Gottfried der Bucklige besaß keine Nachkommen. Zur
Regelung der Nachfolge griff er in seinem Testament auf den Sohn seiner
Schwester Ida, die mit dem Grafen Eustachius von Boulogne verheiratet
war, zurück. Dabei adoptierte er diesen Neffen, der ebenfalls Gottfried
hieß, als seinen Sohn. Dessen Nachfolge in der Toscana war natürlich
nicht möglich, weil er nicht der Sohn des verstorbenen Herzogs war.
Dagegen suchte umgekehrt dessen Gemahlin Mathilde Ansprüche in Lothringen
geltend zu machen. Sie fand für ihr Vorgehen gegen Gottfried
einige Verbündete im lothringischen Raum selbst.
Eine zentrale Stellung nahm bei dieser Entwicklung der
Bischof Dietrich von Verdun ein. Das ARDENNER-Haus hatte ja gerade um die
Grafschaft Verdun lange Kämpfe geführt, bei denen es in den dortigen
Bischöfen entsprechende Gegner gefunden hatte. Jetzt nach dem Tode
Gottfrieds des Buckligen hielt Bischof Dietrich den Zeitpunkt gekommen,
die Ansprüche des Bistums voll und ganz durchzusetzen. Damit war von
vornherein ein Zusammengehen mit der Markgräfin gegeben. Ein weiterer
Verbündeter bot sich im Grafen Albert von Namur an, der der Gemahl
der älteren Schwester von des jungen Gottfrieds
Mutter Ida war. Er hielt daher seine Verwandtschaft zu dem verstorbenen
Herzog für näher und seine Ansprüche auf das Erbe für
begründeter. Bischof Dietrich wandte sich außerdem an den Erzbischof
von Reims, der für einige Gebiete von Gottfrieds
Erbe Lehensherr war, um ihn zu veranlassen, auch den Papst an der Sache
zu interessieren. Vermutlich wurde auf diesem Wege erst die Verbindung
zu Mathilde und weiter zwischen ihr und dem Grafen von Namur zustande gebracht.
Der Bischof und der Erzbischof waren sich daher vorher über den einzuschlagenden
Weg einig geworden. Die Grafschaft Verdun sollte an Mathilde übertragen
werden, die sie dann weiter als Lehen an den Grafen Albert zu geben hatte.
Es gelang, Papst Gregor VII. für diesen Plan zu gewinnen. Dadurch
kam zunächst einmal die Transaktion mit der Grafschaft Verdun in
der abgesprochenen Form zustande, der Graf von Namur wurde nach der Belehnung
mit der Vertretung der Interesssen Mathildes beauftragt.
In der Folge wurde zuerst vom Abt von St. Hubert ein
Versuch zu einer gütlichen Einigung gemacht. In seinem Kloster trafen
sich Gottfried und Albert, doch führten
die Unterredungen zu keinem Erfolg. In der Hauptsache scheint es um die
Burg
Bouillon gegangen zu sein, von der jetzt Gottfried
Besitz ergriffen konnte. Albert war es nicht möglich, ihn dort zu
vertreiben, obwohl er dabei vom Bischof von Verdun unterstützt wurde,
da auf der anderen Seite sein Gegner Hilfe von Bischof Heinrich von Lüttich
erhielt. Dieser war mit Gottfried dem Buckligen verwandt gewesen, dem er
ja auch seine Erhebung zu verdanken hatte. Schon aus diesem Grunde ergriff
er die Partei Gottfrieds von Bouillon,
außerdem mußte ihn das starke Anwachsen der Macht des Grafen
von Namur mißtrauisch machen. So kaufte er die Burg Mirwart,
die Albert als Stützpunkt gegen Gottfried
benutzen wollte, von ihrem Eigentümer, der Gräfin Richilde von
Hennegau, und setzte sie in Verteidigungszustand, was sich zum Schutz Gottfrieds
auswirkte.
Während die Auseinandersetzungen um Bouillon begannen, bemühten
sich Gottfrieds Brüder Eustachius
und Balduin um die Organisation militärischer
Hilfe. Daraufhin gelang es ihm auch noch Stenay zu besetzen. Er besaß
indes noch andere Gegner. So stand auf seiten des Grafen Albert der Graf
von Chiny und dessen Verwandter, der Graf Walram I. von Limburg. Auf die
Burg
Bouillon speziell erhob Ansprüche auch Graf Dietrich von der Veluwe,
der damit zum natürlichen Verbündeten des Grafen von Namur wurde.
Dietrich hatte allerdings kein Glück, er geriet im Laufe der Kämpfe
in die Gefangenschaft Gottfrieds, in
der er gestorben ist.
In all diesen Fragen ist nun die Haltung des deutschen
Königs nicht eindeutig zu erkennen. Ohne Schwierigkeiten folgte Gottfried
in der Markgrafschaft Antwerpen nach, die eine von Nieder-Lothringen
unabhängiges Reichslehen darstellte, in das er von HEINRICH
IV. eingewiesen wurde. In Nieder-Lothringen selbst aber traf
der König eine andere Lösung. Er kam sofort nach Utrecht, um
dort die schwebenden Angelegenheiten zu ordnen. Er gab nun das Herzogtum
nicht dem Erben des Verstorbenen, sondern seinem eigenen Sohn KONRAD.
Da dieser noch ein Kind war, ist die Maßnahme einigermaßen
auffallend. Schließlich war Gottfried von
Bouillon im Jahre 1076 noch ein junger Mann, von dem es zweifelhaft
war, ob er sich gegenüber den Großen Nieder-Lothringens werde
durchsetzen können. Allerdings ist es demgegenüber auffallend,
dass der König zum Stellvertreter des kleinen KONRAD
im Herzogsamt den Grafen Albert von Namur wählte, also den Gegner
Gottfrieds.
Albert führte den Titel vicedux. Immerhin besteht auch die Möglichkeit,
dass der König sich des jungen Gottfried
nicht
ganz sicher war. Er war ja schließlich der zweite Sohn des Grafen
Eustachius von Boulogne, der von Frankreich lehnsabhängig war,
der ehedem in der Hauptsache die Verbindung des Grafen Robert von Flandern
zum französischen König gefördert hatte, so dass ein flämisch-französischer
Einfluß in Nieder-Lothringen über die Vermittlung des Hauses
BOULOGNE eintreten konnte, was für einen deutschen König
auf jeden Fall unerwünscht war.
Einsichten über die Meinung Gottfrieds
lassen
sich also auf diesem Wege nicht gewinnen. Seine Familie scheint jedoch
mit einem künftigen Erwerb des Herzogtums gerechnet zu haben, wenn
wir einer englischen Chronik glauben dürfen, die berichtet,
Gottfrieds
Mutter
Ida hätte ihren Sohn mit einer solchen Hoffnung getröstet.
Auf der anderen Seite läßt sich aber auch nicht erweisen, dass
Gottfried
etwa
aktiv auf der Seite des Königs gewirkt hätte. Die in diesem Zusammenhang
auftauchenden Nachrichten über ein Beteiligung an den Sachsenkriegen
können nicht aufrechterhalten werden. Ebenso steht es mit einer angeblichen
Teilnahme am Romzug 1081/82, die uns nur von späteren Quellen berichtet
wird, während die zeitgenössische Chronik von St. Hubert zeigt,
wie gerade in dieser Zeit Gottfried
gegen
den Grafen Dietrich von der Veluwe kämpfte, an der Einführung
des Gottesfriedens in Lüttich teilnahm und auch in seiner Tätigkeit
als Vogt von St. Hubert nachzuweisen ist.
Inzwischen gingen die Kämpfe um Gottfrieds
Erbansprüche weiter. Die Auseinandersetzungen hatten sich so entwickelt,
dass Gottfried sich in Nieder-Lothringen
gegen den Herzogstellvertreter Albert von Namur behaupten konnte. Anfang
Juni 1085 kam es dann zu einer Regelung, als der Kaiser in Metz weilte.
Gottfried
wurde
die Grafschaft Verdun zugesprochen, der Bischof von Verdun erhielt
Stenay und Mouzay, was einigermaßen merkwürdig ist, denn die
beiden letzteren Orte hatten zum Eigenbesitz Gottfrieds des Buckligen gehört,
auf sie konnte sein Neffe also mit vollem Recht Anspruch erheben. Gottfried
hat sich denn auch nicht zufriedengegeben, und die Kämpfe lebten wieder
auf. Eine endgültige Regelung trat erst ein, als Gottfried
in Vorbereitung des Kreuzzuges Stenay und Mouzay an den Bischof verkaufte.
Die herzogliche Gewalt in Nieder-Lothringen war in diesen
Jahren, da auch der deutsche König durch den Streit mit dem Papst
so stark getroffen wurde, fast zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Um
den Zustand des Landes wieder zu heben, kam man auf die Institution des
Gottesfriedens zurück. Auch der Herzogstellvertreter hat bei dessen
Wiedereinführung mitgewirkt, offensichtlich weil er seine eigene politische
Ohnmacht fühlte.
Eine Änderung bei der Herzogswürde in Nieder-Lothringen
trat erst ein, als der Königs-Sohn KONRAD
Ende Mai 1087 in Aachen zum König gekrönt wurde. Das hat wohl
HEINRICH
IV. Anlaß gegeben, die Verhältnisse in Nieder-Lothringen
in einen definitiven Zustand zu bringen. Wie uns die Annalen von St. Jakob
in Lüttich versichern, wurde in diesem Jahr 1087 der Markgraf
Gottfried zum Herzog erhoben. Der Chronist Sigebert von
Gembloux schreibt allerdings erst zum Jahre 1089, schließlich sei
Gottfried
das
Herzogtum
Lothringen
gegeben worden. Man könnte vielleicht annehmen, er
sei im Jahre 1087 nur allgemein zum Herzog erhoben und erst 1089 mit Nieder-Lothringen
betraut worden, doch ist die Chronik Sigeberts nicht immer zuverlässig.
Da Gottfrieds Name
in der nachfolgenden Zeit in fast allen Gebieten des Herzogtums Nieder-Lothringen
genannt wird, wurde also seiner Stellung wohl allgemein anerkannt. Eine
Ausnahme bildete der Norden des Herzogtums, wo sich allmählich die
Grafschaft Holland in Eigenständigkeit absonderte. Auch in den südlichen
Territorien änderte sich übrigens bald die Situation. Gottfried
geriet hier vor allem in die Auseinandersetzungen im Bistum Lüttich,
wo Ende des Jahres 1091 Bischof Heinrich starb.
Inzwischen war der Herzog Gottfried
aus dem Streit um die Abtei St. Truiden ausgeschieden, er hatte sich für
den Kreuzzugsgedanken gewinnen lassen. Er dachte dabei wohl gleich von
Anfang an daran, nicht mehr zurückzukehren, denn er begann seine Eigengüter
zu veräußern. Stenay und Mouzay gingen an den Bischof von Verdun,
die Burg Bouillon erwarb der Bischof von Lüttich, wobei allerdings
hier ein Rückkaufsrecht für Gottfried
oder seinen Erben bestehen blieb. Im August 1096 hat Gottfried
sein Herzogtum verlassen.