Lexikon des Mittelalters:
********************
Krakau
---------
I. Stadt:
Vom 11. bis zum Ende des 16. Jh. war Krakau Hauptresidenz
der polnischen Herrscher. Die günstige Lage ermöglichte eine
fast kontinuierliche Besiedlung seit der Altsteinzeit. Der sogenannte Kopiec
Krakusa ('Erdhügel des Krakus') auf der rechten Weichselseite ist
entweder in keltischer Zeit oder um das 7. Jh. als Grablege eines Stammeshäuptlings
entstanden. Um das 8. Jh. wurde an der linken Weichselseite auf dem Wawel-Hügel
ein mächtiger Burgwall in Holz-Erde-Technik mit teilweise befestigter
Vorburg im Nerrichtet. Diese Burganlage war bis in das 9. Jh. Hauptzentrum
des Stammesgebietes der Wislanen. Durch Krakau führte einer der wichtigsten
Handelswege des damaligen Europa (von Kiev über Prag nach Regensburg),
der sich in Krakau mit der S-N-Verbindung zwischen Ungarn und dem Ostseegebiet
kreuzte. Die spätere, seit Anfang des 13. Jh. urkundlich greifbare
Sage verband die Entstehung Krakaus mit Krak (»Drachenhöhle«
am Wawel), dem angeblichen Herrscher der (Alt-)Polen (Lechiten; Lech),
und seiner Tochter Wanda. Zunächst wurde Krakau bei dem jüdischen
Reisenden Ibrahim ibn Ya<kub um 965/966 als zu Böhmen gehörig
erwähnt. Am Ende des 10. Jh. kam Krakau an Polen und wurde bald eines
der wichtigsten Zentren des frühpolnischen Staates, seit 1000 Bischofssitz
im Rahmen der Gnesener Metropole. Von der böhmischen Intervention
und dem Aufstand der 30-er Jahre des 11. Jh. weitgehend verschont,
wurde Krakau seit Kasimir I. die Hauptresidenz
der polnischen Fürsten und Könige und teilte diese Funktion nur
vorübergehend mit Plock und Gnesen. 1079 wurde in Krakau im Namen
Boleslaws II. Smialy Bischof Stanislaw
ermordet, den man 1254 heiligsprach und zum Patron Polens erhob. Das Thronfolgestatut
Boleslaws III. Krzywousty von 1138 erhob Krakau zur Hauptstadt
des Fürstentums, von dem aus der Senior die Oberherrschaft über
die jüngeren Piasten ausübte.
Es wurde bald zum Objekt interner Machtkämpfe (u. a. 1146,1177,1191,1229)
in Polen. 1223 ließen sich die ersten Dominikaner, 1237 die ersten
Franziskaner in Krakau nieder, 1241 wurde die Stadt (außer der Burg)
von den Mongolen zum großen Teil zerstört. Nach vergeblichen
Versuchen erhielt Krakau 1257 das Magdeburger Stadtrecht durch Herzog
Boleslaw V., was zur Entstehung einer bedeutenden planmäßigen
Stadtanlage mit großem Markt, zum Bau einer mächtigen Stadtbefestigung
und zur Verbindung der Stadt mit dem Wawel führte. In der Mitte des
13. Jh. war das Stadtareal etwa 50 ha groß und umfaßte mindestens
20 Kirchen. Früh nahm Krakau den führenden Platz im geistigen
Leben Polens ein. Nach 1000 begann die Annalistik (»Annales capituli
Cracoviensis«; Chronik, M.II), im 12. Jh. entstand die Domschule,
der später eine Schule bei der Marienkirche und eine dominikanische
folgten. Am Anfang des 13. Jh. entstand in Krakau die polnische Chronik
des Bischofs Vincentius Kadlubek als erstes umfassendes Zeugnis des polnischen
Nationalbewußtseins. Dazu gab es seit dem 13. Jh. eine umfangreiche
Hagiographie (hl. Stanislaw, hl. Hyazinth, hl. Kunigunde u. a.).
In der 2. Hälfte des 13. Jh. kam es erneut zu Auseinandersetzungen
um Krakau. Das seit 1285 durch Leszek den
Schwarzen besonders begünstigte Krakau gelangte 1291 an
Wenzel II., 1306 an Wladyslaw
Lokietek. Nach der Überwindung eines proböhmischen
Aufstandes des zum großen Teil deutschstämmigen Patriziats unter
der Führung des Vogtes Albert (1311-12) wurden der Stadt die Privilegien
vorübergehend entzogen bzw. reduziert. Seit der Königskrönung
Lokieteks 1320 war Krakau bis zum 18.
Jh. Krönungsstadt der polnischen Könige. Kasimir
III. der Große gründete die Nachbarstädte
Kazimierz (1355) und Kleparz (1366), die aber keine wirtschaftl. Konkurrenz
für Krakau bedeuteten und in der Neuzeit in Krakau eingemeindet wurden.
1419 wurde Stradom Kazimierz angeschlossen. Seit 1306 mit dem Stapelrecht
ausgestattet und in regem Handelsaustausch mit den Städten der böhmischen
Krone (besonders Prag und Breslau) sowie mit Thorn im Deutschordensstaat,
erlebte Krakau in der 2. Hälfte des 14. Jh. seine erste Blütezeit.
1364 wurde die Universität gegründet, nach Prag die zweite in
Mitteleuropa. 1400 erneuert, wurde sie im 15. Jh. ein anerkanntes Zentrum
der Wissenschaft und des geistigen Lebens. Neben dem kanonischen Recht
und der Theologie wurden in Krakau die artes liberales (besonders Mathematik
und Astronomie) sowie Medizin gelehrt und studiert. 1356 richtete Kasimir
der Große den obersten Gerichtshof auf der Krakauer
Burg ein, als höhere Instanz des deutschen Rechts in Polen.
Krakau blieb von der allgemeinen Krise, die den großen
Epidemien von 1348-50 folgte, weitgehend verschont. Die Stadt blieb Zentrum
des Wirtschafts- und Kulturlebens des polnischen Königreiches, obwohl
sich dessen Grenzen in der 2. Hälfte des 14. Jh. stark nach O
verschoben und Krakau seitdem an der Peripherie lag. Seit der 2. Hälfte
des 14. Jh. war Krakau (wie Breslau) Mitglied der Hanse, spielte aber wohl
keine aktive Rolle. Die Einwohnerzahl Krakaus wird für die Zeit um
1400 auf etwa 14.000 geschätzt. Außer den Zuwanderern aus Polen
haben in Krakau viele Deutsche (vornehmlich aus Bayern, dem Rheinland und
Sachsen), aber auch Italiener, Franzosen, Flamen, Ungarn und Böhmen
gewohnt. 1427 zählte man in Krakau 28 Zünfte, gegen Ende des
Mittelalters 13 Klöster, seit 1473 ist der Buchdruck bezeugt. In der
2. Hälfte des 14. Jh. wirkte sich die steigende wirtschaftliche Bedeutung
Danzigs nachteilig auf die Stellung Krakaus aus. Ihren kulturellen Höhepunkt
erreichte die Stadt Krakau erst im 16. Jh., als sich auch frühere
humanistische Ansätze vollständig entfalteten. 1495 mußten
die Juden von Krakau nach Kazimierz übersiedeln, wo eine namhafte
jüdische Gemeinde entstand.
Von großer Bedeutung sind die romanischen und gotischen
Bauwerke: unnter anderem Dom (I [roman.], Dom des hl. Wenzel mit Gereon-Krypta,
II [1095-1142], III [got., 1322-1364]), St. Andreas-Kirche, Marienkirche
am Hauptmarkt und Profanbauten. Die gotische Burg auf dem Wawel entstand
im 14. Jh. an der Stelle des älteren Holzbaues.
II. Bistum:
Die Hypothese von der Existenz eines slavischen Bistums in Krakau vor dem Jahre 1000 läßt sich nicht beweisen. Das 1000 entstandene Bistum (neben Breslau, Kolberg und dem schon seit 968 in Posen existierenden) wurde der Gnesener Metropole als Suffraganbistum untergeordnet. Um die Mitte des 11. Jh. erhielt Aaron die Erzbischofswürde, die allerdings nicht in Krakkau verblieb. Seit dem 13. Jh. nahmen die Krakauer Bischöfe (1207 wurde hier die erste kanoniische Bischofswahl durchgeführt) den zweiten Platz in der polnischen Kirche nach dem Gnesener Erzbischof ein und machten ihm später gelegentlich den Rang streitig. Die Diözese war die größte im mittelalterlichen Polen und umfaßte ca. 54000 km². Am Ende des Mittelalters gab es im Bistum 253 Siedlungen (darunter 11 Städte) mit insgesamt 3019 Hufen.
J. Strzelczyk