Als einer der ersten verließ Mitte August 1096,
also zum festgesetzten Termin, Gottfried von Bouillon
mit einer großen Menge von Lothringern, N-Franzosen und Deutschen
die Heimat. Er stammte aus dem Hause der Grafen von Boulogne und
war von HEINRICH IV. 1087 zum Herzog
von Nieder-Lothringen ernannt worden. Er scheint sich in dieser Stellung
keinen allzugroßen Einfluß errungen zu haben, so dass er vielleicht
im Kreuzzug die Möglichkeit sah, zu höheren Zielen zu gelangen.
Wir wissen allerdings gar nichts über die Gründe seiner Kreuznahme.
Aus dem teilweise schon in den Quellen berichteten Verkauf seiner Güter,
ja sogar seiner Stammburg Bouillon, hat die Forschung zum Teil geschlossen,
dass er die Brücken hinter sich abzubrechen und nicht mehr zurückzukehren
gedachte. Aber eine genaue Betrachtung erweist, dass er für die Finanzierung
von seinen Familiengütern nur Stenay und Mousay zwischen Verdun und
Sedan an den Bischof von Verdun verkaufte, mit dem er hierüber einen
langen Streit gehabt hatte und dem er im Zuge dieser Flurbereinigung die
von ihm zu Lehen besessene Grafschaft Verdun zurückgab, freilich
mit dem Proviso, dass der Bischof sie seinem Bruder Balduin
verleihen müsse. Dagegen hat er den "Pays de Bouillon" (östlich
von Sedan in Belgien) als seinen Hauptbesitz dem Bischof von Lüttich
nur verpfändet, sich und seinen Erben ein Auslösungs- oder Rückkaufsrecht
jedenfalls ausdrücklich vorbehalten. Vor allem aber verzichtete er
nie auf sein Herzogtum, sondern holte vorschriftsmäßig die kaiserliche
Erlaubnis zum Verlassen des Reiches ein, und der Kaiser ernannte auch erst
nach Gottfrieds Tod einen neuen Herzog
von Nieder-Lothringen. Da Gottfried der
erste war, der später über Jerusalem regieren sollte, hat sich
die Legende in hervorragendem Maße seiner angenommen und ihn zu einer
Art Leitbild des idealen Kreuzfahrers gestempelt. Dieser Prozeß setzte
schon kurz nach dem 1. Kreuzzug mit dem Chronisten Albert von Aachen ein,
der in Gottfried seinen Heros sah.
Gottfried
war sicherlich nicht so reinen Herzens und Gemüts, wie man ihn im
Mittelalter hingestellt hat, aber er war andererseits auch keine absolut
mittelmäßige Figur, wie man im 19. Jahrhundert angenommen hat.
Er war reich genug, um ein ansehnliches Kontingent von Vasallen und Rittern
aufzubringen, und es waren vornehmlich Lothringer, die während und
nach dem Kreuzzug in seiner Umgebung einflußreich waren. Der Zug
verlief reibungslos und schon am 23. Dezember 1096 war Gottfried
in Konstantinopel, wo er bereits den Grafen Hugo
von Vermandois vorfand, der etwa zur gleichen Zeit aufgebrochen
war, mit seinem kleinen Kontingent aber den Seeweg genommen hatte. Die
Lehnseidleistung durch Graf Hugo führte
dazu, dass Gottfried von Bouillon,
der als nächster ankam, wiederholte Einladungen des Kaisers, in die
Stadt zu kommen, ausschlug. Auch weigerte er sich, den Eid zu leisten.
Alexios
versuchte zweimal, Gottfried unter
Druck zu setzen, indem er die Lebensmittellieferungen für das Heer
sperrte, worauf die Lothringer mit Plünderungen der Vorstädte
antworteten. Beim zweitenmal, im Januar 1097, ließ Gottfried
sogar den kaiserlichen Blachernenpalast belagern. Alexios
war nicht gewillt, das zu dulden; auch wollte er Gottfried
vor
dem Eintreffen weiterer Kreuzfahrer nach Kleinasien bringen. Er ließ
es auf einen Kampf mit den Kreuzfahrern ankommen, bei dem sich diese den
byzantinischen Truppen unterlegen erwiesen. Gottfried
war nunmehr bereit, am 20. Januar den geforderten Eid zu leisten. Er wurde
mit seinem Heer sogleich über die Meerenge transportiert und marschierte
entlang der Küste des Marmara-Meeres nach Pelecanum, einem byzantinischen
Militärlager.
Das erste Ziel der Kreuzfahrer war Nicaea, die Hauptstadt
des Seldschuken-Sultans Kilidsch-Arslan.
Sie lag günstig an einem See und war durch über 200 Türme
gesichert. Am 6. Mai kam Gottfried an,
vier Wochen später war das gesamte Heer beisammen, die Belagerung
kam aber schon am 14. Mai in vollen Gang. In der Stadt befand sich nicht
nur der seldschukische Staatsschatz, sondern auch die Familie des Sultans.
Am 21. Mai wurde Kilidsch-Arslan, der
die Kreuzfahrer nicht ernst genommen hatte, besiegt und zog ab. Hier zeigte
sich zum erstenmal, dass die Kreuzritter, wenn sie in offener Schlacht
auf die Muslime stießen, diesen durch den wuchtigen Anprall ihrer
gepanzerten Reitertruppen überlegen waren. Am 19. Juni übergab
die Besatzung die Stadt Nicaea dem byzantinischen Admiral Butunites.
Nach einem Sieg über die Seldschuken am 30. Juni
1097 fiel das türkische Lager mit seinen Prunkzelten und seiner reichen
Beute den Kreuzfahrern in die Hände.
Am 7. Juni 1099 erklomm das Heer einen Berg, über
den die Straße führte, und nun endlich sahen die Kreuzfahrer
Jerusalem vor sich liegen. Nachdem man drei Belagerungstürme fertiggestellt
hatte, begann man guten Mutes in der Nacht vom 13./14. Juli den Angriff.
Gottfried
hatte
im Norden mehr Erfolg mit seinem Turm als Graf Raimund im Südwesten.
Am 15. Juli 1099 manövrierte er ihn unweit des heutigen Herodestor
geschickt an die Mauer und ließ von oben eine Brücke herab.
Ein flämischer Ritter aus Tournai namens Letold stürmte als erster
Kreuzfahrer auf die Mauer, gefolgt von Gottfried
und
den Lothringern sowie Tankred. Während die Lothringer ihren Genossen
die Tore öffneten, stürmte Tankred zum Tempelplatz, dem Zentrum
der Stadt, vor und besetzte die Aqsa-Moschee. Außer dem
fatimidischen
Gouverneur und seinem Gefolge kam kein Muslim mit dem Leben davon. Der
Rausch des Sieges, der religiöse Fanatismus der Kreuzfahrer und die
aufgestaute Erinnerung an die durchstandene Mühsal von drei Jahren
entlud sich in einem entsetzlichen Blutbad, dem unabhängig von Religion
und Rasse jedweder zum Opfer fiel, der den metzelndnen Kreuzfahrern vor
die Klinge geriet.
Nachdem die ersten sanitären Ordnungsmaßnahmen
getroffen worden waren, versammelten sich die geistlichen und weltlichen
Führer des Kreuzzuges, um über weitere Maßnahmen zu beschließen.
Es stellte sich jetzt heraus, dass man von Europa ausgezogen war, merkwürdigerweise
ohne irgendwelche Vorstellungen zu haben, was man denn mit Jerusalem nach
seiner Eroberung anfangen sollte. Raimund lehnte die ihm angebotene Krone
ab mit der schlauen Bemerkung, er wolle nicht König sein, wo Christus
gelebt habe. Er erkannte wohl, dass ihm das Angebot nur mit halbem Herzen
gemacht worden war, und hoffte, durch seine Antwort auch Gottfried
an der Übernahme der Herrschaft hindern zu können. Gottfried
war im Heer allgemein beliebt, und er hatte es verstanden, sich aus den
unerquicklichen Streitigkeiten der Fürsten weitgehend herauszuhalten,
wofür man in Kauf nehmen mußte, dass er eine weniger profilierte
Persönlichkeit war als etwa Bohemund oder Raimund. Er und seine Berater
erwiesen sich jetzt freilich als sehr klug, denn Raimunds Manöver
wurde geschickt überspielt, indem Gottfried
zwar
die Krönung ablehnte, die ihm angebotene Herrschaft aber übernahm,
womit die entscheidende Frage, welchen Herrschaftseinfluß man der
Kirche zubilligen solle, vorerst offengelassen wurde. Auf nicht ganz feine
Art gelang es Gottfried auch, sich
in den Besitz des Davidsturms zu setzen, den Raimund von Toulouse erobert
hatte, ohne den er nicht Herr in der Stadt sein konnte. Raimund zog daraufhin
verärgert von Jerusalem ab und führte seine Leute zur Pilgerfahrt
nach Jericho und an den Jordan.
Trotz aller Rebereien verschloß sich Raimund ebensowenig
wie Robert von der Normandie, der damals
in gespanntem Verhältnis zu Gottfried gestanden
zu haben scheint, dessen Aufruf zur Hilfeleistung gegen das ägyptische
Heer, das unter dem Wesir al-Afdal (1094-1121) von Süden heraufrückte.
Am 12. August 1099 kam es in der Ebene vor der starken ägyptischen
Seefestung Askalon zur Schlacht. Die Ägypter wurden in ihrem Lager
von den Kreuzfahrern überrascht und vollständig aufgerieben;
al-Afdal floh in seine Heimat. Am 13. August kehrte man im Triumph nach
Jerusalem zurück. Der Erfolg des Kreuzzuges war gesichert.
Anfang September 1099 verließen die meisten Kreuzfahrer
Jerusalem. Robert von Flandern, Robert von der
Normandie, Balduin von Bourcq
und Raimund von Toulouse zogen mit ihren Truppen nach Norden ab, die beiden
Roberte, um nach Hause zurückzukehren. In Jerusalem blieben nur Gottfried
von Bouillon und Tankred zurück, deren Truppen nur etwa
300 Ritter und 2.000 Fußsoldaten umfaßten. Gottfrieds
Herrschaft
beschränkte sich vorerst auf Jerusalem, den Hafen Jaffa und die Orte
Lydda, Ramla, Bethlehem und St. Abraham (Hebron), das er stark befestigte.
Tankred eroberte sich eine eigene Herrschaft, die anfangs aus den Städten
Tiberias, Nazareth und Beisan bestand, und nahm dise Gebiete als Herrschaft
Tiberias von Gottfried
zu Lehen, und
allmählich entwickelte sich daraus das spätere Fürstentum
Galilaea.
Nach der Aufhebung der Belagerung Latakias reiste Erzbischof
Daimbert von Pisa, der mit mit einer pisanischen Flotte gekommen war, und
Bohemund von Antiochia nach Jerusalem, wo sie zu Weihnachten 1099 zusammen
mit Balduin von Edessa, der sich ihnen
angeschlossen hatte, eintrafen. Bohemund und Balduin hatten ja noch immer
ihr Pilgergelübde zu erfüllen. Gottfried
benötigte Bohemunds und Balduins
Ritter ebenso dringend wie Daimberts Flotte; er hatte ihren Wünschen
daher nichts entgegenzusetzen. Dem Normannen Arnulf wurde die Leitung der
Kirche von Jerusalem entzogen und Daimbert an seiner Stelle zum ersten
lateinischen Patriarchen (1099-1102) erhoben. Anschließend erfolgte
eine Investitur Gottfrieds durch den
Patriarchen, und auch Bohemund ließ sich von Daimbert mit Antiochia
investieren, während Balduin von Edessa
diesem Beispiel offenbar nicht folgte.
Der Akt von Weihnachten 1099 war in Wirklichkeit nichts
anderes als eine normale kirchliche Weihe des neu entstandenen Staatswesens
in Jeerusalem. Eine Lehennahme, wie sie bereits im 12. Jahrhundert gedeutet
wurde, wäre für Gottfried
inakzeptabel gewesen. Er scheint lediglich bereit gewesen zu sein, dem
Patriarchen eine geistliche Herrschaft im Reich zuzugestehen, wie man sie
auch in Lydda eingerichtet hatte, nur vielleicht größer und
basierend auf dem Stadtviertel von Jerusalem, das die Patriarchen dort
besaßen. Daimbert dagegen scheint mit bescheideneren Plänen
mindestens angefangen zu haben und an Gottfried,
dem er in einem Brief vor seiner Ankunft in Jerusalem einmal den selten
bezeugten Titel eines Sancti Sepulchri advocatus gab, als Vogt in
Jerusalem gedacht zu haben. Daimbert gab sich mit einem Stadtviertel nicht
zufrieden, sondern erzwang durch seinen Reichtum und seine Macht in einer
Politik fortschreitender Erpressung von Gottfried
die Abtretung eines Viertels von Jaffa, dann der Zitadelle von Jerusalem,
schließlich der gesamten Stadt und des Restes von Jaffa, was alles
Gottfried
nur auf Lebenszeit zum Nießbrauch verbleiben sollte.
Das Abkommen ließ Gottfried
wenigstens Zeit, seine Macht in der Küstenebene auszudehnen, und in
der Tat waren einige kleine Emire der Hafenstädte ebenso wie einige
transjordanische Scheichs willens, ihm Tribute zu zahlen. Im Juni 1100
kam eine venezianische Flotte nach Jaffa. Sie wurde von Gottfried
freudig
begrüßt, da er in ihr eine Gelegenheit sah, sich von Daimberts
Druck zu befreien, dessen Stellung durch die Abfahrt der Pisaner geschwächt
worden war. Während er noch mit den Venezianern verhandelte, wurde
er von einer schweren Krankheit befallen, aber der Vertrag kam noch zustande
und sah für eine bis zum 15. August währende Hilfe zollfreien
Handel im ganzen Reich, Marktrecht in allen Orten und ein Drittel aller
mit der zugesagten Hilfe eroberten Städte vor. Der ungeheure Preis
beweist, wie sehr Gottfried daran gelegen
war, ein Gegengewicht gegen Daimbert zu schaffen. Doch er sollte eine Änderung
der Verhältnisse nicht mehr erleben. Am 18. Juli 1100 erlag
er seinem Leiden. Er war der erste christliche Herrscher Jerusalems, dem
an der Kreuzigungsstätte Golgatha eine würdige Ruhestätte
bereitet wurde.