Aus rein dynastischen Gründen [4 König
Rudolf III. von Burgund (Poupardin 131 und Hirsch III 36)
hatte 1016 HEINRICH
II. zum Erben seines Reiches gemacht. Aber Graf
Otto Wilhelm von Burgund, der eben in dieser Zeit von seinen
Besitzungen in Frankreich auf Burgund beschränkt worden war, fügte
sich diesem Vertrag nicht und stellte sich gegen seinen Lehsnherrn und
den Kaiser. Wilhelm V., der 1024 mit Odo von Champagne und den norditalienischen
Großen konspirierte (Richard I 182ff.; Pfister 372f.; auch Breßlau
I 76ff.) hatte wohl schon 1018 den Vorteil einer Verbindung mit dem mächtigsten
Vasallen des burgundischen Königs erwogen.] hatte sich Wilhelm
V. wohl 1019 [5 cf. Richard I 177.] mit der sehr viel jüngeren
Agnes, der Tochter des mächtigen Grafen Otto
Wilhelm von Burgund, in dritter Ehe vermählt. Vater- und
mütterlicherseits mit den KAROLINGERN
verwandt - noch waren ausgedehnte italienische Güter im Besitz der
Familie - gehörte sie zu den vornehmsten Fürstinnen ihrer Zeit.
Sie schenkte ihm zwei Söhne, Peter und Guy Gottfried
[6 Beide nehmen als Herzöge den Namen Wilhelm - der
VI. und VII. - an, siehe Cart. d ela Trinite de Vendome I 22
Anm. 1; 129 Anm. 1.], und eine Tochter, die den Namen ihrer Mutter erhielt,
ein Name, der auch sonst in der burgundisch-aquitanischen Familie vorkommt
[7 Bertha,
Tochter König
Konrads von Burgund, vermählt mit Odo I. von der Champagne
hatte eine Tochter Agnes (* 1001), eine Cousine Wilhelms V., da
seine Mutter Emma Odos Schwester war; Bollnow 77, Tafel 4 (15) und Seite
8; Curschmann 19. Die heilige Agnes (R. E. I 243) ist eine römische
Heilige. In der römischen Kirche wird der 21. und 28. Januar in ihrem
Gedächtnis festlich begangen. Ihre Reliquien werden in Rom, Utrecht
und Spanien verehrt.]. Die jüngere
Agnes wurde wohl um 1025 geboren da
sie bei ihrer Vermählung 1043 wohl das damals gewöhnliche Heiratsalter
von 16-18 Jahren erreicht hatte. Die Ehe der Agnes
mit dem viel älteren Mann war wohl nicht glücklich, wenngleich
diese gleichfalls hochgebildete Frau seine politischen, geistlichen
und geistigen Interessen teilte [1 Wir wissen, daß sie sich
ein Homilar Haimos von Halberstadt um teures Geld für ihre Bibliothek
kommen ließ, als sie bei ihrem zweiten Gatten am Hof von Anjou lebte.
Sie trennte sich auch nach der Scheidung nicht von dem Buch.]. Erst mit
seinem Tode sah die ehrgeizige, selbst nach Macht strebende Fürstin
die eigentlichen Möglichkeiten ihres Lebens vor sich. Sie heiratete
ihren Vasallen Gottfried Martell von Anjou, der jünger war
als sie. Von einer "unbezwinglichen Begierde zu herrschen [2 Richard
I 226] besessen", stürzte sie mit seiner Hilfe ihre beiden Stiefsöhne:
Wilhelm den Dicken und Odo, und herrschte erst für,
dann mit ihren beiden Söhnen, denn sie war es, die eigentlich in Poitou
regierte, und nie unterlassen es die Notare auch in späterer Zeit,
sie an der Seite ihrer Söhne zu erwähnen [3 Chartes de
St. Maixent I 134, vers 1045, 20. XII.: necne illorum genitricem cum
eis in hac vita feliciter manenti [!] scilicet Agnen
comitissam. Bruel IV 54 als Anhang einer Urkunde aus der
Zeit 1044-1046: in hoc anno iam dicta nobilissima comitissa
Agnes obsedit castrum Volventem et, ut est sua consuetudo, cepit
eum.]. Vielleicht ist es wirklich Furcht und Klugheit [4 Richard
I 238.], wenn sie gerade ihr soviel lobende Beinamen geben [5 Chartes
de St. Maixent I 119, entre 1041 et 1044, 4. III.: Agnes
comitissa venerabilis prudentissima sive in omnibus Deo amantissima,
oder ebenda p. 123, entre 1040 et 1044, 19. XI.: Cum in pago Pictavensi
Agnes comitissa cum suis filius scilicet
Willelmo et Goffredo, gubernacula suscepisset atque ipsum
ducatum, prout sibi posse fuit, strenue regisset, u. p. 129.].
Gottfried Martell scheint in dem Gebiet von Poitou
kaum eine Rolle gespielt zu haben; im Gegenteil reichte das Einflußgebiet
der Herzogin Agnes bis nach Anjou,
den die Urkunde, die von dem Streit zwischen St Aubin d'Angers und Ste.
Trinite de Vendome berichtet, spricht ausdrücklich von ihren Eingriffen
in dieser Angelegenheit.
Unbegrenzt scheint ihr Streben nach Macht. Es ist wohl
das Verlangen, auch in Deutschland Einfluß zu gewinnen, das sie 1045
zu der weiten Reise nach Goslar an den Hof veranlaßt, nicht die Sehnsucht
nach der Tochter; denn wohl nimmt sie an ihrem ersten Italienzug, an dem
Triumph HEINRICHS
III. in Sutri 1046 und an der Kaiserkrönung teil, in
der folgenden Zeit hören wir jedoch nichts mehr von einer Verbindung
zwischen den beiden Höfen.
Ein durchaus männlicher Herrscherwille bestimmt
ihr Tun, doch auch sie bleibt von der religiösen Bewegung ihrer Zeit
nicht unberührt. In den oft angeführten Worten des Chronisten
von St. Maixent: quae domina, si in multis Dominium offendit, iterum
in multis eum placavit kommt diese Spannung zum Ausdruck, die zwischen
ihrem Wollen zur Macht und einer unbestimmten Angst vor dem Jenseits besteht:
Sie stiftet vier Klöster [5 Sie stiftet St. Nicolas in Poitiers
(Archives hist. du Poitou I: Cartulaire du Prieure de St. Nicolas de Poitiers.
Poitiers 1872, Seite 1), - Ste. Trinite in Vendome zusammen mit Gottfried
(Archives historiques d ela Saintonge et de l'Aunis 22: Cartulaire Saintongeais
de l'abbaye de la Trinite de Vendome. Paris 1893, Seite 2; Chron. St. Maixent,
Bouquet XI 218), - das Nonnenkloster Ste Marie in Saintonge zusammen mit
Gottfried (Cartulaire de l'abbaye royale de Notre Dame de Saintes.
Niort 1871, Seite 3f. (Cartulaire inedits de la Saintonge 2) - und das
Priorat 'Eviere in Angers (A. f. U. 10, 1928, 249ff.] und stellt sie als
Reformklöster unter den unmittelbaren Schutz Roms [6 Richard
I 295; cf. J.L. 4460, 4512,4641.]. Sie nimmt endlich kurz vor 1060 in Notre
Dame de Saintes den Schleier [7 Chartes de St Maixent I 149
(ad 1061): Signum Agnetis comitissae
et sanctimonialis. - Cart. Saintong. de la Trinite de Vendome 53 (ad
1068): Agnete vero comitissa adhuc
vivente sed iam veste mutat. - Richard I 281.], denn 1049 hatte sich
Gottfried Martell von ihr getrennt. Vielleicht waren diese beiden
starken Persönlichkeiten - nicht umsonst nennen die Zeitgenossen Gottfried
'den Hammer' - in ihrem Machtstreben zusammengestoßen, da Gottfried
wohl nur in seinen ersten Jahren dem Einfluß de cette femme superieure
[8 Richard I 238. - Salis-Marschlins Seite 10, setzt die Trennung
erst nach 1056; cf. dagegen Richard I 258 und H. Meinert, Die Fälschungen
Gottfrieds von Vendome (in: A.f.U. 10, 1928, 247), die die Scheidung zwischen
1049 und 1050 ansetzen.] unterlegen war. 1058 hatte, nach dem Tode Peter
Wilhelms, Guy Gottfried Wilhelm sich von der Bevormundung der
Mutter befreit und selbständig zu regieren begonnen.
Doch selbst im Kloster bleibt ihr Interesse für
die Politik rege, besonders, da sie später wieder Einfluß über
ihren Sohn gewinnt. Man mag es höchstens auf ihre Lebenszeit beziehen,
in der ihr hohes Alter sie ganz an das Kloster bindet, wenn der Chronist
von Notre Dame de Saintes von ihr sagt: post saecularem maritum Deo
inarito meliori copulata vivens mundo mortua post mortem felicius victura.
Nie ganz der Welt abgestorben, so scheint es, steht sie immer in jenem
Zwiespalt: Welt und Gott, Lebenfreude und asketische Frömmigkeit,
deren Stärke zeigt, aus welcher Not sie gewachsen ist.
So formt sich uns ein Bild der
Herzogin Agnes, Wilhelm V. gleich an leebnswille und
Weltklugheit, gebudnen wie er an ihre Zeit und ihre gesteigerte Religiösität,
ohne jedoch seine Fähigkeit, diese Spannungen in Kraft umzuwerten
und so wie er, Königen an Macht gleich, ihrem Lande Frieden und Sicherheit
zu bringen.