XIII. Mathilde, Äbtissin von Quedlinburg (955-7.2.999),
mit einem Anhang zu Sophie von Gandersheim (Spätsommer 975-27./30./31.1.
1039) und Adelheid von Quedlinburg ( 5.977-14.1.1043)
1. Die Vorbereitung auf ihre Lebensaufgabe
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Mathilde und OTTO
II., der als König und Kaiser die Nachfolge seines Vaters,
OTTOS
DES GROSSEN, antreten sollte, sind in demselben Jahr 955
geboren. Von den zeitgenössischen Historiographen wurde sie mit
Epitheta belegt wie "flos virginalis", "maiestas imperialis", "sapientia
singularis" und mit einer "gemma praelucida e medio coronae imperialis,
decori suis et gaudio cunctis" verglichen. Die zitierten Worte ordnen sie
zugleich der engsten königlichen Verwandtschaft zu, die auch ihre
Lebensaufgabe bestimmen sollte: als 1. Äbtissin des Familienstifts
Quedlinburg erhielt sie die Fürsorge für das Totengedenken
der LIUDOLFINGER
übertragen.
OTTO DER GROSSE hatte
gleich in den ersten Tagen seiner Königsherrschaft "ob amorem dei
omniumque sanctorum et pro remedio animae nostrae atque parentum successorumque
nostorum", also zum Seelenheil seiner selbst, seiner Vorfahren und Nachfolger,
in Quedlinburg ein Kanonissinnenstift eingerichtet. Schon in jungen Jahren
wurde Mathilde an das Stift zur Erziehung
übergeben und vor dem dritten Italienzug ihres Vaters im Jahr 966
feierlich in Anwesenheit zahlreicher Großer des Reiches zur ersten
Äbtissin geweiht. In diesem Stift, nahe dem Grabe ihres
Gemahls, König HEINRICHS I., lebte
die Königin Mathilde, die Seniorin
der LIUDOLFINGER-Familie, die in ihrem
Witwenstande die Fürsorge für das ottonische
Familiengedenken
trug. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 968 übergab die Königsmutter
ihrer Enkelin einen Nekrolog, in dem die gesamten Gedenkverpflichtungen
der Familie eingetragen waren, und stellte auf diese Weise die Kontinuität
des Gebetsgedenkens über ihren Tod hinaus sicher; die Fürsorge
für das Totengedenken der OTTONEN war
nun die Aufgabe der jungen Äbtissin Mathilde.
In der Übertragung der Äbtissinnenwürde
an Mathilde ist zugleich eine Entscheidung
OTTOS
DES GROSSEN gegen die eventuelle Vermählung seiner letztgeborenen
Tochter zu sehen. Dies ist die Konsequenz, die OTTO
I. aus dem Scheitern seiner Familienpolitik, dem Fehlschlag
bei der erhofften Absicherung der königlichen Herrschaft durch die
Übertragung von Herzogs- und sonstigen Ämtern an besonders königsnahe
Personen, gezogen hat: Mathilde wurde
nicht mehr mit einem Großen des Reiches oder einem ausländischen
Fürsten verheiratet, sondern für den Dienst im Stift Quedlinburg
bestimmt. Doch ist gut denkbar, dass sich OTTO
I. die Frage: Verheiratung seiner Tochter oder deren Bestimmung
für die ottonische Memoria, überhaupt
nicht gestellt hat, und die Entscheidung nicht aus der Reflexion über
das Scheitern der Familienpolitik resultierte. Die Königin
Mathilde war jetzt bereits über 60 Jahre alt, und es stand
in der königlichen Familie nun nur diese eine Königstochter zur
Verfügung, um beim Tod der Witwe HEINRICHS
I. deren Aufgaben zu übernehmen. Wenn OTTO
DER GROSSE die Fortsetzung des liudolfingischen
Gedenkwesens ein Anliegen war - und dies ist bei den skizzierten Initiativen
des Königs nicht fraglich -, blieb ihm eigentlich keine andere Wahl,
als diese seine Tochter Mathilde als
die künftige Trägerin der Memoria zu bestimmen.
2. Mathilde während der Regierungszeit Kaiser Ottos
II.
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In der Regierungszeit OTTOS
II. sind für die Jahre 974 und 978 zwei Aufenthalte des
Kaisers zur Osterfeier in Quedlinburg bezeugt. Schon unter dessen Vater,
OTTO
I., war Quedlinburg einer der Hauptfeierorte für das Osterfest
geworden, nicht zuletzt, weil das Stift als Grablege König
HEINRICHS I. eine sakrale Weihe besaß. Zur Bedeutung des
Stifts Quedlinburg trug weiterhin die Stiftsschule, die Führung eigener
Annalen und besonders eine umfangreiche Bautätigkeit - das Stift wurde
zur "metropolis" ausgebaut - bei. Über den Gräbern des Königspaares
HEINRICH
I. und
Mathilde entstand
der erste Bauabschnitt einer größeren, repräsentativen
Kirche und dementsprechende Wohnbauten. Zahlreiche Schenkungen der OTTONEN
statteten das Stift aus. Darüber hinaus ist die Äbtissin
Mathilde mehrfach als Intervenientin in den Königsurkunden
genannt.
Im Jahr 978 begleitete die Äbtissin
Mathilde ihre Mutter, die Kaiserin
Adelheid, auf deren Reise nach Burgund. Auch an der glanzvollen
Osterfeier ihres Bruders, Kaiser OTTOS II.,
in Rom im Jahr 981 nahm Mathildeals
"Metropolitanense abbatissa" teil, zusammen mit den Kaiserinnen
Adelheid und Theophanu,
König
Konrad von Burgund, Herzog Otto von
Schwaben
und Bayern, sowie zahlreichen deutschen, französischen,
italienischen und spanischen Bischöfen und Äbten. Sie nimmt so
an der Wiederherstellung der kaiserlichen Macht in Rom teil und erhält
hiermit ihren Anteil an der Repräsentation der ottonischen
Herrschaft. In diesem Zusammenhang ist wohl auch die Nachricht zu sehen,
dass OTTO II. bei seinem Tod seiner
Schwester Mathilde ein Viertel seines
Geldbesitzes hinterließ und ihr damit die künftige Stellung
eines "Familienoberhauptes" und Wahrerin des liudolfingischen
Hausgutes
in Sachsen übertragen wollte.
3. Mathilde während der Regierungszeit Kaiser Ottos
III.
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Nach dem überraschenden Tod Kaiser
OTTOS II. versuchte Herzog Heinrich
der Zänker sich selbst die Königskrone auf sein Haupt
zu setzen. Die Osterfeier des Jahres 984 beging er in feierlicher Form
in Quedlinburg. Wir wissen jedoch nicht, an welchen Ort sich die Äbtissin
Mathilde an diesem Tag aufhielt; möglicherweise befand
sie sich noch bei den beiden Kaiserinnen Adelheid
und Theophanu in Italien. Als sich
die Kaiserinnen mit Heinrich dem Zänker
auf dem Tag zu Rara trafen, um den kleinen König
OTTO III. von ihm in Empfang zu nehmen, war auch die Äbtissin
Mathilde als eine der drei "dominae imperialis" an dem Tag anwesend,
ebenso wie dann am Hoftag zu Frankfurt, auf dem der endgültige Ausgleich
mit dem Zänker erfolgte. So hatte Mathilde
Anteil zumindest an der Repräsentation der vormundschaftlichen Regierung,
wenn sie auch nicht in dem gleichen Maß an der Ausübung der
Regierungsgewalt beteiligt gewesen sein wird wie die beiden Kaiserinnen.
Im Jahr 986 wurde das Osterfest in Quedlinburg gefeiert,
offenbar in Reaktion auf die Feier Herzog Heinrichs
des Zänkers zwei Jahre zuvor am gleichen Ort anläßlich
seiner versuchten Usurpation der Königskrone. An diesem Zeremoniell
nahmen zahlreiche Fürsten des Reiches teil, vor denen Herzog
Heinrich der Zänker das Hofamt des Truchseß ausübte
und damit seine Unterwerfung unter die Herrschaft OTTOS
III. allen sichtbar vor Augen stellte.
Die Äbtissin Mathilde
war als Hausherrin für die Durchführung dieser Feierlichkeiten
verantwortlich. Auch die Osterfeiern des Jahres 989 und 991 fanden unter
ihrer Oberhoheit in Quedlinburg statt. Es ist denkbar, daß der 9-jährige
König während des Italienzuges seiner Mutter, der Kaiserin
Theophanu, in die Obhut seiner Tante gegeben war.
Mathilde Uhlirz nimmt an, die Äbtissin
Mathilde habe bei inneren Konflikten innerhalb der Reichsregierung
auf der Seite der Theophanu gestanden
und verweist für diese Annahme auf ein Zurücktreten
Mathildes
in den Jahren der vormundschaftlichen Regierung der Kaiserin
Adelheid: keine einzige der Osterfeiern fand mehr im Stift Quedlinburg
statt. Bei der Weihnachtsfeier 991 in der Pfalz Pöhlde war die Äbtissin
Mathilde anwesend und intervenierte in der Urkunde, mit der
die Kaiserin Adelheid ihre Klostergründung
in Selz mit Reichsgut ausstatten ließ. Wohl im Gegenzug erhielt die
Äbtissin den Königshof in Walbeck, um dort ein Nonnenkloster
einzurichten. Viele Fürsten waren bei den Unterredungen über
die geplanten Gründungen anwesend. Wie wir bereits früher in
unserem Kapitel über die Kaiserin Adelheid
gehört haben, ist von der Forschung der Grund, der
Adelheidzur
Stiftung ihres Grabklosters bewegt hat, noch nicht aufgeklärt worden.
Für das Nonnenkloster in Walbeck wäre an eine Aufgabe im Rahmen
der Ostmission zu denken. Ende 992 nahm die Äbtissin an der feierlichen
Domweihe zu Halberstadt teil. Im Oktober 995 wurde Adelheid,
die Schwester König OTTOS III.,
feierlich als neue Kanonnissin in Quedlinburg eingekleidet. Zu dieser Feier,
mit der die Nachfolge der erste Äbtissin und damit die Kontinuität
von deren Aufgaben gesichert werden sollte, waren zahlreiche Fürsten
erschienen. Am 7. Mai 997, dem Todestag ihres Vaters, Kaiser
OTTOS DES GROSSEN, wurde in Walbeck der erste Bauabschnitt des
neu eingerichteten Nonnenklosters geweiht.
Mathilde war somit als Mitglied der OTTONEN-Familie
mit an Herrschaftsrepräsentation und -legitimation beteiligt. Während
des 2. Italienzuges Kaiser OTTOS III.
übte die Äbtissin Mathilde
sogar die Statthalterschaft für ihren Neffen aus, wie es die
Grabinschrift der Äbtissin und die erzählenden Quellen bezeugen.
Wir können aber aus den Zeugnissen nicht klären, wie groß
der Amtsbereich dieser Statthalterschaft war, ob nur Sachsen oder das ganze
Reich. Mathilde hielt im Herbst 998
einen sächsischen Landtag in Derenburg und Anfang des folgenden Jahres
999 einen "Reichstag" in Magdeburg ab; an diesem Tag in Magdeburg nahm
aber von den weltlichen Fürsten nur Herzog Bernhard von Sachsen teil;
zudem ging es um eine innersächsischen Angelegenheit, nämlich
um die Entführung von Liutgard, der Tochter des Markgrafen Ekkehard
I. von Meißen, durch Werinhar, den Sohn des Grafen Liuthar von Walbeck.
Mathilde
wurde während der Statthalterschaft der Titel "matricia"
verliehen.
Abschließend ist nochmals auf die wichtige Aufgabe
Mathildes
hinzuweisen, die leicht in Vergessenheit geraten könnte, da sie in
den erzählenden Quellen keinerlei Niederschlag gefunden hat, auf ihre
Fürsorge für das Totengedenken der Personen, die der Familie
der OTTONEN angehörten oder zu
deren Gedenken sich die Familie besonders verpflichtet fühlte. Während
der Zeit, in der Mathilde die memoria
ausübte, wurden auch die Bischöfe, die an der vormundschaftlichen
Regierung beteiligt waren, in die Gedenkverpflichtung zusätzlich mit
aufgenommen.
Die Äbtissin Mathilde starb
am 7. Februar 999. Die Nachricht von ihrem Ableben wurde der Kaiserin
Adelheid in die Pfalz Erstein überbracht und ging von dort
an Adelheids Enkel, OTTO
III., der noch in Italien weilte. Der Kaiser bestimmte nun seine
Schwester Adelheid zur neuen Äbtissin
von Quedlinburg und stattete sie diesem Amt entsprechend aus.
4. Zusammenfassende Würdigung der Äbtissin Mathilde
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Mathilde, die Tochter
Kaiser
OTTOS DES GROSSEN und derKaiserin Adelheid,
wurde bereits in jungen Jahren die Aufgabe ihrer Großmutter, der
Königin
Mathilde, übertragen, in Zukunft für das Totengedenken
der LIUDOLFINGERund für deren
sonstige Gedenkverpflichtungen Sorge zu tragen. Vielleicht war bereits
die Namenswahl bestimmend für die künftige Lebensstellung, doch
wurde Mathilde im Unterschied zu ihrer
Großmutter bereits im Kindesalter, ohne vorher den Stand einer vermählten
Adligen durchlaufen zu haben, in diese Aufgabe berufen.
Über das Amt einer Äbtissin
von Quedlinburg hinaus, in dem sie mit einer repräsentativen
Ausstattung des ottonischen Hausstiftes
im Rahmen der königlichen und kaiserlichen Herrschaftslegitimation
zu erfüllen hatte, nahm sie während der vormundschaftlichen Regierung
die Funktion einer der drei "dominae imperiales" wahr und vertat kurz vor
ihrem Tod ihren Neffen, den Kaiser, während dessen Abwesenheit aus
Sachsen, als dieser zu seinem zweiten Italienzug aufgebrochen war.