Bork Ruth: Seite 74,86-90
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"Die Billunger. Mit Beiträgen zur Geschichte des deutsch-wendischen Grenzraumes im 10. und 11. Jahrhundert."

Nur unter Zusammenfassung verschiedener, teils schon genannter, teils noch später zu erwähnender Anzeichen können wir den Grafen Wichmann III. mit Wahrscheinlichkeit für einen Sohn Ekberts des Einäugigen ansehen [1 Näheres hierzu unten Seite 86 ff.].

8. und 9. Graf Wichmann III. (+ 1016) und sein Sohn
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Um die Zeit der Geburt Wichmanns III. ungefähr zu bestimmen, könnte man angesichts des bei seiner Ermordung im Jahre 1016 zurückgelassenen, noch unmündigen Sohnes annehmen, daß er bei seinem Tode noch in den besten Mannesjahren gestanden habe und somit für sein Geburtsdatum etwa die Zeitspanne von 970 bis 980 in Frage käme. Vollkommen gesichert ist sein Todesdatum, das uns vor allem wegen seines ungewöhnlichen Endes in der zeigenössischen Geschichtsschreibung mehrfach bezeugt ist. Er wurde auf Grund voraufgegangener Streitigkeiten durch Anstiftung seitens der schon erwähnten Gräfin Adela (Tochter Wichmanns von Hamaland) und ihres 2. Gemahls, des Grafen Balderich, am 9. Oktober 1016 zu Upladen im Gau Hamaland, in der Nähe von Nimwegen, erschlagen [1 Alpertus, De Diversitate, II, 12 Hulshof Seite 41f.]. Nach Thietmars Schilderung [2 Thietmar VII, 47 Seite 456ff.] war Balderich in der seit langem bestehenden Fehde schon mehrfach völlig besiegt und gedemütigt worden. Wichmann III. suchte nun durch einen Friedensvertrag die Zwietracht beizulegen. Er lud seinen Feind in sein Haus, entließ ihn mit Gastgeschenken und folgte bald darauf einer Gegeneinladung, die ihm aber zum Verhängnis werden sollte. Durch einen vergifteten Trank erkrankte er, entfernte sich dann aber nichtsahnend unter herzlichen Abschiedsworten, um bald darauf von einem Knecht Balderichs hinterlistig überfallen und ermordet zu werden. Die Nachricht verbreitete sich sehr schnell, und so konnte der Bischof Dietrich von Münster die Leiche nach Vreden [3 Vreden im heutigen Regierungsbezirk Münster Kreis Ahaus, etwa auf halbem Wege zwischen Arnheim und Münster.] geleiten und den Verstorbenen, seinen Freund, "bei seinen Vätern", vermutlich einem Erbbegräbnis [4 Thietmar VII, 48 Seite 458ff.] der Wichmannschen Familie beisetzen lassen [1
Thietmar VII, 48 Seite 458. Daß Freytag (Seite 156) Vreden als Widuklindisches, an die Wichmannsche Linie gelangtes Erbe nachzuweisen sucht, wurde oben Seite 36 schon erwähnt.]. Die Angabe des Todestages findet sich allerdings in den verschiedenen Quellen nicht eindeutig bezeugt. Nach den Hildesheimer [2 Ann. Hild. SS. III, Seite 95.] wie auch den Quedlinburger Ananlen [3 Ann. Quedl. SS. III, Seite 84.] wurde Wichmann III. am 6. Oktober ermordet, und nach dem Necr. Mers. [4 Necr. Mers. hg. von Dümmler in den Neuen Mitteilungen II, 2 Seite 242.] schon am 5. Oktober während das Necr. S. Mich. Lun. [5 Necr. S. Mich. Lun. Wedekind Noten III, Seite 75.] den 9. Oktober angibt. Ich glaube, wir können das letztgenannte Datum für das sicherste ansehen, nicht nur, weil es am Stammsitz der BILLUNGER-Familie und in dem dieser Familie besonders verbundenen Kloster aufgezeichnet wurde, sondern weil es eben auch mit den Angaben Alperts, der über die Einzelvorgänge am besten unterrichtet zu sein scheint, übereinstimmt. Bevor wir auf seinen Bericht näher eingehen, ist noch einiges für uns Bemerkenswerte aus der Thietmarschen Schilderung vorzutragen, insbesondere das über die legitime Vormundschaft des BILLUNGER-Herzogs Bernhard II. über den noch unmündigen Sohn Wichmanns Ausgesagte [6 Thietmar VII, 48 "Bernhardus dux, nepos meus, qui iure filii prefati comitis adhuc parvuli et tocius hereditatis tutor et nefandi criminis ultor extiterat".] Nach dem Begräbnis begann Bischof Dietrich, um die Tat zu rächen, die Hauptfestung Balderichs Upladen bzw. Upplan zu belagern, bis Herzog Bernhard II. die legitime Vormundschaft übernahm, die wohl mit das beachtenswerteste Zeugnis für die Zugehörigkeit Wichmanns III. zur BILLUNGER-Familie sein dürfte [7 Die Verwandtschaft wird auch von Alpert (Seite 11) bezeugt, wenn es heißt "Heinricus Burgundia rediens, Munnam et omnia quae Wicmanni erant Bernhardi duci, ut filium suum parvulum nutrioret donec adolesceret, commisit."], da Bernhard wohl kaum in seiner Eigenschaft als sächsischer Herzog diese Pflicht übernommen haben wird.
Nun muß man allerdings zugeben, daß Thietmar Wichmann im Gegensatz zu seinen Feiden auffallend günstigem Licht darstellt. Er ist nur der friedliche, arglose, dem ganzen Vaterland nützliche Edelmann, während er Alperts Erzählung zufolge nach allen den voraufgegangenen, ausgedehnten Streitigkeiten kaum als vollkommen unschuldig angesehen werden kann. Außerdem erfahren wir durch Alpert etwas mehr über seine Stellung, über die territorialen Zusammenhänge, wie auch über seine familiären Verhältnisse [1 Alpert II, 12 Seite 42f.]. In einigen Einzelheiten weichen die Berichte Thietmars und Alperts auffallend von einander ab, so zum Beispiel hinsichtlich der Ermordung, die nach Alpert in Balderichs Abwesenheit und ohne dessen Wissen geschah [2 ebd.], während Balderich bei Thietmar als Mittäter auftritt, der bei der Tat in der Nähe weilte und dann floh [3 Thietmar VII, 47 Seite 456ff.].
Durch seine Gemahlin war Wichmann mit Balderich verwandt, mit dem er wegen der Erbansprüche, die die Familie seiner Gemahlin gegenüber dem Ehepaar Balderich-Adela erhob, in Streit geriet. Denn Balderich war der Neffe des Grafen Gottfried von Hattuariergau, der vor seinem Tode (1006) den schwächlichen Sohn nd das gefährdete Erbe dem Schutz seines Schwiegersohnes Wichmann anvertraut hatte [4 Alpert II, 1 Seite 27; siehe Vanderkindetre II, 298.]. Wichmann, der eine uns dem Namen nach unbekannte Tochter Gottfrieds zur Gemahlin hatte, setzte sich dann auch recht streitbar für das ihm anvertraute Gut ein. Es würde zu weit führen, über die hier interessierenden familiären Zusammenhänge hinaus den Zwist der beiden Parteien näher einzugehen.
Für uns ist es das wichtigste, etwas über die Herkunft Wichmanns, wie auch über seine Nachkommenschaft zu erfahren, doch bieten die Quellen nur wenig. Bei den Aussagen über die Erbschaft und die Vormundschaft über den noch unmündigen Sohn vermissen wir jegliche Namensangabe. Wedekind hatte daraus folgern wollen, daß der Sohn Wichmanns wohl den gleichen Namen getragen habe, wie sein Vater [5 Wedekind, Noten II, Seite 75.], was dazu führte, daß dieser seitdem in der Forschung überall als Wichmann IV. auftrat [6 Wilmans I, Seite 423 Stammatfel, Freiherr von Uslar-Gleichen Seite 76, Holtzmann in der Thietmar-Ausgabe Seite 458 Anmerkung 2, Freytag Seite 156 und andere.]. Fraglich erscheint mir jedoch, ob es in den Rahmen einer auf vorsichtigste Behandlung aller genealogischen Fragen angewiesenen Arbeit paßt, ein Testimonium ex ailentio für eine Namenseinführung auszuwerten. Wedekind meinte, daß der Sohn Wichmanns, der sonst nirgends wieder erwähnt wird, wahrscheinlich im Jugendalter gestorben sei [1 Wedekind, Noten, II, Seite 75.], während Wilmans mit einiger Bestimmtheit in dem Geschlecht der Edlen von Gemen die Nachkommen jenes sogenanten Wichmann IV. gleubte entdecken zu können [2 Wilmans, I Seite 427ff.]. Er nahm dieser allein auf Grund der von ihm geschilderten Vogteiverhältnisse von Vreden [3
Freytag, Seite 156 meint, daß die enge Verknüpfung des Klosters Vreden mit der Wichmannschen Familie auch darin zum Ausdruck käme, daß sehr wahrscheinlich Hadwig, die Tochter Wichmanns des Älteren, nicht nur im Kloster Gernrode, sondern auch Äbtissin von Vreden war. Er verweist auf Tenhagen, Vreden Seite 145f.] an, eine These die sich aber strenger Kritik gegenüber nicht vertreten läßt, wie bei all diesen von territorialen Gesichtspunkten aus argumentierenden Deutungen. Es läßt sich nur aus einigen, dem Grafen Wichmann III. mit großer Wahrscheinlichkeit zuzuschreibenden Urkunden etwas über seine Funktionen und über die wahrscheinliche Familienzugehörigkeit sagen. Es handelt sich zunächst um zweiUrkunden, in denen ein Graf Wichmann als Schutzvogt zweier, im westlichen Sachsen gelegenen Jungfrauenstifte Metelen und Borghorst, ernannt wurde. Dies geschah in dem erstgenannten auf Wunsch der Äbtissin Godesdiu, evetuell einer Tochter des Herzogs Bernhard I., der in jener Urkunde vom 25. Januar 993 [4 DO. III., 111 Seite 522.] mit dem Grafen Ekbert dem Einäugigen zusammen auch als Zeuge genant ist. Nun wäre, wenn man die Zusammenstellung Godesdiu-Bernhard und Wichmann-Ekbert aus jener Urkunde herausliest, das heißt wenn wir also in Godesdiu die Tochter Benhards und in Wichmann III. den Sohn Ekberts vor uns hätten, dies natürlich einer der wichtigsten Belege für die Zugehörigkeit Wichmanns zum BILLUNGER-Hause, bzw. zum Ekbertinischen Nachkommenschaft. Allerdings wird Ekbert in der Urkunde nicht direkt als Vater Wichmanns bezeichnet und es ließe sich eventuell der Einwand erheben, daß er, falls es sich in Wichmann III. um den Sohn Wichmanns des Jüngeren handeln sollte, auch an Stelle des verstorbenen Vaters die Angelegenheiten seines Neffen unterstützt haben könnte, wenn auch, wie aus den bisherigen Darstellungen hervorgeht, eine männliche Nachkommenschaft Ekberts sehr viel wahrscheinlicher anmutet.
Wenn Wichmann in der oben genannten Urkunde als Schutzvogt im Bereich des westlichen Sachsens erscheint [1 Borghorst und Metelen liegen im Regierungsbezirk Münster, Kreis Steinfurt.], so nimmt es nicht Wunder, daß er in den Ann. Quedl. auch als "Wigman, comes occidentalis Saxoniae" begegnet [2 Ann. Quedl. SS. III, Seite 94.], nur reichte das damalige Sachsen sehr viel weiter nach Westen als heute und Wedekind meinte daher, daß Wichmann ein Graf im sächsischen bzw. westfälischen Teil des Gaues Hamaland gewesen sei [3 Wedekind, Noten II, Seite 74 siehe dazu die Karten von Spruner-Menke, Blatt 33, und die Karte von Curs, Deutschlands Gaue im 10. Jahrhundert. Der Gau Hamaland lag danach ungefähr zwischen Rhein und Ijssel.], was auch durch eine von Alpert angeführte Rede der Adela seine Bestätigung findet [4 Alpertus, De Diversitate II, Seite 5, Hulsdorf Seite 31 (SS. IV, Seite 715).]. Sie will die von ihrem Feinde, dem Grafen Wichmann erbaute Festung Munna [5 Nach Wilmans I, Seite 42 ist es das südöstlich von Cleve bei Calcar gelegene Monterberg, oder Monreberg wie es meist heißt (Vgl. Hulshof Seite 71)] in unmittelbarer Nachbarschaft nicht dulden "...Saxonem istum in tanta propinquitate edificiorum vicinum nostrum pati non possum..." Ferner beruft sie sich in einer Urkunde OTTOS II. auf das sächsische Recht [6 DO. III., 235 Urkunde vom 18. Dezember 996] und in der Vita Meinwerci ist einmal von ihr die Rede mit dem Zusatz "de terra Saxoniae" [7 Vita Meinwerci (SS. XI,108) c. 2 Seite 6.].
Wenn es sich, wie meist angenommen wird, in dem anläßlich einer Gerichtsverhandlung zu Allstedt im Jahre 1014 genannten Grafen Wichmann um den unsrigen handeln sollte, so wäre das unter Umständen ein Zeichen dafür, daß seine Befugnisse eventuell zum Teil auch bis in die Thüringer Gegend gereicht haben könnten. Der Kaiser hatte dort offenes Gericht abgehalten, wobei er den Freunden Thietmars von Merseburg die Gerechtigkeit verweigert haben soll. Da habe der Graf Wichmann nicht davor zurückgeschreckt, selbst gegen den Ausspruch des Kaisers für das Recht der unterdrückten Partei einzutreten [8 Thietmar VII, 8 Seite 406. ], ein immerhin rühmliches und als solches auch von Thietmar hervorgehobenes Verhalten, das dann mit dem oben erwähnten Lob, wenn Wichmann als "comes utilia per omnia putris" gezeichnet wird, in geweissem Sine übereinstimmen würde.