Genealogische Anmerkungen
von Josef Heinzelmann
| 1 | VORBEMERKUNG: | 2222 |
| 1.1 | Forschungs- und Wissensstand | 3333 |
| 1.2 | Die Quellen | 5544 |
| 2 | ZUR BIOGRAPHIE DER JUNGEN HILDEGARD | 7566 |
| 2.1 | Das Geburtsjahr | 7566 |
| 2.2 | Schule und Eintritt ins Kloster Disibodenberg | 7566 |
| 2.2.1 | Jutta von Spanheim | 7566 |
| 2.3 | Die Unglaubwürdigkeit des Johannes Trithemius | 10599 |
| 3 | DIE ENGERE FAMILIE HILDEGARDS | 1251111 |
| 3.1 | Die Eltern und Geschwister | 1251111 |
| 3.2 | Der Vater: Hildebert | 1351212 |
| 3.2.1 | Urkundliche Nennungen eines Hildebert | 1351212 |
| 3.2.2 | Nichtnennungen | 1651515 |
| 3.2.3 | Der Vater ist (auch!) Hildebrecht von Hosenbach | 1951818 |
| 3.2.4 | Ein oder zwei Hildeberte? | 2151919 |
| 3.2.5 | Spätere Namensträger | 2152020 |
| 3.3 | Die Mutter Mechthild | 2352222 |
| 3.3.1 | Die Familie „von Merxheim“ | 2452222 |
| 3.4 | Geschwister Hildegards | 2652525 |
| 3.4.1 | Hugo, Domkantor in Mainz, (und?) der zum Mönch gewordene Domkanoniker | 2652525 |
| 3.4.2 | Rorich | 2752626 |
| 3.4.3 | Drutwin | 2852727 |
| 3.4.4 | Vier angebliche Schwestern Hildegards | 2952727 |
| 3.5 | Zusammenfassung | 2952828 |
| 4 | BERMERSHEIM | 2952828 |
| 4.1 | Andere Bermersheimer Besitzer | 2952828 |
| 4.1.1 | Graf Ulrich von Are | 2952828 |
| 4.1.2 | Gothbert von Selzen | 3052929 |
| 4.1.3 | Zwei Hermann von Bermersheim | 3052929 |
| 4.1.4 | Das Kloster St. Alban und die beiden Embricho | 3052929 |
| 4.1.5 | Der Kanoniker Heinrich, Arnold, Ida | 3153030 |
| 4.1.6 | Dietrich von Flonheim | 3253131 |
| 4.1.7 | Durinchart, bzw. Werner von Bolanden | 3253131 |
| 4.1.8 | Diemar von Bermersheim | 3253131 |
| 4.2 | Geburtsort Hildegards ist schwerlich Bermersheim | 3353232 |
| 5 | ENTFERNTERE VERWANDTE: | 3553333 |
| 5.1 | Erzbischof Arnold von Trier | 3553333 |
| 5.2 | Die Pröpste Wezelin und Giselbert von St. Andreas | 3753535 |
| 5.3 | Prior Anselm von Sponheim, ein Phantom | 3853737 |
| 5.4 | Hildegard eine Spanheimerin? | 3853737 |
| 5.4.1 | Hiltrudis und Ida, Erfindungen des Trithemius | 3853737 |
| 5.4.2 | Beziehungen zum Kloster Sponheim | 3953838 |
| 6 | FÖRDERER UND WEGGENOSSEN HILDEGARDS | 4053838 |
| 6.1 | Bischof Otto (der Heilige) von Bamberg | 4053838 |
| 6.2 | Erzbischof Heinrich von Mainz und seine Verwandtschaft | 4053939 |
| 6.2.1 | Frideruna und Markward „von Grumbach“ | 4154040 |
| 6.2.1.1 | Bernhard, Bischof von Hildesheim | 4154040 |
| 6.3 | Die Hildesheimer Vicedome und Bischof Hermann | 4254141 |
| 6.4 | Die Äbtissinnen Richardis und Adelheid | 4354242 |
| 6.4.1 | Richardis von Stade, Äbtissin von Bassum | 4354242 |
| 6.4.2 | Adelheid von Sommerschenburg, Äbtissin von Gandersheim und Quedlinburg | 4354242 |
| 6.5 | Erzbischof Philipp von Köln (1167–91) | 4554343 |
| 6.6 | „Sekretär“ Volmar und Biograph Gottfried, Pröpste des Rupertsbergs | 4654444 |
| 7 | SCHENKER(INNEN) FÜR DEN RUPERTSBERG | 4654444 |
| 7.1 | Pfalzgraf Hermann und seine Witwe | 4754545 |
| 7.2 | Gepa | 4854646 |
| 7.2.1 | Gepa und ihre Verwandtschaft | 4854747 |
| 7.2.2 | Stephan von Mörlheim und seine Verwandtschaft | 4854747 |
| 7.2.2.1 | Kinder des Ehepaares | 5054848 |
| 7.2.2.2 | Marquart de Utersdale und der Dominus Sigebodo | 5154949 |
| 7.2.2.3 | Stephan (I) von Mörlheim (1109) und Hirsau | 5154949 |
| 7.2.2.4 | Hirsau und die Diemar/Erckenbrechte | 5255050 |
| 7.2.2.5 | Stephan ein Metz/Lunéville/Huneburger | 5355151 |
| 7.2.2.6 | Auch Stephan von Spanheim ein von Metz? | 5355151 |
| 7.3 | Herzogin Agnes von Lothringen | 5455252 |
| 8 | HILDEGARD UND UNSERE OFFENEN FRAGEN | 5655353 |
| 8.1 | Warum weihte Hildegard die Eibinger Kirche einem heiligen Giselbert? | 5655353 |
| 8.2 | Hildegards Vita Beati Ruperti confessoris | 5655454 |
| 8.3 | Adelsstolz und Ministerialität | 5755555 |
| 8.4 | Hildegard und ihre Verwandtschaft | 5955656 |
| 9 | DAS KLOSTER RUPERTSBERG NACH HILDEGARDS TOD | 5955757 |
| 9.1 | Erzbischof Siegfried (II.) von Eppstein und seine Binger Wähler | 5955757 |
| 9.2 | Das Brüsseler Antependium | 6055858 |
| 9.3 | Ein merkwürdiges Heiligsprechungsgutachten | 6356161 |
1.1 Vorbemerkung:
Es gibt wahrhaftig vielerlei Vorbehalte, die man vorbringen
kann und muss gegen eine einseitige Überbewertung Hildegards
als „deutscher Seherin“, als Naturkundiger, als Feministin, als Dichterin,
als Musikerin, als geschichtsbestimmender Gestalt, als Autorität in
Glaubensfragen und nicht zuletzt als Leitbild aller möglichen Esoteriken.
Aber allein die Vielzahl der Bedeutungen und der Beziehungen dieser bemerkenswerten
Frau macht klar, dass es lohnt, sich mit ihrer Gestalt zu beschäftigen.
Hier soll dies freilich unter einem sehr engen Blickwinkel geschehen, dem
der Genealogie.
Wie es in ihrer Zeit üblich war, wurde Hildegards
Stellung in ihrer Gesellschaft durch ihre Geburt und ihre Verwandtschaftsbeziehungen
entscheidend mitbestimmt. Gerade deshalb fällt auf, dass sie nie Personen
als Verwandte anredet oder bezeichnet, selbst solche, die es wohl waren.
Das erschwert die Forschung und wird zur Erklärung reizen.
Vielleicht besteht der Wert dieses Beitrags aber eher
in dem, was er an Nebenerkenntnissen zu den Führungsschichten am Mittelrhein
und zur Bewertung der Quellen beiträgt. Es fiel mir angesichts der
Verweigerung Hildegards schwer, mich nicht noch mehr in die frühen
SPONHEIMER, die MÖRLHEIMER, die MERXHEIMER oder in die Trithemius-Diskussion
zu verlieren. Lohnend wäre das alles gewesen, aber das Thema war anders
gestellt. Immerhin konnten hier einige lieb gewordenen Ansichten korrigiert
werden.
1.2 Forschungs- und Wissensstand
Der erste „neuzeitliche“, die Genealogie berücksichtigende
Biograph Hildegards war – inner-halb seiner Chroniken – Johannes Trithemius.
[1 Klaus Arnold, Trithemius (QForschG des Bistums und Hochstiftes
Würzburg 23), Würzburg, 2 1990.] Ihm wird noch heute hie und
da Glauben geschenkt. Den Wert seiner Darstellung diskutiere ich in 2.32.32.32.3.
Eine viel bessere, trotz einiger Irrtümer vorbildliche
und natürlich durch Erschließung weiterer Quellen heute überholte
Untersuchung, die auch wichtige Dokumente zuverlässig ediert, stellt
das von Stilting verantwortete Hildegard-Kapitel in den von den
Bollandisten herausgegebenen Acta sanctorum dar, das nur daran krankt,
dass es den Trithemius-Behauptungen glaubt, obwohl es einzelne korrigiert.
Mit der Genealogie Hildegards beschäftigte
sich dann Johannes May. [2 Johannes May, Die heilige Hildegard von
Bingen aus dem Orden des heiligen Benedikt (1098–1179), 1911, S. 5. – ders.,
Die Abstammung der hl. Hildegard, in: Der Katholik 31 (1905), S. 298ff.
– ders., Die Familie der hl. Hildegard, in: Der Katholik 37 (1938),
S. 143ff.] Seine Einreihung Hildegards in die Adelsfamilie der späteren
Rheingrafen beruht, wie Marianna Schrader festgestellt hat, auf dem fundamentalen
Fehler, dass er den Mainzer Domkantor Hugo mit einem als Zeuge auftretenden
Laien Hugo von Stein verwechselte, der außerdem auch nicht zu den
Adligen vom Rheingrafenstein, sondern zu denen von Stein-Kallenfells gehörte.
Zweifellos hat dann Marianna Schrader Hildegard
eine in den wichtigen Einzelheiten richtige genealogische Einordnung gegeben.
Dass sie es auf eine eher laienhafte und ihrer argen Lebenszeit verhafteten
Art tat, verrät schon der Titel der Veröffentlichung, in der
sie ihre Erkenntnisse zusammenfasste: „Heimat und Sippe der deutschen Seherin
Sankt Hildegard“. [3 Marianna Schrader O. S. B., Heimat und Sippe
der deutschen Seherin Sankt Hildegard. 1941.] 1981 hat Adelgundis Führkötter
die Schraderschen Ergebnisse neu bearbeitet und unter minder verfänglichem
Titel herausgegeben. [4 Marianna Schrader, neu bearbeitet von Adelgundis
Führkötter, Die Herkunft der heiligen Hildegard (QAmrhKG 43),
1981.] Die wissenschaftlichen Schwachpunkte hat sie nicht eliminiert. Sie
entspringen recht naiven Vorstellungen über die Sozial- und Adelsgeschichte
im 11. und 12. Jahrhundert. Schrader/Führkötter suchen einen
„Geschlechtsnamen“ Hildegards, den es garnicht gegeben haben kann.
[5 Noch kurioser S. 24 „den Familiennamen, den wir suchen“, S. 30:
„von Vermersheim ist der Geschlechtsname, Bermersheim der Stamm- und Familiensitz“
(obwohl Vermerssheym nach S. 64, Anm. 13 Schreibweise des Kopisten ist).]
Die Regionalgeschichte und erst recht die Hildegard-Literatur
haben die Ergebnisse von Schrader recht unbesehen übernommen. Eine
Rezension von Karl Hermann May [6 in: NassAnn 61 (1950), S. 218]
bestätigte, was richtig war, fügte weiterweisendes, aber auch
Irrtümer hinzu. Neuere selbständige Arbeiten zu Hildegards
Genealogie oder zu Einzelfragen gibt es meines Wissens nicht, in den fast
unübersehbaren Hildegard-Darstellungen aller möglichen
Medien werden, soweit ich es überprüfen konnte, diese Angaben
übernommen und häufig noch romanhaft ausgeschmückt.
Bei dieser Forschungslage lohnt es, die Quellen nochmals
zu befragen und möglichst auch die für Hildegard wichtigen
Personen genealogisch einzuordnen. Stärker als man gemeinhin annimmt,
treten Hinweise – Beweise sind es noch nicht– auf verwandtschaftliche Beziehungen
untereinander und wohl auch zu Hildegard zutage. Hier geht es also
nicht nur um die Abstammung Hildegards. Genealogische Erkenntnisse
können aber, das sei vorausgeschickt, so gut wie nichts zur Deutung
einer Persönlichkeit beitragen, freilich einiges zu ihrem sozialen
Umfeld.
1.3 Die Quellen
[7 Abgekürzt zitierte Quellen: AASS:
De S. Hildegarde virgine, magistra sororum ord. S. Benedicti in monte S.
Ruperti juxta Bingium in Dioecesi Moguntina (auctore J. S.), in: Acta
Sanctorum · ex Latinis & Graecis aliarumque gentium Monumentis
servata primigenia veterum Scriptorum phrasi · collecta, digesta,
commentariisque & observationibus illustrata Septembris, Tom. 5
(ed. J. Stilting et alii), Antwerpen 1755, S. 629–701 (Stadtbibliothek
Mainz Sign. IV°:2°/654). Nachdruck: Migne, Patrologia latina, t.
197, Paris 1882, S. 91–130
Vita: in AASS S. 679f.; zitiert (Buch, Kapitel,
Zeile) nach der Neuausgabe cura et studio Monicae Claes in: CCCM 126, 1993
(Seitenzahlen mit * gelten den Einleitungstexten). Vita deutsch:
Das Leben der heiligen Hildegard von Bingen, hsg. eingeleitet u. übersetzt
v. Adelgundis Führkötter, 1968
CCCM 66 und 66A: Guiberti Gemblacensis Epistolae…,
cura et studio Alberti Derolez, 1988, 1989
CCCM 91 und 91A Hildegardis Bingensis Epistolarium,
ed. L. van Acker, 1991, 1993. – Hierzu: Hildegard von Bingen, Briefwechsel,
nach den ältesten Handschriften übersetzt und nach den
Quellen erläutert von A. Führkötter, Salzburg 1965
Vita domnæ Juttæ inclusæ: Franz
Staab, Reform und Reformgruppen im Erzbistum Mainz. Vom ’Libellus de Willigisi
consuetudinibus’ zur ’Vita domnae Juttae inclusae’, Anhang II, in:
Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich…
Hrsg. v. Stefan Weinfurter (QAmrhKG 68), 1992, S. 172 ff, zitiert nach
Kapiteln und Zeilen.
Registrum bonorum: LHAKo 164/405, fragmentarisch
ediert: (MRUb) 2 S. 367
Nekrolog(ium): W. Sauer, Beiträge zur Geschichte
der Klöster Rupertsberg und Eibingen, in: NassAnn 17 (1882), S. 1–10
(HSsA Wbn 22 III/7f 139r)
Acta inquisitionis.: Acta inquisitionis de virtutibus
et miraculis S. Hildegardis… Ex originali archetypo transcripsit notisque
illustravit Dr. Petrus Bruder, in: AnalBolland 2 (1883), S. 116ff
OM: Der Oculus Memorie, ein Güterverzeichnis
von 1211 aus Kloster Eberbach im Rheingau, bearb. v. Heinrich Meyer zu
Ermgassen, Veröffentl. Hist. Komm. Nassau, XXXI, 1984. (Die Ziffern
beziehen sich auf die Kapitel und Paragraphen in Band 2: Edition)
Lehnsbücher… Bolanden: Die ältesten
Lehnsbücher der Herrschaft Bolanden, hg. v. Wilhelm Sauer, 1882
MRUb: Heinrich Beyer, Leopold Eltester und Adam Goerz,
Urkundenbuch zur Geschichte der … mittelrheinischen Territorien
MzUb: Mainzer Urkundenbuch, 1 (bis 1137), bearb. v. Manfred
Stimming, 1932; 2 bearb. v. Peter Acht, in zwei Teilen 1968 und 1997
NassUb: Nassauisches Urkundenbuch, 1: Die Urkunden des
ehemals kurmainzischen Gebiets…, bearb. W. Sauer, 1886ff.
Es ist ein schlechtes Zeichen für die Bibliothekskultur
des Landes, dass von den 5 einschlägigen, in den letzten Jahren erschienenen
Bänden des Corpus Christianorum · Continatio mediaevalis die
Mainzer Stadtbibliothek, obwohl regionale Sammelbibliothek, keinen einzigen,
die zentrale Universitätsbibliothek nur drei besitzt. In den Präsenzbibliotheken
der Seminare waren die meisten Exemplare nicht am Platz. CCCM 126 konnte
ich nur dank der freundschaftlichen Hilfe von Herrn Dr. Wilhelmyi, der
die Hildegard-Ausstellung im Dommuseum vorbereitet, einsehen und
sogar ein paar Tage ausleihen.]
Insgesamt fließen zeitgenössische Zeugnisse
für Hildegard garnicht so spärlich. Freilich sind sie
für unser Vorhaben sehr beschwerlich auszuwerten. „Da Hildegard
selbst von ihren Freunden und Bekannten“ (und Verwandten) „gern nur mit
abstrahierenden Benennungen, manchmal fast anonymisiert spricht, ist der
Brückenschlag hiervon zu den namenträchtigen Urkunden und Nekrologen
zuweilen sehr schwer.“ [8 Franz Staab, Aus Kindheit und Lehrzeit
Hildegards. Mit einer Übersetzung der Vita ihrer Lehrerin Jutta von
Sponheim, in: Hildegard von Bingen – Prophetin durch die Zeiten. Zum 900.
Geburtstag. Hg. v. Äbtissin Edeltraud Forster u. d. Konvent der Benediktinerinnenabtei
St. Hildegard, Eibingen. Freiburg 1997, S. 58 ff., S. 60.] Wenig ergiebig
sind mithin die Schriften Hildegards selber [9 Die wichtigsten
liegen mittlerweile in kritischen Ausgaben vor.] für ihre Genealogie
und sogar für ihre Biographie, genauso wie ihr umfangreicher und in
erstaunlicher Dichte erhaltener Briefwechsel; selbst die Auswahl der Adressaten
ist wenig aussagekräftig.
Es gibt eine hagiographische Lebensbeschreibung Hildegards.
Diese Vita wurde von einem „Sekretär“ Hildegards, einem
Disibodenberger Mönch namens Gottfried (s. 6.66.66.66.6) begonnen,
der wohl von 1174 an Propst des Rupertsberger Klosters war und schon um
die Jahreswende 1175/76 starb. Als von Hildegard erwünschter
Probst dürfte er aber über das geistliche und weltliche Umfeld
der beiden Klöster und Hildegards gut informiert gewesen sein.
Abgeschlossen und literarisch abgerundet hat die Vita der Echternacher
Mönch „magister“ Theodoricus. Über diese Vita, ihre Vorstufen,
Varianten, Derivate und über die ganze Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte
darf man als neusten Stand der Forschung getrost auf die Einleitung zur
Neuausgabe durch Monica Klaes verweisen. [10 CCCM 126.] Sie
bringt auch die schwer zu klärende Mitwirkung und dann auch eigenständige
Bemühung eines weiteren Autors in ein neues Bild.
Dieser, Guibert von Gembloux, hat sich vor allem der
geistigen Biographie Hildegards und ihren Werken gewidmet. Staab
gibt eine überzeugende Charakterisierung und Bewertung der Biographen
Hildegards,
[11 Staab, Kindheit… S. 58f. Vgl. auch Gustav Sommerfeldt, Zu den
Lebensbeschreibungen der Hildegard von Bingen, NA 35 (1910), S. 572.] wobei
Guibert durchaus eine Aufwertung als Quelle erfährt. Tatsächlich
wissen wir aus seinem Briefwechsel entscheidendes über
Hildegards
geistliche Verwandte; offensichtlich haben ihn auch genealogische Beziehungen
und biographische Einzelheiten interessiert; darauf deutet selbst die Tatsache,
dass er im Alter die Namen ihrer Eltern nicht mehr wusste, aber Platz für
sie frei hielt und sie erfragte. Er erwähnt übrigens, dass Hildegards
erster
„Sekretär“ und langjähriger Vertrauter daran gedacht hatte, ihr
Leben zu beschreiben, aber zu früh gestorben sei, um sein Vorhaben
zu verwirklichen. [12 CCCM 66, XV, Z. 131f.] Damit dürfte er
kaum Volmar gemeint haben, auf den die Beschreibung eigentlich zutrifft,
sondern Gottfried, den er auch an anderer Stelle mit Volmar ganz bewusst
verwechselt. [13 CCCM 66A, XXVI, Z. 289f. Zu beiden S. 6.6.]
Im übrigen gibt es auch zum Kloster Rupertsberg
eine verhältnismäßig gute Überlieferung. Viele Urkunden
sind erhalten, dazu ein frühes Besitzverzeichnis mit Angabe der Schenker,
das im Barock Registrum bonorum genannt wurde [14 Es gelangte
– wohl eine Folge der preußischen Einverleibung Nassaus – 1867 ins
LHAKo (164/405). Auf dem Buchrücken nennt es ein Aufkleber Chartularium
Rupertsberg XII et XIII saec. Die eigentliche Güterbeschreibung
ist von Beyer (MRUb) halbwegs zuverlässig ediert. Eine sorgfältige
und vollständige Edition etwa wie die des Oculus Memorie wäre
sehr viel wichtiger als viele der Traktate über Hildegard.
Die vielen, teilweise sogar ins 12. Jahrhundert zurückreichenden Urkundenabschriften
oder gar -originale findet man eher zufällig in zerstreuten Regesten
(MRR: Adam Goerz, Mittelrheinische Regesten, 4 Bände, 1876–1886; Böhmer–Will:
Johann Friedrich Böhmer, Regesta Archiepiscoporum Maguntinensium.
Regesten zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe, bearb. von C. Will,
1887–86; Knipping: Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter
2, bearbeitet v. R. Knipping (PubllGesRheinGKde 21, 2); A. J. Weidenbach,
Regesta Bingensia … /Regesten der Stadt Bingen, des Schlosses Klopp uind
des Klosters Rupertsberg, 1853) und Urkundenbüchern (NassUb).], vom
Nekrologium
[15 Wolf-Heino Struck, Das Arch. des Klosters Rupertsberg-Eibingen
im 18. Jh., in: Beitrr. z. Mainzer KG. in der Neuzeit Festschr. für
Anton Philipp Brück z. 60. Geburtstag (QAmrhKG 17) 1973, S. 191ff.]
nur ein Bruchstück. Die dort bekundeten Vorgänge, das sei hier
vorausgeschickt, sind fast immer undatiert und schwer datierbar. Weitere
Quellen sind die Acta inquisitionis zur versuchten Heiligsprechung
und schließlich als besonders kostbarer Inschriftenträger ein
Altar-Antependium aus dem Kloster. Es wurde im 19. Jahrhundert nach Brüssel
verkauft; im 17. Jahrhundert hatten sich die Nonnen, die doch ihre Privilegien
und Güterverzeichnisse gut aufbewahrten und auf dem Laufenden hielten,
des Nekrologs entledigt, dessen Pergament sie zu Einbänden
recycleten, als welche einzelne Blätter erhalten blieben und zu Archivquellen
zurückgenutzt werden konnten…
2 Zur Biographie der jungen Hildegard
2.1 Das Geburtsjahr
Ich sehe keinen Grund, von dem erstmals durch Stilting [16 AASS, S. 631] eruierten Geburtsdatum „ca. 1098“ abzugehen, obwohl Altersangaben in alten Quellen immer ungenau sind. Die für 1112 feststehende Profess setzt Mündigkeit voraus, lässt also wenig Spielraum für ein nach einigen Angaben, sogar solchen Hildegards selber, zwei Jahre später später anzusetzendes Datum.
2.2 Schule und Eintritt ins Kloster Disibodenberg
Wenn es in der Vita [17 CCCM 126, I, 1, 15ff: Cumque iam fere esset octo annorum … recluditur in monte sancti Disibodi cum pia Deoque dicata femina Iuttha.] heißt, mit gerade acht Jahren sei Hildegard mit der frommen und gottgeweihten Frau Jutta auf dem Disibodenberg Inkluse geworden, so bemerkt bereits Stilting [18 AASS, S. 632.] die Unmöglichkeit dieser Angabe angesichts der urkundlich belegten Gündung der Benediktinerabtei: aut in numeros Dodechini errorem irrepisse, aut Hildegardem alio prius loco vixisse sub disciplina eiusdem Juttæ. (Entweder hat sich in die Zählung des D. ein Fehler eingeschlichen…) Gemeint ist die zutreffende Angabe der Annales Disibodenses, Jutta sei 1136 bei ihrem Tod 24 Jahre auf dem Disibodenberg Inkluse gewesen. Ein Fehler liegt also nicht vor, demnach muss die Alternative (…oder Hildegard hat unter Jutta zuvor an einem anderen Ort gelebt) zutreffen, mit der Einschränkung, dass Hildegard schwerlich unter der Aufsicht der, wie wir jetzt wissen, nicht einmal sechs Jahre älteren Jutta von Spanheim [19 Ich gebrauche die historische Schreibweise für das Adelsgeschlecht, für das Kloster und den Ort den heutigen Namen.] gestanden haben dürfte. Für Jutta wurde nämlich erst in den letzten Jahren eine unzweifelhaft authentische Quelle wiedergewonnen. Diese Vita domnæ Juttæ inclusæ entstand im nächsten Umfeld der Verstorbenen innerhalb eines Jahres nach ihrem Tod. Franz Staab hat sie entdeckt, vorbildlich kommentiert herausgegeben und in den geistig-historischen Zusammenhang gestellt. [20 Staab, Reform…, S. 172ff.] Staab hat sie jetzt auch für Hildegard ausgewertet und mit einer Übersetzung vorgelegt. [21 Staab, Kindheit… Ich danke Prof. Staab herzlich, dass er mir die Korrekturfahnen vorab überließ.]
2.2.1 Jutta von Spanheim
Juttas Geburt lässt sich mit 1092 errechnen, ihr
Vater starb cum vix esset triennis. Erzogen wurde sie zuerst von
der Mutter, nach der zartesten Kindheit tradita est litterarum imbui
disciplina. Mit 12 Jahren wurde sie schwer krank und uouit deo …
sanctæ conversationis propositum. Gegen den Willen ihrer Verwandten
(also vor allem des Bruders Meinhard) suscepit sanctae religionis habitum
von
Erzbischof Ruthard. Wegen des „Exils“ von Ruthard in Thüringen kann
dies frühestens Ende 1105 geschehen sein. Dann unterstellte sie sich
als Schülerin der gleichfalls als Nonne eingekleideten (wohl irgendwie
verwandten) Uda vidua de Gillinheym, was drei Jahre dauern sollte.
[22 Gillinheim ist Göllheim, dessen Kirchenpatronat später
und wohl schon damals zur Herrschaft Stauf gehörte und nach Udas Zeit
im Besitz der Eberstein/Spanheimer war. Vgl.: Handbuch d. hist. Stätten
Dtlds. 5, Rheinland-Pfalz, Artikel Göllheim; Anneliese Naumann-Humbeck,
Studien zur Geschichte der Grafen von Sponheim vom 11. bis 13. Jahrhundert,
1980/81, S. 144, Reg. Nr. 311 (1248). Hans Werle, Die Anfänge der
Grafen von Eberstein in der Nordpfalz, in: MittBlRheinhessLdkde 7 (1959),
S. 131f. Uta kann natürlich nicht die gleichnamige Mitgründerin
von Herrenalb (1150) sein. – Hermann Schreibmüller, Burg und Herrschaft
Stauf in der Pfalz, 1 (Wissensch. Beil. z. Jber. d. K. Humanistischen Gymnasiums
Kaiserslautern f. d. Schuljahr 1912/13, Kaiserslautern 1913, S. 34ff.)
bringt Gottfried de Stouffen, durch seine Tochter Agnes (†1132) Schwiegervater
Rudolf (II) von Habsburg, ins Spiel. Uda von Göllheim als die Witwe
dieses Gottfried zu postulieren, ist schiere Raterei.] Mir scheint, dass
Jutta eher 1106 oder Anfang 1107 den Schleier nahm, weil dies mit dem Eintritt
der achtjährigen Hildegard in eine geistliche Erziehung zusammenfällt,
und weil nach den drei Jahren „Internatszeit“ bei Uda dann Juttas Rückkehr
nach Hause ins Jahr 1110 fallen würde und die daran anschließenden
Auseinandersetzungen mit der Familie nicht mehrere Jahre gedauert haben
müssen. Ich möchte danach auch eine Probe- bzw. Novizenzeit von
etwa einem Jahr auf dem Disibodenberg als selbstverständlich einschalten.
Die feierliche und ewige Profess geschah jedenfalls Allerheiligen 1112.
Guibert, der die Vita domnæ Juttæ inclusæ offensichtlich
kannte, aber auch den Vita-Beginn des Gottfried, schildert malerisch die
Einschließung Juttas mit der achtjährigen Hildegard und
einer weiteren Jutta, die zwar niedrigerer Abstammung, aber doch ihre Nichte
war. [23 CCCM 66A, Epist. XXXVIII Z. 201ff.…et cum alia Christi
famula sibi equiuoca inferioris generis, nepte tamen sua („und mit
einer anderen Gottesmagd, die wie sie hieß, von niedrigerer Herkunft,
indessen doch ihre Nichte…“). Diese Nachricht bietet nur Guibert. Ich halte
sie für vollauf glaubwürdig, nicht nur, weil bei Juttas Tod zwei
ihrer ältesten discipulae Jutta hießen, sondern weil ein Hagiograph
so etwas nicht erfinden muss und kann. Guibert ist auch der einzige, der
Jutta als comiti(!) de Spanehem filia bezeichnet (ebd., Z. 136ff.)
Das zeigt, dass er sich für genealogische Beziehungen interessierte
und sie halbwegs richtig darstellt, wogegen auch nicht der erst zu seiner
Zeit selbstverständliche Grafentitel für die SPONHEIMER spricht.
Mit Chronologie kam Guibert nicht so gut zurecht: Er übernimmt Hildegards
eigene,
eher symbolisch gemeinte Angabe, sie sei im Jahre 1100 geboren, freilich
mit dem Zusatz circa (ebd. Z. 105), dazu die Angabe der Vita,
Hildegard
sei mit 8 Jahren eingeschlossen worden, und die Angabe der Vita domnæ
Juttæ inclusæ, Jutta sei 24 Jahre Nonne gewesen, ohne sie miteinander
abzugleichen. Oder sah er die Widersprüche? Es fehlt bei ihm die Jahreszahl
1112 bei der Profess, er nennt nur das Tagesdatum: Allerheiligen (Z. 177).]
Dass, wie Staab meint [24 Staab, Kindheit…, S.
64f. Die Burg dürfte damals noch an der Stelle des späteren Klosters
gestanden haben, wenn denn dies der Wohnsitz der verwitweten Mutter war.],
Ort der Erziehung Juttas durch Uda die Burg Sponheim war, bezweifle
ich. Schon während [25 Staab, Kindheit…, S. 65.] der dreijährigen
Ausbildungszeit sehnte sich Jutta nach einer Pilgerreise, auf die die fromme
Mutter (sie wird auch fromme Wittwe genannt) sie freilich nicht gehen ließ.
Ich glaube, dass hier eher die geistige als die leibliche Mutter gemeint
ist, bestimmt aber mit folgender Stelle: Jutta diente der würdigen
Witwe und arbeitete mit ihr Tag und Nacht mit Fasten, Nachtwachen und Beten
ständig für den Herrn. Jeder günstigen Gelegenheit zum Ausreißen
kamen der Fleiß und die Wachsamkeit der frommen Witwe zuvor.
[26
Hier kann doch nicht die leibliche Mutter gemeint sein! Übersetzung
von Staab, Kindheit…, S. 71.] Nachdem die Mutter gestorben war, beschloss
das Mädchen, mit seinem Plan nicht länger zu warten, das Vaterland
und das väterliche Haus dem Herrn zuliebe zu verlassen…[27
Tatsächlich
dürfte in jener Zeit die leibliche Mutter gestorben sein, die vermutlich
selber in ein Kloster (kaum Disibodenberg) eingetreten war. Die Urkunde
von 1128, die die Schenkung von Nuwenkirchen (zu seiner Lokalisierung s.
Fußnote 78787879) durch Graf Meinhard referiert (MzUb Nr. 553, S.
465), sagt ausdrücklich, dass er ein löbliches Gelübde seiner
Schwester erfüllte, indem er dem Hl. Disibod diese selbst übergab
samt dieser Schenkung mit der selben Freiheit (Herrschaftsrechten?), die
ihrer beider Mutter Sophia und nach deren Tod er selber besessen hatte.
Domna
Sophia, mulier religiosa hatte die Freiheit besagter Kirche von Erzbischof
Ruthard erhalten. Dies ist wohl nicht kirchenrechtlich zu verstehen, wenn
der Ort nicht in der Mainzer Diözese lag, sondern als Zustimmung eines
Miteigentümers oder Lehensherrn. Oder bezieht sich prefate ecclesie
auf
mulier
religiosa, und Sophia hatte dort ein Kleinkloster (Klause, Zelle) gegründet?
Höchstwahrscheinlich fand die Schenkung bei Juttas Profess statt,
also war Sophia zu diesem Zeitpunkt tot.] Aber ihr Bruder widersetzte
sich. Als Vermittler zog er den (vielleicht entfernt verwandten, s. 6.16.16.16.1)
Bischof Otto (I.) von Bamberg hinzu. Auf dessen Rat stimmte der Bruder
zu und wählte Jutta das Kloster Disibodenberg zum Aufenthalt. Sie
legt praefato patre praesente, also im Beisein Bischof Ottos, 1112
November 1 die Profess ab. [28 Staab, Kindheit…, S. 65, meint, Bischof
Otto habe den damals nachweislich noch nicht geweihten Erzbischof Adalbert
I. vertreten. Meines Wissens ist zur Abnahme auch einer ewigen Profess
nicht einmal die Anwesenheit eines Bischofs nötig. Warum Staab meint,
dass Hildegard nur zwei und nicht wie Jutta drei Jahre bei Uda von
Göllheim lernte, erklärt er nicht. Vielleicht blieb sie sogar
länger bei Uda…]
Dieses Datum und Juttas Tod 1136 Dezember 22 [29 Die
von Staab als schwerlich zu Jutta von Spanheim gehörig bezeichneten,
aber terminlich passenden Memorial-Eintragungen in Seeon und dem eng verbundenen
Indersdorf dürften doch auf die Disibodenberger Inkluse zu beziehen
sein. Die Klostervogtei von Seeon war von den ARIBONEN über die SIEGHARDINGER
gleichfalls an die SPANHEIMER gelangt, aber wohl in anderem Erbgang als
die Grafschaft im Pustertal, nämlich über die Grafen von Tengling.
Erster Spanheimer Vogt im Seeoner Nekrolog ist Graf Siegfried III. von
Lebenau, † 1164 August 23, aber schon die beiden Frauen seines Vaters,
Hiltipurch († … Juli 31), wohl die Erbtochter, und Adelheid († Januar 22,
ca. 1148) wurden in Seeon begraben und memoriert. Vgl. Franz Tyroller,
Genealogie des altbayerischen Adels im Hochmittelalter…, in: Wilhelm Wegener,
Genealogische Tafeln zur mitteleuropäischen Geschichte, 1962, pass.;
MG Necr 2, ed. S. Herzberg-Fränkel, S. 217ff. – Freilich verbrachte
bereits der älteste Bruder Siegfrieds II., Engelbert II., der 1135
als Herzog von Kärnten abgedankt hatte, seinen Lebensabend als Mönch
in Seeon, wo er 1141 April 13 starb, begraben und memoriert wurde: MG Necr.
2, S. 223, und Monumenta boica B 2, S. 162 (Anhang zum Seeoner Necrolog),
sowie Heinz Dopsch, 1000 Jahre Seeon· Klostergründung im Zeichen
der Kirchenreform, in: Sew – Seeon 994–1994. 1000 Jahre Seeon – Ein Heimatbuch
– Beitrr. z. Kloster-, Pfarr- und OrtsG. 1994, S. 67. – Engelbert (II)
und Siegfried (II) dürften Vettern etwa 2. Grades der Jutta gewesen
sein.] sind wichtig für die Biographie Hildegards. Auch sie
wurde mit Jutta auf dem Disibodenberg aufgenommen, dafür gibt es mehrere
Belege: Eine zum liturgischen Gebrauch gekürzte Version der Vita
gibt an [30 Octo lectiones in festo sanctae Hildegardis
legendae, CCCM 126, S. 75ff., Z. 13f. Diese Octo lectiones sollen
nach Klaes einen gewissen Einfluß Guiberts und des von ihm gesammelten
Materials für eine Vita verraten, ohne dass dieser der Autor gewesen
wäre (CCCM 126, S. 146* ff.).], dass sie vor Bischof Otto Profess
ablegte und das kann wohl nur gleichzeitig mit Jutta geschehen sein. Auch
die Annales S. Disibodi [31 ed. G. Waitz, MG SS 17 S. 25,
Z. 12ff.], die von allerdings drei mit Jutta eingeschlossenen sprechen,
erwähnen
Hildegard. Die Stelle ist freilich wörtlich übernommen
aus einem anderen Zusammenhang der Vita domnæ Juttæ inclusæ
[32 caput VIII, Satz 12. „…drei ihrer Schülerinnen, die fortgeschrittener
waren, nämlich Hildegard und zwei des gleichen Namens wie sie
selber…“.], nämlich der Leichenwaschung Juttas: tres eius discipulae,
scilicet Hildigardis et suimet uocabili adhuc duae, quae prouectiores erant…
Hildegard war wohl kaum Schülerin der etwa
sechs Jahre älteren Jutta im heutigen Sinn; discipula ist hier wohl
als Gegenwort zu Magistra gemeint. Jutta brachte ihr freilich den
Gesang der Psalmen auf dem zehnsaitigen Psalter bei, die Neumen, bzw. die
einfache Notation der Psalmen war das einzige, was Hildegard von
einem Manne lernte. [33 Vita I, 1, 18ff.: Iuttha … in psalterio
dechacordo iubilare premonstrabat. Ceterum preter psalmorum simplicem noticiam
nullam litteratorie uel musice artis ab homine percepit doctrinam…]
Vermutlich betrachtete sie Uda/Oda von Göllheim als jene Lehrerin,
von der sie sagte: Indocta mulier me docuit (Eine ungelehrte Frau
hat mich gelehrt.)
Die Biographen Hildegards, von denen der erste,
Gottfried, fast 40 Jahre nach dem Autor der Vita domnæ Juttæ
inclusæ, also rund 75 Jahre nach den Ereignissen schrieb, haben
die Etappen von Hildegards Eintritts in den geistlichen Stand in
eine zusammengezogen, eine erklärliche Ungenauigkeit, die der Glaubwürdigkeit
dieser Viten keinen Abbruch tut.
Juttas Tod bedeutet für Hildegard, dass sie
nun die Nachfolge als Vorsteherin der Inklusen auf dem Disibodenberg antrat.
1143 September 29 weihte Erzbischof Heinrich (vgl. 6.26.26.26.2) die Disibodenberger
Klosterkirche und kam dabei zweifellos auch mit Hildegard zusammen.
1147 begann der Gründungsprozess des Klosters Rupertsberg, der spätestens
1150 mit der Übersiedlung der Nonnen unter Leitung Hildegards
abgeschlossen wurde.
Wir haben also festzuhalten (und die vielen wissenschaftlichen
und populären Biographien zu korrigieren): Hildegard wurde
nicht von der kaum sechs Jahre älteren Jutta erzogen, sondern mit
ihr zusammen wohl ab ca. 1106/7 für drei Jahre von und wohl auch bei
Uda
vidua de Gillinheim, und sie legte erst 1112, also in nach damaligen
Vorstellungen (ehe)-mündigem Alter, mit Jutta auf dem Disibodenberg
Profess ab. Dass Hildegard nicht schon 1106, also 2 Jahre vor der
Einrichtung des Benediktinerklosters [34 MzUb 1 Nr. 436. Entgegen
dieser klaren Aussage datiert W. Seibrich, Zur Geschichte des Disibodenbergs,
in: Der Disibodenberg, Staudernheim o. J., die Gründung vor, wohl
um Hildegard möglichst lange dort gelebt haben zu lassen. Die
evtle. Existenz des Benediktinerklosters vor 1098 und seine allmähliche
Wiedereinrichtung nach der Rückkehr Ruthards mag zutreffen (Heinrich
Büttner, Studien zur Geschichte von Disibodenberg, in: StudMittGBened
52 (1934), S. 24ff.) Frauen als Inklusen konnten aber erst nach der Einsetzung
eines Abtes zugelassen werden, und die geschah erst nach Mai 11, aber wohl
noch 1108.], auf dem Disibodenberg aufgenommen worden sein kann, ist ein
kleiner Fehler der gleichwohl glaubwürdigen Hildegard-Biographen;
doch hätte die neuere Biographik – wie Stilting! –auch ohne Jutta-Vita
den Widerspruch zur historischen Wirklichkeit feststellen oder zumindest
Beispiele anführen müssen, dass es Inklusen auch in Kanonikerstiften
(wie 1106–08 wohl eines auf dem Disibodenberg noch irgendwie bestand) gab.
2.3 Exkurs: Die Unglaubwürdigkeit des Johannes Trithemius
Das Chronicon huius Monasterii Sponheimensis [35
Die
lateinischen Zitate nach der von Marquart Freher besorgten Ausgabe der
historischen Werke des Trithemius Frankfurt 1601; die deutsche Übersetzung
von Carl Velten, Des Abtes Johannes Trithemius Chronik des Klosters Sponheim,
Bad Kreuznach 1969, gilt als nicht ganz zuverlässig.] des Johannes
Trithemius ist für das 11. bis 13. Jahrhundert als seriöse Geschichtsquelle
nicht heranzuziehen. Ob sie für folgende Jahrhunderte und für
die spätere Geschichte des Klosters Sponheim stichhaltig ist, muss
hier nicht untersucht werden. [36 Johannes Mötsch, Genealogie
der Grafen von Spanheim, in: JbwestdLG 13 (1987), S. 63f. weist nach, dass
Trithemius nicht einmal die Familienverhältnisse der letzten SPANHEIMER
zu Beginn des 15. Jahrhunderts, wenige Jahrzehnte vor Abfassung seiner
Chronik, richtig kennt!] Die bekannten Einwände gegen seine
Zuverlässigkeit, [37 Völlig zutreffend die schon von J.
Stilting in den AASS geäußerten Zweifel am Besuch des Heiligen
Bernhard auf dem Rupertsberg; J. Silbernagl, Johannes Trithemius, Regensburg
1885; sowie H. Büttner, Abt Trithemius und das Privileg Honorius II.
für Sponheim, in: ZGO 107 (NF 68), (1959) S. 496ff. und M. Schrader,
Trithemius und die heilige Hildegard „von Bermersheim“, in: ArchMittelrhKG
4 (1952), S. 171ff.] vermehrt die eben herangezogene Vita domnæ
Juttæ inclusæ, indem sie gleich ganze Reihen von Trithemius-Behauptungen
entkräftet.
Offensichtlich hat Trithemius diese Vita aber gekannt!
Er sagt selber: Jutta … non sine magnae opinione sanctitatis ex hoc
mundo transiuit ad cœlum, cuius vita & conversatio sanctissima satis
diligenter conscripta habetur. [38 Chronicon Sponheimensis
S. 248, Z 31ff. Karl Hermann May, Beiträge zur Geschichte der Herren
zu Lipporn und Grafen von Laurenburg, in: NassAnn 60 (1943/48), S. 1ff.
bezeichnet Trithemius rundweg als Fälscher, aber lässt (S. 37)
diesen Punkt gelten: „So mag wenigstens die Bezeichnung des Grafen Stephan
als Meinhards Vater auf zuverlässigen Nachrichten beruhen, … die bei
eingehenden archivalischen Studien vielleicht noch zu Tage gefördert
werden können.“ Der Mann hatte keine schlechte Nase… Die zuverlässige
Nachricht fand Staab…] („J. ging nicht ohne den Geruch großer
Heiligkeit aus dieser Welt in den Himmel, ihr Leben und ihre hochheilige
Abkehr vom Irdischen liegen sorgfältig genug beschrieben vor.“) Außerdem
muss er, da er sich nirgends auf den sonst nur 1075 genannten Stephanus
de Spanheim und die entsprechende Urkunde bezieht, den Namen von Juttas
Vater aus deren Vita entnommen haben. [39 Ihre Mutter Sophia wird
in MzUb 1 Nr. 553 genannt, nicht aber der Vater.] In nicht zu erklärendem
Widerspruch zu Juttas Vita behauptet er: Fuit autem inclusa patre Stephano
adhuc vivente, [40 S. 247, Z. 50ff. Er kann doch nicht den Satz
praefato
patre praesente (Vita domnæ Juttæ inclusæ, caput
III, S. 176, Satz 10) statt auf Bischof Otto auf den leiblichen Vater bezogen
haben! Dies würde bedeuten, dass er seine Quellen sehr oberflächlich
gelesen hat!] (J. wurde noch zu Lebzeiten ihres Vaters Stephan Inkluse).
Dass Trithemius Stephan an anderer Stelle zum Grafen macht, wäre nur
ein historiographischer Lapsus, wie er schon Guibert unterlief. Dass er
Juttas Vater, den sie tatsächlich in den ersten Lebensjahren verlor,
1112 noch leben, ja, erst 1118 sterben lässt, ist dagegen positive
Fälschung. Staab meint freilich in Umkehrung der Beweislast, „Trithemius
kannte … die zeitgenössische Jutta-Vita nicht mehr, da er behauptet,
Juttas Vater Stephan habe bei ihrem Klostereintritt noch gelebt.“ [41
Staab,
Kindheit S. 83, Anm. 27.]
Es wird in der Vita domnæ Juttæ inclusæ
übrigens niemals in Erwägung gezogen, daß die SPANHEIMERIN
Jutta Nonne in Sponheim werden und dort für sie eine Klause wie auf
dem Disibodenberg eingerichtet werden könnte. Es gab also 1112 keinen
Gedanken an Sponheim als Kloster. Pfaffen-Schwabenheim kam nicht infrage;
es war ein Stift und gehörte wohl noch Meinhards (künftigem?)
Schwiegervater, nicht Juttas Familie. Disibodenberg war aber nicht eine
Wahl faute de mieux; Jutta – und Hildegard! – gehörten
zu dem Adelskreis, der sich um das Kloster (und damit um Erzbischof Ruthard)
scharte.
Der angebliche Beginn des Sponheimer Klosterbaus 1101
durch den damals schon mindestens 5 Jahre toten Stephan von Spanheim und
die Behauptung, daß dieser 1118 Februar 25 gestorben sei, ohne ihn
zu vollenden, sind freie Erfindungen des Trithemius. Diese bewußten
Unrichtigkeiten lassen auch alle anderen Angaben im Chronicon Sponheimense,
insbesondere die zu 1044, 1047 und die Weihe der Kirche durch Bischof Buggo
von Worms, als aus der Luft gegriffen erscheinen. Trotzdem feierte man
1994 eine 950. Wiederkehr des gegenstandslosen Gründungsdatums. [42
Wolfgang
Seibrich, Die vier Gründungen des Klosters Sponheim. Im Selbstverlag:
August 1994 (Idar-Oberstein). Sehr wertvoll dagegen Johannes Mötsch,
Die archivalische Überlieferung des Benediktinerklosters St. Martin
zu Sponheim (1124–1556), in: ArchMittelrhKG 47 (1995), S. 323ff.]
Die Trithemius-Chronik mag eine interessante Kontrafaktur
auf mittelalterliche Klosterchroniken sein und als solche eine literarische
Leistung von beträchtlichem Erfolg und Folgen. Trithemius hat nicht
schlichtweg gelogen, er hat gedichtet. Es gehört zu einer solchen
Parodie, dass er uns in der als Epistola … charae posteritatis verfassten
Vorrede weismachen will: Integritatem veritatis, quantum ego possum
scire, seruaui in omnibus, nec sciens quic-quam falsitatis inserui.
[43 S. 236, Z. 35f.] (Ich habe überall der reinen und vollständigen
Wahrheit, soweit ich sie wissen kann, gedient, und jedenfalls wissentlich
keine Fälschung eingefügt.) Auch das Distichon unisonum, das
er als Grab- oder Gedenkinschrift für die beiden Äbte Bernhelm
und Craffto widergibt, stammt als poetische Fingerübung gewiss von
ihm und nicht aus dem 12. Jahrhundert. [44 Chronicon Sponheimensis
S. 255. Vgl. DI 34: Die Inschriften des Landkreises Bad Kreuznach, Ges.
u. bearb. v. Eberhard J. Nikitsch (Die Deutschen Inschriften 34), 1993,
Nr. 7†, wo Trithemius unter Berufung auf Velten und Seibrich „zumindest
für die das Klosterleben betreffenden, lokalgeschichtlichen Passagen
durchaus als zuverlässig angesehen“ wird, weswegen Nikitsch (ebd.
Nr. 1) auch von einem „dem Benediktinerkloster vorangegangenen Kollegiatstift“
ausgeht. Historisch belegt ist des Trithemius Autorschaft für die
Darstellungen der ersten 24 Äbte im Sommerrefektorium des Klosters
(DI 34, Nr. 223) mit Inschriften, ihren Wappen (!) und Bildern. (Die stammen
wohl nicht von Trithemius, sondern vom Freskanten.) Die Liste des Trithemius
übergeht übrigens den urkundlich für 1202 belegten Abt Tietlibus
oder versetzt ihn nach 1302, was aber angesichts der Zeugen in Mötsch,
Überlieferung… S. 336, Regesten Nr. 6 nicht angeht.]
Eine gerade in unserem Zusammenhang belangvolle Beurteilung
der die Tatsachen ignorierenden Geschichtswerke des Trithemius nähert
diese den Inspirationen einer Elisabeth von Schönau und damit auch
den Viten Hildegards über die heiligen Disibod und Rupert.
[45
Nikolaus Staubach, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Die
historiographischen Fiktionen des Johannes Trithemius im Lichte seines
wissenschaftlichen Selbstverständnisses, in: Fälschungen im Mittelalter…
(MG Schriften 33), Teil 1 (1988) S. 263ff.] Nur hat Hildegard keinen
Hehl daraus gemacht, dass sie diese nicht Wissen aus Überlieferung
oder Forschen verdankte, sondern in geistiger Schau schrieb, in mystica
visione. [46 So beginnt ihre Vita S. Disibodi (AASS 29,2, S.
591)] Trithemius aber gab sich als Historiker aus. Da endet für uns
nüchtern positivistische Betrachter die pia fraus. Es lohnt
sehr, psychologisch die Entstehung, und geistesgeschichtlich die Wirkung
solcher Offenbarungen zu betrachten; jedenfalls missversteht man sie, wenn
man ihre Behauptungen als Tatsache nimmt, ob sie nun wie von Hildegard
einer lux vivens zugeschrieben werden oder wie bei Trithemius eher
einem Willen zum Blenden entspringen.
Erstaunlich ist, dass trotz aller Zweifel an des Trithemius
Glaubwürdigkeit nur seine Hirsauer Chronik pauschal verworfen wurde,
die SPONHEIMER aber immer nur in Einzelheiten als unhaltbar oder erfunden
dargestellt wurde; sie werden meistens mit irgendwelchen frommen Zwecken
oder mit Irrtum entschuldigt, um andere Einzelheiten als glaubwürdig
retten zu können. Selbst der so kundige Staab beruft sich auf Trithemius.
[47 Staab, Kindheit… S. 64 versucht, Böckelheim wieder als
Geburtsort Hildegards ins Spiel zu bringen, weil „Trithemius gerade
über die sponheimische Geschichte des Mittelalters sehr gute Informationen“
brächte, und belegt dies mit einem wenig überzeugenden Verweis
auf F. Staab, Zur Organisation des früh- und hochmittelalterlichen
Reichsgutes an der unteren Nahe, in: Gesch. Ldkde 21 (1980), S. 22 mit
Anm. 94. Dort ist aber nur am Rande von Trithemius die Rede.]
Ich bleibe dabei: Trithemius hat in seiner Sponheimer
Chronik zumindest für die Zeit bis 1250 keine authentischen, gar mittlerweile
verlorene Quellen ausgewertet oder überliefert. Im Gegenteil, er hat
fiktive Quellen selber geschaffen, um sich die literarische Arbeit zu erleichtern.
Ihn als Primärquelle oder auch nur als Sekundärliteratur anzusehen,
wäre dasselbe, wie wenn man das „Dreimäderlhaus“ einer Schubert-Biographie
zugrundelegen wollte.
3 Die engere Familie H,ildegards
3.1 Die Eltern und Geschwister
Guibert von Gembloux hat in seinem Vita-Entwurf die Namen
von Hildegards Eltern mit Freiräumen im Text ausgelassen; gleichwohl
bezeichnet er sie als saecularis fastu nobilitatis sublimes, opum terrenarum
affluentio exuberantes, famae celebritate illustres … nomen habuere grande,
iuxta nomen magnorum qui sunt in terra. [48 CCCM 66A, Epist.
XXXVIII, Z. 103ff.] („Herausragend im Stolz weltlichen Adels, überströmend
vom Zufluß des Länderreichtums, hochbedeutend durch die Berühmtheit
ihres Ansehens… hatten sie einen großen Namen, entsprechend dem Namen
der Mächtigen auf Erden…“) Man darf hagiographische Floskeln nicht
als adligen Abstammungsbeweis werten. Aber Guibert wollte sie ja mit den
ihm nur entfallenen Namen belegen. Sind sie indessen nicht „blind“, sondern
in noch so vager Kenntnis der Umstände geschrieben worden, bedeuten
sie, daß die Familie nicht zum „kleinen Dorfadel“ (Schrader versetzt
diesen Begriff ins ausgehende 11. Jahrhundert) gehörte, sondern zu
den Dynasten. Immer kann man sich auf den schillernden Begriff „edelfrei“
einigen.
Übrigens fehlten die Namen auch in T, der ältesten
Handschrift der Vita. [49 CCCM 126, S. 35* Anm. 45, und 185*
ff.] Es handelt sich um das Autograph Theoderichs. Es scheint so, dass
Gottfried (der den Entwurf schrieb), wohl auf ausdrücklichen oder
allgemeinen Wunsch Hildegards von ihren Eltern nicht sprechen wollte;
denn dass Gottfried die Namen (und mehr, auch über die Geschwister)
wusste oder unschwer erfahren konnte, muss man annehmen. Aber der Biograph
in Echternach wollte sie nennen und konnte sie sich noch erfragen. Nah
verwandte Adelskreise waren zahlreich und der Zeitabstand nicht übermäßig
groß, sodass man der Angabe getrost glauben darf.
Aus der endgültigen Vita erfahren wir mithin
die Namen der Eltern: Hildebert und Mechthild, …patre
Hi(l)deberto, matre Mec(/t)htilde progenita. Qui, licet mundanis impliciti
curis et opulentia conspicui… („Sie stammte von dem Vater Hildebert
und der Mutter
Mechthild. Diese, wenn auch verwickelt in die Besorgungen
der Welt und angesehen durch ihren Reichtum …“) Mehr wird über sie
nicht gesagt. Man darf aber annehmen, dass Hildegard nicht schon
früh Waise wurde wie Jutta; sonst hätten Gottfried oder Guibert
dies wohl vermerkt.
Halten wir mit zwei weiteren Angaben Guiberts auch fest:
Hildegard
war zehntes (nicht unbedingt letztes) Kind ihrer Eltern. [50
CCCM
66A, Epist. XXXVIII Z. 113. Dass sie als das zehnte Kind quasi als „Zehnt“
für Gott den Herrn zum geistlichen Stand bestimmt wurde, wie Guibert
meint, bedeutet ja nicht, dass nur dieser Zehnt entrichtet wurde. Sonst
wäre ihr weltgeistlicher Bruder Hugo als das zwanzigste Kind anzunehmen,
oder Säkularkleriker zählen für Hildegard, bzw. Guibert,
als Professionelle und nicht als Gottgeweihte…] Ihr Bruder war der Mainzer
Domkantor Hugo (s. 3.4.13.4.13.4.13.4.1).
3.2 Der Vater: Hildebert
Dieser Name, der so vertraut klingt, ist um 1100 am Mittelrhein, ja in ganz Deutschland, äußerst selten. Es ist in unserem Zusammenhang müßig, Namensträger aus der Zeit vor 1000 aufzuzählen, eine Verbindung etwa zu den MEROWINGERN oder dem Mainzer Erzbischof dieses Namens lässt sich sowieso nicht herstellen. Aus jener Zeit haben wir viele Nennungen in den Libri memoriales; der Name geriet im 10./11. Jahrhundert so auffällig ausser Gebrauch wie Pippin, Karl und (weniger) Ludwig, womit ich ihn nicht als KAROLINGER-Name bezeichnen möchte.
3.2.1 Urkundliche Nennungen eines Hildebert
Bei der Seltenheit des Namens ist es kein Problem, alle ungefähr zeitgenössischen Nennungen eines Hildebert (Hildebrecht ist derselbe Namen) aufzuzählen, soweit ich sie vor allem in den Urkundenbüchern mit ihren nicht immer für die Suche nach „Vor“namen geeigneten Registern fand. Fündig wurde ich nur in der Mainzer Diözese, bzw. am Mittelrhein:
Hildebraht, (1084–88), Zeuge für Kloster Lorsch über die Schenkung des leprakranken Heinricus de Fruminstetin in Thüringen, [51 Codex Laureshamensis, bearb. u. neu hg. Karl Glöckner, (Arbb. d. hist. Komm. Volksstaat Hessen) (CL) 119] wohl identisch mit Hildebertus (De seruientibus) 1094 [52 CL 134], und mit Hildibertus de eodem loco [=Winenheim] (Weinheim) o. D. (=1095 Oktober 27). [53 CL 141 ]
Diese Mitglieder der Lorscher Familia sind die
Vorläufer einer Lorscher Ministerialenfamilie (s. 3.2.53.2.53.2.53.2.5).
Ein Zusammenhang mit den folgenden im Naheraum auftretenden Namensträgern
ist nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern wird auch durch andere Indizien
gestützt.[54
Auch in dieser Familie gab es offensichtlich Drutwine:
CL 134 und 160. Zum gleichnamigen Bruder Hildegards s. 3.4.3.]
Sie sind aber zu vage, um eine konkrete genealogische Beziehung oder gar
eine Gleichsetzung mit einem (vielleicht allen) der folgenden Namensträger
zu rechtfertigen.
Hildemb. (vel eius heredes persolvunt I unciam
in Geisbodesheim) in Gabsheim „Mitte des 11. Jahrhunderts“
Zins-Neuerwerbung eines Propstes Reginhard von St. Alban. [55 MzUb
1 Nr. 569. Dort falsch datiert „vor 1130“ Vgl. Reinhard Schmid, Die Abtei
St. Alban vor Mainz im Hohen und späten Mittelalter… (BeitrrGMz 30),
S. 54f. Es handelt sich um eine ganze Gruppe solcher Ewigzinsen: Lehilin
8 Unzen, Wezil 1, Hildemb. (im Register falsch „Hildembergus“)
1, Hildelin 10 den., Bertolff 10 den. Möglicherweise
handelt es sich ursprünglich um eine einzige Kapüitalaufnahme.]
Man könnte in ihm Hildegards Großvater oder Urgroßvater
sehen, doch wäre das sehr kühn. Auch hilft es nicht weiter.
Hildebrecht 1104 (letzter)
Zeuge für Besitzbestätigung des Klosters St. Peter zu Erfurt
durch Erzbischof Ruthard. [56 MzUb 1 Nr. 417, entsprechend in der
Fälschung Nr. 419]
Hildebrecht de Hosebach 1112
Zeuge für Kloster Disibodenberg [57 MzUb 1 Nr. 455] (s. unten
I.)
Hildebrach 1120 Oktober 16 letzter einer langen
Zeugenliste Adalberts I. für das Marienstift in Erfurt. [58
MzUb 1 Nr. 489.]
Hildebertus prepositus 1122 Zeuge in einer
Urkunde des Klosters St. Alban.[59 MzUb 1 Nr. 502]
Hiltebertus de Vermerssheym 1126 Dezember
25 Zeuge bei der Schenkung des Edelfreien Udo (von Stade) und seiner Gattin
Jutta an Kloster Sponheim [60 MzUb 1 Nr. 545 unter 1127. Überzeugend
erscheint mir die Vordatierung (Weihnachtsstil, entsprechend Indiktion
und Regierungsjahr KONRAD III.)
auf 1126 durch Friedrich Hausmann, Siegfried, Markgraf der „Ungarnmark“
und die Anfänge der SPANHEIMER in Kärnten und im Rheinland, in:
JbLdKdeNÖ NF 43 (1977), hier S. 154 Anm. 268; von Mötsch, Überlieferung…,
S. 335, Reg. Nr. 4 übernommen.] (II.)
Hildebertus 1130 Zeuge
für die Übergabe des Augustiner-Chorherrenstifts Schwabenheim
an Erzbischof Adalbert I. durch Graf Meinhard von Sponheim [61 MzUb
1 Nr. 567] (III.)
Ausgenommen den Propst von St. Alban, für den man
verwandtschaftliche Beziehungen unterstellen darf, was nicht weiterhilft,
da er sonst nicht vorkommt, können sich die Nennungen nach 1100 auf
den Vater Hildegards beziehen und müssen daher näher untersucht
werden.
Der Hildebrecht von 1104 gehört in einen
thüringisch/mainzischen Zusammenhang. Die näher bestimmbaren
Zeugen stammen aus Thüringen. Immerhin beginnen die ohne Amt und Beinamen
genannten mit der eindeutig mittelrheinischen Gruppe Embrico, Wlferich,
Reinboto. Dann folgen vor Hildebrecht noch Ditmar. Saxo. Letzterer
kommt sonst in Mainzer Urkunden nicht mehr vor, alle anderen Namen (es
muss sich nicht um die selbe Person handeln) erscheinen in dieser Zeit
mehrfach am Mittelrhein. [62Vgl. die Schenkung eines Dietmar und
seiner Gattin Eila an St. Alban von 1097, bezeugt (u. v. a.) von Embrico
frater episcopi. nepotes eius Wo(u)luerih. Wernhere. Stephan.
(MzUb 1, Nr. 395), vgl. ebenso Nr. 405 (Lippoldsberg/Hirsau), aber auch
Nr. 393 (für St. Jakob, betr. Merxheim).] Da viele Ministerialen und
Vasallen des Mainzer Erzbischofs dessen erzwungenen Aufenthalt in Thüringen
teilten, lässt sich diese Nennung durchaus auf den Vater Hildegards
beziehen, ohne dass man daraus weitere Schlussfolgerungen ziehen dürfte
und könnte. [63 Der „Weinheimer“ Hildebert kommt weniger infrage,
wenn man an den Gegensatz zwischen Kloster Lorsch und Mainzer Erzbischof
in jener Zeit denkt.] Auch der Hildebrach von 1120 kann ähnlich
erklärt werden.
I. 1112:
Die Urkunde stammt aus dem Kopialbuch des Klosters Disibodenberg
und ist unverdächtig. Propst Richard von Liebfrauen in Mainz übergibt
Abt Burkard und den Brüdern des Klosters Disibodenberg einen Garten
in Odernheim (am Glan) gegen eine jährliche Abgabe von 10 Schilling
und „tauscht“ mit ihnen gleichzeitig einen Hof unterhalb des Disibodenbergs
an der Nahe, der zum Anlegen einer Mühle geeignet ist, gegen die jährliche
Lieferung eines Malters Weizen. Die zehn geistlichen Zeugen werden angeführt
von einem Anshelmus chorepiscopus.
Nach ihnen folgen Liberi:
(1) Cuno de Hachenfels.
(2) Nebelung de Moschelo.
(3) Gerlach de H°usen.
(4) Hildebrecht de Hosebach.
(5) Hecil de Imiciswilre. und schließlich
noch 17 Servientes.
Diese früheste Nennung eines Hildebert/Hildebrecht
im Naheraum verdient in unserem Zusammenhang besonderes Interesse, weil
die Urkunde für Kloster Disibodenberg in eben dem Jahr 1112 ausgestellt
wurde, in dem Hildegard dort als Inkluse aufgenommen wurde. Nieder-/Ober-Hosenbach
liegen bei Kirn, also im Einzugsbereich des Disibodenbergs. Gäbe es
keine weitere Nennung, sähe man in diesem Hildebrecht ohne
weiteres den Vater Hildegards. [64 Schrader/Führkötter,
Herkunft …, S. 19 ignorieren die Existenz der Urkunde: „Man könnte
aber wohl erwarten, den Namen des Vaters in einer Urkunde des Disibodenberges
(Sperrung original) zu finden, dem Hildebert, seitdem sein Kind
in der Frauenklause weilte, nahestand.“ Die irreführende Behauptung
verwundert umsomehr, als diese Urkunde des Disibodenberges leicht zugänglich
ist!]
Angesichts der bedeutenden Rupertsberger Besitzungen
in Bermersheim, von denen mehrere nachweislich von Geschwistern Hildegards
stammen, hat Schrader den Vater Hildegards mit dem Hildebert
von Vermerssheym von 1126 (sie meint 1127) identifiziert. Gehen
wir daher gleich zu den beiden Urkunden, die sie dafür in Anspruch
nimmt.
II. 1126 Dezember 25:
Erzbischof Adalbert I. bestätigt Schenkungen des
Adligen Udo und seiner Frau an Kloster Sponheim. Dieser Udo ist der älteste
Sohn des Markgrafen Rudolf von Stade und dessen Frau Richardis von Spanheim(-Magdeburg)
und kam bereits 1130 März 15 zu Tode. Er war also der älteste
Bruder der Hildegard so eng verbundenen Richardis. Er erscheint
zweimal in den Annales Disibodenbergenses, zu 1128 als Udo Franchenlauf
und
(was nicht zutrifft) Nachfolger seines Vetters Heinrich Markgraf von Stade,
zu 1130 als Udo de Frankenleuf (=Freckleben). [65
Richard
G. Hucke, Die Grafen von Stade 900–1144. Genealogie, politische Stellung,
Comitat und Allodialbesitz der sächsischen Udonen (Einzelschrr d.
Stader G- und Heimatvereins Nr. 8), 1956, S. 44ff.] Seine Frau war Jutta
von Winzenburg. – Es bezeugen nach 13 Klerikern:
(1) Comes Megenhardus advocatus eiusdem ecclesie.
(1) Bertholffus de Eppelssheim.
(2) Adelbertus de Basenheim.
(3) Hiltebertus de Vermerssheym et filius eius Drutwinus.
(4) Roricus de Merkissheim et frater eius Gerlacus.
(5) Udalricus de Steine et filius eius Hugo.
(6) Godefridus et frater eius.
(7) Gerhardus de Emezwilre.
vgl. Urkunde I, Zeuge 5
(8) Gerlacus de Husen
= I 3
(9) Henricus de Papthenheim.
(10) Ernest vicedominus.
(11) Warinus scultetus.
(12) Ruthardus, quem dicunt Walbote.
(13) Erlewynus.
(14) Folpertus.
(15) Lufridus.
(16) Salemannus.
Obwohl man in anderen Urkunden schon die letzten (ab
11) als Mainzer Ministerialen bezeichnet, folgen nun noch 17 weitere Zeugen
De
ministerialibus.
III. 1130:
Graf Meginhardus de Spaneheim überträgt
das monasterium Pfaffen-Schwabenheim an den Erzbischof; als Zeugen treten
auf 12 Clerici, 3 Abbates, und als Laici:
(1) Emmecho comes.
(2) Item Emmecho comes.
(3) Bertoldus comes.
(4) R°u ricus.
II 5
(5) Eberhardus.
(6) Hildebertus.
sowie 7 MMinisteriales.
Dass dieser R°uricus (III, 4) identisch sein dürfte
mit dem Roricus von Merxheim (II, 5), drängt sich auf. Eberhard (III,
5) bringt uns vielleicht zu einem weiteren Beleg für Hildebert:
1135 [vor Juni 4] [66 MzUb 1 Nr. 598]: Der Freie Eberhard von Stein
(Eberhart de Sténe) schenkt St. Alban neun Hufen zu Albig.
Nur drei Liberi homines sind Zeugen: comes Emmecho, Godebolt, Hildebrand.
Der Name Hildebrand kommt sonst nicht vor, es könnte sich um
eine Verschreibung statt Hildebrecht in der nur kopial überlieferten
Urkunde handeln.
3.2.2 Nichtnennungen
Stellen wir aber auch Zeugenreihen mit mehreren der vorhin aufgeführten Namen und Betreffen ein, in denen wir Hildebert vermissen. Die älteste ist eigentlich vor seiner Zeit:
IV. 1075 [67 MRhUB I Nr. 375. Die Diskussion um die Unverfälschtheit der Urkunde und welche der beiden Fassungen das Original sei, ist wohl endgültig abgeschlossen bei Erich Wisplinghoff, Untersuchungen zur ältesten Geschichte des Stiftes S. Simeon in Trier, in: ArchMittelrhKG 8 (1956), hier S. 80f.]:
Erzbischof Udo von Trier bekundet die Schenkung eines
Gutes zu Olkebach [68 Ich fand es auch bei Wisplinghoff nicht nachvollziehbar
identifiziert.] an das Kloster St. Simeon in Trier durch Hugo de Hachenuels.
Die Liste der Laien-Zeugen der mit (wirklich gefälschtem?) Siegel
erhaltenen Ausfertigung ist nicht identisch mit der eines Duplikats, das
Wisplinghoff für das Original hält. Man darf wohl beide Zeugenlisten
als authentisch ansehen. Es handelt sich um die S(igna), in Gegenüberstellung:
(1) Heinrici comitis de Laach
Heinrici comitis de lach
(2) Diepoldi de Haga.
Diepoldi de haga
(3) Stephani de Spanheim.
(4) Adalberonis de Duna.
(5) Cuononis et Adalberonis de Madelberch.
(6) Euerhardi de Steina.
Eberhardi et Burchardi fratrum episcopi VDonis
(7)
Walrammi et Volconis comitum.
(8)
Godefridi comitis de Kirchila.
(9)
Embichonis comitis de Smideburch.
(10)
Bernonis et filii eius Heremanni.
(11)
Anselmi de dudelendorf.
(12)
Wernere de Wiuelcoue (Wevelinghoven)
(13)
Stephani de Spanheim. (=3)
(14)
Volcoldi.
(15) Adalberti de Mirchedesheim.
Adalberti de mirkedesheim et filii eius Gerlach.
(16)
Rorici.
(17)
Ozonis et filii eius morardi.
(18)
Berewich de confluentia.
(19) Adalberti uicedomni.
Adalberti uicedomni.
(20) Hartman de Seleheim.
Hartmanni de seleheim.
(21) Ottonis de cunz.
(22) Baldewini.
Baldeuuini.
(23)
Gundolfi. (v. Braunshorn?)
(24) Costuz.
(25) Sanzonis
Sanzonis.
(26) R°udewini.
R°udewini.
(27)
Diezonis.
V. 1124 Juni 7[69 MzUb 1, Nr. 522.]:
Erzbischof Adalbert I. beurkundet, dass ihm der dominus Megenhardus de Spanhem und seine Frau Mechthild, sowie Graf Rudolf (von Stade) und seine Frau Richardis die Kirche in Sponheim zur Einrichtung eines Benediktinerklosters übergeben haben. De laicis autem:
(1) Arnoldus urbis prefectus.
(2) Comes Goswinus et filius eius (Punkt?) [70
Eine
gewagte Konstruktion aus willkürlicher Interpunktion gewinnt May,
Beiträge… S. 2ff. Zur korrekten Interpunktion Mötsch, Überlieferung…
S. 334 (Reg. Nr. 1). Ich erlaube mir übrigens, den als Zeuge genannten
Propst Hermann statt zu St. Mauritius in Mainz (MzUb, Mötsch) zum
näherliegenden und gleichfalls unter Spanheimer Herrschaft befindlichen
Pfaffen-Schwabenheim zu stellen, er erscheint jedenfalls in der zwei oder
drei Jahre später ausgestellten Urkunde Regest Nr. 4.]
(3) Gerlacus et frater eius Emicho.
(4) Arnoldus et frater eius (Punkt?) Rubertus de Lurenburg.
(5) Comes Fredericus.
(6) Bertholffus et frater eius Sigefridus (Grafen
von Nürings?)
(7) Henricus de Katzenelenbogen.
(8) Rorich et frater eius Gerlach.
(9) Udalricus
(10) Folcoldus [71 MzUb 1 Nr. 519 (1124
April 9): Udalricus de Warthbeche schenkt Erzbischof Adalbert I.
die Hälfte von Malsburg (Kr. Wolfhagen), seine Miterbe (nicht unbedingt
Bruder) Folcold schenkt die andere Hälfte und erhält das
Ganze als Lehen. Die Zeugenreihe spricht für einen Zusammenhang der
beiden Namenspaare.]
Dann heißt es ausdrücklich et alii complures
de liberis. Wegen der vielen anwesenden Grafen notierte man nicht alle
anderen anwesenden Adligen. Entgegengenommen wurde die Schenkung durch
die Hand des Vogtes Graf Goswin.
VI. 1127 September 21[72 Die ältesten Urkunden in Schaffhausen, hg. v. F. L. Baumann, in: QSchweizG 3, Basel 1883, Nr. 64, S. 108ff.]:
In Kreuznach bestätigt Meginhardus von Spanheim die
Schenkung von Illnau (im Kanton Zürich) durch seinen Schwiegervater
Adalbert von Mörsberg an Kloster Allerheiligen in Schaffhausen.
Huius rei testes sunt:
(1) domnus Bernhelmus abbas de Spânheim.
(2) Bertoldus clericus, capellanus de castro Spânheim.
(3) Herimannus parrochianus de Chiriperch.
(4) Gerlach comes de Veldenze.
(5) Rorich de Merchidisheim et frater eius Gerlach
et consobrinus eius Drótwin (Trudewin).
(6) Òdalricus de Steine et filius eius Hugo.
(7) Gerlach de Husin.
= I 3, II 9
(8) He(i)nricus de Battinheim.
(9) Gotifrit de Imiziswilere et frater eius Gerhart.
vgl I 5
(10) Emicho de Musscelo(/Muscilo).
vgl I 2
(11) Òdalrich de Brunishorn
et alii complures de liberis.
de ministerialibus autem Herloch, Gertwic, Marcward,
Côno et frater eius Retere, Bernwin. Sigiboto et fratres eius Francho,
Friderich, Cònrath, Adilbero, Meginhere, Engilger, Adilbero et fratres
eius Gotifret et Lòdiwich, Witigo et fratres eius Gerunch et Welffrith
et alii complures.
Am selben Tag teilte Meginhart diese Bestätigung
auch dem Bischof Ulrich von Konstanz mit. Hier ist die Zeugenliste der
Liberi mit kleinen orthographischen Abweichungen aufgeführt, deren
erhebliche ich in der ersten Liste im Kleindruck angezeigt habe.
VII. 1128 [73 MzUb 1 Nr. 553]:
Erzbischof Adalbert I. bestätigt dem Kloster Disibodenberg
die bisherigen Schenkungen (darunter die des Grafen Megenhardus für
seine Schwester Jutta). Hier stehen Zeuge:
Laici autem: comites
(1) Wilhelmus de Lutzelnburch.
(2) Megenh(art) de Spanh(eim.
(3) Emicho de Kirberch et frater eius Gerlach.
(4) Sigebracht.
Liberi:
(5) Rorich de Merxh(eim) et frater eius Gerlach.
= V8, VI 5
(6) Adalbero de Hachenfels.
(7) Folmarus et filius eius Folmarus de sancto Albino.
(Saarbrücken-Warsberg)
Servientes et urbani: …
3.2.3 Der Vater ist (auch!) Hildebrecht von Hosenbach
Aus dieser Zusammenstellung, die man für unseren
Zweck schwerlich noch erweitern und vertiefen kann, wohl aber für
die Geschichte des Adels im Naheraum, geht eindeutig hervor: Der in der
Vita als Hildegards Vater genannte Hildebert erscheint in
der anzunehmenden Lebenszeit dieses Vaters im Naheraum, also im Einzugsbereich
von Kloster Disibodenberg, mehrfach urkundlich belegt, so selten er anderswo
in dieser Zeit ist. (Dass Hildebrecht und Hildebert der selbe
Namen sind, wird man nicht bestreiten wollen.) Dass keine Nennung vor 1100
liegt, genau genommen vor 1112, während der Vater doch mindestens
ab 1088 verheiratet und damit „Herr“ gewesen sein muss, kann man derzeit
nur mit der durch die Gründung von Disibodenberg und Sponheim zunehmenden
Quellenzahl und einer mit seinem Alter zunehmenden Bedeutung als Zeuge
erklären. Dabei können diese urkundlichen Nennungen (immer ohne
den Propst von St. Alban von 1122) sich alle auf den Vater Hildegards
beziehen. Bei der damals im Adel geübten Nachbenennung können
diese Hildebert-Vorkommen aber auch verschiedenen Personen gelten,
die dann freilich miteinander verwandt sein dürften, evtl. sehr entfernt.
Dass der Beinamen nicht immer nach dem selben Ort gewählt
wurde, ist nichts ungewöhnliches für jene Zeit, in der die Beinamen
selbst für Grafen und Dynasten noch wechseln, wenn sie überhaupt
„geführt“ wurden. Sie wurden eben von den Schreibern der jeweiligen
Urkunden nach einer gerade naheliegenden Besitzung oder einem Amtsort mehr
oder weniger willkürlich „vergeben“, wenn sie eine Verwechslung vermeiden
wollten. Es ist naiv, heutige standesamtliche Verfahren in jene Zeit zu
projizieren, auch was die Orthographie betrifft.
Unter diesen Voraussetzungen verdient die früheste
der „passenden“ Nennungen aus inhaltlichen Gründen besondere Beachtung.
Das Erscheinen eines Hildebrecht de Hosebach im Jahre 1112
bezieht sich höchstwahrscheinlich auf den Vater Hildegards,
zumal diese in eben jenem Jahr im Kloster Disibodenberg, dem die Urkunde
galt, aufgenommen wurde.
Die Bezeichnung nach Niederhosenbach bei Kirn (und um
diesen Ort handelt es sich offensichtlich) gibt Hildebert aber eine
höhere Bedeutung. Niederhosenbach ist offensichtlich ein bedeutsames
Zentrum zwischen Idarwald und Nahe. Der Standort der Kirche hoch über
dem Dorf dürfte ein ehemaliger Burgstall sein (ein großer dazu).
In Bermersheim gibt es nichts dergleichen, auch keine Möglichkeit
dazu. Da Kirchensatz und Zehnt in Niederhosenbach später vom Reich
zu Lehen gingen, vermutet Wolfgang Seibrich [74 Wolfgang Seibrich,
Die Entwicklung der Pfarrorganisation im linksrheinischen Erzbistum Mainz.
Das Archidiakonat St. Martin in Bingen. Die Landkapitel Sobernheim und
Kirn im Archidiakonat des Dompropstes (QAmrhKG 29) Mainz 1977, S. 231ff.
Die zweite Jahreszahl ist falsch vom Grabmal für den Stiftsherrn (nicht
Edelknecht!) Godfridus de Hosinbach von St. Vikctor b. Mainz in
der Kirche von St. Johanniesberg abgeleitet. DI 34, Nr. 31, S. 31f, bietet
eine bessere und vollständigere Lesung und Datierung als bisher, identifiziert
aber (ohne nähere Begründung) Hosinbach mit dem heutigen Oberhosenbach,
das freilich bis ins 17. Jahrhundert Volmars-Hosenbach hieß.] hier
ehemaliges Reichsgut, das in die Hände von Reichsministerialen gelangt
sei. „Wer kommt nun für diese Reichsministerialen in Frage. Der Weg
zu den letzten Besitzern, den Schenken von Schmidtburg, führt ganz
sicher über die 1112 erstmals und 1342 letztmalig genannten Freien
und späteren Edelknechte von Hosenbach“, meint Seibrich in kühnem
Sprung über Jahrhunderte hinweg. „Mitglieder dieser Familie tauchen
oft in der Nähe der Herren von Steinkallenfels auf, deren Zugehörigkeit
zu den Reichsministerialen gesichert ist“, wobei das „oft“ nur mit einem
Beleg von 1203 gestützt wird. Aus den nicht gerade zahlreichen urkundlichen
Nennungen kann man eine gleichrangige Stellung
Hildeberts
mit den
SPANHEIMERN, den Wildgrafen und den Herren von Stein(-Kallenfels) und denen
von Hausen [75 Dieses Hausen ist noch zu identifizieren. Vielleicht
handelt es sich um Ober-/Niederhausen an der Nahe. Genauso ist an das Husun
… in pago Nahcuowe, in comitatu comitis Emichonis zu denken, das
Ks.
HEINRICH IV.1091 September 21 mit anderen Dörfern auf dem
Hunsrück der Domkirche Speyer schenkte (MG DH IV, Nr. 426)]
herauslesen, den wohl wichtigsten Kräften in jenem Gebiet, das damals
als Durchgangsland bedeutender Straßen längst nicht so abgeschieden
war, wie es heute erscheint. [76 Der Urkataster für Niederhosenbach
von 1847 lässt Altstraßen vermuten in den Wegen nach Sonnschied
und Bergen („Steinwegsbitz“). Letzterer trifft am „Hahn“ auf die Römerstraße
Kirn–Heuchelheim. Nach einer gemeinsamen Überquerung des Hosenbachs
teilen sie sich am rechten Ufer wieder, der eine Weg führt in die
Flur „In der Zeil“, der andere in drei parallelen Trassen nach Herrstein.
Zwischen diesen liegt die Kirche mit ihrem großen Areal (Parzelle
2269), direkt unterhalb davon der in vier Unternummern dargestellte große
Pfarrhof mit Nebengebäuden. Bergaufwärts ist die „Acht“, das
bedeutet ein „ausgesondertes, unter Sonderrecht stehendes Ackerland eines
Herren“ (Wolfgang Jungandreas, Historisches Lexikon der Siedlungs- und
Flurnamen des Mosellandes (SchrrRTrierLdesGVolksKde 8) Trier 1962f., S.
2) Bachabwärts liegen „Königswiese“ und „Königsrech“.] Das
Reichsgut kann aber auch als ehemaliges SALIER-Gut
angesehen werden. Ob die Schenkungen Kaiser OTTOS
I. an das Mainzer St. Gangolf-Stift der in den Gemarkungen Hosenbach
(und Kirn, Bergen, Wickenrodt) gelegenen Besitzungen der Brüder Megingoz/Megingaud
und Lantbert oder Reginzo, die ihnen wegen Räuberei und Übeltaten
gerichtlich entzogen worden waren, zu Besitzkontinuität führten,
weiß ich nicht. [77 Vgl. die sich in den Namen der Malefikanten
teilweise widersprechenden Urkunden MRUb 1 Nr. 202 (Ingelheim 961 Mai 29)
und Nr. 207 (Nimwegen 966 Februar 6), bzw. MG DD O I Nr. 226 und 321. Husonbah
ist Niederhosenbach und nicht eine Wüstung bei Kirn. Erstaunlich ist,
dass der Name Megingoz im weiteren Umkreis der Hildeberte und Hildegards
wiederkehrt.]
Diese von mir nur aus der Literatur übernommene
Zusammenstellung lässt für Niederhosenbach keine besitzgeschichtlichen
Indizien erkennen, wie wir sie für Bermersheim überreich haben.
Dies verringert nicht einmal die Wahrscheinlichkeit, ist jedenfalls kein
Gegen-Argument. Wenn Hildeberts Familie ihr Zentrum an der oberen
Nahe hatte, musste sie es zusammenhalten; leichter trennte sie sich von
dem entfernten Splitterbesitz in Bermersheim, so wie die SPANHEIMER beim
Klostereintritt Juttas sich von Nuwenkirchen trennten [78 Die
im MzUb 1 Nr. 553 gegebene Auflösung mit Neukirchen bei Kaiserslautern
kann ich nicht nachvollziehen. Ist Neunkirchen am Potzberg gemeint? Oder
das bei Nohfelden? Beides ist fernab der Sponheimer Besitzungen. Auch Naumann-Humbeck,
Studien … Sponheim, S. 400, kann mit der Auflösung nichts anfangen
und schlägt die Nunkirche, Ks. Simmern, (kaum, es ist eine Feldkirche
ohne villa) oder Neukirchen bei Sobernheim (mir unbekannt) vor.
Wenn Staab, Kindheit, S. 84, Anm. 65, meint, „Nuwenkirchen … gehörte
zu den Gütern, die der Disibodenberg später behielt und dafür
dem Rupertsberg eine Entschädigung… überwies“, so bezweifle ich
auch das. Jutta war auf dem Disibodenberg und lange vor der Übersiedlung
der Nonnen gestorben, Hildegards Gründung hatte keinen Anspruch
auf Juttas Ausstattung.]. Umgekehrt lag auch dem Kloster Rupertsberg mehr
daran, nahegelegene Güter zu bekommen.
3.2.4 Ein oder zwei Hildeberte?
Die Nennungen zwischen 1104 und 1130, evtl. 1135, führen
freilich zu der Frage, ob wir es wirklich mit nur einem oder nicht mit
zwei Hildeberten (Vater und Sohn) zu tun haben. Halten wir uns alle
Voraussetzungen vor Augen: Es gibt keinen ernsthaften Grund zu zweifeln,
dass die 1098 geborene Hildegard das zehnte Kind ihrer Eltern war.
Dann müssten diese allerspätestens 1088 geheiratet haben, und
Hildebert
kann
kaum nach 1070 geboren sein, eher sollte man die Heirat auf 1080–85 und
seine Geburt auf 1055–65 ansetzen. Dass die Lorscher Belege Hildeberts
erste Ehejahrzehnte abdecken, ist nicht sehr wahrscheinlich. So oder so,
Hildebert
könnte 1130, selbst 1135 noch gelebt haben. Aber auch ein älterer
Bruder Hildegards dieses Namens, der ca. 1085/90 geboren ist, könnte
durchaus 1126 schon zusammen mit seinem Sohn Drutwin als Zeuge auftreten.
Daß ein Drutwin als Bruder
Hildegards zu erschließen
ist, schließt nicht aus, ja lässt bei der damaligen Namensvererbung
sogar vermuten, dass es auch einen gleichnamigen Neffen gegeben haben könnte.
Man könnte sogar den an so untergeordneter Stelle in Thüringen
erscheinenden Hildebrach von 1120 Okt 16 eher mit einem Sohn des älteren
Hildebert
identifizieren als mit diesem selbst. Auch mag 1126 eher ein Junior der
Adelsfamilie in dem damals schon durch Erbteilungen zersplitterten Bermersheim
residiert haben, als dass das Familienoberhaupt damals dort „im Austrag“
saß. Und 1130 ist der Hildebertus eindeutig nach R°uricus und
Eberhardus aufgeführt, also minder bedeutend, wohl jünger.
Ich gebe diese Konstruktion von Vater und Sohn Hildebert
nur als Denkmöglichkeit. Ihre Wahrscheinlichkeit ist nicht groß,
aber doch vorhanden. Ich würde sogar einen geistlichen Sohn dieses
Namens für wahrscheinlicher halten; der 1122 auftretende Hildebertus
prepositus von St. Alban stammt kaum aus dem Weinheimer Umfeld. Er
könnte zu den Geschwistern Hildegards gehört haben. Er
stammt kaum aus dem Weinheimer Umfeld. Dann kann es nicht einen weiteren
Bruder dieses Namens gegeben haben, wenn sollte. Aber es gibt unzählige
Möglichkeiten, dass er Neffe oder sogar Enkel von Hildegards
Vater war.
Überhaupt sind auch alle meine Aussagen nur wahrscheinlich,
freilich eher mehr als minder: Es gibt nur die eine Nennung der Namen von
Hildegards
Eltern
in der Vita, aber auch keinen konkreten Grund, ihr nicht zu glauben. Auch
die übrigen Hypothesen sind frei von Willkür und Widerspruch.
Gleichwohl bleibt alles nur Annahme. Ein kluger Kenner der Materie, dem
ich meinen Artikel zeigte, schlug mir als Titel vor: „Hatte
Hildegard
von Bingen Eltern?“
3.2.5 Spätere Namensträger
Bei der Seltenheit des so vertraut und unauffällig
klingenden Namens Hildebrecht will ich noch alle Namensträger aufzählen,
die mir für eine jüngere Zeit begegnet sind. Damit kann ich auch
die Forschungslücken deutlich machen, die ich offen lassen muss.
Zunächst halte ich mich an die im Lorscher Codex
überlieferten Namensträger, Nachfolger der oben aufgeführten
und vermutlich mit denen im Naheraum irgendwie verwandt.
De familia: Hildebertus, … Hildibertus … 1130 [79
CL
143]
De ministerialibus: … Hildebertus…1148 <März
13 [80 CL 153]
Hildebertus, zunächst Mönch in Fulda,
dann Propst in Michelstadt, starb 1148 Oktober 23, nachdem er keine sechs
Monate Abt von Kloster Lorsch gewesen war. [81 CL 1, S. 437 (Chronik
§ 155b)]
De ministerialibus laurishamensibus: … Hildebertus,
de Weinenheim (1160 April) [82 CL 163]
Ein Grabsteinfragment in Weinheim gilt einem dieser Hildeberte
von Weinheim. [83 DI 16 (Rhein-Neckar-Kreis II), Nr. 3.]
Hildeberthus, Hildeberthus de Leheim, Hildeberthus
de †Herlesheim erscheinen als Schenker und Tauschpartner im 8. Kapitel
des Oculus memorie (VIII A 46, 56, 59, 85), vermutlich in der 2. Hälfte
des 12. Jahrhunderts, Hildeberthus villicus als Schenker in (Mainz-)Laubenheim
(OM VIII B 2). Die Umgebung – d. h. der Kreis der übrigen Stifter
für die Grangie in Leeheim – ist äußerst aufschlussreich:
der größte Teil des Besitzes kam von Anshelmus quidam liber
homo de Gumeldingen durch Kauf und Schenkung Erzbischof Adalberts I.
(† 1137) an Kloster Eberbach. Anselm dürfte mit den von Mörlheim
zusammenhängen (s. 7.2.27.2.27.2.27.2.2). Besitz in der nächsten
Umgebung hatten (und schenkten oder tauschten) Angehörige der Familie
von Wolfskehlen (Wappengemeinschaft mit Stephan von Mörlheim) und
Träger der in unsere Zusammenhänge passenden Namen Stephan, Godebert,
Walbert, Billung, Burkhard, Arnold, Eberhard, Wezzelo, Nibelung… Enge Zusammenhänge
mit den Binger Schenkern für den Rupertsberg zeigt vor allem die Zeugenreihe
der ersten Schenkung in Laubenheim.
Auch Hildebreth de Nerstein, der 4 1/2 iurnales
in Hahnheim mit Kloster Eberbach tauscht (OM XVII 40), kann in unseren
Zusammenhang gehören, er erscheint in der urkundlichen Nachbarschaft
von Gernod und Nibelung von Hahnheim. – Diese Hildeberte stehen nicht nur
geographisch zwischen denen in Weinheim und denen (inkl. Verwandten) an
der Nahe.
Eine Beziehung der Familie an der Nahe gibt es sicher
cum
fratre Hildebertho de Spanheim. Er erscheint im Oculus memorie [84
OM
XIV 54] mit anderen Besitzern von Teilstücken einer Wiese, die
gewiss ein gemeinsames Erbe darstellt. Schon die beiden ersten, Wolframus
pater Sifridi de Lapide und Ottho de Sconinburch, sind miteinander
verschwägert. Von den anderen erscheint Folcnandus de Longisheim ebenso
wie Hildeburgis de Dreisen et filius eius Mengotus unter den Schenkern
für den Rupertsberg, letztere in Nachbarschaft mit Margarete de
Sconenburch. [85
MRUb 2, N. Nr. 14, S. 383. – Die Nachbarschaft
ist wohl chronologisch, da es sich um Nachträge handelt. Gerade in
diesem Bereich ist die Edition im MRUb besonders mangelhaft, so fehlt hermannus
de Sibeneich, pro quo data est vinea in Weitersheim, der zu den von Sevenich/Wahlbach
gehörte.] Gerne möchte man wissen, was diesen höchstwahrscheinlich
mit der Hildegard-Sippe verwandten Hildebert zu einem frater de
Spanheim macht; ein Mönch kann doch keine Wiese zum Tauschen besitzen.
– Trithemius erzählt, der verstorbene Mönch Hildebert von Sponheim,
welcher früher Pastor zu Sponheim gewesen sei, sei 1212 Februar 27
einem Scheintoten in Mandel erschienen. [86 Trithemius, Chron. Sponh.,
S. 261, MRR II Nr. 1156.] Über die Richtigkeit dieser Behauptung
nachzudenken ist müßig.
Ein Hildebert, Neffe des Abtes Bernhelm von Sponheim,
der dem Kloster 1150 aus der Eroberung von Konstantinopel (die in Wahrheit
mehr als ein halbes Jahrhundert später geschah) eine reiche Beute
von Reliquien mitgebracht hätte, ist unzweifelhaft eine Erfindung
des Trithemius (im Gegensatz zu dem daneben erwähnten Heinrich von
Ulmen, der aber mehr als 50 Jahre später auf den Beute-Kreuzzug ging).
Hiltibertus de Nuhusen schenkt Hirsau eine halbe
Hube in Neuhausen bei Pforzheim. [87 Codex Hirsaugiensis §
45a.]
Ein Hiltebertus steht an letzter Stelle einer
Hirsauer Urkunde von 1167 [88 Wirtembergisches Urkundenbuch, hg.
H. E. von Kausler, I (1849), Nr. 388], direkt nach Eberhard und Friedrich
de
Sc?ovenburg (Schauenburg), weshalb wohl das Register auch ihn unter
diesen Herkunftsnamen stellt. In der neusten Edition gibt es keine nähere
Bestimmung. [89 Das Reichenbacher Schenkungsbuch, bearb. von Stephan
Molitor (VeröffKommGeschLdskde in Baden-Württemberg A 40) St
149]
Hildebert, Kanoniker in Halberstadt: 1142 April 16 –
1148 Oktober 18, zuletzt Priester, und zugleich Archidiakon in Seehausen.
Seine Familienzugehörigkeit ist nicht festzustellen. [90 UB
Hochstift Halberstadt 1, Nr. 202, 205, 221; Rudolf Meier, Die Domkapitel
zu Goslar und Halberstadt in ihrer persönlichen Zusammensetzung im
Mittelalter (mit Beitrr. über die Standesverhältnisse der bis
zum Jahre 1200 nachweisbaren Hildesheimer Domherren), Veröff. Max
PIanck-Inst f. G. 5/ Studien zur Germania sacra 1), 1967, S. 277.]
Hildebraht zeugt als letzter Hersfelder Ministeriale
(nach einem Gerlach) 1150 Juli 29 für Abt Heinrich. [91 Otto
Dobenecker, Regesta … historiae Thuringiae, 1, Nr. 1631. In der Vorurkunde
mit gleichem Ortsbetreff (1137 = September 13, ebd. Nr. 1343) erscheinen
als Zeugen u. a. Reginbodo, Propst von Ohrdruf, und die Hersfelder Ministerialen
Folperd von Zelle, Erkenbert von Lengefeld, Folcnand und seine Brüder
von Grumbach. Gehört Hildebert zu letzteren? ]
3.3 Die Mutter Mechthild
Sie wird nur in der Vita genannt. Die (korrigierte)
Schreibung
Methtilde
meintbesagt den selben Namen.
In der Urkunde Meinhards von Spanheim von 1127 September
21 (s. o. VI.) erscheint neben den mehrfach gemeinsam auftretenden Brüdern
Rorich und Gerlach von Merxheim deren consobrinus Drutwin. Es bedarf
keiner Kühnheit, um in ihm Hildegards Bruder dieses Namens
zu erkennen, zumal da er einen Bruder Rorich hatte. Die Mütter der
beiden Brüderpaare (und jeweils weiterer Geschwister) waren, wenn
man Consobrinus wörtlich versteht, Schwestern, und diese brachten
den Namen Rorich (wohl auch Hugo) in die beiden Familien, er stammt also
aus ihrer Ahnenschaft. [92 Darauf wies schon K. H. May hin, vgl.
Fußnote 6666.] Dagegen scheint Hildebert aus
einer entfernteren Gegend eingeheiratet zu haben.
Als Vater Mechthilds drängt sich damit der
Roricus von 1075 aus Urkunde IV in unser Blickfeld. In der einen Ausfertigung
ist nur Adalbert von Merxheim (15) aufgeführt, in der anderen auch
sein Sohn Gerlach und als nächster Zeuge eben Roricus. Das ist kein
starkes Indiz dafür, dass sie zusammengehören, mehr zählt,
dass sein Name unter den Enkeln Adalberts auftaucht. Zusammengenommen kann
dies nur bedeuten, dass Rorich Schwiegervater Gerlachs war, denn diesen
muss man als Vater der Brüder Rorich und Gerlach von 1124 (und öfter)
annehmen.
Da Frauen des mittelalterlichen Adels meistens sehr früh
heiraten, dürfte Mechthild spätestens 1073, frühestens
1060 geboren sein. Dazu passt sehr gut, dass ihr mutmaßlicher Vater
1075 als Zeuge auftritt. Er bleibt ein blasser Namen für uns. Über
seine Herkunft aus Trier lässt sich spekulieren, dort erscheint in
der ersten Hälfte ein Hochvogt, dort gibt es mehrere höhere Geistliche
des Namens Roricus u. ä. Ich habe inzwischen die Übersicht verloren,
welche der Trierer Urkunden echt ist; in dem dünnen Nennungsgespinst
lässt sich eh kein haltbares Gewebe erkennen.
3.3.1 Die Familie „von Merxheim“
Wichtiger sind für uns sowieso die Nachkommen des
Roricus. Aus dem mündigen Auftreten dreier Söhne des Gerlach
1133 (< September 13), von denen Hugo ein predium in Zotzenheim verkauft
hat, ergibt sich, dass die Brüder Rorich und Gerlach schon im 11.
Jahrhundert geboren sein müssen. [93 vgl. MzUb I, Nr. 586:
Der ingenuus homo Gerlach qui dicebatur Uolans, hat die Söhne Hugo,
Gerlach und Adelbert.] Dass so alte Herren aber immer wieder als Gebrüder
auftreten, lässt mich annehmen, dass Rorich ohne Leibeserben war,
vielmehr Gerlach sein vorgesehener Erbe war. Zwischen dem einzigen Auftreten
Gerlachs 1075 und dem ersten der Brüder 1124 liegt aber ein halbes
Jahrhundert, in dem es sogar zwei Urkunden über drei Schenkungen in
Merxheim gab, in denen keiner von ihnen erscheint, obwohl man sie doch
dem Beinamen nach als Ortsherren ansehen möchte. [94 MzUb 1,
Nr. 393 und 436.] 109[7] (die Urkunde gilt zwei bereits abgeschlossenen,
zurückliegenden Vorgängen) begegnen an wenig prominenter Stelle
einmal ein Hildebolt und einmal ein Drutuuin. In ihnen Hildebert
(der Name Hildebolt hat keine Parallele) und gar seinen schwerlich schon
mündigen Sohn zu sehen, hieße die Spekulation zu weit treiben.
Warum erscheinen die Gerlache und Roriche nicht? Standen sie in Opposition
zur Schenkung? Gab es gerade keinen erwachsenen Vertreter der Familie?
Den Ansatz zur Lösung bekommen wir von weither.
1100 Februar 5 bezeugt im Mauritiusdom ein Rorich
de Merkethesheim die Schenkung der Güter Schweinfurt u. a. des
erblindeten Grafen Otto von Schweinfurt an das Erzstift Magdeburg, verbunden
mit einer komplizierten und kostspieligen Entschädigungsregelung für
Ottos Mutter Beatrix, die beim Übergabeakt anwesende Vorerbin der
Güter,
cum advocato suo Sygebodo. [95 Ub des Erzstifts
Magdeburg, bearb. v. F. Israël u. W. Möllenberg (GQProvSachs
Nr. 18) 1937, Nr. 175. – Es gab im vorigen Jahrhundert eine ganze Reihe
von Aufsätzen über diesen Vorgang, s. die neuste Darstellung:
Dietrich Claude. Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert
(Mitteldt. Forschungen 67) 1, S. 373f. – Die Schenkung kam übrigens
nie recht zustande; der blinde Otto hatte zwei geistliche Brüder,
von denen Konrad wieder weltlich wurde, die Schenkung (wohl nach dem Tod
der Mutter 1102) anfocht und schon 1104 fiel. Eberhard war bereits Bischof
von Eichstädt, starb 1112 und scheint große Teile des Besitzes
geerbt zu haben.] In Empfang nahm die Güter symbolisch Hermann (von
Spanheim), der Magdeburger Hochvogt, sub legitimorum testimonium Francorum.
Diese 27 namentlich aufgeführten „rechtlichen Franken“ sind keineswegs
die einzigen Zeugen, es gibt noch zwei Listen von clericis und militibus,
die den Vorgang viderunt. Es sind auch keineswegs „Franken“ im heutigen
Sinne, denn sie werden angeführt von den LUDOWINGERN Beringer et
Ludowic de Scowenburch; auch unseren Rorich de Merkethesheim (an
vorletzter Stelle) kann man gewiss nicht dazurechnen. [96 Die Herausgeber
haben anscheinend die Ortsbezeichnungen nur in Franken gesucht. Senepveld
ist nicht Sennfeld b. Schweinfurt, sondern Sennfeld bei Adelsheim, nach
dem Friedhelm und Heinrich jedenfalls im Cod. Hirs., 30b und 40a benannt
sind.] Aber in Sachsen galt er vielleicht als Rheinfranke oder eben als
Nicht-Sachse. Viel lohnender ist die Frage, warum Rorich den weiten Weg
nach Magdeburg auf sich genommen hat. Der Zeremonie wegen? Hatten die nichtfränkischen
Franken irgendwelche potentiellen Erbansprüche? Wir könnten die
Angelegenheit als unerklärbar und zufällig abtun, gäbe es
nicht noch zwei Namen in dieser Liste, die uns aufhorchen lassen: ziemlich
in der Mitte steht Gozwyn de Mergentheym und direkt vor Rorich Athelbrecht
de Thiedeburi, eine Ortsbezeichnung, die die Bearbeiter ebensowenig
auflösen konnten wie Merkethesheim, das vielleicht nur des Anklangs
an Mergentheym so geschrieben wurde.
Dieser Adelbert ist natürlich nicht der Merxheimer
von 1075. Ich „übersetze“ Thiedeburi mit Dietfurt und vermute,
dass er noch – wie Rorich – sehr jung war und identisch mit Adilbertus,
iuvenis praeclarissimae indolis, immatura morte praeventus, dem Sohn
der Gepa de Dietfurt, nobilissimis natalibus orta, die im Kloster Zwiefalten
Nonne geworden war. [97 Die Zwiefalter Chroniken Ortliebs und Bertholds,
neu hg., übers. u. erläutert v. L. Wallach, E. König u.
K. O. Müller (Schwäb. Chroniken der Stauferzeit 2), 1978, S.
227. Adelbert war Sohn des (wann) gefallenen Heinrich von Dietfurd oder
Nusplingen und einziger Bruder der Adelheid, die als letzte der Familie
auch noch von ihrem Mann, Alewicus, Graf von Sulz, dem Mitgründer
des Klosters Alpirsbach, verlassen wurde und 1130…32 ins Kloster ging.
Nach Hans Jänichen, Die schwäbische Verwandtschaft des Abtes
Adalbert von Schaffhausen (1099–1124), in: Schaffhauser Beitrr. z. vaterländischen
Geschichte 35 (1958), S. 64, ist Heinrich identisch mit einem Heinrich
von Witelsberg, der auch mit einer Gepa vermählt war und von 1087
bis 1125 meist in den Urkunden von Kloster Allerheiligen erscheint. Letzteres
macht skeptisch: war die Dietfurter Gepa nicht vor 1125 Konverse?]
Eine ca. 1110 als Konverse lebende Geba bietet nicht
nur literarisch, sondern wohl auch genealogisch den Übergang zu dem
anderen Zeugen der Schweinfurter Schenkung im Jahre 1100. Goswin von Mergentheim
werden wir in 7.2.2.4 nochmals begegnen. Er erscheint mehrfach im Codex
Hirsaugiensis, u. a. ca. 1110 als Bruder der Geba conversa et comitissa
de Osterfrancken, [98 Das Schwanken in der Nennung des Grafentitels
(-amts) bei ihr und ihrem mutmaßlichen Bruder ist eher charakteristisch
als ein Gegenargument. Irgendwie könnte auch ein Adalbert de Obernsteten
in die Familie gehören, er hat auch (Cod. Hirs., 29a) in Stutpferrich
Besitz, wie Reginboto, Rupertus, Geba.] sowie ca. 1103 als Sohn eines Ebo
und Zeuge für einen Diemar. Ich stelle all das ohne lange Beweise
in den Raum und behaupte dazu auch noch, dass es sich um jenen Goswin handelt,
der 1124 (s. o. 3.2.1 V.), aber nicht mehr 1126 (ebd. II.) als Vogt von
Sponheim und ältester der Cognatio bezeichnet wird. [99 May,
Beiträge…, S 26ff. diskutiert ausführlich seine Figur, ihm entgeht
aber der Goswin in der Magdeburger Urkunde, obwohl er den Rorich dort kennt.]
Kehren wir aus Schwaben, Franken und Magdeburg wieder
zurück nach Merxheim: 109[7] bezeugt an erster Stelle ein Gozuuin
comes den möglicherweise zurückliegenden Kauf der Hälfte
des dortigen Patronats durch St. Jakobsberg von einem Ludwig, 1108 [100
MzUb 1, Nr. 438.] eine Schenkung eines Ludwig (wohl aus dem Gut von dessen
Frau Bezecha) an das gleiche Kloster ein Gozuuin (gleichfalls an
erster Stelle). Alles dies und weitere Indizien könnte man zusammenfassen:
Dieser Goswin war immer derselbe und durch seine Mutter verwandt mit den
„GOSWINIDEN“, hauptsächlich Grafen im Grabfeld, wohl aber auch verwandt
mit den Markgrafen von Schweinfurt. [101Heinrich Wagner, Mellrichstadt
(Historischer Atlas von Bayern, Reihe I, 29) 1992, S. 70ff.] Zwischen 1124
und 1126 dürfte Goswin gestorben sein. Er tritt gleichzeitig in Zusammenhang
mit den Merxheimern und den SPONHEIMERN auf. Wahrscheinlich waren diese
nah verwandt. Mir scheint, er hat vor 1100 eine Witwe oder älteste
Tochter an der Nahe aus einer von beiden Familien geheiratet. War es gar
Sophia, die Witwe Stephans? Aber die (mulier religiosa) ging anscheinend
noch ins Kloster, zu seinen Lebzeiten. Oder die Witwe Gerlachs von Merxheim?
Oder eine Schwägerin der beiden? Jede dieser Möglichkeiten hieße
vordergründig, dass auch Stephan ein Sohn des Roricus, also auch ein
Schwager Hildeberts war! Oder war er nur ein Verwandter (Neffe?) Adalberts
von Merxheim?
Jedenfalls scheint es so, dass er sowohl für Merxheim
als eine Art Vormund Rorichs (1097 garnicht genannt, 1100 als junger, spät
zu nennender Zeuge im Gefolge Goswins) als auch für Sponheim als Vogt
Meinhards erscheint. Seine nicht immer bezeugte „Grafen“-Qualität
entsprach hierzulande eigentlich keinem Amt. Er hat auch seinen gleichnamigen
„Vetter“ an den Rhein gebracht, der Liutgard, die Witwe des 1102 verstorbenen
Grafen Heinrich von Katzenelnbogen, heiratete, deren Sohn Hermann von Stahleck
in der Gründungsgeschichte des Rupertsbergs auftritt.
Ich komme noch einmal auf die merkwürdige Schenkung
in Magdeburg zurück. „Bei dem Erwerb von Schweinfurt scheint es sich
um eine Gefälligkeit zu handeln, die (Erzbischof) Hartwig Beatrix
erwies. Wahrscheinlich war sie eine entfernte Verwandte Hartwigs“ [102
Claude,
Geschichte EB Magdeburg… S. 374] und damit auch seines Bruders, des Magdeburger
Hochvogts Hermann „von Spanheim“. Dieser weitere SPANHEIMER-Bezug ersetzt
nicht die anderen. Der Adel praktizierte schon damals Nahehen an der Grenze
des von der Kirche erlaubten. Zwei Verwandte waren deshalb oft über
mehrere Linien gleichzeitig verwandt, bzw. verschwägert.
Ich gebe zur Übersicht eine bereinigte, aber nicht
endgültig ausgeforschte Tafel der Merxheimer, in die ich vorsichtshalber
Goswin nicht aufgenommen habe. Zur weiteren Geschichte der Merxheimer gibt
es erst spät wieder genealogisch brauchbare Quellen. [103 Friedrich
Toepfer, Ub für die Geschichte des gräflichen und freiherrlichen
Hauses der Vögte von Hunolstein, 1866-72, 1, S. 455.]
Wie der 1147–1151 Mai 1 bei der Weihe des Rupertsbergs
anwesende Wernhere de Merchesheim unter die Merxheimer einzureihen
ist, muss offenbleiben; in der (Anfang 1152 ausgestellten) Gründungsurkunde
von Erzbischof Heinrich wird er unter den Zeugen aufgeführt, als letzter
der liberi, nach Hûog de Lapide und °Vdelricus
de Bruneshor, für die ich auch verwandtschaftliche Beziehungen
zu Hildegard annehme. [104 MzUb 2, Nr. 175.] – Die Hinweise
von K. H. May auf die ab 1191 belegten Roriche von Saarbrücken/Warsberg/Alben
sind begründet; leider gibt es dazu keine neuere Untersuchung. [105
Michel Parisse, Noblesse et chevalerie en Lorraine médiévale.
Les familles nobles du XIe au XIIIe siècle, Nancy 1982, S. 345 &
443, befreit die Aufstellung in Walther Möller, Stammtafeln westdeutscher
Adelsgeschlechter im Mittelalter, 3, 1936, S. 244ff. von groben Fehlern,
ohne für die ersten Generationen neue Daten zu bringen.]
3.4 Geschwister Hildegards
Jetzt waren wir schon bei Vettern Hildegards, und
haben die Geschwister noch nicht behandelt! Für Schrader und schon
für Johannes May sind Hugo, Rorich und Drutwin, die dem Rupertsberg
in Bermersheim Güter schenkten [106 MRUb 2, N. Nr. 14, S. 367],
Hildegards Brüder. Selbst wenn Hugo dabei nicht Domkantor genannte
wird, und die drei nicht als Brüder Hildegards bezeichnet werden,
ist das wohl richtig.
Auch die Mitbesitzerinnen Irmengarth, Odilia und Judda
in Bermersheim werden von Schrader als Geschwister Hildegards angenommen,
ebenso die Rupertsberger Mitschwester Clementia, für die in Bermersheim
ein Hof und einzelne Stücke an das Kloster kommen. Meines Erachtens
ist es keineswegs sicher, dass sie Schwestern Hildegards waren.
Sie können auch Nichten oder gar Großnichten gewesen sein oder
Seitenverwandte. Vielleicht waren sie auch garnicht verwandt mit ihr. Außerdem
schenkten in Bermersheim mehrere andere Personen dem Rupertsberg oder waren
dort begütert; Schrader behandelt sie nicht. Ich versuche es in 4444.
3.4.1 Hugo, Domkantor in Mainz, (und?) der zum Mönch gewordene Domkanoniker
Als Bruder Hildegards historisch belegt ist nur
Hugo, der Mainzer Domkantor. Guibert von Gembloux berichtet in einem Brief
(der nach 1177 März zu datieren ist) [107 CCCM 66A, Nr. XXVI,
Z. 346ff. ] seinem Freund, Radulf, Mönch von Villers, der derzeitige
Bischof von Lüttich (Rudolf von Zähringen, 1167–1191 August 5)
habe in Mainz von Kind auf seine Ausbildung bei Hugo seligen Angedenkens,
dem Bruder Hildegards und Domkantor erhalten (a fratre ipsius
domne
Hildegardis, bone memorie Hugone cantore, ab infantia educatus est).
[108 CCCM 66A, Nr. XXVI, Z. 346ff. – Wahrscheinlich hatte
Hildegards
Bruder maßgeblichen Anteil daran, dass Rudolf von Zähringen
1160 auf den „vom Blut (Erzbischofs Arnold von Seelenhofen) noch rauchenden
Mainzer Stuhl erhoben“ wurde (Böhmer–Will 1, S. 378ff.) Hugo weilte
kurz vor der Ermordung aber bei Erzbischof Arnold und gehörte schwerlich
zu dessen Mördern.]
Hugo erscheint 1152 (vor Februar 15) erstmals, und zwar
als Mitglied des Mainzer Domkapitels. 1156 bis 1163 erscheint er als Domkantor.
Er ist also erst in vorgerücktem Alter zu diesen Würden gelangt,
da er kaum lange nach (eher etwas vor) Hildegard geboren sein dürfte.
1170 und 71 ist ein Heinrich Domkantor. [109 MzUb 322 Anm. 10.]
Hugo ist wohl zwischen 1163 und 1170 gestorben. Oder stieg er in eine höhere
Würde auf? Belege für das Domkapitel sind in jenen Jahren rar,
speziell für die Kustodie garnicht existent. Aber dann hätte
Guibert seiner nicht als cantor gedacht. Es ist angesichts der jähen
Wechsel auf dem Mainzer Stuhl aber auch durchaus möglich, dass Hugo
seiner Würde entsagte oder entsagen musste, Mönch (auf dem Disibodenberg,
auf dem Rupertsberg?) wurde und 1176 (nach dem Tode Gottfrieds, des Biographen)
quasi als Praepositus auf dem Rupertsberg fungierte und bald starb.
Der eben erwähnte Brief Guiberts erwähnt auch,
dass bei seiner Ankunft auf dem Rupertsberg ein leiblicher Bruder Hildegards
loco praepositi die äußeren Belange des Klosters wahrnahm,
ein Mönch, der vordem Domkanoniker in Mainz gewesen sei, und der bald
danach starb. [110 CCCM 66A, Nr. XXVI, Z. 307ff.und 324ff.] Beziehen
kann sich das auf Hugo, aber ein Rückbezug fehlt völlig, außer
dem bone memorie, aber das ist doch eher so gemeint, dass Hugo schon
geraume Zeit tot war. Ich habe auch das Gefühl, dass Guibert deutlich
zwischen einem Kanoniker und einem Kantor unterscheiden will, und dass
er mit dem bone memorie ausdrücken will, dass er Hugo gar nicht mehr
kennengelernt hat. Aber, wie heißt es schon im „Datterich“ Niebergalls:
„Mit Gefiehle kenne se nix beweise…“ Nirgendwo sonst gibt es einen Anhaltspunkt
für einen zweiten Domkanoniker als Bruder Hildegards, der doch in
den Urkunden für den Rupertsberg erscheinen sollte, wenn es nicht
der Kanoniker Heinrich ist, den wir in 4.1.5 kennenlernen, wobei ihm natürlich
nur die undatierbaren Belege deutlich vor 1200 gelten.
Die X solidi aus Bermersheim, die Erzbischof Adalbert
I. 1128 [111 MzUb 1, Nr. 554.] unter den Einkünften qu™
a fratribus collata sunt in refectionem beurkundet, könnten von
dem späteren Domkantor (oder seinem möglichen Bruder) gestiftet
worden sein, womit wir den frühesten – allerdings sehr schwachen –
Beweis seiner Zugehörigkeit zum Domkapitel hätten.
Ich kann mir nicht recht erklären, warum er im Registrum
bonorum immer nur als Hugo erscheint, ohne jeden Hinweis auf seine nennenswerte
geistliche Würde und seine Verwandtschaft zu Hildegard. Gehört
dies zu ihrer Stilisierung als eine Frau ohne Familie?
3.4.2 Rorich
H°ugo et fratres eius Roricus et Trutwinus
erscheinen, wie gesagt, im Registrum bonorum als Schenker in Bermersheim.
In der Bestätigungsurkunde von 1158 [112 MzUB 2, Nr. 230.]
erscheinen nur Hugo cantor de domo et frater eius Drutwinus et alii
quidam fideles. Hier sind ihnen 5 1/2 Mansus als Schenkung bezeugt,
was in etwa dem im Registrum bonorum aufgezählten Umfang entspricht.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, die beiden Nennungen nicht auf
die selben Personen zu beziehen. Dann war Rorich der ältere der beiden
wahrscheinlich weltlichen Brüder Hugos, und damit Hildegards.
Wenn er noch am Leben gewesen wäre, hätte man wohl auch ihn 1158
in der Bestätigung der Schenkungen genannt.
Dass der im Rupertsberger Nekrolog unter XIII
kal. Dec. (19. November) eingetragene Roricus sacerdos et canonicus
in Tholegia in die Verwandtschaft Hildegards gehört, kann
man getrost annehmen. Allerdings ist der Eintrag vom Herausgeber durch
Nonpareille-Druck einer Hand des 13./14. Jahrhunderts zugewiesen. Wahrscheinlich
geht es um den 1233 genannten Roricus sacerdos, den eine Besessene
binomium
vocabat Henrice Rorice, obwohl sein Zweitname Heinrich bis dahin in
jener Gegend unbekannt war. [113 Acta inquisitionis. S. 120,
Z. 11ff. Er erscheint auch S. 127, Z. 39, und im (1236 bis 1251 zu datierenden
Nachtrag) S. 128, Z. 47.] Keinesfalls war dieser sacerdos et canonicus
in Tholegia Hildegards Bruder Roricus.
Da die Abtei Tholey in der Gegend von Niederhosenbach
alten, aber schwer zu definierenden Besitz hatte [114 Seibrich,
Entwicklung der Pfarrorganisation …, S. 226 u. ö. Tholey war ein Benediktinerkloster,
dem im 11. Jahrhundert die dortige Pfarrei St. Johannes inkorporiert wurde.
Roricus muss also an anderem Ort Kanoniker gewesen sein.], muss eine persönliche
Beziehung einer dort gleichfalls (Lehen?) besitzenden Adelsfamilie zum
Kloster recht natürlich erscheinen. Es sei auch darauf hingewiesen,
dass eine der maßgeblichen Vögtefamilien des Klosters die sogenannten
Folmare (von Metz-Lunéville) waren. [115 Kanoniker gewesen
sein. Für den Bliesgau klargestellt hat dies Wolfgang Haubrichs, Die
bliesgauischen Ortsnamen des Fulrad-Testaments II, JbwestdtLG 3 (1977),
S. 26, Anm. 246] Wir werden immer wieder auf diese Großfamilie zurückkommen
und ihren Leitnamen Volmar, Gottfried, Stephan begegnen.
Schrader/Führkötter [116 M. Schrader
und A. Führkötter, Die Echtheit des Schrifttums der heiligen
Hildegard von Bingen. Beiheft z. ArchKulturg 6, 1956, S. 149 Anm. 97. –
CCCM 91 A, Nr. 208 überschreibt den Brief ad Hugonem fratrem suum,
als wäre dies so sicher…] machen auf einen Brief Hildegards aufmerksam,
in dem diese Hugoni de Toleun schreibt, er möge seinen Bruder
R. nicht in Gedanken anklagen. Sie erkennen in diesem R einen Rorich und
die beiden als das belegte Brüderpaar Hildegards. Wenn dies
zutrifft, dürfte der Brief wohl vor Hugos Zeit im Mainzer Domkapitel
einzureihen sein, denn einen Kanoniker, gar einen Kantor am Mainzer Domstift
als Hugo von Tholey zu bezeichnen, wirkt gezwungen. Eher handelt es sich
um ganz andere Personen und Namen.
3.4.3 Drutwin
Fraglich bleibt, ob der Bruder Hildegards, der
ja 1158 schon recht betagt gewesen sein muss, identisch oder verwandt ist
mit dem Drutwin, der von Werner von Bolanden mit dessen Burg in Weinolsheim
belehnt wurde, zusammen mit Friedrich, Dietrich und Eberhard. Dieser wohl
spätere Drutwin kommt zusammen mit einem Embercho als de
Winoldesheim vor. [117
Lehnsbücher…Bolanden, S. 32 und
]
Es liegt nahe, beim Namen Drutwin auf dessen Vorkommen
bei den LAURENBURGERN zu verweisen. Irgendwie in Verbindung mit ihnen steht
Trudewinus
de Grispach (Griesbacherhof b. Schaffhausen), der 1111 Mai 6 für
sein und seiner verstorbenen Gattin Gepa Seelenheil dem Koster Allerheiligen
den mansus Aschach schenkt. [118 Jänichen, schwäbische
Verwandtschaft …, S. 21f.; Urkunden… in Schaffhausen, hg. Baumann, Nr.
47] Er ist seit 1087 belegt, Bruder des Eberhard von Metzingen und
Onkel des Schaffhauser Abtes Adalbert, die bei der Gründung der Propstei
Lipporn (später Kloster Schönau im Taunus) eine – noch nicht
völlig geklärte – Rolle spielten.
Aber auch der Druytwinshoff, den Otto von Schönburg
1166 als Eigen besaß, läßt aufhorchen. [119 MG
DF I, Nr. 507]
3.4.4 Vier angebliche Schwestern Hildegards
Irmengarth, Odilia, Judda sind mit dem Domkantor
Hugo Mitbesitzerinnen eines noch nicht geteilten, unbestellten Grundstückes
in Bermersheim, also Miterbinnen und Verwandte. [120
MRUb 2, N.
Nr. 14, S. 368] Aber ob sie seine und Hildegards Schwestern, Schwägerinnen,
Basen, Nichten und untereinander Geschwister sind, bleibt offen.
Die Rupertsberger Mitschwester Clementia, deren
Ausstattung in Bermersheim das Registrum bonorum an gleicher Stelle
überliefert, war schwerlich eine Schwester Hildegards, sondern
eher eine Nichte oder gar Großnichte von ihr. Durch welchen Elternteil,
ist nicht zu eruieren, am ehesten durch einen selber nicht als Schenker
genannten.[121
Ob man Clementem sororem (de vico Drectenhusen)
(Acta inquisitionis. S. 120 Z. 36ff) mit ihr gleichsetzen kann,
ist arg unsicher.]
3.5 Zusammenfassung
Von den mindestens 10 Kindern Hildeberts und Mechthilds stehen Rorich, Drutwin, Hugo als Brüder Hildegards fest, dazu kommt eventuell ein namenloser Domkanoniker, der Mönch wurde und 1176 auf dem Rupertsberg stirbt. Von mindestens 5 Geschwistern Hildegards wissen wir weder Geschlecht noch Namen noch Lebensdaten. Nach aller Wahrscheinlichkeit gab es zahlreiche Neffen und Nichten Hildegards. Von keinem haben wir Namen und Filiation.
4 Bermersheim
4.1 Andere Bermersheimer Besitzer
Nach den freilich spärlichen Quellen scheint es nicht so, dass Kloster Disibodenberg in Bermersheim begütert war (etwa durch die Mitgift Hildegards, die wir überhaupt gerne lokalisiert wüssten) und diesen Besitz dann an den Rupertsberg weitergegeben hätte oder auch nicht. Auch, warum von den Verwandten Hildegards so viel unkultiviertes Land geschenkt wurde, bedarf noch der Klärung, ebenso der Zusammenhang der übrigen dort im 12. Jahrhundert erscheinenden Grundbesitzer. Deutlich hat man den Eindruck, dass es sich hier um durch Erbteilung bis zur Ineffektivität, ja zum Brachfallen zerstückelte Güter handelt.
4.1.1 Graf Ulrich von Are
Schon 1158 wird seine Schenkung urkundlich bezeugt. [122
MzUb
2, Nr. 231.] Im Registrum bonorum heißt es, dass comes
°udalricus et uxor eius c°unegunt dem Rupertsberg ein Allodium
übertrugen et pro quo etiam Gerlibo de sobernheim duas marcas dedimus.
[123 MRUb 2, N. Nr. 14, S. 369. ]
Offensichtlich hatte dieser Gerlib Mit-Erbenrechte; wenn
man ihn identifizieren könnte, käme man bestimmt weiter. Aber
trotz seines extrem seltenen Namens scheint dies nicht möglich. Halten
wir uns also an den Grafen, der offenbar über seine Frau an den Bermersheimer
Besitz kam. Warum sonst hätte sie als Schenkerin mitauftreten müssen?
Othalricus/Udelricus/Ulrich erscheint ab 1143 als von Are, 1152 erstmals
als Graf, ab 1165/66 auch als Graf von Nürburg. 1197 April 6 wird
er zum letzten Mal genannt.
Ich beziehe mich im folgenden auf eine gewiss verbesserbare
Darstellung. [124 Ute Bader, Geschichte der Grafen von Are bis zur
Hochstadenschen Schenkung (1246) (RheinArch 107), 1979, vor allem S. 51,
S. 102ff. und S. 141ff.] In ihr wird der (nicht sehr große) Besitz
Ulrichs in Bermersheim als SPANHEIMER Erbe bezeichnet, mit zwei völlig
unzutreffenden Begründungen: Die SPANHEIMER seien gerade in der Alzeyer
Gegend besonders begütert gewesen, und der Domkantor Hugo sei ein
SPANHEIMER. Ich kann nicht prüfen, ob die ganze Darstellung auf so
haltlosen Behauptungen beruht. Aber mir erscheint es auch fragwürdig,
obwohl denkbar, dass dieser Graf Ulrich von Are eine ganze Generation jünger
als seine Brüder Theoderich und Gerhard sein soll, als Sohn einer
zweiten Ehe (mit einer SPANHEIMERIN!) des Grafen Theoderich I., der von
1087 bis 1126 belegt ist.
Bis diese Fragen geklärt werden, nehme ich an, dass
der Bermersheimer Besitz von (Graf) Ulrichs Frau Kunigunde stammt, deren
Bruder oder Neffe Gerlib von Sobernheim sein mag. Sie dürfte wie Ulrich
in den 1120er Jahren geboren sein, gehört also schon in die Enkelgeneration
Hildeberts (womit ich nicht behaupten will, dass sie seine Enkelin sei.)
Ulrichs mutmaßlicher Bruder Hugo, 1149 Domkustos in Köln, 1168
Domdekan, ab 1152 Propst des Kölner Mariengredenstiftes, starb 1179
November 14. Sein Name stammt jedenfalls nicht, wie Bader meint, von den
SPANHEIMERN. Aber in der Familie Hildeberts kam er vor… Hoffentlich wird
man auch den 1137 als Kölner Erzbischof gestorbenen Hugo, den Gründer
von Knechtsteden, nicht immer weiter mit den fantasievollen Chronisten
des 18. Jahrhunderts als SPANHEIMER bezeichnen und daraus dann auch noch
ableiten, dass Hugo ein Leitname der SPANHEIMER war…
4.1.2 Gothbert von Selzen
Schon 1158 wird bezeugt, dass er mit seiner Frau für 40 Mark einen Mansus dem Kloster verkauft habe, im Registrum bonorum wird nur mehr von einem Predium und einem Kaufpreis von 37 Mark gesprochen. Der seltene Vorname erscheint 1146 bis 1229 bei den Edelherren von Leiningen. [125 Ingo Toussaint, Die Grafen von Leiningen. Studien zur leiningischen Genealogie und Territorialgeschichte bis zur Teilung von 1317/18, 1982, S. 233f.] Im Oculus Memorie begegnen wir ihm besonders in Kapitel VIII A. [126 Neben den Herren von Wolfskehlen und Schenkern u. a. des Namens Hildebert, s. 3.2.53.2.53.2.53.2.5 und 7.2.2.57.2.2.57.2.2.57.2.2.5.] Dabei handelt es sich nicht immer um den jüngeren Bruder des ohne Frau und Kinder verstorbenen Ritters Walbrunus von Oppenheim, der Eberbach den Grundstock zur Grangie Dienheim übertrug, mit Zustimmung des älteren Bruders Baldemar, unter Einspruch des jüngeren Godeberthus, bezeugt u. a. von Boemund, Truchseß des Grafen von Leiningen.
4.1.3 Zwei Hermann von Bermersheim
Der Hermann, der Stücke für 18 Mark den Nonnen vom Rupertsberg verkaufte, [127 MRUb 2, N. Nr. 14, S. 369.] kann nicht mit dem Hermann von Bermersheim identisch sein, der mit der Eberbacher Grangie in Dienheim tauscht und Zeuge steht, [128 OM XXIV 64 und 90.] denn dies dürfte im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts geschehen sein, der Verkauf an den Rupertsberg mindestens 20, vielleicht 90 Jahre früher. Immerhin belegt der Name, dass es in Bermersheim im 13. Jahrhundert noch einen Ortsadel gab.
4.1.4 Das Kloster St. Alban und die beiden Embricho
1194 [129 MzUb 2 608.] bestätigt Abt Heinrich
II von St. Alban einen Tausch von St. Alban zinspflichtigen Gütern
in Bermersheim, die bisher Embricho clericus, filius Herbordi in Albicho,
hereditario iure ad ipsum devoluta besaß, gegen 1 Hof und 69
iugera
in
Albig aus dem Besitz des Klosters Rupertsberg. Zeugen sind die laici:
Heinricus de Albicho, hugo, Gozwinus, Hertwicus, °Udode Butensheim,
Brunicho de Eberbach et plures alii. Embricho von Albig wird zwischen
1209 und 1219 mehrmals, zuletzt als familiaris noster in Eberbacher Urkunden
genannt. Er war damals Kanoniker an St. Stephan.
Über die Schenkung in Albig gibt es keine Vorurkunde,
auch nicht über die in Bermersheim, wenn nicht eine von 1154 gemeint
ist: Heinrich, Abt zu St. Alban, vermacht seinem Kloster durch Kauf erworbene
Güter an mehreren Orten, darunter Bermersheim, Büdesheim und
Bingen. [130 MzUb 2 199. ] Abt Heinrich bezahlte für
die Bermersheimer Erwerbung (predium) 22 Mark, weit weniger als
für die an den anderen Orten. Freilich hat St. Alban in Bermersheim
noch 1276 Mai 1 einen (diesen?) Hof, den es jetzt Kloster Rupertsberg zur
beständigen Nutznießung verleiht. [131 Heinrich Eduard
Scriba, Regesten der bis jetzt gedruckten Urkunden zur Landes- und Ortsgeschichte
des Großherzogtums Hessen, 1847ff, 3 (1851) Nr. 1855, nach Georg
Christian Joannis, Rerum Moguntiacarum Scriptores, 2 (1722) 765 Extr. –
Nach Schmid, Die Abtei St. Alban …, S. 280 handelt es sich um eine Quelle
oder einen Brunnen (fontem). St. Alban besaß auch spätestens
1184 die Kirche und damit den Zehnt in Bermersheim.] Auch der unbekannte
Verkäufer dieses Besitzes gehörte zu den „Bermersheimer Erben“,
wenn wir noch immer an einem solchen Konstrukt festhalten wollen.
Einen anderen Vorgang und einen anderen Embricho meint
die zweifach im Registrum bonorum [132 MRUb 2, N. Nr. 14,
S. 369 und 383.] unter vine™ in Bermersheim eingetragene Schenkungs-,
nicht Tauschnotiz: Embercho (bzw. Embricho de binguia) pro quo
data est huba et dim. et fundus domus cum edificio ipsius pingui in salzgassun.
Dieser Embricho von Bingen bzw. seine Verwandten, die für sein Seelenheil
schenken, [133 Er erhielt dementsprechend (noch im 12. Jahrhundert)
ein Anniversar im Rupertsberger Nekrolog unter November 24, wo die Schenkung
nochmals festgehalten ist.] gehören also auch unter die Bermersheimer
Erben.
4.1.5 Der Kanoniker Heinrich, Arnold, Ida
Heinrich, Kanoniker an St. Martin (welchem?) verkaufte
dem Kloster Rupertsberg eine weitere Hube in Bermersheim zum moderaten
Preis von 10 Mark. Es könnte sich um den Domkanoniker handeln, der
zuerst 1199 November 30 [134 MzUb 2 Nr 701.] als Heinricus de
Stahelecke erscheint und bis 1211 meist als einziger einfacher Domherr
neben dem Dekan Friedrich erscheint. Als dann 1213 ein Gottfried dessen
Nachfolger wurde, dürfte er für diesen zum Domkantor aufgerückt
und vor 1217 gestorben oder in eine höhere Würde aufgestiegen
sein. [135
Letzte Nennung als Heinr. v. Stahleck 1211 November 18
(Boehmer-Will, XXX, Nr. 172, vgl. Beitrr. z. Mzer. Gesch, 20: Urkunden
des Stadtarchivs Mainz, I, Nr. 41); erste als Heinrich, cantor 1213 Dezember
23 (ebd. Nr. 221). Nach Boehmer-Will, XXX, Nr. 290 war 1217 dann ein Christian
(gleichzeitig Propst von St. Viktor) Domkantor, wohl der spätere Erzbischof
„Chr. von Weisenau”.] Jedenfalls lässt sich dieses Verschwinden nicht
mit einer Amtszeit 1209 bis 1226 als Propst zu Bingen vereinbaren. [136
Weidenbach,
Reg. Bing. …, Nr. 107. Er stützt sich freilich auf die gefälschten
Urkunden von 1220 (s. 7.37.37.37.3) und verwechselt vielleicht mit dem
Nachfolger, Heinrich von Ravensberg (ebd. Nr. 120).]
Ich habe mich mit Heinrichs von Stahleck und mit des
gleichnamigen späteren Straßburger Bischofs Genealogie und Prosopographie
intensiv befasst und bin mir sicher, daß er identisch ist mit dem
1196 [137 MRR II 783.] als Zeuge genannten Pfarrer Heinrich von
Bacharach. 1211 macht der Domkanoniker Heinrich de Stalecke dem
Kloster Altenberg eine Schenkung von Rechten aus dem St. Petersacker bei
Bacharach, mit Zustimmung seines älteren Bruders Giselbert und seines
jüngeren Bruders Arnold. Giselbert siegelt als Gisilbertus de Brunshorn
mit den drei Jagdhörnern der Braunshorn im Wappen, und Arnold in einer
Bestätigungsurkunde ebenso. [138 Hans Mosler, Urkundenbuch
der Abtei Altenberg (Urkundenbücher der geistlichen Stiftungen des
Niederrheins 3) 1 (1912), Nr. 66 und 67; Achim Baumgarten und Elisabeth
Scheeben, Das Wappen der Edelherren von Wahlbach, in: Hunsrücker Heimatblätter,
Jg. 27, Nr. 72 (Dez. 1987), S. 45ff. (mit guter Siegelabb.)]
Nach allem, was ich in anderem Zusammenhang erforscht
habe, ist dieser Heinrich von Stahleck ein naher Verwandter der von Dicka
[139 Heinrich de dikke verkäuft Rupertsberg 1 1/2 Morgen Brache
in Langenlonsheim (MRUb 2, N. Nr. 14, S. 372). S. auch 9.19.19.19.1.],
Wahlbach und (agnatisch!) Braunshorn; diese wiederum scheinen mit den Grafen
von Are verwandt zu sein. Es verwundert kaum, Heinrich unter den Schenkern
für den Rupertsberg zu finden. Aber dass er Besitz in Bermersheim
hatte, überrascht. Halten wir fest, dass sein mutmaßlicher Großvater
Ulrich von Braunshorn schon in der ersten Urkunde für den Rupertsberg
als Zeuge erscheint. Da er nicht unbedingt zum Gefolge des Erzbischofs
Heinrich gehört, lässt schon dies auf Beziehungen zu Hildegard
und ihrer Gründung schließen. Dass er im Registrum bonorum
als Schenker von 2 iugera Weingarten zu Longesheim (Langenlonsheim)
auftritt, bekräftigt diese Vermutung.
Ob dem Verkauf des Heinrici canonici de s. Martino
der Eintrag Heinrichus canonicus de Mogontia qui dedit nobis I. marcam
im Rupertsberger Nekrolog unter Dezember 2 entspricht, erscheint sehr zweifelhaft,
da dieser Eintrag von Sauer der anlegenden Hand des 12. Jahrhunderts zugeschrieben
wird, während Heinrich von Stahleck doch bis mindestens 1217 gelebt
hat. Beide Belege, besonders das Anniversar, könnten auch den mutmaßlichen
zweiten Bruder Hildegards im Domkapitel meinen, für den Besitz
in Bermersheim zu erwarten ist, und der dann Heinrich hieße.
Arnold und Ida, die je ein iugerum Weingarten
in Bermersheim schenken, sind angesichts der Allerweltsnamen nicht zu identifizieren,
ja nicht einmal in Zusammenhänge zu bringen. Allerdings wird man bei
Arnold zuerst an die Braunshorner denken, etwa an den eben genannten Bruder
des Domherrn Heinrich von Stahleck. Die Schenker Arnold und Ida sind aber
eher ein bis zwei Generationen älter, ebenso wie Heinrich.
4.1.6 Dietrich von Flonheim
Andere Rätsel gibt ein weiterer Eintrag des Registrum bonorum auf, das unter Bermersheim von einem Kauf um erhebliche 55 Mark berichtet. Verkäufer war Dominus dietericus de flanheim cum consensu uxoris et filiorum suorum… per manum domini sui irsuti comitis. Ein – nicht geistlicher – Dominus, der einen Dominus hat, lässt über den Wortgebrauch sinnieren. Flonheim gehörte wesentlich zum Herrschaftsbereich und Besitz der Wildgrafen. Warum ist Dietrich dann Vasall oder Ministeriale des Raugrafen? Zu seinem Besitz in Bermersheim kam er offensichtlich durch seine Frau, die mit ihren Kindern dem Verkauf zustimmen musste. Man darf sie also als Miterbin an dem imaginären Gesamtgut Bermersheim ansehen. [140 MzUb 2 Nr. 231: Werner Sohn des Dietrich von Flonheim 1170.]
4.1.7 Durinchart, bzw. Werner von Bolanden
Nach dem ältesten Lehnsbuch der Herrschaft Bolanden (in diesem Teil wohl textlich aus den 1180er Jahren) [141Lehnsbücher … Bolanden, S. 32; Albrecht Eckhardt, Das älteste Bolander Lehnbuch. Versuch einer Neudatierung, in: ArchDipl 22 (1976), S. 317ff.] hat ein Durinchart einen halben Mansus in Bermersheim dem Werner (II.) von Bolanden zu Lehen aufgetragen. Der seltene Name lässt auf Beziehung zu dem im jüngeren Lehnsbuch als Lehnsträger in Blödesheim genannten Durenkart de Eppensheim schließen. [142 Lehnsbücher…Bolanden, S. 45] Dieser dürfte mit seinem Bruder Eberhard ein Stiefsohn des Rudegerus de Hargesheim gewesen sein. [143 Lehnsbücher…Bolanden, S. 40. Es fällt auch auf, dass ein Rudegerus de Bisschovesheim (wahrscheinlich Bischheim b. Kirchheim-Bolanden) Güter zu Lehen auftrug in Gauersheim, wo auch Roricus sagittarius, ein Eigenmann des Bolanders, Lehen innehatte. (ebd. S. 31)] Wenn wir an der Vorstellung festhalten, Bermersheim habe einmal (wann? unter Hildebert oder früher?) eine Besitzeinheit gebildet, gehört Durinchart zu den Erben in unbestimmbarem Generationsabstand.
4.1.8 Diemar von Bermersheim
Im Rupertsberger Nekrolog erscheint unter Dezember 22 Dimarus de Bermersheim (frühe, aber nicht die anlegende Hand). Zwar ist nicht ausdrücklich gesagt, dass er dort Besitz hatte, aber warum sollte er sonst nach dem Ort benannt sein? Der Name Die(t)mar erscheint bei den Familienkreisen um Kloster Eußerthal und den Trifels als entscheidend (s. 7.17.17.17.1). Er ist uns bereits mit einem anderen Namensträger begegnet (3.2.13.2.13.2.13.2.1, Fußnote 62626263).
4.2 Geburtsort Hildegards ist schwerlich Bermersheim
Ich habe den Eindruck, dass nur für deutlich größere
Ortschaften in Rheinhessen derart viele Besitzübertragungen im 12.
Jahrhundert dokumentiert sind wie für Bermersheim, und dass außer
bei Durinchart (2.3.7) in keinem der angeführten Fälle
eine Verwechslung mit Bermersheim bei Worms möglich ist. Für
die meisten dieser erstaunlich vielen Bermersheimer Besitzer lässt
sich eine Beziehung zu Hildebert mit Fug und Recht vermuten. Aber wie diese
Beziehungen konkret aussehen, muss offenbleiben.
Schrader und Führkötter und erst recht die
in Mode gekommene Hildegard-Touristik machen großes Aufhebens
um den Geburtsort der Seherin. Schrader konnte die Behauptung des Trithemius
einer Geburt in Böckelheim (gleichgültig, ob Wald- oder
Schlossböckelheim oder Gau-Bickelheim damit gemeint war) als Erfindung
bezeichnen. Aber ihre Identifikation des Geburtsorts mit Bermersheim war
gleichfalls nur eine Behauptung, die nicht zu belegen ist, so hübsch
die angebliche Taufkirche dort auch sein mag und so sehr sie die Renovierung
wegen des Hildegard-Jahrs verdient hat. Beim „Unterwegssein“ der
Menschen im Mittelalter übten die Führungspersonen vom kleinsten
Adligen bis zum König ihre Geschäfte im Herumreisen aus. Ihre
Frauen waren gewiss etwas sesshafter, aber sie mussten je nach Rang repräsentativ
wohnen. Hätte Hildebert nur Bermersheim oder gar nur Teile
davon besessen, wäre er gerade als liber homo anerkannt worden, er
hätte gewiss nicht einen nomen grande gehabt und unter die opulentia
conspicui gezählt. Bermersheim war ein schon in vorangehenden
Generationen mehrfach geteilter, einzelner Splitterbesitz der Familie (sonst
müssten alle im 12. Jahrhundert belegten Besitzer im Ort Hildeberts
Nachkommen sein).
Unter diesen Umständen ist es unwahrscheinlich,
dass Hildebert 1098 in Bermersheim wohnte und seine Frau Mechthild
dort mit Hildegard niederkam. Mit größerer Wahrscheinlichkeit
könnte man Niederhosenbach als Geburtsort Hildegards postulieren.
Die Nennung 1112 als ein Herrschaftsmittelpunkt Hildeberts ist ihrer
Geburt doppelt so nahe wie diejenige Bermersheims von 1126.
Diese Jahreszahlen führten zudem (3.2.43.2.43.2.43.2.4)
zu der Frage, ob wir es nicht mit zwei Hildebert (Vater und Sohn)
zu tun haben. Die Wahrscheinlichkeit dieser Konstruktion ist gering, aber
doch vorhanden. Sie verringert zusätzlich die sehr geringe Wahrscheinlichkeit,
dass Hildegard in Bermersheim zur Welt kam. Mit sehr viel mehr Recht
kann sich Niederhosenbach Geburtsort Hildegards nennen, aber mehr
als eine freilich naheliegende Vermutung ist auch das nicht.
Vor und um 1100 sind Hildebert und Mechthild
meines
beschränkten Wissens nur durch die Vita belegt. Es ist gleichwohl
kaum wahrscheinlich, dass sie in einer ganz anderen Landschaft (Thüringen?
Lorsch/Weinheim? Lothringen?) lebten. Dagegen spricht die von den zeitgenössischen
Biographen vieldeutig gegebene Herkunftsangabe für Hildegard.
Die Vita (I, 1, 2) lautet: In Romana republica … in Galliae citerioris
partibus; der Wallone Guibert formuliert [144
CCCM 66A, Epist.
XXXVIII Z. 103f.]: In territorio Maguntine civitatis, que in citerioris
Germanie partibus sita est. Beide scheinbar widersprüchlichen
Angaben meinen dasselbe: das linksrheinische Gebiet des deutschen Reiches,
bzw. des Erzbistums (nicht der Stadt) Mainz, zu dem Bermersheim wie Hosenbach
gehörten. Das citerior gewährleistet diese Interpretation.
[145 So auch bei Schrader/Führkötter, Herkunft… S. 57,
Anm. 11.] Nicht selten, etwa im Sprachgebrauch der Kurie, verstand man
damals unter Gallia auch das linksrheinische Deutschland. [146 Margret
Lugge, „Gallia“ und „Francia“ im Mittelalter. Untersuchungen über
den Zusammenhang zwischen geographisch-historischer Terminologie und politischem
Denken vom 6. – 15. Jahrhundert. (BonnHistForsch 15), 1960, referiert die
widersprüchliche und völlig unklare Verwendung der Begriffe.
Offensichtlich kommt es sehr darauf an, wer wo wann einen der Namen verwendet.
Gallia kann jedenfalls Frankreich, Lothringen (Gallia belgica), aber sogar
ganz Deutschland bezeichnen. Im Erzstift Mainz gebrauchte man meines Wissens
nicht „Gallia“ für das eigene Land.] In beiden Fällen geht es
um die Heimat Hildegards (fuit …, bzw. orta est).
Es geht nicht um den standesamtlichen Geburtsort (obwohl Guibert ihn angeben
will, denn er fügt municipio bei und lässt den Namen offen,
der dann nie ergänzt wird, wohl weil er längst vergessen war)
und nicht um die Herkunft ihrer Eltern.
Keine Parallele zu dieser Beschreibung der Heimat Hildegards
sehe
ich in der Vita domnæ Juttæ inclusæ, wo es heißt,
die Lehrerin Hildegards sei ex nobilissima Galliae stirpe oriunda.
[147
Staab, Kindheit…, S. 62.] In diesem Fall kann man den Begriff
(ohne citerior) nur auf Frankreich oder eines der damaligen Lothringen
beziehen. Auch geht es hier nicht um Heimat oder Geburtsort Juttas, sondern
um den Stammsitz oder die Rechtsheimat des Geschlechts. Das bestärkt
die aus dem Namen Stephan abgeleiteten Vermutungen, die SPANHEIMER stammten
von dort. Die Benennung „Gallier“ für Stephan widerspricht sich nur
scheinbar mit der für seinen in „bayerischen“ Landen lebenden Verwandten
Comes
Engelbertus ex patre Sigfrido Francorum civis. [148 UB St. Paul,
S. 4; Mc 3, Nr. 488.] Wahrscheinlich soll dies heißen, daß
Siegfried, der Stammvater der Kärntner SPANHEIMER, nach salischem
Recht lebte. Auch Albert von Stade [149 MG SDS XVI, 326] bezeichnet
die Tochter des 1118 verstorbenen Magdeburger Burggrafen Hermann (von Spanheim)
als Richardis de Franconia. Franke ist auf jeden Fall so doppeldeutig wie
„Gallier“. Es kann für große Teile Frankreichs, für Lothringen
und für die fränkischen Herzogtümer Deutschlands stehen.
5 Entferntere Verwandte:
5.1 Erzbischof Arnold von Trier
Verwandter Hildegards war zweifellos der Trierer
Erzbischof Arnold (I.) (1169-84). [150 Hans-Jürgen Krüger,
der sich in den Siebziger Jahren intensiv mit Erzbischof Arnold beschäftigte
und über ihn den Beitrag im Lexikon des Mittelalters verfasste, gab
mir binnen zwei Tagen, nachdem ich endlich herausbekommen hatte, dass er
in Bolivien lebt, eine ausführliche Facs-Antwort, die ich diesem Kapitelchen
unterlegen konnte, wofür ich herzlich danke.] Eine Urkunde über
des Erzbischofs Abkommen mit Arnulf/Arnold von Walecourt [151 MRUb
2, Nr. 61, S. 101ff. Auch bei Jean-Noël Mathieu, Le Lignage de Walcourt
en Lorraine, in: Les Cahiers Lorrains 1997, Nr. 2, S. 115ff. ist Erzbischof
Arnold nicht als Familienmitglied erwähnt.] galt in der Literatur
als Beleg für die Verwandtschaft zwischen den beiden. Doch ist der
dafür herangezogene Passus qualiter Arnolphus de walecurt, aduocatus
in curia nostra marceto, cum non esset nobis ita familiaris sicut ei expediret
kein
Beweis; familiaris kann man hier nicht als „blutsverwandt“ verstehen,
es ist eindeutig lehnsrechtlich gemeint (entsprechend dem Sprachgebrauch
im Liber annalium): Der Vogt von Merzig ist Mitglied der „Familia Treverensis
ecclesiae“, also des Trierer Lehnshofes. Er war, wie aus dem ganzen Zusammenhang
hervorgeht, seinem Lehnseid nicht gerecht geworden (propter iniurias
quas in eadem curia nobis inferebat).
Obwohl es eine Vita von Erzbischof Arnold gibt,
sind die Angaben über seine Herkunft sehr spärlich. In Köln
[152 Kölner Schreinsurkunden des zwölften Jahrhunderts,
ed. R. Hoeniger (PubllGesRheinGKde I), 2, 1, N 9 V 9: Arnoldus Treverensium
archiepiscopus dedit cognato suo Heinrico comiti de Kessele et uxori sue
Alveradi comitisse, eo tempore quando licuit et potuit, domum in Grabegazen…
(ca. 1180–85). Ob es sich um die selben domus et area handelt, die
c. 1188-1203 a comite de Kessele Henrico et fratre eius Conrado et a
matre eorum et a mundibordo eius comite Friderico… verkauft werden
(ebd. N 11 VII 18), oder jene, die ca. 1202–12 von einem Gerardus de Kessele
et uxor eius Uda (ebd. N 11 VI 45 und N 13 I 8) besessen werden, weiß
ich nicht. Nach meinem Dafürhalten handelt es sich bei den Verkäufern
1188–1203 um die unmündigen Söhne des von Erzbischof Arnold beschenkten
und den zweiten Mann ihrer Mutter, Graf Friedrich von Altena; 1194 ist
als dessen gewiss zweite Frau eben eine Alveradis genannt (Knipping, 2
Nr. 1481). Er war Urgrossneffe von Friedrich I., Neffe von Friedrich II.,
Bruder von Adolf und Vetter von Engelbert, alles Erzbischöfen von
Köln.] findet sich eine Urkunde, in der er Graf Heinrich von Kessel
seinen Cognaten nennt. Dass Arnold einerseits mit den Grafen von Kessel,
andererseits mit Hildegard
verwandt war, heißt noch nicht,
dass diese untereinander verwandt waren.
Dafür gibt es freilich weitere Verdachtsmomente:
Die Grafen von Kessel besaßen zwischen Rhein und Mosel im Machtbereich
der Pfalzgrafen einzelne Güter und Rechte, die erst später belegt
sind. So verkauft 1295 der letzte des Stammes, Walram, Dompropst zu Münster,
der in den weltlichen Stand zurückkehrt, dem Pfalzgrafen 4 Wingerten
und 1 Baumgarten zu Steeg (b. Bacharach) sowie die Dörfer Snorbach
(Schnorrenbach) und Erbscheit (Ebschied) für 86 kölnische
Mark an Pfalzgraf Rudolf. [153 LHAKo 4, 20 - 23. – J. Mötsch,
Adliger Fernbesitz auf dem Hunsrück. Die Herren von Wildenburg/Eifel
und die Grafen von Kessel, in: RheinVjBll 58 (1994), S. 113ff.] In diesem
Schnorrenbach hatte der pastor dauid de Snarbach amtiert, der uns
als Schenker eines Zinses für den Rupertsberg begegnet (das dort auch
einen Mansus zum Gedächtnis an Eigel et Guda geschenkt bekommen
hatte). [154 MRUb 2 S. 384 und 383.]
Noch auffälliger ist eine weitere Beziehung. Unter
Erzbischof Arnold I. von Köln (1138–51, zuletzt regierungsunfähig)
wurden Kölner Güter in Senheim an den Grafen Walter von Kesle
zu Lehen gegeben, von diesem aber an den Freien Olrich von Brunishor
weiter verlehnt. 1184 sind sie im Besitz von dessen Sohn Warner.
Dieser und der jetzige Graf von Kessel resignieren nun – unter Vermittlung
von Erzbischof Arnold von Trier! – das Lehen dem Erzbischof Philipp (von
Heinsberg), der Warner (und nur diesen) mit 100 Mark Silber und einer Rente
von 10 Fuder Wein aus Bacharach, also sehr reichhaltig entschädigt.
[155 Knipping, 2, Nr. 1228.] Zeuge unter den Klerikern ist Gisilbertus
s. Andree prep. Ulrich von Braunshorn und Propst Gisilbert kommen in
nächster Umgebung
Hildegards
vor. Gisilbert ist Neffe eines
Nepos von ihr. Die von Kessel und von Braunshorn sind verwandt, so nahe,
wie die Nachbarorte Ebschied und Braunshorn.
Krüger machte mich auch auf ein weiteres gemeinsames
Auftreten Erzbischof Arnolds mit einem Grafen von Kessel aufmerksam, das
in unserem Zusammen von Bedeutung ist, wobei aber Arnold unter Umständen
einfach als zuständiger Diözesanbischof handelt. Es handelt sich
um die Gründung des Benediktinerinnenklosters Seligenstatt bei Seck.
[156 Das Johanniterhaus Pfannstiel und die Klöster Seligenstatt
und Walsdorf. Regesten 1156–1634, bearb. von Wolf Heino Struck (Quellen
zur Geschichte der Klöster und Stifte im Gebiet der mittleren Lahn
bis zum Ausgang des Mittelalters 4, VeröffHistKommNassau 12), 1962,
Nr. 1531, S. 64.] Er bekundet 1181, daß Mechthild, Rheingräfin
(ringravia) und ihre Miterben Siegfried und Friedrich von Runkel,
Ulrich von Bickenbach, Siegfried und Hartmann, Winand und Arnold von Seck
das Kloster dem hl. Petrus aufgetragen haben, und gestattet Wahl des Provisors.
Zeugen sind: Der Graf von Nassau, der Graf von Kessel (Kesele),
Bruno von Isenburg, Florentius von Kempenich, Magister Walter von Bonn,
Dietrich und Gottfried, Kapläne, sowie Ministerialen. Die Beurteilung
dieser Personen wird davon abhängen, ob die Rheingräfin näher
zu identifizieren ist. [157 Struck identifiziert sie falsch mit
einer gleichnamigen Wildgräfin, Frau des Grafen Manasse von Rethel.]
Der Graf von Kessel könnte als Verwandter des Erzbischofs rein zufällig
als Zeuge hinzugezogen worden sein, eher war aber auch er mit der Rheingräfin
verwandt.
Erzbischof Arnold ist meines Wissens der einzige Briefpartner
Hildegards,
der sie seine Verwandte nennt. Sie selber geht in der Antwort darauf nicht
ein. Er schrieb ihr zwischen Wahl und Weihe einen (mithin auf 1169 zu datierenden)
Brief, Arnoldus, dei gratia Treuerorum Ecclesie humilis electus,
dilecte
in Christo cognate sue Hildegardi de sancto Ruperto. [158
CCCM
91, Nr. XX, S. 56.] Noch erstaunlicher ist, was er danach schreibt:
Amicitia
cognatione celestis est, quia senium ei non obest, sed confert, et ubi
uera est, stare nescit, sed in aliquo crescit et proficit cotidie.
Cum autem ab ineunte etate ulnis ueri amoris nos amplexati sumus, miramur
cur uos adulatorem plus uero amico diligatis … Fratrem nostrum, prepositum
sancti Andree, hic adulatorem uestrum reputamus, nos autem uerum amicum
intelligi uolumus. („Freundschaft, die durch Verwandtschaft entsteht,
ist ein Himmelsgeschenk, da ihr das Alter [mit seinem Verfall] nicht schadet,
sondern zuträglich ist, und wo sie wahr ist, weiß sie nicht
stehen zu bleiben, vielmehr wächst sie und und schreitet täglich
fort. Da wir aber uns von Jugend auf in wahrer Liebe mit unseren Armen
umfangen haben, wundern wir uns, weshalb Ihr den Schmeichler mehr als den
echten Freund liebt… Unseren Bruder, den Propst von St. Andreas, halten
wir für diesen Eueren Schmeichler, wir aber wollen uns als einen echten
Freund verstanden wissen…“)
Was sich dahinter an menschlicher Wirklichkeit verbirgt,
kann man geradezu erstaunlich nennen. Wir erfahren, dass Arnold von Jugend
an verwandtschaftliche Liebe zu Hildegard hegte, wenn hier nicht
gar statt als Pluralis modestatis das nos wörtlich zu verstehen ist
und gegenseitige Zuneigung meint. Das hieße, dass sie etwa gleich
alt waren und sich gegenseitig von Jugend auf kannten und schätzten.
Darauf weist auch die merkwürdige Formulierung ulnis amplexati,
die nicht auf einen übertragenen Sinn schließen lässt.
Die verwandtschaftliche Liebe spielt Arnold gegen einen Schmeichler aus,
den
Hildegard ihm vorziehe. Dieser Schmeichler ist aber kein anderer
als Arnolds Nachfolger [159
Man muss also annehmen, dass gleich
nach der Wahl Arnolds zum Erzbischof sein Nachfolger in St. Andreas gewählt
(oder gar von ihm providiert) wurde.] im Amt des Propstes von St. Andreas
in Köln, Wezelin, der laut Guibert ein nepos und vertrauter Helfer
Hildegards
war, und der wahrscheinlich auch mit ihm, Arnold, nah verwandt war.
Frater noster nennt Arnold ihn freilich im geistlichen Sinne, während
die cognatio zu Hildegard nur genealogisch gemeint sein kann; sein
leiblicher Bruder kann Wezelin nicht gewesen sein, er gehörte zu einer
jüngeren Generation.
5.2 Die Pröpste Wezelin und Giselbert von St. Andreas
Wezelin wurde also als Nachfolger Arnolds 1169 Propst
von St. Andreas in Köln. Er war ab 1173 eine Zeit auf dem Rupertsberg
„Sekretär“ Hildegards. Sie erwähnt ihn im Epilog zum Liber
divinorum operum – wie es so ihre Art ist – als beatus homo und
Quidam etiam homo, qui de nobili gente erat, Wezellinus prepositus
scilicet sancti Andree in Colonia, betont also seinen Adel (der bei
dieser Würde vorauszusetzen ist), erwähnt aber nicht, dass er
ein jüngerer Verwandter von ihr ist. Das erfahren wir von Guibert
von Gembloux in seinem Brief an Radulf von Villers: Reverende memorie
domnus Wescelinus, nepos eius (Hildegards) et familiarissimus
ei, sancti Andree Coloniensis prepositus…[160 CCCM 66A, Epist.
XXVI, Z. 828ff.]
An gleicher Stelle geht es um Wezelins Nachfolger. Cuius
obitu comperto, … a domno Gilleberto canonico, nepote ipsius… qui ei in
domo et in prepositura successit … Dieser sein Neffe Gillebert – hier
noch Kanonikus – erscheint als Propst bis 1185, sein Nachfolger Theodericus
ist ab 1192 belegt. Gillebert (die Namensform erscheint, soviel ich sehe,
nur bei Guibert) war fraglos ein Giselbert, während K. H. May [161
s. Fußnote 6666] behauptet, „daß Gilbert und Hildebert
nur verschiedene Formen ein und desselben Namens sind“. Ein wohl anderer,
vielleicht verwandter Giselbert erscheint 1194 bis 1210 als Dechant neben
Propst Theoderich. [162 Knipping, 2 und 3 Register] Es scheint möglich,
dass Gillebertus der Zeuge Gisilbertus praepositus des auf
1195 datierten Grundstückstausches zwischen dem Rupertsberg und St.
Servatius in Maastricht ist, obwohl sich dies mit den vorgenannten Daten
nicht verträgt. [163 MRUb 2, Nr. 144; Registrum bonorum S.
94–96.] Wezelin erscheint nicht in den für mittelalterliche Memorialüberlieferung
wenig ergiebigen Anniversarienaufzeichnungen von St. Andreas aus dem 17.
Jahrhundert, [164 Hist. Archiv d. Stadt Köln, Bestand 201,
8A, wo als vermutlich ältester Stiftsgeistlicher erst der Nachfolger
seines Neffen, der bis 1220 belegte Propst Theodoricus, unter September
11 erscheint.] wohl aber im Rupertsberger Nekrolog unter November 26. [165
Nekrologium
S. 4, Eintrag von später Hand!] Angeblich starb er im Jahre 1185,
in dem auch Giselbert gestorben sein soll. [166 Hildephonse Herwegen,
Les Collaborateurs de sainte Hildegarde, in: RevBénéd 21
(1904), S. 192–203, 302–315, 381–403, hier S. 390f., unter Bezug auf Jost,
Sancta Colonia. Die Gotteshäuser und Seelsorger in dem Decanate der
Stadt Köln. Heft 13–16, p. 360.] Ob dies mit dem oben zitierten Brief
Guiberts an Radulf zusammengeht?
Wezelin wird nicht ohne Grund eine maßgebliche
Rolle bei der Entstehung des Wiesbadener „Riesenkodex“ mit Werken und Briefen
der gerade verstorbenen Hildegard zugeschrieben. [167 Schrader/Führkötter,
Echtheit… S. 177ff.] Eine Merkwürdigkeit bleibt es, dass Wezelin ca.
1173 vom Papst mit der Untersuchung der Differenzen zwischen Hildegard
und dem Kloster Disibodenberg beauftragt wurde. [168 CCCM 91, Epist.
XR ] Alexander III. wusste gewiss, dass er einen Verwandten Hildegards
mit seinem geradezu ultimativen Schreiben ausstattete; die daraufhin durch
Wezelin erreichte Berufung Gottfrieds als Propst auf dem Rupertsberg entsprach
sicherlich dem Wunsch Hildegards als zweitbester Lösung. Sie
wollte wohl Wezelin und dieser wäre es wohl auch gerne geworden. Der
Brief des Papstes schaltete ihn wohl bewusst als Kandidaten aus.
Es darf hier noch vermerkt werden, dass weder cognatus
noch nepos eindeutige Bezeichnungen sind, letztere bezeichnet nicht nur
Enkel und Neffen, sondern jeden deutlich jüngeren Verwandten, der
kein Bruder ist. Es kann angenommen werden, dass das Kapitel von St. Andreas
in Köln in jenen Jahrzehnten von einer Familie, bzw. Sippe majorisiert
wurde, deren geistliche Angehörige sich in die Pfründen wählten
und für die Aufnahme von Nepoten sorgten, und deren weltliche Angehörige
dort in Amt und mit Besitz erscheinen, wo St. Andreas seine Besitzschwerpunkte
hatte.
St. Andreas besaß nicht nur durch erzbischöfliche
Schenkung das Patronat in Bacharach, sondern auch Güter und Rechte
in Ockenheim. [169 Franz Staab, Ockenheim im Früh- und Hochmittelalter.
Von der Vielzahl der Grundherren zur Mainzer Ortsherrschaft, in: Der Jakobsberg.
Berg – Wallfahrt – Kloster – Aus Ockenheim, hrsg. von den Benediktinermissionaren
Jakobsberg (Beitrr. z. G. d. Gau-Algesheimer Raumes 21) o. J. (1987), hier
S. 182ff. – Der Übergang dieser Güter und solchen in Engelstadt
und Stadecken an das Mainzer Mariengredenstift ist auch belegt durch eine
Urkunde von 1301 Januar 1 im Historischen Archiv der Stadt Köln (201/1/57).
Schon 1220 waren Güter in Herlisheim (Herrnsheim), „welche ihnen zu
entlegen waren“, an Kloster Neuhausen bei Worms für 500 Mark verkauft
worden.] Gerade hier ist ein Zentrum der Schenkungen und Käufe für
den Rupertsberg. Das kann kein Zufall sein. Offen muss freilich bleiben,
ob die Güter von St. Andreas von den um dieses Stift zentrierten Familien
stammen, als Mitgift der Kanoniker etwa, und die Schenkungen an den Rupertsberg
quasi einem Nebenkloster dieser Familien galten, um Töchter auszustatten,
oder ob es sich um Kölner Fernbesitz aus der MEROWINGER-Zeit
handelt, der an das Stift übertragen wurde, und von dem die Familien,
aus denen die dortigen Stiftsherren und natürlich auch die Vögte
stammten, sich große Teile aneignen konnten, die sie später
teilweise wieder verschenkten, nämlich an den Rupertsberg. Für
alten Kölner Fernbesitz sprechen die Argumente Staabs. Wenn er offen
lässt, ob die dortigen Güter der Markgräfin Richardis aus
Sponheimer Vogteigut Prümer [170 Dass die Sponheimer Vögte
Prüms ausgerechnet in Ockenheim waren, ist nirgends belegt.] oder
Magdeburgischen Ursprungs sind, macht er deutlich, wie schwierig es ist,
Besitzgeschichte und Genealogie eindeutige Aussagen abzuringen. Selbst
die Unterscheidung zwischen fernen Großbesitzern, für die das
jeweilige Schenkungsgut einen abgelegenen Streubesitz bildet, und Ortsansässigen
ist nicht immer möglich. In unserem Fall müssen wir wohl in das
Spiel mit den vielen Unbekannten auch noch die dem Stift St. Andreas Nahestehenden
miteinbeziehen.
Jedenfalls lässt sich vermuten, dass schon Erzbischof
Arnold I. (†1151) von Köln, der zuvor Propst von St. Andreas war,
aus dieser Groß-Familie stammte, die auch mit Hildegard verwandt
oder zumindest verschwägert war.
5.3 Prior Anselm von Sponheim, ein Phantom
Zwei Passagen der Sponheimer Chronik [171 Trithemius, Chronicon…, S. 248 und 256. Zum übrigen vgl. K. H. May (wie Fußnote 6666)] beschäftigen sich mit einem Anselm, der 43 Jahre lang dort Prior gewesen und 1179 Dezember 21 gestorben wäre. Er wird geradezu als Vorbild eines Benediktiner-Priors beschrieben, als gut, mild, umgänglich und auf Disziplin bedacht, und vor allem: bibliothecam non mediocriter auxit. Beim ersten Eintrag weiß Trithemius, dass Anshelmus … de militare genere natus in Bickelnheim sei, im zweiten nennt er ihn dazu noch cognatus s. Hildegardis. Wolfgang Treffler, Freund und Briefpartner des Trithemius, gestorben 1521 als Mönch und Bibliothekar des Klosters St. Jakobsberg vor Mainz, hat die Nachricht in das dortige Nigrologium(!) einfließen lassen. Solange dieser Anselm nicht irgendwie und irgendwo bestätigt wird, halte ich ihn für eine Ausgeburt des Trithemius.
5.4 Hildegard eine Spanheimerin?
Es hat nichts zu sagen, daß S. Hildegartein
Schachbrett-Wappen (mit einem Kessel im Freiviertel) zugeschrieben wird.
Es geschieht dies in einem Holzschnitt in einem Druck von 1524 [172
Köbel,
Die Legende des heiligen Ruprecht, Oppenheim 1524, Neudruck Mainz 1887.],
wo dem Heiligen Ruprecht – genauso anachronistisch und unzutreffend – das
Wappen der Herzöge von Lothringen (drei Adler im Schrägbalken)
beigegeben ist. Beides geht auf Angaben des Trithemius zurück.
Abgesehen von der engen Verbindung zu ihrer „Magistra“
Jutta und dem Auftreten Hildeberts in drei Urkunden Meinhards von
Spanheim gibt es so gut wie keine direkten Beziehungen zur naheländischen
Grafenfamilie, die auch nicht, wie Trithemius behauptet, der Gründung
Hildegards
reiche Schenkungen machte.
Alle späteren Beziehungen Hildegards gehen
eindeutig zum Magdeburger Zweig der SPANHEIMER Gesamtfamilie: Die Schenkungen
der Markgräfin Richardis, die Aufnahme von deren Tochter Richardis
und deren Enkelin Adelheid, vermutlich auch die – möglicherweise verwandtschaftlichen
– Beziehungen zu Erzbischof Heinrich und zu den Hildesheimer Vicedomini.
Dass Graf Gottfried von Spanheim Zeuge bei zwei Urkunden für den Rupertsberg
steht, sagt wenig darüber, ob er ihm nahestand. Beschenkt hat er es
jedenfalls nicht.
5.4.1 Hiltrudis und Ida, Erfindungen des Trithemius
Die neuste Genealogie der SPANHEIMER [173 Mötsch,
Genealogie …, S. 65ff., kennt noch nicht die Vita domnæ Juttæ
inclusæ, sowie einzelne weitere, bisher unbeachtete Quellenhinweise.
Die Frühgeschichte der SPANHEIMER ist ein äußerst dankbares
Thema, ich habe dazu schon sehr viel Material gesammelt und will es in
absehbarer Zeit publizieren.] zeugt von großer Skepsis gegenüber
den Angaben des Trithemius. Dass Hiltrudis, Nonne auf dem Rupertsberg und
Vertraute Hildegards, Tochter des Grafen Meinhard, eine Erfindung
des Trithemius sei, wird für sie „fast zur Gewissheit“. [174
Mötsch, Genealogie… S. 79.]
Das selbe gilt für eine Ida, die Trithemius 1189
Nonne auf dem Rupertsberg werden und in einer Vision in den Himmel geraten
lässt, aber auch ihre Schwester Margarete von Hohenfels, die lange
Jahre Priorin auf dem Rupertsberg gewesen sein soll.[175 Mötsch,
Genealogie… S. 89, Trithemius/Velten, S. 31.]
Ein mäßiger Ersatz für die vielen Streichungen
in der Stammtafel (S. @@) eine abgeschlankte) ist Juttas und Meinhards
Nichte Jutta (et cum alia Christi famula sibi equiuoca inferioris generis,
nepte tamen sua). [176 s. Fußnote 23232323.] Die Formulierung
der Jutta-Vita weist auf die ambivalente Rangstellung der frühen SPANHEIMER
hin. Zur Herkunft des Stammvaters Stephan gibt 7.2.2.67.2.2.67.2.2.67.2.2.6
Diskussionsargumente, andere Hinweise zur Familie in 6.56.56.56.5.
5.4.2 Beziehungen zum Kloster Sponheim
Genausowenig gab es engere Beziehungen Hildegards und
des Rupertsbergs zum Hauskloster der mittelrheinischen SPANHEIMER, Sponheim.
Trithemius behauptet, dass 1202 der Mönch Petrus von Bingen, abgesetzter
Prior in Sponheim, auf Wunsch Erzbischof Siegfrieds II. und des Rupertsberger
Konvents vom Sponheimer Abt zum Propst eingesetzt worden wäre. [177
Trithemius/Velten,
S. 34, Nachfolger 1226 der Sponheimer Mönch Johannes, ebd. S. 40.]
Das ist genauso unglaubhaft wie die Behauptung, dass 1208 der Abt von Sponheim
einen Streit um die Wahl der Meisterin entschieden habe. [178
Trithemius/Velten,
S. 35.] 1224 soll dann mit der Aufnahme von Sponheimer Inklusen der Rupertsberger
Konvent bei Erzbischof Siegfried durchgesetzt haben, dass er dem Abt von
Sponheim unterstellt wird. [179 Trithemius/Velten, S. 40.]
Nichts von alledem darf man als historische Tatsache
ansehen.
6 Förderer und Weggenossen Hildegards
6.1 Bischof Otto (der Heilige) von Bamberg
Seine Beziehungen zu Hildegard sind über Jutta
von Spanheim vermittelt, deren Eintritt in das Kloster Disibodenberg er
protegierte. Er stand offensichtlich Juttas Eltern (verwandtschaftlich?)
nahe. Bischof Otto steht auch den Kärntner SPANHEIMERN nahe, er baute
Kapellen im Lavant- und im Kanaltal [180 MG SS 12, 909 und S. 836]
und vertauscht (1111–1122) mit Erlaubnis
Kaiser
HEINRICHS V. dem Spanheimer Hauskloster St. Paul durch die Hand
des Grafen Heinrich das Gut „Bischofdorf“. [181Monumenta historica
Ducatus Carinthiae III (811–1202), hg. August von Jaksch, 1904, Nr. 543.]
Seine genaue genealogische Zuordnung ist bisher noch
nicht gelungen; seine Mutter als STAUFERIN
zu bezeichnen, wie es Decker-Hauff [182 H. Decker-Hauff, Das Staufische
Haus, in: Die Zeit der Staufer, Geschichte, Kunst, Kultur. Ausstellungskatalog
(1977) 3, S. 339ff. Zahlreiche seiner sich pauschal auf angebliche Lorcher
Aufzeichnungen berufenden Behauptungen haben sich als Trithemiaden des
20. Jahrhunderts herausgestellt, vgl. Klaus Graf, Staufer-Überlieferungen
aus Kloster Lorch, in: Von Schwaben bis Jerusalem, Facetten staufischer
Geschichte, hg. Sönke Lorenz und Ulrich Schmidt, 1995, S. 237ff.]
tut, wirkt willkürlich. Als seine Brüder begegnen ein Landfried
und ein zuletzt als Mönch belegter Luitfried sowie ein Friedrich „von
Mistelbach“. Die Namenkonstellation Otto und Friedrich weist meiner Meinung
nach eher ins Andechser Haus, das so viele Bischöfe von Bamberg stellte
(meistens des Namens Otto). Eine neuere Untersuchung hierzu kenne ich nicht.[183
Vgl.
Klaus Guth in: Bautz, Biograph.-Bibliograph. Kirchenlexikon 6, Sp. 1368ff.
]
6.2 Erzbischof Heinrich von Mainz und seine Verwandtschaft
Einer der engsten Mitarbeiter (und wohl auch ein Verwandter)
von Erzbischof Adalbert I. ist Heinrich, 1122 belegt als Propst von St.
Victor (dessen Vögte möglicherweise schon damals die Saarbrücker
Grafen waren), 1128 als Dompropst. 1142 wurde er Erzbischof. „Heinrich
gehörte zwar auch dem Dynastenadel seiner Herkunft nach an, aber seine
Familie, die auch nach der thüringischen Wartburg ihren Namen hatte,
konnte sich an Bedeutung keineswegs mit dem Saarbrücker Hause und
den wirklich großen Fürstengeschlechtern der Zeit messen.“ [184
Heinrich
Büttner, Erzbischof Heinrich von Mainz und die Staufer, in: ZKG, 4.
Folge, 69 (1958), S. 247ff, hier S. 249.] Diese Definition scheint mir
voreilig gezogen. Heinrich muß nicht ein weiterer Bruder der zwei
von ihm als seine Verwandten genannten und gewiß eng vertrauten gräflichen
Brüder von Wartburg gewesen sein.
Erzbischof Heinrich war nach zeitgenössischen Quellen
(zumeist eigenen Urkunden) verwandt mit seinem Nachfolger als Propst von
St. Viktor, Gerlach/Gerlaus, der auch Domdekan war (1144-1151) [185
Bis
jetzt anscheinend noch nicht genealogisch eingereiht. Der Name läßt
auf einen ISENBURGER schließen. Aber auch die Gerlache in unserer
Urkundenreihe (3.2.13.2.13.2.13.2.1 und 2) könnte man zu ihm stellen.],
sowie mit einer Frideruna von Grumbach (Frau und Mutter eines Markward)
und den Grafen Wigger/Wicker und Gottfried von Wartburg, die Brüder
waren. Die Wartburger gelten, ohne dass eine Filiation vorgeschlagen wird,
als Agnaten der Grafen von Bilstein an der Werra [186
Karl Kollmann,
Die „Grafen Wigger“ und die Grafen von Bilstein (Diss. Göttingen 1978),
1980.]; diese wiederum sind wohl mit den im Westerwald mächtigen Grafen
von Bilstein eng verwandt. [187 Hellmuth Gensicke, Landesgeschichte
des Westerwaldes (VeröffHistKommNassau 13), 19582, §36 (S. 133ff).]
Dazu kommt, daß Erzbischof Heinrich – ebenso wie sein Vorgänger
– mit Propst Ludwig von St. Peter verwandt ist. [188 Noster cognatus
nennt ihn Erzbischof Heinrich im Sommer oder Frühherbst 1149 (MzUb
2, Nr. 123), kurz vor Ludwigs Tod. – Erzbischof Adalbert II. hatte nach
seiner Ernennung 1138 die von ihm seit 1130 innegehabte Propstei St. Peter
in Mainz seinem consanguineus Ludwig überlassen (MzUb 2, Nr. 12).
Es handelt sich bei diesem Ludwig, den wir aus einer Trierer Quelle als
einen ISENBURGER kennen (wenn es sich bei dem abgelehnten Kandidaten für
St. Florin wirklich um den Propst von St. Peter handelte), um einen Enkel
Ludwigs II. von Arnstein. Eine Verwandtschaft der ARNSTEINER mit den Grafen
von Saarbrücken ist ihrerseits sehr wahrscheinlich, folglich dürfte
die zwischen Adalbert II. und Propst Ludwig über dessen Arnsteinische
Mutter laufen, s. J. Heinzelmann, Ludwig von Arnstein und seine Verwandtschaft…,
in: GenealJb 33/34 (1993/94), S. 261ff. und ders., Nachträge zu Ludwig
von Arnstein…, in: GenealJb 36 (1996), hier S. 71f.] Seiner Verwandten
Frideruna half 1147 er bei der Gründung des Klosters Ichtershausen.
Er war überhaupt ein intensiver Förderer der
Klöster; Hildegard erhielt von ihm nicht nur kirchliche Unterstützung
bei der Gründung „ihres“ Klosters. Er hatte sie spätestens 1143
bei der Schlussweihe der Disibodenberger Kirche kennengelernt (s. 2.2.12.2.12.2.12.2.1).
Er schenkte omni iure, quo ad episcopalem manum respiciebat ihrer
Klostergründung auch die Mühlstatt Mulenwert im Rhein,
die erstaunlicherweise weder im Registrum bonorum noch in späteren
erzbischöflichen Bestätigungen erscheint. [189 MzUb 2,
Nr. 175.] Sie setzte sich gegen seine Absetzung ein.[190 MzUb 2,
Nr. 193ff. ]
Aus einer noch nicht abgeschlossenen Untersuchung über
Erzbischof Heinrichs Verwandtschaft ziehe ich hier nur die für den
Rupertsberg wichtigen heran:
6.2.1 Frideruna und Markward „von Grumbach“
Da der Name Frideruna bei den BILSTEINERN offensichtlich in zwei Generationen vorkommt, ist es nicht gewagt, die Frideruna von Grumbach, die eine Verwandte von Erzbischof Heinrich war, mit diesem über die BILSTEINER verwandt sein zu lassen. Dies wird dadurch bestärkt, daß ihr zweiter Sohn Otto sich nach Wiggershausen benannte, einem Ort, der unzweifelhaft nach einem Wigger benannt wurde, was ein Leitname der „BILSTEINER“ war. Diese ihre Herkunft ist bisher von der Forschung über die Grumbacher nicht behandelt worden. [191 Friedrich Hausmann, Die Edelfreien von Grumbach und Rothenfels, in: Festschr. Karl Pivec (Innsbrucker Beitrr. z. Kulturwissenschaft 12), 1966, S. 167 - 199, dort frühere Literatur; Hans Jänichen, Herrschafts- und Territorialverhältnisse um Tübingen und Rottenburg im 11. und 12. Jahrhundert. 1. Teil : Die freien Herren (Schrr. z. swdt. LdKde 2), 1964, 10f., 37ff. u. 44, Stammtafel 3.] Das heißt dann wohl auch, daß Markward (II.) von Grumbach seine engen Beziehungen zu König KONRAD III. über Erzbischof Heinrich angeknüft haben dürfte…
6.2.1.1 Bernhard, Bischof von Hildesheim
Zu Friderunas Verwandtschaft gehört aber auch Bischof
Bernhard von Hildesheim, der ihr 1133 Juli 3 Reliquien des Hl. Godehard
überließ. Seine Familienzugehörigkeit ist nicht unbekannt,
wie einige Forscher schreiben. [192 Wolfgang Heinemann, Das Bistum
Hildesheim im Kräftespiel der Reichs- und Territorialpolitik vornehmlich
des 12. Jahrhunderts (QDarstGNS 72) 1968, S. 129f.] Bernhard war ein Bruder
des Propstes Lambert von Neuwerk (in Halle) [193 Lutz Fenske,
Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen
(Veröff MPI f. G 47), 1977, S. 367ff. vor allem nach der Vita Lamberti
praepositi monasterii Novi operis MG SS 30, 2, S. 947ff.; Die Hildesheimer
Bischöfe von 815 bis 1221 (1227), bearb. v. Hans Goetting, Germania
sacra NF 20, 3, S. 339ff.], als dessen weltliche Brüder Swidhardus,
Opertus,
Everardus genannt sind, viri tam divitiis quam saeculari gratia
pollentes. Opertus’ Tochter Eveza war mit Graf Heinrich von
Bodenburg vermählt. Sehr viel weiter führen diese Angaben freilich
nicht.
Bernhard war seit etwa dem Beginn des Jahrhunderts bis
1119 Oktober Leiter der hochangesehenen Hildesheimer Domschule, in der
damals der spätere Mainzer Erzbischof Adalbert II. studierte; dann
wurde er Dompropst, 1130 Bischof. Er erblindete bald nach 1144. Er wurde
(wie Heinrich I. von Mainz) auf Betreiben FREIDRICH
BARBAROSSAS 1153 (zwischen April 23 und Juni 7) abgesetzt (oder
seine Resignation wurde akzeptiert) und starb bald danach (1153 Juli 20).
Bernhard förderte die Verehrung des dann auch heiliggesprochenen Amtsvorgängers
Godehard, dem Erzbischof Adalbert II. 1135/36 die bischöfliche Hofkapelle
am Mainzer Dom weihte und von dem Frideruna für ihre Klostergründung
Reliquien erhielt.
Man bringt Bischof Bernhard – ohne echte Beweise, aber
doch nicht willkürlich – auch mit den vicedomini von Hildesheim (s.
6.36.36.36.3) zusammen, die von 1108 bis 1154 mit zwei Bernhard auftreten,
später auch Grafen von Wassel genannt werden. Der zweite heiratete
(etwa 1130) eine Fritherun, Erbtochter der Edelherren von Veckenstedt.
[194
Georg Bode, Das Erbe der Edelherren von Veckenstedt und der
Vicedomini von Hildesheim, Grafen von Wassel. Eine familiengeschichtliche
Studie. In: ZHarzV 43 (1910), S. 1ff. u 61ff.] Deren Großmutter Frideruna,
eine Tochter Kunos von Wippra, war c. 1070 die Gattin Walos (I) de Vakenstide.
Unsere Friderun(a) vererbte neben thüringischen
Gütern zumindest solche in Franken und Schwaben. Da ihr Gatte Markward
(I.) 1099 bis 1113 in Urkunden vorkommt und sie erst an einem 23. Januar
zwischen 1149 und 1157 gestorben ist, dürfte ihre Heirat nicht lange
vor 1099 gelegen haben.
Eine comitissa Friderun, Witwe eines (Grafen)
Stephan, und eine illustris matrona Friderun, Verwandte Erzbischof
Friedrichs I., dürfen nicht zu genealogischen Schlüssen verleiten.
Sie sind Schimäre, weil Erfindung des Fälschers Schott [195
MzUb
1, Nr. 359 und II, 610.]; fast denkt man, er hätte sie wegen der hier
diskutierten genealogischen Zusammenhänge konstruiert.
6.3 Die Hildesheimer Vicedome und Bischof Hermann
Das Gelände am Rupertsberg war bestenfalls zum Teil
Besitz von Kanonikern der Mainzer Kirche gewesen. [196 Vita I, 5,
44ff. – Maria Laetitia Brede(IBMV), Die Klöster der Heiligen Hildegard
· Rupertsberg und Eibingen, in: Hildegard von Bingen 1179–1979.
Festschr. z. 800. Todestag der Heiligen, hg. v. Anton Ph. Brück (QAmrhKG
33), Mainz 1979, S. 77, meint irrtümlich, Hermann sei Propst von Heiligkreuz
in Mainz gewesen.] Ob die Vita damit den oder die Brüder Hildegards
meint? Die Schenkungen in Bingen sind nur teilweise mit den Namen der Schenker
belegt. Oder gab es einen besonderen Förderer, der einen Grundstock
zusammengekauft hatte, etwa Pfalzgraf Hermann oder Erzbischof Heinrich?
Der zentrale Teil mit der Kirche gehörte jedenfalls zwei Brüdern,
Hermann, Propst vom heiligen Kreuz in Hildesheim, ab 1161 Bischof ebendort,
und Graf Bernhard, Vicedom von Hildesheim; dieser war bei der Beurkundung
der Schenkung bereits verstorben. Den unmündigen Neffen des Propstes
Hermann wurden gewiss dem Wert der Liegenschaft nicht entsprechende 20
Marcae
gezahlt,
eher eine Anerkennungsgebühr für den Verzicht auf das Verwandten
zustehende Anfechtungsrecht. [197 Außer in der Bestätigungsurkunde
von 1158 und im Registrum bonorum begegnet die Transaktion auch
in Hildegards Vita S. Ruperti: „Nur noch einige wenige Weinberge
gehörten damals [1147] zu dieser Kirche, und solche kauften wir mit
unserem Geld von dem Herrn Hermann, Bischof von Hildesheim, und seinem
Bruder, dem edlen Manne, Bernard mit Namen…“ (Übers. in: P. Bruder,
St. Rupertus Büchlein, 1882, S. 44.) Hildegard
weiss also,
dass der (Mit-)schenker mittlerweile Bischof geworden war, und nennt seinen
Bruder, das Registrum bonorum unterschlägt den Bischof ganz, vielleicht
weil nur eine Unterlage über die 1158 bereits vollzogene Abfindung
für die Erben vorlag, oder weil es nach des Bischofs Tod nur noch
auf den vorweggenommenen Verzicht seiner Erben ankam.] Bischof Hermann
war Bernhards (I.) dritter Sohn. Er starb auf der Rückreise von einer
durch Schiffbruch und andere Unglücke überschatteten Pilgerreise
1170 Juli 10 in Susa.[198 Die Hildesheimer Bischöfe … Goetting…
S. 400ff.; Meier, Domkapitel … (Fußnote 90909091), S.96 u. ö.]
Die Vicedomini von Hildesheim, die sich später nach
dem Ort Wassel nannten, erscheinen mit einem Bernhard (I.) 1108 [199
Bode,
Erbe …, S. 1ff.; Heinemann, Bistum Hildesheim …, S. 326f und 84ff.] und
hatten im Bistum die Stellung des Hochvogts. Wegen der Binger Besitzungen
vermutete man schon ihre Herkunft vom Rhein. Die Diskussion dürfte
mit der Darstellung Petkes abzuschließen sein. [200
Wolfgang
Petke, Kanzlei, Kapelle und königliche Kurie unter Lothar III. (1125–1137)
(Forsch. z. Kaiser- und PapstG. des MA. Beihh. zu J. F. Böhmer, Regesta
Imperii 5), 1985, vor allem S. 398ff.] Danach haben „eher die nicht bekannte
Gemahlin oder eine Vorfahrin Bernhards I.“ den nicht allzu bedeutenden
rheinischen Besitz auf Bernhards Söhne vererbt. Wahrscheinlich stammt
aus gleicher Quelle auch der Name des dritten Sohnes, des späteren
Bischofs Hermann. Besitz- (die benachbarten Güter in Bingen) und Namensvererbung
legen also eine Spur zu den spanheimischen Burggrafen von Magdeburg.
Zu den rheinischen Verbindungen Bernhards (I.) gehört
auch sein zweimaliges Intervenieren für das Kölner Kloster St.
Pantaleon bei Güterübertragungen aus Bopparder Ministerialenfamilien
(Roricus! Cezolfus!) [201 Theodor Josef Lacomblet, Urkundenbuch
für die Geschichte des Niederrheins I, Nr. 304 und 313. MG D LIII
Nr.16 und 40.] Wenn wir bedenken, dass Vögte von St. Pantaleon
[202 Hans Joachim Kracht, Geschichte der Benediktinerabtei St. Pantaleon
in Köln 965–1250 (Studien z. Kölner KG 11) 1975, S. 126: Die
Herren von Wevelinghoven als Untervögte belegt 1141-66, die Grafen
von Kessel, als (rechtsrheinischer?) Obervögte 1141-66. s. 5.15.15.15.1.]
auch unter den Schenkern für den Rupertsberg begegnen, wird man dies
nicht für ganz zufällig halten.
6.4 Die Äbtissinnen Richardis und Adelheid
6.4.1 Richardis von Stade, Äbtissin von Bassum
Von allen Biographen behandelt wird das Verhältnis
Hildegards
zu ihrer Schülerin und Vertrauten Richardis, weil es für Hildegards
Ansprüche an ihre Umgebung auch in menschlicher Hinsicht höchst
charakteristisch ist.
Richardis war die Tochter der (Mark-)Gräfin Richardis
von Stade, der Erbin des spanheimischen Burggrafen Hermann von Magdeburg,
die Hildegards Gründung sehr förderte. Möglicherweise
lebte die verwitwete Markgräfin von Stade in ihren letzten Lebensjahren
vor ihrem Tod 1151 auf dem Rupertsberg, was Staab [203 Staab, Ockenheim…
S. 206, Anm. 61.] zwei Mainzer Nekrolog-Einträgen Richardis de
sancto Ruperto zum September 17 entnimmt. Freilich will dazu Hildegards
Brief an sie nicht recht passen. [204 Schrader/Führkötter,
Echtheit… S. 135] Chronologisch mag man noch hinnehmen, dass Tod und Brief
auf 1151 zu datieren sind, die Ernennung der jungen Richardis dann auf
spätestens Anfang September gesetzt werden müsste. Aber wieso
schreibt Hildegard einer alten, kranken Konverse im eigenen Haus?
Wieso schreibt sie ihr auf Latein? Sind ihre Briefe nicht als Mitteilungen
sondern als literarische Erzeugnisse anzusehen? Ich ziehe es vor, die Richardis
de sancto Ruperto zum September 17 für eine Dritte, eine
Nonne, zu halten, für die des Namens halber gleichfalls Magdeburg/Spanheimer-Abstammung
wahrscheinlich ist, und das Datum nicht auf 1151 in die Rekonstruktion
der Vorgänge um die junge Richardis einzubeziehen. Zu erwägen
ist auch, ob diese durch die Berufung nach Bassum nicht auch der dem Tode
nahen Mutter in Nord-Niedersachsen näherkommen sollte. Sie wäre
von ihr getrennt worden, wenn die Mutter auf dem Rupertsberg gelebt hätte.
Die junge Richardis kann spätestens 1125 geboren
sein, da ihr Vater Rudolf 1124 Dezember 6 starb. Sie war 1130 noch nicht
mündig. [205 Hucke, Stade, S. 36.] 1141 war sie bereits Vertraute
und Mitarbeiterin Hildegards, die sie in der Einleitung des Scivias
„eine adlige Dame, Tochter der genannten Markgräfin“ nennt. Wohl 1151
oder Anfang 1152 wird sie zur Vorsteherin des fernen Klosters Bassum ernannt,
auf Vermittlung von Erzbischof Heinrich und ihres Bruders Hartwig, Erzbischofs
von Bremen, vor allem aber wohl auf Drängen ihres Schwagers Hermann
von Winzenburg, gegen den Wunsch Hildegards. Der WINZENBURGER ist
jener Graf Hermann, den Hildegard in ihrem Schreiben an Erzbischof
Hartwig nennt, und wohl auch der quidam horribilis homo, von dem
sie im gleichen Brief spricht [206 CCCM 91, Epist. XII, Zeile 37,
bzw. 13ff. Gewiss ist es nicht der rheinische Pfalzgraf Hermann, wie Führkötter,
Briefwechsel, S. 97 meint.]. Damit haben wir aber einen Terminus ante quem
für Brief und Vorgänge: Spätestens Mitte Februar 1152 wird
Hildegard von der Ermordung Hermanns erfahren haben.
Die junge Richardis starb freilich bald, was Hildegard
beinahe wie eine Strafe des Himmels beschreibt. Erzbischof Hartwig berichtet
den Tod seiner Schwester in einem Brief an Hildegard (IV Kal.
Nov. obiit). [207 CCCM Epist. XIII, datiert „a. 1152“, Führkötter
zieht überzeugend die Reichsversammlung in Würzburg im Oktober
1152 zur Datierung heran.] Richardis starb also schon 1152. [208 Hucke,
Stade, S. 54, setzt „etwa 1154“ an.]
6.4.2 Adelheid von Sommerschenburg, Äbtissin von Gandersheim und Quedlinburg
Bei Hildegard erzogen wurde auch Adelheid, die
Tochter des Pfalzgrafen Friedrich II. von Sommerschenburg und der Liutgard
von Stade. [209 Hucke, Stade, S. 55ff.; Heinz-Dieter
Starke, Die Pfalzgrafen von Sommerschenburg (1088-1179), in: JbGMitteldtld
4, 1955, S. 1 ff.] Liutgard war wie
Richardis eine Tochter des Markgrafen Rudolf von Stade und der Gräfin
Richardis von Spanheim(-Magdeburg). Ihre 1130 oder wenig später geschlossene
Ehe mit dem sächsischen Pfalzgrafen wurde spätestens 1144, angeblich
wegen zu naher Verwandtschaft geschieden. Darauf heiratete sie den
Dänen-König Erik Lam, und nach dessen 1146 August
27 (als Mönch!) erfolgtem Tod den Grafen Hermann II. von Winzenburg,
mit dem zusammen sie 1152 in der Nacht von Januar 29 auf 30 ermordet wurde.
Es scheint, dass Luitgard einen nicht
gerade vorbildlichen Lebenswandel führte. [210 Hucke, Stade,
zitiert Saxo grammaticus: natu quidem nobilem, sed non tam pudicitia quam
parentela conspicuam.] Jedenfalls übergab sie ihre kleine Tochter
Adelheid nach der Trennung ihrer ersten Ehe ihrer Mutter Richardis, die
wie schon die Tochter Richardis nun auch die Enkelin zur Erziehung (und
wohl auch zur Vorbereitung auf den geistlichen Stand) Hildegard
anvertraute.
Auch Adelheid zog 1147/48 mit Hildegard auf den
Rupertsberg. 1152/53 wurde sie zur Äbtissin von Gandersheim gewählt
oder bestimmt. Bis zu seiner Ermordung war nämlich ihr Stiefvater
Hochvogt des reichsunmittelbaren Stifts, danach wurde ihr leiblicher Vater
von Kaiser FRIEDRICH BARBAROSSA zum
Hochvogt von Gandersheim bestimmt. [211 Germania Sacra, NF 7: Die
Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Hildesheim 1: Das reichsunmittelbare
Kanonissenstift Gandersheim, bearb. v. Hans Goetting, 1973, S. 232.] Ende
1152/Anfang 1153 wurde sie von Bischof Bernhard von Hildesheim [212
Zu
seiner Verwandtschaft mit dem Mainzer Erzbischof Heinrich s. 6.26.26.26.2]
geweiht und leistete ihm den Oboedienzeid. Hildegard erlaubte ihr
die Übernahme der Würde und stand mit ihr bis 1167 in Briefwechsel.
[213 Schrader-Führkötter, Echtheit, S. 96, 138ff.] Da
hatte Adelheid (zwischen 1160 Juli 3 und 1161 Juli 2) bereits auch die
Leitung des Reichsstifts Quedlinburg übernommen, wo sie danach hauptsächlich
residiert zu haben scheint. Ihr Vater war Vogt auch dieses Klosters. Sie
stellte die Stiftskirche Gandersheim nach dem dritten Brande wieder her,
die Weihe spendete 1168 Bischof Hermann von Hildesheim, der Vorbesitzer
des Rupertsbergs, unter Assistenz von Erzbischof Hartwig von Bremen, dem
Onkel der Adelheid, und drei weiteren Bischöfen. Nach dem kinderlosen
Tode ihres Vollbruders, des Pfalzgrafen Adalbert, erbte sie 1179 als Letzte
ihres Geschlechts den Allodialbesitz der SOMMERSCHENBURGER, den sie an
das Erzstift Magdeburg verkaufte. Sie starb 1184 Mai 1.[214
Goetting,
Gandersheim, S. 304ff.]
6.5 Erzbischof Philipp von Köln (1167–91)
Ich schließe hier gleich ihren Vetter an, der zu
hohen geistlichen Ehren kam und große Liebe zu Hildegard empfand,
wie es nicht zuletzt sein herzlicher Briefwechsel mit ihr (schon als Domdekan
[215 CCCM 91, Epist. XV „a. 1163 (?)“: quia maternam pietatem uestram
diligimus… Vgl. Schrader-Führkötter, Echtheit, S. 131 u. ö.])
und mit Guibert von Gembloux bezeugt, mehr noch die Tatsache, dass er immer
wieder die Begegnung mit ihr suchte. Für Hildegard war er fidelis
amicus meus. [216 AASS 668, Nr. 168]
Adelheids gleichnamige Tante väterlicherseits Adelheid
von Sommerschenburg war nämlich verheiratet mit Goswin (II.) von Heinsberg.
[217 Starke, Pfalzgrafen von Sommerschenburg …, S. 24.] Deren Kinder
waren Gottfried, Erbe des väterlichen Besitzes, Goswin, 1158–68 kaiserlicher
Podestà in italienischen Grafschaften, ein Kleriker Hermann, die
Töchter Uda, Mechthilde, Salome, Hezela und Gertrud, und eben der
auf Wunsch BARBAROSSAS zum Kölner
Erzbischof gewählte Philipp.
Dieser war also durch seine Mutter mit den Magdeburger
SPANHEIMERN nah verschwägert. Durch seinen Vater könnten aber
auch Beziehungen zu den rheinischen SPANHEIMERN bestanden haben. Bei den
frühen Herren von Heinsberg setzen die Genealogen die seit 1051 vorkommenden
Belege mit dem Namen Goswin in immer wieder verschiedene Konstellationen.
Entweder gehört der 1124 Juni 7 (s. 3.2.23.2.23.2.23.2.2, Urkunde
V.) als Senior des Hauses SPANHEIM und Vogt des Klosters belegte Graf (!)
Goswin irgendwie dazu, oder diese Goswine kommen aus den Niederlanden.
(Ich tendiere eher für ein Sowohl-als auch als ein Entweder-Oder.)
In alle Richtungen muss näher untersucht werden, auch die Tatsache,
dass Erzbischof Philipp ebenso mit Graf Balduin V. vom Hennegau blutsverwandt
gewesen sein soll wie es in der gleichen Quelle von den SPANHEIMERN auf
Sponheim behauptet wird, wobei bisher nur Verschwägerungen zur Erklärung
der Blutsverwandtschaft angeboten wurden. [218 Gisleberti
chronicon Hannoniense. MG SS 21, S. 539 und 537. Hierzu Mötsch, Genealogie…,
S. 84f.]
Festzuhalten ist in unserem Zusammenhang, dass der junge
Philipp von Heinsberg erzogen wurde von Gottfried, Scholasticus an S. Andreas
in Köln, der später Mönch in Heisterbach unter Abt Caesarius
war. Also kann die Erziehung nicht lange vor Philipps erstem Auftreten
1156 August 11 gleich als Domdekan liegen.[219 Stimming 2, Nr. 906.]
6.6 „Sekretär“ Volmar und Biograph Gottfried, Pröpste des Rupertsbergs
Hildegard beklagte sich bitter, dass Volmar, der
jüngere, unermüdliche und hilfreiche Amanuensis zu früh
gestorben sei. Das muss 1173 gewesen sein. Ich vermute, dass er – und darauf
deutet nicht nur sein Name – in ihren Verwandtenkreis gehört. Freilich
fand ich keinen Hinweis, wie er genealogisch einzuordnen sei, ausser seinem
Namen, mit dem er gut in den Clan der Volmare, Markwarde, Stephane, Gottfriede
passen würde.
Dasselbe gilt auch für seinen – nicht direkten –
Nachfolger Gottfried, den Biographen, wenngleich dieser Name nicht so charakteristisch
ist. Er amtierte als Propst auf dem Rupertsberg ab 1174/75 und starb bald,
spätestens Anfang 1176. Da er nach einer Auseinandersetzung zwischen
Hildegard
und dem Abt von Kloster Disibodenberg, in der Propst Wezelin von St. Andreas
vermittelte, eingesetzt wurde und offensichtlich Hildegards Vertrauen
hatte, kann man annehmen, dass er Hildegards Wunschkandidat aus
dem Kreis der Disibodenberger Mönche war,– was wiederum zu der Annahme
verführt, er sei ein Verwandter von ihr gewesen.
7 Schenker(innen) für den Rupertsberg
Schon in den vorigen Kapiteln sind Schenker und Schenkungen
mitbehandelt. Sie und die folgenden bilden aber nur einen kleinen Ausschnitt
aus dem großen Namensbestand an Schenkern, Verkäufern, Vorbesitzern
und zu Memorierenden, die wir in der Rupertsberger Überlieferung,
vor allem im Registrum bonorum, besitzen. Ihn vollständig zu
behandeln, wird nur mit elektronischer Datenverarbeitung möglich sein,
und dazu gehört, dass wir auch die anderen zeitgenössischen Quellen
(zumindest als suchfähiges Register) zum Abgleich erschließen
müssen. Dies ist mir nicht möglich, ist auf absehbare Zeit auch
nicht zu verwirklichen. Bis jetzt habe ich nur die Rupertsberger Namen
und Zusammenhänge gespeichert.
Dabei wäre die genealogisch-prosopographische Untersuchung
der Donatoren (und Zeugen) für den Rupertsberg im 12. Jahrhundert
ein zwar mühsames und schwer darstellbares Unterfangen, aber ein bei
der Quellenlage nicht aussichtsloses und recht ertragreiches auch. Etwa
ein Drittel von ihnen wird wohl nie zu identifizieren sein. Die Mehrzahl
führt nicht weit. Aber eine doch erhebliche Minderheit unter ihnen
dürfte deutliche und weitreichende Beziehungen erkennen lassen. Ich
griff mir bisher nur einzelne Schenkerkomplexe heraus, die mir besonders
verlockend erschienen, und glaube wahrzunehmen – „glaube“ insofern, als
ich die Genealogie eher für eine von den schönen Künsten
halte als für eine Wissenschaft, für die alle anderen Hilfswissenschaften
sein müssen, was sie natürlich auch ist –, dass sich in dem Wirrwarr
von Namen und Erb-Gütern oder -Ämtern deutliche Cluster [220
Ein
Cluster ist in der Musik ein Zusammenklang ohne äußere, etwa
harmonische Ordnungsprinzipien, aber doch ein Zusammenklang und kein „weißes
Rauschen“ chaotischer Geräusche.] heraushören lassen, die sich
in der gewiss nicht immer genau zu rekonstruierenden zeitlichen Abfolge
verwandeln, spalten, neu amalgamieren. Gewisse Namenpaare oder -konstellationen
kehren wie Leitmotive wieder, bei denen wir hin und wieder sogar von tatsächlicher
Verwandtschaft erfahren, in den vieldeutigen Begriffen jener Zeit, wo Vater
auch für Stiefvater stehen kann, Bruder für Voll-, Halb-, Stief-
und geistlichen Bruder, angeblich auch für Schwager, von Wörtern
wie nepos, consanguineus, und cognatus ganz zu schweigen.
Die Beinamen, die Generationen von Stammtafelerstellern für standesamtliche
Familiennamen hielten, sind so trügerisch wie die Besitzerbfolgen
und die Stammtafeln selber. Wir tappen überdies bei den demographischen
Rahmenbedingungen im Dunkeln: Gab es im Vergleich mit dem einfachen Volk
(bei dem sich in den folgenden Jahrhunderten nicht viel geändert haben
dürfte) bei Adligen dank besserer Pflege und Ernährung nicht
doch eine geringere Säuglingssterblichkeit und eine geringere Kindbettsterblichkeit
der Frauen? Dafür aber eine sehr starke Sterblichkeit bei den heranwachsenden
und erwachsenen Männern mit ihrem todsuchenden und -bringenden Lebensstil
auf Turnieren, Fehden, Heerfahrten, wo sie auch Seuchen ganz anders ausgesetzt
waren als die Frauen und Kinder daheim? Hatten die Weltgeistlichen dagegen
eine höhere Lebenserwartung? (Anders die in den Orden: Die Zisterzienser
waren ja geradezu Menschenvernichtungsanstalten…) Mithin dürfte es
sehr viel mehr Zweit- und Drittehen gegeben haben, als man gemeinhin annimmt
und die genealogischen Tafelwerke uns vorführen; dafür sorgte
bereits das Lehnswesen, das für die Ämter (Vogteien usw.) mündige
Amtsträger voraussetzte, den Anspruch unmündiger Erben aber auch
nicht übergehen durfte. Und immer wieder kam es vor, dass die Haupterben,
ja ganze Zweige wegstarben und ein armer Verwandter aus irgendwelchen Randgebieten
oder ein glücklicher Schwiegersohn alles erbte.
All das kann im Einzelfall ganz anders aussehen, all
das muss an der Realität überprüft werden. Und dann haben
wir noch immer keine Aussagen über die durchschnittliche Kinderzahl
und das durchschnittliche Heiratsalter. Bei Frauen nehme ich es mit 15
Jahren (+/– 3) an, bei Männern hängt es ganz von der familiären
und „beruflichen“ Situation ab. Wer mit 18 eine Grafschaft übernehmen
muss oder darf, wird nicht mit der Heirat warten wie einer, dessen (Stief-)Vater
sich nicht aufs Altenteil begeben will. Welche Erbschaftsstrategien möglich
sind, lehrt uns eine aufschlußreiche Untersuchung, [221 Karl-Heinz
Spieß, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters
13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts (VjschrSozialWirtschaftG Beih. 111),
1993.] die man aber doch nur in Analogie vorsichtig auf das hohe Mittelalter
anwenden darf. Sitten und Bräuche ändern sich selbst in einer
so konservativen Gesellschaft wie der mittelalterlichen rascher als Konjunkturen
und Klimate, und all das hat Auswirkungen auf die Demographie…
Da ich mit dieser Untersuchung noch lange nicht, wenn
überhaupt je, fertig werde, und die konkreten Ergebnisse auch wenig
zu Hildegard selber beitragen, hier nur einzelne Anmerkungen, punktuell
und pauschal, für zwei prominente Schenkerinnen und für eine
minder bekannte quasi als Stichprobe.
7.1 Pfalzgraf Hermann und seine Witwe
Die als Förderin und Briefpartnerin Hildegards
auftretende Witwe Herrmanns von Stahleck ist nach einigen Hinweisen nicht
seine erste Frau des Namens Gertrud, also nicht die Schwester König
Konrad III. und Tante Kaiser FRIEDRICHS.
Diese wäre zwischen 1142 und 1149 und noch vor 1150 soll Pfalzgraf
Hermann dann Gertrud von Wettin geheiratet haben. [222 Ich mache
mir nicht die Mühe, diese mehrfach in der Literatur behandelte, aus
der Genealogia Wettinensis rührende Annahme außer durch
Decker-Hauff, in: Die Zeit der Staufer III, S. 351 zu belegen. Seine Angaben
über die STAUFER-Abstammung der
zweiten Gertrud erscheinen mir sehr brüchig.] Die STAUFER-Verwandtschaft
der Gertrud sollte man nicht unbesehen übernehmen, die Genealogia
Wettinorum ist kein Fantasieprodukt.
Überraschend ist, dass Hugo von Stein (de Lapide)
ihr (und nicht des Klosters!) mundiburdius bei der Besitzübertragung
in Würzburg war. [223 MzUb 2, Nr. 231.] Die Umstände sind
so gewichtig, dass das kein Zufall war oder er es als Lehnsmann tat. Er
erscheint ja schon 1152 direkt neben dem Pfalzgrafen und dessen Stiefbruder
in der Gründungurkunde des Rupertsbergs. [224 MzUb 2, Nr. 175.]
Die wahrscheinlichste (aber kühne) Erklärung wäre, dass
er (wie?) ein Erbe des verstorbenen Pfalzgrafen war.
7.2 Gepa
Zahlreiche Weingärten in Ockenheim schenkt Domna
Gepa pro recordatione sua et mariti sui Stephani aliorumque parentum
suorum. [225 MRUb 2, N. Nr. 14, S. 370.] Nur 4 iurnales scheinen
ihr Eigentum zu sein, für die anderen wendete sie insgesamt 40 Mark
auf, dazu 12 1/2 für Weinberge in Münster. Auch in Volxheim schenkt
sie, anscheinend Eigenbesitz, fast 50 iurnales. [226 MRUb
2, N. Nr. 14, S. 373f.] Welche Güter sie in Bingen schenkte, ist aus
den mir zugänglichen Quellenveröffentlichungen nicht zu ersehen.
Die Stiftungen sind für liturgische Zwecke und das
festliche Begehen von über einem Dutzend Anniversarien bestimmt. Namentlich
bezeichnet werden leider nur das eigene und das ihres in uigilia apostolorum
Philippi et Jacobi (April 30) verstorbenen Mannes Stephan, die eines
domini
sigebodi, sowie fili™ su™ Hildigardis und marquardi
de °utersdal.
Fraglos handelt es sich um die Stifter des Klosters Eußerthal
(Utersdal, Uterina vallis), Stephan von Mörlheim und seine Frau Gepa.
Das hat zuerst Doll erkannt. [227 L. Anton Doll, Beobachtungen
zu den Anfängen des Zisterzienserklosters Eußerthal und zur
Entwicklung der Haingeraide, in: MittHistVPfalz 68 (1970), S. 194ff.] Seine
Erkenntnisse wird man erheblich erweitern können.
Die Gründung von Eußerthal ist 1148 bis spätestens
1150 zu datieren, sie geschah durch die Eheleute und, wie eine Urkunde
von 1152/53 aussagt, ihre Tochter Adegard. 1168 November 26 bestätigt
Kaiser
FRIEDRICH I. die Schenkung des homo liber Stephanus … concedente
et ultro volente uxore sua nomine Gepa muliere religiosa liberis
quoque consentientibus. Eine Urkunde von 1179 [228 Stephan Alexander
Würdtwein, Nova Subsidia Diplomatica, Bd. 12, Heidelberg 1789, S.
103, Nr. 31.] erzählt, dass Stephanus vir nobilis & Deo devotus
die Kapelle in Mörlheim sibi a progenitoribus suis iure
hereditario libere derelictam cum sua contectuali Gepa zur Gründung
Eußerthals geschenkt habe, was jetzt angefochten worden wäre.
Das muss 1176/77 im Zusammenhang mit Ansprüchen des Grafen Simon von
Saarbrücken auf diese Kapelle geschehen sein, auf die dieser dann
in einem undatierten Schreiben [229 Würdtwein, Nova subs. 12,
S. 96, Nr. 26] consentiente uxore mea Mathilde ac liberis nostris verzichtet.
7.2.1 Gepa und ihre Verwandtschaft
Man darf annehmen, dass Stephan 1150 nicht mehr der jüngste
war, er hatte mit Gepa bereits Kinder, von denen Adegard 1152/53 immerhin
schon der Nennung wert war, sodass Gepa nicht nach 1125 geboren sein kann.
Am wahrscheinlichsten liegt ihre Geburt etwa 1115-20 und ihr Mann war etwa
fünf Jahre älter. Gepa scheint spätestens 1168 den Schleier
genommen zu haben (mulier religiosa), evtl. auf dem Rupertsberg,
denn für sie dürfte der Eintrag (November 28) Gebba conversa
nostri conventus im Nekrolog gelten. Auch Stephan dürfte Konverse,
wohl in Eußerthal geworden sein (Deo devotus).
Der Name Gepa/Geba ist am Mittelrhein selten. Zu nennen
ist freilich eine Geba de Nerstein et filius eius Ruperthus, Schenker
in Astheim für die Eberbacher Grangie Haßloch, direkt neben
einem Stefen de Nerstein der in Gensen schenkt. [230 OM XV A 20,
31, 32. Die zeitliche Stellung passt nach allem Anschein. Die ersten Schenkungen
dieser Grangie nennen uns mehrere vom Rupertsberg her bekannte Namen.]
Natürlich denkt man dabei an den gleichnamigen Ort in der Pfalz, wo
Stephan von Mörlheim Besitz hatte, [231 Doll, Beobachtungen…
S. 201, Anm. 41.] aber näher liegt doch Geinsheim gegenüber Nierstein
und im Umkreis von Haßloch (dem bei Rüsselsheim). Kinderlos
scheint die Geba gewesen zu sein, die 1143…1153 gemeinsam mit ihrem Mann
Arnold, Ministeriale und Bürger von Mainz, einen Erbvertrag mit den
Brudern Dudo, Meingot und Hartwin schloss.[232 MzUb 2, Nr. 188.]
7.2.2 Stephan von Mörlheim und seine Verwandtschaft
Doll trennt den Gründer von Eußerthal von und
verbindet ihn zugleich mit einem anderen Stephan von Mörlheim, der
1109 vom Kloster Reichenbach mit Erbgütern in Geinsheim abgefunden
wurde, weil er geltend machte, der Reichenbach übertragene Besitz
seines dort eingetretenen Bruders Conrad sei bei der väterlichen Teilung
zu groß bemessen worden. [233 Codex Hirsaugiensis, ed. Schneider,
1887, § 35b (=Cod. Hirs.); WirttbgUB 1 Nr. 267.]
Selbst wenn dieser Stephan, der 1109 das Familiengut
gewiss nicht nur für seine Nachkommenschaft, sondern zuerst einmal
für sich erhalten wollte, noch sehr jung war, ist es wohl kaum mit
Werle „der gleiche Stephan von Merlheim, der gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts
die Zisterzienser nach Eußerthal rief“, [234 Hans Werle, Die
Fundatoren der Zisterze Eußerthal, in: BllPfzKiG 23, 1956, S. 74ff.]
und der sich noch 1176 oder später gegen die Ansprüche des Grafen
Simon verwahrte. Doll legt die Existenz zweier Stephan von Mörlheim
in verschiedenen Generationen nahe. Er bringt aus dem älteren Speyer
Domnekrolog einen miles Steuen, † Januar 23, als Alternative, qui dedit
curiam in Gense, sowie Äcker in Dutensuelt. Es gibt aber (zu August
4 und (frater) 12) noch weitere Stephane in dieser Quelle. Zum Gedächtnistag
im Registrum bonorum passt keiner. [235 Dezember 1 erscheint ein
Stephen
als Erbe einer Guda und Vorerbe eines Draubodo. – Hansjörg
Grafen, Forschungen zur älteren Speyerer Totenbuchüberlieferung
mit einer Textwiedergabe der Necrologanlage von 1273 (QAmrhKG 74), 1996.
– Die Gegenprobe auf Geinsheim bringt unter Februar 4 einen Crafto,
für den sein gleichnamiger Sohn 2 Mark und einen ferdo zum Kauf von
Gütern dort gab (also von Verwandten im Erbvergleich), Februar 19
den Cunradus portenarius, der Äcker und einen halben Hof dort
schenkt, Februar 27 einen Eberhardus frater mit Übertragungen
in Essingen, Gense und Kirrweiler, März 3 eine Adelheit mit
fast 2 iugera Acker, März 10 ein Bertholt diaconus
mit über 4 iugera und einem Viertel Hof, April 28 eine Bertha
mit Erträgnissen, immer in Geinsheim, Juni 16 die Cristina,
Mutter des Crafto (s. Februar 4), September 24 Ditherus prepositus sancti
Widonis (Propst v. St. Guido erw. 1159–86) mit über 5 iugera Äcker,
September 27 Winehart frater mit einem Hof und 3 J. Wingert, sowie
andere, eindeutig nach dem 12. Jahrhundert anzunehmende Gedächtnisse.]
Haben sich Stephan und Gepa mit Speyer verkracht?
Da Mathilde, die Frau Simons von Saarbrücken, mit
ihren Kindern ausdrücklich in die aufgegebenen Ansprüche auf
Teilhabe an der Kirche in Mörlheim einbezogen wurde, dürften
diese über sie gelaufen sein. Es wird allgemein angenommen, dass sie
eine Tochter Meinhards von Spanheim und seiner Frau Mechthild von Mörsberg
war. [236 Zuletzt Mötsch, Genealogie Sponheim, s. 79 mit Anm.]
Damit wäre sie eine Enkelin Stephans von Spanheim, der bald nach 1092,
der Geburt seiner Tochter Jutta (s. 2.2.12.2.12.2.12.2.1), gestorben ist.
Er ist mit keinem der in westdeutschen Urkunden belegten Grafen Stephan
identisch, er hat es nie zu diesem Amt gebracht, was alles die Vita
domnæ Juttæ inclusæ unwiderleglich deutlich macht.
Einzig die Nennung eines Stephan de Spanheim 1075 [237 MRUb 1, Nr.
375] ohne Grafentitel bezieht sich unzweifelhaft auf den Vater Juttas und
Meinhards. [238
Auch der Mainzer Ministeriale Stephan, der Sohn
des Embricho und Neffe Erzbischof Ruthards, lebte später. Eine Verwandtschaft
ist allerdings möglich, da er als Zeuge häufig in „spanheimischen“
Wirkungsbereichen auftritt. Gerade aus diesem Verwandtenkreis kommen die
meisten Schenker für den Rupertsberg.] Identisch kann er sein mit
einem Wormser Vogt Stephan (1068) [239 UB Stadt Worms I, Nr. 55],
der mit seinem Bruder Markwart zu den Grafen von Lunéville/Metz
zu gehören scheint, die mit den de Meti später die Wormser
Vögte stellen.
Der mögliche Erbanspruch Mathildes und die Korrekturen
an den Lebensdaten Stephans bekräftigen die Vermutung Dolls, es gäbe
genealogische Zusammenhänge zwischen den Brüdern Conrad und Stephan
von Mörlheim und den SPANHEIMERN, die er freilich noch ganz in den
Verkleisterungen durch Trithemius und Witte sieht, und seiner berechtigten
Invektive gegen Werle, es gäbe keine Straßburger Lehensrechte
an den Besitzungen der Mörlheimer. Allerdings könnte es auch
eine direkte Erbberechtigung der SAARBRÜCKER geben: Warum war 1112
der Mainzer Erzbischof Adalbert I. von Saarbrücken in seiner Auseinandersetzung
mit HEINRICH V. allenfalls auf Burg
Trifels zu verzichten bereit, als der Kaiser für seine Freilassung
die Abtretung bestimmter Güter verlangte? Welche Rechte hatte er daran,
ererbte oder erdiente? [240 Friedrich Hausmann, Reichskanzlei und
Hofkapelle unter Heinrich V. und Konrad III. MG Schrr 14 (1956), S. 32.]
Behielt er sie oder Teile davon?
7.2.2.1 Kinder des Ehepaares
Ich setze die Adegard von 1152/53 nicht identisch mit
der im Registrum bonorum genannten Tochter Hildegard, obwohl einer Nonne
auf dem Rupertsberg der fremde Name leicht in den geläufigen verrutschen
konnte. Es ist der selbe Name Ha(r)degardis, den eine Enkelin des Ramsener
Klosterstifters Berthold von Winzingen trägt.[241 F. X. Remling,
Urkundliche Geschichte der Abteien und Klöster im jetzigen Rheinbayern,
I, 1836, Beil. 17 und 18; letztere auch Stumpf 4538.] Weitere Kinder sind
namentlich weder im Zusammenhang mit Eußerthal bei Namen genannt,
noch im Registrum bonorum.
Die D(omi)na Gepa, soror Ingebrandi de algesheim,
die 1195 dem Rupertsberg eine Wiese für 4 Mark auf 8 Jahre und danach
für anderthalb Mark auf drei Jahre übergibt, scheint mir nicht,
wie Staab [242 Staab, Ockenheim…, S. 206, Fußnote
71.] meint, mit der Stifterin identisch. Dagegen spricht weniger
das biblische Alter, das sie erreicht hätte, sondern vor allem die
für eine dem Kloster nahestehende Greisin (die vermutlich sogar als
Konverse im Kloster lebte) merkwürdige Bezeichnung nach einem Bruder,
der bisher noch nicht aufgetreten war. Ingebrand in Algesheim ist offensichtlich
mit einem Schenker für Kloster Eberbach identisch, dem Sohn eines
Embricho. [243 OM VII, 4, 9, 14.] Diesen häufigen und im Zusammenhang
mit dem Rupertsberg besonders häufigen Namen mit einer bestimmten
Person zu verbinden, ist nicht möglich. Nicht identisch kann der Gepa-Bruder
mit einem Ingebrant sein, der mit seinen Brüdern Dietmar und Giselbert
und seinem Vater Hugo und seinem Onkel Meginlach und dessen Kindern Hugo,
Dietmar, Judda und Demodis [244 Vielleicht die Demodis von Stromberg
des Registrum bonorum (1 Wingert in Bingen) MRUb 2, N. Nr. 14, S. 384.]
Einspruch gegen eine Schenkung erhob, [245 Einer der letzten ursprünglichen
Einträge im Registrum bonorum (MRUb 2, N. Nr. 14, S. 385).] wohl aber
scheint er verwandt gewesen zu sein, denn es handelt sich um Güter
in Volksheim, wo Gepa schenkte und neben ihr eine Methildis pro filia
sua, die sich als Domina Methildis de triuels herausstellt.
[246 MRUb 2, N. Nr. 14, S. 373f und 384.] Die Namen gehören
auch in die Verwandtschaft der Mörlheimer. Wenn man freilich die Gepa
von 1195 als eine Tochter von Stephan und Gepa ansieht, hätte man
auch deren Bruder Ingebrand als Sohn einzureihen. [247 Vgl. zum
Namen auch DI 34, Nr. 1, Grabplatte für einen gewählten (?) Mönch
(?) Ingebrandus (?) 2. H. 11./1. H. 12. Jahrhundert (?) in der Klosterkirche
Sponheim.] Eher sind es Enkel.
Methildis de triuels als Mutter Stephans anzusehen,
hieße beinahe, sie zu den Geschwistern Hildegards zu stellen…
7.2.2.2 Marquart de Utersdale und der Dominus Sigebodo
Der Marquart von Eußerthal, dem ein weiteres der von Gepa gestifteten Rupertsberger Anniversarien gilt, ist von Doll bereits identifiziert als einer der ersten Eußerthaler Mönche, der gewiss ein Verwandter der Gründer war. [248 Doll, Beobachtungen… S. 200. Neben ihm nehmen der Cellerarius Werner von Weiler-Bettnach und ein Konverse Folmar die Schenkung der Grafen von Lobdeburg entgegen (ca. 1152).] Im Rupertsberger Registrum bonorum fehlt bei ihm allerdings die Bezeichnung „Monachus“, was nicht viel besagen will. Der an gleicher Stelle erwähnte „Dominus“ Sigebodo könnte ein Domherr in Speyer gewesen sein. [249 Grafen, Forschungen Speyerer Totenbuch-Überlieferung…, Einträge zum Januar 29 und August 21.]
7.2.2.3 Stephan (I) von Mörlheim (1109) und Hirsau
Beschäftigen wir uns noch mit dem früheren Stephan
von Mörlheim, der wohl nicht viel älter als Hildegard war,
denn bei ihm kann man bei der ermüdenden Suche nach Beziehungsspuren
zu überraschenden Zusammenhängen gelangen. Sein wohl älterer
Bruder Konrad galt als non obscuro genere exortus, und übertrug
mit sich selber dem Kloster Hirsau reiche bona quae hereditario iure possedit.
Bei der Abfindung Stephans [250 Cod. Hirs., 35b–36b; WirtbgUB I,
Nr. 267; Abweichungen bei Karl Otto Müller, Traditiones Hirsaugienses,
in: ZwürttLdG IX (1949/50), S. 26f und 39f, hier folgt auf die Urkunde
der Dank- und Segensvers [O GENITRI]X PIE CONRADO BENEDIC PRO MUNERE TANTO.]
in Odenheim (b. Bruchsal) hielt man eine lange Zeugenreihe fest. Ich greife
einige besonders interessante Namensanklänge heraus: … Erckenbertus
de Merlenheim et Diemarus filius eius, Volmarus de Swabecheim (Suabeheim),
Gotefridus de Offenbach,… iudices (Schiedsrichter); Volmarus, comes de
Hune(i)burg(c) et filius eius Volmarus, Hartmannus de Ucklingen,…
Marcwardus de Dand(es)statt … Marquart de Heimfelt, … Mege(i)nlach de Setingen
(Tetingen) … Dietericus franci …
Ein Stephanus de Merlenheim erscheint noch einmal
im Codex Hirsaugiensis, um 1140, unter Abt Volmar. [251 Cod.
Hirs., 49b.] Er bezeugt eine Schenkung des Klerikers Megingos in Stetten
(b. Brackenheim). Ebendort schenkte, bzw. verkaufte eine ganze Familie:
Gerung (Brüder Hugo und Rudolf) von Hohenrieht, seine Schwestersöhne
Drutwin (mit einem Sohn) und Megingos, der Kleriker. Offensichtlich gehören
zur Familie Hartwig, damals noch Speyerer Dekan, dann Propst und Camerarius,
der 1156 Abt in Hirsau wurde und nach 8 Wochen starb, [252 Sein
und seiner Eltern Anniversar war mit 22 Mark auf Stetten ausgestattet (Müller,
Traditiones Hirsaugienses, S. 44).] ein Diemarus de Mentzingen mit Frau
und den Söhnen Diemar und Walther, u. a. Die Namen Drutwin und Megingoz
begegnen uns im Rupertsberger Umkreis, auch Die(t)mar. Was dieser Stephanus
de Merlenheim mit dem Clan zu tun hat, lässt sich nicht sagen.
Es handelt sich sicher um den Mann der Geba oder dessen Vater.
7.2.2.4 Hirsau und die Diemar/Erckenbrechte
In Hirsau gab es auch eine Anniversarstiftung von Diemarus
de Merleheim, [253 Müller, Traditiones Hirsaugienses, S.
44: anderthalb Mark aus Derdingen.] wohl dem obengenannten Sohn des Erkenbert.
Die Namenskonstellation gibt es doppelt, nämlich mit einem gleichnamigen
Mönch von Hirsau, vorher miles quidam de Rutingen, dessen Vater
Erckinbertus de Rutingen 15 Huben in Kälbertshausen (Ks. Mosbach)
schenkte, die der Hirsauer Tochtergründung Schönrain überlassen
wurden. [254
Cod. Hirs., 32a–35a.] Der Eintrag geht über
zu seinem Sohn Diemar, der Mönch in Hirsau wird und alle seine Habe
dem Kloster überträgt. In der danach festgehaltenen Schenkungsurkunde
von 1103 Januar 16 heißt es, dass er, cum inter capitaneos
[255
Capitaneus nennen die Hirsauer, bzw. Reichenbacher nur diesen
Diemar und seinen gleichnamigen Onkel! Das seltene Wort begegnet uns auch
in der Vita S. Hildegardis I, 3, 21: Sie spricht vom Mainzer Domkapitel
(oder einer Art Priorenkolleg?) als den capitaneis ecclesie.] principes
provincie, que dicitur Osterfrancka, genere et possessione preditus non
parve estimationis haberetur, auf den Ruf Gottes sich und seine Habe dem
Kloster übertrug. Die lag hauptsächlich in Röttingen an
der Tauber, ubi ipsius mansio precipue erat. (In diesem „wo er hauptsächlich
wohnte“ wird sehr deutlich, wie die alten Zunamen vergeben wurden.) Diemar
besaß in Rutingen zwar die salica terra und 7 Huben
mit einem Weinberg, aber es gab zahlreiche Mitbesitzer. Von denen setzten
Hirsau als Erben auf den Todfall ein: Richolff eine (und eine im
benachbarten Nassau), Rihmunt eine, Adalbert eine halbe. Ihre Erträgnisse
übertrugen an Hirsau filii Rauenoldi aus drei Huben und zwei Mühlen,
Megingos aus zwei Huben und drei in Strüth (Ks. Aub), Engelwart aus
drei und großem Besitz in Laudenbach. Von weiteren Indizien seien
erwähnt die Spitzenzeugen (nach Grafen) Ebo et filius eius Goswinus
de Mergentheim, Gerunc de Rutingen et duo filii fratris sui Rihmunt
et Adelbert, Embrich et frater eius de Rathersheim sowie ein Tausch
über Kauf/Verkauf mit einer Schenkung der Geba, die ein Viertel von
Rutingen besitzt.
Diese schenkte um 1110 [256 Cod. Hirs., 28a–b.]
als conversa et comitissa de Osterfrancken neben viel Geld und Geldeswert
acht von ihr gekaufte Huben in Westheim [257 Man könnte dortige
Mitschenker und -besitzer mit ihr in Verbindung bringen…], acht in Strüth
(s. o.), die früher domnus Diemarus besaß, in Stupferich sechs
von Reginboto comite de Malsga (Malsch) gekaufte, 12 eigene. Die
Rechtsübergabe geschah durch die Brüder Luf und Gosmar in Gartach,
den Besitz in Frubrechtshusen sollte das Kloster ihrem Bruder Goswin
[258 Es könnte sich um den Goswin von Mergentheim handeln,
der mit seinem Vater 1103 für Diemar Zeuge stand, und selber vier
Huben in Ostheim schenkte.] um 30 Mark verkaufen, was auch geschah.
Der Vorbesitzer in Strüth scheint identisch mit dem
Diemarus de Triuels, der um 1080 eine besonders reiche Schenkung
an Hirsau machte, die Abt Wilhelm als Gründungsgut an Kloster Reichenbach
weitergab, weswegen sie auch im dortigen Schenkungsbuch erscheint, mit
der Angabe Diemarus quidam, capitaneus de Driuels, veniens Hirsaugiam
ad conversionem. [259 Cod. Hirs., 27a–b; Reichenbacher Schenkungsbuch
… (Vgl. Fußnote 89898990) P20, 123, St19. Ist Diemar auch nach Reichenbach
mitgegangen?] Im nächsten Eintrag erscheint Erchenbertus de Rotingun,
zweifellos der Vater des Hirsauer Mönchs Diemar und ein Bruder Diemars
von Trifels, im drittnächsten ein C?ono de Tahenstein,
der wie Diemar in Obrigheim und Katzenbach schenkte. Aus dem Reichenbacher
Schenkungsbuch [260 Reichenbacher Schenkungsbuch …P 123] geht hervor:
Diemars von Trifels Nepos war der Dominus Meginlach von Obrigheim,
sein Schwestermann der Straßburger Hochstiftsvogt H(einrich). [261Hans
Werle. Der Trifels als Dynastenburg, in: MittHistVPfalz 51 (1953), S. 111ff.]
Aus diesen und weiteren Angaben könnte man schon eine hübsche
Stammtafel eines Geschlechts der Diemar/Erkenbrechte zusammenstellen.
Die Familie jener Geba, die wohl die Frau des ältesten
Erkenbrecht war, wird in Umrissen deutlich. Wenn sie – und nicht eine ihrer
in Schwaben verwirrend häufigen Nichten oder Kusinen gleichen Namens
(s. 3.3.13.3.13.3.13.3.1) – ihren Namen der ungefähr drei Generationen
jüngeren Rupertsberg-Stifterin vererbte, dann eher über ihre
Verwandten Reginboto, Sigebodo, Richolff. Stephan von Mörlheim hätte
dann eine entfernte Verwandte im mindesten dritten Grad geheiratet, was
gut zu den mittelalterlichen Heiratsstrategien passt.
Sein Vater von 1109 war aber mit den Diemar/Erkenbrechten
schon des neuen Namensguts halber nicht agnatisch verwandt, denn sein und
Conrads Vater hatte offensichtlich eingeheiratet, eine Tochter oder Nichte
oder Schwester Diemars von Trifels, die ihm reichen Besitz in der Vorderpfalz
zubrachte. Für seine Herkunft gibt es aber nicht nur die selten zu
eindeutigen Ergebnissen führende Namensvererbung.
7.2.2.5 Stephan ein Metz/Lunéville/Huneburger
In der Eußerthaler Klosterkirche wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts [262 Dies ergibt sich aus den Ornamenten und der Schriftgestalt, obwohl „altmodische“ gotische Minuskeln verwendet werden. Die Qualität der Bildhauerarbeit ist hoch.] (also kurz vor der Säkularisation durch Kurpfalz) ein Wappen-Gedenkstein gesetzt, der den miles Steffan von Merlheim als Stifter nennt. Die Inschrift lautet: Arma dni Steffani strenui ac nobl’ milit’ de merlheim qui funda’ hoc monasterium Anno 1148.
Der Stein gibt als Stephans Wappen vier (2 x 2) paarweise
sich an Händen haltende Arme mit großen Hängeärmeln
(nicht „zwei verschlungene Hände“ wie Doll meint). Dies ist offensichtlich
eine Variation des Wappenbilds der noch länger mit dem Kloster verbundenen
Adligen von Scharfeneck (de Meti), die einen einzelnen Arm (der in den
Fingern einen Ring hält) im Wappen führten. Auch die von Wolfskehlen
gehören dazu. Noch näher steht es dem Wappenbild der von Wahlbach,
wo zwei gekreuzte Arme mit Hängeärmeln in den Fingern je einen
Ring halten. Diese Wappengruppe kennzeichnet eine eng umrissene Adelsgruppe,
von denen einzelne Familien als Abkömmlinge der Grafen von Metz/Lunéville
(Leitnamen Volmar, Gottfried, Stephan) gesichert sind.
Ob der Abt des Klosters den Stein in Abwehr von kurpfälzischen
Ansprüchen setzen ließ, und ob er das Wappen in Anlehnung an
dasjenige der Scharfenecker „erfand“, muss offenbleiben. Die Verbindung
mit den Scharfeneckern ist auf alle Fälle so oder so wahrscheinlich.
Auch die Namensverbindung deutet ja in dieselbe Richtung.
7.2.2.6 Auch Stephan von Spanheim ein von Metz?
Wir wollen hier nicht auch noch Dolls Vorschlag prüfen,
dass auch Stephan von Spanheim zu diesen „METZERN“ gehört. Wenn ja,
dann hat er eingeheiratet; sein Sohn Meinhard hat ja ebenfalls durch eine
glückliche Heirat sein Glück gemacht und kam sogar zum Grafentitel.
Gegen diese Hypothese spricht nicht die „bayerische“ Herkunft seiner Frau
Sophia, denn damit könnten auch die Kärntner SPANHEIMER gemeint
sein, sondern, dass in Stephanus de Spaynheym clare ortus [263
Vita domnæ Juttæ inclusæ II pass.] das de Spaynheym
nicht als Ergänzung zum Namen, sondern als Prädikativ zu ortus
zu verstehen ist. Die nicht unwahrscheinliche Metzer Konnektion (für
die auch das ex nobilissima Galliae stirpe oriunda spricht) läge
eine Generation früher, und brächte nicht nur den Namen Stephan
in die Familie, sondern auch den seines Enkels Gottfried.
Wesentlich für uns sind die im Familienkreis der
Eußerthaler Stifter irrlichternd auftauchenden Namen, die wir aus
dem Registrum bonorum und auch sonst im Umkreis Hildegards kennen:
Embricho, Megingoz, Reginbodo, Drutwin, Dietmar, Geba… Das kann kein Zufall
sein, aber die genealogische Wirklichkeit dahinter ist schwer zu erkennen.
Man ordne ein Puzzle mit 1000 Teilen, von denen mindestens 600 fehlen,
100 doppelt sind, zumal wenn die Bildseite arg undeutlich ist…
7.3 Herzogin Agnes von Lothringen
Die beste Biographie und die genauste Genealogie der auch
als Thomasse erscheinenden Agnes von Bar, die nach dem 1213 Oktober 8 oder
9 erfolgten Tod ihres Mannes, des Herzogs Friedrich II. von Lothringen,
zur Förderin zahlreicher geistlicher Institute, nicht zuletzt des
Klosters Rupertsberg wurde, bietet Poull. [264 Georges Poull, La
Maison souveraine et ducale de Bar, préface de Michel Parisse. Nancy,
1994, S. 151f. – ders., La Maison ducale de Lorraine, devenue la Maison
impériale et royale d’Autriche, d’Hongrie et de Bohème, préface
de Hubert Collin. Nancy, 1991, S. 51 bringt zu ihrem Mann und ihren Kindern
mehr.] Agnes starb 1226 Juni 19 und wurde in der Abteikirche von Beaupré
begraben. In ihrem Testament bedachte sie zahlreiche Klöster und Kirchen,
nicht aber den Rupertsberg.
Ein Problem kann man vom Tisch wischen: Wieso Philipp
(IV. von Bolanden, I. von Hohenfels) erklärt, Agnes sei die amita,
also die Vatersschwester seiner in ihrer Herkunft unbekannten Frau Elisabeth.
Der Vorschlag Möllers [265 Stammtafeln II, Nachträge und
Berichtigungen zu I, S. 5] erschien mir die einzige plausible Lösung.
[266 Nur sie würde das – überwindliche – Ehehindernis
einer Verwandtschaft vierten Grades beseitigen: Philipp war über Beatrix
und Wildgraf Gerhard Urenkel einer Tochter Renauds I. von Bar, seine Frau
wäre als Vollnichte der Herzogin Agnes gleichfalls Ururenkelin desselben
Renauds I. gewesen.] Es gibt eine viel einfachere. Die hierzu führenden
drei Urkunden sind moderne Fälschungen, vermutlich von Schott. Sie
finden sich – weil in ihnen ein Wilhelm de Turri als Zeuge erscheint
– abgedruckt bei K. A. Schaab [267 K. A. Schaab, Die Geschichte
der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johann Gensfleisch genannt Gutenberg
zu Mainz … mitt mehr als dritthalb Hundert noch ungedruckten Urkunden,
welche die Genealogie Gutenberg’s, Fust’s und Schöffer’s in ein neues
Licht stellen, 2. Band, 21855, S. 353ff, Nr. 200f, 203.] –, als Fundort
ist jeweils angegeben „Aus einer Abschrift – Unter den Bodmann’schen Manuskripten“.
Das allein weckt schon höchsten Verdacht. Außerdem geht es hier
um Gensinger Güter Agnete quondam (!, sie lebt doch noch und
heißt in anderen Quellen auch als Witwe „Herzogin“) ducisse de
Nancei, die sie 1220 von Abt und Konvent des Disibodenbergs käuft
und – wie Erzbischof Siegfried 1220 (o. D.!) bestätigt [268
Böhmer/Will, RegMzEB, 2, XXXII Nr. 364 äußert keinen Fälschungsverdacht]
– zusammen mit einem Weinberg in Münster und einer curia(m) in
pinguiam quondam Comite de Veltencen dem Kloster Rupertsberg schenkt
zu einem Jahrtag für sich und ihre Mutter (matris eius comitisse
uidelicet Adelheidis). 1239 September 22 verzichtet dann Philipp, Herr
zu Hohenfels zugunsten des Rupertsbergs auf alle Rechte, die ihm auf die
Güter zustehen könnten, die die nobilis matrona Ducissa de
Nanzeia (hier also kein quondam!) nostre uxoris amita in
Gensingen erworben habe.
Es muss nicht einmal untersucht werden, ob diese drei
Urkunden diplomatisch und sprachlich angreifbar sind (sie scheinen es zu
sein). Inhaltlich sind sie es. Nach dem Registrum bonorum hat die
hirzogen dem Rupertsberg tatsächlich ein Gut gekauft, und zwar
daz nuwe gut … zu Longesheim. [269 So heißt es in einer
(von Beyer auf 1210–1220 datierten) Aufzählung aller Güter in
Langenlonsheim, MRUb 2, N. Nr. 14, S. 387.] Im letzten Nachtrag [270
MRUb 2, N. Nr. 14, S. 390, „Handschrift von 1210“. Er gehört zu den
Rechtstiteln unter Longesheim S. 371.] ist noch einmal davon die Rede:
bona que Domna agnes ducissa emit in longesheim pro domino Reinhardo
de cella et uxore eius domina guda. Von weiteren Schenkungen und von
den geschenkten Gütern ist nichts in der doch recht dichten Überlieferung
des Rupertsbergs zu finden. Die 1219 erfolgte Schenkung Konrads von Münster
[271
MRUb 3, 117] ist allerdings auch nicht im Registrum bonorum,
wohl aber als Urkunde überliefert.
Die Schenkung der Langenlonsheimer Güter (mit der
Zweckbestimmung, 10 Pelze für die Nonnen anzuschaffen) wird von Erzbischof
Siegfried III. 1234 September 10 bestätigt. Hätte es 1220 tatsächlich
eine Bestätigung für früher geschenkte Güter gegeben,
wäre doch wohl gleichzeitig die jüngste Schenkung abgesichert
worden.
Allerdings könnte es eine noch ältere Schenkung
gegeben haben: Aus dem Registrum bonorum f. 51 geht hervor, dass
das Kloster 1204 einem Godefridus auf 12 Jahre einen Weinberg in Rudensheim
verpachtet, quam domina Agnes (die spätere Herzogin?) …
pro XII. marcis ad refectionem infirmarum nostrarum emit. [272 NassUB
I,1 Nr. 911.]
Kommen wir wieder auf die fragwürdigen Urkunden
von 1220. Die Mutter der Herzogin hieß nicht Adelheid, wie der Fälscher
uns vormacht, sondern Lauretta. Bei Poull findet sich auch nichts davon,
dass ihr Vater Thiébaut I. von Bar, der ca. 1176 bei seiner Heirat
mit Lauretta von Looz als etwa Sechzehnjähriger mit einer Sekundogenitur
ausgestattet wurde, eine Witwe geheiratet hätte. Lauretta starb vor
1184 und Agnes war offensichtlich ihr einziges (überlebendes) Kind.
Auffällig aber ist, dass die ersten der unzähligen kriegerischen
Taten Thiébauts auf ein Hilfeersuchen von Erzbischof Arnold von
Trier (s. 5.15.15.15.1) geschahen und dass er nach Arnolds Tod den antikaiserlichen
Kandidaten Volmar unterstützte. Von seiner eigenen Familie her gab
es nichts, was ihn etwa als Trierer Vasallen dazu verpflichtet hätte.
Sollte seine vor 1184 verstorbene Frau irgendwelche Verbindungen zu Arnold
in die Ehe gebracht haben? Sie war jedenfalls die Tochter von Graf Ludwig
I. von Looz, dem Mainzer Prefectus († 1171) und dessen Frau Agnes.
Diese förderte Heinrich von Veldeke [273 J. Baerten, Agnès
de Metz, comtesse de Looz et protectrice du poète Henri van Veldeke,
in: Hommage au Prof. Paul Bonenfant. Bruxelles, 1965, S. 57–64] und
war eine Tochter des Grafen Volmar (V.) von Metz und seiner Frau Mathilde
von Moha, die ihrer Tochter die Herrschaft Longwy vererbte. Wenn Agnes
auch keine Erbtante der Bolander ist, wie Möller wollte, sie gehört
wohl zur entfernteren Verwandtschaft Hildegards, mir scheint, eher
über ihre METZER Großmutter als den Mainzer Großvater.
Im übrigen scheint mir die Beziehung zum Rupertsberg nicht in ihre
letzten Lebensjahre zu fallen: Die Schenkung in Langenlonsheim liegt vor
1219, die von Gensingen ist eine Schimäre, im Testament und in ihrem
erstaunlich gut belegten Lebenslauf erscheinen der Mittelrhein und Kloster
Rupertsberg nicht mehr.
8 Hildegard und unsere offenen Fragen
8.1 Warum weihte Hildegard die Eibinger Kirche einem heiligen Giselbert?
Der Fakt ist überliefert. [274 AASS S. 670,
Nr. 177: hoc monasterium, S. Giselberti memoriae sacrum…] Das Patrozinium
hat sich nicht erhalten, ist meines Wissens auch noch nicht diskutiert
worden. [275 Brede, in: Hildegard 1979, sagt lapidar: „1165 … konnte
Hildegard
… die Kirche über den Reliquien des heiligen Giselbert wieder weihen
lassen…“ Werner Lauter und Uwe Groß berichten das Faktum als unerklärt
(St. Hildegard Rüdesheim-Eibingen, Schnell, Kleine Kunstführer
2308, 1997).] Laut der Gründungsurkunde [276 MzUb 2, Nr. 111.]
war das Vorgängerkloster als Augustiner-Doppelstift (also prämonstratensisch?)
gedacht und 1148 ausdrücklich in honorem beate Marie matris von
Bischof Wigger von Brandenburg [277 Vermutlich einem Verwandten
von Erzbischof Heinrich, s. 6.16.16.16.1. Zu ihm: Das Bistum Brandenburg,
bearb. v. G. Abb und G. Wentz, (Germania Sacra I, 1) 1929. Allerdings scheint
er, da sein Bistum in heidnischer Hand war, schon länger in Mainz
quasi als Weihbischof fungiert zu haben. 1142 Mai 28 und 29 weihte er zwei
Kapellen auf dem Disibodenberg (MG SS 17, 26)] geweiht worden.
Dass Hildegard einen Großneffen namens Giselbert
hatte und dieser (damals schon?) im geistlichen Stand lebte, dürfte
mit der Verehrung eines Heiligen Giselbert nichts zu tun haben. Genausowenig
der gleichnamige Kaplan Erzbischof Heinrichs und der gleichnamige Sohn
eines (Ministerialen) Arnold, die 1148 die Gründung und Dotation bezeugt
hatten.
Eher könnte es sein, dass die Verfasser der Vita
den Namen verwechselt haben. Meinte Hildegard Gisilarius, den Weggefährten
des Hl. Rupert von Salzburg, der zusammen mit Chuniald die älteste
Kirche Wiens gründete und dem hl. Rupert (von Salzburg) weihte? [278
Georg
Predota, Der liturgische Kult der Salzburger Heiligen Rupert und Virgil,
Chuniald und Gislar, theol. Diss. masch., Graz 1967 (nicht eingesehen).]
Von den verschiedenen Gilbert/Giselbert, die als Heilige
verehrt wurden, kommen garnicht die nach 1180 gestorbenen und schwerlich
die auf den britischen Inseln infrage. Auch der heilige Bischof von Meaux
(†1009 oder 1015, sein Tag war Februar 13) wurde nur in seiner Diözese
und in der von Soissons verehrt. Gilbert le grand, Abt von Cîteaux,
starb 1167 (Oktober 17), der selige Märtyrer Gislebertus, Abt von
St. Peter in Erfurt, dann Reinhartsbrunn und Admont kam auf dem 1. Kreuzzug
1101 Oktober 1 in Chorozaim um. (Er war nicht heiliggesprochen, aber in
der Mainzer Kirche und wohl auch im Adelskreis um sie zuhause.) Ein Gilbert,
der mit seiner Frau Petronilla und seiner Tochter Ponzia ein Prämonstratenserkloster
gründete, starb 1152 Juli 6 als Abt von Neuffontaines.
Am überraschendsten erscheint mir ein Gilbert von
Fontenelle, wo er durch seinen Protektor Wilhelm den Eroberer 1063 der
30. Abt wurde und 1089 September 4 starb. Zuvor lebte er mit Maurillus
in verschiedenen Ländern, u. a. Italien, als Einsiedler, wurde dann
Mönch in Fécamp und später in Fontenelle. Er soll aus
edler Mainzer Familie gestammt sein! [279 AASS Septembris VII, pp.
770 ff.]
8.2 Hildegards Vita Beati Ruperti confessoris
Nur wenn der als „Bekenner“ verehrte Patron Salzburgs mit dem namengebenden Schutzheiligen des Binger Klosters identisch ist, ergäbe die Wahl seines Gefährten Gisilarius einen Sinn. Hildegard hat freilich in ihrer 1170 verfassten Vita Beati Ruperti confessoris, den Schutzheiligen ihres Klosters nicht mit dem – angeblich Wormser und später – Salzburger Bischof gleichgesetzt. [280 Zu ihm, der höchstwahrscheinlich der ursprüngliche Patron auch des Binger Kirchleins (wie der Volkspfarrkirche von St. Paulus in Worms) war, vgl. Hl. Rupert von Salzburg 696–1996, Katalog der Ausstellung im Dommuseum zu Salzburg und in der Erzabtei St. Peter, Salzburg 1996, wo leider der Rupertsberg überhaupt nicht erwähnt ist.] Ihre nach eigener Aussage auf Inspiration beruhende Darstellung enthält einen historischen Tatsachenbezug in der Grenzbeschreibung des praediums von Rupert. [281 Heinzelmann, Der Weg nach Trigorium. Grenzen, Straßen und Herrschaft zwischen Untermosel und Mittelrhein im Frühmittelalter, in: JbwestdLG 21, 1995, S. 64f.]
8.3 Adelsstolz und Ministerialität
Bekannt ist Hildegards adelsstolze Antwort auf
die Frage von Tenxwindis, Meisterin des Kanonissenstifts St. Marien in
Andernach, ob denn nicht auch Töchter aus nichtadligem, gar aus armem
Hause gute Nonnen sein könnten und warum sie keine aufnehme. [282
CCCM
91, Epist. LII: Außerdem – und das scheint uns nicht weniger merkwürdig
– gewährt Ihr nur Frauen aus angesehenem und adligem Geschlecht den
Eintritt in Eure Gemeinschaft. Nichtadligen und weniger Bemittelten hingegen
verweigert Ihr fast durchweg die Aufnahme… Hildegard
antwortete
(ebd. LIIR): (Gott) hat acht, dass der geringere Stand sich nicht über
den höheren erhebe, wie Satan und der erste Mensch getan, da sie höher
fliegen wollten, als sie gestellt waren. Welcher Mensch sammelt seine ganze
Herde in einen einzigen Stall, Ochsen, Esel, Schafe, Böcke, ohne dass
sie auseinanderlaufen?… Und sie gibt ihrer auch für die damalige Theologie
fragwürdigen Ansicht überpersönliche Autorität: So
spricht das lebendige Licht und nicht ein Mensch… (deutsch nach: Führkötter,
Briefwechsel…, S. 200ff).] Wenn sie meint, der niedere Stand solle sich
nicht über den höheren erheben, und man sperre ja auch nicht
Ochsen, Esel, Schafe, Böcke zu einer Herde und in einen Stall zusammen,
will sie offensichtlich in ihrem Kloster nicht das Friedensreich des Jesajas
schaffen, in dem Lamm und Löwe friedlich nebeneinander weiden. [283
Zu
diesem Thema kenne ich keine bessere Darstellung als das Unterkapitel „Soziale
Verpflichtungen und Dienste: Mönchsein in der Adelsgesellschaft des
Mittelalters“ bei Klaus Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform, in:
Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991,
2 (bearb. v. K. Schreiner), 1991, S. 70 ff.] Vielleicht rührt aus
dieser (um ein heutiges Wort zu gebrauchen) reaktionären Haltung auch
ihre Scheu, von der eigenen Verwandtschaft und von ihrem eigenen Adel zu
sprechen. Sie will den starken Reformgruppen möglichst keine Angriffspunkte
bieten.
Im Registrum bonorum findet sich dementsprechend S. 29
unter der Überschrift IHS. Fundatio Monasterii S. Ruperti est MCXLVII
eine aus drei Absätzen (Paragraphen) bestehende „Verfassung“ des Klosters.
Der dritte beginnt Obedientia und interessiert hier nicht. Die ersten
beiden lauten: In usum uirginum uere ex patre et matre nobilium de quarum
illustri generatione et familia nullum sit dubium: quibus substituuntur
sorores ignobiles ad seruitia monasterii et uirginum: cedat monasterium:
– Nulla suscipiatur quæ non ex dote in monasterij bonum, quid conferat,
a propinquis monasterium recipiat, ad conseruationem et ampliationem eiusdem:
pro ratione temporum et iudicio Dominæ matris Magistræ.
Das Latein hätte – so scheint es mir jedenfalls – der Feile eines
Propstes Volmar bedurft. Aber auch ohne das eine oder andere Prädikat
oder Objekt erkennt man, was gemeint ist: („Das Kloster sei eingeräumt
zu Brauch und Nutzen wahrhaft von Vater und Mutter adliger Jungfrauen,
über deren erlauchte Abstammung und Verwandtschaft kein Zweifel besteht;
Ihnen sind die nicht-adligen Schwestern zum Dienst an Kloster und Jungfrauen
unterstellt. – Keine werde aufgenommen, die nicht zum Besten des Klosters
ein Gut, das sie einbringt, als Ausstattung von den Verwandten für
das Kloster erhält, zu dessen Bewahrung und Vermehrung nach dem weltlichen
Vorteil und dem Dafürhalten der Frau Äbtissin.“) Diese Betonung
der Adelsqualität hat sich bei den Nonnen bis zur Aufhebung des Klosters
in Eibingen gehalten. [284 Vgl. Struck, Archiv. (wie Fußnote
15151515)]
Man darf den Tenxwind-Brief freilich nicht auf einen
Gegensatz hier Ministerialen-, da Adelstöchter reduzieren. Denn unter
den Schenkern und Freunden des Rupertsberg, vermutlich in der allernächsten
Verwandtschaft Hildegards finden wir immer wieder „Ministerialen“,
etwa die Rheingrafen, die Reinbode/Walberte [285 CCCM 66A, Epist.
XXXIII Z. 37: Äbtissin Ida berichtet ca. 1185 an Guibert von Gembloux
vom Tod des Binger Vogts mit den Worten Walberti nostri familiaris. Der
fast gleichzeitige Brief einer Nonne Gertrud an den selben (ebd. Epist.
XXXV Z. 23f.) vom Tod familiaris nostri Walberti militis.– Ich glaube Walberts
vermutlich sogar agnatische Abstammung von den „Grafen von Malsch“ aus
meinem Material erschließen und darstellen zu können.], die
vielen Embricho/Arnold/Megingoz [286 Es handelt sich um mindestens
zwei Gruppen, beide zumindest ursprünglich „edelfrei“. Die Namensspuren
Christian, Hartwich etc. führen eventuell zu den Magdeburger Spanheimern.
Es wird Jahre dauern, bis die unzähligen Nennungen in Urkunden und
Quellen wie dem Registrum bonorum, dem OM, den Nekrologen usw. wenigstens
weitgehend aufgearbeitet sein werden. Ich verzichte darauf, von den bisherigen,
notgedrungen sehr unvollständigen Gesamt- und Einzeldarstellungen
besonders angreifbare zu nennen oder meine Behauptungen mit nur vorläufigen
Beweisen zu untermauern.] aus dem Mainzer Umkreis, oder die Schönburger
[287 Bei diesen ist die „Ministerialenqualität“ besonders kompliziert
und daher deutlich: Weil das erste explizit namentliche Vorkommen eines
Schönburgers (MRUb 1, Nr. 605ff. zu 1158) 1159 ihn unter Ministeriales
regis einreiht, scheint diese Frage von vornherein beantwortet. Dem ist
aber nicht so. Denn erstens kann Otto als ein „von Schönburg“ in dem
Worms/Trier/Nassauer Rechtsakt von 1159 garnicht ein Reichsministeriale
im üblichen Sinne gewesen sein, weil die Schönburg mit Oberwesel
ja erst 1166 vom Erzstift Magdeburg ans Reich getauscht wurde. Zweitens
muß 1166 ja mindestens eine Familie im Komplex Wesel „frei“ gewesen
sein, also wohl die des Otto, der von Barbarossa in einer separaten Urkunde
(MG DF I, Nr. 507) das Verbleiben in diesem Stand ausdrücklich zugesichert
bekam. Drittens scheinen die anderen aufgezählten Ministeriales regis
auch keine Reichsministerialen gewesen zu sein, bestenfalls waren es Mainzer
Ministerialen. Die Rubriken unterscheiden zwischen den Vertretern der beteiligten
drei Parteien, und denen des offensichtlich vermittelnden Königs.
– Es scheint also, daß der Begriff Ministeriales regis im älteren
Sinne gebraucht wurde, nämlich als beauftragte Amtswalter des Königs.
Der später eindeutige Begriff ist also noch nicht fest.] und als prominenteste
die Bolander. Bei allen ist die Standesdefinition schwankend oder unklar.
Symptomatisch halte ich die (2.2.12.2.12.2.12.2.1) erwähnte
Notiz Guiberts, in der er die alia Christi famula sibi equiuoca inferioris
generis, nepte tamen sua mit Jutta von Spanheim (nach seiner Meinung damals
schon Schwester eines Grafen, nach ihrer Vita immerhin ex nobilissima Galliae
stirpe oriunda) eingeschlossen werden lässt. Diese Spannweite des
sozialen Ranges bei großer genealogischer Nähe hat offensichtlich
das Zusammengehörigkeitsgefühl, zumindest das vor Gott, noch
nicht zerstört.
Mir erscheint der Kreis der Schenker für den Rupertsberg
aus einem weitflächigen Gewebe solcher Zusammenhänge zu bestehen;
Domini neben Bürgern, Ministerialen neben Dynasten, und alle fühlten
sich dem Rupertsberg und seinen Insassen verbunden, auch verwandtschaftlich,
und alle gehörten auch im modernen Sinne zur Familia Hildegards,
denn die meisten waren mehr oder weniger weit mit ihr verwandt oder verschwägert.
Das war beiden Seiten durchaus bewusst, denn damals kannte man alle seine
Verwandten bis mindestens zum 5. Grad, schon wegen der Möglichkeit,
sie zu beerben… Genealogisch lassen sich bei diesen Familien jedenfalls
die liberi homines von den ministeriales nicht trennen, weiß man
nicht immer genau, wie man einen bestimmten einzelnen Vertreter einzuordnen
hat, selbst in verschiedenen Lebensaltern oder in bestimmten Funktionen
wechseln sie vom einen zum andern Stand, was letztenendes heißt,
dass es diese strikte Standestrennung garnicht gab, aus der die konservative
Genealogie (und weitgehend auch die Geschichtswissenschaft) so gerne ein
unumstößliches Gesetz machen wollte. [288 Hierzu als
besonders differenzierenden Beitrag: Thomas Zotz, Die Formierung der Ministerialität,
in: Die Salier und das Reich, hg. v. Stefan Weinfurter ..., 3, 1991, 3
ff.]
8.4 Hildegard und ihre Verwandtschaft
Wir haben im Verlauf unseres Rundblicks mehrmals erlebt,
dass Hildegard fast eine Scheu davor hat, einen Verwandten ihren
Verwandten zu nennen. Sie achtete zwar darauf, dass diese Verwandten als
hochadelig bezeichnet wurden, aber so, als hätte sie selber nichts
mit ihnen zu tun. Diese Auffälligkeit soll und kann hier nicht erklärt
werden. Sie kann psychologische oder religiöse Gründe haben,
aber auch dadurch entstanden sein, dass die Briefe nur in zur „Veröffentlichung“
bestimmten Abschriften, bzw. Übersetzungen erhalten sind. Insofern
hat auch Hildegards nächste Umgebung teil an dieser Einstellung,
und es scheint zumindest nach dem Registrum bonorum, dass diese
im Kloster auch nach Hildegards Tod beherrschend blieb.
Auch kann man verstehen, dass Hildegard ihre genealogische
Nähe zu hohen geistlichen Würdenträgern nicht hochspielte.
Zu den zahlreichen behandelten – ich gebe zu, nirgends haben wir alle Zwischenglieder
und den ganz genauen Zusammenhang – kommen meiner Ansicht (die Verdachtsmomente
erspare ich an dieser Stelle mir und dem Leser) als entfernter mit Hildegard
verwandt auch die Mainzer Erzbischöfe Arnold von Seelenhofen und Christian
von Buch in Betracht, was es ihr, neben dem Bruder (den Brüdern?)
im Domkapitel erlaubt haben dürfte, ihre Gründung heil durch
die für das Erzbistum riskanten staufischen Zeiten zu bringen.
Hildegard wollte gegenüber der Christenheit
legitimiert sein nicht durch ihren Adel und nicht durch ihre Verwandtschaft,
sondern durch die Gesichte, mit denen Gott sie begnadete, wie sie immer
wieder betont. Jedenfalls tabuisierte sie geradezu ihre Verwandtschaftsverhältnisse.
9 Das Kloster Rupertsberg nach Hildegards Tod
9.1 Erzbischof Siegfried (II.) von Eppstein und seine Binger Wähler
Der Mainzer Domherr und (spätere) Binger Propst Heinrich
„von Stahleck” (s. 4.1.54.1.54.1.54.1.5) und der häu?g in engen Beziehungen
mit ihm auftretende, nah verwandte oder verschwägerte Domdekan Friedrich
de Dicka waren die beide Wählern des „päpstlichen” Mainzer Erzbischofs
Siegfried II., der 1200 in Bingen aus dieser dreiköpfigen Minorität
gewählt wurde und weltlichen Rückhalt hatte in seiner consanguinitas,
seinem Bruder Gottfried von Eppstein, den verschwägerten Brüdern
Werner von Bolanden und Philipp von Hohenfels, dem Rheingrafen Wolfram
und den „Reinboden” von Bingen, vor allem aber auch in dem welfischen
Pfalzgrafen. Friedrich von Dicka und Heinrich von Stahleck sollten mit
Siegfried II. sein Kölner Exil teilen, da sich der staufische
(Gegen-)Bischof
Lupold in Mainz zunächst behaupten konnte. [289 Böhmer-Will
2, S. 120ff.]
Den Domherrn Heinrich kennen wir als Schenker für
den Rupertsberg, erst recht die Reinbode (zu ihnen gehört Walbert).
Die von Dicka (zu denen wohl der Schenker Alexander [290 MRUb 2,
N. Nr. 14, S. 382.] gehört), sind mit den von Kessel verwandt,
als Verbindungsglied scheinen die Braunshorner zu figurieren, die vermutlich
sogar mit Hildegard verwandt waren. Rheingrafen erscheinen mehrmals als
Schenker für den Rupertsberg. Erzbischof Siegfried erscheint als Stifter
auf dem Antependium, evtl. auch sein Bruder Gottfried; Philipp von Hohenfels
heiratete deutlich nach 1200 jene Beatrix „von Ehrenfels“, die 1219 [291
MRUb
3, Nr. 117] mit ihrer Mutter (Cometissa de Eberstein et filia
eius de Erenvels) erste Zeugin für die Schenkung des Cunradus
de Munstere et uxor eius Bertha war, zusammen mit ihrer Mutter, der
Gräfin von Everstein. Diese, Agnes von Wittelsbach, hatte in erster
Ehe Wildgraf Gerhard geheiratet, der 1198 noch lebte, und in zweiter den
Grafen Albert von Everstein. [292 Die Schreibung mit v ist norddeutsch,
wird aber nur von Genealogen streng durchgehalten. D. J. Meyer, Zur Genealogie
der Grafen von Everstein (NdSächs. LdV. f. Familienkde., Sonderveröff.
7, 1954).] Sie war eine Nichte des Mainzer Erzbischofs Konrad († 1200)
und die Schwester des bayrischen Pfalzgrafen Otto, der 1208 König
PHILIPP ermordete. 1222 befreite dann Ludwig (von Wittelsbach),
Pfalzgraf und Herzog von Bayern ad instantiam precum dilecte consanguinee
nostre de Everstein comitisse alle Klostergüter unter seiner Jurisdiktion
von allen Abgaben. [293
MRUb 3, Nr. 191.]
Der Kreis der Wähler Siegfrieds überschneidet
sich mithin vor und sogar noch lange nach 1200 mit dem der Förderer
Hildegards
und des Rupertsberg. Beide haben enge Beziehungen zur Erzdiözese Köln.
Von Hildegards Beziehungen zu St. Andreas und Erzbischof Philipp
haben wir gehandelt. Das Kloster wurde bald nach dem Tod Hildegards
von Siegburger Mönchen (wohl vorübergehend) geistlich betreut.
[294
CCCM 66A, Epist. XXXIII Z. 21ff.: Äbtissin Ida berichtet
dies Guibert ca. 1185.]
9.2 Das Brüsseler Antependium
Es scheint, dass kirchliche Stellen den Verkauf und staatliche
den Export dieses künstlerisch wie historisch einmaligen Denkmals
erlaubten. [295 Im Diözesanarchiv Limburg soll eine Akte über
den Verkauf und seine Genehmigung liegen. Guy Delmarcel, Het antependium
van Rupertsberg, Duits borduurwerk van de 13de eeuw, in: Bulletin des Musées
royaux d’art et d’histoire 61 (1990) S. 119ff., beschreibt die Umstände
der Erwerbung.] Man kann nur froh sein, dass die deutschen Truppen, die
zweimal Belgien überfielen, das Kunstwerk nicht vernichtet haben,
und dass es von den königlich belgischen Museen 1977 für die
STAUFER-Ausstellung
in Stuttgart und sowohl 1979 als auch 1998 für die Hildegard-Ausstellungen
ausgeliehen wurde bzw. wird.
Für Ikonographie und kunsthistorische Einordnung
scheint noch immer ein Artikel aus dem Jahr 1977 maßgebend zu sein.
[296 Leonie von Wilckens, Das goldgestickte Antependium aus Kloster
Rupertsberg, in: Pantheon 35, 1 (1977), S. 3 ff. R. Groenwoldt geht nicht
darüber hinaus: „Die Zeit der Staufer, 1, Stgt. 1977, S. 638f (Nr.
805).] Darin wirkt vor allem die mit Vorbehalt gegebene Identifizierung
der zahlreichen Stifterfiguren und damit der Entstehungszeit noch nicht
endgültig.
Die Mitte des querrechteckigen Mittelfelds nimmt eine
Mandorla mit dem thronenden Christus ein, in den vier Zwickeln die Evangelistensymbole.
Heraldisch rechts stehen die Patrone Maria und Petrus, links S. RUPERTUS
und S. HILDEGARDIS. Auf den Seitenfeldern rechts Johannes
der Täufer mit Maria Magdalena und links St. Martin. Alle Figuren
sind mit Namen bezeichnet, auch die zahlreichen Stifter und Adoranten,
bis auf einen anonym unter Magdalena knieenden Laien. Ansonsten sind dies
rechts und links der Mandorla mit allen Insignien seiner Würde (Mitra,
Pallium, Krummstab) in Messgewändern in Proskynese liegend SIFRIDVS
ARCHIEPISCOPUS und ANGNES DVCISSA. Ähnlich unter den Seitenfeldern
GODEFRIDVS und ADELHEIDIS. Auf gleicher Höhe, in der
rahmenden Leiste unten, 10 Büsten: En profil zum Weltherrscher aufschauend,
beten mit erhobenen Händen je 5 verschleierte Frauen, Nonnen des Rupertsberger
Convents, GVDA SOPHIA IDA AGNES DNA ELISa (oder ELISb?) –
IDA SOPHIA MEHTILD ADELHEIDIS GERDRVDIS. Rechts außen schließt
sich ohne Abbildung nochmals der Name GVDA an. Noch unter ihnen, teilweise
außerhalb der Bordüre, ein CVNRADVS, offensichtlich nicht zur
ursprünglichen Komposition gehörend, aber kaum viel später
hinzugefügt.
Von den Namen sind mehrere unschwer zu identifizieren.
Die Herzogin Agnes haben wir eben behandelt. Erzbischof Siegfried ist wahrscheinlich
II., sein gleichnamiger Neffe folgte ihm Ende 1230.
Entscheidend ist die Identifizierung des GODEFRIDVS
und der ADELHEIDIS. Seine Kleidung ist die eines Laien; wie bei
CVNRADVS und dem anonymen Stifter hat sein Übergewand (einen
Mantel wie die anderen hat er nicht an) eine Hermelinbordüre. Adelheid
dagegen scheint – mir liegen nur Abbildungen vor – den Schleier zu tragen
wie die zehn Nonnen, während die Herzogin Agnes mit einem Gebände
auf dem Kopf und in ebenfalls hermelinverbrämtem Mantel über
gegürtetem Unterkleid weltliche Gewänder trägt. Die Symmetrie
zwischen diesen beiden Figuren auf den Flügeln ließe ohne diese
Attribute verschiedenen Standes an ein Ehepaar denken, und da zunächst
an den 1218 zuletzt belegten, wohl auf dem Kreuzzug gestorbenen Grafen
Gottfried III. von Sponheim und seine 1223 als Witwe erscheinende Frau
Adelheid von Sayn. [297 Mötsch, Genealogie …, S. 91f.]
Dies kann nicht sein, weil diese Adelheid nicht den Schleier nahm, sondern
in zweiter Ehe Graf Eberhard von Eberstein heiratete; es wäre
angesichts der Distanz der SPANHEIMER zum Rupertsberg auch überraschend.
Wenig wahrscheinlich ist die Identifizierung der beiden
Figuren mit der einzig 1201 Januar 1 (nicht 1200 oder 1205) [298 Weidenbach,
Binger Reg. Nr. 102 („1200“), NassUB I,1 Nr. 312 („1205“); MRR IV, Nachtr.
Nr. 2316 („1205“). Im Registrum bonorum ist der Tausch eindeutig „M.CC.J
in primo die Januarii“ datiert.] belegten Äbtissin Adelheid (dann
hätten die stickenden Klosterfrauen gewiss nicht an den drei Buchstaben
für D(omi)na gespart) und dem in der Urkunde neben ihr genannten procurator
Gottfried von Weiler. Was Procurator hier bedeutet, wird sowieso
nicht ganz klar: Am ehesten ist es der bevollmächtigte Vertreter vor
Gericht. Es könnte angesichts der ganz lokalen Beschränkung der
Angelegenheit und der Beteiligten auf Rüdesheim ein einfacher Pächter
sein (vgl. 7.37.37.37.3). Außerdem tritt neben ihm Helwicus de
Ibingen als Vertreter des Klosters auf.
Es lässt sich die Zuordnung dieser beiden Figuren
aber auch zu den jeweils vor ihnen dargestellten Personen denken. GODEFRIDVS
ist dann eher der Bruder Erzbischof Siegfrieds, Graf Gottfried von Eppstein,
† vor 1223 Dezember 19. [299 Datum in den Tafelwerken wegen dem
Auftreten seiner Söhne in Boehmer/Will 2, Nr. XXXII 457.] Er erscheint
1215 als weltlicher Spitzenzeuge in seines Bruders großer Bestätigungsurkunde
für das Kloster, aber anscheinend auch im Nekrolog unter Dezember
25 als Godefridus l(aicus). de Erpenstein. [300 MRUb 3, Nr.
41.] Freilich sollte man ein comes beim Namen im Nekrolog wie auf
dem Antependium erwarten.
Eine unanfechtbare Identifikation der ADELHEIDIS
gelingt noch weniger. Die angebliche Mutter der Herzogin Agnes mit diesem
Namen hat es nicht gegeben. Auch unter deren Stiefmüttern, Halbgeschwistern
und Kindern findet sich der Name nicht. Da Agnes’ Onkel Gerhard II. von
Rieneck (1158–93) mit Adelheid von Geldern verheiratet war, könnte
man freilich eine Kusine vermuten oder eine Generation weiter die Frau
des Mainzer „Burggrafen“ Ludwig II. von Rieneck (†1243), Adelheid v. Henneberg,
unterstellen. Aber das wäre im Nebel gestochert.
Auch bei den Schenkerinnen im Registrum bonorum
finde ich keine wirklich passende Adelheid; die wichtigen erscheinen vor
1200, und dazu als damals bereits gestorben.
1207 Mai 1 schenkte angeblich Rheingraf Werner der Jüngere
dem Rupertsberg für eine ins Kloster gegangene Schwester Adelheid
vor Antritt einer Kreuzfahrt einen Hof in Kempten. [301MRUb 2, Nr.
227] Aber diese Adelheid wäre dann wohl die ADELHEIDIS in der
Reihe der Nonnen, wenn… ja, wenn die Urkunde echt wäre. Da sie nur
in Kindlingers Sammlung überliefert ist, handelt es sich höchstwahrscheinlich
um eine Schott’sche Fälschung, dafür spricht nicht nur, dass
es um die Genealogie der Rheingrafen geht, sondern auch, dass Schenkung
und der angeblich geschenkte Hof in Kempten nicht im Registrum bonorum
erscheinen.[302 Auch MRUb 3, Nr. 1052 halte ich aus gleichem Grund
für eine Fälschung. Auf dem Rupertsberg gab es übrigens
keine „Inklusen“.]
CVNRADVS: Schon von Wilckens identifiziert ihn
als den Cunradus de Munstere et uxor eius Bertha, der 1219 alle
seine (ihre) Güter dem Rupertsberg schenkt. [303 MRUb 3, Nr.
117]
Es wäre ungewöhnlich, wenn bei den Stifterfiguren
Lebende und Verstorbene ohne unterschiedliche Darstellung nebeneinander
erschienen. Solange hier kein Indiz aufgezeigt wird, sollten wir annehmen,
dass alle, die sich stiftend hier vereinigen, d. h. alle, die vereinigt
eingestickt wurden, eine lebendige Gebetsgemeinschaft bildeten, jedenfalls
zum Zeitpunkt der Stiftung. Dazu gehört, dass ihre Lebensdaten ein
gemeinsames Fenster haben. Sehen wir nach:
Sifridus Archiepiscopus
Siegfried II. (von Eppstein)
amtiert 1200–1230
Agnes ducissa
Agnes von Bar, Wwe. d. Hz. v. Lothringen † 1226 Juni 19
Gotefridus
Gf. Gottfried I. von Eppstein ?
(† ca. 1222?)
Adelheid
? ?
? ? ?
Cunradus
Konrad von Münster
schenkt 1219
Danach wäre das Antependium also spätestens
1223 in Auftrag gegeben worden, eher fünf Jahre früher; denn
die offensichtlich bedeutende Schenkung des Konrad von Münster führte
dazu, dass er noch nachträglich untergebracht wurde, was dann wohl
1219 geschehen wäre.
Von den Nonnen haben wir zu wenig Nennungen, um Sicheres
über alle auf dem Antependium verewigten aussagen zu können.
Die Äbtissin Elisa(beth) war nicht 1208 eingesetzt nach einer nur
von Trithemius erfundenen zwiespältigen Wahl. Sie erscheint urkundlich
nur 1235. [304 MRR 2, Nr. 2191.] Dies ist neben der Nennung von
Adelheid 1201 (s. o.) das einzige urkundliche Auftreten einer Rupertsberger
Magistra oder Abbatissa in mehr als 50 Jahren! Dass keine
als Zeugin in öffentlichen oder privaten Urkunden erscheint, wundert
nicht; aber auch bei den vielen Schenkungs- und Verpachtungsnotizen im
Registrum bonorum werden ihre Namen nicht genannt.
Elysa (als magistra) und mehrere Nonnen
begegnen uns im Bericht zum Heiligsprechungsprozess 1233 Dezember 16, dessen
Nennungen zeitlich nicht genau, aber frühestens 5 Jahre davor einzuordnen
sind: [305 Acta inquisitionis. pass.] Agnes war
danach priorissa; weiter genannt werden der Äbtissin leibliche
Schwester (ohne Namen; wenn sie dargestellt ist, wird es wohl eine der
beiden Ida sein), die custodissa Beatrix [306 Sie
war mit 12 Jahren schon zu Lebzeiten Hildegards auf den Rupertsberg
gekommen und stammte aus Koblenz, Acta inquisitionis., S. 120.], Odilia
celleraria [307 Sie hatte noch 6 Jahre Hildegard erlebt.
Acta inquisitionis., S. 121.], Sophia cantrix; als einfache Nonnen
werden Clementis [308 Der Akkusativ Clementem ist wohl so
zu verstehen. Sie stammte aus Trechtingshausen, verschaffte ihrem Bruder
Haare Hildegards (mit den Haaren Hildegards wurde ein besonderer
Kult getrieben) und wurde dafür von (der lebenden?) Hildegard
gepeitscht. Acta inquisitionis. S. 120f.] und, freilich nicht ausdrücklich
als soror, Gotta (Guda) erwähnt, schließlich eine
Konverse Hedewigis
[309 Auch sie erlebte Hildegard
noch, ebd. S. 123.].
Wenn wir nun aber die Reihe der Nonnen als Anhaltspunkt
für die Datierung des Antependiums nehmen, kommen wir auf einen deutlich
späteren Terminus post quem. Die Schwestern spendeten wohl kaum Geld
oder Gut, wie die weltlichen Stifter, sie brachten wohl nur Arbeit und
Gebete ein. Die 11 dargestellten Nonnen dürften kaum den ganzen Konvent
dargestellt haben, sondern eine Auswahl nach Würde, Amt und Anciennität.
So oder so fehlen die custodissa Beatrix und die Odilia celleraria,
die im Inquisitionsbericht als besonders bedeutend erscheinen, weil sie
Hildegard noch persönlich erlebt hatten.
Als Lösung sehe ich nur, dass die Stifter den (gewiss
erbetenen) Auftrag und die nötigen Gelder vor 1126 gaben, sich die
Herstellung der Figuren aber solange hinzog, bis Beatrix und Odilia gestorben
waren, weswegen der Konvent die Namen ihrer Nachfolgerinnen einsticken
ließ, ebenso wie als 11. Namen Guda, zu der es kein Bild gibt.
Die betenden Büsten waren fertig und sowieso keine Porträts.
Nach ihrer frühestens 1228, spätestens 1233 abgegebenen Zeugenaussage
dürften die Greisinnen nicht mehr lange gelebt haben.
9.3 Ein merkwürdiges Heiligsprechungsgutachten
Dass Hildegard von ihren geistlichen Töchtern
und den Personen in ihrer geistigen und geographischen Nähe als Heilige
angesehen und verehrt wurde, wird nicht nur durch dieses An-tependium bezeugt.
Folgerichtig bestrebte man sich, in einer immer besser organisierten Kirche
vom Heiligen Stuhl auch die förmliche Heiligsprechung zu erreichen.
Die ersten Schritte – von Seiten der Äbtissin und des Konvents – sind
meines Wissens nicht dokumentiert. Papst Gregor IX. (1227–1241) forderte
Laterani VI kalendas februarii. Pontificatus nostri anno primo (das
ist 1228 Januar 27 im Annuntiationsstil, auch wurde Gregor erst 1227 März
19 gewählt) vom Mainzer Dompropst Gerbodo (belegt 1223–35), sowie
von Walther (belegt 1217–1245) und Arnold (belegt 1216–34), Dekan und Scholasticus
von St. Peter in Mainz einen besiegelten Bericht über Hildegards
Leben,
Berufung, Ruf, Verdienste und Wundertaten nach Befragung glaubwürdiger
Zeugen an. Dieser Auftragsbrief ist dem angeforderten Bericht vorangestellt,
den die drei Inquisitoren erst 1233 Dezember 16 nach Rom schickten. Dieser
Bericht ist im besiegelten Original [310 Jetzt im LHA Koblenz. Bester
Druck: Acta inquisitionis.] erhalten, überliefert im Archiv des Klosters.
Der Papst hatte nämlich 1237 Mai 6 das Original zur Verbesserung oder
Neuanfertigung zurückgeschickt, und auf diesem sind auch einige Ergänzungen
der Inquisitoren vermerkt, unter ihnen jetzt auch der Mainzer Domscholaster
und Binger Propst Johannes (belegt als solcher 1236–51, sodass die Ergänzungs-Notizen
auf 1237–51 zu datieren sind). Offensichtlich wurde aber eine Reinschrift
davon nicht nach Rom gesandt und ebensowenig ein ganz neues Dokument, denn
1243 November 24 mahnte Innozenz IV. die Erfüllung ihrer Aufgabe an.
Spätere Prozess-Akten oder -Daten sind nicht bekannt.
Wortlaut und Inhalt des Protokolls taugten wenig dazu,
die Kurie zu überzeugen. Fast alles beruht nur auf Hörensagen
und wird mit deutlicher Distanz berichtet, ohne dabei den Anspruch auf
Objektivität zu erheben. Allerdings genügte es zur Heiligsprechung
ja auch, wenn viele Gläubige von der Heiligkeit überzeugt waren.
Für eine genaue Evaluation fehlen mir Vergleiche, ausgenommen die
nur ein halbes Jahrhundert später festgehaltenen Miracula des
Knaben Werner in Bacharach, ein Muster an Nachprüfbarkeit und Sachlichkeit
im Vergleich zu den Acta inquisitionis.
Ob nun mangelnde Verfahrenskenntnis oder mangelnder Eifer
oder gar Sabotage am Werk war, und ob es nun nur die erzbischöfliche
Umgebung oder sogar auch die Nonnen auf dem Rupertsberg waren, die den
Heiligsprechungsprozess so halbherzig betrieben und ihn im Sande verlaufen
ließen, mag man je nach Wunschdenken interpretieren.
Wie die Viten, aber erst recht der Heiligsprechungsprozess
berichten, zog Hildegard schon vor, erst recht nach ihrem Tod Besessene,
Fallsüchtige, Seelen- und Geisteskranke an und wurde von ihnen als
Heilerin angerufen und verehrt. Spuren davon sind ja noch heute wirksam.
Es scheint, dass diese Verehrung den Nonnen im Rupertsberger
Kloster unwillkommen war. Beaufsichtigung, evtl. Heilung solch prekärer
Kranker, etwa durch Exorzismen, war enorm aufwendig und in mancherlei Hinsicht
gefährlich. Der Konvent war ja von Hildegard auch zu ganz anderem
Zwecke gegründet worden: Zur Unterstützung ihrer „Propaganda“
(das Wort im ursprünglichen kirchlichen Sinne gebraucht). Allerdings
wurde auch diese Aufgabe von den Nonnen nicht weiter wahrgenommen, vielmehr
auslaufen lassen, nachdem geistliche Konsulenten wie Guibert, Wezelin und
Giselbert gestorben oder abberufen waren, und nachdem Hildegards Denken
und Andenken, ihre Werke, ihr Wirken im Riesenkodex niedergelegt worden
waren. Sie versuchten nicht, einen Hildegard-Kult aufzubauen und
nach außen wirken zu lassen. Sie machten keine Versuche, Guibert,
der sich freilich bald nach Hildegards Tod kaum mehr für deren
Gesichte und Denken, sondern außer für seine Ämter und
seine Karriere nur mehr für St. Martin interessierte, oder ähnliche
Gestalten an sich zu binden. Sie fanden Sehertum obsolet oder zumindest
ihre eigenen Fähigkeiten übersteigend. Die beträchtlichen
Kapazitäten des Skriptoriums dienten bald nur noch der Gütererfassung,
die nicht viel hinter der der Eberbacher Mönche zurückstand,
also auf der Höhe der Zeit gewesen sein dürfte, was eine brauchbare
Edition des Registrum bonorum bestimmt erweisen dürfte.
Natürlich bedeutete dieser Rückzug aus dem
öffentlichen Wirken keine Distanzierung von Hildegard. Sie
wurde auf dem Rupertsberg und in Eibingen durchaus als lokale Heilige wie
anderswo andere Klostergründerinnen verehrt, durchaus im Bewußtsein
ihres einst weltweiten Wirkungskreises. Ihr Erscheinen als Heilige auf
dem Antependium, noch dazu unter beglaubigender Assistenz des Erzbischofs,
sagt nicht mehr und nicht weniger; ebenso die halbherzige Unterstützung
des Heiligsprechungsunternehmens, die vielleicht schlichtem Unvermögen
entsprang (was aber dieselben Folgen hat). Es genügte den Nonnen,
dass sie selber Hildegard als Heilige verehren durften. Eine Kanonisation
hätte zusätzliche Ansprüche bedeutet. Um Ansprüche
zu reduzieren, um ruhig ihren Besitz genießen zu können, vernichteten
die Nonnen im 17. Jahrhundert sogar den mittelalterlichen Nekrolog,
der sie zu Gedenk-Gebeten verpflichtete; nichts anderes als ein Betrug
an all den Frommen, die für ein „ewiges“ Gedächtnis ihren Vorgängerinnen
Grundstücke und Einkünfte übertragen hatten, die der Konvent
gerne für sich behielt. Gleichwohl standen diese Eibinger Nonnen eher
in der geistigen Hildegard-Nachfolge als das meiste, was heute im
Namen Hildegards Geschäfte macht.