Am Palmsonntag des Jahres 963 erwarb ein Graf
Siegfried, de nobili genere natus, vom Kloster
Maximin bei Trier die auf dem Berggipfel über der Alzette gelegene
Lucilinburhuc
[1
C. Wampach /Hg.), Urkunden- und Quellenbuch
zur Geschichte der altluxemburgischen Territorien bis zur burgundischen
Zeit, Band 1, Luxemburg 1935 (zit.: UQB), Nr. 173, Seite 234; H. Renn,
Das erste Luxemburger Grafenhaus (963-1136) (Rheinisches Archiv, Band 39),
Bonn 1941, Seite 72-74.].
Graf Siegfried
hat sich selbst nie nach dieser Neuerwerbung benannt, was zu dieser Zeit
auch sehr ungewöhnlich gewesen wäre. Auch
Siegfrieds
Nachfahren
sind noch lange nicht nach der Lützelburg/Luxemburg benannt worden.
In den um 1100 redigierten 'Gesta Treverorum' wird der
Trierer
Dompropst Adalbero, Sohn oder Enkel des eingangs genannten
Siegfried
- die genealogischen Zusammenhänge der Frühzeit des Luxemburger
Hauses sind nach wie vor umstritten [8 Hierbei geht es
um die Frage, ob der zweifelsohne nachzuweisende gleichnamige Sohn Siegfrieds
I. kinderlos vor seinem Vater gestorben oder als Zwischenglied in die
luxemburgische
Filiationskette einzureihen ist. Wahrscheinlicher ist wohl die erste Möglichkeit,
die, fußend auf den Forschungen Renns, Luxemburger (wie Anmerkung
19, Seite 57-61, noch von Mathilde Uhlirz, Die ersten Grafen von Luxemburg,
in: DA 12, 1956, Seite 36-51 und K. F. Werner, Die Nachkommen Karls des
Großen bis um das Jahr 1000, in: Karl der Große, Band IV.,
Das Nachleben, hg. von W. Braunfels und P. E. Schramm, Düsseldorf
1967, Seite 471-472, vertreten wird. J. Schoos, Die Familie der Luxemburger.
Geschichte einer Dynastie, in: Balduin von Luxemburg Erzbischof von Trier
- Kurfürst des Reiches 1285-1354, Festschrift aus Anlaß des
700. Geburtsjahres hg. von F.-J. Heyen, Mainz 1985, Seite 121,148-149 (mit
Angaben zur älteren Literatur) und Seite 142 (Stammtafel), plädiert
dagegen für die zweite Möglichkeit. Eine instruktive Übersicht
über den Forschungsstand bietet E. Boshof, Das Erzstift Trier und
seine Stellung zu Königtum und Papsttum im ausgehenden 10. Jahrhundert.
Der Pontifikat des Theoderich (Studien und Vorarbeiten zu Germania Pontificia
4), Köln/Wien 1972, Seite 41-42; vgl. M. Parisse, Genealogie de la
maison d’Ardenne, in: Publ. De la section hist. De l’Institut G.-D. de
Luxembiurg 95, 1981, Seite 23-26.] - als Adelbero de Lucelenburch
bezeichnet.
Außer der 963 erworbenen Luxemburg können
dem Grafen Siegfried noch Rechte und
Besitzungen in folgenden Gebieten nachgewiesen werden: im nur schwer eindeutig
abgrenzbaren Moselgau [10
Die Formulierung der Urkunde OTTOS
II. aus dem Jahre 982 lässt nicht eindeutig erkennen,
ob
Graf Siegfried eine oder die Grafschaft
im Moselgau besessen hat:
curtes... in pago Mosalgovve vocato et in
comitatu
Sigfridi comitissitas
(MGH D O II., Nr. 280, S. 326, Z. 23f.). Die Abgrenzung des Moselgaus
ist vor allem wegen des nach wie vor ungeklärten Verhältnisses
zwischen dem Moselherzogtum und dem späteren Moselgau äußerst
problematisch.], im unteren Saargau, im Rizzigau, das heißt in der
Region zwischen Diedenhofen und Sierck, im Bidgau und in dem von der Alzette
durchflossenen Nidgau.
Graf Siegfried
verfügte auch über die Vogtei von zwei bedeutenden Reichsklöstern,
über Echternach und St. Maximin. Als Vogt von Echternach
wurde er zum ersten Mal im Jahre 997 urkundlich erwähnt. Bereits 949/50
trat er die Nachfolge Herzog
Hermanns von Schwaben als Laienabt von Echternach an [13
Vgl. Catalogus Abbatum Epternacensium I, MGH SS 23, Seite 33, und MGH SS
13, Seite 739 (UQB, Nr. 161). Vgl. C. Wampach (Hg.), Geschichte der Grundherrschaft
Echternach im Frühmittelalter I, 1: Textband, Luxemburg 1992, Seite
217-220, und Renn, Luxemburger (wie Anmerkung 1), Seite 65-68. Zur territorialbildenden
Bedeutung der Vogtei besonders im Moselgebiet vgl. Ewig, Civitas (wie Anmerkung
10), Seite 134-136.]. Im Jahr 973 bat Siegfried
(oder dessen gleichnamiger Sohn) OTTO
I. mit Erfolg um die Vertreibung der Kanoniker aus Echternach
und die anschließende Neubesetzung mit Benediktinern. Wann die
LUXEMBURGER die Vogtei von St. Maximin
erhielten, ist nicht überliefert. Die erste sichere Nennung als Vögte
dieser Reichsabtei stammt aus dem Jahr 996. Die Obervogtei in St. Maximin
blieb bis zur Übergabe des Klosters an den Erzbischof von Trier 1140/47
im Besitz der LUXEMBURGER
Familie,
die Echternacher Vogtei wesentlich länger, bis Anfang des 14. Jahrhunderts.
Graf Siegfried, der
die später namengebende Burg erwarb, stand in engen familiären
Bindungen zu den beiden Königssippen jener Zeit, den KAROLINGERN
und
den OTTONEN. Von seiner Mutter Kunigunde
[17 Renn, Luxemburger (wie Anmerkung 1), Seite 2-10. Eine genealogische
Tafel des 11. Jahrhunderts überliefert folgende Ahnenreihe: Ludwig
der Stammler - Ermentrude
- Kunigunde - Siegfried -
Kunigunde
(Gemahlin
Kaiser
HEINRICHS II.); vgl. Renn, Francorum genealogiae, MGH SS
2, Seite 314. Nach der Chronik der Grafen von Flandern stammte
Ermentrude aus der 2. Ehe Ludwigs
mit
Adelheid; vgl. Genealogiae comitum
Flandriae, MGH SS 9, Seite 303, Zeile 10f.] her war er ein Urenkel
König
Ludwigs des Stammlers, der von 877 bis 879 das westfränkische
Reich beherrscht hatte. Ludwigs
Sohn
Karl,
später der Einfältige genannt,
war der Stammvater der letzten drei karolingischen
Könige des westfränkischen Reiches.
Siegfried
war
mithin ein Vetter der
Könige Ludwig IV. (936-954)
und
Lothar
(954-986). Der Vater Siegfrieds
war mit großer Wahrscheinlichkeit Graf
Wigerich, dem entweder ein Unterbezirk des Bidgaus oder sogar der
gesamte Bidgau unterstand und der enge Beziehungen zur Trierer Kirche unterhielt
[18 Renn, Luxemburger (wie Anmerkung 1) Seite 12-22. Der Vater von
Wigerich scheint der im Bliesgau begüterte Odacar gewesen
zu sein; vgl. U. Nonn, Die gefälschte Urkunde des Grafen Widerich
für das Kloster Hastiere und die Vorfahren der Grafen von Luxemburg,
in: Rheinische Vierteljahresblätter 42, 1978, Seite 58-62.].
Wigerich
orientierte
sich ohne Zweifel nach Westen zu Karl dem Einfältigen,
dem Onkel seiner Frau Kunigunde. Als Pfalzgraf repräsentierte
er dessen Königtum in Lothringen.
Heinz Renn hat in seinen genealogischen Forschungen dem
Grafen
Siegfried vier Brüder (beziehungsweise Söhne) zugewiesen
[21 Renn, Luxemburger (wie Anmerkung 1), Seite 3-10, 17-18,28-29.
Adalbero von Metz wird in einer Urkunde Karls
des Einfältigen als dessen nepos und gleichzeitig
als einer der Söhne von Wigerich und Kunigunde angesprochen;
vgl. UQB, Nr. 144, Seite 166: comes Windricus ... et uxoris eius
nomine Cunegundis et unius filiorum ipsorum videlicet nostri nepotis
Adelberonis. Adalbero selbst nannte an anderer Stelle
Wigerich
genitor
meus nobilis comes. Da inzwischen auch die Abstammung Siegfrieds
von Kunigunde zweifelsfrei feststeht (vgl. Renn, Luxemburger, Seite
2-10), müssen Adalbero und Siegfried
Brüder
gewesen sein. Die anderen Brüder Siegfrieds
werden
in einer 943 von Uda, der Gemahlin Gozlins, ausgestellten Urkunde
als Brüder ihres verstorbenen Mannes aufgeführt: Friderici,
Gisilberti, Sigeberti
(wohl Verschreibung für Sigefridi;
vgl. Renn, Luxemburger, Seite 7-8), fratrum predicti Gozlini. Bei
den genannten Personen handelt es sich um Friedrich,
den späteren Herzog von Ober-Lothringen, Giselbert,
Graf im Ardennengau und Gozlin, den Vater Gottfrieds des
Gefangenen. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Siegfried
und dem Sohn seines Bruders Gozlin wurde von Gerbert von Reims zutreffend
in einem an die Kaiserin
Theophanu gerichteten Brief geschildert: Godefridum patruumque
eius Sigefridum (Die Briefsammlung des Gerbert von Reims, bearb
von F. Weigele, MGH, Die Briefe der deutschen Kaiserzeit, Band 2, Berlin/Zürich/Duiblin
1966, Nr. 52.] Adalbero, von 929 bis 962 Bischof von Metz, trug
Mitte des 10. Jahrhunderts der veränderten politischen Lage Rechnung
und schloss sich OTTO I. an. In einer
Urkunde aus dem Jahr 960 wurde er sogar als compater des Königs
bezeichnet [22 MGH D O I., Nr. 210, Seite 289, Zeile 37: compater
noster Adalbero. Zu den beiden Bedeutungen von compater und
den entsprechenden Belegen, vgl. Mittellateinisches Wörterbuch, Band
2, München 1976, Spalte 1040.]. Ob dieser Begriff hier im engeren
Sinn als "Taufpate" oder im weiteren Sinn als "guter Freund" aufzufassen
ist, wird aus dieser Stelle nicht deutlich. Siegfrieds
Bruder
Gozlin war mit einer gewissen Uda verheiratet, die in einer Urkunde
OTTOS I. als amita des Königs
bezeichnet wurde. Friedrich, der vermutlich im Jahr 959 die südliche
Hälfte des damals geteilten Herzogtums Lothringen erhalten hatte,
war mit Beatrix,
einer Schwester
Hugo Capets, verheiratet.
Über ihre Mutter Hadwig
war Beatrix eine Enkelin HEINRICHS
I. Ein weiterer Bruder Siegfrieds,
Giselbert, war Graf im Ardennergau. Über die Herkunft von Siegfrieds
Frau
Hadwig
ist zwar schon viel spekuliert worden, eine sichere Festlegung ihrer Identität
ist aus Mangel an Quellen aber nicht möglich [27 Auf keinen
Fall wird
Hadwig eine Enkelin HEINRICHS
I. gewesen sein, wie es in der älteren Forschung seit J.
Depoin, Sifroi Kunuz, comte de Mosellane, Luxemburg 1904, S. 6, wiederholt
behauptet wurde. Wäre
Hadwig tatsächlich die Tochter Herzog
Giselberts von Lothringen und seiner Frau Gerberga,
der Tochter HEINRICHS I., dann hätte
Kunigunde,
die Tochter Hadwigs und Graf Siegfrieds,
eine Verwandtenehe 3. kanonischen Grades geschlossen, was vollkommen auszuschließen
ist; vgl. hierzu Renn, Luxemburger (wie Anmerkung 1), Seite 62-64, und
E. Hawitschka, Herzog Giselbert von Lothringen und das Kloster Remiremont,
in: ZGORh. 108, N.F. 69, 1960, Seite 427-428.].