[1 Nachträglich für den Druck niedergeschriebene
und um Anmerkungen sowie ein kurzes Literaturverzeichnis erweiterte Fassung
meines am 18.02.2001 im Potsdamer Schloß Lindstedt in der Reihe „Lindstedter
Begegnungen – Gespräche über Preußen“ gehaltenen Vortrages
zum Thema: „Bevor die Hohenzollern kamen. Entstehung und Entwicklung der
Mark Brandenburg und Preußens bis zur Machtübernahme der Hohenzollern“.]
Lutz Partenheimer
Wenn gerade 2001 häufig der Begriff „Preußen“
gebraucht wird, ist meist nicht in erster Linie das ursprünglich damit
benannte Gebiet um Königsberg (Ostpreußen) bzw. Danzig (Westpreußen)
gemeint, sondern der HOHENZOLLERN-Staat,
dessen Kern die Mark bzw. das Kurfürstentum Brandenburg bildete. Unter
den vier Königreichen, die es bis zum Ende der Monarchien in Deutschland
im Jahre 1918 gab, nahm Preußen in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung
ein, und das nicht nur, weil es der größte Bundesstaat und sein
König seit 1871 Deutscher Kaiser war.
Die Kurfürsten von Bayern und Württemberg [2
Württemberg,
seit dem 13. Jh. eine Grafschaft, ab 1495 Herzogtum, hatte 1803 den Rang
eines Kurfürstentums erhalten.] erhielten ihre Königskronen zur
Jahreswende 1805/06 für ihre Abkehr vom Heiligen Römischen Reich
Deutscher Nation und den Übergang zu Napoleon
von
dem französischen Kaiser. Dem verdankte auch der Kurfürst von
Sachsen die Rangerhöhung Ende 1806 zum Dank dafür, daß
er nach der Niederlage von Jena und Auerstedt seinen Verbündeten Preußen
verließ und zum Sieger überging. Das fünfte im 19. Jahrhundert
auf deutschem Boden zeitweilig existierende Königreich entstand, als
das Kurfürstentum Hannover auf dem Wiener Kongreß 1815 die entsprechende
Aufwertung erfuhr. Da Hannover 1866 im Krieg zwischen Preußen und
Österreich auf dessen Seite stand, wurde es vom Sieger annektiert.
Während also die Kurfürsten von Bayern, Württemberg,
Sachsen und Hannover ihre Königskronen im Zusammenhang mit der Napoleonischen
Ära und der Auflösung des deutschen Königreiches erhielten,
entstand die preußische Monarchie mehr als 100 Jahre früher
und auf gänzlich anderem Wege.
Im mittelalterlichen deutschen Reich, das sich vom 9.
bis zum 11. Jahrhundert aus dem östlichen Teil des zerfallenen Frankenreiches
entwickelte, gelang auf Dauer nur den Herzögen von Böhmen der
Aufstieg in den Königsrang. Diese Würde war ihnen im 11. und
im 12. Jahrhundert von den deutschen Königen verliehen worden, die
seit 962 auch die 476 erloschene, 800 für den Franken-König
KARL DEN GROSSEN (768-814) erneuerte Kaiserkrone des (West-)
Römischen Reiches trugen. Viel später strebte auch Kurfürst
Friedrich III. von Brandenburg (1688-1713) nach einer Königskrone.
Dafür gab es mehrere Ursachen: Zum einen begann der Kurfürstentitel
an Exklusivität zu verlieren, da der Kreis der 1356 in der Goldenen
Bulle Kaiser KARLS IV. festgelegten
sieben Reichsfürsten, denen die Wahl (Kur) des deutschen Königs
zustand, immer größer wurde. Erst hatte es der Herzog von Bayern
1623, dann auch noch der Herzog von Braunschweig-Lüneburg 1692 zum
Kurfürsten gebracht. Dessen Sohn erhielt 1701 darüber hinaus
die Anwartschaft auf den englischen Königsthron. Bereits 1697 war
es Kurfürst Friedrich August von Sachsen
gelungen, König von Polen zu werden. [3 Es handelt sich um
den bekannten August den Starken. Als
polnischer König führte er nur den zweiten seiner beiden Namen.]
Doch nach welcher Krone konnte der HOHENZOLLER
Friedrich
III., Markgraf und Kurfürst von Brandenburg, greifen?
Damals wurde u. a. der Titel „ König von Brandenburg“
vorgeschlagen. Tatsächlich gab es im 12. Jahrhundert einen auf der
Brandenburg residierenden Slawenfürsten, der wahrscheinlich zumindest
zeitweilig den Königstitel trug [4 Helmut ASSING: Albrecht
der Bär als marchio de Brandenburg und marchio Brandenburgensis. Werdegang
und Hintergründe einer Titeländerung. In: DERS.: Brandenburg,
Anhalt und Thüringen im Mittelalter. Askanier und Ludowinger beim
Aufbau fürstlicher Territorialherrschaften. Zum 65. Geburtstag des
Autors hg. von Tilo KÖHN/Lutz PARTENHEIMER/Uwe ZIETMANN. Köln/Weimar/Wien
1997, S. 133-176, hier S. 152-170; Hans-Otto GAETHKE: Königtum im
Slawenland östlich der mittleren und unteren Elbe im 12. Jahrhundert.
Eine Untersuchung zur Frage nach der Herkunft des Königtums Pribislaw-Heinrichs
von Brandenburg. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands
(JGMOD) 46/2000, S. 1-111.]. Doch Friedrich III.
wandte zu Recht ein, daß auch ein König von Brandenburg wenigstens
de jure ein dem deutschen König und Römischen Kaiser unterstehender
Herrscher wäre. Anders als die Mark Brandenburg galt das Herzogtum
(Ost-) Preußen, das Friedrichs
Vorfahren 1618 geerbt hatten, als ein außerhalb des Reiches liegendes
Gebiet. Während der HOHENZOLLER
als Kurfürst von Brandenburg zumindest nominell dem Kaiser unterstand,
war er als preußischer Herzog souverän. Deshalb beschloß
er, den HABSBURGER [5 Kaiser
Leopold I. (1657-1705).] in Wien zur Anerkennung der Erhebung
des Herzogtums Preußen zum Königreich zu bewegen, was ihm schließlich
gelang. Mit seiner Selbstkrönung zum „König in Preußen“
am 18.1.1701 in Königsberg hatte der Hohenzoller das Ziel erreicht.
Diesen Titel nahm Friedrich I. – wie
er sich nun nannte – an, weil Westpreußen damals noch zu Polen gehörte.
Nach der Krönung kehrte der frischgebackene König
in die Mark Brandenburg zurück. Hier residierte er wie zuvor in Berlin
und Potsdam, also außerhalb seines neuen Königreiches. Das Wissen,
mit der Mark bzw. dem Kurfürstentum Brandenburg und dem Königreich
Preußen (neben unter anderen Titeln regierten Gebieten) zwei unterschiedlichen,
nicht einmal geographisch miteinander verbundenen Staaten vorzustehen,
ist noch für den Enkel des ersten preußischen Königs, Friedrich
den Großen (1740-1786), belegt. So beschränkte er
sich im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) bei der Defensive im wesentlichen
auf die Verteidigung der Mark, während er nicht ernsthaft versuchte,
die Besetzung Ostpreußens durch die Russen rückgängig zu
machen. Im Vorfeld der ersten Teilung Polens schrieb er seinem Bruder Heinrich,
daß man sich am besten Westpreußen nehmen solle, um einen Zugang
„zum Königreich“ zu erhalten. Das geschah 1772, und seitdem nannte
sich Friedrich der Große auch
offiziell „König von Preußen“. Schon 1701 hatte aber die Tendenz
begonnen, sämtliche von den HOHENZOLLERN
beherrschten Lande (mit der Mark Brandenburg im Zentrum) nach ihrem höchsten
Titel als Königreich Preußen zu bezeichnen. Dieser Prozeß
fand seinen Abschluß schließlich 1815. Damals wurden alle von
den brandenburgischen HOHENZOLLERN
regierten Lande als Provinzen des Königreiches Preußen neu organisiert.
Titel wie „Markgraf“ und „Kurfürst“, deren Befugnisse vom mittelalterlichen
deutschen Königtum abgeleitet sind, waren spätestens 1806 gegenstandslos
geworden, als sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation unter
dem Druck Napoleons auflöste.
Die Mark Brandenburg und Preußen haben ursprünglich
überhaupt nichts miteinander zu tun. Die diesem den Namen gebenden
„Prußen“ waren ein baltischer Stamm, der im 9. Jahrhundert zuerst
in den schriftlichen Quellen erscheint und wie Germanen und Slawen zur
indoeuropäischen Sprachfamilie gehörte. Der heutige Brandenburger
Raum dagegen wurde im Zusammenhang mit der Völkerwanderung im 4./5.
Jahrhundert von der Masse der bisher hier sitzenden germanischen Stämme
geräumt. In das Gebiet rückten später slawische Verbände
ein, die hauptsächlich aus den heutigen Regionen Polen und Böhmen
kamen. Das geschah im 6./7. Jahrhundert. Für die brandenburgische
Vorgeschichte wurden vor allem die sogenannten Havel-Spree-Stämme
wichtig, deren bedeutendste Gruppierung die im 9. Jahrhundert erstmals
erwähnten Heveller bildeten. Ihre Eigenbezeichnung lautete „Stodoranen“.
Östliche Eckpunkte des Hevellergebietes waren vermutlich die Burgwälle
von Potsdam [6 Horst GEISLER/Klaus GREBE: Poztupimi - Potstamp -
Potsdam. Ergebnisse archäologischer Forschungen. Potsdam 1993.] und
Spandau [7 Adriaan VON MÜLLER: Spandau. Fürstenburg, Fernhandelsplatz
und frühe Stadt. Neue Forschungsergebnisse zu seiner mittelalterlichen
Geschichte. Berlin 1997.]. An diese Region grenzte ein breiter Waldgürtel
im heutigen Berliner Raum [8 Helmut ASSING: Die Anfänge deutscher
Herrschaft und Siedlung im Raum Spandau-Potsdam-Berlin während des
12. und 13. Jahrhunderts. In: DERS.: Brandenburg, Anhalt und Thüringen
im Mittelalter (wie Anm. 4), S. 103-131]. Östlich davon saß
der slawische Stamm der Spreewanen. Ihr Zentrum war eine große Burg
an der Stelle des Köpenicker Schlosses [9 Joachim HERRMANN:
Köpenick. Ein Beitrag zur Frühgeschichte Groß Berlins (Ergebnisse
der archäologischen Stadtkernforschungen in Berlin 1 = Deutsche Akademie
der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Vor- und Frühgeschichte
12). Berlin 1962.].
Die Führung des Stammes der Havelslawen übernahmen
Fürsten, die spätestens seit dem 9. Jahrhundert auf der im 7.
angelegten Brandenburg residierten. Von der Anlage sind oberirdisch keine
Reste mehr erhalten. Auf einem Teil ihres ehemaligen Areals erhebt sich
der Brandenburger Dom [10 Dessen Standfestigkeit ist immer wieder
gefährdet, weil unter bestimmten Bereichen seiner Fundamente Abschnitte
der alten Burggräben liegen.]. Die slawische Befestigung bestand im
wesentlichen aus einem Holz-Erde-Wall hinter einem Graben. Im 10. Jahrhundert
hatte die runde Hauptburg nach den archäologischen Grabungen einen
Durchmesser von 120 Metern [11Klaus GREBE: Die Brandenburg vor eintausend
Jahren. Potsdam 1991.]. Damals gerieten die Heveller ins Visier des germanischen
Stammes der Sachsen. Diese saßen etwa im heutigen Gebiet von Niedersachsen,
Westfalen, Schleswig-Holstein und der Altmark einschließlich des
Harzraumes. Sie wurden Ende des 8. Jahrhunderts von KARL
DEM GROSSEN gewaltsam in das Reich der Franken eingegliedert,
das dieser germanische Stamm um 500 auf den Trümmern des weströmischen
Staates errichtet hatte. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts
bildete sich bei den Sachsen ein Herzogtum heraus. In dieses wurde auch
der germanische Stamm der Thüringer einbezogen. 919 erhielt Herzog
Heinrich von Sachsen den Königstitel für den Ostteil
des inzwischen zerbrochenen Frankenreiches. Wahrscheinlich im Winter 928/29,
als Eis die Wasserhindernisse passierbar machte, belagerte und nahm der
Herrscher die Brandenburg. Diese Ersterwähnung der alten Havelfeste
ist allerdings nicht zeitgenössisch. Der Bericht über den Winterfeldzug
stammt von dem Mönch Widukind, der um 970 im Kloster Corvey an der
Weser eine Chronik verfaßte.
König HEINRICH (919-936)
zwang
nach der Eroberung der Brandenburg noch weitere slawische Stämme zur
Anerkennung der Oberhoheit des Ostfrankenreichs, zum Schluß die Böhmen.
Sein Sohn und Nachfolger OTTO I. (936-973) wollte
sich nicht mit einer lockeren Tributherrschaft begnügen, sondern die
Unterworfenen fester in das Ostfrankenreich eingliedern. Dazu dienten vor
allem drei Maßnahmen: Die slawischen Siedlungsgebiete wurden in sogenannte
Burgwarde eingeteilt, indem man etwa 5 bis 20 Dörfer einer im Zentrum
liegenden Burg zuordnete. Außerdem bildete der Herrscher für
die Slawengebiete Marken, also Grenzgrafschaften. Die diesen vorgesetzten
Markgrafen erhielten gegenüber den im Innern des Frankenreiches seit
dem 6. Jahrhundert als regionale Vertreter des Königs amtierenden
Grafen Sondervollmachten. Vor allem hatten sie in den unsicheren Grenzzonen
Unruhen zu verhüten bzw. niederzuwerfen und feindlichen Einfällen
entgegenzutreten. Nach dem Tode des in Gernrode im Harz bestatteten Markgrafen
Gero (965), der sich weite Bereiche des Raumes zwischen Ostsee und
Erzgebirge unterworfen hatte, teilte OTTO I.
dessen „Großmark“ auf. Das Land zwischen Elbe, Elde, Peene, Oder
und Fläming wurde die Nordmark, südlich davon entstanden die
sächsische Ostmark (Lausitz) und die Mark Meißen. Vermutlich
in diesem Zusammenhang gründete der Herrscher wahrscheinlich 965 für
das Gebiet der Nordmark zur Christianisierung der heidnischen Slawen die
Bistümer Brandenburg und Havelberg, deren Stiftung man bisher meist
in das Jahr 948 gesetzt hat [12 Clemens BERGSTEDT: Die Havelberger
Stiftungsurkunde und die Datierung der Gründung des Bistums Havelberg.
In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 61/1997,
S. 61-88; Lieselott ENDERS: Zur Frühgeschichte des Bistums Havelberg.
In: Ebenda, S. 38-60; Helmut ASSING: Wurde das Bistum Brandenburg wirklich
948 gegründet? In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte
(JBLG) 49/1998, S. 7-18; Dietrich KURZE: Otto I. und die Gründung
des Bistums Brandenburg: 948, 949 oder 965? In: JBLG 50/1999, S. 12-30;
Helmut ASSING: Das Bistum Brandenburg wurde wahrscheinlich doch erst 965
gegründet. In: JBLG 51/2000, S. 7-29; Clemens BERGSTEDT: „Ein Festungsturm
im Angesicht des Feindes“. Zur Frühgeschichte des Bistums Havelberg.
Berlin 2000.]. 968 wurden sie dem neu geschaffenen Erzbistum Magdeburg
unterstellt.
Doch die Slawenpolitik war nur ein Teil der Bestrebungen
OTTOS
I. zur Ausweitung seiner Macht. 951 wurde er auch König
von Nord- und Mittelitalien, 962 krönte ihn der Papst zum Römischen
Kaiser. Als OTTO II. (973-983), der
Sohn und Nachfolger, bei der Intensivierung dieses Politikstranges im Kampf
gegen die von Sizilien aufs Festland drängenden Araber im Juli 982
im Süden Italiens eine Niederlage erlitt, die ihn zur Anforderung
neuer Truppen aus dem Norden zwang, wagten die unterworfenen Slawen einen
Aufstand. Am 29. Juni 983 überfielen sie Havelberg, drei Tage später
Brandenburg. Zwar konnte ihr Vordringen an der Elbe gestoppt werden, doch
das Gebiet rechts des Flusses blieb verloren. Urheber des Aufstandes war
der Lutizenbund, dessen führender Stamm, die Redarier, sein Hauptheiligtum
Rethra vielleicht im Bereich des Tollensesees hatte. Der Rebellion schlossen
sich die Obodriten an. Dieser Stammesverband saß im Gebiet Lübeck-Schwerin-Rostock.
Zu allem Übel starb Ende 983 auch noch Kaiser
OTTO II. Dessen 980 geborener Sohn OTTO
III. (983-1002) begann 991 mit Rückeroberungversuchen,
in deren Verlauf man die Brandenburg mehrmals vorübergehend wieder
besetzen konnte. Vor dem Hintergrund dieser Feldzüge enstanden die
Herrscherurkunden, in denen 993 Potsdam und 997 wahrscheinlich Beelitz
(evtl. auch Belzig [13 Joachim HERRMANN: Belzig 997: „Das Burgwardium
jedoch heißt gemeinhin Belizi ...“ Buch 2 zum Jubiläum 997-1997.
Wittenberg 1994; Tilo KÖHN/Lutz PARTENHEIMER: Beelitz und Belzig im
Streit um eine Tausendjahrfeier. Ein Beitrag zur Ostpolitik Kaiser Ottos
III. im Jahre 997. Potsdam/Fichtenwalde 1996.] ) erstmals genannt werden.
Ein Feldzug des 996 zum Kaiser gekrönten
OTTO
III. ins Havelland im Jahre 997 beendete die letztlich erfolglosen
Versuche, die Ergebnisse des Slawenaufstandes von 983 militärisch
zu revidieren. Schließlich schloß
HEINRICH
II. (1002-1024), der nächste Herrscher, mit den heidnischen
Lutizen sogar ein Bündnis gegen die Westexpansion des in der zweiten
Hälfte des 10. Jahrhunderts enstandenen polnischen Staates. Für
das 11. Jahrhundert sind kaum Versuche des inzwischen vom ostfränkischen
zum deutschen entwickelten Reiches zur Wiedereroberung der 983 verlorenen
Slawengebiete überliefert. Immerhin ließ man den Anspruch auf
sie nicht fallen. So setzten die deutschen Könige auch weiterhin Markgrafen
für die Nordmark sowie Bischöfe von Brandenburg und Havelberg
ein, die allerdings ihre Amtssprengel nicht betreten konnten.
In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts wuchsen
Spannungen zwischen den slawischen Stämmen, auch nahm der gegen sie
gerichtete Expansionsdruck der Dänen und Polen zu. Um 1100 faßten
ostsächsische Fürsten in dem Bestreben, ihre Macht im Wettbewerb
untereinander und gegen den König zu stärken, auch die Ausdehnung
der Einflußsphären über Elbe und Saale hinaus ins Auge.
Zunächst nahm der Markgraf der Nordmark wahrscheinlich im Winter 1100/01
nach einer viermonatigen Belagerung die Brandenburg vorübergehend
wieder ein. Aber auch andere begannen in diesen Jahren mit einer expansiven
Ostpolitik, so das Erzbistum Magdeburg und Graf Otto der Reichevon Ballenstedt
(am
Harz). Er gehört zu dem nach einer alten Burg bei Aschersleben „ASKANIER“
genannten Geschlecht, das mit seinem Großvater Esico 1036 erstmals
in den Quellen erscheint. Nach neueren Forschungen befand sich der Stammsitz
dieses Grafenhauses vermutlich im Raum Köthen, bevor es sich auch
um Ballenstedt und Aschersleben festsetzte [14 Helmut ASSING: Die
Anfänge askanischer Herrschaft im Raum Köthen. In: DERS.: Brandenburg,
Anhalt und Thüringen im Mittelalter (wie Anm. 4), S. 177-188; DERS.:
Die askanischen Herrschaftsrechte auf dem Territorium des Herzogtums Anhalt
in der Zeit Albrechts des Bären (1120-1170). In: Ebenda, S. 189-209.].
Otto
dehnte
den askanischen Einflußbereich außerdem wahrscheinlich um 1110
über die Elbe nach Norden bis an die Grenze des Hevellerfürstentums
aus, die vermutlich bei Görzke verlief [15 Helmut ASSING:
Die Anfänge askanischer Herrschaft in den Gebieten östlich der
Elbe. In: Friedrich BECK/Klaus NEITMANN (Hg.): Brandenburgische Landesgeschichte
und Archivwissenschaft. Festschrift für Lieselott ENDERS zum 70. Geburtstag
(Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 34).
Weimar 1997, S. 21-35.]. Als er 1123 starb, setzte sein Sohn diese Politik
fort. Es ist der bekannte
Albrecht der Bär, dessen Beiname
schon Helmold von Bosau, ein zeitgenössischer Chronist, nennt. Den
Grund kennen wir nicht, vielleicht wollte man ihn so von seinem großen
Rivalen Heinrich dem Löwen unterscheiden. Für den eigentlichen
Namen des ASKANIERS, Adalbert, haben die Historiker die Kurzform
üblich werden lassen.
Albrecht, der um 1100 an einem unbekannten Ort
geboren wurde und 1120 erstmals in den Quellen erscheint, gelang zunächst
in den Jahren von 1123 bis 1125 im Bunde mit Herzog
Lothar von Sachsen gegen den Willen Kaisers
HEINRICHS V. (1106-1125) gewaltsam der Aufstieg zum Markgrafen
der Lausitz. Sein Hauptaugenmerk richtete er aber wohl bereits damals auf
die Ausweitung des askanischen Einflusses auf dem Boden der Nordmark. Hierzu
wählte der ASKANIER jedoch nicht Krieg, sondern knüpfte
Kontakte zu Pribislaw, einem Angehörigen der Hevellerdynastie, der
unter dem Namen Heinrich Christ geworden war. Es soll nicht ausgeschlossen
werden, daß Albrecht in dem Zusammenhang Druck ausübte. Jedenfalls
erreichte er, daß ihm Pribislaw-Heinrich die Nachfolge im Hevellerfürstentum
zusicherte und dessen Südteil, die Zauche (südlich des zwischen
Brandenburg und Potsdam liegenden Havelabschnitts), dem damals geborenen
ersten Sohn des Markgrafen bei der Taufe als Patengeschenk übereignete.
Wahrscheinlich war der Slawenfürst zu diesem Zeitpunkt (1123-1125
[16 Helmut ASSING: Albrecht der Bär als marchio de Brandenburg
und marchio Brandenburgensis. Werdegang und Hintergründe einer Titeländerung.
In: DERS.: Brandenburg, Anhalt und Thüringen im Mittelalter (wie Anm.
4), S. 133-176, hier S. 143-151.] ) noch nicht im Besitz der Herrschaft
auf der Brandenburg, konnte sie aber – vermutlich mit Unterstützung
des ASKANIERS – 1127 oder bald darauf erringen.
Als Ende 1128 der Nordmarkgraf, vermählt mit der
Schwester Albrechts, starb, versuchte der 1129 gewaltsam auch in
den Besitz dieser Mark zu gelangen. Als dabei ein Rivale von Männern
des ASKANIERS 1130 erschlagen wurde, griff König
LOTHAR III. (1125-1137) durch. Ein anderer erhielt die Nordmark,
und der Herrscher entzog Albrecht 1131 die Lausitz, zu der er ihm
als Herzog von Sachsen verholfen hatte. Fast schien es, als sollte der
ASKANIER,
vom Markgrafen zum Grafen von Ballenstedt und Aschersleben zurückgestuft,
in geschichtlicher Bedeutungslosigkeit versinken. Da fiel der neue Nordmarkgraf
auf LOTHARS erstem Italienzug (1132/33),
auf dem sich der ebenfalls teilnehmende Albrecht ausgezeichnet haben
soll. Dafür belehnte ihn der 1133 in Rom zum Kaiser gekrönte
Herrscher Anfang 1134 mit der Nordmark. Das war neben Albrechts
Abmachungen mit Pribislaw-Heinrich ein weiterer wichtiger Schritt auf dem
Wege zur Mark Brandenburg.
Zunächst rückten aber andere Probleme für
den ASKANIER in den Vordergrund. Sein Ehrgeiz war mit dem Wiederaufstieg
zum Markgrafen noch nicht befriedigt. Nach dem Willen des 1137 ohne männliche
Nachkommen sterbenden Kaisers LOTHAR
sollte dessen Schwiegersohn Herzog Heinrich der Stolze von Bayern aus dem
Hause der WELFEN Sachsen und wohl auch
die Königskrone übernehmen. Doch das Herzogtum Sachsen erstrebte
auch Albrecht der Bär, dessen Mutter Eilika eine Tochter
des letzten Sachsen-Herzogs aus dem Geschlecht der BILLUNGER war.
Ihre Schwester Wulfhild gebar als Gemahlin Herzog Heinrichs des Schwarzen
von Bayern Heinrich den Stolzen [17 Albrecht der Bär
und Heinrich der Stolze waren also Vettern.]. Außer Wulfhild
und Eilika hatte Magnus, der 1106 gestorbene letzte männliche
BILLUNGER,
keine Kinder hinterlassen. Albrecht setzte auf die Fürstenfraktion,
die aus Furcht vor der Macht Heinrichs des Stolzen
KONRAD
III. (1138-1152) aus dem schwäbischen Herzogsgeschlecht
HOHENSTAUFEN
zum König wählte. Der entzog dem ihm trotzenden WELFEN
die Herzogtümer Bayern und Sachsen, das Albrecht der Bär im
Sommer 1138 erhielt. Der ASKANIER stieg so vom Markgrafen in die
höchste Gruppe des weltlichen deutschen Hochadels nach dem König,
die Riege der Herzöge, auf. Doch sollte er nicht lange Freude an dem
neuen Titel haben, denn mehrere sächsische Fürsten – mit der
königlichen Entscheidung nicht einverstanden – unterstützten
Heinrich den Stolzen, der Sachsen nicht kampflos aufgeben wollte. Dazu
gehörten der Erzbischof von Magdeburg und Konrad von Wettin, seit
1123 Markgraf von Meißen, ab 1136 auch Markgraf der Lausitz. Selbst
der Tod Heinrichs des Stolzen im Herbst 1139 befreite Herzog Albrecht
nicht von seinen Feinden, die nun für die Rechte des unmündigen
Sohnes des WELFEN, des späteren
Heinrich des Löwen, fochten. Im Verlauf der Kämpfe wurde 1140
sogar die dabei zuerst erwähnte Burg Anhalt (auf dem Großen
Hausberg über dem Harzer Selketal, südlich von Ballenstedt) zerstört,
nach der die ASKANIER auch ANHALTINER genannt werden. Über
das nach ihr benannte Fürsten-, später Herzogtum leiht die Burg
dem Bundesland Sachsen-Anhalt bis heute den zweiten Teil des Namens. Ob
sie von Albrecht dem Bären, einem seiner Vorfahren oder einem
anderen Adelsgeschlecht, vielleicht sogar vom Königtum errichtet wurde
und dann erst nachträglich in askanische Hände kam, ist völlig
offen. Schließlich mußte der von seinen Gegnern vertriebene
und von KONRAD III. nur halbherzig
unterstützte ASKANIER auf das Herzogtum Sachsen verzichten,
mit dem der König 1142 den jungen Heinrich den Löwen belehnte.
Vor Albrecht standen nun zwei Hauptaufgaben: Zum
einen galt es, die durch die Kämpfe um Sachsen verwüsteten Stammbesitzungen
wiederaufzubauen, und andererseits seinen Einfluß in der Nordmark
auszuweiten. Diese und die askanischen Güter zwischen Harz und Mulde
sowie in der Altmark hatte er für den Verzicht auf die Herzogswürde
zurückerhalten. Nebenbei konnte er aus dem Nachlaß eines 1140
erbenlos verstorbenen Vetters die Grafschaft Weimar-Orlamünde übernehmen.
Wahrscheinlich aus diesem Jahr stammt auch die erste Urkunde, die Albrecht
den Bären als „Markgraf von Brandenburg“ bezeichnet. Dabei handelt
es sich um ein in der königlichen Kanzlei ausgestelltes Schriftstück.
Ihm folgen bis 1152 noch 12 weitere Herrscherurkunden, die den ASKANIER
so nennen. Doch noch saß der Hevellerfürst Pribislaw-Heinrich
auf
der Havelfeste. Albrecht übernahm inzwischen die Schutzherrschaft
(Vogtei) über die ersten östlich der mittleren Elbe gegründeten
Klöster, nämlich Leitzkau (1139) und Jerichow (1144).
1147 gehörte der ASKANIER zu den Führern
des Hauptheeres im sog. Wendenkreuzzug. Den unternahmen vor allem ostsächsische
Fürsten statt einer Beteiligung an dem von den Königen von Deutschland
und Frankreich begonnenen 2. Kreuzzug in den Orient. Das wahrscheinlich
bei Magdeburg zusammengezogene Heer marschierte über Havelberg, dann
vermutlich Malchow bis Demmin und Stettin. Bei der Belagerung dieser pommerschen
Burgen blieb man stecken. Nachdem die Pommern den Kreuzfahrern versichert
hatten, daß sie bereits Christen seien, kehrten die Deutschen um.
Immerhin demonstrierte Albrecht mit diesem weiten Vorstoß
seinen Anspruch als Markgraf der Nordmark bis zum Oderhaff gegenüber
Pommern, Polen, aber auch Heinrich dem Löwen. Darüber hinaus
gab es Gebietsgewinne, wenn auch kleineren Ausmaßes. So konnte wahrscheinlich
der Bischof von Havelberg nun endgültig seinen Sitz wieder beziehen,
wo der Dombau begann. Vermutlich gelang auch einigen kleineren Adelsgeschlechtern
im Zusammenhang mit dem Wendenkreuzzug die Etablierung eigener Herrschaften,
u. a. den Edlen Herren Gans zu Putlitz in der Prignitz, vielleicht auch
den aus dem Harzvorland stammenden Arnsteinern im Ruppiner Raum [18
Johannes
SCHULTZE: Der Wendenkreuzzug 1147 und die Adelsherrschaften in Prignitz
und Rhingebiet. In: JGMOD 2/1953, S. 95-124; Uwe ZIETMANN: Deutsche Herrschaftsbildung
im Gebiet zwischen oberer Havel und oberem Rhin während des 12. und
13. Jahrhunderts. Diss. Potsdam 1991.]. Albrecht selbst erwarb dabei
evtl. das Land des Retschanenstammes um Gransee, Zehdenick, Templin und
Lychen [19 Lieselott ENDERS: Die Uckermark. Geschichte einer kurmärkischen
Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des
Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam 28). Weimar 1992, S. 31-34].
Das Hevellerfürstentum blieb sicher nicht zufällig
vom Wendenkreuzzug verschont. Um seine christliche Gesinnung zu demonstrieren,
holte Fürst Pribislaw-Heinrich einen Prämonstratenserkonvent
aus dem Kloster Leitzkau und siedelte ihn bei der Gotthardtkirche in Parduin,
der späteren Brandenburger Altstadt, an. Auch auf dem Boden der nachmaligen
Neustadt lebten damals wohl schon deutsche Händler und Handwerker.
Und schließlich konnte Albrecht selbst kaum daran gelegen
sein, daß das Gebiet, auf dessen Übernahme er hoffte, verwüstet
oder von Rivalen als Beute beansprucht wurde.
1150 war es dann endlich soweit: Pribislaw-Heinrich starb,
und der von dessen Witwe benachrichtigte Markgraf kam, um nach rund fünfundzwanzigjährigem
Warten von der Brandenburg Besitz zu ergreifen. Er ließ den letzten
Hevellerfürsten beisetzen, „Räuber und Götzendiener“ aus
der Feste vertreiben, die er dann einer deutsch-slawischen Besatzung anvertraute,
bevor er sie wieder verließ. Damit deutet die einzige Quelle, die
Einzelheiten von dem Herrschaftswechsel auf der Brandenburg überliefert,
vielleicht an, daß sich dieser nicht völlig gewaltfrei vollzog,
aber von Kampfhandlungen hören wir in dem Zusammenhang nichts. So
wurde die lange zuvor angebahnte Rückkehr der alten Hevellerresidenz
in deutsche Hände – ohne Schlacht und Belagerung – endlich von Erfolg
gekrönt. Den in der königlichen Kanzlei für ihn schon seit
rund zehn Jahren zuweilen verwendeten Titel eines Markgrafen von Brandenburg
legte sich der ASKANIER auch nach ihrer Übernahme nicht zu.
Es ist außerdem bis heute nicht klar, was die in den betreffenden
Königsurkunden – meist von dem häufig am Hofe tätigen und
mit Albrecht dem Bären befreundeten Abt Wibald von Stablo und
Corvey konzipiert – gebrauchte neue Bezeichnung zum Ausdruck bringen sollte.
Wurde der ASKANIER damit als Erbe des Hevellerfürstentums charakterisiert?
Oder bedeutete es, daß Albrecht im Falle der Übernahme
der Brandenburg trotz der Vereinbarungen mit Pribislaw-Heinrich dort nur
im Auftrag der Krone zu herrschen hatte? Schließlich galt die alte
Havelfeste seit dem 10. Jahrhundert zumindest de jure als Burg des Königs,
deren Nordhälfte darüber hinaus dem Bischof übertragen war.
Oder wählte Wibald einfach eine Hauptburg, nach der der Amtsbezirk
des Markgrafen der Nordmark künftig bezeichnet werden sollte – wie
bei der Mark Meißen? [20 Dazu vor allem die erste der beiden
unter Anm. 4 genannten Arbeiten.]
Seine neue Brandenburger Herrschaft trat für Albrecht
den Bären offenbar schnell wieder in den Hintergrund, denn 1151
nahm er – erneut verbündet mit KONRAD III.
– wieder den Kampf mit Heinrich dem Löwen auf. Der ASKANIER
wollte anscheinend nicht auf eine führende Rolle in Sachsen verzichten.
Auch diesmal ließ ihn der König im Stich, und dessen Neffe und
Nachfolger FRIEDRICH BARBAROSSA (1152-1190) unterstützte
seinen Vetter, den Herzog [21 BARBAAROSSAS
Mutter Judith und Heinrichs des Löwen Vater Heinrich der Stolze waren
Geschwister.]. Wieder mußte sich Albrecht der Bär notgedrungen
auf die Nordmark und die askanischen Stammgüter orientieren. 1155
nahm er mit seiner Familie an der von Erzbischof Wichmann von Magdeburg
(1152/54-1192) zelebrierten Weihe der neuen Leitzkauer Klosterkirche teil.
Vermutlich im Frühjahr 1157 wurde Albrecht die
Brandenburg plötzlich noch einmal entrissen. Ein gewisser Jaxa, der
polnischer Magnat gewesen sein soll und vielleicht von der Burg Köpenick
aus das Spreewanenfürstentum beherrschte, konnte nach Bestechung der
markgräflichen Besatzung eines Nachts mit einer als „Polenheer“ bezeichneten
Mannschaft in die Havelfeste einziehen. Die Wiedergewinnung der Brandenburg
erforderte große Anstrengungen. Albrecht zog Mannschaften
zusammen, wobei ihm Erzbischof Wichmann von Magdeburg und weitere sächsische
Fürsten und Edelleute Kontingente zuführten. Dann begann eine
lange und harte Belagerung der Brandenburg. Während der Kämpfe
fiel u. a. ein Neffe des Markgrafen in einem Kahn, woraus erhellt, daß
die Angriffe auch von der Havel aus vorgetragen wurden. Schließlich
kapitulierten die Eingeschlossenen, und am 11. Juni 1157 konnte Albrecht
der Bär wieder in die Brandenburg einziehen, auf der er sein Banner
hissen ließ. Deshalb gilt dieser Tag als „Geburtstag der Mark Brandenburg“.
Daß deren unmittelbare Anfänge mit einer blutigen Belagerung
verknüpft sind, war nicht die Schuld Albrechts des Bären.
Er wartete von etwa 1125 bis 1150 geduldig auf die friedliche Übernahme
der Brandenburg und ist zu ihrer Rückeroberung gezwungen worden! Einzelheiten
der langen Geschichte von der Inbesitznahme der alten Hevellerresidenz
durch Albrecht den Bären überliefert nur ein wohl Ende
des 12. Jahrhunderts verfaßter Bericht des Brandenburger Domherrn
Heinrich von Antwerpen, der auch dort die Grundlage für einige Chroniken
des 13. Jahrhunderts bildet, wo diese die entsprechenden Ereignisse ebenfalls
erwähnen. Das Original von Heinrichs Schrift ist verloren; sie wurde
im ausgehenden 13. Jahrhundert im Kloster Leitzkau in eine Gründungsgeschichte
des Stifts eingearbeitet, die heute auch nur noch als Abschrift (und zwar
aus dem 16. Jahrhundert) im Magdeburger Landeshauptarchiv aufbewahrt wird
[22 Der Bericht Heinrichs von Antwerpen (mit Übersetzung) in:
Winfried SCHICH/Jerzy STRZELCZYK: Slawen und Deutsche an Havel und Spree.
Zu den Anfängen der Mark Brandenburg (Studien zur internationalen
Schulbuchforschung. Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts 82/B IV:
Deutsche und Polen – Geschichte einer Nachbarschaft. Handbuch für
Geschichtslehrer. Teil B/IV. Hannover 1997, S. 34-41, außerdem im
Internet veröffentlicht von Tilo KÖHN: http://golm.rz.uni-potsdam.de/hva/.].
Nachdem er die Havelfeste erneut – diesmal mit dem Schwert
– in Besitz genommen hatte, begann Albrecht der Bär selbst,
seinen Titel mit der Brandenburg zu verbinden. Die erste überlieferte
Quelle hierfür ist eine von ihm am 3. Oktober 1157 im altmärkischen
Werben ausgestellte Urkunde, in der er sich „Markgraf in Brandenburg“ nennt.
Vermutlich wollte er so das alte Hevellerfürstentum als eine vom Reich
weitgehend unabhängige askanische Herrschaft charakterisieren. Das
konnte BARBAROSSA natürlich nicht
zulassen. Seine Kanzlei brachte Albrechts Titel bereits seit 1152
nicht mehr mit der Havelfeste in Verbindung. Nun, vermutlich zu Beginn
des Jahres 1158, ernannte der Kaiser einen Burggrafen von Brandenburg,
der dort offenbar die Reichsrechte gegenüber dem Markgrafen wahren
sollte. Dazu wählte der Herrscher einen Adligen, dessen bis heute
nicht genau lokalisierte Stammburg Jabilinze anscheinend südöstlich
von Magdeburg lag und der wohl inzwischen die zuvor slawische Burg Belzig
zum Zentrum einer eigenen Herrschaft gemacht hatte. Außerdem war
vermutlich der Vater des neuen Burggrafen rund zwanzig Jahre früher
wegen einer Verschwörung gegen Albrecht den Bären von
diesem hingerichtet worden. So wählte BARBAROSSA
als seinen Vertreter in Brandenburg geschickt jemanden, der dem Markgrafen
aus Rache und territorialer Konkurrenz sicher alles andere als Sympathie
entgegenbrachte. Die Einsetzung des Burggrafen war aber für Albrecht
den Bären nicht der einzige Wermutstropfen im Becher der Siegesfreude.
Er mußte auch seine Helfer belohnen. Wahrscheinlich erhielt Erzbischof
Wichmann von Magdeburg vom Markgrafen mit den Burgen Potsdam und Spandau
Randbezirke des alten Hevellerfürstentums. Schließlich mußte
Albrecht
auch der Rückkehr des Bischofs zustimmen. Der hatte bereits 1161 den
Prämonstratenserkonvent bei der Parduiner St.-Gotthardt-Kirche zum
Domkapitel erhoben, das am 8. September 1165 feierlich auf die Brandenburg
umzog. Dort legte der Bischof dann am 11. Oktober den Grundstein zum Dombau.
Albrecht der Bär und sein ältester Sohn
Otto,
der bereits zu Lebzeiten des Vaters auch den Brandenburgischen Markgrafentitel
führte, legten diesen trotzdem nicht mehr ab, sondern benutzen ihn
im Gegenteil immer häufiger, während die Nordmark aus den Quellen
verschwindet. Die beiden Fürsten begannen in der Folgezeit, Siedler
in ihre dünn bevölkerten Slawengebiete zu holen. Sie kamen vor
allem aus dem Harzraum, aus den askanischen Besitzungen zwischen Harz und
Mulde sowie aus der Altmark, auch aus Holland, Seeland und Flandern, die
damals zum Deutschen Reich gehörten. Leute von dort waren besonders
wegen ihrer Fähigkeiten im Deichbau willkommen. So erfahren wir noch
zu Lebzeiten Albrechts des Bären aus schriftlichen Quellen,
daß er z. B. im Havelberger Raum Holländer ansiedelte. Bei deren
Anwerbung half ihm der Umstand, daß diese Menschen in ihrer Küstenheimat
damals besonders unter schweren Sturmfluten litten, wie u. a. für
den 17. Februar 1164 überliefert. Die Umsiedler begannen mit Eindeichungen
an Elbe und Havel. Neue Dörfer wurden angelegt, slawische erweitert.
Durch die Gründung eines Marktes beim Dorf Stendal – wohl um 1160
– leitete Albrecht der Bär (und sicher nicht nur dort) die
Entwicklung zur Stadt ein [23 Abdruck der Urkunde (mit Übersetzung):
Urkunden und erzählende Quellen zur deutschen Ostsiedlung im Mittelalter.
Hg. von Herbert HELBIG/Lorenz WEINRICH. Erster Teil: Mittel- und Norddeutschland,
Ostseeküste (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des
Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 26 a). 3. Aufl.,
Darmstadt 1984, Nr. 32. Als Burgen (sicher nicht alle, sondern die wichtigsten)
seiner Mark nennt Albrecht der Bär hier Brandenburg und Havelberg
sowie die in der seit dem 14. Jh. so genannten Altmark gelegenen Orte Werben,
Arneburg, Tangermünde, Osterburg und Salzwedel.].
Die letzten Jahre des alten Markgrafen prägten wieder
Kämpfe mit Heinrich dem Löwen. Dabei führte Albrecht
seit 1166 in Verbindung vor allem mit dem Magdeburger Erzbischof und Landgraf
Ludwig dem Eisernen von Thüringen maßgeblich eine Koalition
gegen den Herzog von Sachsen an. Dieser geriet derart unter Druck, daß
er – um wenigstens den Rücken freizuhaben – wohl Anfang 1167 mit dem
bisher von ihm bekämpften Obodritenfürsten Pribislaw Frieden
schloß. Der WELFE überließ
ihm einen Teil des von Pribislaw als Erbe beanspruchten Gebietes, und der
Obodrite wählte die südlich von Wismar gelegene Mecklenburg als
Sitz. Damit begann die Entstehung dieses Fürstentums (seit 1348 Herzogtum).
Deshalb darf Albrecht der Bär getrost als einer der Geburtshelfer
Mecklenburgs bezeichnet werden, wenn er das sicher auch nicht plante.
Die Kämpfe endeten erst im Sommer 1170 auf wiederholten
Druck des Kaisers, der mehrfach zugunsten des bedrängten Herzogs interveniert
hatte. So beschloß Albrecht der Bär sein Leben wohl in
der bitteren Erkenntnis, die übermächtige Stellung des von BARBAROSSA
gestützten WELFEN zwar erschüttert,
aber nicht zum Einsturz gebracht zu haben. Es scheint Symbolcharakter zu
besitzen, daß die letzte von dem ASKANIER überlieferte
Handlung wieder auf dem Boden der entstehenden Mark Brandenburg erfolgte.
Am 16. August 1170 wohnte er im Kreise seiner Söhne der von Erzbischof
Wichmann von Magdeburg vorgenommenen feierlichen Weihe des Havelberger
Domes bei. Ein Vierteljahr später, am 18. November 1170, starb
Albrecht
der Bär an einem unbekannten Ort. Nach Berichten aus dem 16. Jahrhundert
ruht er neben seiner Gemahlin Sophia in der Nikolaikapelle des erhaltenen
Westwerks der im Bauernkrieg zerstörten Klosterkirche auf dem Ballenstedter
Schloßberg. Sophia, vermutlich eine Tochter Graf Hermanns
I. von Winzenburg (nordwestlich von Bad Gandersheim), war bereits 1160
gestorben. Bei den 1880 an der angegebenen Stelle gefundenen Skeletten
eines Mannes und einer Frau dürfte es sich um die sterblichen Überreste
Albrechts
und seiner Gemahlin handeln. Ihre heutige Gestalt erhielt die Grabkapelle
auf Veranlassung des letzten Herzogs von Anhalt 1938 durch den Architekten
Schultze-Naumburg, den Erbauer des Potsdamer Schlosses Cecilienhof.
Albrechts ältester Sohn Otto I. folgte
in der jungen Mark Brandenburg, die damals hauptsächlich aus dem östlichen
Teil der späteren Altmark und den Landstrichen um Havelberg und Brandenburg
bestand. Da seinen Brüdern die anderen vom Vater hinterlassenen Gebiete
zwischen Ballenstedt und Wittenberg, um Weimar und Orlamünde sowie
bei Weißenfels zugefallen waren, rückte die Existenz des neuen
Fürstentums wohl erst jetzt stärker ins öffentliche Bewußtsein.
Auch das Verhältnis zum Reich erfuhr eine Klärung: Die Mark Brandenburg
wurde zwar nicht als unabhängiger Herrschaftsbereich der ASKANIER,
aber immerhin als Lehnsfürstentum im Verband des deutschen Königreiches
anerkannt. Die Kanzlei der Herrscher griff den Titel „Markgraf von Brandenburg“
1172 wieder auf und bezeichnete seitdem Otto I. und dessen Nachfolger
stets so.
Der Sturz des zu selbstherrlich gewordenen Heinrich des
Löwen durch FRIEDRICH BARBAROSSA
im Jahre 1180 hätte Albrecht den Bären garantiert erfreut,
die Folge für die askanische Familie sicher noch mehr. Zum neuen Herzog
von Sachsen erhob der Kaiser den jüngsten Sohn des ersten Markgrafen
von Brandenburg, Bernhard. Der besaß als Graf von Aschersleben
die Stammbesitzungen zwischen Harz und Mulde und wurde schon seit den letzten
Tagen des Vaters nach der unterdessen wiederaufgebauten Burg Anhalt zuweilen
auch als Graf von Anhalt bezeichnet. Während Bernhard Herzog
Sachsens wurde, stieg sein Bruder Siegfried 1180 zum Erzbischof
von Bremen auf. Zuvor war dieser seit 1173 Bischof von Brandenburg. Im
Jahre 1180 gründete ihr ältester Bruder Otto mit Lehnin
auch das erste Kloster in der Mark. Es wurde zur Grablege der brandenburgischen
ASKANIER. Das unter Mitwirkung Albrechts des Bären und
seiner Vorfahren gestiftete Kloster Ballenstedt am Harz gehörte ja
infolge der Erbteilung zum Gebiet von Ottos jüngstem Bruder
Bernhard.
Mit der Gründung Lehnins wollte der zweite Markgraf von Brandenburg
wahrscheinlich auch die zunehmende Nord- bzw. Nordostausdehnung der Herrschaft
stoppen, deren Inhaber sich spätestens seit 1201 bis zu ihrem Aussterben
1251 (oder bald darauf) Grafen von Belzig nannten [24 Helmut ASSING:
Neue Überlegungen zur ursprünglichen Funktion des Klosters Lehnin.
In: DERS.: Brandenburg, Anhalt und Thüringen im Mittelalter, S. 41-61.
Zur gesamten Geschichte des ältesten märkischen Klosters jetzt
Stephan WARNATSCH: Das Zisterzienserkloster Lehnin von der Gründung
1180 bis zur Auflösung 1542. Berlin 2000.]. Bernhard errang
mit der neuen Würde indes die gewaltige frühere Machtstellung
Heinrichs des Löwen bei weitem nicht. Außerhalb seiner askanischen
Gebiete konnte er eine herzogliche Gewalt im wesentlichen nur um Lauenburg
(bei Hamburg) behaupten. Nach Bernhards Tod im Jahre 1212 übernahm
der älteste Sohn Heinrich die Güter zwischen Harz und
Mulde als Grafschaft und Fürstentum Anhalt [25 Der Fürstentitel
ist erstmals 1215 überliefert. Später teilten die Anhaltiner
ihren Herrschaftsbereich häufig, vor allem 1603, wobei Dessau; Bernburg,
Köthen und Zerbst die wichtigsten Residenzen wurden. Die Fürsten
nahmen 1806/07 den Herzogstitel an. 1793 erlosch der Zerbster, 1847 der
Köthener, 1863 der Bernburger Zweig. Jetziger Chef der Familie ist
Prinz Eduard, Sohn des letzten Herzogs von Anhalt.], während der jüngere,
Albrecht,
Herzog von Sachsen wurde. Unter dessen Nachkommen spaltete sich diese Linie
Ende des 13. Jahrhunderts in die Zweige Sachsen-Wittenberg und Sachsen-Lauenburg
[26 Die askanischen Herzöge von Sachsen-Lauenburg starben 1689
aus.]. Als der Wittenberger Strang 1422 erlosch, kam sein Gebiet mit der
1356 in der Goldenen Bulle bestätigten Kurwürde durch den König
1423 an Markgraf Friedrich den Streitbaren von Meißen aus dem Hause
WETTIN [27 Da die herzogliche wie die kurfürstliche
Würde vor dem Markgrafentitel rangieren, wurde der Name „Sachsen“
nun nach und nach auf alle wettinischen Gebiete, auch die thüringischen,
übertragen, woraus sich Bezeichnungen wie „Großherzogtum Sachsen-Weimar
und Eisenach“, „Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha“, „Herzogtum Sachsen-Altenburg“
sowie „Herzogtum Sachsen-Meiningen“ erklären. Helmut ASSING: Der Aufstieg
der askanischen Markgrafen von Brandenburg in den Kurfürstenrang.
In: Armin Wolf (Hg.): Königliche Tochterstämme, Königswähler
und Kurfürsten (IUS COMMUNE. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts
für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main, Sonderhefte:
Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte). Frankfurt am Main 2001
(im Druck).].
Die Nachfolger Albrechts des Bären in der
Mark Brandenburg bauten diese zielstrebig aus und drängten vor allem
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts WETTINER, Magdeburger,
Pommern, Dänen und Polen sowie kleinere Konkurrenten zurück.
Dabei verlor das Erzbistum vermutlich kurz nach 1200 die Besitzungen um
Spandau und Potsdam, von denen aus es anscheinend die Siedlung Berlin angelegt
hatte. Besonders wichtig für den inneren und äußeren Ausbau
des jungen Fürstentums war die Regentschaft der Markgrafenbrüder
Johann
I. (1220-1266) und Otto III. (1220-1267), denen viele brandenburgische
Städte ihre Anfänge verdanken. Unter den beiden entstanden mehrere
Klöster, darunter als Tochtergründung Lehnins 1258 ein Zisterzienserkonvent
auf dem Pehlitzwerder am Parsteiner See, dessen Verlegung nach Chorin 1273
beurkundet wurde. Um 1250 hatten Johann und Otto die Mark
Brandenburg bis zur Oder ausgedehnt, worauf sie mit der Errichtung der
Neumark östlich des Flusses begannen. Etwa seit der Mitte des 13.
Jahrhunderts galt auch die Mitwirkung der Markgrafen bei der Wahl eines
deutschen Königs als unverzichtbar; Brandenburg errang einen Platz
im sich damals formierenden Kreis der sieben Kurfürstentümer
[28 Helmut ASSING: Der Aufstieg der askanischen Markgrafen von Brandenburg
in den Kurfürstenrang. In: Armin Wolf (Hg.): Königliche Tochterstämme,
Königswähler und Kurfürsten (IUS COMMUNE. Veröffentlichungen
des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt
am Main, Sonderhefte: Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte).
Frankfurt am Main 2001 (im Druck).]. 1256 war Otto III. vorübergehend
sogar selbst Thronkandidat.
Im Innern wurde das Land nach und nach mit einer neuen
Verwaltungstruktur überzogen und statt der alten Burgbezirke in sog.
Vogteien gegliedert. Die Bauern waren frei und besaßen ihre Ackeranteile,
die Hufen erblich. Dafür zahlten sie den Zins an den Grundherren.
Das war in der Regel entweder der Markgraf oder ein von ihm mit dem betreffenden
Land belehnter Ritter. Diese Adligen stammten meist von den Ministerialen,
den Dienstmannen, ab, die Albrecht dem Bären z. B. aus der
Altmark in die entstehende Mark Brandenburg gefolgt waren. Daneben hatten
auch die Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Lebus, deren Domkapitel
sowie Klöster und Kirchen Besitzungen. Ein Drittel des Zehnten erhielt
der Dorfpfarrer, der Rest stand dem Bischof zu, dessen Anteil unter dem
Namen „Pacht“ jedoch mehr und mehr in grundherrliche Hände kam. Die
„Bede“ („Bitte“) wurde zunächst ab und zu in schwankender, seit etwa
1280 regelmäßig in festgelegter Höhe vom Markgrafen als
Steuer gefordert. Insgesamt waren alle diese Abgaben unter den ASKANIERN
erträglich, Frondienste spielten – jedenfalls für die deutschen
Bauern – kaum eine Rolle.
In das 13. Jahrhundert fallen auch die Anfänge Preußens,
die mit dem Deutschen Orden zusammenhängen. Diese vornehmlich aus
deutschen Adligen gebildete Gemeinschaft, die ritterliche und mönchische
Ideale vereinigen wollte, war 1198 in Akkon zum Kampf gegen die Moslems
gegründet worden [29 Als Graf von Arneburg war der spätere
Markgraf
Albrecht II. von Brandenburg (1205-1220) dabei.]. Da sich die schwierige
Lage der Kreuzfahrerstaaten in Palästina nicht besserte, suchte der
an der Spitze des Ordens stehende Hochmeister nach neuen Betätigungsfeldern.
Zunächst warf man im Auftrag des ungarischen
Königs Andreas II. (1205-1235, Vater der heiligen
Elisabeth von Thüringen) ab 1211 die in das Burzenland
im Südosten Siebenbürgens eingedrungenen Kumanen [30 Russische
Bezeichnung (wie auch „Kiptschaken“) für die Polowzer, ein mongolides,
turksprachiges Nomadenvolk, das im 11. Jh. aus dem Wolgagebiet in die Steppen
am Schwarzen Meer gezogen war.] zurück. Der Monarch schenkte den Rittern
das später Burgenland genannte Gebiet, wo sie mit der Anlage von Siedlungen
– u. a. Kronstadt – begannen. Als der ungarische Herrscher aber später
die Entstehung eines eigenständigen Ordensstaates zu fürchten
begann, vertrieb er seine Helfer 1225. Doch schon Anfang 1226 erreichte
den Hochmeister der Hilferuf Konrads von Masowien
[31 Er war damals einer von mehreren polnischen Herzögen.].
Er suchte Beistand zur Abwehr der in sein Gebiet einfallenden Prußen.
Durch das ungarische Abenteuer gewarnt, ließ sich der Hochmeister
noch im gleichen Jahr von Kaiser FRIEDRICH II.
(1212-1250) das Gebiet zusichern, das der Orden im Kampf gegen
diesen heidnischen Baltenstamm erobern würde. Nachdem Herzog
Konrad den Rittern 1230 ein ähnliches Versprechen gegeben
hatte, begannen jahrzehntelange Kämpfe, die erst 1283 mit der völligen
Unterwerfung des Preußenlandes endeten. Die Markgraf Johann I.
und Otto III. von Brandenburg beteiligten sich zwischen 1248/49
und 1266 mehrmals an Heerfahrten zur Unterstützung des Ordens. 1308/09
konnte der Hochmeister außerdem die Herrschaft über Pommerellen
(Westpreußen) übernehmen, worauf er seinen Sitz 1309 von Venedig
auf die Marienburg bei Danzig verlegte.
Etwa zur gleichen Zeit geriet die Mark Brandenburg in
eine Krise, die rund 100 Jahre währen und sich in der Tendenz stetig
verschärfen sollte. 1319 starb mit Markgraf Waldemar der letzte
bedeutende brandenburgische ASKANIER, im nächsten Jahr erlosch
die Linie ganz. Anderen Zweigen des Geschlechts gelang die Übernahme
der Mark nicht. Nachbarn wie Mecklenburg und Pommern rissen Grenzregionen,
u. a. große Teile der Prignitz und der Uckermark an sich. Das Reichsoberhaupt
konnte nicht eingreifen, da damals zwei Könige um den deutschen Thron
kämpften [32 1314 war es zu einer Doppelwahl gekommen: Ein
Teil der Kurfürsten erhob Herzog Ludwig von
Ober-Bayern aus dem Geschlecht der WITTELSBACHER,
der andere den HABSBURGER Friedrich den Schönen.].
Erst als sich LUDWIG DER BAYER (1314-1347)
dabei 1322 in der Schlacht bei Mühldorf am Inn durchgesetzt hatte,
traf er im folgenden Jahr eine Entscheidung über die vakante Mark
Brandenburg: Der Herrscher verlieh sie seinem damals noch unmündigen
Sohn Ludwig, der 1324 in der Mark erschien.
Diese wurde denn auch in den großen Konflikt hineingezogen, der zwischen
König und Papst ausbrach. Daran erinnert das Steinkreuz vor der Berliner
Marienkirche, das zur Sühne dafür aufgestellt werden mußte,
daß wütende Bürger wahrscheinlich 1324 den Propst von Bernau
niedergeschlagen und verbrannt hatten. Dieser Haß war durch die Hetze
des Geistlichen gegen den von der Kurie gebannten König und dessen
Sohn, Markgraf Ludwig von Brandenburg,
entfacht worden. Der mühte sich unterdessen um die Wiedererlangung
der besetzten Grenzzonen. Nach dem Tode Kaiser
[33
Diese Würde trug er seit 1328.] LUDWIGS DES
BAYERN versuchte der Nachfolger KARL
IV. (1346/47 [34 Er wurde 1346 als König gegen den
im folgenden Jahr gestorbenen Kaiser LUDWIG
aufgestellt.] -1378), den WITTELSBACHERN
die Mark abzujagen. Dazu bediente er sich des – wahrscheinlich [35 Ganz
aufgeklärt ist der Vorgang bis heute nicht.] – „Falschen
Waldemar“. Der gab sich 1348 für den 1319 gestorbenen Markgrafen
aus, der Tod und Beisetzung nur vorgetäuscht hätte, um auf langer
Pilgerfahrt für manche Sünde zu büßen. Nun wäre
er zurückgekehrt, um durch die Wiederaufnahme seines Amtes der schwergeprüften
Heimat Hilfe zu bringen. Doch nach wenigen Jahren ließ KARL
IV. den Falschen Waldemar fallen und einigte sich mit den WITTELSBACHERN.
1356 bestätigte ihnen der Herrscher aus dem Hause der Grafen von Luxemburg,
der zu seinen Königskronen für Deutschland und Böhmen inwischen
auch den Römischen Kaisertitel erhalten hatte, in der Goldenen Bulle
die Kurwürde für die Mark Brandenburg. Die regierten so von 1323
bis 1373 nacheinander drei Brüder aus der Familie der herzoglich-bayrischen
WITTELSBACHER [36 Ludwig der Ältere
(1323-1351), Ludwig der Römer
(1351-1365), Otto der Faule (1365-1373).].
In diesem Jahr zwang KARL IV.
den
letzten, seinen Schwiegersohn Otto den Faulen,
dann doch zum Verzicht auf die Mark. Sie kam an das Haus LUXEMBURG,
indem des Kaisers unmündige Söhne vom Vater mit ihr belehnt wurden.
Diese Konstellation erklärt auch das persönliche Erscheinen KARLS
IV. in der Mark Brandenburg, was von keinem anderen deutschen
König überliefert ist. Hier ließ er u. a. die Burg Tangermünde
als einen von damals mehreren Markgrafensitzen [37 Im 13. Jh. hatten
sich die ASKANIER aus Brandenburg zurückgezogen, das sie dem
Bischof überließen, obwohl sie den an die verfallende Havelfeste
geknüpften Titel beibehielten. Meist residierten sie auf den Burgen
Spandau und Tangermünde. Die Bischöfe von Brandenburg und Havelberg
wiederum räumten ihre Sitze zugunsten des jeweiligen Domkapitels und
hielten sich häufig auf den ihnen gehörenden Burgen Ziesar bzw.
Wittstock auf.] ausbauen und das sog. Landbuch der Mark Brandenburg von
1375 anlegen. Darin sind für fast alle Orte die Rechte und Einkünfte
verzeichnet, die dem Markgrafen noch zustanden. Schon die späten Askanier
hatten nämlich aus Geldmangel begonnen, Burgen, Dörfer, Grundbesitz,
Steuern usw. an Ritter und Städte zu verpfänden oder zu verkaufen.
Nach der kurzen Besserung der Lage unter KARL
IV. brachen für die Mark noch finstere Zeiten an. Seine
Söhne WENZEL und SIGISMUND
hatten als Könige Deutschlands, Böhmens und seit 1386 auch noch
Ungarns [38 WENZEL war von 1400 bis
1410 deutscher, bis zu seinem Tode 1419 auch böhmischer König.
SIGISMUND
erhielt 1386 die ungarische, 1410 die deutsche und 1419 die böhmische
Krone. 1433 wurde er Römischer Kaiser. Er starb 1437.] andere Probleme,
z. B. mit der entstehenden Hussitenbewegung oder den auf dem Balkan vordringenden
Türken. 1378 gab WENZEL die Mark
an SIGISMUND, der sie 1388 als Pfand
an ihren Vetter JOST weiterreichte
und sie ihm 1397 ganz überließ. Auch der dachte meist nur an
das Brandenburger Fürstentum, wenn er Geld brauchte. Doch selbst für
die häufigen Verpfändungen und Steuereinziehungen kamen die LUXEMBURGER
nur selten persönlich ins Land. 1402 verkaufte SIGISMUND
sogar die gesamte Neumark an den Deutschen Orden in Preußen. Hauptnutznießer
dieser Situation wurden die aus dem nach Quitzow bei Perleberg benannten
Rittergeschlecht stammenden Brüder Dietrich und Johann. Zu ihren eigenen
Burgen Kletzke, Rühstädt und Quitzöbel brachten sie markgräfliche
wie Friesack, Plaue, Bötzow (Oranienburg), Saarmund und Köpenick,
ja sogar ganze Städte (Rathenow, Strausberg), in ihre Hand. Mal verbündet
mit pommerschen oder mecklenburgischen Herzögen, oft auf eigene Faust,
überfielen sie erzbischöflich-magdeburgische, auch bischöflich-brandenburgische
Besitzungen oder führten Krieg mit dem Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg.
Auch bedrückten sie Klöster und märkische Städte, selbst
Berlin wurde tyrannisiert.
Als die Mark durch JOSTS
Tod 1411 wieder an SIGISMUND fiel,
bat ihn eine Gesandtschaft, zu der vor allem Vertreter der märkischen
Städte gehörten, um Besserung der Zustände in der Heimat.
Dazu reiste die Delegation extra nach Ofen (Budapest), wo SIGISMUND
als König von Ungarn saß. Der Monarch ernannte daraufhin einen
Vertrauten, den Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg, zu seinem
Stellvertreter in der Mark Brandenburg. Der stammte aus dem seit dem 11.
Jahrhundert bekannten Grafengeschlecht, dessen Stammsitz die Burg Hohenzollern
in der Schwäbischen Alb ist. 1192 hatte ein Angehöriger dieser
Familie von Kaiser HEINRICH VI. das
Nürnberger Burggrafenamt erhalten. Friedrich erschien 1412
mit fränkischen Rittern in der Mark, wo er zuerst den Widerstand des
Adels brechen mußte, dem der bisherige herrenlose Zustand gut gefiel.
Vor allem die Quitzows und ihr Anhang wollten die ihnen in den letzten
Jahren zugefallene Stellung nicht aufgeben. Unterstützt von den märkischen
Städten und einigen Nachbarfürsten sowie mit Hilfe der „Faulen
Grete“ [39 Diese vom Deutschen Orden geliehene große Kanone
wog 4,6 Tonnen. Das Rohr war 2,5 m lang und verschoß mit 26 Pfund
Pulver Steinkugeln, die einen Durchmesser von 50 cm und ein Gewicht von
3 Zentnern hatten. Pro Tag konnte das Geschütz etwa 8-10mal feuern.
Um es samt Zubehör und Munition zu transportieren, brauchte man ungefähr
30 Fahrzeuge mit 150 Pferden (Dorothea Goetz: Die Anfänge der Artillerie.
Berlin 1985, S. 22 f.).] belagerte und eroberte der Burggraf im Februar
1414 Friesack, Plaue und weitere Burgen des frondierenden Adels. Nachdem
Friedrich
so die Anerkennung seiner Statthalterschaft im Land durchsetzen konnte,
ernannte ihn König SIGISMUND 1415
zum Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg. 1417 erhielt der
HOHENZOLLER
dann auf dem zu Konstanz tagenden Konzil vom Herrscher die feierliche Belehnung.
Friedrich I. (1415-1440), wie sich der neue Markgraf
und Kurfürst von Brandenburg nun nannte, und seine Nachfolger begannen
mit der Neukonstituierung des Landes. Der Sohn, Friedrich II. Eisenzahn,
ließ in Berlin eine Burg errichten, aus der später das Stadtschloß
erwuchs. 1455 konnte er die Neumark zurückkaufen. Unterdessen verlor
der Deutsche Orden einen langen Krieg (1454-1466) gegen Polen. An dieses
mußten die Ritter daraufhin Westpreußen abtreten und für
Ostpreußen die Oberhoheit des polnischen Königs anerkennen.
Den Sitz des Hochmeisters verlegte man nach Königsberg.
Als 1511 eine Neuwahl für dieses Amt nötig
wurde, fiel sie auf Albrecht von Ansbach [40 Die Fürstentümer
Ansbach und Bayreuth waren im 15. Jh. aus den fränkischen Territorien
der Burggrafen von Nürnberg entstanden.], einen Vetter des damaligen
brandenburgischen
Kurfürsten Joachim I. [41 Die Väter der beiden waren
Brüder.]. Auf Anraten Martin Luthers wandelt der neue Hochmeister
den Ordensstaat 1525 in ein Herzogtum um, für das er dem König
von Polen den Lehnseid leisten mußte. Albrecht heiratete und bekam
einen Sohn, der allerdings auf Grund einer Krankheit regierungsunfähig
blieb. Deshalb erhalten die verwandten HOHENZOLLERN
in Berlin nach Albrechts Tod (1568) von Polen 1569 eine Mitbelehnung mit
Preußen. Zur Stärkung dieser Verbindung heiratete der spätere
Kurfürst
Johann Sigismund (1608-1619) 1594 die Tochter Albrecht Friedrichs (1568-1618),
des kranken Herzogs. Nach dessen Tod wurde der Kurfürst 1618 Herzog
von Preußen. Johann Sigismunds Enkel,
Friedrich Wilhelm,
dem Großen Kurfürsten (1640-1688), gelang es durch seine Beteiligung
am Krieg zwischen Schweden und Polen, dessen Lehnshoheit über Preußen
1660 endgültig abzuschütteln. Damit war er als Herzog dieses
Landes souverän, und sein Sohn, Kurfürst Friedrich III. von
Brandenburg, konnte Preußen 1701 zum Königreich erheben.
Weiterführende Literatur:
Hartmut BOOCKMANN: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel
aus seiner Geschichte. München 1981.
Gerd HEINRICH (Hg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg.
Berlin 1999.
Joachim HERRMANN (Hg.): Die Slawen in Deutschland. Geschichte
und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße
vom 6. bis 12. Jahrhundert. Ein Handbuch. Neubearbeitung (Veröffentlichungen
des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der
Akademie der Wissenschaften der DDR 14). Berlin 1985.
Hans-Dietrich KAHL: Slawen und Deutsche in der brandenburgischen
Geschichte des zwölften Jahrhunderts. Die letzten Jahrzehnte des Landes
Stodor. 2 Halbbde. (MDF 30, 1, 2). Köln/Graz 1964.
Ingo MATERNA/Wolfgang RIBBE (Hg.): Brandenburgische Geschichte.
Berlin 1995.
Lutz PARTENHEIMER: Albrecht der Bär. Gründer
der Mark Brandenburg und des Fürstentums Anhalt. Köln/Weimar/Wien
2001.
Johannes SCHULTZE: Die Mark Brandenburg. Nachdruck Berlin
1989.
Gedruckt in: Mathias IVEN (Hg.): Lindstedter Begegnungen.
Gespräche über Preußen (Teil 2: 1999-2001). Milow/Berlin
2002, S. 14-32.