Waren die Landgrafen von Thüringen ursprünglich „Franzosen“? fragt Armin Wolf und ant-wortet mit ja. Es gibt weniges in diesem Aufsatz [1 Armin Wolf, Waren die Landgrafen von Thüringen ursprünglich "Franzosen"?, in: Genealogisches Jahrbuch 41 (2001), Seite 5-28.], dem ich zustimmen kann, selbst wenn auch ich den Leitnamen der LUDOWINGER zum Anlass nehme, eine Abstammung von KAROLINGERN anzunehmen. Aber wie? Auch lebten die LUDOWINGER zweifelsohne nach „fränkischem Recht“; doch das heißt noch nicht, dass man sie (schon gar nicht die, die später Landgrafen wurden) als „Franzosen“ bezeichnen darf. Das ist ein ganz und gar anachronistischer Begriff, man lese nur Carlrichard Brühls großes Werk zu diesem Thema. Dabei übersetzt Wolf cis mehrmals wie trans, von Thüringen aus liegt nach meiner Interpretation ex Francis … cis Rhenum rechtsrheinisch. [2 Seite 5, Anm. 7.]
Wolf behauptet, der bisher als Ahnherr der LUDOWINGER angesehene Ludwig mit dem Bart sei ein Sohn des Ludwig von Mousson (in Lothringen, also schon gar nicht im damaligen Frankreich) und der Sophia von Ober-Lothringen.
Wolf beruft sich auf die Reinhardsbrunner Urkunden-Fälschungen und eine späte, ganz zur Verherrlichung der thüringischen Landgrafen gedachte und damit schon verdächtige Chronik, die sehr viele Unglaubwürdigkeiten enthält [3 Die Behauptung Assings (Anm. 1 und 3) genügt nicht als Legitimation. Offensichtlich sind nicht nur für mich alle Angaben der Historis brevis ... und des De ortu ... die sich auf den Besitz der Wartburg beziehen, bewusst gefälscht, die Burg "Schauenstein" ist für das 11. Jahrhundert ein Schimäre, und wenn Ludwig der Springer Reinhartsbrunn gegründet hätte, warum heißt dieses dann nicht "Ludwigsbrunn", "Friedrichsroda" nicht "Ludwigsroda"?], von denen Wolf selber zwei anführt und verwirft, weil sie nicht in seine Hypothese passen: Ein Bruder Ludwigs „cum barba“ habe Hugo geheißen und Ludwigs gleichnamiger Sohn „der Springer“ sei von Erzbischof Bardo getauft worden. Er hält den Chronisten in dieser Hinsicht für unzuverlässig. Warum Wolf dann nicht die eigentlich viel verdächtigeren (weil dem Ruhm der Landgrafen dienenden) Angaben von der Verwandtschaft mit Kaiserin Gisela und Kaiser KONRADS II. wenigstens als problematisch nachprüft, bleibt offen. Nicht untersucht er eine Angabe aus den beiden Bardo-Viten, die den schwer einzureihenden Erzbischof selber als einen Verwandten und Protégé Giselas darstellen.
Wenn ein so erfahrener Historiker und Genealoge wie Otto Posse Ludwig „cum barba“ ein „Phantasiegebilde“ nennt, und eine endlose Zahl von Historikern ihm seit über einem Jahrhundert folgt, zum Teil auch nur teilweise, kann man sich nicht nur auf Assing als Autorität berufend einfach postulieren, dass er eine „historische Person“ war. Aber seis drum, nehmen wir an, er war eine. Er kann dann nicht der zweifellos existiert habende Sohn Ludwig des Ludwig von Mousson und der Sophia von Oberlothringen sein, über den doch sehr viel mehr bekannt ist, als Wolf berichtet. Er wird z. B. von Klebel als möglicherweise identisch mit einem Ludwig von Laurian dargestellt, was nicht einfach von der Hand zu weisen ist und was Wolf hätte diskutieren können [4 In Anm. 28 "Bisher hat lediglich Josef Heinzelmann eine Vermutung darüber geäußert". Ich habe sie aber nicht "erwogen", sondern verworfen! die Klebels halte ich für diskussionswürdig]!
In meinen Augen ist es methodisch erst recht nicht zulässig, dass Wolf bekannte Tatsachen oder unbezweifelbare Zusammenhänge unter den Tisch kehrt, um seine Hypothese zu stützen. Sophia „von Mousson“ wird 1033 (nicht 1026, wie Wolf in Anmerkung 26 behauptet!) puellula genannt und von ihrer amita (¿amita magna?) Gisela zur Erziehung an sich genommen. In Fußnote 26 gibt Wolf selber zu, dass Kinder von 8 bis 14 pueri bzw. puellae genannt werden. Eine puellula ist also jünger als 8 Jahre. Das trifft mit allen anderen Belegen zusammen, die ich ausgebreitet habe [5 J. H., Der Name Sophia als genealogisches Indiz und Problem, in: Archiv für Familiengeschichtsforschung 4 (2000), Seite 96-100.]. Wolf verwirft meine Darstellung, Sophia sei eine Tochter Friedrichs III. mit dem Bezug auf Chroniken des 12. Jahrhunderts, unterschlägt aber den entscheidenden, zeitlich ganz naheliegenden Beleg: Bei Sigebert de Gembloux [6 MG SS 6, 357] wird die Situation geschildert: Friderico Mosellanorum duce mortus, quia mares filios non habebat… „Nach dem Tode Herzog Friedrichs, der keine männlichen Kinder hatte…“ Also hinterließ er wohl (mindestens) eine Tochter. Dabei muss es sich um 1033 (Sigebert, der mehrere Angaben ein Jahr zu spät datiert, meldet es unter 1034) und Friedrich III. handeln. Friedrich II. kann nicht gemeint sein, denn der war schon 1026 gestorben und hinterließ mindestens einen Sohn, eben Friedrich III. Die beiden Friedriche sind leicht zu verwechseln, aber wenn man solche Konsequenzen zieht wie Wolf, empfiehlt es sich, genau zu sein!
Sophia ist mithin irgendwann zwischen 1027 und 1033 geboren. Ihre Heirat mit Ludwig von Mousson ist am wahrscheinlichsten auf 1044 zu datieren, als Ludwig dem Kaiser große Dienste geleistet hatte. Nirgends belegt ist, dass er schon 1036/37 für KONRAD II. gegen Odo von der Champagne kämpfte. Wenn Wolf postuliert, dass Ludwig Sophia schon 1032 geheiratet habe, geschieht dies gegen alle zeitgenössischen Quellen, und nur, um für „seinen“ Ludwig cum barba eine Geburt ca. 1034 ableiten zu können. Warum sollte Gisela dann die verheiratete Sophia „adoptieren“? Warum wurde nicht der Schwiegersohn Herzog? [7 S. 22 meint Wolf anscheinend, dass sogar Ludwig "cum Barba" 1034 hätte Herzog werden müssen, und weil er es nicht wurde, hätte er cis Rhenum (wieder statt trans) keine Besitztümer gehabt und wäre mit Thüringen entschädigt worden.]
Kurz und gut: Wenn es Ludwig „cum barba“ wirklich gegeben hat, kann er nicht Sohn des Ludwig von Mousson und der Sophia sein. Wohl aber ein naher Verwandter von ihm, etwa ein Enkel jenes „Ludwig von Dabo“, über dessen Rolle für die EGISHEIMER immer noch willkürlich diskutiert wird. Über diese Zusammenhänge (Ludwig von Dabo als burgundischer WELFE) arbeitet höchst gründlich und wissenschaftlich Jean-Noël Mathieu in Paris. Hoffentlich kann er seine Forschung bald abschließen und veröffentlichen.
Meine beiden Beiträge zu genau seinem Thema [8 J. H., Ludwig von Arnstein und seine Verwandtschaft. Fragen und Fragmente zur mitteleuropäischen Adelsgeschichte um 1100, in: Genealogisches Jahrvbuch 33/34 (1993/94), Seite 261-301, sowie: Nachträge zu Ludwig von Arnstein und seine Verwandtschaft. Zugleich ein Beitrag: Die frühen Ludowinger (Grafen in Thüringen), in: Genealogisches Jahrbuch 36 (1997), Seite 67-73.], diskutiert Wolf genauso ungenau. Die Taufe Ludwigs des Springers (der Reinhartsbrunner Chronist nennt ihn ausdrücklich patronum et fundatorem nostrum, in meinen Augen freilich eine unzutreffende Behauptung) wird in eine des Vaters (wohl in Mousson oder Lothringen) im Jahre 1034 umgewandelt, obwohl sie nach De ortu ausdrücklich in Aldenberge bei der Kirchweihe stattfand, und Ludwig mit dem Bart nach der Historia de landgrav… erst 1036 nach Thüringen kam und zu roden begann… Dass Böhmer in den Regesten der Mainzer Erzbischöfe diese Taufe mit den anderen Angaben zu sich über Jahre hinziehenden angeblichen Geschehnissen unter „1034?“ einreiht, hängt mit der gesamten Erwähnung zusammen, die ausdrücklich als sagenhaft bezeichnet wird. Schon Dobenecker korrigiert in seinen Thüringischen Regesten diese Taufe auf 1040 [9 Otto Dobenecker, Regesta dioplomatica necnon epuistolaria Historiae Thuringiae, 1 (1896), Nr. 746a.], referiert, dass Knochenhauer sie für eine Erfindung hält, und zieht die Urkunde von Erzbischof Marcolf von 1141 heran, die zwar echt ist, aber keinen rechten Beweis darstellt, weil die ihr zugrundege-legte Vorurkunde vermutlich gefälscht war.
Dass Wolf auch meine Ausführungen über die nächste Generation der frühen LUDOWINGER verzeichnet, ist für die Argumentation um die Herkunft Ludwigs „des Bärtigen“ belanglos.
Wolf fühlt sich offensichtlich von den Phantom-Ahnherren später Chroniken angezogen; bei Ludwig mit dem Bart ist es wie bei Kuno von Öhningen verlockend, ihnen genealogisches Fleisch und Blut zu verleihen. Dass er dabei real existierende Personen nach den Erfordernissen der Erfindung zu imaginären Figuren umdichtet, ist eine literarische Leistung.
Josef Heinzelmann
Kirchweg 1, 55430 Oberwesel-Langscheid
2002 Januar 11