Liudolfinger
 

STAMMTAFEL im Anhang Band IX des Lexikons des Mittelalters

EUROPÄISCHE STAMMTAFELN NEUE FOLGE BAND I.1 Tafel 10

Lexikon des Mittelalter: Band VI Seite 1588
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OTTONEN
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Sächsisches Adelsgeschlecht, Königs- und Kaiserhaus, benannt nach dessen zur königlichen Würde aufgestiegenen, den Leitnamen Otto (OTTO I., OTTO II., OTTO III.) führenden Repräsentanten.

[1] ANFÄNGE

Ahnherr des ursprünglich wohl aus Thüringen stammenden Geschlechts ist der im westlichen Harzvorland und im thüringischen Eichsfeld begüterte Graf Liudolf (+ 866), nach welchem die Angehörigen dieser Familie auch als LIUDOLFINGER bezeichnet werden. Während der Sachsenkriege KARLS DES GROSSEN als Parteigänger der Franken hervorgetreten, waren die LIUDOLFINGER auf konfisziertem Grundbesitz im Leinegebiet angesiedelt worden. Auf Familiengut gründete Liudolf zusammen mit seiner fränkischen Gemahlin Oda um 852 das Kanonissenstift Gandersheim, das unter der tatkräftigen Leitung von Töchtern der Stifterfamilie zum liudolfingischen Hauskloster wurde. Die Notwendigkeit der Landesverteidigung angesichts der Bedrohung durch Slaven und Ungarn einerseits und mehrfache Verschwägerung mit dem karolingischen Königshaus andererseits begünstigten den Aufstieg der LIUDOLFINGER zur Herzogswürde. Bereits Liudolf hatte um die Mitte des 9. Jh. in Ostfalen eine herzogliche Stellung inne, die unter seinen Söhnen Brun (+ 880) und Otto dem Erlauchten auf ganz Sachsen ausgeweitet werden konnte. Letzterer besaß zudem die Würde eines Laienabtes des in Thüringen reich begüterten Klosters Hersfeld. Nach Ottos Tod (912) wurde dessen Sohn Heinrich, der spätere ostfränkisch-deutsche König, von sächsischen Großen zum Herzog gewählt. Durch seine zweite Ehe mit Mathilde aus dem Hause der mit dem Geschlecht des Sachsen-Herzogs Widukind verwandten IMMEDINGER gelang es Heinrich, den Einfluß der LIUDOLFINGER auf Westfalen auszudehnen. Durch die gewaltsame Inbesitznahme der Mainzer Güter im Leinegebiet und in Thüringen kam es zum Konflikt mit den fränkischen KONRADINERN. Heinrichs Sieg über Eberhard, den Bruder König KONRADS I., bei der Eresburg (915) eröffnete ihm den Zugang zum Weserraum. In einer daraufhin bei Grona getroffenen Vereinbarung sah sich KONRAD I. zur Anerkennung der autonomen Stellung des Sachsen-Herzogs im Norden gezwungen.

[2] AUFSTIEG ZUR KÖNIGLICHEN WÜRDE

Mit der Wahl des sächsischen Herzogs Heinrich zum König in Fritzlar übernahm das Geschlecht der LIUDOLFINGER die Herrschaft im ostfränkisch-deutschen Reich. Die näheren Umstände dieser Königserhebung bleiben freilich im dunkeln. Die Erwähnung von Sachsen und Franken dürfte auf ein sächsisch-fränkisches Freundschaftsbündnis (amicitia) hindeuten. Ob der Wahl eine Designation durch KONRAD I. vorausgegangen ist, wie Widukind von Corvey (I, 25) überliefert, muß offen bleiben. Möglicherweise verbirgt sich hinter seinem Bericht eine vom ottonischen Königshaus nachträglich geschaffene Legende zur Rechtfertigung einer tatsächlich erfolgten Usurpation. War Widukind doch auch sonst darauf bedacht, die Legitimität der sächsischen Dynastie zu unterstreichen. Unter der Herrschaft der OTTONEN, die sich hierbei in besonderer Weise auf die Reichskirche stützten, wurde das ostfränkische, jetzt sächsisch dominierte Reich zur unbestrittenen Vormacht des Westens. Durch OTTO I., Sohn HEINRICHS I., erfuhr das abendländische Kaisertum eine glanzvolle Erneuerung. damit war zugleich eine wichtige Voraussetzung für die von den ottonischen Herrschern verfolgten Pläne einer weit nach Osten ausgreifenden Mission geschaffen. Unter OTTO II. führte eine Empörung der bayerischen LIUDOLFINGER unter Heinrich dem Zänker, dem Sohn Herzog Heinrichs von Bayern und Neffen OTTOS I., zu einer schweren Krise. Während der Minderjährigkeit OTTOS III. strebte Heinrich der Zänker sogar selbst nach der Krone. Nur der Widerstand eines Teils der Fürsten unter Führung des Erzbischofs Willigis von Mainz machte die ehrgeizigen Pläne des "Zänkers" zunichte. Als OTTO III. im Jahre 1002 unerwartet und ohne Nachkommen starb, ging die Herrschaft auf den bayerischen Zweig der LIUDOLFINGER über. In Abkehr von der letztlich überzogenen Renovatiopolitik OTTOS III. gelang es HEINRICH II., dem Sohn Heinrichs des Zänkers, der königlichen Herrschaft in Deutschland wieder eine sichere Grundlage zu verschaffen. Mit seinem Tod (1024) erlosch das liudolfingische Haus im Mannesstamm [Richtigstellung: Das liudolfingische Haus erlosch erst 1029 mit dem Tod Bischof Bruns von Augsburg, Bruder Kaiser HEINRICHS II.].

[3] BEDEUTUNG

Unter der gut ein Jahrhundert dauernden Herrschaft der OTTONEN ist der vielschichtige Prozeß der Bildung des Deutschen Reiches weitgehend zum Abschluß gekommen. Während dieser Zeit hat Sachsen, das niemals zu den Kernländern des fränkischen Reiches gehört hat, den kulturellen Anschluß an den Westen gefunden. Die ottonischen Herrscher, insbesondere aber die Frauen des ottonischen Hauses, hatten maßgeblichen Anteil am Aufschwung von Wissenschaft und Kunst. Durch Theophanu, die Gemahlin OTTOS II., wurde dem Abendland der Zugang zur byzantinischen Kultur eröffnet. Erzbischof Brun von Köln, der Bruder OTTOS I., setzte sich intensiv für die Klerikerbildung ein und schuf damit die Voraussetzung für den "Reichsdienst" der Bischöfe. Geschichtsschreibung und Dichtung standen im Dienst des ottonischen Königshauses und eines ausgeprägten sächsischen Stammesgefühls. In den Frauenklöstern Gandersheim und Quedlinburg, der Grablege HEINRICHS I. und seiner Gemahlin Mathilde, wurde nicht nur die Memoria der verstorbenen Familienmitglieder gepflegt; sie waren auch Stätten königlicher Repräsentation und Ausgangspunkt einer das Handeln der ottonischen Herrscher kritisch begleitenden historischen Überlieferung.

Literatur:
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S. Krüger, Stud. zur sächs. Gft.sverfassung im 9. Jh. (Stud. und Vorarb. zum Hist. Atlas Niedersachsens 19, 1950, 64-71 - G. Wolf, Zum Übergang der Kg.sherrschaft an die Liudolfinger (O), Westfalen 38, 1960, 36-40 - W. Metz, Die Abstammung Heinrichs I., HJb 84, 1964, 271-287 - K. Schmid, Die Nachfahren Widukinds, DA 20, 1964, 1-47 - E. Hlawitschka, Zur Herkunft der Liudolfinger und zu eigenen Corveyer Gesch.sq., RhVjbll 38, 1974, 92-165 - R. Wenskus, Sächs. Stammesadel und frk. Reichsadel (AAG 3. F. Nr. 93, 1976), 60-114 - G. Althoff, Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung (MMS 47, 1983), bes. 133ff. - E. Karpf, Herrscherlegitimation und Reichsbegriff in der Otton. Gesch.schreibung des 10. Jh. (HF 10, 1985) - H. Beumann, Die O., 1987, 22-31 [Lit.] - W. Glocker, Die Verwandten der O. und ihre Bedeutung in der Politik, 1989 - G. Althoff, Verwandte, Freunde und Getreue, 1990, 51f, 64 - Ders., Gandersheim und Quedlinburg, FMASt 25, 1991, 123-144.


Sächsisches Adelsgeschlecht, aus dem von 919 bis 1024 die deutschen Könige hervorgingen. Es erlosch in männlicher Linie mit Bischof Brun von Augsburg, dem Bruder Kaiser HEINRICHS II.
Es ist mit gutem Grund vermutet worden, daß die LIUDOLFINGER im Verlauf der Sachsenkriege als Parteigänger der Franken im Leinegebiet auf konfiszierten Grundbesitz angesiedelt worden sind und ursprünglich aus Thüringen stammten. Für die Herkunft der LIUDOLFINGER aus Thüringen spricht vor allem der auffällige Umfang ihres dortigen Besitzes. Herzog Liudolf besaß Grafschaftsrechte im Eichsfeld, sein Sohn Otto solche in Südthüringen sowie bei Mühlhausen und wurde Laienabt des Klosters Hersfeld, das links der Saale über reichen Zehntbesitz verfügte. Diese Positionen haben gewiß zur Vermehrung des thüringischen Besitzes geführt, ohne daß sie ihn überhaupt erst begründet haben müßten. Liudolfs Gemahlin war als die Tochter eines "Fürsten" Billung und seiner Gemahlin Aeda fränkischer Abstammung. Bei Liudolfs Vorfahren muß eine Versippung mit den EKBERTINERN/COBBONEN angenommen werden, den namentlich in Westfalen mächtigen Nachkommen Ekberts, den KARL DER GROSSE zum Herzog aller Sachsen zwischen Rhein und Weser eingesetzt hatte, und seiner Gattin Ida. Für Ida, die als Heilige verehre Gründerin der Kirche von Herzfeld an der Lippe, wird sogar karolingische Abstammung bezeugt, Ekbert selbst und seine Nachkommen standen zum KAROLINGER-Hof in engsten Beziehungen und hatten Einfluß auf die von Adalhard und Wala, Vettern KARLS DES GROSSEN, gegründeten Klöster Corvey und Herford. Der Aufstieg der LIUDOLFINGER zur Reichsaristokratie ist nicht zuletzt ihrer mehrfachen Verschwägerung mit den KAROLINGERN zu verankern. Zur Ehe der Liudolf-Tochter Liutgard mit Ludwig dem Jüngeren kam die Verbindung Odas, der Tochter Ottos des Erlauchten und Schwester HEINRICHS I., mit Zwentibold (897). Die Nachricht schließlich, die Frau eines der Söhne Liudolfs sei königlichen Geblüts gewesen, wird neuerdings eher auf Hadwig, Gemahlin Ottos des Erlauchten und Mutter HEINRICHS I. als auf eine unbekannte Gattin des 880 in den Normannenkämpfen gefallenen Brun bezogen. Hadwig könnte in weiblicher Linie über die EKBERTINER mit den KAROLINGERN zusammengehangen haben. Denn als ihr Vater ist mit großer Sicherheit Heinrich aus der Familie der in Ostfranken mächtigen BABENBERGER/POPPONEN zu erschließen. HEINRICH I. war also der Sohn einer fränkischen Mutter und erhielt den auf diese Weise in die Familie der LIUDOLFINGEReingeführten Namen ihres  Vaters. Der erste sächsische König war durch Mutter und Großmutter fränkischer Abstammung. Das Gandersheimer Familienstift erhielt 877 von Ludwig dem Jüngeren ein Privileg über Immunität und Königsschutz. Die Äbtissin sollte weiterhin aus der Stifterfamilie gewählt werden. Hinzu kam die Übertragung von Reichsgut. In den Abwehrkämpfen ihrer Zeit erlangten die LIUDOLFINGER eine herausragende Stellung.