Kuniza,
die Tochter Welfs
II. und Irmentruds/Imizas,
wurde mit dem Markgrafen Albert Azzo II.
aus der berühmtem Linie der OTBERTINER
vermählt; die später gebräuchliche Namengebung
"von Este"
stellten erst seine Enkel her. Sein Besitz erstreckte
sich über ganz Oberitalien und reichte bis in die Toskana. Beide Ehen
unterstreichen den Rang und die weiten Kontakte der welfischen
Eltern, aber auch die Bandbreite adliger Erbfolge in der Mitte
des 11. Jahrhunderts. Frauen wurden ein ums andere Mal zu Gestalterinnen
welfischer Geschichte.
Vom Ende Welfs
III., der Anfechtung seines Testaments und vom unverhofften welfischen
Neuanfang erzählt die Historia Welforum: "Bald nach der Beisetzung
wollten die Beauftragten die Schenkung vollziehen, wurden aber gehindert.
Denn seine Mutter wußte, daß sie einen Erben von ihrer Tochter
hatte. Sie schickte Boten nach Italien, um ihn zu holen. Er kam, untersagte
die Schenkung und erklärte sich zum sicheren und wahrhaftigen Erben."
Die Genealogia Welforum konstruierte den Fall einfacher
als Besitzübergang von Welf II. über Kuniza auf
Welf
IV.; die Weingartener Klosterüberlieferung wußte von
der Ungültigkeitserklärung der testamentarischen Verfügung
des Herzogs durch die noch lebende Mutter (nach dem ius gentium).
In der Tat blieb die LUXEMBURGERIN
Irmentrud/Imiza als einzige Erbin ihres Sohnes übrig; erneut
wurden die reichsweiten Verbindungen ihres Verwandtenkreises nützlich.
Aus späterer Rückschau rettete ihr Handeln die
WELFEN
für die Geschichte, denn der aufgespürte italienische Enkel wurde
zum Garanten der Kontinuität. Indem er sich zum sicheren und wahrhaftigen
Erben (certus et verus heres) erklärte, gewann die welfische
Sache im Reich eine Zukunft.
An dieser erstaunlichen Geschichte bleibt das meiste
unklar. Warum ließ Albert Azzo II. den
Sohn aus seiner Ehe mit Kuniza nach Norden ziehen? Warum setzte
sich die otbertinische Herrschaft später
mit den Söhnen aus der zweiten Ehe fort? Welche Familienkenntnisse
besaßen Welf III. und seine Mutter Irmengard/Imiza 1055
wirklich? Warum definierte sich schließlich Welfs III. Schwestersohn
"welfisch", obgleich die väterliche
Herrschaft hinter der mütterlichen kaum zurückgestanden haben
wird? Und bedeutet die Entscheidung jenes Fortsetzers
welfischer
Geschichte, den man in scheinbar ungebrochener Familientradition
Welf IV. nannte, tatsächlich eine politische Option zugunsten
einer süddeutschen Landesherrschaft gegen eine oberitalienische Zukunft?
Spätere Quellen des 12. Jahrhunderts, welche vom anhaltenden genealogischen
Gemeinschaftswissen zwischen den WELFEN
und den OTBERTINERN künden, mahnen
zur Vorsicht, Irmentruds/Imizas Enkel "Welf" in die vielen
welfischen Volkswechsel des früheren
Mittelalters einzubauen.
Mediator dürfte auch der italienische Vater Welfs
IV. gewesen sein, der 1069/70 in die westeuropäische Politik eingriff.
Das verwirrend erscheinende genealogische Netz muß zur Erklärung
des welfischen Handlungs- und Bewußtseinshorizonts
bedacht werden. Albert AzzoII. hatte
nach dem Tod seiner welfischen Gemahlin
Kuniza
(um 1050) in zweiter Ehe Garsenda geheiratet, die Schwester des
Grafen Hugo IV. von Maine. Aus dieser Verbindung gingen die beiden
Halbbrüder Welfs IV. hervor, Fulco
und Hugo,
auch sie nach mütterlichen Vorfahren benannt. Beim Tod Hugos IV.
und seines Sohnes geriet die Grafschaft Maine in den 60-er Jahren in den
Bannkreis der benachbarten normannischen Herzogsherrschaft. Doch bei einer
Revolte in der Stadt Le Mans rief eine oppositionelle Partei die Grafen-Tochter
Garsenda als Erbin und ihren Mann Albert
Azzo an die Loire. Im Frühjahr 1069 setzte sich der OTBERTINER
tatsächlich durch und ließ mit der Gattin auch seinen Sohn
Hugo in Maine zurück. Letztlich war seiner Herrschaft kein Erfolg
beschieden, so daß er 1070 zum Vater nach Italien zurückkehrte.
Freilich erhielt sich bis in die 90-er Jahre des 11. Jahrhunderts der erberechtlich
begründete Anspruch Hugos auf die Grafschaft Maine.
Gerade in dieser Zeit wurde die Ehe Welfs IV.
mit Judith
verabredet, der flandrischen Grafentochter und englischen Adelswitwe.
Die westeuropäischen Verbindungen der OTBERTINER
erklären die Brautwahl und rücken den WELFEN
auch wieder deutlicher in den väterlichen Familienverband. Der neue
bayerische Herzog bildete also ein Glied im weiten europäischen Adelsgeflecht,
das sich nicht auf das Reich oder gar auf Süd-Deutschland reduzieren
läßt. 1055/56 war Welf IV. kaum vom Italiener zum Schwaben
geworden. Dafür sprechen anhaltenden Verbindungen zum Vater und seiner
italienischen Herrschaft.
1073 beschenkte er mit väterlichem Konsens das Hauskloster
Vangadizza, die Grablege seiner Mutter, welche 1097 auch die Gebeine des
Vaters Albert Azzo II. aufnehmen sollte.
Beim Tod des Vaters stritt Welf mit den Halbbrüdern Fulco
und Hugo um das väterliche Erbe. 1097 setzte sich Welf IV.
gewaltsam durch und befestigte seine Herrschaft nördlich wie südlich
der Alpen.
Darum wird man neben dem großmütterlich-welfischen
auch die aktuellen väterlichen Erfahrungspotentiale für das Selbstverständnis
Welfs
IV. in Rechnung stellen und das dauerhafte Festhalten an der Kirchenreform
besser erklären können. Albert Azzo
II. nahm schon 1074 an der ersten Fastensynode Papst
Gregors VII. teil. Wie sehr er innerlich von den gregorianischen
Reformidealen erfüllt war, bleibt dahingestellt. Jedenfalls vollzog
sich sein Leben im Bannkreis der neuen kurialen Forderungen an Kirche und
Welt. Der Papst, der bald zum Widersacher des salischen
Königs
HEINRICH IV. werden sollte, nannte den otbertinischen
Markgrafen "unseren liebsten Getreuen" (carissimus fidelis noster),
bereit zum Dienst am Apostolischen Stuhl. Gewiß waren dies Ehrentitel,
doch im kurialen Denkhorizont sollte sich der OTBERTINER
ihrer würdig erweisen. In der welthistorischen Krise des Jahres 1077
- nach gegenseitiger Bannung und Absetzung von Papst und König, im
Angesicht des büßenden Herrschers vor der Burg Canossa
und der abfallenden Fürsten nördlich der Alpen - vermittelte
der erfahrene Markgraf und brachte mit anderen in zugespitzter Lage den
Ausgleich zustande. HEINRICH IV. dankte
es seinen beiden Söhnen aus zweiter Ehe in einer ftreilich diplomatisch
merkwürdigen Urkunde: Grafschaft für Grafschaft, Besitz für
Besitz wurden den beiden Brüdern Hugo und Fulco in Italien
bestätigt. Welf IV. ist hier nicht genannt. Doch der älteste
Sohn Albert Azzos II. war keineswegs
aus der italienischen Besitzgemeinschaft ausgeschieden. Vielmehr stand
seine Absetzung als bayerischer Herzog unmittelbar bevor, so daß
ihn der König nicht bedenken wollte; zudem läßt die schwierige
und später italienische Überlieferung des Diploms nichts anderes
als gezieltes Vergessen erwarten.
Der Markgraf, der 1078 seinen Sohn Hugo in Troia
mit einer Tochter Robert
Guiskards vermählen konnte, schwenkte 1080 nach der zweiten
päpstlichen Bannung HEINRICHS IV.
eindeutig ins anti-salische Lager der
päpstlichen Reformpartei. Die Kategorien des Urteilens standen jetzt
fest: Rechtgläubig war, wer mit der römischen Kirche übereinstimmte;
ihr Gegner blieb "unfromm" (impius).
Bald nach der Trennung von 1095 jedenfalls söhnten
sich der SALIER und der WELFE
aus. Als Vermittler diente noch einmal Welfs Vater Albert
Azzo II., der sich als "etwa Hundertjähriger" im Februar
1096 in Pavia beim Kaiser einfand. 1096/97 erhielt Welf IV. das
Herzogtum Bayern zurück, um das er seit 1077 gekämpft hatte.