ließ Otakar
I. Premysl seinen Sohn Wenzel
I. zum König wählen und 1228 krönen.
Unter Wenzel I.
(1230-1253), der im Kindesalter
Kunigunde, Tochter PHILIPPS VON SCHWABEN,
heiratete, begann die Expansionspolitik der PREMYSLIDEN,
die unter Otakar
II. Premysl (1253-1278) ihren Höhepunkt fand.
Seine Ehe mit
Margarete
von Babenberg ermöglichte
die Erwerbung Österreichs,
danach beherrschte der böhmische König die Steiermark, das Egerland,
Kärnten und Krain. Doch
mußte er sich mit einer starken, für
die Zentralmacht gefährlichen Adelsopposition in Böhmen,
Österreich
und den Alpenländern auseinandersetzen. Im Kampf mit RUDOLF
VON HABSBURG wurde Otakar
II. 1276 besiegt und
in der Schlacht von Dürnkrut 1278 getötet.
Wenzel II. (1278-1305),
sein Sohn aus der 2.
Ehe mit Kunigunde,
Enkelin König
Belas von Ungarn,
wurde sein Nachfolger. Nach anfänglichen Wirren infolge der
Kämpfe
der Adelsopposition in Böhmen konnte Wenzel
die Königsmacht wieder konsolidieren. Er vereinigte drei
Königreiche:
Böhmen, Polen (1300) und Ungarn (1301). Doch war dieser
Erfolg nur
von kurzer Dauer. Unzufriedenheit des polnischen und ungarischen Adels
und Feindschaft des deutschen Königs ALBRECHT
I. bewirkten das Schwinden der premyslidischen
Macht in Polen und Ungarn. Wenzel
III. (1305-1306), Sohn Wenzels
II., wurde auf einem Feldzug gegen Polen am 4. August 1306 in
Olmütz ermordet. Damit
starben die PREMYSLIDEN
in der männlichen Linie
aus. Die Heirat der
PREMYSLIDIN Elisabeth,
Tochter König
Wenzels II., mit Johann von Luxemburg (1310) gab die Grundlage
der Thronbesteigung der LUXEMBURGER
in Böhmen und Mähren. Die uneheliche Linie der PREMYSLIDEN,
die von Herzog
Nikolaus von Troppau († 1318,
illegitimer Sohn Otakars
II. Premysl) abstammte, starb 1521 aus.
Für mehr als vier Jahrhunderte standen die
PREMYSLIDEN an der Spitze Böhmens. Über ihre politische
Herrschaft hinaus wurde die Familie zum Sinnbild von böhmischen
Staat
und Nation, besonders in der Person des 935 ermordeten heiligen
Wenzel,
der bald zum Landespatron avancierte. Alle Fürsten Böhmens
galten
als seine irdischen Vertreter, und die anläßlich der
Krönung
KARLS IV. angefertigte
böhmische
Königskrone wurde als Wenzels-Krone bezeichnet.