Graf Liudolf hatte
nicht die Absicht, in dieser Beziehung den Stiftern der bereits existierenden
sächsischen Klöstern nachzustehen. Er entschloß sich, selbst
nach Rom zu pilgern und persönlich zu versuchen, die begehrten Reliquien
zu erhalten. Auf dieser Reise wurde er von seiner Gemahlin Oda,
einer Tochter des sächsischen Markgrafen Billung und der fränkischen
Adligen Aeda, sowie zahlreichen Gefolge begleitet. Die Delegation war ausgerüstet
mit kostbaren Geschenken und vor allem mit einem wortreichen Empfehlungsschreiben
Ludwigs
des Deutschen. Liudolf wurde
in Rom von Papst Sergius II. überaus huldvoll aufgenommen. Der Graf
trug seine Bitte vor: Er wolle auf seinen Besitzungen in Sachsen ein Kloster
gründen und erbte sich dafür aus dem überquellenden Reliquienschatz
Roms eine Gabe. Das neue Stift solle unter dem ausschließlichen Schutz
des heiligen Petrus stehen. Liudolf erhielt
von den alten römischen Bischöfen und heiligen Anastasius und
Innozenz Teile ihrer durch die Jahrhunderte wundersam unversehrt erhaltenen
Körper. Sergius entließ den Sachsen-Grafen und sein Gefolge
mit seinem Segen und versicherte ihm, daß die Klosterneugründung
unter apostolischem Schutz stehen würde. Zu welcher Zeit Graf
Liudolf in Rom war, wird in den
Quellen nicht verzeichnet. Doch das Datum liegt verhältnismäßig
genau fest, weil das Pontfikat von Sergius II. in die Jahre 844 bis 847
fällt. Die Anlage entstand zunächst in Brunshausen, unmittelbar
neben dem alten Mönchsbau, der Cella s. Bonifacii, die vor dem Jahr
785 von Fulda aus errichtet worden war. Das neue Kloster wurde von Liudolf
im Jahr 852 als Jungfrauenstift eingeweiht, und die Reliquien aus Rom wurden
feierlich überführt. Liudolf entschloß
sich kurze Zeit später, das Kloster zu verlegen, und zwar in die Nachbarschaft
seiner Stammburg, die sich am Übergang der Straße über
die Gande befand, die den westfälischen Hellweg, die alte Königsstraße,
nach Osten verlängerte. Hier, im niedersächsischen Bergland zwischen
Harz und Leine entstand schließlich der neue Klosterbau, das spätere
Reichsstift Gandersheim und Hauskloster der OTTONEN.
Die enge Verbindung zu seinem Gründer zeigt sich nicht zuletzt auch
dadurch, daß drei seiner Töchter Äbtissinnen des Klosters
wurden. Auf Hathumod folgte Gerberga, die eigens eine schon
bestehende Verlobung löste, um den Schleier zu nehmen. Dritte Äbtissin
wurde die jüngste Tochter Christina. Ebenso entschloß
sich der jüngste Sohn des Herzogs, Ekbert-Agius, ins Kloster
zu gehen, und zwar nach Corvey. Ekbert-Agius schrieb später
eine Biographie seiner Schwester Hathumod, die Vita Hathumodae.
Von seiner Hand stammen höchstwahrscheinlich auch die ansehnlichen
Prunkurkunden für Gandersheim, mit denen sich sein Schwager, König
Ludwig III. der Jüngere, bei Brun und Otto,
den beiden ältesten Söhnen Liudolfs,
für die Unterstützung durch sächsische Truppen in der Schlacht
bei Andernach im Jahr 876 gegen den W-Frankenkönig
KARL DEN KAHLEN.
Graf Liudolf entfaltete
außerordentliche politische Aktivitäten. Entscheidend wurde
sein Einsatz bei der Abwehr der Däneneinfälle aus dem Norden.
Es gelang ihm, für diese unerläßliche Grenzsicherung den
gesamten Adel Ostfalens unter seiner Führung zu einen, wenig später
stieß auch der Adel Engerns dazu. Ebenso garantierte Liudolf
die
Sicherung der Ostgrenze im sächsischen Bereich. Sein Name erhielt
dadurch in kurzer Zeit weit über sein eigenes Territorium hinaus einen
außergewöhnlichen Klang, seine Zeitgenossen sprachen vom ihm
vereinfachend als dem Dux, dem Herzog von Sachsen. Ein solcher
Titel war damals noch nichts Feststehendes. Liudolf
konnte so benannt werden, weil er die Markgrafschaft gegenüber
den Dänen innehatte, oder weil er als Befehlshaber das gesamte Heer
führte. Schließlich wurde er auch förmlich von König
Ludwig dem Deutschen als Dux orientalum Saxonum bezeichnet.
In der Zeit Liudolfs schlossen sich
die sächsischen Stämme zu einem so starken, einheitlichen Verbund
zusammen, daß fortan die Trennungen der Gaue und altsächsische
Gruppierungen verblaßten und Sachsen in der ferneren Geschichte als
eine Herrschaftsregion eigener Art erschien, deren Bevölkerung sich
durch ihr markant geschlossenes Wesen auszeichnete.
Der legendäre Ruf Widukinds übertrug sich nur
mit erheblichen Einschränkungen auf seine Familie und die unmittelbaren
Nachfahren. Das ergab sich aus den besonderen Bedingungen seiner Taufe.
Liudolf
samt
seinem Geschlecht wirkte im Vergleich mit den Nachfahren Widukinds wie
eine gewaltig aufragende Säule. Er gehörte zu den reichsten Fürsten
Sachsens. Seine Besitzungen befanden sich nicht nur in Ostfalen, sondern
auch in Engern und den westlichen Teilen des Landes, insbesondere im Lippegebiet
südlich von Münster. Auch dieser Streubesitz trug dazu bei, in
Liudolf
denjenigen
Fürsten zu sehen und zu respektieren, in dem sich wie in keinem anderen
Edeling das Land und der Sachsenstamm selbst materiell zu verfestigen schien.
Liudolf starb um
das
Jahr
866, möglicherweise auch erst eingangs der 70-er Jahre;
die Quellen lassen uns dabei, wie so oft in diesen Frühzeiten, im
Stich. Seine Gemahlin
Oda überlebte ihn um ein halbes Jahrhundert;
sie wurde nachweislich 107 Jahre alt - eine erstaunliche Frau, denn sie
war auch die Mutter von 10 Kindern.