Schreiber Hermann: Seite 84
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"Geschichte der Päpste"

Nur die Jahre, in denen Alberich II. von Tuszien als "Fürst und Senator aller Römer" ein wenig antiken Glanz und altrömische Rechtschaffenheit erkennen ließ, dürfen wir als eine Pause in diesem düsteren Zeitalter ansehen. Es waren 22 Jahre, in denen ein hochbegabter Fürst - Sohn der Marozia aus ihrer 1. Ehe - gegen das Unheil auftrat, das seine eigene Mutter angerichtet hatte. Er überwachte sowohl seinen Halbbruder, den Papst, als auch seine in ihrer kriminellen Aktivität ungebrochene Mutter genau und gab damit dem großen Reformwerk eine Chance, das sich aus dem Kloster Cluny (bei Macon in Burgund) über ganz Mitteleuropa ausgebreitet hatte. Die Wiederherstellung der strengen Benediktinerregel und die Erneuerung des klösterlichen Lebens unter der Führung des Abtes von Cluny waren die Hilfe, dieAlberich als Princeps Romanorum, als der weltliche Herr der Stadt Rom, von der Kirche empfing - von einer Kirche, die außerhalb Roms gesünder geblieben war als in der Tiberstadt selbst.
Alberichals Person ist eine tragische, aber auch begeisternde Erscheinung, denn sein Vater kam noch aus dem Nichts; er war ein Abenteurer fränkischer oder langobardischer Herkunft, der nach der Grafschaft Fermo durch Mord auch noch die Herrschaft über Spoleto erlangte. Alberich II. nun gilt als ein Prinz "aus dem Geschlecht der Grafen von Spoleto" - so schnell geht das, wenn der Vater den letzten echten Markgrafen ermorden läßt und seine offenbar eindrucksvoll-wilde kriegerische Erscheinung die Marozia für ihn interessiert. Einen Usurpator und Mörder zum Vater zu haben, eine Frau wie Marozia zur Mutter, gegen den Stiefvater, König Hugo von Italien, ein Leben lang kämpfen zu müssen und den eigenen Sohn als Papst und Princeps über das geistliche wie das weltliche Rom zu setzen, das ist mehr Kühnheit, als irgend jemand sonst in diesem Jahrhundert erkennen läßt. Und diesem Alberich, dem späten germanischen Eroberer des längst verlorenen Italien, erwächst nun in einem klugen und strengen Priester im fernen Burgund der Verbündete, der diesem ganzen blutigen Machtrausch erst einen Sinn gibt und der Herrschaft des Marozia-Sohnes neben dem weltlichen auch ein geistliches Ziel.
Mit Alberich II. endet die kurze Phase der Frauenherrschaft in Rom, nicht aber die Vormacht der weltlichen Fürstentums über das geistliche. Nach vielen Jahrhunderte, in denen in Rom die Kleriker regiert und die Frauen somit keine Stimme gehabt hatten, war im Zusammenbruch der Papstmacht zunächst der Machtzuwachs für die Frauen gekommen, für Theodora die Ältere und die Jüngere und für Marozia, die bedeutendste, sichtbarste, rücksichtsloseste von allen. Aber ihr Sohn verdammte sie zur Untätigkeit, ja er soll sie eingekerkert haben, ihr Sohn, dem sie als einzigem nicht mißtraut hatte. Und es dürfte sie kaum getröstet haben, dass auch Alberich II. mit seinem Sohn, Marozias Enkel, die tiefste Enttäuschung erleben mußte. Noch als Knabe und unter dem Namen Oktavian war dieser Sohn des Alberichden Römern vorgestellt worden, und sie hatten jubelnd geschworen, dass er ihr Fürst und Papst sein sollte. Alberich starb am 31. August 954 eben rechtzeitig, um nicht mehr erleben zu müssen, was für ein Papst sein 955 gekrönter Sohn wurde.