Rhode Gotthold: Seite 26-33
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"Kleine Geschichte Polens."

Der oppositionelle Adel entfachte mit böhmischer Hilfe 1093 in Schlesien einen Aufstand gegen Sieciech und erzwang die Legitimierung von Wladyslaws ältestem Sohn Zbigniew, den Sieciech in ein Kloster nach Sachsen hatte abschieben wollen. Der zunächst nach Ungarn geflüchtete Sieciech konnte bald an die Macht zurückkehren, einen neuen Aufstand in Kujawien unterdrücken und Zbigniew zeitweilig gefangensetzen, der erst freikam, als die Geistlichkeit und sein jüngerer Bruder Boleslaw sich für ihn einsetzten (1096/97). In wechselvollen Kämpfen, offenbar von weiten Kreisen des immer mehr hervortretenden Adels unterstützt, erzwangen die beiden Brüder schließlich die Entfernung Sieciechs und die Zuteilung von eigenen Herrschaftsbereichen zu Lebzeiten des Vaters, dem zeitweilig die Absetzung drohte (1099).
Zbigniew, der ältere, und der noch sehr jugendliche, 1085 geborene Boleslaw III. ("Schiefmund" - Krzywousty) (1102 bzw. 1107-1138) herrschten in den ihnen schon 1099 zugesprochenen Teilgebieten, Zbigniew im Hauptteil Großpolens mit Gnesen, in Kujawien und Masowien, Boleslaw in Kleinpolen, Schlesien und im Westen Großpolens mit Posen. Beide waren offenbar gleichberechtigt [6 Von einigen polnischen Historikern, so von R. Grodecki, wird angenommen, daß Zbigniew als Senior die väterliche Oberherrschaft übernommen hatte.], von vornherein scheinen es aber beide auf die Vorherrschaft über den Bruder, vielleicht auch auf dessen Vertreibung abgesehen haben. Dabei verbündete sich der weit energischere und beim Adel beliebtere Boleslaw mit Svjatopolk II. von Kiew, dessen Tochter Zbislava er 1103 ohne Einverständnis Zbigniews heiratete, und mit Koloman von Ungarn. Zbigniew war dagegen mit dem Böhmen-Fürsten Borivoj und Vladislav verbündet, die schon 1103 in Schlesien einfielen, um der Tributforderung Nachdruck zu verleihen, doch konnte Boleslaw, der Sohn der Böhmin Judith mit ihnen verwandt, dies Verhältnis wenigstens zeitweise normalisieren. Zweifelhaft bleibt, ob Zbigniew tatsächlich auch mit den heidnischen Pomoranen im Bündnis gegen den bruder war. Sicher stellte er sich gegen dessen alljährliche Feldzüge in ihr Land, da ihre Rachezüge auch seine benachbarten Gebiete bedrohten.
Die erste Phase der Bruderkämpfe endete im Jahre 1105 mit einem Kompromiß, der aber schon im folgenden Jahr gebrochen wurde. Mit Hilfe der ungarischen und reußischen Hilfstruppen gelang Boleslaw, der sich 1106 in bedrängter Lage befunden und Zbigniew schon die Oberherrschaft angeboten hatte, ein weitgehender Triumph. Zbigniew erkannte den Jüngeren zu Beginn des Jahres 1107 als Oberherrn an und behielt nur Masowien als Lehen.
Bereits im folgenden Winter 1107/08 vertrieb Boleslaw den Bruder auch aus diesem Restgebiet, begünstigt durch den Thronwechsel in Böhmen, wo sein früherer Parteigänger Svatopluk von Mähren den mit Zbigniew verbündeten Borivoj verdrängt hatte.
Zbigniew suchte gegen diesen Rechtsbruch Hilfe beim Kaiser, wie es auch die ungarischen und böhmischen Prätendeten während der Thronkämpfe taten. HEINRICH V. nutzte die günstige Gelegenheit, das theoretisch seit dem Merseburger Hoftag von 1033 bestehende Lehnsverhältnis Polens [7 Als HEINRICH IV. 1086 seinen getreuen Parteigänger Vratislav I. von Böhmen zum König von Böhmen und Polen ernannte, machte er Polen sogar zu einem böhmischen Afterlehen, praktische Konsequenzen hatte dieser Schritt aber nicht, zumal Wladyslaw Herman seit 1088 HEINRICHS IV. Schwager war.] zum Reich wieder nachdrücklich in Erinnerung zu bringen, zumal Boleslaw 1108 bei HEINRICHS Feldzug nach Ungarn mittelbar als Gegner des Kaisers aufgetreten war. Der Kaiser forderte die Wiederherstellung der Mitregierung für Zbigniew und einen Tribut von 300 Mark jährlich oder die Stellung von 300 Rittern. Während Boleslaw die erste Forderung als Einmischung strikt ablehnte, gestand er dem Kaiser, falls er sie für die römische Kirche brauche, grundsätzlich seine Hilfe zu, wandte sich aber scharf gegen die ultimative Form der Forderung. Der daraufhin im Spätsommer 1109 mit böhmischer Unterstützung unternommene Feldzug HEINRICHS V. gegen Boleslaw erzwang zwar den Übergang über die Oder, das kaiserliche Heer erschöpfte sich aber in der vergeblichen Belagerung von Glogau, und seine weiteren Abteilungen wurden durch geschickt geführte kleine Überfälle der polnischen Truppen in Schlesien geschwächt, ohne daß es zu größeren Kämpfen [8 Die von der späteren Legende berichtete für Boleslaw siegreiche Schlacht auf dem Hundsfeld bei Breslau war allenfalls ein für den Feldzugsverlauf unwichtiges kleines Gefecht, das der gleichzeitig, die Belagerung von Glogau seitenlang beschreibende Chronist "Gallus" nur mit einem Satz erwähnt.] kam. Die Ermordung des Böhmen-Herzogs Svatopluk im kaiserlichen Lager brachte wegen der ungeklärten Nachfolgefrage in Böhmen weitere Schwierigkeiten, so daß das kaiserliche Heer den Rückzug antrat.
Trotz dieses in späteren Darstellungen breit geschilderten kaiserlichen Mißerfolges wurden die Beziehungen nicht feindlich, Herzog und Kaiser scheinen sich vielmehr über einen für das noch zu erobernde Pommern zu zahlenden Tribut geeinigt zu haben. Bedeutender war der Triumph gegenüber Böhmen, wo Boleslaw zweimal die Prätendenten auf den herzogsstuhl erfolgreich unterstützte, wo aber im Jahre 1111 mit dem vom Kaiser eingesetzten Herzog Vladislav I. nach einem polnischen Sieg an der Trutina [9 Mit diesem sonst unbekannten Fluß ist wohl die Aupa gemeint, an der Trautenau liegt.] (Oktober 1110) ein Friede geschlossen wurde, durch den Boleslaw III. außer der Anerkennung von Eroberungen in Schlesien (Ratibor, Cosel) den Verzicht auf den seit 1054 geforderten Tribut ereichte. Das seit 80 Jahren bestehende Übergewicht des bömischen Rivalen war damit beseitigt, das neue friedliche Verhältnis durch Boleslaws zweite Ehe mit der Deutschen Salomea von Berg, der Schwägerin Vladislavs I. (1113) [10 Vladislav hatte 1112 Rixa von Berg, sein Vetter Otto von Mähren eine dritte Schwester Sophia von Berg geheiratet.)], befestigt. Boleslaw nahm schließlich im Winter 1112/13 auch den zuletzt in Böhmen weilenden Zbigniew wieder auf, gab ihm ein kleines Lehen und verbürgte ihm persönliche Sicherheit. Kurz nach Zbigniews Rückkehr ließ er ihn jedoch gefangennehmen und blenden, wohl nicht durch Zbigniews Rachepläne, sondern durch falsche Verdächtigungen zu dieser Untat veranlaßt. Der elfjährige Bruderkampf endete also mit Zbigniews endgültiger Ausschaltung [11 Fast gleichzeitig endledigte sich König Koloman von Ungarn seines Bruders Almos auf die gleiche Weise.]. Verrat und Bluttat belasteten aber den Herzog und dürften ein Beweggrund für den verderblichen Entschluß zur testamentarischen Reichsteilung gewesen sein.
Nach der endgültigen Sicherung seines Thrones nahm Boleslaw den seit 1102 mit kurzen Unterbrechungen andauernden Kampf gegen die Pomoranen (1102-1122) wieder auf. Die erste Phase dieser ungewöhnlich erbitterten Kämpfe schloß mit der vollständigen Gewinnung der Netze-Linie durch die Erobberung der starken pommoranischen Burgen Nakel und Wyszogrod (unweit Bromberg) 1113. Die zweite Phase brachte die allmähliche Eroberung der verschiedenen  pomoranischen Kleinfürstentümer und Gebiete und schloß mit der förmlichen Unterwerfung Herzog Wartislaws von Stettin im Jahre 1121. Er verpflichtete sich zur Annahme des Christentums, zu Tribut und Anerkennung der polnischen Oberherrschaft.
Politisch kreuzten sich die Interessen und des Reiches im Pommern ebenso wie die kirchlichen Interessen Magdeburgs und Gnesens, da Herzog Wartislaw 1127/28 auch die Hoheit des Kaisers anerkannte. Zu einem Konflikt kam es jedoch nicht, Boleslaw wurde vielmehr infolge seiner Mißerfolge in Ungarn und gegen Böhmen zum Nachgeben genötigt. In Ungarn war auf Stefan II., den Sohn von Boleslaws früherem Verbündeten Koloman, 1131 Bela II. der Blinde, Sohn des Almos, gefolgt. Thronansprüche erhob ein Sohn Kolomans aus zweiter Ehe, Boris, den Boleslaw bewaffnet unterstützte, obwohl Koloman an seinen Schwägern Sobieslav von Böhmen und Adalbert von Österreich Rückhalt hatte. Zwei nach Ungarn geführte Feldzüge Boleslaws endeten mit völligen Mißerfolgen (1132 und 1134) und riefen nun vier verwüstende Vergeltungsfeldzüge der Böhmen nach Schlesien hervor. Darüber hinaus riefen Bela und Sobieslav Kaiser LOTHAR zum Richter in ihrem Streit gegen Boleslaw an. Der Kaiser zitierte Boleslaw zum Reichstag nach Merseburg (August 1135), wo Boleslaw nicht nur Bela II. anzuerkennen, sondern für Pommern und (das gar nicht eroberte) Rügen den Lehnseid zu leisten und einen hohen Tribut von 6.000 Mark als Nachzahlung für 12 Jahre [12 Es ist unklar, welchen Zeitraum diese 12 Jahre umfassen. Wären es die Jahre 1123-1134, dann hätte Boleslaw, der selbst nur 300 Mark jährlich von Pommern erhielt, noch 200 Mark zuzahlen müssen. Möglicherweise sind es die Jahre 1110-1121. Dann muß man aber annehmen, daß Boleslaw sei 1122 den Tribut gezahlt hatte.] zu zahlen hatte. Obwohl beide Leistungen sich wohl nur auf Pommern bezogen, konnte der feierliche Treueid und das Vorantragen des Schwertes vor dem Kaiser doch als Wiederherstellung des einstigen Abhängigkeitsverhältnisses verstanden werden, wenn dem Fürsten auch bei der Rückkehr von einer Wallfahrt nach Hildesheim in Magdeburg hohe Ehren zuteil wurden.
Im Osten unterstützte Boleslaw III. zunächst den mit ihm doppelt verschwägerten Jaroslav aus der Linie der Izjaslavici in seinem Kampf um Vladimir am Bug (1121 und 1123), freilich ohne Erfolg. Den für ihn besonders gefährlichen und mit den Pomoranen verbündeten Volodar von Przemysl konnte einer der Vertrauten Boleslaws, Peter Wlast, 1120 durch List gefangennehmen und zu einem Bündnis zwingen, mit dem aber keine Oberhoheit über Przemysl verbunden gewesen sein dürfte.
Gegen Ende seiner Regierungszeit verband Boleslaw seine Familie durch zwei Ehen mit den ursprünglich bekämpften Monomachovici von Perejaslav.

                       Das Testament Boleslaws III.

Kurz vor seinem Tode regelte Boleslaw die in Polen wie in Böhmen und Ungarn stets neue innere Kämpfe verursachende Erbfolgefrage durch einn Teilungs- und Seniorratssystem. Die vier ältesten Söhne - der jüngste, Kasimir, ging zunächst leer aus - erhielten jeder ein erbliches Teilgebiet, dessen Grenzen etwa den alten Stammesgrenzen entsprachen, Wladyslaw Schlesien mit Breslau, Boleslaw Masowien und Kujawien mit Plock, Mieszko Großpolen mit Posen, Heinrich Kleinpolen mit Sandomir. Der jeweils älteste des Geschlechtes sollte zu seinem Erbteil das westliche Kleinpolen mit dem inzwischen Hauptort gewordenen Krakau, die Länder Sieradz und Leczyca und wahrscheinlich auch die alte Krönungsstätte Gnesen sowie die Oberhoheit über Pommern erhalten. Der Senior sollte die Einheit des Landes nach außen verkörpern und alle Prärogativen des Landesfürsten auf dem Gebiet der Verwaltung, des Gerichts, der Münze und des Heerwesens ausüben. Die Teilgebiete waren nicht als eigene Fürstentümer, sondern als Versorgungsgebiete gedacht. Trotzdem besiegelte das Testament doe dast zwei jahrhunderte andauernde Aufteilung in Einzelfürstentümer und leitete eine Periode schwer überschaubarer innerer Kämpfe ein.
Boleslaw III. ist nach Mieszko I. und Boleslaw I. zweifellos der bedeutendste Fürst des frühen PIASTEN-Staates. Seine große Energie und sein politisches Geschick erschöpften sich aber auch nach Erringung der Alleinherrschaft in den vielfachen, meist dynastisch begründeten Unternehmungen gegen seine Nachbarn, und die zunächst errungenen Erfolge waren nicht von Dauer. Die Wiederherstellung des Königtums hat er nicht angestrebt und seinen Söhnen keine andere Staatsidee als die Betrachtung des Staates als Familiengut hinterlassen.