Frommer Hansjörg: Seite 71-87
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"Die Salier"

Kapitel V

Die Regentschaft der Kaiserin Agnes und die neue Phase der Kirchenreform
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Nach der Beisetzung HEINRICHS III. in Speyer wurde der 6-jährige HEINRICH im November 1056 von Papst Viktor II. feierlich auf den Thron KARLS DES GROSSEN gesetzt, allerdings offenbar in Abwesenheit der großen Reichsfürsten, die sonst bei diesem Akt den zeremoniellen Hofdienst geleistet hatten. Der Papst nützte den Aufenthalt im Westen, um in Verhandlungen mit dem neuen Erzbischof Anno von Köln, Herzog Gottfried von Lothringen und den Grafen von Flandern den noch von HEINRICH gewollten Ausgleich zu erreichen. Aber dieser Ausgleich bedeutete im wesentlichen die Bestätigung aller der Rechte und Lehen, um die vorher gestritten worden war. Der Frieden wurde also dadurch erreicht, daß die Regierung auf bisher beanspruchte Positionen verzichtete.
Weihnachten und Neujahr verbrachten der König, die Kaiserin und der Papst in Regensburg. Dort wurde ein Reichstag abgehalten. Im Vordergrund stand die Frage der Neubesetzung der Herzogtümer. Als neuer Herzog für Kärnten wurde Pfalzgraf Konrad aus der lothringischen Familie der EZZONEN ernannt, einer der Teilnehmer aus der Fürstenverschwörung von 1055. Man kann diese Ernennung wie den Ausgleich mit Lothringen als einen Akt der Versöhnung ansehen, den der sterbende Kaiser dem Papst aufgetragen hatte. Aber sie ist auch ein Eingeständnis der Schwäche der neuen Regierung, die hier der Fürstenopposition entgegenkam, weil sie die härtere Linie HEINRICHS III. nicht mehr durchsetzen konnte. Als Ausgleich ließ man der Kaiserin dafür das Herzogtum Bayern, allerdings nur vorläufig und unter sehr einschränkenden Bedingungen, denn sie sollte es an den Sohn weitergeben, den sie möglicherweise von ihrem verstorbenen Mann erwartete. Alle diese Zugeständnisse wurden noch von Viktor II. vermittelt, der das Vertrauen der Kaiserin hatte und die politischen Verhältnisse kannte wie kaum ein anderer. Von Regensburg aus ging er nach Rom zurück. Dort starb er schon im Juli 1057.
Die Kaiserin Agnes stammte aus einer vornehmen südfranzösischen Familie und war durch ihre Erziehung fromm und eng mit den Zielen der Reform verbunden. An der Seite HEINRICHS hatte sie dessen hohe Auffassung von den Pflichten und von der Stellung des über allem stehenden und in erster Linie Gott verantwortlichen Herrschers kennengelernt. So faßte sie auch ihre Regentschaft für den unmündigen Sohn auf. Sie wollte nicht Partei sein, sondern als Instanz über den Parteien stehen und entscheiden. Viktor II. hatte viel klarer erkannt, daß diese Position nicht mehr haltbar war, daß Zugeständnisse gemacht und Verbündete gesucht werden mußten. Aber nach seiner Abreise hatte die Kaiserin keinen engen Berater mehr, und die verschiedenen politischen Faktoren und Parteien verselbständigten sich rasch, die deutschen Bischöfe ebenso wie das Papsttum und die Reichsfürsten. Die Reichsregierung wurde aus einer obersten Instanz schnell zu einer Institution, die man nach Möglichkeit umging und nicht beachtete. Allerdings ist die Zeit der Regentschaft der Kaiserin in der Beurteilung sehr umstritten und war es schon damals. Die Quellen zu ihrer Beurteilung sind eher dürftig. Positive Darstellungen wurden vielleicht sogar nachträglich vernichtet. Denn nur aus der Unfähigkeit und Untätigkeit der Regentschaft der Kaiserin ließ sich die Berechtigung zu dem Staatsstreich von 1062 ableiten.
Daß die Kaiserin ihre politischen Möglichkeiten realistisch einschätzen konnte und nutzen wollte, zeigte ihre Entscheidung über das Herzogtum Schwaben im folgenden Jahr. Otto von Schweinfurt, der bequeme Herzog, der HEINRICH diese Machtbasis nie streitig gemacht hatte, starb im September 1057, und im Oktober wurde in Speyer bei einem Hoftag in Anwesenheit der Bischöfe von Straßburg, Konstanz und Chur über die Neubesetzung entscheiden. Das Herzogtum Schwaben war immer eine Schlüsselstellung für die Königsmacht in Deutschland und für die Verbindung nach Italien gewesen und hatte den SALIERN seit der Absetzung Herzog Ernsts als direkte Machtbasis gedient. Agnes konnte versuchen, einen neuen Herzog von außerhalb zu finden, der die tatsächliche Herrschaft des Königs über Schwaben akzeptierte, oder sie konnte das Herzogtum an jemand geben, der dann als ihr Parteigänger zur Stärkung der königlichen Macht beitrug. Zum neuen Herzog bestimmte sie den Grafen Rudolf von Rheinfelden, der in der späteren Geschichte HEINRICHS IV. eine so wichtige Rolle spielen sollte.
Der Mönch Ekkehard erzählt in seiner "Chronika Universalis" eine höchst dramatische Version dieser Erhebung RUDOLFS. HEINRICH III. hatte das Herzogtum Schwaben dem Grafen Berthold von Zähringen, einem der mächtigsten Adligen in Schwaben, zugesagt und ihm zum Zeichen dafür einen Ring gegeben. Doch der ehrgeizige RUDOLF VON RHEINFELDEN  entführte bei der Nachricht vom Tod Herzog Ottos III. die älteste Schwester des Königs, Mathilde, und zwang damit die Kaiserin Agnes, ihm das Herzogtum zu übertragen und einer späteren Heirat mit der minderjährigen Tochter zuzustimmen. Als Berthold von Zähringen der Kaiserin den Ring zeigte, der sein Anrecht auf das Herzogtum dokumentierte, kam er zu spät. Zum Ausgleich dafür wurde Berthold später mit dem Herzogtum Kärnten belehnt.
An der Geschichte ist richtig, dass RUDOLF im Zusammenhang mit der Ernennung zum Herzog mit der 1045 geborenen Kaiser-Tochter Mathilde verlobt wurde und sie Ende 1059 heiratete, und daß Berthold von Zähringen 1061 zum Herzog von Kärnten ernannt wurde. Wenn sie wahr wäre, würde sie kein besonders gutes Licht auf RUDOLF VON RHEINFELDEN werfen, aber gerade deshalb muß sie mit großer Vorsicht aufgenommen werden, denn RUDOLF gehörte später zu den umstrittensten Persönlichkeiten der Zeit. Schon der zeitliche Ablauf spricht gegen diese Darstellung, denn über die Neubesetzung Schwabens wurde sehr bald nach dem Tod des alten Herzogs entschieden. Außerdem paßt es überhaupt nicht zur Politik HEINRICHS III., dem mächtigsten schwäbischen Adligen das Herzogtum zu versprechen. Und selbst wenn man die Regentschaft der Kaiserin-Witwe nicht für sehr erfolgreich hält, darf man nicht erwarten, daß sie ohne Überlegung die wichtigsten Machtpositonen an ihre Gegner ausliefert. Die Auswahl der neuen Herzöge, vor allem die RUDOLFS, der durch die Verlobung mit Mathilde auch in die engere Familie aufgenommen wurde, war keine negative, durch Erpressung erreichte Entscheidung, sondern eine positive, die Grundlage für ein neues Bündnissystem der Aufbau einer eigenen Gefolgschaft. RUDOLF wurde Herzog von Schwaben, weil er dem Thron und der Kaiserin nahe stand.

Radikalisierung der Kirchenreform
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Diese Politik der Regentin verrät doch eigenen politischen Gestaltungswillen und die Abkehr von gewissen Grundprinzipien HEINRICHS III., der sich mehr auf die geistlichen Fürsten gestützt und die weltlichen kurzgehalten hatte. Die Wendung hängt damit zusammen, daß Agnes nach dem Tod Viktors II. mit den Kirchenreformern nicht nur gute Erfahrungen gemacht hatte und mit der von den Reformern beherrschten Kurie in ernste Konflikte gekommen war. Als Viktor nämlich im Juli 1057 starb, wählten die Reformer als seinen Nachfolger Friedrich von Lothringen, den Abt des Klosters Monte Cassino. Der neue Papst galt aber nicht nur als ein energischer Verfechter der Reform, sondern auch als entschiedener politischer Gegner des salischen Hauses. Er schob seinen Bruder Gottfried, der ja schon über den reichen Besitz des Hauses CANOSSA im Westen verfügte, das Herzogtum Spoleto und andere Besitzungen an der adriatischen Küste zu und machte ihn so zum mächtigsten Herren in Italien. Von einer Entscheidung oder auch nur Zustimmung des deutschen Königs zur Papstwahl war nicht mehr die Rede. Immerhin schickte Stephan IX. noch eine Gesandtschaft mit Hildebrand an der Spitze nach Deutschland, um den König über die Wahl zu unterrichten.
In dieser Zeit erscheinen die "Drei Bücher gegen den Simonisten" des Kardinalbischofs Humbert von Silva Candida. Humbert, ein Lothringer, war mit Leo IX. an die Kurie gekommen und hatte sich zum großen Theoretiker der Kirchenreform entwickelt. Für Humbert war Simonie die Wurzel allen Übels, aber als Simonie galt ihm jede Verfügungsgewalt von Laien über die Kirche oder über ein kirchliches Amt. Die Reinheit der Kirche lag in der "kanonischen" Wahl ihrer Vertreter, bei der keine Laien beteiligt sein durften. Konnte die Simonie, die Mitwirkung von Laien, ausgeschaltet werden, dann würde Gott dafür sorgen, das jeweils der Fähigste berufen würde. Neu war bei Humbert auch, daß er alle Geistlichen, die in ihrer persönlichen Lebensfühhrung angreifbar waren, also mit Frauen zusammenlebten, ebenso wie die, bei deren Erhebung Laien mitgewirkt hatten, für exkommuniziert und ihre kirchlichen Handlungen für ungültig erklärte. Die Kirchenreform wurde dadurch radikaler und intoleranter. Radikaler, weil sie das Übel auf eine einzige Wurzel zurückführte, intoleranter, weil die innenkirchlichen Gegner jetzt als Glaubensfeinde verfolgt und ihre Anhängerschaft mit der Drohung geistlicher Strafen diszipliniert werden konnte.
Stephan IX. griff entsprechend diesen Prinzipien in Mailand ein. Dort stand einer hochadligen und in ihrer Lebensführung entsprechend angreifbaren Gruppe von Bischöfen unter ihrem Erzbischof Wido eine von zwei radikalen Priestern geführte Volksbewegung gegenüber, nach ihrem Herkunftsort die Pataria genannt, die immer ungestümer die Rückkehr der Kirche zum reinen Leben forderte. Indem Stephan die Partei der Pataria ergriff, traf er gleichzeitig die Reichspolitik, die in Erzbischof Wido eine verläßliche Stütze hatte, und half so wieder seinem Bruder Gottfried bei dessen Kampf um mehr Einfluß in Italien. Aber Stephan starb schon nach einem Pontifikat von nur acht Monaten. Vor seinem Tod ließ er die Reformer schwören, keinen neuen Papst zu wählen, bevor nicht Hildebrand aus Deutschland zurück sei. Aber als diese Nachricht in Rom bekannt wurde, erhoben die Grafen von Tusculum einen Bischof aus ihrer Familie zum neuen Papst. Diesen Benedikt X. konnten und wollten die Reformer nicht anerkennen. Sie flohen aus Rom und trafen sich unter dem Schutz Herzog Gottfrieds in Florenz mit Hildebrand, der eben aus Deutschland zurückgekommen war. Dort bestimmten sie den Bischof von Florenz zum neuen Papst, aber noch vor der Wahl wurde auf Betreiben Hildebrands eine Gesandtschaft zu Kaiserin Agnes geschickt, die die Zustimmung zu dieser Wahl einholen sollte. Die Reformer fühlten sich also auch mit dem Schutz Gottfrieds noch nicht stark genug, sie suchten eine Anlehnung und Bestätigung, die nach den Ausführungen Humberts schon Simonie war. Erst als die Zustimmung der Kaiserin vorlag, wurde Nikolaus II. in Siena zum Papst gewählt und Ende 1058 mit Hilfe Gottfrieds in Rom eingesetzt.
Leo und Stephan hatten als Päpste gegen das Einnisten der Normannen in S-Italien gekämpft. Die Normannen hatten sich im Kampf gegen Sarazenen und Byzantiner in Süditalien und Sizilien festgesetzt und dabei andere Ansprüche und Besitzrechte, auch päpstliche, mißachtet. Jedoch dem Papst gegenüber waren sie immer vorsichtig gewesen, und sie waren bereit, ihn als Oberlehnsherren anzuerkennen, wenn er umgekehrt ihre Besitzrechte absegnete. Unter Papst Nikolaus II. kam es, vermittelt durch Hildebrand und den Abt Desiderius von Monte Cassino, zu dieser gegenseitigen Anerkennung. Der Papst wurde damit zum ersten Mal weltlicher Oberlehensherr. Der Vertrag ließ aber alle Rechte des Reiches außer Acht oder hob sie sogar auf. Mit ihm setzte sich der Papst in S-Italien an die Stelle des Reiches und des Kaisers. Die Normannen wurden ein wichtiger, wenn auch sehr eigenwilliger Bundesgenosse des Papstes in der kommenden Auseinandersetzung mit dem Reich.
Unter Nikolaus wurden auf einer Lateransynode von 1059 auch wesentliche Forderungen der Reformer in Kirchengesetze umgesetzt. So wurde den Laien verboten, bei verheirateten Priestern die Messe zu hören. Zum ersten Mal wurde auch ein Verbot der Laieninvestitur ausgesprochen, der Mitwirkung von Laien bei der Besetzung eines Bischofsstuhls. Am wichtigsten aber war das Papstwahldekret dieser Synode, mit dem endlich festgelegt werden sollte, wer dazu berechtigt war, an der Wahl teilzunehmen, und wer nicht. Das Vorstimmrecht hatten die Kardinalbischöfe, die die anderen Kardinäle zur Wahl zuziehen konnten und sollten.
Die übrigen Geistlichen und das Volk von Rom hatten ein Akklamationsrecht. Sollte in Rom eine ordnungsgemäße Wahl nicht möglich sein, so konnten die Kardinalbischöfe sie an einen anderen Ort verlegen. Ein Mitspracherecht des römischen Adels gab es nicht mehr, einem vom Papst gekrönten Kaiser stand wenigstens ein formales Anerkennungsrecht zu. Den Trägern oder Teilnehmern einer im Sinne dieses Dekrets regelwidrigen Papstwahl wurden alle Strafen des Himmels angedroht.
Auch in der Frage der Mailänder Kirche traf die Synode weitreichende Entscheidungen, die in kaiserliche Rechte eingriffen. Erzbischof Wido unterwarf sich dem Papst und wurde von ihm mit einem Ring erneut eingesetzt. Dadurch sollte die vorherige Einsetzung durch den Kaiser wiederholt oder erst rechtmäßig gemacht werden. Nachdem der Erzbischof sich den Wünschen des Papstes gefügt hatte, ließ dieser die Pataria mit ihren weitergehenden Forderungen und Angriffen einfach fallen. Allerdings gab Wido die Synodalbeschlüsse über das Leben der Priester nicht weiter, und der Bischof von Brescia, der sie seinen Priestern vorgetragen hatte, wurde von ihnen halbtot geschlagen. Die von den Reformern geforderte strenge Kirchenzucht hatte offenbar noch keineswegs überall Anhänger.
 

Agnes stellt sich gegen die Reformer
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Diese Vorgänge in Rom machen deutlich, warum die Kaiserin Agnes um 1060 eine politische Neuorientierung vornahm. Persönlich war sie der Kirche und den Grundgedanken der Reformer eng verbunden, aber jetzt spürte sie, daß die Richtung, die die Reform nahm, mit ihren Idealen nicht mehr übereinstimmte und ganz offen gegen die Stellung ihres Hauses und ihres Sohnes gerichtet war. Ihrem Mann und ihrem Sohn gegenüber fühlte sie sich aber verpflichtet, während ihrer Regentschaft das Erbe möglichst unbeschadet zu verwalten. Das bedeutete jedoch für sie, daß sie sich in einem Konflikt auf die deutschen Bischöfe, die ja meist Anhänger der Reform waren, nicht mehr unbedingt verlassen konnte. Deshalb war die Besetzung der drei Herzogtümer eine ganz wesentliche Entscheidung. Wenn die Herzöge von Schwaben, Bayern und Kärnten zu ihr hielten, konnte sie auch in Italien eingreifen, wenn sich das als notwendig herausstellen sollte.
Das war schon im kommenden Jahr der Fall. Im Mai 1061 starb der Kardinalbischof Humbert, und damit wurde Hildebrand der alleinige und unbestrittene Führer der Kirchenreform in Rom. Im Juli starb Papst Nikolaus II., mit dessen Namen die Neuerungen von 1059 verbunden sind, auch wenn die Dekrete und Texte vor allem die Handschrift Humberts und Hildebrands tragen. Die römischen Aristokraten trauten sich nicht mehr, von sich aus einen neuen Papst zu bestimmen, aber sie wollten die Entscheidung über den neuen Papst nicht einfach Hildebrand überlassen. Sie schickten deshalb eine Gesandtschaft unter dem Grafen Girard an den kaiserlichen Hof, die dem jungen König HEINRICH die Abzeichen des römischen Patriziats überbrachte und um die Ernennung eines neuen Papstes bat. Hildebrand konnte gegen den Adel in Rom keinen neuen Papst wählen lassen. Er besprach sich mit den Kardinalbischöfen und anderen Führern der Reform, vor allem auch mit Abt Desiderius von Monte Cassino, der die Verbindung zu den Normannen herstellte. Ende September wurde außerhalb Roms und unter Umständen, die keineswegs denen des Papstwahldekrets entsprachen, der Bischof von Lucca zum neuen Papst bestimmt. Dabei beteiligte sich Gottfried von Lothringen. Militärisch gesichert wurde die Wahl durch die Normannen des Richard von Capua, die nach einem vergeblichen Versuch bei Tag in der folgenden Nacht nach Rom durchdringen und den neuen Papst inthronisieren konnten.
Die Wahl Alexanders II. war ein geschickter Schachzug, denn der frühere Bischof Anselm war noch von HEINRICH III. ausgesucht und ernannt worden und gehörte zum "diplomatischen Dienst" der Kurie. Er war schon zweimal als Gesandter am Hof der Regentin gewesen, und so hoffte Hildebrand, daß die irreguläre Wahl und die mit Waffengewalt erzwungene Inthronisation schließlich akzeptiert würden, weil der neue Papst als Person ausreichendes Vertrauen genoß. Aber Agnes war diesmal nicht bereit, auf die ihrem Sohn zustehenden Rechte zu verzichten, und sie spürte, daß die radikale Richtung der Reform unter Hildebrand auch in Italien dabei war, Terrain zu verspielen. Zwar war es das Anliegen der Reform, die Kirche aus den weltlichen Verstrickungen herauszuhaben, aber mit der offenen Förderung Gottfrieds von Lothringen und dem normannischen Bündnis war die Kirche tiefer denn je in die Politik verstrickt. Die aristokratische Partei in Rom suchte gegen Hildebrand Unterstützung bei der Kaiserin. Daß der Papst mit normannischer Hilfe inthronisiert werden mußte, trug zu seiner Beliebtheit nicht gerade bei. Auch der Erzbischof von Mailand und die lombardischen Bischöfe sahen sich jetzt eine Gelegenheit sich dem römischen Druck zu entziehen.
Agnes berief für Ende Oktober eine Reichsversammlung nach Basel ein, auf der über alle diese Fragen entschieden werden sollte. Da diese Versammlung und ihre Beschlüsse später als irregulär erklärt wurden, ist leider über ihre Vorbereitung und Durchführung sehr wenig erhalten. Aber der Hof war schon Wochen vorher am Oberrhein, und die Reichsversammlung wurde sicher intensiv vorbereitet. Daß sie in Basel stattfand, deutet wieder auf RUDOLF VON RHEINFELDEN hin, den Herzog von Schwaben und königlichen Vertreter für Burgund. Da er später auf der anderen Seite kämpfte, ist verständlich, daß seine führende Teilnahme an dieser Reichsversammlung "vergessen" und verdrängt wurde. Aber ohne seine Zustimmung und seinen Schutz hätte sie dort kaum stattfinden können. Von den deutschen Bischöfen nahmen viele und vor allem die Wortführer wie Anno von Köln und Adalbert von Bremen nicht teil. Dafür war die Beteiligung der norditalienischen Bischöfe offenbar sehr groß. Aus ihren Reihen wurde Bischof Cadalus von Parma zum Papst gewählt. Gleichzeitig wurde die einen Monat vorher erfolgte Wahl des Bischofs von Lucca für ungültig erklärt.
Damit hatte die Regentin eindeutig und entschieden Stellung bezogen. Zu Jahresende fällte sie eine weitere persönlich wichtige Entscheidung, sie nahm den Schleier und wurde Nonne. Aber damit verzichtete sie nicht auf ihre Stellung. Von ihren Gegnern wurde das als Ausdruck des schlechten Gewissens interpretiert, aber sie konnte damit genauso gut zum Ausdruck bringen, daß sie sich mit der richtigen Kirche und mit Gott nicht in einem Konflikt befand, sondern nur mit einer politisch pervertierten Richtung der Kirchenreform. Nach der Wahl und Einsetzung des Papstes Honorius war der konsequente nächste Schritt das persönliche Erscheinen des Königs und der Regentin in Italien, die Einsetzung des Papstes in Rom und die Krönung HEINRICHS zum Kaiser. Dafür war aber ein Stillhalten im übrigen Deutschland und die Gefolgschaft der drei Herzöge notwendig. Wer diesen Schritt und die Stärkung der Regentschaft und des Königs verhindern wollte, mußte hier ansetzen und schnell handeln. Das ist der Hintergrund des Staatsstreichs vom Mai 1062.

Sturz der Regentin
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Im April 1062 stand der Gegen-Papst Honorius vor den Toren Roms, und die Partei Hildebrands wußte nicht mehr, wie sie den Einzug verhindern sollte. Honorius wurde von den Lombarden unterstützt, ebenso von der Kaiserin, und er stand in Verhandlungen mit Byzanz, um das Schisma zu beenden und den Kampf gegen die Normannen und die Sarazenen gemeinsam aufzunehmen. Die Römer waren in zwei Lager gespalten. Schließlich rettete die Rückkehr Gottfrieds von Lothringen aus Deutschland die Lage für die Reformer. Da Honorius Gottfried militärisch nicht trauen konnte, akzeptierte er dessen scheinbar fairen Vorschlag, daß beide Päpste in ihre jeweiligen Bistümer zurückkehren und die Entscheidung der Reichsregierung abwarten sollten. Wie diese Entscheidung ausfallen würde, wußte Honorius, weil er ja in Basel von der Regentin zum Papst ernannt worden war. Aber Gottfried wußte mehr, da er eben aus Deutschland zurückgekehrt und sicher in die Pläne eingeweiht war, die Regentschaft der Kaiserin Agnes zu beenden.
Die Reformpartei hat später immer glauben machen wollen, daß die Regentschaft der Kaiserin so abgewirtschaftet habe, daß ihr Sturz notwendig geworden sei. Dafür wurde alles mögliche vorgebracht, die Unstetigkeit, die wechselnden Ratgeber und deren Eigennutz, und von Humbert auch, daß der Einfluß von Laien auf die Kirche noch verwerflicher sei, wenn er von einer Frau ausgehe. Vor dem Hintergrund der politischen Lage in Deutschland und Italien zum Jahreswechsel 1061/62 wird aber deutlich, dass Agnes nicht gestürzt wurde, weil sie zu wenig getan hatte, sondern weil ihre neue politische Linie, die Frontstellung gegen eine radikalisierte Kirchenreform, zu viel Erfolg hatte und die Gruppe um Hildebrand und Gottfried in große Gefahr brachte. Deshalb versuchte diese Gruppe, der Kaiserin die Regentschaft in Deutschland zu entziehen. Dazu brauchte sie Verbündete und Mitverschworene, und Hildebrand wie Gottfried hatten an diesem Netz mitgeknüpft, auch wenn dafür direkte Beweise nicht vorliegen.
Der Anführer der Verschwörung wurde Erzbischof Anno von Köln, im Geist der Reform von HEINRICH III. zum Kirchenfürsten berufen, ein ehrgeiziger, machtbesessener Mann, der zur Selbstüberschätzung neigte und es der Kaiserin übelnahm, daß sie ihn nicht in ihren engeren Beraterkreis zog. Zu seiner Absicherung tat er sich mit Adalbert von Bremen zusammen, dem großen alten Mann der deutschen Kirche, der es HEINRICH III. gegenüber in Sutri abgelehnt hatte, sich zum Papst erheben zu lassen. Adalbert träumte von einem Patriarchat in Bremen, zu dem die nordischen Länder und die noch zu missionierenden Slawen gehören würden, und er erhoffte sich von einer anderen Regierung mehr Unterstützung dafür. Notwendig war aber auch die Beteiligung weltlicher Fürsten, und es gelang Anno, den neuen bayerischen Herzog Otto von Northeim auf seine Seite zu bringen. In dessen Persönlichkeit hatte Agnes sich offenbar sehr getäuscht.
Otto sah für seine Zukunft bessere Aussichten auf der anderen Seite und vergaß, wem er das Herzogtum Bayern zu verdanken und dafür die Treue geschworen hatte. Dagegen schweigen sich die Quellen über die Haltung RUDOLFS aus. Er stand damals offensichtlich auf der Seite der Kaiserin und war an der Verschwörung nicht beteiligt.
Der Sturz der Kaiserin war banal einfach. Da es eine gesetzliche Regelung der Regentschaft nicht gab, war es nur notwendig, den kleinen König in die Hand zu bekommen, um dann mit ihm und für ihn die Regierung auszuüben. Der Hof war in der Pfalz auf der Rheininsel Kaiserswerth, als Anno mit einem Schiff von Köln aus ankam und den 12-jährigen König zu einer Besichtigung einlud. Als HEINRICH an Bord war, legte das Schiff ab und fuhr nach Köln zurück. Es spricht für den Mut des jungen Königs, daß er, als er merkte, daß eine Entführung geplant war, in den Rhein sprang und fast ertrunken wäre. Aber er wurde wieder herausgezogen und mit den Reichsinsignien zusammen, die gleichzeitig entführt wurden, weil ohne sie eine rechtmäßige Regierung nicht möglich war, nach Köln gebracht. Agnes verzichtete auf einen Gegenschlag, der nur zu einem Bürgerkrieg hätte führen können. Sie hatte sich dazu gezwungen, für ihren Sohn Politik zumachen. Nachdem er ihr so entzogen war, akzeptierte sie diesen Schicksalsschlag und zog sich schließlich in das norditalienische Kloster Fruttuaria zurück. Trotz ihres Rückschlages blieb sie an politischen Fragen und am Geschick ihres Sohnes interessiert. Viermal kam sie noch über die Alpen, um zu beraten und zu vermitteln, vor allem zwischen HEINRICH und RUDOLF. Die neue Reichsregierung unter Anno von Köln bestätigte natürlich den von Hildebrand und Gottfried eingesetzten Papst Alexander und sprach gegen Honorius und seine Anhänger den Bann aus.