veröffentlicht im Archiv für Familiengeschichtsforschung,
4 (2000), S. 96–110
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und Ergänzungen (diese als solche sichtbar in WORD 98, Menü Extra,
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Josef Heinzelmann, Kirchweg 1, 55430 Oberwesel-Langscheid, eMail: JosefHeinzelmann@t-online.de
Beim Versuch, die Herkunft der ersten „rheinischen SPANHEIMER“,
d. h. des Stephan von Spanheim und seiner Frau Sophia zu klären,
bediente ich mich, wie es sich gehört, auch des Indizes der Namensvererbung.[1
J. H., Spanheimer-Späne, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte
25 (1999), S. 7–67.] Der Name Sophia scheint überhaupt als
Prüfstein für die Leitnamensitte um die erste Jahrtausendwende
geeignet. Neu erscheinende Namen sind als Fremdkörper besonders erklärungsbedürftig.
Entstanden sie durch Änderung der Nachbenennungssitte als allgemeiner
Brauch? [2 Michael Mitterauer, Ahnen und Heilige. Namengebung in
der europäischen Geschichte, 1993, krankt an mangelnder sozialer und
historischer Differenzierung. Die Namengebung bei den Unterschichten war
gewiss anders als im (Hoch)adel. Auch das von mir zugrundegelegte Nachbenennungssystem
gilt wohl nur im Adel und im 10./11. Jahrhundert. Mitterauers Darstellung
des Problems (vor allem S. 379ff) sucht mehr nach dem Warum der Nachbenennung
als nach dem Ob und Wie. Die nimmt er sehr schematisch an: “Töchter
erhalten den Namen ihrer mütterlichen Großmütter. Die Namengebung
ist eindeutig an einer spezifischen Verwandtschaftsbeziehung orientiert.”
Das ist genealogischer Unsinn. Dann hätten etwaige Schwestern
alle denselben Namen. “Vatersnachbenennung erscheint … als etwas grundsätzlich
anderes als Großvatersnachbenennung” (für die es das nette Fremdwort
Papponymie gibt). Das mag sein, aber wenn von zwei Brüdern einer dem
Vater (und gleichzeitig einem Großonkel) und einer dem Großvater
(und gleichzeitig einem Onkel) nachbenannt ist, wofür es tausend Beispiele
gibt, was sagt Mitterauer dann?] Oder durch Umbenennung von ursprünglich
anders benannten Personen? [3 Nicht nur beim Übertritt zum
Christentum. Vgl. Gertrud Thoma, Namensänderungen in Herrscherfamilien
des mittelalterlichen Europa (Münchener Historische Studien, Abt.
Mittelalterliche Geschichte 3), 1985.] Oder durch Einheirat von außerhalb,
etwa aus dem byzantinischen Christentum (von dort kam auch die später
übliche Namengebung nach Heiligen)? Oder – entgegen allen eindeutigen
Fällen, in denen wir Namen von Paten und Täufling kennen – doch
hie und da einmal nach dem Taufpaten?
Es stellte sich heraus, dass der Name Sophia darüber
hinaus als Beispiel geeignet ist, wie sehr man genealogisch oft im Dunkeln
tappen muss. Ohne Ergebnis bemühte ich mich, die Herkunft der SPANHEIMER
Stammutter zu finden. Aber die Namensherkunft einer wichtigen anderen Sophia,
die auch zu den SPANHEIMER-Vorfahren gehört, konnte ich wohl eruieren.
Die Nachkommen Theophanus
Die frühest belegten Vorkommen des Namens Sophia in Deutschland fallen meines Wissens ins ausgehende 10. Jahrhundert.[4 “Quant à la tradition sur une autre femme de Zwentibold (des Königs von Lothringen) nommée Sophia, elle est parfaitement légendaire.” (Christian Settipani avec la collaboration de Patrick Van Kerrebrouck, La Préhistoire des Capétiens 481–987. 1 Mérovingiens, Carolingiens et Robertiens (Nouvelle histoire généalogique de l’auguste Maison de France 1), Villeneuve d’Asq 1993, S. 295 Anm. 702).] Zuerst begegnet der Namen unter den Kindern und Enkeln von Kaiserin Theophanu, die offensichtlich den Namen nach Mitteleuropa gebracht hat. Es ist nämlich – nach wohl endgültiger Meinung der Historiker – der Name ihrer Mutter. [5 Die Filiation zu Sophia Phokaina hat erstmals der Schriftsteller Henry Benrath (d. i. A. H. Rausch) erschlossen. Otto Kresten, Byzantinistische Epilegomena zur Frage: Wer war Theophano?, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des 1. Jahrtausends. Gedenkschrift … Hrsg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, 1991, 2, S. 403ff. Ekkehard Eickhoff, Theophanu und der König Otto und seine Welt, 1996, S. 31, mit Anm. 45.] Theophanus Tochter Sophia, Äbtissin von Gandersheim und Essen, spielte bis zu ihrem Tode 1039 eine wichtige Rolle in der Politik. Durch ihre Schwester Mathilde, die Gattin des Pfalzgrafen Ezzo, kam der Name in die nächste Generation, an eine Sophia, die bisher nur aus der Brauweiler Überlieferung und den Viten Godhards bekannt ist, sowie durch deren Schwester Richeza, Königin von Polen, an deren gesicherte und vermutete Nachkommen. Dagegen ist der Name Theophanu mit einer Tochter Ezzos, Äbtissin in Essen und Gerresheim, „ausgestorben“.
Sophia von Lothringen/Mousson
Eine Sophia, die ihrem Manne Ludwig von Mousson-Bar-Mömpelgard
die Hälfte der Allode des Herzogs Friedrich II. von (Ober-)Lothringen
zubrachte, ist nach der Tochter und der Enkelin Theophanus
die zeitlich nächste Namensträgerin. Auch sie hat
den damals besonders auffälligen Namen unter ihrer Nachkommenschaft
verbreitet. Wenn es eine Leitnamensitte gab, muss sie auch hier – in der
Crême de la crême des damaligen Reichsadels – gegolten haben.
Hat sie aber gegolten, drängt sich eine überraschende Erklärung
auf, die ich hier vorstellen will, wobei ich sie gegen den Vorwurf des
Zirkelschlusses abzusichern suche.
Kein Forscher hat bisher erklärt oder auch nur zu
erklären versucht, woher Sophia ihren Namen hat. Niemand hat
vermutet, sie könne eine Theophanu-Nachkommin
sein. Alle Forscher haben bisher angenommen, dass sie eine Schwester des
als Kind verstorbenen Herzogs Friedrich III. und der Beatrix von Tuszien
und eine Tochter Friedrichs II. und der Mathilde von Schwaben war. [6
Das älteste Herzogshaus von Ober-Lothringen und die Grafen, später
Herzöge von Bar, also die väterlichen Vorfahren und die Nachkommen
Sophies im Mannesstamm (aber auch die Kinder der weiblichen Nachkommen)
sind in einer umfangreichen Arbeit dargestellt, die alle früheren
Forschungen zusammenfasst: Georges Poull, La Maison souveraine et ducale
de Bar, Nancy, 1994.] Suchen wir dort nach einer Herleitung des Namens.
Exkurs: Hermann II. und seine angebliche Ottonen-Verwandtschaft
Da wir bei Friedrichs II. durchaus bekannten Eltern und
Großeltern keinen Anhaltspunkt und keine Sophie in der Verwandtschaft
finden, müsste Sophie ihren Namen nicht von Vater-, sondern
von Mutterseite haben. Als ihre Mutter gilt Mathilde, die in erster Ehe
mit dem Herzog Konrad von Kärnten, dem SALIER,
in dritter Ehe mit Graf Esiko von Ballenstedt (einem ASKANIER) verheiratet
war.
Mathilde war als Tochter Herzog Hermanns II. von Schwaben
und der Gerberga von Burgund (Witwe
von Graf Hermann von Werl) [7 Paul Leidinger, Untersuchungen zur
Geschichte der Grafen von Werl. Ein Beitrag zur Geschichte des Hochmittelalters
(StQuwfG 5), 1965, S. 51ff.] etwa 988/990 geboren worden, war 1002 schon
mit dem SALIER Konrad, Herzog von Kärnten,
(† 1011 Dezember 12) verheiratet, hatte mit ihm die Kinder Konrad (der
jüngere Thronkandidat von 1024) und Bruno (1034 Bischof von Würzburg,
† 1045 Mai 27). In zweiter Ehe heiratete sie (laut Poull erst etwa 1016)
Herzog Friedrich II. von (Ober)-Lothringen, der 1026 Mai 18 (noch vor seinem
Vater, der mit ihm die Regierung teilte), starb. [8 Poull, La Maison
… de Bar, S. 21 ff. Im Lexikon des Mittelalters gibt Michel Parisse Friedrich
keine Ordnungszahl, wohl weil er noch vor seinem Vater starb. Dort ist
also zur Steigerung der Verwirrung sein Sohn Friedrich “II.”] Recht eindeutig
ist jedenfalls die Meldung Wipos, Fridericus dux Liutharingorum, vitricus
praedicti Chuononis, imperatori inimicando morte propria praeventus est.
[9 (Der Lothringer-Herzog Friedrich, Stiefvater des eben genannten
Kuno (Konrad), wurde vom Tod abgehalten, den Kaiser zu befehden…) Wipo,
Gesta Chuonradi II. imperatoris, cap. 19 (Monumenta Germaniae historica,
Scriptorum rerum Germanicarum in usum scholarum, (MG SS 61, 1915, Nachdruck
1956).] Dieser Ehe sollen Friedrich III., Sophie und Beatrix entsprossen
sein.
Erwähnen wir kurz, dass Mathildes Vater, Herzog
Hermann II. von Schwaben, ein in seiner Zeit sehr mächtiger Fürst
war, der gegen HEINRICH II. um die
Nachfolge OTTOS III. kandidiert haben
soll. Er steht heute im Mittelpunkt eines erbitterten Historikerstreits,
da einzelne Forscher eine fragwürdige Meldung der unzuverlässigen
WELFEN-Chroniken zum Anlass genealogischer
Spekulationen nahmen: Ein Graf Kuno von Öhningen habe Richlind,
eine Tochter Kaiser OTTOS I., zur Frau
gehabt. Mit Kuno dürfte Hermanns Vater Herzog Konrad gemeint sein,
Richlind wird von den Parteigängern
dieser Meinung meistens als Enkelin OTTOS I.
uminterpretiert. Grundsätzlich ist diese Diskussion um Hermanns II.
Thron-Erbrecht meiner Ansicht entschieden: „Wenn man schon um jeden Preis
einen ,geblütsrechtlichen‘ Anspruch Hermanns“ (II., Herzog von Schwaben)
„postulieren will, dann läge es wohl doch näher, die unbestreitbare,
allgemein bekannte ottonisch-karolingische
Deszendenz von dessen Gemahlin Gerberga
ins Feld zu führen (Anm: Unter ihren Ahnen bis zur 4. Generation befinden
sich neun (!) Könige, darunter drei KAROLINGER…).“
[10 Carlrichard Brühl, Deutschland – Frankreich. Die Geburt
zweier Völker, 19952, S. 633.] Zu Herzog Konrad von Schwaben konnte
ich aus dem Blickwinkel der SPANHEIMER-Forschung sehr viel deutlicher machen,
dass er mit dem dux Kuno de Beckilnheim, der mit einer Jutta verheiratet
war, identisch ist, was die behauptete Ehe mit einer OTTONIN
Richlind so gut wie unmöglich macht.
Dass Hermanns II. und der Gerberga
Tochter Mathilde einer Tochter den Namen Sophia aus der
Nachkommenschaft Theophanus vermittelte,
ist auch aus anderen Gründen auszuschließen. Mathildes erster
Mann, der SALIER Konrad, war ein Urenkel
Kaiser OTTOS DESGROSSEN. Sie kann also
nicht eine Enkelin Theophanus und OTTOS
II. gewesen sein. Konrads und ihre Ehe wäre auf der Synode
in Diedenhofen/Thionville noch heftiger angegriffen worden, als sie es
wegen des genau belegten 7. kanonischen (8. römischen) Grades 1003
wurde. „Herzog Otto, der Vater des unter uns sitzenden ehrenwerten Herzogs
Konrad, war der Sohn einer Tochter des großen OTTO,
welchletzteres Schwester Gerberga ihre
Tochter dem König der Burgunder Konrad
gab. Konrads Tochter gebar aber Mathilde,
eben des hier unter uns weilenden Konrads Frau.“ [11 Constantini
Vita Adalberonis II. (MG SS 4, 663f.): Domnus Otto dux, pater istius
venerabilis Conradi ducis nobis considentis, natus ex filia est magni OTTONIS,
cuius soror Girbergia dedit filiam
suam Conrado Burgundionum regi. Ex
Conradi autem filia nata est domina
Mathildis, huius Conradi assidentis uxor.] Grafisch dargestellt und
um die selbstverständlichen Namen ergänzt:
| Kaiser OTTO I. | Liutgard
oo Konrad der Rote |
Herzog Otto (von Kärnten) | Herzog Konrad (von Kärnten) |
oo
| Gerberga
oo Ludwig IV. König von Frankreich |
Mathilde
oo Konrad II. König von Burgund |
Gerberga
oo Herzog Hermann II. von Schwaben |
Mathilde von Schwaben |
Die durch diesen gewiss zwischen Bischof Adalbero und
König
HEINRICH II. abgesprochenen Angriff ausgelöste Empörung
richtete sich nicht gegen die unbestreitbare Darstellung gemeinsamer Abstammung
von König HEINRICH I., sondern
nur gegen die Anwendung einer neuen kanonischen Zählung, die
zwischen Geschwistern nur einen Schritt berechnete (quia frater sororque
in supputatione non admittitur), nicht zwei (je einer zum gemeinsamen
Elternteil) wie im römischen Recht und auch in unserem Verständnis.
Diese Verschärfung der kanonischen Regeln konnte auf Dauer nicht durchgesetzt
werden, bzw. wurde bald durch exzessive Dispensationen umgangen.
Hier wird auch deutlich, weshalb diese Vorschriften
so oft missverstanden wurden: HEINRICH II.
spricht vom Frevel von Ehen tertii loci consanguinitatis, da doch
nach den heiligen Bestimmungen des Kanons solche ad septimam usque generationem
untersagt seien. Generatio ist hier im klassischen lateinischen Sinn als
„Zeugung, Geburt“ zu verstehen, nicht als Abstand zum gemeinsamen Ahnherrn
(das ist der locus consanguinitatis). [12 Insofern ist der
Aufsatz von C Bouchard in: Épouser au plus proche, inceste, prohibitions
et stratégies matrimoniales autour de la Méditerranée
(Civilisations et sociétés 89), hrsg. Pierre Bonte,
Paris 1994. besonders grotesk.] Die Inzest-Verbote sind ja sowieso keine
Glaubensinhalte. Im Neuen Testament findet sich nichts dergleichen, und
im Alten (auch weiterhin im Judentum) waren Heiraten z. B. zwischen Onkel
und Nichte erlaubt. Sie entstammen dem römischen Recht und sind mithin
ein weiterer Beweis für die Rechtskontinuität zwischen dem spätrömischen
Reich und dem Mittelalter, die Aufgabe der Bischöfe war. Sie dienten
zur Friedenswahrung (wie jede Exogamie) und Verhinderung von Machtkonzentrationen,
darum wurden die zumindest bei Theodosius zu findenden Verbote in exzessiver
Weise immer mehr ausgedehnt. Darin hat man auch kirchliche „Erbschleicherei“
(je weniger legitime Erben, desto mehr fiel an die „tote Hand“) gesehen.
[13 James Goody, The Development of the Family and Marriage in Europe,
Cambridge 1983 (dt.: Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa. Aus
d. Engl. v. E. Horn, Berlin 1986). Bis zum 1. Jahrhundert galten die Eheverbote
nur zwischen agnatische Verwandte bis zum 7. Grad. Als sie auch auf die
mütterliche Seite erweitert wurden, wurden sie gleichzeitig reduziert.
(Yan Thomas, Rom: Väter als Bürger einer Stadt der Väter…,
in: Geschichte der Familie, hrsg. v. André Burguière u. a.,
1, S. 293ff., sowie Pierre Guichard und Jean-Pierre Cuvillier, Europa
in der Zeit der Völkerwanderungen, ebd. 2, S. 31f.).]
Als Enkelin OTTOS II.
wäre Mathilde im 5. „kanonischen“ Verwandtschaftsgrad mit Konrad verwandt
gewesen. [14 Aus dem gleichen Grund ist die von den WELFEN-Chronisten
ins Spiel gebrachte Tochter OTTOS I. Richlint
(von heutigen Forschern ebenso willkürlich zur Enkelin
gemacht) als Gattin Herzog Konrads von Schwaben unmöglich.] Natürlich
könnte Jackman [15 Donald C. Jackman, Das Eherecht und der
frühdeutsche Adel. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für
Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung (ZRG GA) 112, 1 (1995).] auch
hier behaupten, dass Bischof Adalbero diese nahe Verwandtschaft „geheimgehalten“
hätte. Ich bin mir sicher, eine solche Geheimhaltung einer nahen Verwandtschaft
mit den OTTONEN, auf die sich der doch
im ganzen Reich bekannte Thronfolgeanspruch Herzog Hermanns gegründet
haben soll, konnte damals vor den Großen des Reichs nicht unentlarvt
durchgehen, sondern nur bei verrannten Historikern unserer Tage.
So bleibt für Phantasten [16 Man fasse
das Wort nicht allzu negativ auf: Mittelaltergenealogie beruht immer auf
kreativer Vorstellung aller Möglichkeiten, im zweiten Arbeits- und
Gedankengang aber auf strenger Kritik ihrer Wahrscheinlichkeit.] die Möglichkeit
offen, dass Mathilde „eins“ nach kurzer zweiter Ehe starb und Herzog Friedrich
II. eine zweite Gattin genommen hat, die auch Mathilde hieß und auch
eine Tochter Hermanns II. [17 Schließlich bezeichnet sie sich
um 1027 (frühestens 1025) bei einer Widmung für König
Mieszko von Polen (s. u.) als Tochter Herzog Hermanns.] war,
aber aus einer anderen Ehe mit einer Theophanu-blütigen
Frau stammte.
Leidingers gründliche Untersuchung über Mathildes
Mutter und ihre Familie erster Ehe genügt, um Gerbergas
Lebensdaten zu klären. Sie ist im Jahre 1000 zum letzten Mal erwähnt,
erstaunlicher Weise als matrona, obwohl sie doch verheiratet war und die
letzten Kinder noch unmündig waren. Hermann II. hätte vielleicht
in den letzten Jahren seines Lebens (1000–1004) eine zweite Gattin nehmen
können. Aber welche Theophanu-Tochter
oder -Enkelin wäre infragegekommen? Keine belegbare, keine denkbare
sogar. Und warum hätte kein Chronist eine so vornehme Verbindung erwähnt?
Wo wäre die Witwe abgeblieben? Außerdem wird eine Meldung über
Hermanns Tod ausdrücklich von der Bemerkung begleitet, dass er von
Gerberga drei Töchter und einen
Sohn seines Namens hinterließ. [18 Sie hatten außerdem
einen früh verstorbenen Bertold/f. Letzteres entspricht der Nachricht
der Historia monasterii Marchtalensis c. 2, MG SS XXIV S. 664: Hic Hermannus
de egregia Francorum natus prosapia, regis Cuonradi
filiam de Burgundia nomine Gerbirgam
… legitimo suscepit coniugio; … ipsa vera ducissa eidem duci filium peperit
… Berhtolphum… Is puer, cum esset tantum unius anni et quatuor dierum …
defunctus… Ersteres meldet das Herimanni Augiensis Chronicon ad 997,
MGH SS V S. 118: Cuonradus Alamannorum dux obiit et pro eo Herimannus
ducatum accepit; qui et ipse filiam Cuonradis
regis Burgundiae, Gerbirgam,
in matrimonio habuit; ex qua filium aequivocum tresque filias reliquit.]
Von einer zweiten Ehe und einer Tochter daraus ist keine Rede.
Entscheidend ist bereits ein einziges Argument: Herzog
Friedrich hätte eine Halbschwester seiner ersten Gemahlin nicht heiraten
dürfen. Das war nach kanonischem Recht damals ausgeschlossen. [19
Die Eheverbote bei Verschwägerung sind noch schwerer zu rekonstruieren
als die bei Inzest. Hier handelt es sich freilich um eine Affinitas
primae gradus. Nur dritten Grades ist die Verschwägerung zwischen
einer Braut und dem Sohn ihres Stiefvaters, wie es in unserem Familienzusammenhang
z. B. die Ehe zwischen Mathilde von Canossa und Tuszien und Gottfried dem
Buckligen von Lothringen eine war. Warum Hansmartin Schwarzmaier, Mathilde
von Tuszien und Deidesheim, in: Palatia historica. FS f. L. A. Doll zum
75. Geburtstag, hrsg. v. Pirmin Spieß (QAbhmittelrheinKirchenG 75),
1994, hier S. 62) diese “für mittelalterliche Verhältnisse eine
skandalöse Nahehe” nennt, verstehe ich nicht recht.] Vollends zunichte
gemacht wird dieses hypothetische Hirngespinst durch den Reichenauer Gedenkbucheintrag
von 1025, von dem gleich zu reden sein wird.
Hätten wir ein paar Quellen weniger, ließe
sich trefflich kombinieren und die Diskussion über Erbrecht oder Wahlrecht
für die Bestimmung des Thronnachfolgers um weitere Hypothesen bereichern.
Insgesamt ist die Spekulation gescheitert, doch gibt es noch einen Spalt,
durch den man einen Fuß in die Tür der Hypothese bekommen kann.
Denn die Richtung, in der wir Theophanu
von Sophie aus suchten, war falsch.
Sophia als Tochter Herzog Friedrichs III.
Adolf Hofmeister hat erstmals die Abfolge der letzten
Herzöge aus dem ersten oberlothringischen Hause klargestellt. [20
Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung”
(MIÖG) 38 (1920), Seite 503ff. (Besprechung von Robert Parisots “Les
Origines de la Haute-Lorraine et sa première maison ducale (959–1033)”).]
Ich diskutiere die Ergebnisse nicht lang, sie sind unabweisbar, sind von
Parisse, Poull und anderen selbstverständlich übernommen worden;
doch sind die dort angeführten Nachrichten der Chronisten noch konkreter.
Wenn die Chronik von Saint-Mihiel [21 André
Lesort (Hsg.), Chroniques et chartes de l’Abbaye de Saint-Mihiel (Mettensia
VI), Paris 1909-1912, S. 30f. – Die Identifikationen in MG SS 4, 84, Anm.
20 sind verfehlt. – Die Chronik entstand zwischen Ende 1033 und 1037: Michel
Parisse, In Media Francia: Saint-Mihiel, Salonnes et Saint-Denis (VIIe-XII
e siècles). In: Media in Francia. Recueil de mélanges offert
à Karl Ferdinand Werner, 1989, S. 325.] im Zusammenhang mit
langjährigen Restitutionsbemühungen des Abtes Nanther, direkt
nach den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Graf Eudes/Odo (von
Blois und der Champagne) und KONRAD II.
berichtet: …cunctis morbo absumptis duce Tiedrico, filio ejus, et filio
filii, exceptis duabus puellulis Sophya et Beatrice, quae nutriebantur
in aula regis, nam conjunx imperatoris, amita earum, eas sibi adob(!)taverat
in filias… muss dieses im Ablativus absolutus als Vergangenheit erzählte
Wegsterben fast einer ganzen Drei-Generationen-Familie, das, wie wir wissen,
1026 mit dem Tod Friedrichs II. begann, eindeutig im Jahr 1033, vermutlich
im Mai, geendet haben, da Friedrich III., der „Sohn des Sohnes“, erst jetzt
starb. Puellula gilt für diesen Zeitpunkt. Das Wort kann nicht für
14-jährige, also deutlich ehemündige Mädchen verwendet werden,
was die Forschung bisher übersehen hat. Wenn laut der sehr zuverlässigen
Chronik eines Augenzeugen dann später der Abt seine Bitte an den Kaiser
über die beiden Erbinnen richtet, heißt es puellas adiit;
sie sind inzwischen schon etwas älter.
Bei Sigebert de Gembloux [22 MG SS 6, 357.] wird
die Situation anders, aber in selbem Sinne geschildert. Dabei muss es sich
wieder um 1033 (Sigebert, der mehrere Angaben ein Jahr zu spät datiert,
meldet es unter 1034) und Friedrich III. handeln: Friderico Mosellanorum
duce mortus, quia mares filios non habebat… „Nach dem Tode Herzog Friedrichs,
der keine männlichen Kinder hatte…“, also hinterließ er wohl
(mindestens) eine Tochter. Sein Vater Friedrich II. kann nicht gemeint
sein, denn der war 1126 gestorben und hinterließ mindestens einen
Sohn, eben Friedrich III. Die beiden Friedriche sind leicht zu verwechseln,
auch bei der Interpretation eines Textes wie Constat me Beatrice lege vivente
Saliga, filia bonae Memoriae Federighi qui fuit Dux [23 Urk. 1055
Mai 31. In: Memorie della gran contessa MATILDA, restituita alla patria
lucchese, da Francesco Maria Fiorentini. Seconda edizione da Gian Domenico
Mansi, Lucca 1756, S. 418.] … Nach diesem Text kann Beatrix ebenso Tochter
Friedrichs II. wie III. sein. Aber kann sie, kann Sophia, überhaupt
Friedrichs III. Tochter sein?
Für ihre Geburtsjahre gibt es jedenfalls ein
post quem, das Poull übersieht, denn Beatrice (Beatrix) und Sophie
erscheinen nicht im Gedenkbucheintrag Mathildes auf der Reichenau, den
Schwarzmaier überzeugend auf 1025 datiert. [24 Hansmartin Schwarzmaier,
Reichenauer Gedenkbucheinträge aus der Zeit König Konrads
II. In: ZswürttLG 22 (1963), S. 19–28, mit Abb. des originalen Eintrags.
Thomas L. Zotz, Der Breisgau und das alemannische Herzogtum. Zur Verfassungs-
und Besitzgeschichte im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert (Vorträge
und Forschungen Sonderband 15), 1974, S. 227, Anm. 44, erweitert die Datierung
auf 1025 bis 1027. Doch Herzog Friedrich II. starb schon 1026 Mai 18. Dies
ist sicher ein terminus ante quem, sodass wir, angesichts des königlichen
Itinerars, doch wieder mit Schwarzmaier auf Juni 1025 kommen.] Selbst für
den Laien sind die paläograph(olog)ischen Zusammenhänge dieser
Namengruppe evident. Hier nun die Reihenfolge: CVONRADVS DVX · HEREMANNVS
DVX · GERBIRCH · MATHILTH
· FRIDERICH DVX · CuonradvS DVX · BRVN · Friderich
· RVUODOLF · ADALHEID. [25 Den teilweisen Wechsel
von Capitalis zu Minuskeln kann ich mir nicht erklären.]
Die beiden (oder drei) ersten Personen sind verstorben.
Dabei ist der erste Name von besonderer Bedeutung, auch für die Bestimmung
der übrigen. Bis jetzt dachten Schwarzmaier, Hlawitschka, Zotz, Jackman
und Wolf bei CVONRADVS DVX nur an den Herzog Konrad von Schwaben, wohl
weil er der Vater der zweiten genannten Person war. [26 Ich bibliographiere
nicht die endlose Literatur, die sich mit diesem Eintrag in Zusammenhang
mit der Frage: Wer war Kuno von Öhningen und der Thronfolgeberechtigung
Herzog Hermanns befasst. Die neuste, gewiss parteiische Darstellung des
Gelehrtenstreits in Armin Wolfs “Nachwort 1999” zum Nachdruck seines Artikels
“Wer war Kuno ,von Öhningen‘?”, in: Genealogisches Jahrbuch 39, 1999,
S. 49ff.] Weil sonst kein anderer Großelternteil Mathildes
genannt wird und ausgerechnet ihr ältester Sohn, Konrad „der jüngere“,
der Thronprätendent, in diesem Eintrag fehlen würde, glaube ich,
dass hier Mathildes erster Mann, Konrad, Herzog von Kärnten gemeint
war. Natürlich ist das zweite dux für Konrad den jüngeren,
der 1112 der Herzogswürde privatus wurde und erst Jahre später
im Amt seines Vaters eingesetzt werden sollte, angemaßt. Allerdings
nennt ihn auch Wipo cap. 21 dux Chuono, für einen Termin, da Konrad
das Herzogtum Kärnten noch nicht innehatte. Außerdem steht dieser
CuonradvS DVX genau an der Stelle, wo von der Logik des Eintrags der jüngere
Konrad stehen muss.
Gemeint sind also: Die Herzöge Konrad (von Kärnten,
† 1011) und Hermann (II. von Schwaben), Gerberga
(von Burgund, Hermanns Frau oder Witwe),
dann kommen Mathilde selber, Herzog Friedrich II. von Ober-Lothringen,
Konrad von Kärnten als Aspirant auf das Herzogtum, Brun, der spätere
Bischof von Würzburg, Friedrich, später als Herzog „III.“, ein
noch nicht identifizierter Rudolf, schließlich eine Adelheid. [27
Evtl. 8 Walram von Arlon. Gerd Wunder, Beiträge zur Genealogie
schwäbischer Herzogshäuser, 1. Herzogin Beatrix von Kärnten.
In: ZswürttLG 31 (1972), S. 3 ff., möchte aus chronologischen
Gründen in der als Frau Walrams genannten Adelheid eher eine Tochter
Friedrichs II. als Dietrichs sehen. Mir scheint das mit den chronikalischen
Belegen (andere kenne ich nicht) nicht zu vereinbaren. Eine interessante
Betrachtung zu Walram und Adelheid von Arlon bringt Johannes Mötsch,
Genealogie der Grafen von Sponheim, in JbwestdLG 13 (1987), S. 111, freilich
ohne auf Adelheids genaue Filiation einzugehen. – Für jene Forscher,
die dem jüngeren Konrad Nachkommenschaft zuschreiben, könnte
Adelheid auch dessen Frau sein. – Ansprechend auch die Überlegung,
sie sei eine Tochter Mathildes aus erster Ehe (das lässt die Stellung
in der Reihenfolge zu, wenn Rudolf ein damals jüngster Sohn war),
und habe später Ezzos Bruder Hezelin geheiratet (Zuletzt Helmuth Kluger,
Propter claritatem generis. Genealogisches zur Familie der Ezzonen, in:
Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift
für Odilo Engels zum 65. Geburtstag. Herausg. v. Hanna Vollrath und
Stefan Weinfurter (Kölner historische Abhandlungen 39), Köln/Weimar/Wien
1993, hier S. 242ff., mit richtiger Identifizierung der beiden duces CVONRADUS.
Chronologisch müsste dazu aber vieles geklärt werden, auch fällt
auf, dass Adelheids Mann nicht genannt wird und ihr Namen schwer zu erklären
ist.] Alles bezieht sich auf Mathilde: Erster Gatte (†) – Vater (†) – Mutter
(wohl auch †) – sie selber – ihr derzeitiger Gatte – ihr ältester
Sohn – ihr zweiter Sohn – ihr dritter Sohn (der erste aus zweiter
Ehe) – ¿ein vierter Sohn? [28 Donald C. Jackman, The Konradiner.
A Study in Genealogical Methodology (Ius commune 47), Frankfurt 1990,
S. 215ff, identifiziert ihn mit Rudolf von Rheinfelden
und Adelheid mit dessen Tante, natürlich natürlich unter der
Praemisse, dass der CUONRADUS DUX mit Kuno von Öhningen identisch
sei. 0,1 Wahrscheinlichkeit mal 0,1 Wahrscheinlichkeit ergiebt 0,01 Wahrscheinlichkeit,
nicht 0,2t.] – die Schwägerin oder eine Tochter oder gar eine
Schwiegertochter.
Das ist ein derart genaues „Familienfoto“ Mathildes,
dass wir daraus ableiten können, es habe 1025, zum wahrscheinlichen
Zeitpunkt des Eintrags, keine weiteren lebenden Kinder Mathildes und Friedrichs
II. gegeben. Wenn Rudolf (und evtl. Adelheid) zu diesen gehören sollte,
wäre auch er ein Sohn Friedrichs II., wenig später (vor 1033)
gestorben und sein Name hätte an seine Abstammung vom burgundischen
Königshaus erinnert. [29 Rudolf kann nicht der König von
Burgund sein, denn es fehlt die Bezeichnung rex. Auch für einen Grafen
möchte ich ihn nicht halten.]
Mir scheint, nebenbei gesagt, dass der langjährige
Dissens der schwäbischen und oberlothringischen Herzogsfamilie mit
HEINRICH II. und KONRAD
II. eher um das burgundische Erbe als um die deutsche Krone
ging. [30 “…wofern es nur auf Verwandtschaft ankam, waren des Königs
Rechtansprüche auf das burgundische Erbe unendlich geringer als die
des Vetters und des Stiefsohns.” (Harry Breßlau, Jahrbücher
des Deutschen Reichs unter Konrad II., 1, 1879, S. 94) Vgl. ebd. den Zusammenhang
mit der Begründung für den Aufstand Herzog Ernsts. Aus dieser
Situation erklärt sich auch, dass die verschiedenen Thron-Prätendenten
nicht zu gemeinsamer Aktion zusammenfanden.] Wenn Hermann II. laut den
Annales Sangallenses maiores zum Jahr 1002 daran dachte, mit HEINRICH
II. das Reich zu teilen, wollte er wohl schon die Nachfolge
in Burgund garantiert haben… Dass Eudes/Odo von Blois und der Champagne
im „burgundischen Erbfolgekrieg“ gerade Lothringen so verheerte, hat auch
damit zu tun.
Doch kommen wir wieder zur Genealogie. Ermitteln wir
ein genaueres Geburtsdatum der beiden lothringischen Erbinnen als das durch
den Gedenkeintrag und den Tod Friedrichs III. ermittelte „zwischen 1025
und 1033“. Wenn Poull die beiden ausdrücklich als Schwestern bezeichnet,
gibt er hierfür keine Quelle an. Man mag eine indirekte in Bernoldi
Chronicon A. 1092 finden, wo (nicht in allen Handschriften) Domna Sophia
(„von Mousson“) bezeichnet wird als quae erat matertera comitissae
Mathildis, quae cum domino suo Welfone duce in Italia contra scismaticos
multum laboravit. [31 MG SS 5, S. 454, Z. 22f. – Diese Stelle
wird merkwürdigerweise bei den Diskussionen um “Kuno von Öhningen”
nicht herangezogen. Nicht dass die später geschiedene Ehe zwischen
Welf V. und Mathilde von Tuszien innerhalb der kanonischen Grenzen lag…
Warum aber hätten Genealogia und Historia Welforum ihren und ihres
Gatten gemeinsamen Ahnherrn Hermann bei den Kindern Kunos von Öhningen
bewusst unterschlagen sollen, wie Jackman meint, obwohl auf diesem Weg
gewiss einiges an Bedeutung und Erbschaft in das Welfenhaus kam? ] Matertera
wird indessen nicht immer im strengsten Sinne (Schwester der Mutter) gebraucht,
häufig steht der Begriff auch für die matertera magna
der Arbores consanguinitatis. Dass er – nicht nur von Bernold – in Umkehrung
zu nepos/neptis auch für eine ältere Verwandte über
die Mutterlinie gebraucht wurde, lässt sich annehmen, vor allem wenn
man die komplizierten Verhältnisse 60 Jahre später nicht mehr
genau kannte. Auch wenn der Sohn Sophias in Italien als Fredericus
comes, nepos Beatricis ducissae, filius Lodovici comitis bezeichnet
wird, muss man das nepos nicht als „Neffe ersten Grades“ einengen, und
Beatrix und Sophia zu Schwestern machen.
Ein Seitenblick auf Beatrice
Beatrice/Beatrix, laut Poull die jüngere der beiden,
wurde 1037 mit Bonifacio di Canossa verlobt, und begab sich im Juni dieses
Jahres nach Italien, die Hochzeit wurde in „Marego“ gefeiert. [32
Elke Goez, Beatrix von Canossa und Tuszien (VortrForschgen 41) Sigmaringen
1995, S. 15 und 196] Bonifacio de Canossa ist etwa 985 geboren, er stirbt
1052. Zwei Kinder Beatrices – Federico und Beatrice – sterben jung, das
dritte, die berühmte Markgräfin Mathilde von Canossa, ist 1046
geboren. Beatrices zweite Ehe mit Gottfried dem Bärtigen war kanonisch
unproblematisch (4:4 oder 4:5 nach römischer Zählung): Gottfried
® Gozelo (1033 Herzog O’Lothringen) ® Gottfried (Gf. Verdun) ®
Gozlin (Gf. Verdun) ® Wigerich Friedrich I. Dietrich
Friedrich II. [Friedrich III.] Beatrice.
Wenn Beatrice 1037 ehemündig war, muss sie spätestens
1026 geboren worden sein. Wenn die Ehe aber erst später rechtskräftig,
also vollzogen wurde, kann man auch ihr Geburtsdatum entsprechend später
datieren. Aber arg gequält ist das schon. Auch kann man die drei Namen
ihrer Kinder von der lothringischen Familie ohne Zwischenglied ableiten.
Ihr eigner Name ist aus der Vorfahrenschaft erklärbar, obwohl andere
Namen nähergelegen hätten. Gerberga, Richlint waren ihre Großmütter,
Gisela ihre Tante. Vermutlich gab es
ältere Schwestern mit diesen Namen, die früh gestorben waren.
[33 Gisela, mit ihrem Gatten Graf Gerhard Stifterin von Busendorf,
wird von Emil Kimpen, Rheinische Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen,
in: AnnHVNiederrhein, 123 (1953), S. 4 Anm. 13, als Tochter von Herzog
Dietrich I. vermutet, nicht diskutiert bei Poull, La Maison…, akzeptiert
von Eduard Hlawitschka, Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen.
Genealogische Untersuchungen zur Geschichte Lothringens und des Reiches
im 9. 10. und 11. Jahrhundert (VeröffgenKommsaarländLdesGVolksforsch
4), 1969, S. 83f. Ich kann in der Verwandtschaft Dietrichs und seiner
Frau Richilde keine Gisela entdecken, der Name könnte erst durch ihre
Schwiegertochter ins oberlothringische Herzogshaus gekommen sein; unter
deren bekannten Töchtern und Enkelinnen erscheint er aber nicht.]
Beatrice hieß aber die robertinische
Stamm- und Erbmutter des oberlothringischen Hauses, Tochter von Hugo
dem Großen und Gattin von Friedrich I., also Urgroßmutter
der jungen Beatrice. Übrigens ist der Name Beatrix/Beatrice selber
rätselhaft, denn die Annahme, er sei ein Diminutiv von Bertais (Berta,
Bertrada), der auch Settipani anhängt, erscheint mir keineswegs sicher.
[34 Settipani, Préhistoire des Capétiens…, S. 222
Anm. 219 und S. 407 Anm. 37.] Soweit ich sehe, sind alle Namensträgerinnen
von einer einzigen abzuleiten, der Tochter Heriberts I. von Vermandois
und einer unbekannten Mutter. Sie wurde Gattin des späteren Königs
Robert und Großmutter der nach Lothringen verheirateten
Beatrice. Es gibt übrigens eine
– freilich rein zufällige – Übereinstimmung zwischen dieser und
ihrer berühmteren Urenkelin, der „canusinischen“ Beatrice: Auch sie
führte nach dem Tod des Gatten (Herzog Friedrich I. starb 978 Mai
18) bis zu ihrem Tode (September 23 nach 987) allein und erfolgreich die
Herrschaft.
In den Zwischengenerationen sind Trägerinnen des
Namens nicht belegt, aber doch zu vermuten. Trotzdem spricht diese Namengebung
eher dafür, dass nur zwei und nicht drei Generationen zwischen den
beiden Beatricen liegen. Es fällt schwer zu glauben, dass Beatrice
von Tuszien nicht ein spätes Kind Mathildes und Friedrichs II. war.
Außerdem hätte Friedrich III. einer ersten oder zweiten Tochter
mit höchster Wahrscheinlichkeit den Namen Mathilde gegeben, vor allem
wenn, wie ich glaube, nicht nur die väterliche Großmutter so
hieß.
Im Besitz und der Hinterlassenschaft Mathildes von Canossa
finden sich Komplexe in der heutigen Pfalz (Stetten, Lutera, Quellen der
(Wies?)Lauter, Deidesheim), die sich mit größter Wahrscheinlichkeit
auf ihre Großmutter Mathilde und weiter zurück auf konradinischen
Ursprung zurückführen lassen, da er weder über ihren Mann
(Bonifacio) noch über die oberlothringischen Herzöge noch über
ihre Urgroßmutter Gerberga von Burgund
herzuleiten ist. Einzige Alternative ist die väterliche Großmutter
Richilde, die Tochter des Grafen Folmar, eine Familie, die später
nachweislich Besitz in der heutigen Pfalz besaß. [35 Diese
Möglichkeit wird nicht behandelt bei Schwarzmaier, Mathilde von Tuszien…,
sowie vorher bei Goez, Beatrix…, S. 38 und Overmann, Gräfin Mathilde…]
Gerade diese Linie, die auf den BOSONIDEN
Bivin führen dürfte, ist noch wenig erforscht. [36 Michel
Parisse, La Noblesse lorraine XIe- XIIIe siècle, thèse imprimée,
Nancy 1976, Bd. 2, S. 332f, ders., Noblesse et chevalerie en Lorraine
médiévale. Les familles nobles du XIe- XIIIe siècle,
Nancy, 1982, S. 103, übernommen von Settipani/Van Kerrebrouck, La
Préhistoire des Capétiens…, S. 368.]
Endlich: Sophia
Sophia tritt erst „vers 1040“ [37 Poull,
La Maison … de Bar, S. 69, leider ohne Quellenbeleg.], drei Jahre nach
Beatrice, die Erbschaft an und in die Ehe. Ihr zweiter Sohn soll etwa 1045
geboren sein. Demnach wäre sie jünger als Beatrice. Trotzdem
wird sie in der Chronik von St. Mihiel vor Beatrice genannt. Vielleicht
geschah dies nur, weil zu ihrem Erbe die Vogtei der Abtei gehörte.
Wir müssen aber annehmen, dass die Erbschaft erst nach der Abfassung
der Chronik geteilt wurde, weshalb diese Begründung wenig verfängt.
Eher aber wurde Sophia zuerst genannt, weil sie
eine (erste und einzige) Tochter Friedrichs III. war. Als Tochter des letzten
regierenden Herzogs war sie jünger, aber im Erbanspruch ranghöher
als Beatrice, ihre kaum ältere Tante, die wie sie noch als Säugling
oder Kleinkind den Vater und wohl auch die Mutter verloren hatte. [38
Bei Sophias späterer Ehe könnte übrigens eine
kanonisch relevante Konsanguinität berührt sein, wobei mit der
Zwischenschaltung einer Generation ein Argument entfällt, das die
Gattin bzw. Mutter des Hugo Raucus, des Großvaters von Papst Leo
IX. und der Hildegard, Mutter von Ludwig von Mousson-Mömpelgard, betrifft,
aber eh nicht angewandt zu werden braucht. Eduard Hlawitschka, Die Anfänge
des Hauses Habsburg-Lothringen. Genealogische Untersuchungen zur Geschichte
Lothringens und des Reiches im 9., 10. und 11. Jahrhundert (Veröffentlichungen
der Kommission für saarländische Landesgeschichte und Volksforschung
4), Saarbrücken 1969, S. 111, Anm. 131.]
Gegen die Annahme einer späten Geburt spricht nur
scheinbar die Meldung von ihrem Todesalter in Bernoldi Chronicon zum Jahr
1093: Nobilissima comitissa Sophia, vidua Ludowici comitis, mater
piae memoriae Beatricis ducis [39 Damit ist ihre im Vorjahr
verstorbene Tochter Beatrix, Gattin von Herzog Berthold von Zähringen,
gemeint.] et Friderici marchionis, in senectute bona. [40 MG
SS 5, S. 456, Z. 2ff.] Dieses gute Alter wird nämlich durch eine biblische
Ergänzung näher definiert: cum iam multos filiorum filios
videret, diem clausit extremum. Eine Menge Kindeskinder gesehen zu
haben, bedeutet schon ein „gutes“ Alter. Dazu musste sie nicht 75 Jahre
alt geworden sein.
Die Vorausetzung, dass Friedrich III. geheiratet haben
muss, um sie in der Ehe mindestens zu zeugen, ist gegeben. Wenn er (spätestens
1032!) die Regierung angetreten hat (wie Urkunden bezeugen), wird er auch
geheiratet haben. Er war ja der letzte Spross seines Hauses und sollte
rasch für einen Erben sorgen. Da es aber überhaupt keine Belege
für einen Herzog von Ober-Lothringen zwischen 1027 und 1032 zu geben
scheint, kann er schon früher (herrschafts- und ehe-)mündig geworden
sein. Warum Poull die Heirat seiner Eltern erst auf „sans doute vers 1016“
datiert und befindet, Friedrich III. „semble avoir vu le jour vers 1017“,
begründet er nicht. [41 Poull, La Maison … de Bar, S. 23f.
und 29] Selbst wenn Mathildes Ehen nicht so rasch aufeinanderfolgten wie
die ihrer Schwester Gisela, könnte
sie nach dem Tod des ersten Mannes Ende 1011 schon Ende 1012 zum zweiten
Mal geheiratet und im nächsten Jahr den ersten Sohn bekommen haben.
Friedrich II. konnte dazu jedenfalls alt genug sein, seine Eltern waren
belegtermaßen spätestens 992 verheiratet. [42 Poull,
La Maison … de Bar, S. 21, meint nur, “…né au cours des dernières
années du Xe siècle, si l’on tient compte de l’époque
probable de son mariage.” Das ist eine vage, wenig beweiskräftige
Annahme. Bei einer so guten Partie tat Eile beim Heiraten not, es gab genug
andere, die sich um die hohe Witwe rissen. Vielleicht hätte sein Vater
ihn sonst erst in höherem Alter heiraten lassen. Vielleicht vergab
HEINRICH II. das Herzogtum Kärnten
nur deshalb nicht dem Sohn Mathildes, weil es sonst in den verhassten Einfluss
von dessen Stiefvater geraten wäre. All das sind Argumente für
die frühe Heirat, bei der Friedrich II. natürlich mindestens
16 Jahre alt sein musste. Goez, Beatrix…, S. 11ff und 195, datiert als
erste und bisher wohl einzige die Heirat Friedrichs II. mit Mathilde auf
“1012 oder kurz danach”.] Friedrich III. hätte also schon relativ
bald nach dem Tod des Großvaters – sagen wir 1029 und mit 16 Jahren
– dessen Nachfolge übernehmen und eine Ehe schließen können.
Aber mit wem? Dieser ihrer Mutter hätte Sophie ihren Namen
zu verdanken.
Wer war Sophias Mutter?
Der junge Friedrich III. heiratete gewiss unter Anleitung
seiner Mutter, die ja wohl immer hinter der Fronde gegen KONRAD
II. steckte und in eben jener Zeit den
König Mieszko (II.) von Polen auszeichnete, einen wichtigen
Gegner KONRADS. Zuletzt hat Mathilde
noch Esiko von Ballenstedt – einen Verbündeten Mieszkos
– geheiratet und ihm einen Adalbert und eine Adelheid geboren.
1030 feiert sie freilich das Osterfest am kaiserlichen Hofe in Ingelheim,
sie starb im Juni, vor 1033, also 1030…1032. [43 Brygida Kürbis,
Die Epistola Mathildis Suevae an Mieszko II. in neuer Sicht. Ein Forschungsbericht,
in: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für
Frühmittelalterforschung der Universität Münster 23 (1989),
hier S. 336, behauptet ohne jeden Beleg, Mathilde sei 1033 07 29 gestorben.
In Anm. 69 steht zwar “Zu den Daten Michel Parisse in: Lexikon des Mittelalters
4 (1989), Sp. 951”, aber dort ist kein Todesdatum für Mathilde angegeben.]
Ein ganz ungewöhnliches Indiz habe ich mir nämlich
aufgespart: Mathildes Verbindung zu König
Mieszko. Im Kloster Neuzelle bei Frankfurt
an der Oder wurde eine Handschrift von des Pseudo-Alkuin Liber de divinis
officiis (von 1026/27) aufbewahrt. Bevor sie 1857 in Berlin verschollen
ging, wurde Blatt 3v in einer Farbtafel festgehalten. [44 in: P.
A. Dethier, Epistola inedita Mathildis Suevae, sororis Gislae Imperatricis
et aviae Mathildis Toscanae, data anno 1027 aut 1028 ad Misegonum II.,
Poloniae regem. (Praefationis loco ad codicem liturgicum Carolinum-Alcuineum)
et Commentarius critico-historico-exegeticus in eam Epistolam; sive Vindiciae
quatuor primorum Poloniae Latino-Christianae regum, Berlin, 1842. Der Codex
ist – freilich ohne das Widmungsblatt – wieder aufgetaucht, siehe
hierzu Kürbis, Die Epistola Mathildae Suevae an Mieszko II.… und den
Anhang von E. Freise und M. Weidner, Auf der Suche nach der verschollenen
Widmungsminiatur des Cod. C 91 der Düsseldorfer Universitätsbibliothek,
in: FMSt 23, 1989, S. 318–343.] Sie zeigt die durchaus noch junge Dedikantin
(weist der Schleier auf Witwenstand?) und den Empfänger, mit der Beischrift
in Hexametern oder einem Distichon: Hunc librum regi Mahthilt donat
Misegoni/quam genuit clarus Suevorum dux Herimannus. (Mechthild macht
dieses Buch zum Geschenk dem König Mieszko, Sie, des berühmten
Hermann, des Schwaben-Herzoges, Tochter.) Diese Schenkung weist meiner
Meinung auf eine enge – bestehende oder geplante – familiäre Bindung
hin. [45 Kluger, Propter claritatem generis…, S. 244, Anm. 122 sieht
diese in der von ihm behaupteten Verbindung Adelheid –Hezelin. Dies schließt
sich gegenseitig nicht aus, im Gegenteil. Heiraten über Kreuz waren.]
Mahthilt/Mathilde bezeichnet sich ausdrücklich als Tochter Hermanns
II. Warum sie nicht ihre ebenso herzoglichen Männer nennt, von denen
der zweite zur mutmaßlichen Schenkungszeit [46 Kürbis,
Die Epistola Mathildae Suevae…, S. 335, datiert auf die zweite Hälfte
1025, ohne zwingenden Beleg, vor allem, um den Einsiedler Abt Wirmunt als
Verfasser des Textes zu sichern. Eine Datierung auf 1033 (Stanislaw Zakrzewski,
in: Kwartalnik Historyczny 30 (1916) S. 131ff.) ist von der Forschung abgelehnt
worden.] vielleicht noch lebte oder wahrscheinlicher gerade gestorben war,
bleibt mir unklar; ebenso, warum sie sich nicht auf ihren ältesten
Sohn Konrad bezieht, der doch wohl gemeinsame Sache mit Mieszko
machte. Dass dieser auf dem Dedikationsbild als König dargestellt
ist, entspricht der Widmung, wo der Titel bedeutsam vorangestellt ist.
Natürlich können auch die Zwänge des Metrums das verursacht
haben. Am plausibelsten ist das alles, wenn Mathilde mit Mieszko
eine Verschwägerung anbahnen wollte.
Was lag für Mathilde damals näher, als ihren
Sohn zweiter Ehe mit einer nahen Verwandten Mieskos
zu vermählen? Mieszko
war (wohl seit 1013) mit der EZZONIN Richeza
verheiratet und von 1025 bis zu seinem Tod 1034 Mai 10 König von Polen
(ab 1032 aus Polen vertrieben). Sein späterer Nachfolger Kazimierz
I. war 1016 Juli 25 geboren. Möglicherweise hatte Mieszko
eine etwas ältere oder nur wenig jüngere Tochter (wir haben keinen
Beleg dafür!), die im genau richtigen Heiratsalter für Friedrich
III. gewesen wäre. Wenn es sie nicht gab, gibt es eine Alternative:
Eine Schwägerin Mieszkos… Mutter
Sophias wäre dann nicht eine Enkelin, sondern eine Tochter
des Pfalzgrafen Ezzo; es kann durchaus eine von denen sein, die in der
hagiographischen Chronik von Brauweiler [47 Brunwilarensis monasterii
fundatorum actus, ed. Georg Waitz, MG SS 14, S. 121–144, c. 7, S. 129.]
als im geistlichen Stand verstorben bezeichnet werden; am ehesten die vermutlich
jüngste, Sophie, die 1025/1026 mit ihrer Schwester Ida und
drei weiteren Mädchen aus dem Stift Gandersheim, wo sie zur Erziehung
bei ihrer gleichnamigen Tante war, nach Mainz ins (St. Marien-)Kloster
Altmünster geflüchtet war, nach kurzzeitiger Rückkehr nochmals
„entführt“ wurde und die zwischen 1031 und 1038 gestorben sein muss,
bestimmt nicht als Äbtissin, weder in Mainz, wie die Brauweiler Überlieferung
will, noch anderswo. [48 Friedrich Wilhelm Oediger, Die Regesten
der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter 1, 1954, Nr. 728 und
770, sowie Winfrid Glocker, Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung
in der Politik. Studien zur Familienpolitik und zur Genealogie des sächsischen
Kaiserhauses (Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte 5), 1989,
vor allem S. 317f., stützen sich auf die glaubhaftere, wenn auch parteiische
Wolfheri vita prior Godehardi episcopi Hildeshemensis, c. 31, 32
und 36, MG SS XI, 190ff. – Die unklare und widersprüchliche Quellenlage
wird am deutlichsten dargestellt bei Adolf Hofmeister, Studien zu Theophano.
In: FS Edmund E. Stengel zum 70. Geburtstag…, 1952, hier S. 236f., vor
allem S. 237 Anm. 1. Zuletzt Edith Ennen, Die sieben Töchter des Pfalzgrafen
Ezzo, in: Der Aquädukt. 1763–1988. Ein Almanach aus dem Verlag C.
H. Beck im 225. Jahr seines Bestehens, 1988, S. 160–171, und Kluger, Propter
claritatem generis…, S. 241.] Die Brunwilarensis monasterii fundatorum
actus sind keinesfalls so zuverlässig, wie sie von den Erforschern
der EZZONEN gerne angesehen werden, zumindest sind sie nicht vollständig.
So werden z. B. zwei Töchter der Königin
Richeza nicht erwähnt, die eine selber Königin (von
Ungarn), die andere Großfürstin. Die geistlichen Bezüge
stehen – zuweilen sogar entgegen den Tatsachen – im Vordergrund. Dabei
entstanden die actus ca. 1070, also kaum ein Menschenalter nach unseren
Begebnissen. Der Autor sagt, er könne die Genealogie Ezzos antiquitate
temporum et maiorum neglectu nicht referieren. Zeitlicher Abstand und
Vernachlässigung durch die Vorgänger – überzeugend klingt
das nicht. [49 “Von der Geschichte der Gründerfamilie… war
dem Verfasser eingestandenermaßen nur wenig bekannt” (Die Benediktinerabtei
Brauweiler, bearb. v. Erich Wisplinghoff (Germania Sacra NF 29), 1992,
S. 136). Dass der Mönch D., der Verfasser der Brunwilarensis monasterii
fundatorum actus, bewusst darauf verzichtet, Widersprüche in seinen
Quellen zu unterschlagen, ist gewiss kein Beweis für wissenschaftliches
Denken, doch so interpretiert es Hans Patze, Adel und Stifterchronik. Frühformen
territorialer Geschichtsschreibung Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen
Reich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 100 (1964),
hier S. 51.] Insgesamt gehört eine gründliche Untersuchung über
die sogenannten EZZONEN und HEZELINIDEN zu den großen Desiderata
der Mittelalter-Genealogie.[50 Kluger, Propter claritatem… hat keine
direkt genealogischen Ziele. Freilich führt er eine Anzahl der unhaltbarsten
Hypothesen ad absurdum. Klaus Gereon Beuckers, Die Ezzonen und ihre Stiftungen.
Eine Untersuchung zur Stiftungstätigkeit im 11. Jahrhundert (Kunstgeschichte
42) Hamburg 1993, geht im ersten Teil seiner Arbeit zwar auf die Genealogie
der EZZONEN und HEZELINEN ein, freilich nur unkritisch und elektisch. Dadurch
wird auch der kunstgeschichtliche Teil in seiner Überzeugungskraft
beeinträchtigt. Wertvoll ist die Bemerkung einer auffälligen
Bevorzugung des Heiligen Nikolaus bei religiösen Neugründungen
der EZZONEN.]
Meine genealogische Rekonstruktion erklärt mithin
mehr als nur den Namen der Sophie, später „von Mousson“.
Eine eher kirchengeschichtliche Implikation besteht in dem Objekt, das
Mathilde dem Polen-König schenkte: Der Inhalt (der unter dem Namen
Pseudo-Alkuin bekannte Liber de divinis officiis) hat ja eine besondere
Bedeutung in der Mainzer Liturgie. Gerade der gekürzte und veränderte
zweite Teil des Traktats beeinflusste das in der Mitte des 10. Jahrhunderts
in Mainz entstandene Pontificale Romano-Germanicum entscheidend.
[51 Florentine Mütherich, Epistola Mathildis Suevae. Zu einer
verschollenen Handschrift aus dem 11. Jahrhundert. In: Studien zur Buchmalerei
und Goldschmiedekunst des Mittelalters. FS für Karl Hermann Usener
zum 60. Geburtstag… hsg. v. Frieda Dettweiler et alii, 1967, S. 137ff.
– Kürbis, Die Epistola Mathildae Suevae… diskutiert diese Möglichkeit
nicht, sie verspricht aber eine eingehende Untersuchung und Ausgabe des
Liber officiorum in unserem Kodex durch Bogdan Bolz, die anscheinend noch
nicht herausgekommen ist.] Ob Erzbischof Aribo, der ja mit Kaiserin
Gisela wahrhaftig nicht zum Besten stand, besondere Beziehungen
zu ihrer Schwester Mathilde hatte? Zu der EZZONEN-Tochter Sophie hatte
er gewiss welche. Denn wie des Bischofs Godehard von Hildesheim parteiischer
Biograph Wolfher berichtet, war in dem Kloster, wo Aribo diese mit ihrer
Schwester Ida und drei anderen Mädchen aus Gandersheim „unterbrachte“,
seine Schwester Äbtissin. Ob dies das Mainzer Altmünsterkloster
und Wigburg war, oder Göss und Kunigunde, lasse ich dahingestellt.
[52 Für die erste Variante u. a. Tyroller, S. 183ff., für
die zweite Breßlau, Jahrbücher…, S. 194f. Die Mädchen hatten
jedenfalls in Gandersheim noch kein Gelübde abgelegt, sondern sollen
es – wie Wolfher berichtet – bei Aribos Schwester getan haben. Irgendeine
Bestätigung für eine Schwester Aribos oder Sophias als
Äbtissin von Altmünster gibt es nicht (Ingrid Adam, Eine Äbtissinenliste
aus dem Altmünsterkloster zu Mainz. In: Mzer Z 90/91 (1995/96, erschienen
1999), hier S. 95).] Nach der Beilegung des Streits kehrten die Mädchen
nach Gandersheim zurück, um bald darauf wieder zu entfliehen und schließlich
im Kloster bei Aribos Schwester Nonne zu werden. Erst Aribos Nachfolger
Bardo stellte in Nörten zwei der fünf jungen Damen wieder der
Gandersheimer Äbtissin Sophia
zurück. Die junge Sophia war inzwischen verstorben (quae
prima earum erat Mogonciae defunctae), die beiden anderen durfte Bardo
„auf demütiges Bitten hin“ zurückbehalten. Nach Gandersheim zurück
kam jedenfalls Ida, die dann dort später als Äbtissin belegt
ist. [53 Das Benediktinerinnenkloster St. Marien vor Gandersheim,
bearb. von Hans Goetting, in: Germania sacra NF 8, 1974, hier S.
142f.] Immerhin könnte Ida auch als Witwe zurückgekehrt sein.
Um die Hypothesen vollzumachen: Unter den drei anderen Mädchen könnte
auch eine Tochter Mieszkos gewesen
sein…
Der Zeitpunkt für die Rückgabe durch Bardo
(und damit ein terminus ad quem für den Tod der jungen Sophia)
kann nicht genau bestimmt werden. Er lag „frühestens zu Weihnachten
1031“. 1031 Juni 29 war Bardo zum Erzbischof geweiht worden, Weihnachten
1031 verbrachte er nachweislich bei KONRAD II.
und
Gisela in der Pfalz Goslar. Spätester,
sehr unwahrscheinlicher Termin dürfte der Tod Godehards 1038 sein,
der Ida noch zur Äbtissin weihte. [54 J. Fr. Böhmer/Cornelius
Will, Regesten zur Geschichte der Mainzer Erzbischöfe 1 (1877,
Reprint 1966), S. 165ff.] Ein halbwegs lückenloses Itinerar Bardos
lässt sich nicht erstellen; darum liegt es nahe, den Vorfall ganz
allgemein in seine ersten Amtsjahre zu datieren.
Ob und wann genau die jungen Frauen das ewige Gelübde
abgelegt haben, was natürlich eine spätere, aber nicht eine vorhergehende
Heirat ausschließt, scheint mir genau so auslegbar wie die Begriffe
amita (für beide Mädchen, Sophia und Beatrice,
zur Kaiserin Gisela) statt matertera
(bzw. matertera magna) und avus ( Herzog Dietrich zu Sophie).
[55 Poull, La Maison … de Bar, S. 20, Anm. 40, nach A. Lesort, Chronique
Saint–Mihiel…, S. 153: 1076 Teodericus dux comitissae avus…] Dies
mit „Groß“tante und „Ur“großvater zu übersetzen, ist erlaubt,
nicht einmal ungewöhnlich; die vage Generationendefinition ist im
Falle der „Tante“ geradezu zwingend, wenn Beatrix Nichte, Sophia aber
Großnichte gewesen wäre.
Finale
Auch dass keine Quelle von der sehr kurzen Ehe Friedrichs
III. berichtet, macht sie nicht unmöglich, nicht einmal unwahrscheinlich.
Dass wir von seiner Gattin nichts erfahren, ist nicht ungewöhnlich.
Wenn sie nicht schon vor ihrem Mann gestorben war, könnte sie
als Witwe ins Kloster gegangen sein. Wahrscheinlicher ist aber ihr Tod
(vielleicht bei der Geburt der jungen Sophia), sonst hätte
sie wohl einen zweiten Mann genommen, um die Herrschaft in Lothringen und
die Sorge für die Hinterbliebenen zu übernehmen. Falls es sich
um die EZZONIN Sophia und nicht eine Tochter Mieszkos
handelt, erübrigt sich diese Überlegung, da sie bei Bardos Ausgleich
mit Bischof Godehard und der Äbtissin Sophia
von Gandersheim nach-weislich bereits tot war. Wenn die spätere
Erbin Sophia schon bei der Geburt die Mutter verlor, liegt es besonders
nahe, dass sie deren Namen bekam. An und für sich hätte ja der
Name Mathilde am nächsten gelegen. So hießen die beiden Großmütter
(evtl. ging es mütterlicherseits um die Urgroßmutter, aber die
war eine Kaiser-Tochter). Selbst wenn Friedrichs III. Gattin eine Tochter
Mieszkos war, hieß diese also
wohl auch Sophia. Oder wollte man mit der Namengebung die gestrenge
(Ur-)großtante in Gandersheim besänftigen?
Der Tod Friedrichs III., aber auch seiner Mutter und
wohl auch seiner jungen Frau, bald auch König
Mieszkos, beendeten alle Ambitionen. (Es ist schon auffällig,
wieviele Konkurrenten HEINRICHS II.
und KONRADS II. vor oder bald nach
deren Thronbesteigung aus dem Leben schieden.) Kaiserin
Gisela nahm die beiden sehr kleinen Mädchen und Erbinnen
Beatrice und Sophie an ihren Hof; gewiss als deren nächste
Verwandte, aber auch, um später einmal treue Gefolgsleute mit einer
so reichen und ehrenvollen Partie auszuzeichnen. [56 Bonifacio de
Canossa war jedenfalls der wichtigste Helfer KONRADS
II. in Italien. Ähnliches muss man bei Ludwig von Mousson
annehmen. – Das adobtaverat in der Chronik von St. Mihiel ist auf
keinen Fall als Adoption im römischen und heutigen Rechtssinne zu
verstehen.] Die Fürsorge für die verwaisten (Groß)-Nichten
war zugleich eine Art Geiselnahme.
„Hier zeichnete sich eine großräumige anti-salisch-ezzonische
Oppositionsbewegung ab…“ urteilt Helmuth Kluger über Vorgänge
in den 50-er Jahren, als der Bayern-Herzog Kuno (ein Neffe der Königin
Richeza) sich gegen HEINRICH III.
empörte und schließlich nach Ungarn zu seiner Kusine fliehen
musste, einer Tochter Richezas und
Mieszkos II., die vermutlich Ryksa
hieß.[57 Kluger, Propter claritatem generis…, S. 250.]
Ob sich die Beziehungen zwischen Mathilde und dem kaiserlichen
Paar in Mathildes letzten Lebensjahren verbessert haben, lasse ich dahingestellt.
1030 feierte sie jedenfalls in Ingelheim bei Schwester und Schwager Ostern
und als KONRAD II. 1034 Januar 30 den
Wormser Dom beschenkte, damit dort eine Messe für die dort bestatteten
Angehörigen des salischen Hauses gelesen werde, geschah dies auch
für Mathilde und ihren verstorbenen ersten Mann, Herzog Konrad von
Kärnten. [58 D K II 204. Hierzu Karl Schmid, Die Sorge der
Salier um ihre Memoria, in: MEMORIA. Der geschichtliche Zeugniswert des
liturgischen Gedenkens im Mittelalter, hrsg. v. K. Schmid u. Joachim Wollasch
(Münstersche Mittelalter-Schriften 48), 1984, S. 682ff.] Man hat die
Sarkophage beider im Wormser Dom, der Grablege der vorköniglichen
SALIER, bestimmen zu können geglaubt.
Man darf annehmen, dass Mathilde nicht weit von Worms starb, vielleicht
in Mainz, jedenfalls nicht in Ballenstedt oder Lothringen. Schwarzmaier,
der doch den Reichenauer Eintrag von 1025 so überzeugend als ein Dokument
der Entzweiung interpretiert hat, hat inzwischen stillschweigend diese
Ansicht geändert: „…es besteht auch kein Grund, aus heutiger Sicht
einen Dissens in das so kompakte Familiengefüge der SALIER
um die Jahrtausendwende hineinzutragen.“ [59 Hansmartin Schwarzmaier,
Von Speyer nach Rom. Wegstationen und Lebensspuren der Salier. Tübingen
1992, S. 49.] Vielleicht akzeptierte KONRAD II.,
insbesondere nach den Erfahrungen mit OTTO III.
und HEINRICH II., seinen
Neffen Konrad den Jüngeren jetzt als potentiellen Thronfolger für
den Fall, dass sein einziger, für Krankheiten anfälliger Sohn
HEINRICH (als König und Kaiser
der Dritte) wegen Tod oder Aufstand ausfiele. Dabei bedang er sich vielleicht
aus, dass Konrad noch immer nicht heiraten dürfe. Dessen mutmaßliche
Ehelosigkeit ist ja wahrhaftig ein genealogisches und historisches Problem.
Um abschließend meine eigenen Ergebnisse zu werten:
Ich halte es für unumstößlich, dass Sophie die Tochter
Friedrichs III. und nicht des II. war. Dass ihre Mutter eine Tochter oder
Enkelin Ezzos und der Theophanu-Tochter
Mathilde war, ist in hohem Grade wahrscheinlich,
aber keinesfalls völlig sicher. Freilich ist der Name Sophia
im deutschen Sprachraum unter der Voraussetzung der Leitnamensitte kaum
anders erklärbar, wenn man nicht für die Mutter eine Herkunft
aus Frankreich oder Italien oder gar Byzanz annehmen will. Während
es für Beatrice und ihre Tochter intensive Untersuchungen auch zur
Besitzgeschichte gibt, [60 Goez, Beatrix von Canossa…, vor allem
S. 35ff.; Alfred Overmann, Gräfin Mathilde von Tuscien. Ihre Besitzungen,
Geschichte ihres Gutes von 1115–1230 und ihre Regesten, Innsbruck 1895
(Nachdruck Frankfurt 1965).] ist dies für Sophia noch zu leisten.
Vielleicht ergäben sich Anhaltspunkte in Richtung auch ezzonischen
Vorbesitzes (freilich dürfte er nicht viel größer als eine
standesgemäße Mitgift gewesen sein).
Hätten wir weniger Nachrichten über Sophias
Familie, wäre es natürlich leichter, das genealogische Netz so
oder anders zu knüpfen. Darum habe ich meine anfänglichen irrwegigen
Mutmaßungen so ausführlich dargelegt und selber widerlegt. Man
sieht, wie vorsichtig man sein muss.
Ich habe auch die anderen Sophien des 11. Jahrhunderts
daraufhin untersucht, ob sich an ihnen die Namensvererbung nachweisen lässt.
Mir sind eine Menge Ungereimtheiten in den bisherigen Auffassungen begegnet.
Aber wirkliche Lösungen fand ich bisher in keinem dieser Fälle.
Ohne mich in eine Sophiasophie verlieren zu wollen, werde ich in einem
zweiten Teil gleichwohl auch diese Damen Revue passieren lassen.