Jahrbücher von St. Bertin: Seite 260,262
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in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band VI
 

Das Jahr 878.

Im Jahre 878 beging König Hlodowich zu Suessionis im Kloster des heiligen Medardus das Weihnachtsfest, zog dann nach dem Hofgut Audriaca und feierte das Osterfest in dem Kloster des heiligen Dionysius. Und auf Antrieb des Abts und Markgrafen Hugo zog er über die Sequana, sowohl um Hugo gegen die Nortmannen Hülfe zu leisten, als auch weil die Söhne Gozfrids das Castell und die Lehen des  Sohnes vom verstorbenen Grafen Odo willkürlich in Besitz genommen, und weil Imino, der Bruder des Markgrafen Bernard, sich der Ebrocensischen Stadt bemächtigt hatte und ringsum in der Gegend viele Verwüstung anrichtete, ja sogar sich auch vermaß, nach der Weise der Nortmannen Eiricum zu plündern. Als aber Hlodowich nach Turonis gekommen war, erkrankte er so daß man an seinem Leben verzweifelte; indeß trat doch durch Gottes Erbarmen etwas Besserung ein und auf Betrieb mehrerer seiner Räthe und Freunde Gozfrids kam Gozfrid selbst mit seinen Söhnen zu ihm unter der Bedingung, daß sie das Castell und die Lehen, welche sie an sich gebracht, dem Könige Hlodowich zurückgeben sollten, um sie durch seine Gnade wieder zu erhalten. Darauf brachte Gozfrid einen Theil der Brittonen dazu, dem König Treue zu geloben, aber sie handelten auch ferner wie Brittonen.

Papst Johannes, voll Zorn gegen die Grafen Landbert und Adalbert, weil sie mehrere seiner Dörfer und eine Stadt geplündert hatten, belegte dieselben mit furchtbarem Bannfluch. Darauf verließ er Rom und begab sich zu Schiffe nach Arelatum, wo er am Tage der heiligen Pfingsten (11. Mai) landete; von hier schickte er seine Gesandten an Graf Boso  und gelangte mit seiner Unterstützung bis Lugdunum, von wo aus er Gesandte an den König Hlodowich nach Turonis schickte und ihn auffordern ließ, sich mit ihm an einem Orte, der Hlodowich genehm wäre, zu treffen. Hlodowich aber schickte ihm sofort einige Bischöfe entgegen, bat ihn bis nach Trecä zu  kommen, und befahl den Bischöfen des Reichs, dort für seine Bedürfnisse zu sorgen. Durch seine Krankheit verhindert, konnte aber Hlodowich nicht früher als am ersten September zum Papst nach Trecä kommen. Inzwischen hielt Papst Johannes  eine allgemeine Synode mit den Bischöfen der Gallischen und Belgischen Provinzen; und er ließ in der Synode das Excommunicationsurtheil verlesen, welches er über Landbert und Adalbert, sowie über Formosus und den Nomenclator Gregorius und ihre Mitschuldigen in Rom ausgesprochen hatte, und  forderte die Zustimmung der versammelten Bischöfe zu diesem Spruch. Darauf baten die anwesenden Bischöfe, daß, wie der Papst selbst die von ihm ausgesprochene Excommunication hatte schriftlich aufsetzen und ihnen in der Synode vorlesen lassen, er so auch ihnen verstatten möchte, daß sie ihm schriftlich ihre Zustimmung gäben, und nachdem der Papst diese Bitte gewährt hatte, überreichten die Bischöfe am folgenden Tage dem Papste in der Synode die nachstehende Urkunde:
"Heiligster und ehrwürdigster Herr und Vater der Väter, Johannes, der katholischen und apostolischen Kirche, nämlich ihres höchsten Sitzes zu Rom, Papst. Wir, Deine Diener und die Schüler Deiner Autorität, die Bischöfe aus Gallien und Belgien, leiden mit Dir unter dem, was boshafte Menschen und Diener des Teufels, die Schmerzen Eurer Wunden  vermehrend, gegen unsere heilige Mutter und Herrin aller Kirchen begangen haben, und nehmen an Eurem Schmerz Theil, unsere Thränen mit den Euren vereinigend. Und wir werden das Urtheil Eurer Heiligkeit, welches Ihrkraft des Privilegiums  des heiligen Petrus und des apostolischen Stuhles über dieselben und ihre Mitschuldigen gemäß den heiligen, durch den Geist Gottes gegebenen und durch die Verehrung der ganzen Welt geweihten Canones, sowie gemäß den Dekreten Eurer Vorgänger, der Oberpriester des heiligen Römischen Stuhls, gefällt habt, mit Herz und Mund und unserem einhelligen Willen und mit der Autorität des heiligen Geistes, durch dessen Gnade wir die Weihe des bischöflichen Standes erhalten haben, mit dem Schwerte des heiligen Geistes, welches das Wort Gottes ist, ihnen zum Verderben zu vollstrecken bereit sein. Das heißt, wir werden alle, welche Ihr, wie wir oben gesagt, excommunicirt habt, für excommunicirt halten, die Ihr aus der Kirche verstoßen habt, verstoßen, die Ihr verflucht habt, für  verflucht ansehen, und die, welche nach genügender Buße und Reue, Eure, des heiligen Stuhls Autorität, wieder zu Gnaden aufnehmen wird, auch unsrerseits aufnehmen; aber wie wir in der heiligen Geschichte über die von Gott gerecht verhängte ägyptische Plage lesen, daß kein Haus war, in dem nicht ein Todter lag, und keiner da war um den andern zu trösten, weil jeder im eignen Hause den Jammer hatte, so haben wir auch in unsern Kirchen Trauriges zu beklagen; und darum erbitten wir in aller Demuth unseres Herzens, daß Ihr uns mit Eurer Autorität zu Hülfe kommt, indem Ihr kraft Eurer Gewalt ein Gebot erlaßt, nach dem wir gegen die Räuber unserer Kirchen verfahren mögen, damit wir und unsere Nachfolger, mit der Strafgewalt des heiligen Stuhles ausgerüstet, fortan um so kräftiger und schneller mit Gottes Hülfe wider die nichtswürdigen Räuber und Verwüster der kirchlichen Besitzungen und Güter, sowie gegen die Verächter des heiligen bischöflichen Amtes einmüthigen Sinnes auftreten können; sie aber sollen nach dem Wort des ausgezeichneten  Predigers und nach der Verkündigung Eures Willens dem Satan überliefert sein, auf daß sie an ihrer Seele gerettet werden am Tage unseres Herrn Jesu Christi."
 

Excommunikation wider Räber der Kirchengüter.

Excommunication des Papstes Johannes und der übrigen Bischöfe, welche zu Trecä versammelt waren, wider die Räuber der Kirchengüter.

Ueber die Räuber von Kirchengütern, welche die durch den Geist Gottes eingegebenen, durch die Verehrung der ganzen Welt geweihten Canones und die Dekrete der Oberpriester des apostolischen Stuhls mit dem Bann belegt sein heißen bis zur gehörigen Buße, sowie über die Plünderer, von denen der Apostel, aus welchem Christus redet, bezeugt, daß sie das Reich Gottes nicht haben, und gebietet, daß mit solchen Menschen der wahre Christ nicht einmal Speise gemeinsam nehmen soll, so lange sie in ihrer Sünde verharren, verordnen wir mit der Kraft Christi und nach dem Urtheil des heiligen Geistes, daß jene Räuber, wenn sie vor nächstem 1. November all' das Gut, welches sie ungerechter Weise sich angeeignet, ihren Kirchen nicht unter gehöriger Buße vollständig wiedererstattet haben werden, von der Gemeinschaft des Fleisches und Blutes Christi bis zur Rückgabe der geistlichen Besitzthümer und geleisteter Genugthuung ausgeschlossen sein sollen. Und die Verächter des heiligen  bischöflichen Amtes und der kirchlichen Excommunication sollen nach dem evangelischen und apostolischen Gebot von den Bischöfen, die es angeht, ermahnt werden, und wenn sie dann nicht Buße thun und von ihrer Bosheit nicht ablassen, mit dem Bannfluch,  bis sie Genugthuung leisten, belastet bleiben. Und wenn sie  in ihres Herzens Härtigkeit dahin sterben, so soll niemand ihre  Leiber mit Hymnen und Psalmen bestatten, noch ihr Andenken am heiligen Altare unter den verstorbenen Gläubigen bewahrt werden, darnach daß der Apostel und Evangelist Johannes sagt: "Es ist eine Sünde zum Tode: dafür sage ich nicht, daß jemand bitte." Die Sünde zum Tode ist aber das Beharren in der Sündebis zum Tode. Und die heiligen Canones der alten Väter bestimmen nach der Eingebung des heiligen Geistes in Betreff derer, welche sich selbst den Tod gegeben haben und die für ihre Verbrechen bestraft werden, daß ihre Leiber nicht unter Hymnen und Psalmen zur Erde bestattet  werden sollen. Diesen Vorschriften folgend verordnen wir nach dem Urtheil des heiligen Geistes das, was wir eben über die Plünderer und Räuber der Kirchengüter gesagt haben, wenn  sie nicht Buße thun, wie der heilige Gregorius verordnet hat,  da er sagt: "Solche, weil sie nicht Christen sind, verfluche ich  und alle katholischen Bischöfe, ja die gesammte Kirche."

Diese Urkunde ließ Papst Johannes seiner Excommunikation hinzufügen, unterschrieb sie eigenhändig und ließ sie auch von allen Bischöfen in der Synode unterzeichnen, darauf wurden auf seinen Befehl in der Synode die Canones des Sardicensischen Concils und das Dekret Papst Leos über die Bischöfe, welche ihre Sitze verändern, sowie auch die Afrikanischen Canones verlesen, worin es heißt, daß keine Versetzungen von Bischöfen stattfinden sollen, wie auch keine zweite Taufe und keine zweite Ordination, alles mit Bezug auf Frotarius, den Bischof von Burdegale, welcher, wie man sagte, von Burdegale nach Pictavis und von da nach der Stadt Biturica sich gewandt hatte.

Und nachdem Hlodowich vom Papst Johannes am 7. September gekrönt worden war, lud er diesen in seinen Palast ein, wo der Papst köstlich bewirthet und vom König und der Königin mit vielen Geschenken beehrt wurde; dann entließ ihn der König wieder nach der Stadt Trecä. Später ließ der  König noch durch seine Gesandten den Papst bitten, daß er auch seine Gemahlin zur Königin krönen möchte, konnte dies aber nicht vom Papst erlangen.

Die Bischöfe Frotarius und Adalgarius aber übergaben dem Papst Johannes in der Versammlung der Bischöfe die Verordnung, durch welche Hlodowich von seinem Vater das  Reich übergeben worden war, und ersuchten in dessen Auftrag den Papst, diese Verordnung kraft seines Privilegs zu  bestätigen. Darauf brachte der Papst Johannes die Abschrift  einer Verordnung vor, vorgeblich von Kaiser Karl wegen Schenkung der Abtei des heiligen Dionysius an die römische Kirche erlassen, von der aber die meisten glaubten, daß sie  auf den Rath der beiden genannten Bischöfe und anderer Rathgeber König Hlodowichs verfertigt worden, um gleichsam mit gutem Grunde dem Gozlen jene Abtei entreißen und sie selbst  in Besitz nehmen zu können. Und Papst Johannes erklärte, wenn König Hlodowich wolle, er solle kraft seines Privilegs jene Verordnung bestätigen, so müsse Hlodowich auch durch einen  Befehl seinerseits diese Verordnung des Vaters bestätigen. Diese Sache aber der List und nicht der Gerechtigkeit blieb unerledigt.

Darnach am 10. des genannten Monats begab sich König Hlodowich, auf das dringende Verlangen einiger seinerGroßen,  in die Wohnung des Papstes, hatte mit ihm eine vertrauliche Unterredung und kehrte dann mit ihm zusammen in die Versammlung der Bischöfe nach dem Saal, der an die Wohnung  des Papstes stieß, zurück. Und nach der Excommunication Hugo's, des Sohnes von Hlothar, sowie Imino's und ihrer Genossen, erklärte der Papst, mit Gewalt von einigen Bischöfen dazu gezwungen und unter Zustimmung des Königs, daß Hedenulf, der kraft seiner Autorität zum Bischof ordinirt  worden, seinen Sitz behalten und das bischöfliche Amt verwalten solle, der geblendete Hinkmar aber dürfe, wenn er wolle, Messe lesen und solle einen Theil der Besitzthümer des Laudunensischen Bisthums erhalten. Da aber Hedenulf den Papst bat, daß er ihn dieses Sitzes entheben möchte, indem er sich  schwach fühle und ins Kloster gehen wolle, konnte er dies  nicht erlangen, sondern es wurde ihm vom Papst mit  Zustimmung des Königs und der Hinkmar günstigen Bischöfe befohlen, daß er seinen Sitz behalten und das bischöfliche Amt fortführen solle. Als nun diese Gönner Hinkmars hörten, daß der Papst gesagt hatte, der geblendete Hinkmar könne, wenn er wolle, wieder Messe lesen, und der König zugestimmt habe, daß er einen Theil der Güter des Bisthums besitzen solle,  führten sie, die Bischöfe anderer Provinzen und Metropoliten  anderer Länder, ganz unerwartet und ohne allen Befehl des  Papstes den Hinkmar mit den Priestergewändern bekleidet vor  den Papst; und von hier geleiteten sie ihn unter Gesang in  die Kirche und ließen ihn das Zeichen des Segens über das Volk machen. So wurde dann die Synode geschlossen.

Am nächsten Tage begab sich König Hlodowich, auf  Einladung Boso's, mit mehreren seiner ersten Räthe zu diesem ins Haus; hier reich bewirthet und von Boso sowie dessen Gemahlin mit Ehrenbezeugungen überhäuft, verlobte er die  Tochter Boso's mit seinem Sohne Karlmann und vertheilte nach dem Rathe eben dieser Räthe die Lehen Bernards, des Markgrafen von Gothien, an den Kämmerer Theoderich, an Graf Bernard von Arverni und andere, die er im Geheim  bestimmte.

Papst Johannes ging von Trecas nach Cavillo, und von  da seine Reise über Morienna fortsetzend, kam er durch die  Klausen des Mons Cinisius, von Boso und seiner Gemahlin geleitet, wieder nach Italien.

König Hludowich kehrte von Trecas nach Compendium zurück und nachdem er hier den Bericht der Gesandten vernommen hatte, welche er an seinen Vetter Hlodowich zur Herstellung des Friedens geschickt hatte, ging er mit mehreren seiner Räthe bis nach Heristallium. Und am 1. November kamen sie beide zu Marsna zusammen und schlossen untereinander ein Friedensbündniß. Zum Fest der Reinigung Mariä aber sagten sie eine Reichsversammlung an, um bei dieser  Gelegenheit wieder zusammen zu kommen, und zwar Hludowich, Karls Sohn, nach Gundulfivilla und Hludowich, Hludowichs Sohn, nach einem Ort in der Nähe daselbst, der ihm bequem  wäre. Auf dieser Versammlung kamen sie mit Zustimmung ihrer Getreuen überein, folgende Beschlüsse fest und
 unverbrüchlich zu halten. Vertrag, welcher zwischen den glorreichen Königen, Hludowich, dem Sohne Kaiser Karls, und Hludowich, dem Sohne König Hludowichs, an dem Ort, der Furonis heißt, am 1. November unter ihrer und der beiderseitigen Getreuen Förderung und Zustimmung geschlossen worden ist, im Jahr der Menschwerdung Christi 878, in der 11. Indiction, wobei Hludowich, Karls Sohn, also sprach: "Wie zwischen meinem Vater Karl und Eurem Vater Hludowich das Reich Hlothars getheilt worden ist, so ist unser Wille, daß es auch bleiben  soll. Und wenn einer unserer Getreuen im Reich des anderen  irgend etwas an sich gerissen hat, so soll er es auf unseren  Befehl wieder aufgeben. Was aber das Reich betrifft, welches  Hludowich, der Kaiser von Italien, besaß, so soll, da bisher  noch keine Theilung desselben stattgefunden hat, ein jeder das,  was er jetzt inne hat, behalten, bis mit Gottes Willen wir wiederum zusammenkommen und mit unseren beiderseitigen  Getreuen befinden und festsetzen, was uns darüber als das beste und gerechteste erscheinen wird. Was aber das Reich Italien betrifft, so sollen, wenn auch jetzt nicht Recht werden kann, doch alle wissen, daß wir unsern Theil von jenem Reich gefordert haben, fordern und mit Gottes Hülfe fordern werden."