5. Wichmann der Jüngere (+ 967) und seine wendischen
Verbindungen
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Von den schon mehrfach im Zusammenhang mit Wichmann
dem Jüngeren erwähnten Nachrichten dürfte diejenige
Widukinds, in der um das Jahr 955 von ihm als einen Vater- und Mutterlosen,
welcher früher vom Kaiser an Kindes Statt aufgenommen worden sei [1
Widukind
III, 50 Seite 129.], die Rede ist, am ehesten geeignet sein, ungefähr
euine Zeitspanne anzudeuten, die für das Geburtsjahr in Frage käme.
Wichmann
könnte demzufolge frühestens im Jahre 944, dem Todesjahr Wichmanns
des Älteren [2 Wichmann
der Ältere starb am 23. April 944, Näheres siehe oben
Seite 32.], als Erziehungsbedürftiger, schätzungsweise zwischen
dem zehnten und fünfzehnten Lebensjahr an den Hof gekommen und somit
zwischen den Jahre 930 und 935 geboren sein. Kaum jedoch später, denn
im Jahre 953 befehligte er bereits ein Heer, das er den durch die Belagerung
von Mainz in Anspruch genommenen König aus Sachsen zuführte [3
Widukind
III, 23 Seite 115, vgl. Seite 67 Anmerkung 3 "adolescentes".]. Bald darauf
verbündete er sich mit seinem als Geisel nach Mainz gegebenen Bruder
Ekbert
[4 Widukind III, 19 Seite 114.] gegen den König, vor allem
aber auch gegen seinen Oheim, den Herzog
Hermann [5
Widuukind III, 25 Seite 116.]. Die Brüder
glaubten sich in ihrem Erbe beeinträchtigt, obwohl
Wichmann
nach den bei Widukind angeführten Reden OTTOS
I. in die Stellung seines Vaters eingesetzt worden war [6
Siehe Anmerkung 1.]. Welche Gründe im Einzelnen für ihn vorgelegen
haben mögen, sein Leben fortan in ständigem Aufbegehren und mit
rachsüchtigen Händeln zu verbringen [7 Nach Thietmar II,
12 (6) Seite 50 sollen die Brüder es gewesen sein, die die Wenden
überhaupt erst zum Kriege aufforderten.], erfahren wir nicht, da Widukind
keine näheren Angaben macht. Was von uns bei der Frage nach etwaigem
Unrecht von Seiten
Hermanns als möglich angeshen werden könnte
- etwa die Besetzung ihm nicht gehöriger, aber erwünschter Plätze,
oder die Ausnutzung Wichmannsches Gutes während der Minderjährigkeit
der Erben -, wird doch immer nur als Vermutung auftreten dürfen. In
den Quellen erfahren wir nur von dem aufsässigen Betragen der Brüder,
ihrer Verstimmung über den Herzog, den sie als Räuber ihres väterlichen
Erbes bezeichneten [1 Widukind III, 24 Seite 116.], und ihrem Unfrieden
stiftenden Verschwörungen, die schließlich zu einer, in Gegenwart
des Königs durchgeführten Verhandlungen des Streitfalles führten
[2 Widukind III, 29.]. Durch des Königs Vermittlung wurde dann
die für beide beantragte körperliche Züchtigungsstrafe in
eine ritterliche Haft umgewandelt [3 Widukind vgl. Anmerkung 2.].
Aus dieser versuchte Wichmann wenig später zu entfliehen, um
bald darauf an der Spitze wendischer Stämme, deren Feste Suithleiscranne
von dem Herzog vergeblich belagert worden war, in sächsisches Gebiet
einzudringen [4 Widukind III, 51/52 Seite 130f. Es handelte sich
dabei um unter Nacos und Stoinefs (Widukind
schreibt von Naco und seinem Bruder, Hirsch,
Seite 130 Anmerkung 3) Leitung kämpfende Wendenstämme.].
Die Kämpfe gestalteten sich nun immer heftiger und
als schließlich der König selber mit einem größeren
Heer eingriff und den Sieg über die Wenden davontrug, gelang es Wichmann
und Ekbert, der sich erneut mit seinem Bruder verbündet hatte
nach Gallien zu entkommen [5 Widukind III, 53-55 Seite 132ff.],
nachdem sie schon vorher zu Landesfeinden erklärt worden waren [6
Widukind
III, 53 Seite 132.]. Widukind berichtet uns, daß Wichmann
dann einige Jahre später (957) nach Sachsen zurückgekehrt sei
und vorübergehend sein Haus und seine Gattin besucht habe [7 Widukind
III, 59. Dies gehört zu den Kapiteln Widukinds (III, 59-62), die er
seinen Berichten über die Ereignisse des Jahres 957 nachträglich
einfügte (Hirsch Seite 136 Anmerkung 4) und die zum größten
Teil erst in das Jahr 958 fallen.].
Näheres von seiner Familie und von seinen Besitzungen
erfahren wir aber hier ebensowenig wie bei seiner späteren Begnadigung,
so daß wir weder den Namen seiner Frau kennen, noch sagen können,
ob aus seiner Ehe Kinder hervorgegangen sind [1 Grote, Stammtafeln
Seite 43, 5 führt als Sohn Wichmanns des Jüngeren den
1016 erschlagenen Wichmann III. (Näheres siehe unten) auf,
was aber durch keinerlei stichhaltige Unterlagen zu erweisen ist, wenn
es auch nicht ausgeschlossen wäre. Völlig verfehlt ist aber (ebd.)
die Wichmann dem Jüngeren gegebene Bezeichnung als Graf von
Hamaland. Auch die in der Stammtafel von Freiherr von Uslar-Gleichen (Geschlecht
Wittekinds) Wichmann dem Jüngeren zugeschriebeen Frau Liutgard
beruht auf einer Verwechslung mit dem Grafen Wichmann von Hamaland.].
Schließlich erlangte Wichmann, nachdem man
zum dritten Mal ein Heer gegen ihn geführt hatte, durch die Vermittlung
des Markgrafen Gero und dessen Sohnes Siegfried 958 die Gnade des Königs
und damit die Erlaubnis zum Aufenthalt in der Heimat, wie auch den Besitz
des Erbgutes seiner Frau [2 Widukind III, 60 Seite 136.]. Als sich
aber in der Folge die Rückkehr OTTOS I. von
dem Romzug 961 verzögerte, glaubte Wichmann aufs Neue seine
Rechte geltend machen zu können und begann wieder zum Krieg zu treiben.
Diesmal wandte er sich um Bundesgenossenschaft an den
Dänen-König Harold, der sich jedoch vorsichtig zurückhielt,
so daß Wichmann darauf angewisen war, auf eigene Faust kleinere
Raubzüge zu unternehmen. Dabei wurde ein Teil seiner Genossen von
Hermann
ergriffen
und zum Tode durch den Strang verurteilt, während er selbst mit seinem
Bruder entkam [3 Widukind III, 64 Seite 139. Hirsch vermutet, daß
diese Ereignisse in das Jahr 963 fallen, was auch Westberg Seite 119 annimmt,
der im übrigen gegen Wedekinds Annahme (Noten II, Seite 68 Anmerkung
339), daß in dem oben ohne Namen erwähnten Bruder der Verdener
Bischof Bruno zu sehen sei, einwendet, daß dieser bereits
im Jahre 962 sein Amt angetreten hatte und insofern ausscheidet. Er nimmt
stattdessen einen dritten uns unbekannten Bruder an.]. Anscheinend geriet
er bald danch in die Hände des Markgrafen Gero, denn Widukind berichtet
wenig später, daß dieser den angeklagten Wichmann den
"barbaris" - gemeint sind die Wenden - zurückgegeben habe [4
Widukind III, 66 Seite 141.], denen er in der Folgezeit in ihren Kämpfen
gegen die entfernter wohnenden Slavenstämme siegreich beistand. Zweimal
besiegte er den Herzog der "Licicaviki" Misika
[5 Näheres bei Hirsch, Widukind Seite 141 Anmerkung 4 und L.
Randt Seite 98f], töteten dessen Bruder und gewann reiche Beute von
ihm [6 Widukind III, 66 Seite 141.].
Gleich darauf berichtet uns Widukind von dem Streit des
Wagrier-Fürsten
Mistav mit dem
Obotriten-Fürsten Selibur, dem sich Wichmann
in seinem Aufbegehren gegen
Herzog Hermann, seinen Oheim, verband.
Der Fall wurde oben schon in anderem Zusammenhang erörtert [7 Siehe
oben Seite 58.].
Selibur hatte Wichmann
durch Boten um Hilfe gebeten, der alsbald mit seinen Genossen herbeieilte.
Der Herzog führte aber ein Heer gegen die Burg
Seliburs,
belagerte sie und zwang die Insassen nach wenigen Tagen zur Übergabe.
Wichmann
war jedoch inzwischen entkommen. Auf Grund der schlechten Kriegsvorbereitungen
des Wenden behaupteten nun einige, Selibur habe
im Einvernehmen mit dem Herzog nur einen Scheinkrieg geführt, um ihm
Wichmann auf diese Weise in die Hände zu spielen. Nach des
Herzogs Absicht sollte der auf diese Weise wenigstens in der Heimat sein
Seelenheil wiedergewinnen, statt unter den Heiden gänzlich zugrunde
zu gehen.
Ob und wie man die Bestätigung dieser Vermutung
aus dem nicht ganz eindeutigen Gespräch zwischen Hermann und
dem Wenden-Fürsten bei Übergabe der Burg herauslesen kann, ist
schwer zu sagen. Wenn Selibur auf die Vorwürfe
wegen seiner Treulosigkeit antwortet, daß jetzt diejenigen, die weder
der Kaiser noch der Herzog hätten besiegen können, um seiner
Treulosigkeit willen wehrlos vor dem Herzog stünden [1
Widukind
III, 68 Seite 143.], so könnte sie zumindest als doppelsinnige Redeweise
verstanden werden, dem allerdings die fernere Behandlungsweise des Wenden
durch den Herzog entgegenzustehen scheint.
Als Wichman erfuhr, daß die Burg verloren
und seine Gefährten in die Hände des Herzogs gefallen waren,
wandte er sich weiter nach Osten und beriet sich mit den "Vulcini" [2
Hirsch
Seite 143 Anmerkung 4 (Widukind) glaubt, daß es sich dabei höchswahrscheinlich
um die Bewohner der Insel Wollin handelt, ebenso Holtzmann, Zeitschrift
für Geschichte Schlesiens II, Seite 25 N.3.], wie sie den Misika
bekriegen wollten. Dieser schickte jedoch, als er davon erfuhr, zu seinem
Schwager, dem Böhmen-Herzog Boleslaw um Hilfe, und erhielt mehrere
Reiterabteilungen von ihm. Durch geschickte Manöver wurde Wichmann
von seinem Lager abgezogen und dann plötzlich von den Reitern im Rücken
und dem Fußvolk von vorn angegriffen. An der Flucht er durch seine
Genossen gehindert, und so kämpfte er mit ihnen den ganzen Tag,
bis es ihm in der Nacht gelang mit einigen Begleitern zu entkommen. Am
nächsten Morgen wurde er aber in einem Versteck entdeckt. Standhaft
weigerte er sich zunächst, seine Waffen, die er nur Misika
selber auszuhändigen bereit war, einem anderen zu übergeben.
Auf dem Wege zu diesem wurde er dann erneut angegriffen, so daß er
schließlich zu Tode erschöpft dem Vornehmsten seiner Gegner
sein Schwert überg und ihn sterbend bat, es seinem Herrn zu überbringen,
damit dieser es dem Kaiser sende, der in ihm eines erschlagenen Feindes
spotten oder den Blutsverwandten beweinen möge [1 Widukind
III, 69 Seite 145.].
Widukind gibt uns diese Schilderung von dem letzten Kampf
Wichmanns
und seinem Tod verhältnismäßig breit und mit spürbarer
Bewunderung, die doch immer die tapferen, stolzen und eigenwilligen Züge
seines Wesens zu schätzen wußte [2 Vgl. Beumann, Widukind
von Corvey Seite 184ff.].
Das Todesjahr 967 läßt sich aus Widukinds
Angaben leicht errechnen, da er im Anschluß an die oben erwähnte
Schilderung berichtet, daß der Kaiser nach Empfang der Todesnachricht
und nachdem er die Rüstung Wichmanns erhalten hatte, einen
Brief an die sächsischen Herzöge und Grafen sandte, dem wir entnehmen
können, daß das Schreiben im Januar 968, nämlich kurz nach
der Kaiserkrönung OTTOS
II. (Weihnachten 967), geschrieben sein muß [3
Widukind III, 70 Seite 146; in den Reg. Imp. II, Seite 467. Da der
Stil und Wortschatz des Briefes dem von Widukind sonst gebrauchten ähnelt,
glaubte A. Nürnberger (siehe Literatur V Seite 57f.) ihn als eine
eventuell freie Dichtung des Geschichtsschreibers hinstellen zu können.
Aber selbst, wenn es sich um Widukindische Überarbeitung handeln sollte,
müßte man doch an der Grundvoraussetzung eines wirklich vorhanden
gewesenen ottonischen Schreibens, schon
in Anbetracht der sonst geschichtstreuen Überlieferung Widukinds festhalten;
siehe auch A. Hofmeister N.A. XLIII, Seite 647 und Hirsch, Widukind Seite
146 Anmerkung 2b., vgl. Beumann Seite 266ff.]. Im Necr. S. Mich. Lun. findet
sich als Todestag der 22. September angegeben, bei dem kaum eine
Verwechslung mit einem anderen Wichmann möglich ist, da es
wörtlich heißt "...X. Kal. Oct....Wichmannus comes
et multi alii occisi" [4 Wedekind, Noten III, Seite 70.]