Reinhard Wenskus Seite 330

"Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel "

Die Behandlung der Harzgrafen und ihrer immedingischen Vorfahren ist deshalb besonders wichtig, weil in neuerer Zeit K.A. Eckhardt die WETTINER als Harzgrafen-Zweig angesprochen hat. Sehen wir uns die Namen der ältesten WETTINER an (Dietrich, Dedi, Friedrich, Ricdag), so scheint das auf den ersten Blick auch von unserem Standpunkt durchaus akzeptabel. Dennoch müssen wir uns für einen cognatischen Zusammenhang entscheiden. Denn Thietmar von Merseburg gibt uns meines Erachtens genauere Auskunft. Er schreibt, sie stammten de tribu, quae Bucici dicitur. K.A. Eckhardt versucht dieser Schwierigkeit mit einer Hypothesenhäufung aus dem Weg zu gehen, die von slawistischem Standpunkt aus unmöglich ist. Einmal muß er gegen den sonstigen Sprachgebrauch annehmen, dass tribus hier nicht "Stamm, Geschlecht" bedeutet, sondern "Heimat". Dann konstruiert er einen unmöglichen Lautwandel von Q - B, weil er den pagus Quezizi, der in der Grafschaft des WETTINERS Friedrich von Eilenburg lag, als diese Heimat ansieht, von der das Geschlecht seinen Namen erhielt. Abgesehen davon, dass Quezizi seiner Bildung nach ebenso ein patronymischer Personengruppenname war wie Bucici und dass die WETTINER erst seit eben diesem Friedrich diesen Raum beherrschten, stammen die späteren WETTINER aber auch nicht von Friedrich, sondern von dessen Bruder Dedi ab. Wir müssen also Thietmar mehr Glauben schenken und mit der herrschenden Meinung annehmen, dass die WETTINER von einem Buco (= Burkhard) abstammten. Doch wird man dabei nicht mit der bisherigen allgemeinen Auffassung annehmen dürfen, dass mit diesem Burghard jener thüringische Markherzog gemeint sei, der die POPPONEN in dieser Funktion ablöste. Dagegen hat schon W. Schlesinger mit guten Gründen Einspruch erhoben. Die Lösung muß meines Erachtens in ganz anderer Richtung gesucht werden, wobei wir einen kleinen Umweg eischlagen müssen.
H. Decker-Hauff hat auf einen Pfäferser Gedenkbucheintrag von 950/51 aufmerksam gemacht, der König HEINRICH I., OTTO I., seine Brüder Herzog Heinrich von Bayern, Erzbischof Brun von Köln, seinen Schwiegersohn Konrad den Roten, seinen Sohn Herzog Liudolf von Schwaben, dessen Schwiegervater, den KONRADINER Hermann I. von Schwaben, einen weiteren Heriman, Reginlinde, die Gemahlin Herzog Burkhards I. von Schwaben und dann Herzog Hermanns I., Ida die Tochter Hermanns I. und der Reginlinde, sowie noch Keila (= Gisela), Hicha und einen Wernarius enthält.
Für uns ist der Nachtrag wichtig (von 950/53):
             Wieldrut
             Purchardus du(x)
             Purchardus
             Herm...
             Hamelrich
Der Burchardus dux wird dabei mit Herzog Burkhard I. von Schwaben identidfiziert (+ 926) und der zweite Purchardusmit dessen Sohn, der 954 Herzog in Schwaben wurde und ziemlich gleichzeitig, fast 50 Jahre alt, die junge Hadwig von Bayern heiratete. Nun weist Decker-Hauff ganz richtig darauf hin, dass es unter den damaligen Bedingungen ganz unwahrscheinlich ist, dass dies die erste Ehe Burkhards II. war. Er schließt daraus, dass die im Nachtrag genannte Wieltrud seine erste Gemahlin und Hermann und Hamelrich seine Söhne waren.
Die Prüfung der Handschrift selbst durch G. Tellenbach läßt hier Korrekturen und Ergänzungen notwendig werden. Einmal müssen Her m... und Hamelrich einem anderen Eintrag zugewiesen werden. Wieldrut dagegen ist ein ersten Nachtrag zur Gruppe der Frauennamen, denen noch vielleicht von der ersten Hand aber in einem neuen Ansatz Purchardus dux und Purchardus angefügt wurden. Dafür gehören aber in der Männerkolonne unter dem zweiten Hermann eine Reihe von Namen zum ursprünglichen Eintrag, die mit Rihtag beginnt und mit Thiemr (wohl = Thietmar, dem Vater Geros und des Sigefridus legatus), Sigifredis (= Sigefridus legatus oder unbekannter Bruder Thietmars), Purchardus und 10 weiteren Namen, die hier beiseite bleiben können, fortfährt. Wichtig ist, dass bei dieser Kolonne der Name Keroho (Gero) nachträglich an die Seite geklemmt wurde. Mit einer anderen Feder, aber von gleicher Hand sind in dieser Kolonne dann noch die Namen Bernhard, Hodo, Meinwerh, Herim(ann), Tiotmarus, Kerardus, Hunoldus, Brunis angefügt. Es ist deutlich, dass hier die Beziehung der mit den OTTONEN versippten Familie des Markgrafen Gero, die Gruppe der in die Harzgrafen-Familie eingegangenen Namen der RICDAG-Sippe (Rihtac) und der IMMEDINGER (Meinwerh) mit den schwäbischen BURKHARDEN unmißverständlich hervortritt. Da es jedoch ein Königseintrag ist, muß hier nicht immer mit verwandtschaftlichen Beziehungen gerechnet werden.
Vergleichen wir aber nun damit das, was wir über die Verschwägerung der schwäbischen BURKHARDINGER mit den immedingischen Liesgaugrafen, die wohl mit den Harzgrafen zusammen zu sehen sind (Unwan als Erbe im Liesgau, Friedrich als Nachfolger Pfalzgraf Dietrichs), schon oben feststellen konnten, bleibt kein Zweifel. Der Liesgau-Graf Burkhard muß mit den schwäbischen Herzögen zusammenhängen. Als weiteres Argument muß der Name Wieldrut dienen, der wie der Burkhards (mit Ausnahme des EKBERTINERS im 9. Jahrhundert) in Sachsen überhaupt nicht vorkommt und nun dort als Name der Mutter des Grafen Bernhard auftaucht, der in Duderstadt, das manche zum Liesgau zählen, vielleicht als Nachfolger Burkhardsamtiert. Ein Ber(n)hart erscheint denn auch richtig im Nachtrag des Pfäferser Eintrags. Wie schon Tellenbach bemerkte, besteht kein Anlaß, in Wieldrut die 1. Gemahlin Burkhards II. zu sehen. Er hält sie für eine Verwandte. Vielleicht war sie eine Schwester Burkhards I. Sie steht vor ihm im Eintrag. Damit würden sich auch die besitzgeschichtlichen Verhältnisse im Liesgau am besten in Einklang bringen lassen.
So wie sich die Quellen auf diese Weise zusammenordnen, wird man daher auf folgende Vermutung geführt. Burkhard II. wurde nach dem Tod seines Vaters 926 nach Sachsen verbracht und dort mit einer IMMEDINGERIN vermählt, um die Kreise des neuen Herzogs Hermann in Schwaben nicht zu stören. Der"Sachse"Burkhard, der 950 jenen Zweikampf in Worms zugunsten einer OTTONEN-Prinzessin ausfocht, mag sein Sohn gewesen sein, der dann 965 als Graf im Liesgau bezeugt ist. Er ist mit seinem Bruder Dedi (Dietrich), der seinen Namen von der immedingischen Mutter vermittelt erhielt, 982 in Calabrien gegen die Araber gefallen. Burkhard hatte eine Emme zur Frau, zu deren Gunsten er etwa 968 in der Gegend von Lüdge, woher sie stammte, eine Schenkung an Corvey machte.
Der Kurzname Burkhards, Bucco, hat sich im Namen des Ortes Buensen (Bukkenhausen) südöstlich von Einbeck erhalten, wo um 1100 eine edle Frau mit uns aus dieser Familie nun vertrauten Namen Berta dem Kloster Helmarshausen 2 Hufen verkaufte. Doch haben die BURKHARDINGER - wohl durch die Katastrophe in Italien bedingt - im Liesgau ihre Position wieder an die IMMEDINGER abgeben müssen (Graf Sigbert). Wohl durch eine Tochter Sigberts ist dann die Grafschaft zum Teil an die stadischen KATLENBURGER gekommen, die den Leitnamen Dietrich nun zu dem ihren machten.
Dedi, der Sohn des 982 gefallenen gleichnamigen Vaters, hat im Jahr darauf mit einem böhmischen Heer Zeitz ausgeraubt. Sein Tätigkeitsfeld lag noch immer im Harzgau, während sein Bruder Aufgaben im Sorbenland erfüllte. Ob der agnatus der beiden, der Markgraf Ricdag, ein Sohn des Liesgau-Grafen Burkhard war oder von einem 3. Bruder abstammte, läßt sich nicht sagen. Sein schon in Pfäfers genannter Name, der ihn wohl noch nicht persönlich meint, darf doch als Bestätigung der Aussage Thietmars angesehen werden. Die Aussage des Sachsenspiegels, die wettinischen Markgrafen von Meißen seien Schwaben, wird sich also nicht auf eine Herkunft aus dem Schwabengau (Suevon) an der Bode, wo Markgraf Ricdag allerdings Grafenrechte ausübte, beziehen, sondern wird in ihrer Abstammung vom schwäbischen Herzogshaus der BURKHARDINGER begründet sein.Gleichzeitig erweist sich auch die Nachricht der Altceller Annalen aus dem 14. Jahrhundert, dass Herzog Widukind der Vorfahr der WETTINER war, als nicht ganz unbegründet, und wenn sie traditio domestica wurde oder blieb (bis Anfang des 18. Jahrhunderts), war das nur in dem Sinne falsch, dass die WETTINER nicht Agnaten, sondern über die immedigisch-harzgräflichen Verwandten der ersten Frau Burkhards II. von Schwaben diese Tradition vermittelt erhielten. Gleichzeitig mag die Übernahme dieser sächsischen Tradition es erklären, dass der Name Burkhard nicht weiter als Leitname benutzt wurde, während er bei den immedingischen Verwandten gelegentlich noch auftaucht.