Liudolf
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* c 805/20, + 866 III 12
Graf, "dux Orientalium Saxonum"
oo c 825/35 Oda, Tochter des fränk. "princeps"
Billung und der Aeda
805/06, + 913 V 17
Wenn man sich in den Quellen auf die Suche nach den Ahnen
König
HEINRICHS I. begibt, so findet man als frühesten Vorfahren
den sächsischen Graf und "dux" Liudolf,
den wir in Anlehnung an die Charakterisierung "dux Orientalium Saxonum"
(Agius v. Corvey, Vita Hathumodae c. 2, SS IV 167) in Zukunft zur Unterscheidung
von namensgleichen Angehörigen der OTTONEN-Familie
Liudolf
dux nennen wollen. Nach diesem Liudolf
dux führen die OTTONEN,
insbesondere
die frühen Ahnen OTTOS DES GROSSEN,
auch den Sippennamen LIUDOLFINGER,
weil Liudolf einer der Leitnamen der Familie ist (vgl. zu den Leitnamen
Krüger, Grafschaftsverfassung S. 17- 20): Liudolf
dux ist der sog. "Spitzenahne" und "Stammvater"
der OTTONEN-Dynastie und so für
die Sippe namensgebend geworden; zu der Problematik, wie Adelssippen des
früheren Mittelalters zu benennen sind, vgl. Schmid, Bemerkungen passim.
Außer der oben zitierten Belegstelle bei Agius
von Corvey kennen wir den Liudolf dux aus
der Sachsengeschichte des Widukind von Corvey I c. 16, S. 25 f.; doch ist
das Wissen Widukinds über die frühen LIUDOLFINGER
bereits sehr fehlerhaft, wie die (absichtliche?) Verwechslung des Gemahls
der Liutgard, einer Tochter des Liudolf
dux, zeigt, wo Widukind (falsch)
König
Ludwig das Kind
an Stelle von (richtig) König
Ludwig der Jüngere hat. Weiter ist Liudolf
in den Primordia coenobii Gandeshemensis der Nonne Hrotsvith
von Gandersheim v. 5 ff. bezeugt.
König OTTO
I. nennt in den beiden Urkunden für Gandersheim D O I.
89 und 180 seinen "proavus"
Liudolf,
dessen Gemahlin Oda
und zwei ihrer Söhne, die "duces" Brun
und Otto. Die weiteren Belege zum
Liudolf dux
und seiner Gemahlin Oda sind zusammengestellt bei Krüger, Grafschaftsverfassung
S. 67.
Unseres Liudolfs Geburtsjahr
kennen wir nicht, doch lassen sich zwei Überlegungen anstellen, um
es ungefähr zu bestimmen. Aus der Angabe bei Hrotsvith, Primordia
v. 575, Liudolfs Gemahlin
Oda
sei im Alter von 107 Jahren verstorben, können wir unter Kenntnis
Todesjahres für
Oda das Geburtsjahr 805/06 errechnen. Wem dieses
Ergebnis zu legendenhaft hoch erscheint, der muß darauf hingewiesen
werden, dass wir das Geburtsjahr einer Tochter unseres Paares, der Äbtissin
Hathumod von Gandersheim, mit 840 (vgl. II,6) kennen, und Oda
somit zumindestens c 820/25 zur Welt gekommen sein muß. Nehmen wir
aber das Geburtsjahr 805/06 für Oda
als zutreffend an, und
bedenken wir weiter, daß Ehegatten in der Regel häufig in etwa
gleichaltrig sind, so dürfen wir das Geburtsjahr des Liudolf
dux im ersten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts vermuten. Liudolf
hätte
dann ein Alter von etwa 60 Jahren erreicht. So rechnete Hömberg, Comitate
S. 122 mit Anm. 353, vom Geburtsjahr
König
HEINRICHS I. (c 876) zurück zur Geburtszeit der Söhne
des Liudolf dux
(840-er Jahre) und
ermittelte für Liudolf
selbst
eine ungefähre Geburtszeit c 815. Vgl. hierzu auch den Nachtrag auf
Seite 395.
Die Belege für das Todesjahr sind bei Dümmler
Bd. 1, S. 371, Anm. 3, und bei Waitz S. 10 mit Anm. 3 zusammengestellt.
Der Todestag Liudolfs ist genannt in
den Nekrologen von Weißenburg und Gandersheim, vgl. Althoff, Zeugnisse
S. 401 (Nr. 18 mit Anm. 7). Für die Eltern, Großeltern usw.
des Liudolf dux ist keine gesicherte
Quellenbasis zu erreichen. In der Sekundärliteratur wurde häufig
die Vermutung geäußert, in dem zum Jahr 775 in den Annales regni
Francorum, S. 42, genannten Führer der Engern namens Brun und in dem
um 800 als Schenker an das Kloster Fulda auftretenden "Liutolf comes de
saxonia" (Dronke, Trad. Fuld. c. 41, Nr. 14) seien Vorfahren unseres Liudolf
dux zu sehen. Doch außer
den Leitnamen deutlich liudolfingischer
Prägung ließen sich keinerlei stützende Argumente vorbringen.
Bereits den Historiographen des 10. Jahrhunderts, Widukind von Corvey und
Hrotsvith von Gandersheim, dürfte nichts mehr über die Vorfahren
des Liudolf dux bekannt
gewesen sein. Mit Althoff, Adelsfamilien S. 142, vermuten wir den Grund
für den Verlust des Wissens in der Tatsache, daß das Kloster
Gandersheim in dieser Frühzeit der liudolfingischen
Familie
deren Gedenktradition betreute; doch setzte die Memoria offenbar erst mit
dem Klostergründer, unserem Liudolf dux,
ein. Wenn uns der Gandersheimer Priester Eberhard des 12. Jahrhunderts
in seiner Reimchronik 1 c. 2, S. 7, einen Brun als Vater des
Liudolf
dux nennt, so dürfen wir hier kein lokales und damit verläßliches
Wissen sehen, sondern nur eine frühe gelehrte Konstruktion; der Brun
Eberhards ist der Nonne Hrotsvith von Gandersheim nämlich völlig
unbekannt, obwohl sie dieser fiktiven Gestalt zeitlich näher steht
und diese somit besser kennen müßte als der Priester Eberhard.
Das Dunkel um die Ahnen der Sachsenkaiser hat schon das
Mittelalter zu Spekulationen gereizt. Die späte Gandersheimer Tradition
kennt beispielsweise den Namen der Mutter des Liudolf
dux mit Susanne (vgl. Hüsing, Genealogie S. 12).
Weitere Kombinationen zu den Urahnen der OTTONEN
hat Waitz im Exkurs I, S. 179-189, gesammelt. Die moderne Forschung äußerte
immer wieder die Vermutung, die LIUDOLFINGER des
9. Jahrhunderts ständen mit den EKBERTINERN (nach einem anderen Leitnamen
auch COBBONEN genannt) in verwandtschaftlicher Beziehung. Bei diesen EKBERTINERN
handelt es sich um die Nachkommenschaft eines Vertrauten
KARLS
DES GROSSEN namens Ekbert. Dieser pflegte eine vornehme Dame,
die heilige Ida, durfte sie schließlich heiraten und erhielt von
KARL
DEM GROSSEN in einem Teil Sachsens eine herzogliche Stellung
übertragen (vgl. zu diesen Zusammenhängen Krüger, Grafschaftsverfassung
S. 77 f., Hlawitschka, Herkunft S. 147- 150, sowie den Forschungsstand
referierend Jakobi, Nachkommen passim).
Hömberg, einer der besten Kenner der sächsischen
Grafschaftsverfassung in der Zeit des 9. Jahrhunderts, sah Comitate S.
122 ff. in diesem Ekbert, dem Vertrauten Kaiser
KARLS DES GROSSEN, und seiner Gemahlin Ida die direkten Großeltern
des Liudolf dux. Diese Ansicht begründete
er mit dem Besitz des alten Könighofes Herzfeld, den man zuerst in
den Händen Ekberts nachweisen kann, und der sich dann in Händen
Herzog Ottos des Erlauchten, des Sohnes unseres Liudolf
dux findet. Doch hat Hömberg
übersehen, daß die skizzierte Besitzfolge bei dem Königshof
Herzfeld nicht unbedingt durch Erbfolge bewerkstelligt sein muß,
sondern auch auf dem Weg der Belehnung erfolgt sein könnte. Da aber
der Name "Ekbert" unter dem Namensgut, das wir bei den Kindern des Liudolf
dux finden, entgegen einer früheren
Vermutung nicht nachgewiesen werden kann (vgl. dazu II,3), können
wir eine agnatische Verwandtschaft zwischen den LIUDOLFINGERN
und EKBERTINERN mit Sicherheit ausschließen. Ein verwandtschaftlicher
Konnex muß aber bestanden haben, da sich der Name Liudolf unter
den Ekbert-Kindern findet. Kohl, Typologie S. 124, vermutet, diese Verwandtschaft
könne durch eine gemeinsame verwandtschaftliche Beziehung beider Familien
zu den IMMEDINGERN, derjenigen Sippe, der die Königin
Mathilde entstammte, vermittelt worden sein. Metz, Abstammung
S. 272 ff., lehnt eine Verwandtschaft zwischen EKBERTINERN und LIUDOLFINGERN
allerdings ab, während Hlawitschka, Herkunft S. 151- 160,
eine cognatische Beziehung für wahrscheinlich hält.
Es sei hier noch abschließend auf den letzten Versuch
in der neueren Forschung hingewiesen, in der agnatischen Reihe bei den
Ahnen der
OTTONEN-Kaiser über
den Liudolf dux noch weiter zurückzukommen.
Der Rechtshistoriker Karl August Eckhardt hat im Zusammenhang mit seiner
Wiederveröffentlichung der Corveyer Traditionen (Studia Corbeiensia,
hier Bd. I, S. 140- 155 und 170-173) durch die Umstellung und damit verbundene
Umdatierung zweier Traditionsnotizen nachzuweisen versucht, daß unser
Liudolf
dux der Sohn eines Asic/Adalric und dessen zweiter Gemahlin,
einer ebenfalls in dem Traditionsregister bezeugten Ida, gewesen
sei. Darüber hinaus versah Eckhardt den Liudolf
dux mit einer Reihe bisher unbekannter Geschwister und ebenfalls
bisher noch unbekannter Vorfahren. Der sehr komplexe Beweisgang Eckhardts
ist jedoch zu verwerfen, wie Hlawitschka, Herkunft S. 108-119, gezeigt
hat.
Mit einiger Sicherheit können wir allerdings zu
den agnatischen Vorfahren der Sachsen-Kaiser mit Goetting, Anfänge
S. 18-23, festhalten, daß bereits der Vater und der Großvater
Liudolfs
in
Brunshausen (östlich von Gandersheim) eine Klostergründung vorgenommen
hat. Namen sind jedoch nicht zu ermitteln. In diesem Zusammenhang macht
Goetting nun auf zwei Güterschenkungen aus Gandersheim an Fulda aufmerksam,
die c 780- 802 und c 802- 817 von einem gewissem Adolf bzw. von
einem Buno (!) vorgenommen wurden. Die Besitzverankerung in Gandersheim,
wo Liudolf
bald nach der Mitte des
9. Jahrhunderts sein berühmtes Kloster einrichtete, macht es sehr
wahrscheinlich, daß wir in Adolf und Buno frühe
Mitglieder der
LIUDOLFINGER-Familie
vor uns haben. Zur Amtsstellung Liudolfs:
unser Liudolf dux ist
bei
Agius von Corvey, Vita Hathumodae c. 2, SS IV 167, als "dux Orientalium
Saxonum" charakterisiert. Hrotsvith nennt ihn Primordia coen. Gandeshem.
v. 4 f. "dux Saxonum"; die gleiche Bezeichnung verwendet das D O
I. 189. Weitere Belege zur Amtsstellung hat Krüger, Grafschaftsverfassung
S. 67, zusammengestellt. Die Communis opinio der neueren Forschung geht
dahin, in der Zuschreibung der Stellung eines "dux" an Liudolf
eine
Rückprojektion aus der machtvollen Position der zur Königs- und
Kaiserwürde aufgestiegenen LIUDOLFINGERdes
10. Jahrhunderts zu sehen: man könne für Liudolf
aber
durchaus eine markgräfliche Position annehmen; vgl. Fleckenstein,
Reich S. 224, und Giese in NDB Bd. 14, S. 718.
Die Eltern von Liudolfs Gemahlin
Oda
waren nach den Angaben bei Hrotsvith, Primordia coen. Gandeshem. v.
21-24, der fränkische "princeps" Billung und dessen Gemahlin Aeda.
Billung mag aus einer fränkischen Nebenlinie der BILLUNGER stammen
(deren sächsischer Zweig im 10. Jahrhundert zur sächsischen Herzogswürde
aufgestiegen ist) (vgl. Krüger, Grafschaftsverfassung S. 79- 82),
während der Name Aeda auf das Haus der KONRADINER
hindeutet, zu deren Namensgut auch der Name "Otto" gehören könnte.
Die Thesen Frieses, Adel S. 108-114, Oda sei auf Grund der Namensgebung
bei ihren Kindern und Enkeln der Familie der ROBERTINER
zuzurechnen, hat nicht überzeugt. Friese geht in seiner Arbeit von
festen Regeln der Namensvergabe aus, die so nicht existiert haben und somit
auch nicht zur Grundlage der Argumentation gemacht werden dürfen.
Vgl. zum Buch von Friese die Rezension von Mathias Werner
in DA 36, 1980, S. 630 ff.
Die Überlegungen, die uns zur Angabe für das
Geburtsjahr der Oda geführt haben, sind bereits oben S. 254
zusammen mit den Belegstellen angeführt worden. Das Sterbejahr ist
bezeugt im Nekrolog von Gandersheim, das Sterbejahr ergibt sich aus der
Angabe in Hrotsviths Primordia coen. Gandeshem. v. 568 ff., Oda
habe noch die Geburt ihres Urenkels, des späteren König und Kaiser
OTTOS DES GROSSEN, erlebt.
Vgl. zum Sterbedatum auch Coetting, Gandersheim S. 375,
sowie Althoff, Zeugnisse S. 402 (Nr. 31).