Nachbenennung, Namensgesetze

Dieser Beitrag erschien im Archiv für Familiengeschichtsforschung 2 (1998), 86–88.
Durch Ergänzungen (Änderungen verfolgen) wird die Darlegung beträtchlich bestärkt. Irgendwann wird ein fundierter Aufsatz daraus.
Josef Heinzelmann, Montag, 2002 Dezember 16.
 

Ich kann mich heute zu dem sehr komplizierten Thema nur vorläufig, kurz und gänzlich unwissenschaftlich, rein aus Erfahrung äußern..
Ich glaube aus der mittelalterlichen Adelsforschung zu wissen, es gibt wirklich Nachbenennungsgesetze, die von allzuviel Forschern unbeachtet bleiben:
1. Nachbenennung wechselt ihre Regeln historisch, geographisch, soziologisch; je nach Gegend, Lebenszeit und Stand der Eltern herrschten verschiedene Nachbenennungssitten. Auch innerhalb des hochmittelalterlichen Hochadels sind sie nicht eindeutig gleich. Eine Grafen-Kleinfamilie praktizierte die Namengebung ihrer Kinder anders als die beiden Großelternfamilien oder ein Nachbar. Anders oder auch nicht.
2. Nachbenennung nach verstorbenen und nach lebenden Verwandten ist nicht das selbe; die zweite kann aus der ersten hervorgegangen sein.
3. Nachbenennung kann vieldeutig sein: Wenn in aufeinanderfolgenden Generationen oder bei verwandten Familien derselbe Name auftritt, ist er dann von einem auf den anderen übertragen worden, oder hat man denselben ersten Namensträger gemeint? Wahrscheinlich ist eine Kombination…
4. Nachbenennung wurde so viele Generationen lang praktiziert, dass sich ein und der selbe Name in sehr weit entfernten (ihrer Verwandtschaft im vielleicht 10. Grad nicht mehr bewussten) Familien auf denselben Vorfahren beziehen kann. Völlig ungeklärt ist die unzweifelhaft praktizierte, nicht immer zu erkennende Verwendung zweier Vornamen, sei es gleichzeitig, sei es nach Namenswechsel (bisher nur in Herrscherhäusern erforscht). Wie für viele andere Ungewöhnlichkeiten gibt es auch hierzu bei den gut belegten Grafen von Poitou (Herzögen von Aquitanien) schöne Beispiele: Guillaume V hatte Söhne aus drei Ehen, der älteste Guillaume übernahm 1030 die Herrschaft (als der VI.), ihm folgte sein Halbbruder Eudes, der kurz darauf auch starb. Der älteste Sohn aus dritter Ehe (der auch Kaiser HEINRICH III. Frau Agnes entstammte, die ursprünglich Ala hieß) hieß eigentlich Pierre, mit dem Antritt der Herrschaft nannte er sich Guillaume (also der VII., Beiname Aigret). Diesen beerbte der jüngste, der als Guy getauft worden war. Da seine Mutter Agnes von Burgund in zweiter Ehe den sehr viel jüngeren Geoffroy-Martel von Anjou geheiratet hatte und dieser voraussichtlich ohne Erbe bleiben würde, nannte sie Guy in Geoffroy um, in der Hoffnung, der Stiefvater würde ihn adoptieren und als Erbe einsetzen. Das geschah zwar nicht, aber nach dem erbenlosen Tod auch des dritten seiner Brüder wurde Guy-Geoffroy Graf von Poitou und Herzog von Aquitanien und von nun an nannte auch er sich Guillaume (jetzt der VIII.) Natürlich hieß auch sein Sohn und Erbe Guillaume.
5. Modenamen wie Tristan usw. könnten als Übernamen in Turniergesellschaften entstanden sein. Die Verwendung christlicher Heiligennamen (ob biblisch oder nicht-biblisch) scheint byzantinisch beeinflusst zu sein. Die soziologisch gemeintden Ausführungen von Mitterauer helfen nicht weiter, sie treffen nur einen „Überbau“.
6. Nachbenennung kann nach den Zufällen der Demographie für Namens-Vorfahren mit vielen Nachkommen auch zu vielen Nachbenennungen führen, andere Namen können genau so zufällig aus„sterben“. Das hat noch nichts mit Mode zu tun. Andererseits fällt z. B. auf, dass im 10. Jahrhundert KAROLINGER-Namen auch bei nachweislichen KAROLINGER-Nachkommen geradezu gemieden wurden.
7. Nachbenennung bei Kindern nach verstorbenen Geschwistern muss nicht unbedingt bedeuten, dass man das tote Kind „ersetzen“ will, aber auch nicht, dass man einen bestimmten Namen nicht „aussterben“ lassen will. Mal so, mal so, mal beides. – Wenn zwei gleichnamige Brüder gleichzeitig erscheinen, sind es dann Halbbrüder? Oder sind sie nach verschiedenen, gleichnamigen Vorfahren nachbenannt? Die extremste Form der Nachbenennung führt bei den REUSS zum Gebrauch eines einzigen Namens, Heinrich.
8. Nachbenennung hat mithin mit Familien-Identität, u. U. sogar mit Erbansprüchen zu tun. Daher dürften Adelige darauf geachtet haben, dass nicht eine andere Familie ohne Berechtigung „ihre“ Namen verwendet. Dagegen mag man es bei den niederen Ministerialen und Untertanen gefördert haben, zumal viele von denen Bastard-Sprößlinge der Herrenfamilie gewesen sein dürften.
9. Eltern geben ihren Kindern Namen fast immer in Nachbenennung. Sie werden aus dem grossen Reservoir möglicher Nachbenennungs-Namen den wählen, der in ihrem Lebensumfeld gerade leuchtet, am meisten Ansehen mit sich bringt. Nach wem nachbenannt wird, ist also nur beschränkt vorherzusagen; Nachbenennungs-Schemata für die Reihenfolge der Söhne und Töchter sind unbeweisbar, haben höchstwahrscheinlich nie existiert.
10. Selbst wenn sie es wären, könnten wir solche Schemata nicht anwenden, da wir nie alle (auch früh verstorbenen) Kinder eines Ehepaares, dazu noch in genauer Reihenfolge, sowie alle Vorfahren und Verwandten der beiden Eltern kennen, außer vielleicht bei den Herrscherhäusern, die schon durch ihre Kinderarmut Sonderfälle darstellen.
11. Einzige für den Genealogen brauchbare Maxime ist: Ausgenommen von den offensichtlichen Modenamen erfolgt Nachbenennung, und zwar nach Mitgliedern beider Elternfamilien, vorzugsweise nach der angeseheneren, der man sich mehr zugehörig fühlen wollte.
12. Die Entstehung der Nachbenennung bei Beinamen (nach Burgen, Sitzen, Ämtern usw.), also die Entstehung der Familiennamen, ist auch noch nicht genügend erforscht. Gerade hier vertun sich Dilettanten oft. Diese Namen werden kaum je von den Eltern vergeben, sondern von Urkundenschreibern, Gruppen, in denen es sonst Verwechslungen gibt, sie werden dann bewusst angenommen und „geführt“, erst später vererbt (und zuerst nur für die Erb-Söhne). Hier sind Doppelbenennungen noch häufiger, je nach Sitz oder Amt, die wechseln können, oder die von den Schreibern verschieden wichtig gehalten werden.
13. Eine Nachbennung nach Paten darf nicht angenommen werden. KARL DER GROSSE und Papst Hadrian nannten sich Gevatter, da der Papst Pate eines kaiserlichen Sohnes war, der aber nicht Hadrian hieß. (Joseph Lynch, Godparents and Kinship in Early Medieval Europe, Princeton University Press 1966, S. 195). Der früh verstorbene Sohn Berthold des Herzogs Hermann II. von Schwaben wurde in Einsiedeln von Abt Gregor aus der Taufe gehoben (Annales Heremi ad 992, MG SS 3, S. 144. Bischof Erzbischof Bardo von Mainz stand angeblich bei Ludwig, dem Sohn des ersten LUDOWINGERS 1034 Pate, auch er gab ihm nicht den Namen. (Boehmer-Will, Regesten z. Gesch. d. Mainzer Erzbischöfe Bd. I, Nr. XX, 19) Ob die Tatsache zutrifft, sei dahingestellt; auch eine Fälschung datiert noch ins Mittelalter und betätigt den Brauch. Man weiß auch, dass Otto von Cappenberg († 1171), damals noch Graf, Taufpate FRIEDRICH BARBAROSSAS war, dem er also seinen Namen nicht gab, obwohl er entfernt mit ihm verwandt war.
Der hl. Ulrich, Bischof von Augsburg, „der seiner Nichte achtes Kind taufte“, war vielleicht zugleich der Pate, baptizans equivocum sibi fecit. [1 Chronicon Eberspergense MG SS 20, S. 12, Z. 19f.]
14. Ursprünglich wählte man Paten wohl nicht aus der Verwandtschaft, sondern aus dem Klerus; dann später (ab wann in welchem sozialen Umkreis??) wählte man auch Verwandte, vielleicht vorzugsweise solche, die auch mit dem selben Namen nachbenannt waren, den man dem Kind geben wollte, daraus vielleicht entstand (wahrscheinlich erst in der Neuzeit) die keineswegs überall in Europa verbreitete Sitte, Kinder nach den Paten zu nennen. Hierüber gibt ein sehr interessantes Buch Aufschluss:
Agnès Fine, Parrains, marraines. La parenté spirituelle en Europe. Paris (Fayard, 1994)
Dieses Buch behandelt das Problem eher aus ethnologischer und soziologischer Sicht. Erstaunlich die Praxis der geistlichen Verwandtschaft zwischen den Gevattern: den leiblichen Eltern und den Paten eines Kindes. Sie ist uns gänzlich aus dem Bewußtsein geschwunden, ich glaubte, sie hätte nur zwischen Täufling und Pate bestanden. Auf Zypern nennt man kaladelphos (Schönen Bruder) den Sohn seines Paten, ähnliches bedeutet das Wort compère. Wir sind nicht weit von der „Blutsbrüderschaft“. Welche Rolle der „Pate“ in patriarchalisch strukturierten Gesellschaften spielen kann, weiß man von der Mafia. Der „Compare politico“ in Kalabrien ist der angesehene Mann im Ort, der oft viele hundert Patenkinder hat, die ihn mit ihren Familien wählen… (S.132)
Die Gevatterschaft (compérage) hatte also ihre eigene Rolle in der „Verwandtschaft durch Vertrag“, fast so bedeutend wie Ehe und Adoption. In vielen Regionen Europas hat die Wahl naher Verwandter als Paten die alten Bräuche verdrängt. Auf dem Balkan soll es noch heute Brauch sein, dass ein Ehepaar einen – nicht verwandten – Paten für alle seine Kinder wählt. (S. 125). Ich kenne aus Bayern den Brauch, der offensichtlich bis ins 19. Jahrhundert galt, dass ein Ehepaar ein anderes zu Gevattern bat, der Mann hob dann alle Söhne, die Frau alle Töchter aus der Taufe. Auch daraus lässt sich für Genealogen zuweilen eine Hilfe gewinnen: Wenn etwa zwei Ehepaare Hans und Maria Mayr im selben Dorf wohnen, kann man die Taufen durch die Patennamen zuordnen. Wenn einer der beiden Paten starb, wurde sein Ehenachfahr auch sein Nachfolger als Pate. Dass in einem solchen Fall die Kinder ihre Namen nicht nach den Paten bekamen, ist selbstverständlich, sonst hätte es ja nur je einen Namen für alle Söhne und Töchter einer Familie gegeben.
 

Josef Heinzelmann,
Kirchweg 1, 55430 Oberwesel-Langscheid
(06744-)94023 Fon, -94024 Facs
1998 05 02 15:18
 

Nachtrag
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Beim Versuch, die Herkunft des Stephan von Spanheim und seiner Frau Sophia zu klären, bediente ich mich, wie es sich gehört, auch des Indizes der Namensvererbung. Diese folgt im 10./11. Jahrhundert gewiss nicht genau festgelegten Regeln, aber doch einem unumstößlichen Grundsatz: Ein Kind erhält seinen Namen nach einem Blutsverwandten der Eltern. Die Reihenfolge variiert nach verschiedenen Bräuchen, meistens nach dem Rang des Namengebers oder nach der Blutsnähe. Wir müssen auch damit rechnen, dass sehr viele Namen durch die hohe Kindersterblichkeit, oder weil sie gerade nicht opportun waren, einfach verschwinden. Wenn man nach diesem Grundsatz konsequent weiterdenkt, also den Namengeber des Namengebers usw. sucht, ist der ursprünglich namengebende Verwandte, ein agnatischer oder kognatischer Vorfahr, oft sehr weit entfernt.  Dabei wurde die Erinnerung an den Namen in den dazwischenliegenden Generationen meist durch zuweilen urkundlich nicht belegte ((Ur)groß)tanten oder -onkel wachgehalten. Nicht namengebend waren offensichtlich Verschwägerte, soweit deren Namen nicht von gemeinsamen Vorfahren stammten, es gibt zumindest keinen wirklichen Beweis dafür. Sehr gern heiratete man allerdings knapp außerhalb der kanonischen Konsanguinitätsgrenzen, wodurch gewisse Erbgüter, aber auch Erbnamen zusammenkamen und Verschwägerte gleichzeitig auch Verwandte waren. Auch, dass einer seinen Namen von einem Cousin bekam, der selber nicht gemeinsamen Vorfahren nachbenannt war, müsste erst bewiesen werden.
 
 

Wichtig ist auch die Frage nach dem Taufalter. Oben ist schon erwähnt, dass mit der Taufe HEINRICHS IV. 20 Wochen gewartet wurde (bis der Taufpate aus Burgund kommen konnte?) Kaiser HEINRICH VI. verschob die Taufe seines Sohnes FRIEDRICH (II.) um zwei Jahre in der Hoffnung, Papst Coelestin III. werde Pate sein. Womöglich hatte es aber vorher eine „stille“ Taufe gegeben, (denn) der Säugling wird in einigen Quellen Konstantin genannt. Offensichtlich wurde aber der Name bei der Geburt von den Eltern vergeben, der Pate nannte nur den vorgegebenen Namen. S. a. Lexikon des Kirchenrechts (Enc. du droit canonique).
Auch Heinrich der Löwe soll erst mit sechs oder sieben Jahren getauft worden sein. Hier handelt es sich aber um eine Behauptung von Historikern [7 Karl Jordan, Heinrich der Löwe, München 21980, S. 25: behauptet überdies ohne Beleg, dass „ein längerer Zeitraum zwischen Geburt und Taufe gerade im 12. Jahrhundert keine Seltenheit war“.] , für die keine zeitgenössischen Belege existieren, sondern nur ein Widerspruch aus (z. T. später) überliefertem Taufdatum und Sterbealter. Diskutiert wird diese Frage anlässlich der Datierung des Patengeschenks (der Landschaft Zauche) für Otto, den ältesten Sohn Albrechts des Bären, von seinem Paten, dem christlichen Slawenfürsten Pribislaw–Heinrich von Hevellien, der also auch dem Patenkind nicht seinen Namen verlieh. [8 Helmut Assing,  Albrecht der Bär als marchio de Brandenburg und marchio Brandenburgensis. Werdegang und Hintergründe einer Titeländerung, in: H. A., Brandenburg, Anhalt und Thüringen im Mittelalter. Askanier und Ludowinger beim Aufbau fürstlicher Territorialherrschaften, 1997, S. 144.]
Lt. Goody (S. 211) compater = patrinus. (S. 218), gewiss ein Irrtum. Im Allgemeinen bezeichnet es aber die vermittelte geistige Verwandtschaft: Des Paten mit den Eltern, also der geistliche mit dem leiblichen Vater oder zwei Paten desselben Kindes.