Lexikon des Mittelalters: Band III Seite 343
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CRESCENTIER
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Römische Adelsfamilie, die in der 2. Hälfte
des 10. Jh. die politische Herrschaft in Rom und in Teilen seines Umlandes
(Sabina, Terracina, Palestrina) erlangte und in Auseinandersetzungen mit
den ottonischen Kaisern bis zum innerrömischen
Umsturz des Jahres 1012 (TUSCULANER)
mit unterschiedlichem Erfolg (in der Sabina auch noch länger) sich
zu behaupten verstand. Der wissenschaftliche Hilfsname "CRESCENTIER"
(kein
zeitgenössischer Familienname) leitet sich her von Crescentius,
einem (neben Johannes und Bendedictus) in der Familie (aber
nicht nur in dieser) verbreiteten Vornamen. Die Ursprünge der CRESCENTIER
(ein
Creszentius ist erstmals 901 in Rom bezeugt) sind ungeklärt.
Eine heutigen Ansprüchen gerecht werdende Untersuchung über den
Aufstieg der CRESCENTIER, welche über
die stark genealogisch ausgerichteten Arbeiten von G. Bossi, W. Kölmel,
O. Gerstenberg und C. Cecchelli hinausginge, fehlt bislang (weiterführend
jetzt P. Toubert). Noch in den neueren Handbüchern und Lexika herrscht
Verwirrung über Namen und Titel einzelner CRESCENTIER.
Besser aufgearbeitet ist durch die Forschungen von H. Zimmermann die gleichzeitige
Geschichte des Papsttums, auf das die CRESCENTIER
einerseits
beherrschenden Einfluß ausübten, von dem sie andererseits aber
auch gefördert wurden.
In dem in der Kirchengeschichte als "saeculum obscurum"
(H. Zimmermann, Das dunkle Jh., 1971) verrufenen 10. Jh. stellte das Herrschaftsgebilde
der CRESCENTIER - nach dem Prinzip
der Sippe des Theophylakt (Alberich + 954), von dem die CRESCENTIER
ebenfalls
abstammten - den zweiten, durchaus vergleichbaren Versuch dar, ein unabhängiges
politisches Gebilde in und um Rom zu schaffen. Dass sie dabei weniger erfolgreich
waren als ihre Vorgänger, lag wohl nicht in erster Linie an ihrer
"weniger entschlossenen Tatkraft" (G. Falco, Geist des MA, 1958, 182),
sondern vielmehr an dem politischen Interessengegensatz, in den sie nicht
nur mit dem in der Zwischenzeit neu errichteten Kaisertum der OTTONEN,
sondern auch mit dem stärker als bislang eigene politische Ziele verfolgenden
Papsttum gerieten. Die wechselvollen Titel, die die führenden Vertreter
der CRESCENTIER führten (comes,
dux, consul, senator, praefectus, patricius), spiegeln die Schwierigkeiten
wider, eine im Grunde ungeklärte verfassungsgeschichtliche Situation
angemessen zu manifestieren. Ungeklärt ist dabei auch, warum die CRESCENTIER
den Princepstitel Alberichs II. nicht übernahmen. Der von ihnen
(nach den KAROLINGERN) wiederbelebte
Patriziustitel (vgl. zuletzt P. Toubert, 1018, Anm. 2) wurde später
von HEINRICH III. übernommen.
Über das Gedankengut der damaligen stadtrömischen Kreise, das
sich in solchen an der römischen Antike orientierten Titel widerspiegelt,
informiert uns die (allerdings etwas jüngere) Graphia aurea urbis
Romae (P.E. Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio, 1929, 193ff.
Bedeutende CRESCENTIER
waren:
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Crescentius I. de Theodora, Graf der Sabina
und von Terracina
+ 7. Juli 984
Rom
Durch seine Mutter Theodora wahrscheinlich ein
Enkel Theophylakts.
Unter Papst Johannes XIII., dessen Abstammung
von den CRESCENTIERN(so zuletzt P.
Toubert) H. Zimmermann bezweifelt, emporgestiegen, betrieb er 974 den Sturz
Benedikts VI., der im Juli 974 in der Engelsburg, der Festung der CRESCENTIER,
auf Betreiben seines kurz zuvor erhobenen Gegenkandidaten Bonifatius erdrosselt
wurde.
Crescentiusmußte sich
später
OTTO II.
unterwerfen. Er
starb als Mönch im Alexiuskloster auf dem Aventin.
Sohn des Crescentius de Theodora
Fälschlich auch bekannt als Johannes
Crescentius, römischer Senator und Konsul, Graf von
Terracina.
Mit seiner Hilfe wurde Papst Johannes XIV. 984 gestürzt
und Bonifatius VII. wieder eingesetzt, ehe dieser 985 selbst wahrscheinlich
ein gewaltsames Ende fand. Unter Johannes XV. (985-996) baute er seine
Stadtherrschaft aus, konnte allerdings 996 die Einsetzung Gregors V. durch
OTTO
III. nicht verhindern. Als Crescentius
den mit dem Kaiser verwandten Papst vertrieb und an seine Stelle Johannes
Philagathos (Johannes XVI.) einsetzte, schlugen OTTO
III. und Gregor V. mit unerbittlicher Härte zurück:
Crescentius
wurde mit seinen Gefolgsleuten enthauptet, Johannes XVI. grausam
verstümmelt und eingekerkert. Den Patriziustitel (damals noch in der
Form "patricius domini Apostolici") hat nicht Crescentius,
sondern sein Bruder Johannes I., Graf von Terracina (+ 988) geführt,
der 985 an der Erhebung Johannes' XV. maßgeblich beteiligt gewesen
war
Sohn Crescentius' II.
In der Literatur zumeist Johannes
Crescentius, auch Crescentius III.
genannt.
Er brachte nach dem Tode OTTOS
III. und Silvesters II. Rom und den Papststuhl unter seine Herrschaft,
wußte sich mit HEINRICH II. zu
arrangieren und diesen von einem Romzug abzuhalten. Nach seinem Tode brach
die Herrschaft der CRESCENTIER in Rom
zusammen, ihr Kandidat für den Papstthron, Gregor VI., wandte sich
vergeblich an
HEINRICH II., der vielmehr
Benedikt
VIII., den ersten TUSCULANER-Papst,
anerkannte. Nur in der Sabina konnten sich die CRESCENTIER
mit ihren Seitenzweigen der Stephanier (Stefaniani) und der Oktavianer
(Ottoviani), die im 12. Jh. auch mehrere Mitglieder des Kardinalskollegiums
gestellt haben (H. Tillman, R. Hüls), noch bis ins 12. Jh. behaupten
(G. Bossi, P. Toubert). Auch Papst Viktor IV. (1159-1164) war Oktavianer
(H. Schwarzmeier).