Lexikon des Mittalalters: Band VI Seite 476
********************
Meißen
----------
I. Burg, Markgrafschaft, Burggrafschaft:
Auf seinem Slavenzug von 928/929 ließ König
Heinrich I. am Ostrande des slavisch besiedelten Gaues Daleminzien
auf einem über der Elbe sich erhebenden Hügel eine Burg erbauen,
die nach dem Bach zu ihren Füßen (Meisabach) den Namen 'Misni'
erhielt. Sie bildete in der Folgezeit als Glied der an der Elbe als Ostgrenze
des Reiches aufgereihten Burgenkette den Hauptstützpunkt der deutschen
Herrschaft. Als hölzerne, palisadenbewehrte Anlage fiel sie 984 einem
böhmischen, 1002 einem polnischen Angriff anheim. Seit 968 ist ein
hier eingesetzter Markgraf bezeugt, im gleichen Jahre wurde der Burgberg
Sitz des Bischfs für das neugegründete Bistum Meißen. Als
dritte reichsunmittelbare Gewalt trat der seit 1068 nachweisbare Burggraf
hinzu, so daß die Reichsburg Meißen im hohen Mittelalter ein
hervorragender Mittelpunkt im Herrschaftsgefüge des Reiches war. Burgdienstpflichtige
Sorben (vethenici, Weitsessen) gehörten zur Burgbesatzung. Die später
weiter ausgebaute Markgrafenburg wurde seit 1472 durch den prächtigen
Bau der 1521 vollendeten Albrechtsburg ersetzt, die baugeschichtlich an
der Nahtstelle von der mittelalterlichen Burg zum neuzeitlichen Schloß
steht. Die für die Markgrafschaft namengebende Burg verlor jedoch
seitdem ihre Residenzfunktion an das nahegelegene Dresden.
Der Herrschaftsbereich des Markgrafen erstreckte sich
über den slavisch besiedelten Gau Daleminzien, dehnte sich aber im
11. Jh. bis an die Neiße aus. Im Zuge der deutschen Ostsiedlung
erweiterte sich die Mgft. durch Rodung in das angrenzende Flachland und
nach Süden in das östliche Erzgebirge und wurde so zum flächenhaft
ausgebildeten Territorium. Nach einem 983 bezeugten Markgrafen Rikdag
erscheinen seit 985 die EKKEHARDINGER als Markgrafen, 1046 gelangte
die »marchia Misnensis« an das Haus WEIMAR-ORLAMÜNDE,
1067 an die BRUNONEN, von denen Ekbert II. im Investiturstreit
1089 abgesetzt wurde. Zum Nachfolger wurde im gleichen Jahr der WETTINER
Heinrich I. von Eilenburg eingesetzt, mit dem die dauerhafte Herrschaft
dieser Dynastie in der Markgrafschaft begann (WETTINER). Markraf
Konrad (1123-1156) erwarb das Erbe des Hauses GROITZSCH hinzu,
Markgraf Otto (1156-1191) organisierte die bäuerliche Kolonisation,
das beginnende Städtewesen und den Silberbergbau in Freiberg. Das
1162 gegründete Zisterzienserkloster Altzella bei Nossen war als Grablege
der Markgrafen das bedeutendste Kloster der Markgrafschaft.
Die Absicht Kaiser Heinrichs
VI., die Markgrafschaft Meißen 1195 als erledigtes Reichslehen
einzuziehen, konnte wegen seines Todes 1197 nicht verwirklicht werden;
Markgraf Dietrich baute sie sodann zielstrebig weiter aus. Seit 1247/64
war sie mit der Landgrafschaft Thüringen in der Hand der WETTINER
vereint, so daß beide Herrschaftsgebiete zu einer territorialen und
landständischen Einheit zusammenwuchsen. Neben der Burg Meißen
bildete sich das Landding zu Füßen des Collmberges bei Oschatz
zu einem politischen Mittelpunkt der Markgrafschaft aus, wo von 1185 bis
1259 Zusammenkünfte der adligen und geistlichen Herrschaftsträger
nachzuweisen sind. Nachdem ein zweiter Versuch der Reichsgewalt, die Markgrafschaft
an sich zu ziehen, mit der Schlacht bei Lucka 1307 gescheitert war, dehnte
sich der Herrschaftsbereich der Markgrafen im 14. und 15. Jh. im Zuge
einer erfolgreichen Territorialpolitik mit Hilfe von Waffengewalt, Heirat
und Geld ständig aus, wobei neben den Besitzungen von Burggrafen,
Edelherren und Reichsministerialen auch das Reichsterritorium Pleißenland
einbezogen wurde. Mit der Übertragung des Herzogtums Sachsen-Wittenberg
und der damit verbundenen Kurwürde an Markgraf Friedrich IV. von
Meißen 1423 ging die Markgrafschaft im größeren Territorialverband
des Kurfürstentums Sachsen auf und verlor damit die Eigenschaft eines
selbständigen Reichsfürstentums. Bei den wettinischen Landesteilungen
von Altenburg 1445 und Leipzig 1485 galt der meißnische Teil als
der wertvollere.
Die Burggrafen von edelfreier Abkunft erscheinen als
Inhaber der Gerichtsbarkeit in dem mit sorbischen Schöffen (Supanen)
besetzten Landgericht für die slavischen Bewohner des meißnischen
Gebietes und des Meißener Stadtgerichts. Als militärische Befehlshaber
der Burg waren sie ursprünglich den Markgrafen nebengeordnet, konnten
diese Stellung gegenüber der wachsenden Selbständigkeit des markgräflichen
Amtes jedoch nicht halten, spielten aber im politischen Leben der Markgrafschaft
im 12./13. Jh. eine beachtliche Rolle. Die seit 1171 als Burggrafen
auftretenden MEINHERINGER (aus Werben bei Weißenfels) bauten
daher folgerichtig ihren Territorialbesitz weit entfernt in der Grafschaft
Hartenstein aus, die jedoch mit dem Burggrafenamt ebenso wenig zu tun hatte
wie die seit etwa 1330 erworbenen Herrschaften Frauenstein, Lichtenwalde,
Purschenstein und Pöhlberg, wohin sie vor dem Druck der Markgrafen
auswichen. Mit dem Tode des letzten MEINHERINGERS in der Hussitenschlacht
von Aussig 1426 erlosch das Geschlecht, der Kurfürst riß die
burggräflichen Rechte und Befugnisse an sich.