Unter den lothringischen Verwandten der Markgräfin
Beatrix übertraf Gottfried,
genannt "der Bärtige", alle an
Temperament und Ehrgeiz. Auch er war verwitwet. Aus seiner Ehe mit
Oda (Duota) hatte er einen Sohn, der ebenfalls Gottfried
hieß, der aber, wie so viele im Früh- und Hochmittelalter mit
einem Beinamen, der auf eine körperliche Mißbildung hinwies,
in die Geschichte einging. An ihm sollte für alle Zeiten der Spottname
"der Bucklige" oder "der Höckerige" haften bleiben.
Gottfried der Bärtige gehörte
zu jenem kriegerischen Hochadel, auf dem seit den Zeiten KARLS
DES GROSSEN der Zusammenhalt des Reichs beruhte, der aber nun
zu einem der stärksten Faktoren für einen inneren Auflösungsprozeß
geworden war. Im Laufe der Zeit hatte sich die auf Achtung und Treue gegründete
Bindung dieser Adligen an den Kaiser gelockert. Sie gerieten sogar in offene
Konflikt mit dem Herrscher und erhoben sich gegen ihn.
Gottfried war der
Sohn des Herzogs Gozelos I. von Lothringen, der 1033 die Nachfolge
Herzog Friedrichs II., des Vaters von Beatrix, angetreten hatte.
Nach Gozelos Tod im Jahre 1044 hatte HEINRICH
III. Lothringen unter dessen beiden Söhnen aufgeteilt und
Gottfried
in Ober-Lothringen, seinen Bruder Gozelo II. in Nieder-Lothringen
eingesetzt. Dies trieb Gottfried zur
Rebellion gegen den Kaiser, der ihn jedoch sofort zur Unterwerfung zwang.
Nach dem Tod Gozelos II. im Jahre 1046 erhob Gottfried
von
neuem Anspruch auf Nieder-Lothringen, um die beiden Teile des ehemaligen
Reichslehens seines Vaters wieder in seiner Hand zu vereinen. Aber HEINRICH
III. verweigerte ihm dies und erhob statt dessen Friedrich von
Luxemburg zum Herzog von Nieder-Lothringen.
Gottfried
rebellierte von neuem und wurde wiederum besiegt. Diesmal entzog ihm der
Kaiser sein Herzogtum und ernannte Adalbert aus dem Haus ELSASS zum Herzog
von Ober-Lothringen. Gottfried zog
daher gegen Adalbert ins Feld, erschlug ihn im Kampf, ergriff wieder Besitz
von seinem Herzogtum und wurde deshalb von HEINRICH
III. gefangengenommen. Verfolgen wir die Ereignisse in der Schilderung
Lamperts von Hersfeld:
"[1044] Herzog Gozelo von Lothringen starb; sein Sohn Gottfried, ein hochbegabter und im Kriegswesen sehr erfahrener junger Fürst, griff zu den Waffen gegen das Reich, weil ihm das Herzogtum seines Vaters vorenthalten wurde. Herzog Adalbert, den der König zum Nachfolger seines Vaters eingesetzt hatte, besiegte und tötete er; er erschlug viele Menschen und verwüstete die Felder schwer; alle Ortschaften bis zum Rhein legte er in Asche bis auf diejenigen, die dem feindlichen Angriff dank ihrer Mauern entgingen oder sich durch Geldzahlungen losgekauft hatten."
Der Annalist vermischt die Ereignisse der Jahre 1044,1046 und 1048. Abgesehen von den chronologischen Ungenauigkeiten - man darf nicht vergessen, dass er 30 Jahre nach diesen Ereignissen schrieb - gibt er aber ein anschauliches Bild der Kämpfe und von Gottfrieds Charakter:
"[1045] Herzog Gottfried unterwarf sich dem König und kam nach Giebichenstein in Haft. Nun blieb das Reich für kurze Zeit ruhig und friedlich. [...][1046-1047] Herzog Gottfried war aus der Haft entlassen worden, mußte aber erkennen, dass ihn weder die Fürsprache der Fürsten noch seine freiwillige Unterwerfung genützt hatten; darüber empört und seiner dürftigen Vermögenslage überdrüssig, begann er von neuem den Kampf. Unter anderen Schädigungen, die er dem Reich zufügte, ließ er die Pfalz Nijmwegen niederbrennen, ein Bauwerk von wunderbarer, unvergleichlicher Schönheit; ferner eroberte er Verdun und äscherte dort die Hauptkirche ein. Doch nach kurzer Zeit bereute er seine Tat so sehr, dass er sich öffentlich auspeitschen ließ und, um nicht geschoren zu werden, seine Haare mit viel Geld loskaufte; ferner zahlte er die Kosten des Wiederaufbaus der Kirche und leistete bei der Maurerarbeit öfters die Dienste eines einfachen Handlangers."
Durch das Bündnis mit der Kirche und vor allem mit
Papst Leo IX., mit dem er verwandt war, vermochte Gottfried
sein Geschick wieder zum besseren zu wenden. Im Juli 1049 verwandte sich
der Papst in Aachen beim Kaiser für den Herzog. Im Dezember traf Leo
IX. in Mainz erneut mit dem Kaiser zusammen. Herzog
Gottfried erlangte die kaiserliche
Huld wieder, wie Lampert von Hersfeld berichtet, und erhielt Ober-Lothringen
zurück. Danach soll Gottfried
zusammen mit seinem Bruder Friedrich den Papst auf seinem Weg nach
Rom begleitet haben. So festigte sich das Bündnis zwischen dem Papst
und seinen Lothringer Verwandten.
Gottfried
hatte während dieser Romfahrt wahrscheinlich Gelegenheit, seiner Cousine
Beatrix
und
dem Markgrafen Bonifaz einen Besuch abzustatten und ein Bündnis mit
ihnen zu vereinbaren. Es ist aber auszuschließen, dass die beiden
Verwandten - und späteren Ehegatten - eine Intrige eingefädelt
hatten, um den CANOSSA aus dem Weg zu räumen.
Wie vorteilhaft diese Verbindung zwischen Leo IX., Gottfried
und
Beatrix
war, sollte sich erneut 1054 erweisen, als Bonifaz' Witwe erkannte, dass
sie den großen "Staat", dessen Leitung nun in ihrer Hand lag, nicht
mehr allein regieren konnte. Beatrix
suchte eine feste Stütze,
und wahrscheinlich bewog die Vermittlung des Papstes die beiden, sich miteinander
zu verbinden. Beatrix' Entschluß, mit dem hitzköpfigen
Gottfried
eine Ehe einzugehen, war im Interesse ihrer Herrschaft notwendig,
barg aber zugleich ein Risiko: Es war vorauszusehen, dass er beim Kaiser
auf Ablehnung stoßen würde. Deshalb legten die Brautleute das
Gelübde ab, eine Josephsehe führen zu wollen, was den
Beifall des Petrus Damiani fand.
Gottfried hatte sich
in den Jahren vor dieser Eheschließung um die Kirche verdient gemacht
- in Goslar hatte er drei manichäische Ketzer gefangengenommen - und
durch seine Waffenhilfe die Gunst des Kaisers gewonnen. Wegen seiner Vermählung
mit Markgräfin Beatrix riskierte er jedoch, das neue Vertrauen,
das ihm der Herrscher entgegenbrachte, aufs Spiel zu setzen. Durch das
Keuschheitsgelübde versicherte er sich daher nicht nur der Unterstützung
des Papstes, sondern auch der ganzen Reformbewegung. Problematisch war
auch die Tatsache, dass er mit Beatrix
verwandt war; obwohl es sich
dabei nur um eine Verwandtschaft 8. Grades handelte, konnte dies
doch zu Schwierigkeiten mit der Kirche führen. Das Keuschheitsgelübde
war ein Mittel, um auch dieses Problem zu umgehen.
Die "politische" Ehe zwischen Gottfried
und
Beatrix
löste zudem die Frage der Nachfolge und damit die Probleme, die Beatrix
wohl
am meisten am Herzen lagen; das Schicksal ihrer Markgrafschaft und das
ihrer Tochter Mathilde. Die Eheleute kamen nämlich überein,
dass die knapp achtjährige Tochter des Markgrafen Bonifaz und Gottfrieds
Sohn,
Gottfried der Bucklige, ein feierliches Eheversprechen ablegen sollten.
Auf diese Weise würde sich ihre durch die Ehe besiegelte Verbindung
auch in ihren Kindern fortsetzen und damit die Dynastie und ihre Herrschaft
festigen, die von diesem Zeitpunkt an zwei große Territorien umfaßte,
eines im Königreich Italien, das andere im Zentrum des Reichs.
Nach dem Tod Leos IX. (+ 19.4.1054) ergriff HEINRICH
III. wieder die Initiative und bewog Bischof Gebhard von Eichstätt,
der Wahl zum Papst zuzustimmen und zog mit ihm im Frühjahr 1055 nach
Italien; nicht zuletzt, um die Angelegenheit mit Gottfried
dem Bärtigen und Beatrix
von Lothringen, die nun gemeinsam die Herren von Canossa waren,
zu regeln.
Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten hatte man bewußt
darauf verzichtet, die eigene Macht und Pracht demonstrativ zur Schau zu
stellen, aber die Eheschließung als solche hatte das strukturelle
Gleichgewicht im Gefolge des Reichs verschoben. HEINRICH
III. hatte nicht nur die Gewalt, sondern auch rechtliche Argumente
auf seiner Seite, um diese Ehe für nichtig erklären und dem Paar
einen Teil ihrer Herrschaften entziehen zu können: Sowohl Beatrix
als
auch Gottfried hätten
als Reichsvasallen ihm um seine Zustimmung zu ihrer Vermählung bitten
müssen; beide hatten Reichslehen - die Toskana und Ober-Lothringen
-, und der Kaiser konnte sie ihnen bestätigen oder entzeihen. In Anbetracht
des früheren Verhaltens Gottfrieds
wollte der Kaiser zu letzterer Maßnahme greifen. Es bestand ja in
der Tat die Gefahr, dass Gottfried sich
jenseits der Alpen mit den Besitztümern der CANOSSA ein eigenes
Königreich errichten wollte, und das mußte der Kaiser unter
allen Umständen verhindern. So eilte er nach Italien, um gegen die
neuen Herren von Canossa vorzugehen. Viele seiner Aktionen betreffen in
der Tat die Toskana. Gottfried war
inzwischen nach Lothringen geflüchtet, aus Florenz durch einen Volksaufstand
vertrieben, bei dem HEINRICH III.
vielleicht
seine Hand im Spiel gehabt hatte.
Im Februar 1057 reisten Beatrix und Gottfried
in die Toskana zurück. Sie waren beim Tod des Kaisers in der Nähe
von Goslar zugegen gewesen; nun gaben sie Papst Viktor II. das Geleit.
Die CANOSSA erwiesen sich dem Papst auf seiner Reise nach Rom als
unentbehrlich und spielten später, bei der Wahl seines Nachfolgers,
eine entscheidende Rolle, nachdem Viktor II. am 27. Juli 1057 in Arezzo
gestorben war. In nur fünf Tagen gelang es
Gottfried,
seinen Bruder Friedrich zum Papst wählen zu lassen. Er nahm
den Namen Stephan IX. an, starb aber bereits am 29. März 1058. In
dieser Krisenzeit wurde also ein kaiserliches Vorrecht von einem Lehnsherren,
Gottfried dem Bärtigen,
usurpiert.
Im Jahre 1061 kam es zum Schisma, denn der deutsche König
ließ am 28.10.1061 den Bischof Cadalus von Parma als Honorius II.
zum Papst wählen. Wenige Tage vorher hatten Hildebrand nahestehende
Kardinäle unter dem Schutz der Normannen Alexander II. zum Papst gewählt.
In der ersten Zeit verhielt sich Gottfried
neutral, wahrscheinlich deshalb, weil er sich nicht in Italien befand und
seine Interessen in Lothringen wahrnahm. Beatrix hatte hingegen
von Anfang an die Partei Alexanders II. ergriffen, vielleicht durch Petrus
Damiani beeinflußt, und versuchte, Honorius II. an der Durchreise
durch ihr Herrschaftsgebiet zu hindern. Gottfried
nahm an der Synode in Mantua teil und gab ihr durch seine Autorität
und Machtstellung die entscheidende Bedeutung. Auch diesmal gaben also
die CANOSSA für die Wahl des Papstes den Ausschlag.
Gottfried der Bärtige
kehrt krank in seine lothringischen Länder zurück, zuerst nach
Bouillon, dann nach Verdun. Als sich sein Zustand verschlimmert, ruft er
seine ganze Familie, den italienischen und den lothringischen Teil, zu
sich. Sobald sein Sohn Gottfried und seine Stieftochter Mathilde
bei
ihm eingetroffen sind, läßt er ihre Hochzeit ausrichten, um
seine Nachfolge in den beiden Herrschaftsgebieten, Lothringen und Toskana-Poebene,
vor seinem Hinscheiden zu regeln, vielleicht in der - wohl nicht unbegründeten
- Befürchtung, dass nach seinem Tod das Eheversprechen nicht eingehalten
werde. Einer Anordnung Papst Alexanders II. nachkommend - vielleicht weil
er und Beatrix ihr Enthaltsamkeitsgelübde nicht eingehalten
hatten -, trifft er auch die Verfügung, zwei Klöster zu gründen,
in Lothringen die Abtei Orval, in Italien die Abtei Frassinoro.
Der Markgraf stirbt am Heiligen Abend des Jahres
1069.
Sein Sohn Gottfried der Bucklige erbt seine Reichtümer und
seine Macht. Zur Festigung seiner Position und besseren Kontrolle seiner
Besitzungen und Herrschaften hält er sich weiter in Lothringen auf.
Während
Beatrix nach Italien zurückkehrt, um sich um die
Angelegenheiten ihres Hauses zu kümmern, bleibt Mathilde bei
ihrem Ehemann.