c) Die Konsolidierung der Herrschaft: Bernhard I. und
Egbert der Einäugige
--------------------------------------------------------------------------------------------
Wir konnten feststellen, dass das Gedenken im Lüneburger
Necrolog bis in die endenden 80-er Jahre des 10. Jahrhunderts auf einen
sehr begrenzten Personenkreis beschränkt blieb. Es dominieren eindeutig
die Verbindungen, die die Nachkommen Wichmanns des Älteren
eingingen. Eine Untersuchung der Konflikte der
BILLUNGER mit dem
Königtum im 10. Jahrhundert wäre daher nicht vollständig,
wenn nicht auch die Aufstände Heinrichs des Zänkers behandelt
würden, an denen der BILLUNGER Egbert maßgeblich beteiligt
war. Diese Untersuchung ist um so mehr gefordert, als Heinrich der Zänker
selbst ins Gebetsgedenken der BILLUNGER aufgenommen wurde und zum
28. August im Lüneburger Necrolog begegnet. Als Grund für diese
Eintragung, die durchaus als auffällig charakterisiert werden muß,
da im Necrolog nur wenige Personen begegnen, die nicht aus Sachsen stammen,
bietet sich in erster Linie die Verbindung Heinrichs mit Egbert dem
Einäugigen an.
Es spricht mit anderen Worten viel dafür, dass wie
beim Liudolfaufstand auch bei den Erhebungen Heinrichs
des Zänkers Organisationsformen genossenschaftlicher Art
genutzt wurden. Dass dies in der Tat so war, ergibt eine Detailanalyse
mit hinreichender Deutlichkeit. Skizzieren wir zunächst die für
unseren Untersuchungszusammenhang wichtigsten Ereignisse. Heinrich,
der Sohn des gleichnamigen Bruders OTTOS DES GROSSEN
und der Herzogin Judith, erbte 955, 4-jährig, beim Tode seines Vaters
das bayerische Herzogtum. In der Regierungszeit
OTTOS
DES GROSSEN trat er nicht hervor, allerdings war er beim Tode
OTTOS
auch erst 22 Jahre alt. Ein Jahr nach dem Tod des Kaisers kam es jedoch
zur ersten Verschwörung Heinrichs des Zänkers gegen den neuen
König
OTTO II. In Verbindung mit dem Bayern-Herzog standen die Herzöge
Boleslaw II. von Böhmen und Mieszko von Polen,
Bischof Abraham von Freising sowie weitere, in den Quellen nicht genannte
Personen. OTTO II. gelang es, ohne
kriegerische Auseinandersetzungen der Verschwörung Herr zu werden.
Heinrich der Zänker wurde in Ingelheim,
Bischof Abraham in Corvey in Haft genommen und die Mutter Heinrichs, Judith,
gezwungen, in das Kloster Niedermünster bei Regensburg einzutreten.
Die Gründe für diesen ersten Aufstand Heinrichs
des Zänkers lagen in den Schwierigkeiten bei der Besetzung
des Augsburger Bischofsstuhles, den die bayerische Herzogsfamilie ohne
Zustimmung des Königs einem Verwandten, nämlich Heinrich, einem
Vetter des Herzogs, verschafft hatte. Daraus erklärt sich wohl die
Reaktion OTTOS II., der bei der Neubesetzung
des Herzogtums Schwaben nach dem Tode Burkhards II. die Interessen der
Witwe Burkhards, einer Schwester Heinrichs des
Zänkers, überging. Er belehnte mit dem Herzogtum Otto,
den Sohn Liudolfs von Schwaben.
Die zweite, gefährlichere, Aufstandsbewegung entwickelte
sich 976, nachdem im Januar dieses Jahres Heinrich
die Flucht aus der Haft in Ingelheim gelungen war und der Kaiser durch
die folgenden Ereignisse genötigt wurde, mit einem Heer nach Bayern
zu ziehen und Regensburg zu belagern. Für unsere Fragestellung ist
von besonderem Interesse, dass der Anhang Heinrichs
sich nicht nur aus Bayern rekrutierte, sondern dass sich auch sächsische
Adelige dem Aufstand anschlossen. Von diesen werden Gunther von Merseburg,
der WETTINER Dedi und der BILLUNGEREgbert
namentlich erwähnt.
Es sei gleich jetzt angemerkt, dass sich alle drei Personen auch unter
den Einträgen ins Lüneburger Necrolog finden. Bei diesen Grafen
handelt es sich um Mitglieder dreier mächtiger sächsischer Adelsfamilien,
was den Rückhalt Heinrichs des Zänkers
in Sachsen nachdrücklich vor Augen führt. Genau so wichtig ist
jedoch die Beobachtung, dass schon der Großvater Dedis zusammen mit
dem jungen
Egbert dem Einäugigen am Liudolfaufstand teilgenommen
hatte. Die Kontinuität der sächsischen Oppositionsgruppen wird
damit evident, die sich nicht zuletzt auch in der Berücksichtigung
weiterer Verwandter aus den 3 Sippen im Lüneburger Necrolog zeigt.
Die Belagerung Regensburgs durch das kaiserliche Heer
hatte, unterstützt von kirchlichen Maßnahmen, Erfolg: Heinrich
der Zänker mußte nach Böhmen fliehen. Er und
seine Helfer wurden außerdem von den in Regensburg versammelten Bischöfen
gebannt. Heinrich und Gunther von Merseburg
wurden als Herzog bzw. Markgraf abgesetzt, das Herzogtum Bayern an Otto
von Schwaben verliehen.
Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Aufstandsbewegung,
als Heinrich der Zänker im Jahre 977 nach Bayern zurückkehrte
und dort im Bunde mit Heinrich von Kärnten und Bischof Heinrich von
Augsburg Passau besetzte. Auch Egbert der Einäugige wird als
Beteiligter an diesem letzten Aufstandsversuch gegen OTTO
II. erwähnt. Nach dem Mißerfolg dieses letzten Unternehmens
wurden die Verschwörer zu einer Verhandlung nach Magdeburg geladen
und dort im April 978 wiederum mit Haft bestraft. Heinrich
der Zänker, und mit ihm vielleicht Egbert, wurden
bei Bischof Folcmar von Utrecht inhaftiert. Bischof Heinrich von Augsburg
unterstellte man der Aufsicht Abt Liudolfs von Werden, und die Herzogin
Gisela mußte sich in Merseburg aufhalten. Während
Bischof Heinrich von Augsburg bereits im folgenden Jahr durch die Intervention
des Augsburger Klerus die Freiheit und den Bischofsstuhl zurückerhielt,
scheinen Heinrich der Zänker und
Egbert
der Einäugige bis zum Tode OTTOS II.
in Haft gehalten worden zu sein. Wie wenig diese Haft jedoch die politischen
Ambitionen Heinrichs verändert hatte, erwies sich nach dem Eintreffen
der Nachricht vom Tode OTTOS II. in
Utrecht. Heinrich wurde von Folcmar aus der Haft entlassen, übernahm
in Köln von Erzbischof Warin den jungen OTTO
III., wohl in seiner Eigenschaft als nächster männlicher
Verwandter, und wandte sich nach ersten, offenbar nicht erfolgreichen Versuchen,
mit
König Lothar von Frankreich
Kontakte aufzunehmen, nach Sachsen. Hier kam es im Jahre 984 bei der Feier
des Osterfestes in Quedlinburg wohl zu einer regelrechten Königswahl
durch die sächsischen Anhänger Heinrichs
des Zänkers, der von nun an offen die Nachfolge
OTTOS
II. gegen die Ansprüche des unmündigen Königssohnes
anstrebte.
Wie bekannt, hat er sich letzten Endes nicht durchsetzen
können. Nach umfangreichen Verhandlungen und zum Teil auch militärischen
Vorbereitungen - erinnert sei an die Ereignisse auf der Hesleburg,
der Alaburg, in Bürstadt und Rara -, setzten sich die Kräfte
im Reich durch, die an den Erbansprüchen des jungen OTTO
III. festhielten. Heinrich der Zänker
übergab in Rara
OTTO III., der
sich bis dahin in seiner Gewalt befunden hatte, wieder der Obhut seiner
Mutter und Großmutter. Zu einem endgültigen Ausgleich, der vor
allem die Frage der Besetzung des bayerischen Herzogtums regelte, kam es
jedoch in Rara nicht, sondern erst im Jahr 985 nach weiteren Verhandlungen.
Soweit in aller Kürze die Ereignisse, die das Verhältnis Heinrichs
des Zänkers zum Königtum und sein Streben nach der
Königswürde betreffen.
Da Egbert der Einäugige in den Quellen geradezu
als der herausragende sächsische Exponent der Partei Heinrichs
des Zänkers erscheint, ist zu fragen, welchen Niederschlag
die Partei des Zänkers in den
Einträgen des Lüneburger Necrologs gefunden hat. In der Forschung
wird andererseits der BILLUNGER Herzog Bernhard I. als Hauptvertreter
der Partei angesehen, die dem jungen
OTTO III.
das
Königtum bewahren wollte. Es scheint also wie beim Aufstand Liudolfs
eine Konstellation gegeben, in der Mitglieder der
billungischenSippe
in verschiedenen Lagern standen. Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen
Parteinahme innerhalb der Sippe gilt es an Befunden des Lüneburger
Gebetsgedenken zu überprüfen.
Beginnen wir mit der Untersuchung der Partei Heinrichs
des Zänkers. Es wurde schon erwähnt, dass neben Egbert
dem Einäugigen auch die anderen namentlich genannten sächsischen
Anhänger Heinrichs des Zänkers,
Dedi und Gunther von Merseburg, ins Lüneburger Necrolog eingeschrieben
wurden. Außer diesen Personen, die sicher zur Partei Heinrichs
des Zänkers gehörten, sind noch zwei andere erwähnenswert.
Im Jahre 984 bemühte sich Pfalzgraf Thiedrich um die Gunst Heinrichs
des Zänkers, die er allerdings nicht erlangte. Und im Jahre
979 war bereits ein Graf Gero der Untreue gegen OTTO
II. bezichtigt worden. Er mußte sich gegen den Vorwurf
in einem gerichtlichen Zweikampf verteidigen und wurde enthauptet, als
er in diesem Zweikampf unterlegen war. Beide Grafen, bei denen also ebenfalls
Verbindungen zu den Aufständischen wahrscheinlich sind, wurden gleichfalls
ins Lüneburger Necrolog aufgenommen.
Neben diesen Personen sind vor allem diejenigen im Lüneburger
Necrolog auffällig, die nicht dem sächsischen Stamm angehörten
und deshalb aus dem normalen Horizont der Gedenkeinträge herausfallen.
Unter ihnen ist wohl in erster Linie der Bischof Heinrich von Augsburg
zu erwähnen, der sich den frühen Aufstandsversuchen
Heinrichs des Zänkers mehrfach angeschlossen hatte und
dafür in Werden in Haft gehalten worden war. Es handelt sich bei ihm
um einen Verwandten des Bayern-Herzogs. Dieser Bischof fiel im Jahre 982
in der Schlacht bei Cotrone. Er starb also, als sich Heinrich
der Zänker und Egbert noch in der Utrechter Haft
befanden, also mit anderen Worten von einem Ausgleich zwischen dem Königtum
und der Partei Heinrichs noch nicht
die Rede sein konnte. Die Eintragung ins Lüneburger Necrolog ist gerade
aus diesem Grunde höchst bemerkenswert. Sie kann nur im Zusammenhang
mit den frühen Aufständen erklärt werden, da nur hier ein
Anknüpfungspunkt für Kontakte zwischen Angehörigen der billungischen
Sippe und dem Augsburger Bischof gegeben ist. Dagegen könnte man einwenden,
Heinrich von Augsburg sei vielleicht deshalb im Lüneburger Necrolog
verzeichnet, weil er bei Cotrone, also im Reichsdienst, gefallen sei. Dieser
Einwand scheint auf den ersten Blick bedenkenswert, denn die Spuren dieser
für das Reichsheer sehr verlustreichen Schlacht zeigen sich in mehreren
Nercrologien und in vielen historiographischen Quellen. Auch im Lüneburger
Necrolog findet sich zum 14. Juli die Erwähnung der Schlacht: Gunther
et Udo et multi alii occisi a Saracenis. Von den Toten der Schlacht
sind allerdings nur Gunther von Merseburg und Udo von Rheinfranken namentlich
erwähnt und im Gedenken bewahrt worden. Bei beiden Personen handelt
es sich um Verwandte der BILLUNGER, die also aus diesem Grunde,
nicht weil sie auf dem italienischen Feldzug fielen, in das Gedenken aufgenommen
wurden. Die Eintragung Bischof Heinrichs von Augsburg dagegen erscheint
nicht im Zusammenhang der Todesmeldung aus Italien, sondern einen Tag früher,
am 13. Juli, ohne die Erwähnung eines Zusammenhangs mit der Schlacht
von Cotrone. Daraus geht eindeutig hervor, dass diese Todesmeldung auf
anderem Wege in die Necrologtradition gelangte. Sie ist nicht durch den
Tod des Bischofs bei Cotrone veranlaßt worden. Der Bischof hatte
mit anderen Worten bestimmte Beziehungen zu den
BILLUNGERN, die
seine Aufnahme in das Lüneburger Gedenken nach sich zogen.
Solche Beziehungen kann der Augsburger Bischof aber wohl
nur zu Egbert dem Einäugigen gehabt haben, mit dem er während
der Aufstände Heinrichs des Zänkers
in Kontakt gekommen sein wird. Es zeigt sich also bei der Untersuchung
der späteren Aufstände der gleiche Befund wie wir ihn schon im
Zusammenhang des Liudolfaufstandes feststellen konnten: Die Teilnehmer
an coniurationes scheinen zum gegenseitigen Totengedenken verpflichtet
gewesen zu sein.
Neben diesen Anhängern Heinrichs
des Zänkers aus der Frühphase der Auseinandersetzungen
findet sich mit Thiedrich von Metz auch ein Bischof im Lüneburger
Necrolog, der auf dem Höhepunkt der späteren Kämpfe Heinrichs,
im Jahre 984, verstarb. In ihm haben wir ebenfalls einen der profiliertesten
Vertreter der Partei des Bayernherzogs vor uns. Da er gleichfalls einen
vom billungischen Einflußbereich weit entfernten Bischofssitz innehatte,
seine Nennung aus dem normalen Rahmen der Necrologeinträge also ebenfalls
herausfällt, liegt die Annahme nahe, dass auch er auf Grund seiner
Kontakte zu Egbert dem Einäugigen im Zusammenhang der Aufstände
Heinrichs
des Zänkers ins Lüneburger Totengedenken aufgenommen
wurde. Es ist allerdings anzumerken, dass Thiedrich zum weiteren Verwandtenkreis
Egberts gehörte, so dass auch hierdurch ein Grund für
die Eintragung gegeben sein könnte.
Thiedrich befand sich beim Tode OTTOS
II. im kaiserlichen Gefolge in Italien, verließ dieses
jedoch und wandte sich nach einem Zwischenaufenthalt in Lothringen nach
Sachsen. Dort schloß er sich den Anhängern Heinrichs des Zänkers
an, zu deren wichtigsten Vertretern er in der Folgezeit gehörte. Seine
Verhaltensweise ist besonders deshalb erstaunlich, weil er sich noch in
Lothringen mit anderen Großen eidlich verpflichtet hatte, die Nachfolge
OTTOS III. anzuerkennen. Sein Verhalten stellt also einen Eidbruch
dar. Gegen diese Parteinahme polemisierte vor allem Gerbert von Reims in
seinen Briefen. Da andere Mitglieder der Familie Thiedrichs von Metz nicht
im Lüneburger Necrolog begegnen, ist auch seine Eintragung am ehesten
unter den Aspekten der Parteinahme für Heinrich
den Zänker zu erklären. Die Aufnahme Thiedrichs in
die billungischeMemorialtradition bietet
also einen weiteren Anhaltspunkt für die gegenseitige Verpflichtung
zum Gebetsgedenken, die der Teilnehmer an den coniurationes verband. Sie
weist ferner nach, dass das Totengedenken im Lüneburger Necrolog auch
im endenden 10. Jahrhundert noch nachhaltig von den Verbindungen geprägt
ist, die die Nachkommen Wichmanns des Älteren eingingen. Wir
können also weiterhin die Kontinuität der Traditionsstränge
beobachten, die wohl kaum originell im Michaelskloster selbst entstanden,
sondern erst zu einem späten Zeitpunkt mit dem dort gepflegten Gedenken
vereinigt wurden.
Die Reihe der Personen, die auffällige Verbindungen
zu Heinrich dem Zänker hatten, läßt sich noch um den burgundischen
König Konrad I. erweitern. Er ist in den Auseinandersetzungen
zwar nicht unbedingt als Parteigänger Heinrichs anzusprechen, spielte
aber bei den Versuchen, eine friedliche Lösung des Konflikts herbeizuführen,
eine nicht unwesentliche Rolle. Vor allem aber war er der Schwiegervater
Heinrichs
des Zänkers. In den Quellen wird er als Teilnehmer an den
entscheidenden Verhandlungen in Rara im Jahre 984 erwähnt und die
Forschung ist der einheitlichen Ansicht, dass nicht zuletzt sein Eingreifen
Heinrich den Zänker zum Einlenken
veranlaßte. Auch im Falle seiner Person ist es wohl die naheliegendste
Annahme, die Eintragung ins Lüneburger Gebetsgedenken von dieser diplomatischen
Tätigkeit her zu erklären. Andersartige Beziehungen des burgundischen
Königs zurbillungischenSippe sind
denn auch nicht bekannt.
Neben den angeführten Personen, die verschiedenartigen
Anteil an den unmittelbaren Auseinandersetzungen hatten, kann auch die
Schwester Heinrichs des Zänkers
nicht unerwähnt bleiben. Sie trat als Äbtissin von Gandersheim
in Zusammenhang der Aufstände zwar nicht hervor, es ist jedoch unzweifelhaft,
dass sie auf Grund ihrer Stellung über einen nicht unwesentlichen
Einfluß in Sachsen verfügte. Auch sie ist zu ihrem Todestag
in das Lüneburger Necrolog eingetragen worden.
Die Durchsicht der Necrologeinträge aus der Zeit
des endenden 10. Jahrhunderts ergibt also eine ganze Reihe von Hinweisen
auf einen Personenkreis, der mit Heinrich dem
Zänker in der Zeit in Verbindung stand, in der dieser versuchte,
die Königsherrschaft zu erlangen. Dieser Personenkreis wurde deshalb
in billungischeGedenktraditionen aufgenommen,
weil die Teilnehmer an den Aktionen Heinrichs zu gegenseitigen Gebetsgedenken
verpflichtet waren. Methodisch gesichert wird die Beobachtung durch die
Tatsache, dass für alle genannten Personen als gemeinsame Kontaktperson
nur Heinrich der Zänker in Frage
kommt. Auch wenn für die Personen einzeln gesehen andere Möglichkeiten
der Kontaktaufnahme mit den BILLUNGERN denkbar wären, ist ihr
Auftreten in dieser Massierung als Beweis für die Aufnahme von Mitgliedern
einer politischen Gruppierung in das Lüneburger Totengedenken. Wie
bei der billungischen Beteiligung am
Liudolfaufstand hat also auch die Teilnahme Egberts des Einäugigen
an den Aktionen Heinrichs des Zänkers
deutlichen Niederschlag im Lüneburger Memorialtradition gefunden.
Alles spricht also dafür, dass auch in dieser Zeit wieder die genossenschaftlichen
Organisationsformen in der Adelsgesellschaft den politischen Aktionen Rückhalt
gaben, da Heinrich der Zänker
auf die Unterstützung bestimmter Personen rechnen konnte, mit denen
er auf Grund seiner Mitgliedschaft in derartigen genossenschaftlichen Vereinigungen
verbunden war. Gerade die langjährige enge Verbindung zwischen Heinrich
dem Zänker und
Egbert den Einäugigen liefert
einen Hinweis darauf, wo sich derartige Vereinigungen bilden konnten: Beide
waren nämlich zur gleichen Zeit am Königshof erzogen worden.
Die aus der fraglichen Zeit aufgeführten Personen
sind nun aber nicht die einzigen, die sich aus dieser Zeit im Lüneburger
Necrolog nachweisen lassen. Vielmehr finden sich auch solche, die nachweislich
der Gegenpartei angehörten.
Da nach dem Urteil der Forschung Herzog Bernhard I.
einer
der Hauptvertreter der königstreuen Kräfte in Sachsen war, muß
also die Gegenprobe gemacht und gefragt werden, wie sich die Vertreter
der 'Partei' OTTOS III. im Lüneburger
Necrolog erklären lassen. Damit ist zugleich die Frage gestellt, ob
aus dieser Zeit Memorialtraditionen zu ermitteln sind, die man dem Gedenken
der Herzogsfamilie selbst zuordnen muß. Herzog Bernhard I. vollendete
ja mit der Bestellung des 1. Abtes den Gründungsvorgang des Michaelsklosters
in Lüneburg. Wir müssen also damit rechnen, dass spätestens
seit dieser Zeit dort auch die Memoria für das Umfeld der Herzogsfamilie
geleistet wurde. Zahlreiche Verwandte der BILLUNGER, die sich aus
dem fraglichen Zeitraum im Lüneburger Necrolog nachweisen lassen,
zeigen, dass sich das Gebetsgedenken in dieser Zeit intensivierte und weitere
Personenkreise zu erfassen begann. In der Frage nach dem Niederschlag der
Partei, der Bernhard I. angehörte, ergibt die Untersuchung
des Necrologs jedoch keinen ganz klaren Befund. Von den Personenkreisen,
die nach dem Tode OTTOS II. die Herrschaftsansprüche
seines unmündigen Sohnes stützten, finden sich zwar Spuren, jedoch
sucht man viele der wichtigen Namen vergeblich. Es fehlen etwa die Kaiserinnen
Theophanu und Adelheid,
die die Vormundschaft führten. Es fehlen weiter fast alle Reichsbischöfe,
die Stellung für das Königtum bezogen. Als auffällige Einträge
sind jedoch Hildebold von Worms (B 92) und Folcold von Meißen (B
105) zu nennen, bei denen ein besonderes Verhältnis zur Königsfamilie
bezeugt ist. Es zeigt sich ferner, dass in dieser Zeit die Nennungen von
Bischöfen aus den Bistümern zahlreicher werden, die in unmittelbarer
Nachbarschaft von Lüneburg gelegen sind. Diese Spuren sind wohl als
Indizien dafür zu werten, dass sich seit den 80er Jahren des 10. Jahrhunderts
im heutigen Lüneburger Necrolog Gedenknachrichten finden, die im Michaelskloster
selbst entstanden sind. Dieses stand zur fraglichen Zeit ganz zweifellos
unter dem Einfluß der Herzogsfamilie. Wir können in diese Zeit
also den Beginn des eigenstängigen Gedenkens der Herzogsfamilie setzen,
das der Lüneburger Konvent für sie leitete.
Unter diesem Gesichtspunkt sind die erwähnten Reichsbischöfe
natürlich besonders interessant. Es ist unzweifelhaft, dass mit Hildebold
von Worms eines der einflußreichsten Mitglieder der Hofkapelle und
ein besonderer Vertrauter der Königsfamilie eingetragen ist, der in
der Frage der Nachfolge OTTOS II. zu
den bestimmenden Persönlichkeiten unter den königstreuen Kräften
gehörte. Aber auch Folcold von Meißen, der Lehrer OTTOS
II., der im Jahre 984 aus seinem Bistum vertrieben wurde, ist
sicher als Anhänger der gleichen Partei einzuschätzen. In diesem
Zusammenhang ist auch die Quedlinburger Äbtissin
Mathilde zu nennen, die sich ebenfalls aktiv für die Nachfolge
ihres Neffen einsetzte und im Lüneburger Necrolog zum 7. Februar verzeichnet
ist.
Die Partei, die sich für OTTO
III. einsetzte, hatte aber in Bernhard I. einen ihrer
Protagonisten. Im Jahre 984 gehörte der billungischeHerzog
zu den sächsischen Adeligen, die auf der Hesleburg zusammenkamen,
um dem am Osterfest in Quedlinburg deutlich gewordenen Streben Heinrichs
des Zänkers nach der Königskrone Widerstand zu leisten.
Bernhard
wird von Thietmar von Merseburg sogar als erster der dort Anwesenden aufgeführt,
was seine Stellung bei dieser Zusammenkunft nur unterstreicht. Er führte
also offensichtlich die adeligen Kräfte Sachsens an, die an der Nachfolge
OTTOS
III. festhielten und diese schließlich durchsetzten. Diese
Beobachtung wird neben dem Bericht Thietmars auch dadurch unterstrichen,
dass Herzog Bernhard während der Zeit der Vormundschaftsregierung
der
Kaiserinnen Theophanu und Adelheid
sehr häufig am Hof anwesend war. In der Forschung ist denn auch Bernhard
unter die Großen eingereiht, die zu den Ratgebern der Kaiserinnen
gezählt werden und die wesentlichen Einfluß in der Zeit der
Vormundschaftsregierung besessen haben sollen. Die oben genannten Bischöfe
und die Äbtissin Mathilde, die
in gleicher Richtung tätig war, signalisieren also, dass sich im Lüneburger
Necrolog außer den Beziehungen Egberts auch die Herzog Bernhards
niedergeschlagen haben. Es lassen sich im Lüneburger Necrolog mit
anderen Worten für das endende 10. Jahrhundert zwei Traditionsstränge
erkennen, die auf unterschiedliche Initiatoren weisen. Da sie kaum gleichzeitig
originell im Lüneburger Michaelskloster entstanden sein können,
spricht alles dafür, dass die Tradition, die von Egberts Verbindungen
bestimmt zu sein scheint, erst später ins Michaelskloster übertragen
wurde. Diese Vermutung findet in der Situation der billungischenSippe
im endenden 10. Jahrhundert eine Stütze. Angehörige der
billungischen
Sippe haben zwar in der Nachfolgefrage wie in den vorausgehenden Versuchen
Heinrichs des Zänkers, sich gegen
das Königtum zu erheben, eine unterschiedliche Haltung eingenommen.
Damit scheinen sich die Tendenzen fortgesetzt zu haben, die wir aus der
Zeit Wichmanns des Älteren
und
Wichmanns des Jüngeren
kennen: Die billungischeSippe scheint
in rivalisierende Gruppen zerfallen und zerstritten zu sein. Ein entscheidender
Unterschied ist jedoch nicht zu übersehen: Über irgendwelche
Auseinandersetzungen zwischen Herzog Bernhard und Egbert
hören wir in den Quellen nichts. Wir sehen im Gegenteil beide bis
zum Tode Egberts mehrfach gemeinsam auftreten und Interessen der
Sippen vertreten .
Die gemeinsamen Interventionen Herzog Bernhards I.
und
Egberts
in den 90-er Jahren des 10. Jahrhunderts deuten also auf einen Ausgleich
zwischen den unterschiedlichen 'Zweigen' der BILLUNGER. Dies, wie
die schon vorher erwähnte Tatsache, dass Herzog Bernhard II.
im Jahre 1016 die Vormundschaft über die unmündigen Kinder des
BILLUNGERS Wichmann III. übernahm, erweist, dass die Verwandtengruppe
neue Formen der Kooperation gefunden hatte und die langwierigen Differenzen
beigelegt waren. Der eine Teil der Verwandtengruppe hatte sich als Herzogsgeschlecht
formiert und sich mit Lüneburg einen Herrschaftsmittelpunkt geschaffen.
Im Hauskloster St. Michael fand auch die Pflege der Memoria ihr neues Zentrum.
Der andere Teil, der sogenannte 'Wichmann-Zweig',
wurde im Verlaufe dieses Prozesses aus Ämtern und Würden verdrängt.
Dies belegt eindrucksvoll die Bemerkung Thietmars von Merseburg, Wichmann
III., der letzte bekannte Angehörige dieser Verwandtengruppe,
sei im westlichen Münsterland, in Vreden, ad patres suos bestattet
worden. Der Herrschaftsschwerpunkt der Nachkommen Wichmanns des Älteren
hatte sich also ins westliche Münsterland verlagert. Dies wird auch
dadurch belegt, dass Wichmann III. als Vogt von Vreden, Metelen
und Borghorst bezeugt ist. Eine neue, dauerhafte Herrschaftsbildung haben
die Nachkommen Wichmanns des Älteren jedoch nicht zu Stande
gebracht. Sie suchten vielmehr zunächst ihr Recht durch die Teilnahme
an allen oppositionellen Aktionen zu bekommen, die sich gegen das Königtum
und gegen den von diesem protegierten Verwandten, den sächsischen
Herzog, richteten. Und sie scheiterten mit der Erfolglosigkeit dieser Unternehmungen.
Die Beendigung der Auseinandersetzungen innerhalb der Sippe, die in den
90-er Jahren durch die gemeinsamen Interventionen
Bernhards und
Egberts
sichtbar
wird, bietet jedoch auch einen einleuchtenden Grund dafür, warum in
Lüneburg auch die Memorialtradition dieses 'Zweiges' der BILLUNGER
bewahrt wurde. Da die Todesnachrichten des Necrologs sicher in die Zeit
vor der Gründung des Michaelsklosters zurückgehen und bis weit
in die 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts im Necrolog die Beziehungen
der Nachkommen Wichmanns des Älteren dominieren, ist die Annahme
unabweisbar, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt die Memorialverpflichtungen
der Verwandten
Wichmanns des Älteren gesammelt nach Lüneburg
übertragen wurden. Diese Verpflichtungen reichten bis in die Zeit
zurück, in der sich die 'BILLUNGER' aus der Verwandtengruppe
der 'Nachfahren Widukinds' entwickelten.
Die Herzogsfamilie übernahm mit anderen Worten Gedenkverpflichtungen
ihrer Verwandten und vereinigte sie mit den eigenen, vielleicht sogar in
dem Bewußtsein, dass die übernommenen Nachrichten zur eigenen
Tradition hinzugehörten. Den genauen Zeitpunkt dieser Übernahme
festzustellen gelingt nicht, doch ist er wohl am ehesten in der Zeit denkbar,
in der ein Ausgleich zwischen den Interessen der Verwandten erreicht war.
So erklärt sich nahtlos die Tatsache, dass im Hauskloster des Herzogsgeschlechts
für die memoria der Personen gesorgt wurde, die in vielfältige
Auseinandersetzungen gerade mit dem 'Stammvater' dieses Geschlechts,
Hermann
Billung, verwickelt waren, und ebenso wird der Grund einsichtig, warum
für die Zeit Bernhards I. zwei einander sozusagen widersprechende
Gedenktraditionen im Lüneburger Necrolog festzustellen sind.
An welchem Ort der Memorialtradition der Familie Wichmanns
des Älteren von der Übertragung gepflegt wurde, läßt
sich nicht mehr feststellen. Es soll nicht einmal behauptet werden, dass
es sich um eine an einem Ort gewachsene Tradition gehandelt haben muß.
Ähnliche Übertragungsvorgänge wie nach Lüneburg sind
auch für frühere Zeiten nicht auszuschließen. Sicher aber
ist, dass es jeweils Verwandte der BILLUNGER waren, die für
die Bewahrung dieser ältesten Schichten des billungischen
Totengedenkens Sorge trugen.
Als Ergebnis der Analyse der ältesten Schichten
des Lüneburger Necrologs sind daher verschiedene Erkenntnisse und
Beobachtungen festzuhalten, die für die Beurteilung der
billungischen Geschichte, aber auch allgemein für die Beurteilung
der OTTONEN-Zeit nicht unwichtig zu
sein scheinen. Neben den Aussagen über die Verwandtengruppe der 'Nachfahren
Widukinds', als deren Erben die BILLUNGER erkannt werden konnten,
ist vor allem die Entdeckung bemerkenswert, dass die Teilnehmer an verschiedenen
Aufständen in dieser Zeit gegenseitige Gebetshilfe praktizierten.
Dies eben deshalb, weil bei den Aufständen Mitglieder von Vereinigungen
mit genossenschaftlichem Charakter zu gemeinsamer politischer Aktion schritten.
Zu den Verpflichtungen, die eine Mitgliedschaft in derartigen Vereinigungen
mit sich brachte, gehörte neben Schutz und Hilfe auch das Totengedenken.
Gerade diese Beobachtung ist geeignet, den Stellenwert der memoria für
die Erkenntnis von Gruppenbildung und Gruppenzugehörigkeit im Mittelalter
nachhaltig vor Augen zu führen.
Nicht zuletzt liefern die Memorialzeugnisse Material
zur Beurteilung des Formierungsprozesses einer adeligen Sippe, der in mehreren
Stationen von der weitläufigen Verwandtengruppe zum geschlossenen
Geschlecht führte. Dieser Prozeß ließ sich bis in die
Zeiten zurückverfolgen, in denen die Verwandtengruppe als Gemeinschaft
in anderen Quellen noch nicht in Erscheinung tritt. Daher war das Verhältnis
der Billunger zu dieser Gruppe gar nicht bekannt. Nichts wäre jedoch
falscher, als nun die 'Nachfahren Widukinds' etwa als 'frühe BILLUNGER'
zu bezeichnen. Die weitläufige und weder in ihren genealogischen noch
in ihren organisatorischen Zusammenhängen faßbare Verwandtengruppe
bildete vielmehr die Basis, von der aus die einzelnen Mitglieder Herrschaft
bildeten. Von diesen sind uns Wichmann der Ältere und Hermann
Billung mit ihren jeweiligen Nachkommen bekannt. Diese Konzentration
der Herrschaft brachte fast folgerichtig auch die Auseinandersetzung um
Ämter und Besitz. Als Sieger begegnen uns die Agnaten Hermanns,
die als Herzogsgeschlecht geschichtswirksam wurden. Die Memorialüberlieferung
dieses Herzogsgeschlechts zeigt jedoch, dass in der Phase des 'Aufbruchs'
der Verwandtengruppe am Beginn der Herrschaftsbildung und in der Phase
der Auseinandersetzungen bereits Traditionskerne durch die Pflege der Memoria
geschaffen worden waren. Sie wurden zunächst von der Familie und den
Nachkommen Wichmanns des Älteren bewahrt und gingen später
in die Lüneburger Tradition ein. Die memoriale Traditionsbildung der
Familie Hermanns erweist sich dagegen als jünger. Ihre Anfänge
liegen wohl nicht vor den 70-er Jahren des 10. Jahrhunderts. Größere
Intensität erreichten sie erst, als sich die Herrschaft des
Herzogsgeschlechts bereits konsolidiert hatte, im beginnenden 11. Jahrhundert.
c) Der Verlust der Königsnähe: Die Billunger
in der Regierungszeit Heinrichs II.
------------------------------------------------------------------------------------------------
Die Diagramme weisen deutlich darauf hin, dass sich der
Einzugsbereich des Lüneburger Necrologs um die Jahrtausendwende ausweitete
und dass das Gedenken in den 1. Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts seine
intensivste Phase hatte. Wenn auch zu berücksichtigen ist, dass die
eingetragenen Verstorbenen jeweils einige Jahre oder Jahrzehnte vor ihrem
Tod Beziehungen zu den BILLUNGERN knüpften, dass wir also schon
die letzten beiden Jahrzehnte des 10. Jahrhunderts als die Zeit annehmen
können, in der der Prozeß der Ausweitung einsetzte, so ist doch
unzweifelhaft, dass das Lüneburger Necrolog insbesondere für
die billungiche Geschichte des frühen
11. Jahrhunderts eine hervorragende Quelle darstellt. Es spiegelt nun eindeutig,
soviel kann vorweg gesagt werden, die Beziehungsfelder der Herzogsfamilie.
Da seit dieser Zeit auch die Äbte des Michaelsklosters vollständig
im Necrolog begegnen, kann man als sicher annehmen, dass das Gedenken nun
originell in Lüneburg zusammengestellt wurde.
Gerade für diesen Zeitraum fallen jedoch eine ganze
Reihe von Ereignissen, die für die Geschichte des sächsischen
Stammes und der BILLUNGER von höchster Wichtigkeit waren. Es
genügt, auf die Probleme der Königswahl HEINRICHS
II., dessen Bündnis mit den heidnischen Liutizen und auf
die Polen-Kriege hinzuweisen, um anzudeuten, wie wichtig gerade diese Zeit
für das Verständnis der Geschichte des sächsischen Stammes
und seines Verhältnisses zum Königtum ist. Die Rolle der BILLUNGER
in dieser Zeit, die als Herzogsgeschlecht von diesen Ereignissen und Entwicklungen
in höchstem Maße betroffen gewesen sein müssen, ist jedoch
alles andere als geklärt. Es gibt Versuche, das Verhältnis der
BILLUNGER
zum neuen König HEINRICH II. als
positiv hinzustellen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass aus
den Jahren 1019/20 Aufstände der BILLUNGER gegen den Kaiser
überliefert sind, ohne dass es bisher gelungen wäre, die auslösenden
Faktoren dieser Erhebungen festzustellen. Erstmals, so fällt in diesem
Zusammenhang auf, sind an den Erhebungen nicht einzelne Mitglieder der
Sippe beteiligt, sondern es handelt sich um Aufstände des billungischen
Geschlechts, das von Herzog, in diesem Falle von Bernhard II. angeführt
wird.
Für andere wichtige Probleme des beginnenden 11.
Jahrhunderts, vor allem für die Ostpolitik HEINRICHS
II., liegt die Haltung der BILLUNGER weitgehend im Dunkeln.
So paradox es klingen mag: Gerade in den Jahrzehnten, in denen das billungischeGebetsgedenken
die große Intensität aufweist, werden die BILLUNGER in
anderen Quellen sehr selten erwähnt. Eine differenzierte Beurteilung
der billungischen Politik in dieser
Zeit ließ sich daher auf der bisherigen Quellenbasis kaum leisten.
Die Nutzung der Gedenküberlieferung scheint also höchst notwendig.
Eine Untersuchung der billungischen
Geschichte in der Regierungszeit HEINRICHS II.
muß notwendigerweise von der Situation nach dem Tode OTTOS
III. ausgehen. Von den Kandidaten, die im Jahre 1002 die Nachfolge
des verstorbenen Kaisers anstrebten, war bekanntlich nicht HEINRICH
II. sondern Ekkehard von Meißen, der Schwager Herzog
Bernhards I., der Kandidat der BILLUNGER. Die Auseinandersetzungen
des sächsischen Adels über die Frage der Thronfolge, die vor
allem durch die Beratungen in Frohse und Werla deutlich wurden, sind uns
durch den Bericht Thietmars von Merseburg detailliert überliefert.
Sie fanden in der provokativen Usurpation des königlichen Platzes
an der Tafel in Werla, durch die Ekkehard von Meißen mit der Unterstützung
Herzog
Bernhards I. und Bischof Arnulf von Halberstadt seinen Anspruch auf
die Nachfolge dokumentierte, sichtbaren Ausdruck. Mit Bernward von Hildesheim
ist ein weiterer wichtiger Reichsbischof bekannt, der zur Partei der EKKEHARDINER
gehörte und der die Kandidatur Ekkehards unterstützte: Er empfing
nach den Geschehnissen in Werla den Markgrafen in Hildesheim so, als ob
dieser bereits König wäre.
Die Pläne der Partei Ekkehards wurden durch die
Ermordung des Thronbewerbers gestoppt. Am 30. April fiel Ekkehard in Pöhlde
einem Mordanschlag zum Opfer. Es ist nicht ganz klar, ob es einen Zusammenhang
zwischen Kandidatur und dem Mordanschlag gab; die Quellen berichten jedenfalls
nichts davon. Die Konsequenzen des BILLUNGERS Bernhard aus der neuen
Lage wurden 3 Monate nach dem Tode Ekkehards deutlich: Als Vertreter des
sächsischen Stammes trat er HEINRICH II.
bei der sogenannten Nachwahl in Merseburg gegenüber, forderte und
erhielt von ihm das Versprechen, salvo honore regni, die sächsischen
Interessen zu wahren, und beendete mit der Übergabe der heiligen Lanze
an HEINRICH II. dieses bis in die jüngste
Zeit intensiv diskutierte Geschehen. Walter Schlesinger sprach zuletzt
dem Akt von Merseburg den formellen Charakter einer Königserhebung
zu.
Hat diese Anerkennung des zunächst nicht favorisierten
Kandidaten das Verhältnis der BILLUNGER zum neuen König
positiv gestaltet? Die neuere Forschung gibt hierauf keine schlüssige
Antwort, da sie zumeist die Frage des Verhältnisses der BILLUNGER
zu HEINRICH II. aus der Retrospektive
beantwortet. In der Tat geben erst die späteren Aufstände der
BILLUNGER
unter Herzog Bernhard II. hinreichende Anhaltspunkte für eine
Bewertung ab. Lediglich Ruth Bork betonte, Herzog Bernhard habe
Zeit seines Lebens in einem ausgezeichneten Verhältnis zu allen 3
während seiner Amtszeit regierenden Herrschern gestanden. Als Beweis
dieser Behauptung konnte sie für die Regierungszeit HEINRICH
II. jedoch lediglich die Nennung Bernhards I. in den
Königsurkunden bieten. Bei einer Überprüfung zeigt sich,
dass Herzog Bernhard I. zwischen 1002 und 1004 fünfmal in Königsurkunden
HEINRICHS
II. begegnet. Alle Urkundenempfänger waren jedoch in bestimmter
Weise mit dem Herzog verbunden, so dass die Nennung in diesen Urkunden
nicht unbedingt etwas über dessen Verhältnis zum König aussagen
muß.
Nach dem Jahre 1004 taucht der BILLUNGER in den
7 Jahren bis zu seinem Tod jedoch nur noch in einer einzigen weiteren Urkunde
auf. Diese wurde für das Erzbistum Magdeburg konzipiert, sie fand
jedoch nicht die königliche Genehmigung, denn es fehlt der Vollziehungsstrich,
das Tagesdatum und die Besiegelung. Mit anderen Worten: Die Urkunden HEINRICHS
II. beweisen, wenn man ihnen überhaupt etwas entnehmen
will, eher das Gegenteil als ein ausgezeichnetes Verhältnis zwischen
BILLUNGER-Herzog
und König.
Dagegen verdient eine andere Quelle Aufmerksamkeit, die
Bernhard
I. im Zusammenwirken mit HEINRICH II.
zeigt, die jedoch in der Forschung bisher wenig Beachtung gefunden hat.
Es handelt sich um den sogenannten Gebetsbund von Dortmund, den Thietmar
seiner Chronik überliefert. Am 7. Juli 1005 vereinbarten
HEINRICH
II. und seine Gemahlin Kunigunde,
15 Bischöfe sowie Herzog Bernhard I. ein gegenseitiges Gebetsgedenken,
das beim Tode jedes Teilnehmers dieses Bundes umfangreiche liturgische
und karikative Leistungen verlangte. In der Forschung wird die Zusammenkunft
unter der Bezeichnung 'Nationalsynode' geführt, was darauf zurückzuführen
ist, dass Thietmar in Anschluß an den Gebetsbund über einige
Beschlüsse der Versammlung berichtet, die die Verschärfung von
Fasttagen betreffen. Schaut man sich die teilnehmenden Bischöfe jedoch
genauer an, so ist die regionale Bestimmtheit des Teilnehmerkreises nicht
zu übersehen. Den Charakter einer Nationalsynode darf die Versammlung
keinesfalls beanspruchen. Es sind aufgeführt die sächsischen
Bischöfe Liawizo von Hamburg/Bremen, Tagino von Magdeburg, Swidger
von Münster, Dietrich von Minden, Thietmar von Osnabrück, Bernhar
von Verden, Bernward von Hildesheim, Rethar von Paderborn, Wigbert von
Merseburg. Weiter begegnen die lothringischen Bischöfe Heribert von
Köln, Notger von Lüttich und Ansfrid von Utrecht. Hinzu kommen
die Bischöfe Ekkehard von Schleswig und Odinkar von Ripen. Eine gewisse
regionale Sonderstellung nimmt lediglich der Bischof Burchard von Worms
ein, der den einzigen fränkischen Bischof dieses Kreises darstellt.
Aus Bayern und Schwaben ist überhaupt kein Bischof vertreten. Es handelt
sich also, mit einer Ausnahme, um Bischöfe aus den nördlichen
und westlichen Reichsgebieten. Man muß sich daher fragen, ob diese
Zusammenkunft nicht auch einen Zweck hatte, von dem Thietmar nichts berichtet.
Immerhin fällt auf, dass es sich bei den genannten Bischöfen
keineswegs etwa um einen ausgewählten Kreis der Vertrauten HEINRICHS
II. handelt, sondern dass gerade Bischöfe der Stämme
aufgeführt sind, deren Anerkennung HEINRICH
3 Jahre zuvor nur mit Mühe erlangt hatte. Ja, es finden sich unter
den Bischöfen solche, die der Königserhebung HEINRICHS
anhaltenden Widerstand entgegengebracht hatten. Es ist neben Bernward von
Hildesheim, der schon als Anhänger Ekkehards von Meißen genannt
wurde, vor allem an Erzbischof Heribert von Köln zu erinnern, der
nicht nur als Begleiter des Leichenzuges OTTOS
III. dem Bayernherzog HEINRICH
die Übergabe der heiligen Lanze verweigert hatte und dafür von
diesem in Haft genommen worden war. Heribert hatte darüber hinaus
die Anerkennung HEINRICHS bis zuletzt
verweigert bzw. verzögert. Diese Beobachtungen und das Fehlen von
Bischöfen, die HEINRICH II. 1002
unterstützt hatten, deuten darauf hin, dass die Auswahl der in Dortmund
am Gebetsbund beteiligten Bischöfe nicht durch deren besonders enges
Verhältnis zum neuen König bestimmt wurde. Gleiches wird man
daher auch nicht für Herzog Bernhard annehmen dürfen.
Die Versammlung hatte vielmehr andere, bisher unbekannte Hintergründe.
Über die eigentlichen Ursachen des Treffens sagt
Thietmar von Merseburg nichts. Sieht man sich jedoch die Regierungstätigkeit
HEINRICHS
II. zwischen 1002 und 1005 an, finden sich genügend Hinweise
auf Ereignisse, die grundsätzliche Auseinandersetzungen des sächsischen
Episkopats und Adels mit der Politik des neuen Königs wahrscheinlich
machen.
Die wichtigsten seien kurz aufgeführt:
1. (Ende Juli 1002) Zu diesem Zeitpunkt begannen
die Schwierigkeiten
HEINRICHS II. mit
dem Polen-Herzog Boleslaw Chrobry,
die durch einen Überfall auf die Begleitmannschaft Boleslaws
in Merseburg ausgelöst wurden. Der Polenherzog entging dem Anschlag
nur durch die Hilfe Markgraf Heinrichs von Schweinfurt und Herzog Bernhards
I. Thietmar von Merseburg betont ausdrücklich, dass
HEINRICH
II. nicht der Urheber des Anschlags gewesen sei, was wohl auch
besagt, dass man nicht einhellig dieser Meinung war.
2. (März 1003) Im Zuge der Vorbereitungen
zu einem Kriegszug gegen Boleslaw Chrobry
schloß
HEINRICH II. in Quedlinburg
ein Bündnis mit dem heidnischen Redariern und Liutizen. Dieses Bündnis
bedeutete zweifelsohne den totalen Bruch mit den bisherigen Prinzipien
der ottonischen Ostpolitik. Die Ablehnung
dieses Bündnisses in Sachsen scheint allgemein gewesen zu sein.
3. (Anfang 1003) Der König erfährt vom
Aufstand des Markgrafen Heinrich von Schweinfurt in Verbindung mit Boleslaw
Chrobry. Der älteste Sohn und Nachfolger Herzog Bernhards
I. heiratete, vielleicht in dieser Zeit, die Tochter Heinrichs von
Schweinfurt. Auch wenn der genaue Zeitpunkt der Eheschließung unbekannt
ist, kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die Eheschließung
als Indiz für die politische Parteinahme der BILLUNGER gegen
HEINRICH II. zu werten ist.
4. (August/September 1004) HEINRICH
II. führt ein Heer gegen Boleslaw
und fällt in Böhmen ein. Der König hielt seinen Feldzugsplan
geheim, da er fürchtete, Verräter im eigenen Heer könnten
sonst seine Absichten dem Polenherzog mitteilen. Die von Thietmar von Merseburg
häufig erwähnten, jedoch nie namentlich angesprochenen Opponenten
gegen die Ostpolitik des neuen Königs hatten sich also zu diesem Zeitpunkt
bereits formiert und stellten eine ernstzunehmende Gefahr für den
Erfolg des Heereszuges dar.
Mit den zitierten Ereignissen sind Auswirkungen der radikalen
Neuorientierung der Ostpolitik HEINRICHS II. angesprochen.
Die Versuche OTTOS III., das Verhältnis
zu den christlichen slawischen Reichen auf neue Grundlagen zu stellen,
die in den Vereinbarungen von Gnesen im Jahre 1000, der Errichtung des
Erzbistums Gnesen und der Anerkennung Boleslaws
als amicus et socius populi Romani und als cooperator imperii ihren Ausdruck
fanden, wurden aufgegeben und durch Bündnisse mit den heidnischen
Stämmen ersetzt. Diese kamen unter ausdrücklichem Missionsverzicht
zu Stande. Damit wurde der bisherigen, entscheidend vom sächsischen
Stamm mitgetragenen Ostpolitik der Boden entzogen. Die Reaktion kirchlicher
Kreise war ähnlich negativ und heftig wie die des sächsischen
Adels, der nicht nur den christlichen Polen durch verwandtschaftliche Bindungen
nahestand, sondern dessen materielle Interessen durch die Aufwertung heidnischer
Slawenstämme zu Bundesgenossen zentral berührt wurden. Neben
der Mission mußte für die Zeit des Bündnisses nämlich
auch auf die Tribute verzichtet werden.
Die Beurteilung dieser entscheidenden Vorgänge nach
der Königserhebung HEINRICHS II. ist
in der Forschung noch immer umstritten. Während vornehmlich die ältere
Forschung, aber nicht nur diese, Boleslaw Chrobry
die
Schuld am Ausbruch der Auseinandersetzungen gab und stark das nationale
Element als Ursache hervorhob, hat neuerdings Herbert Ludat noch einmal
deutlich zu machen versucht, dass die nationale Frage eine untergeordnete
Rolle spielte. Dies läßt sich vor allem dadurch wahrscheinlich
machen, dass Boleslaw in sächsischen
Adelskreisen, namentlich bei den EKKEHARDINERN, nachhaltig Unterstützung
fand.
Sieht man das Treffen von Dortmund vor dem skizzierten
Hintergrund, leuchtet seine politische Bedeutung unmittelbar ein. Es handelt
sich bei der Dortmunder Versammlung in erster Linie um den Versuch des
Königs, auch die seiner neuen Politik und seiner Person reserviert
gegenüberstehenden Kräfte zu gewinnen und zur Teilnahme an dem
Heereszug zu verpflichten: Im Vorjahr war er in Trient mit den Teilnehmern
an seinem 1. Italienzug und mit oberitalienischen Bischöfen einen
ähnlichen Gebetsbund eingegangen. Die Stichhaltigkeit einer solchen
Beurteilung des Dortmunder Treffens wird nicht zuletzt dadurch gesichert,
dass HEINRICH von Dortmund aus zum
Polenfeldzug des Jahres 1005 aufbrach, was den unmittelbaren Zusammenhang
unterstreicht.
Für die Beurteilung der Auswirkungen des Dortmunder
Gebetsbundes ist entscheidend, ob die Teilnehmer die übernommene Verpflichtung
einhielten. Gerade Thietmar von Merseburg, obwohl nicht zu den Teilnehmern
des Bundes gehörig, liefert uns Anhaltspunkte dafür, dass dem
nicht so war. Was die Beteiligung Herzog Bernhards I. anbetrifft,
so ist zwingend zu erwarten, dass seine Verpflichtungen im Lüneburger
Michaelskloster eingelöst worden wären. Die Teilnehmer des Dortmunder
Gebetsbundes müßten sich mit anderen Worten im Lüneburger
Necrolog nachweisen lassen, wenn Herzog Bernhard
die ihm auferlegten
Leistungen erbracht hätte.
Es fehlen jedoch sowohl HEINRICH
II. und seine Gemahlin Kunigunde
im Lüneburger Necrolog, was angesichts der sonst ununterbrochenen
Reihe der deutschen Könige und Kaiser besonders auffällig ist,
als auch 9 der 15 Bischöfe des Dortmunder Gebetsbundes. Der Einwand,
die Teilnehmer seien vielleicht deshalb nicht verzeichnet worden, weil
sie zumeist erst nach dem Tode Herzog Bernhards I. (+ 1011) verstarben,
erweist sich als nicht stichhaltig, denn auch Notger von Lüttich (+
1008) und Ansfrid von Utrecht (+ 1010) fehlen im Lüneburger Necrolog.
Zumindest Herzog Bernhard hat also die ihm aus der Dortmunder Vereinbarung
erwachsenen Verpflichtungen nicht erfüllt. Es scheint mit anderen
Worten so, als ob der Versuch HEINRICHS II.,
zu Beginn der Polenkriege wichtige sächsische Kräfte zur Unterstützung
seiner Ostpolitik zu gewinnen, zumindest im Hinblick auf die BILLUNGER
gescheitert sei.
Dieses Urteil steht im Einklang mit den auf Grund anderer
Quellenaussagen erzielten Ergebnissen der bisherigen Forschung. Die Obstruktionspolitik
von Teilen des sächsischen Adels gegen die neue Ostpolitik HEINRICHS
II. hat angehalten, so ist die einhellige Meinung. Unklar ist
jedoch, welches Ausmaß und welche Wirkung diese Opposition hatte
und völlig ungeklärt ist die Rolle der BILLUNGER im genannten
Zeitraum. Wilhelm Berges hat bei seiner Untersuchung billungischerPolitik
in der Regierungszeit HEINRICHS II.
lediglich zwei Stellen aus der Chronik Thietmars von Merseburg anführen
können, die die grundsätzliche Opposition der BILLUNGER
gegen den König nachweisen sollen. Herbert Ludat erwähnt trotz
seiner umfassenden Diskussion aller Quellenaussagen, die sich mit oppositionellen
Kräften beschäftigen, die BILLUNGER
nur am Rande. In der
übrigen Forschung wird zumeist global auf die Haltung des sächsischen
Adels verwiesen, die auch die der
BILLUNGER gewesen sei. Die beiden
Nachrichten Thietmars von Merseburg sind nun interessant genug, um sie
noch einmal zur Diskussion zu stellen.
Nur einmal im gesamten Zeitraum der Polen-Kriege, denen
Thietmar bekanntlich viel Raum gibt, wird die Beteiligung eines BILLUNGERS,
und zwar die Herzog Bernhards II., an kriegerischen Operationen
gegen Boleslaw Chobry erwähnt.
Der Merseburger Chronist berichtet vom Feldzug des Jahres 1015 unter anderem:
Dux vero Bernhardus cum suis imperatorii ad auxilium, sicut ei prius iussum
est, venire cum nequivisset, per pedites clam missos ei eventum rei et
necessitatem inobedientiae indicens, vastatis circumquaque iacentibus locis,
domum rediit. Das Verhalten grenzt an Sabotage. Thietmar benutzte wohl
nicht ohne Grund das Wort inobedientia, auch wenn er einschränkend
bemerkt, Bernhard habe eine necessitas geltend gemacht. Es ist nicht
ganz einfach vorstellbar, welche necessitas einen Heerführer wohl
bewegen können, nach Hause zurückzukehren, ohne neue Befehle
des Kaisers abzuwarten. Mit diesem Bericht Thietmars ist auch schon die
einzige konkrete Erwähnung der BILLUNGER im Zusammenhang kriegerischer
Aktionen - auf ihre Vermittlerrolle wird später einzugehen sein -
angeführt. Eine weitere Nachrich Thietmars, die Wilhelm Berges ebenfalls
auf den BILLUNGER Bernhard bezieht, ist nämlich allgemein
gehalten. Thietmar berichtet: Ibi tunc de futura expeditione tractatur
et fidelis quisque ad hanc preparari monetur et, ut ullus intra nos et
publicum hostem deinceps mitteretur nuntius vel susciperetur, firmiter
ab augusto prohibetur et, quis hoc hactenus agere presumeret, diligenter
inquiritur. Zur Interpretation dieser Stelle ist einmal zu sagen, dass
Thietmar nicht erwähnt, welche Personen Verkehr mit Boleslaw
Chobry pflogen, und dass weiterhin dieses Verbot zum Jahre 1017
überliefert wird. Es steht also nicht in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Schilderung der inobedientia
Bernhards vom Jahre 1015. Diese
Stelle bietet also keine Handhabe, sie speziell auf den BILLUNGER
zu beziehen, obwohl nicht unwahrscheinlich ist, dass auch er gemeint sein
könnte.
Nun ist Thietmar von Merseburg für die mit den Polenkriegen
zusammenhängenden Fragen ein durchaus problematischer Gewährsmann.
Zwar kann er als überaus gut informiert gelten, da Merseburg der in
dieser Zeit HEINRICHS II. am meisten
besuchte Ort war. Thietmar selbst stand während seiner gesamten Regierungszeit
ferner in sehr engen Beziehungen zu HEINRICH II.
Jedoch befand sich der Merseburger Bischof in einer besonderen Situation.
Einerseits ist unzweifelhaft, dass er ein glühender Anhänger
HEINRICHS
II. war, andererseits entstammte er jedoch dem sächsischen
Hochadel. Das heißt, er war mit den Personen verwandt, die der Politik
HEINRICHS
skeptisch bis offen ablehnend gegenüberstanden. Diese Gebundenheit
hatte zur Folge, dass Thietmar zwar häufig von Kräften spricht,
die mit dem Polenherzog gemeinsame Sache machten und den Krieg gegen ihn
ablehnten, dass er jedoch Namen höchst selten nennt. Auf diese Weise
bleibt das Ausmaß der Ablehnung verborgen und es entsteht der Eindruck,
als habe es sich um den Widerstand Einzelner gehandelt, die Thietmar als
Verblendete charakterisierte. Erst wenn man alle Belegstellen der Chronik,
in denen von Opposition gegen die Ostpolitik
HEINRICHS
II. die Rede ist, sammelt, gewinnt man Anhaltspunkte dafür,
dass der Widerstand des sächsischen Stammes gegen die Ostpolitik allgemein
gewesen sein muß und eine schwere Belastung für die Politik
HEINRICHS
II. darstellte. Trotz dieser Eigenart der Darstellung Thietmars,
die noch verständlicher wird, wenn man berücksichtigt, dass er
ja noch zur Zeit der Polen-Kriege seine Chronik schrieb, ergeben sich zumindest
indirekte Hinweise auf die Haltung der BILLUNGER.
Es wurde schon erwähnt, dass Bernhard I. am
Beginn der Auseinandersetzungen Boleslaw Chrobry
zu Hilfe kam. Nach dem Aufstand seines Verwandten Heinrich von Schweinfurt
erscheint Bernhard ferner im Jahre 1004 zusammen mit dem Erzbischof
Tagino von Magdeburg beim König als Fürsprecher für den
Markgrafen. Die Intervention hatte jedoch keinen Erfolg: HEINRICH
II. nahm Heinrich in Haft. Erzbischof Tagino wiederum vermittelte
mit anderen namentlich nicht genannten Personen ein Jahr später den
Friedensschluß mit Boleslaw Chrobry.
Als HEINRICH II. diesen Friedensschluß
im Jahre 1007 aufkündigte, gab Thietmar aber Erzbischof Tagino von
Magdeburg die Schuld daran, dass sich der sächsische Adel gegen die
Wiederaufnahme der Kampfhandlungen sträubte. Im Jahre 1009 waren es
dann Herzog Bernhard I. und Probst Walthard, der spätere Erzbischof
von Magdeburg, die als Vermittler zu Boleslaw
zogen,
ohne jedoch ein positives Ergebnis aushandeln zu können. Der Bericht
über die inobedientia Herzog Bernhards II. aus dem Jahre 1015
fügt sich sozusagen nahtlos an die zitierten Nachrichten an: die BILLUNGER
traten in den kriegerischen Aktionen gegen Polen nicht hervor, dafür
jedoch immer dann, wenn es galt, zwischen dem Polenherrscher und HEINRICH
II. zu vermitteln.
Auf Grund ihrer verwandtschaftlichen Bindungen zu den
Boleslaw
besonders nahestehenden Adelsfamilien waren sie für diese Aufgabe
prädestiniert. Neben Heinrich von Schweinfurt erscheinen in den Quellen
die EKKEHARDINER, mit denen die BILLUNGER durch Swanhild,
die Schwester Bernhards I., nah verwandt waren, als besondere Vertrauten
Boleslaws.
Gunzelin,
der Bruder Ekkehards von Meißen, und auch Ekkehards Sohn Hermann
hatten eine Schwester bzw. Tochter Boleslaws
zur Gemahlin. Der Polenherzog selbst wiederum heiratete nach dem Abschluß
der Kämpfe im Jahre 1018 eine Tochter Ekkehards von Meißen.
Die Interessen der EKKEHARDINER waren in den Polenkriegen also zentral
tangiert und es ist nicht verwunderlich, dass berichtet wird, Ekkehard
II. von Meißen und sein Verwandter Werner (G 160) seien im Jahre
1013 des zu vertrauten Verkehrs mit Boleslaw
bezichtigt worden, weshalb ihnen ihre Lehen aberkannt wurden. Aus vielen
Hinweisen läßt sich somit erschließen, dass die BILLUNGER
die Partei ihrer Verwandten ergriffen. Eine derartige Parteinahme erklärt
auch, warum die BILLUNGER in den Polenkriegen nie handelnd erwähnt
werden, warum HEINRICH II. sogar im
Jahre 1012 während seiner Abwesenheit von Sachsen zunächst Erzbischof
Walthard von Magdeburg und dann seine Gemahlin Kunigunde
die
Leitung der ostpolitischen Angelegenheiten übertrug. Der sächsische
Herzog gewährleistete offensichtlich keine adäquate Vertretung
der königlichen Interessen.
Es gelang also, den Berichten Thietmars trotz ihrer Tendenz
Hinweise zu entnehmen, die für eine Beteiligung der BILLUNGER
an
der sächsischen Opposition gegen die Ostpolitik HEINRICHS
II. sprechen. Das Ausmaß dieser Opposition und die Größenordnung
der oppositionellen Kräfte blieb aber, nicht zuletzt auf Grund der
besonderen Lage Thietmars, im Dunkeln. Das Gebetsgedenken der BILLUNGER
verspricht daher neue Erkenntnisse über die Größe und die
Zusammensetzung der sächsischen Opposition. Die sprunghafte Ausweitung
der Gedenkverpflichtungen, wie sie die wachsende Zahl der Necrologeinträge
aus der Zeit der Polenkriege dokumentiert, weist darauf hin, dass die BILLUNGER
gerade in dem zur Frage stehenden Zeitraum über vielfältige Beziehungen
verfügten. Sie standen in einem weiten Geflecht von Verbindungen,
dessen Schwerpunkt in Sachsen lag und dem sowohl weltliche als auch geistliche
Würdenträger angehörten. Es fragt sich daher, ob sich im
Lüneburger Necrolog die unterschiedlichen Parteien aus dem Polenkrieg
zu erkennen geben.
Zum 17. Juni findet sich im Necrolog der Eintrag Herzog
Boleslaw Chrobrys. Der von HEINRICH
II. nachhaltig bekämpfte Polenherrscher wurde also ins
Totengedenken der BILLUNGER aufgenommen. Die BILLUNGER hatten
mit anderen Worten eine Gebetsverbrüderung mit dem 'Reichsfeind' abgeschlossen
und sorgten für dessen Memoria. Als außergewöhnlich, weil
aus dem sonstigen regionalen Einzugsbereich der Necrologeinträge völlig
herausfallend, müssen auch die Einschreibungen der Bischöfe Gaudentius
von Gnesen (+ 1006), Unger von Posen (+ 1012) und in gewisser Weise auch
der des Bischofs Ekkehard von Prag (+ 1023) angesehen werden. Sie dokumentieren
in unterschiedlicher Weise die engen Beziehungen der BILLUNGER zu
Vertretern von Bischofssitzen, denen im Zeitraum der Polenkriege gewiß
höchste Bedeutung zukam. Das exzeptionelle Gewicht dieser Bischofseinträge
erweist sich dadurch, dass weder früher noch später Kontakte
der BILLUNGER zu den genannten Bischofssitzen bezeugt sind. Die
Bedeutung der Einträge wird auch dadurch nicht gemindert, dass Gaudentius
von Gnesen sich mit Boleslaw Chobry
überwarf und das Land mit dem Bann belegte, und dass Unger von Posen,
der zunächst Abt von Memlegen gewesen war, seine letzten Lebensjahre
in Magdeburg verbrachte und wohl auch dort verstarb. Da die Bischöfe
zusammen mit Boleslaw ins Lüneburger
Totengedenken aufgenommen wurden, ist wohl nicht anzunehmen, dass sie auf
Grund ihrer Schwierigkeiten mit dem Polenherzog in Kontakt mit den BILLUNGERN
kamen. Sie spiegeln vielmehr die Dichte der Beziehungen wider, die die
BILLUNGER
durch ihre Verwandtschaft mit den EKKEHARDINERN und durch ihre Vermittlerrolle
in den Polenkriegen gerade mit Würdenträgern aus dem Herrschaftsbereich
Boleslaws
anknüpften.
Auch die Personen, die im Zusammenhang der Polenkriege
von HEINRICH II. wegen landesverräterischer
Beziehungen verurteilt wurden oder von denen aus anderen Gründen hervorragende
Beziehungen zu Boleslaw bekannt sind,
fanden Aufnahme ins billungische Totengedenken.
Dies gilt für den Markgrafen Heinrich von Schweinfurt, die Grafen
Ekkehard II. von Meißen und Werner von Walbeck, sowie für die
Grafen Hodo, Karl und Thiedrich. Dass es sich bei diesen Personen größtenteils
um Verwandte der BILLUNGER
handelt, ist geeignet klarzumachen, wie
umfassend die Opposition gegen HEINRICH II. im
Umkreis der billungischen Familie war.
Folgerichtig fehlen denn auch HEINRICH
II. und seine Gemahlin Kunigunde
im Lüneburger Necrolog. Wir hatten dies schon als Indiz dafür
gewertet, dass Herzog Bernhard I. den Verpflichtungen des Dortmunder
Gebetsbundes nicht nachgekommen sei. Unabhängig von den Bestimmungen
des Gebetsbundes zeigt die sonst lückenlose Reihe der deutschen Könige
und Kaiser von HEINRICH I. bis zu LOTHAR
von Supplinburg im Lüneburger Necrolog, dass im Falle HEINRICHS
II. eine bewußte Auslassung vorliegt. Diese kann nur als
Ausdruck gravierender Divergenzen verstanden werden. Immerhin sorgte sich
gerade dieser Kaiser besonders intensiv um die Sicherung seines Gebetsgedenkens
durch Stiftungen und Gebetsbünde. Er ist daher nicht ohne Grund der
Herrscher, der mit weitem Abstand am häufigsten in Memorialzeugnissen
genannt wird. Sein Fehlen in Lüneburg wiegt somit doppelt schwer.
Auch unter den anderen Würdenträgern des Lüneburger
Necrologs aus der Zeit HEINRICHS II. findet
man keine Person, die man als Vertreter der Partei des Königs ansprechen
könnte. Zu nennen wären unter diesem Blickwinkel allenfalls Unwan
von Hamburg/Bremen, Tagino von Magdeburg und Thietmar von Merseburg, die
in der Forschung als enge Vertraute HEINRICHS
II. gelten. Unwan und Thietmar waren jedoch Verwandte der BILLUNGER,
während die Zusammenarbeit zwischen Erzbischof Tagino und Herzog
Bernhard I. anläßlich der Friedensverhandlungen des Jahres
1005 schon erwähnt wurde. Das besondere Verhältnis der Magdeburger
Erzbischöfe zum Polen-Herzog wird auch dadurch deutlich, dass zwischen
dem Magdeburger Domkapitel und Boleslaw eine fraternitas bestand, Boleslaw
also auch mit dem Magdeburger Kapitel in besonderer Weise verbrüdert
war.
Die Untersuchung der Necrologeinträge präzisiert
also die Haltung der BILLUNGER in der Zeit der Polenkriege. Im Necrolog
zeichnet sich deutlich die Partei der Kräfte des sächsischen
Adels ab, die mit dem Polenherzog verwandtschaftliche Bindungen eingegangen
waren und ihn in der Folgezeit auch politisch unterstützten. Die BILLUNGER,
die ebenfalls verwandtschaftliche Beziehungen zu diesen Personengruppen
hatten, bewahrten Boleslaw in ihrem
Totengedenken und dokumentierten damit ihre Zugehörigkeit zu der 'polenfreundlichen'
Gruppe im sächsischen Adel.
Der Kontrast, der sich durch die Berücksichtigung
Boleslaws
und
das Fehlen HEINRICHS II. im billungischenTotengedenken
zeigt, könnte stärker kaum sein. Noch wichtiger jedoch als die
Beobachtung, dass die BILLUNGER zur oppositionellen Partei des sächsischen
Adels gehörten - dies konnte man ja bereits mit einiger Wahrscheinlichkeit
dem Bericht Thietmars von Merseburg entnehmen - ist jedoch eine andere
Beobachtung. Nach Thietmar handelte es sich bei den Widerständen gegen
die Polenkriege immer um die Verfehlung einzelner. Ein Überblick über
das Ausmaß der Opposition und den Rückhalt der Gegner HEINRICHS
II. im sächsischen Stamm war dagegen verwehrt. Dieser gelingt
nun mit Hilfe des Necrologs in überzeugender Weise. Es lassen sich
im billungischenTotengedenken dieser
Zeit Angehörige der EKKEHARDINER, der Stader Grafen, der Sippe des
Markgrafen Gero, der Markgrafen von Schweinfurt und der flandrischen Grafen
nachweisen. Die bedeutendsten sächsischen Adelsfamilien, und darüber
hinaus vornehmste außersächsische, sind also in dieser Zeit
mit den BILLUNGERN verbunden. Es ist angesichts des vorgeführten
Befundes nicht übertrieben zu behaupten, dass der mächtigste
und einflußreichste Adel in Opposition zur Ostpolitik
HEINRICHS
II. stand. Angesichts der anderen Zeugnisse über die Stellung
der billungischenHerzöge in dieser
Zeit unterliegt es auch keinem Zweifel, dass die
BILLUNGER eine
führende Rolle innerhalb dieser Oppositionsgruppe gespielt haben müssen.
Ein anderes Ergebnis der Necrologanalyse verdient die
gleiche Aufmerksamkeit. Die Forschung hat immer wieder darauf abgehoben,
dass HEINRICH II. im Bündnis mit
der Reichskirche den partikularen Interessen des sächsischen Adels
begegnet sei. Als Beweis für diese These wurden gern die Schwierigkeiten
der BILLUNGER mit der Hamburg/Bremer und der Paderborner Domkirche
angeführt, wo königstreue Bischöfe sich gegen die Übergriffe
der BILLUNGER zur Wehr gesetzt hätten. Die Bischofseinträge
ins Lüneburger Necrolog aus dieser Zeit sprechen jedoch eine andere
Sprache. Der Horizont des Necrologs ist im Hinblick auf die Bischöfe
in der fraglichen Zeit fast rein sächsisch. Innerhalb Sachsens
kann man jedoch eine sprunghafte Zunahme der Kontakte zu den einzelnen
Bistümern konstatieren. Dies zeigt sich schlagend etwa daran, dass
aus der Hälfte aller Bistümer nur ein einziger Bischof ins Lüneburger
Necrolog eingetragen wurde - und dieser lebte zur Regierungszeit HEINRICHS
II. Insgesamt sind allein aus den Jahren 1002 bis 1024 17 sächsische
Bischöfe ins Totengedenken der BILLUNGER aufgenommen worden.
Die für uns in Frage kommende Zahl vergrößert sich noch
etwas dadurch, dass auch diejenigen hinzuzuzählen sind, die von HEINRICH
II. erhoben wurden, jedoch erst nach seinem Tod verstarben.
Die Beziehungen der BILLUNGER zum sächsischen Episkopat, so
ist aus diesem Befund zu folgern, waren nie intensiver als zur Regierungszeit
HEINRICHS
II. Durch die räumliche Beschränkung auf Sachsen deutet
sich an, dass die Verbindungen zu den kirchlichen Würdenträgern
durchaus auch politisch zu interpretieren sind. Die Opposition gegen die
Ostpolitik HEINRICHS II. war also in
Sachsen offensichtlich breit verankert und beschränkte sich nicht
auf die laikalen Gruppen. Zumindest gab es keinen tiefergehenden Gegensatz
zwischen der Opposition und dem größten Teil des sächsischen
Episkopats.
Angesichts dieser Beobachtungen stellt sich die Frage
nach dem Charakter der Polenkriege erneut. Häufig hat man den nationalen
Charakter der Auseinandersetzungen betont. Boleslaw
Chrobry
erschien in dieser Sicht als der Schöpfer eines
jungen, expansiven und aggressiven polnischen Nationalstaates und auch
die Handlungsweise
HEINRICHS II. schien
geprägt vom "Eisenhauch nationaler Interessenpolitik". Dagegen hat
schon Herbert Ludat auf die verwandtschaftlichen Verbindungen der EKKEHARDINER
und PIASTEN hingewiesen und betont,
dass die Kämpfe mit nationalstaatlichen Kategorien kaum adäquat
zu erfassen seien.
Dieses Urteil wird durch unsere Untersuchungen vollauf
bestätigt. Nicht nur die Verwandten Boleslaws
lehnten die neue Ostpolitik HEINRICHS II. ab,
sondern die entscheidenden politischen Kräfte Sachsens insgesamt.
Ein besonderer Grund dieser Ablehnung ist wohl im Bündnis des Herrschers
mit den heidnischen Liutizen zu sehen, das die sächsische Kirche ihrer
Misssionsaufgaben, den sächsischen Adel der Tributzahlungen beraubte.
Es ist jedoch auch zu fragen, ob dieses außergewöhnliche Bündnis
nicht erst dadurch notwendig wurde, dass die Ablehnungsfront in Sachsen
sich bereits zu Beginn der Regierungszeit HEINRICHS
II. fest formiert hatte. Die Antwort auf die Frage nach den
agierenden und regierenden Kräften in Sachsen zu Beginn des 11. Jahrhunderts,
die Frage nach Ursache und Wirkung also, steht noch aus.
Als Gesamteindruck vermittelt das Totengedenken der BILLUNGER
jedenfalls eindeutige Hinweise auf den Rückhalt des Herzogsgeschlechts
im sächsischen Stamm zur Regierungszeit HEINRICHS
II. Auf der Grundlage der verwandtschaftlichen Bindungen zu
allen wichtigen Adelsfamilien Sachsens und auf der Basis ausgezeichneter
Beziehungen zu den sächsischen Bischöfen konnten die BILLUNGER
ihre Distanz zum Königtum durchhalten. Ihre Position blieb unangreifbar,
selbst als sie in den Jahren 1019/20 zu offener Auflehnung übergingen.
Der Friede wurde durch die Vermittlung von Reichsbischöfen, die zudem
bezeichnenderweise Verwandte der BILLUNGER waren, schnell wieder
hergestellt, ohne dass die Erhebung Konsequenzen für die BILLUNGER
gehabt
hätte. Überhaupt sucht man in der Forschung vergeblich Antwort
auf die Frage, wie HEINRICH II. der
für ihn nicht ungefährlichen Machtkonzentration in den Händen
der BILLUNGER begegnete. Während man die Verhandlungen von
Merseburg im Jahre 1002, die zur 'Nachwahl' HEINRICHS
II. führten, und auch den Dortmunder Gebetsbund vom Jahr
1005, zu den Aktionen HEINRICHS rechnen
darf, mit denen er eine politische Unterstützung seines Königtums
durch die relevanten Kräfte Sachsens zu erreichen suchte, sind Reaktionen
HEINRICHS
auf die sächsische Opposition gegen sein Königtum und seine Ostpolitik
eher spärlich. Gewiß verloren einige Grafen, die der landesverräterischen
Beziehungen, was immer man sich darunter vorstellen mag, zu Boleslaw Chrobry
überführt werden konnten, ihre Lehen. Namentlich die BILLUNGER
einen von solchen Maßnahmen jedoch nicht betroffen gewesen zu sein.
Dass dem nicht so war, zeigen zwei Episoden, die von
der Forschung in diesem Zusammenhang bisher nicht gewürdigt wurden.
Es war schon die Rede davon, in welch hohem Grade das Bistum Verden im
Einflußbereich des billungischen
Geschlechts lag. Seit dem Beginn des 10. Jahrhunderts waren entweder Verwandte
der BILLUNGER dort Bischöfe gewesen oder Verwandte der Sippe
hatten ihnen nahestehende Personen für das Verdener Bischofsamt vorgeschlagen
und ihre Vorstellungen auch durchgesetzt. Da die BILLUNGER außerdem
die Vogtei des Bistums in den Händen hatten, gehörte eine ihnen
genehme Besetzung des Bischofsstuhles naturgemäß zu ihren elementaren
Interessen. Als nun Bischof Bernhard von Verden, wahrscheinlich im Jahre
1014, verstarb, setzte HEINRICH II. in
kürzester
Zeit einen Vertrauten als Bischof ein, der kaum der Kandidat der BILLUNGER
gewesen sein dürfte. Der neue Bischof, Wigger, war nämlich kurz
davor als Kölner Dompropst von dem dortigen Erzbischof Heribert abgesetzt
worden. Dieser Heribert gehörte bekanntlich seit dem Beginn der Regierungszeit
HEINRICHS
II. zu dessen ausdauerndsten Gegnern. Die Tatsache der Absetzung
Wiggers durch Heribert und die direkt abschließende Promotion auf
den Verdener Bischofssitz durch HEINRICH II. erlaubt
wohl, in Wigger einen besonderen Vertrauten des Kaisers zu sehen, der zudem
allen Grund hatte, sich dem Herrscher dankbar zu erweisen. Die Kürze
der Sedisvakanz in Verden, vom 26. Juli bis zum 24. August läßt
wohl kaum zu, dass der Kaiser sich vorher mit den BILLUNGERN
verständigte.
Die Besetzung des Verdener Bischofssitzes kann daher nur als Versuch interpretiert
werden, das Anwachsen der billungischenMacht
dadurch einzudämmen, dass ein Anhänger und Vertrauter des Herrschers
in die Schlüsselstellung des Verdener Bischofsamtes eingesetzt wurde.
Noch deutlicher zeigte sich die Konsequenz der kaiserlichen
Politik gegen die BILLUNGER, als 1016 Wichmann III. im westlichen
Sachsen ermordet wurde. Der BILLUNGER Herzog Bernhard II.
übernahm nicht nur die Vormundschaft über den unmündigen
Sohn Wichmanns, sondern strebte mit allen Mitteln nach der Bestrafung der
Mörder und ihrer Auftraggeber, zu denen neben Adela auch ihr Gemahl
Balderich gerechnet wurde. Durch die Zusammenarbeit HEINRICHS
II. und Erzbischof Heriberts von Köln, der der Lehnsherr
Balderichs war, wurde jedoch die Bestrafung Balderichs trotz der nachhaltigen
Bemühungen Bernhards verhindert. Sieht man hieran, wie wenig
der Kaiser geneigt war, selbst den nach Ansicht der Zeitgenossen höchst
berechtigten Forderungen der BILLUNGER nachzukommen, so hatte er
eine andere Konsequenz aus den Vorgängern schnell gezogen: Schon
am 26. März des Jahres 1017, also ein halbes Jahr nach dem Tode
Wichmanns
III., erhob er das Kloster Kemnade zum Reichskloster und gewährte
ihm die freie Vogtwahl. Diese Urkunde hob eine vorhergehende Urkunde vom
2. November 1002 auf, in der noch ausgesagt wird, dass das Kloster bis
zum Tode der beiden Stifterinnen Frideruna und Imma, die
man wohl zurecht der billungischen
Sippe zurechnet, in deren Besitz bleiben solle. Auch von der freien Vogtswahl
ist in dieser Urkunde noch nicht die Rede. Es ist daher kaum wahrscheinlich,
dass die Erhebung Kemnades zum Reichskloster mit dem Tode der beiden Gründerinnen
direkt zusammenhängt. Alles deutet vielmehr darauf hin, dass Wichmann
III. der Kemnader Vogt gewesen ist - er gehörte ja wie Frideruna
und Imma nach Meinung der Forschung zu den Nachkommen Wichmanns
des Älteren. Seinen Tod scheint also der Kaiser sofort ausgenutzt
zu haben, um das Kloster aus dem Machtbereich der BILLUNGER herauszulösen.
Die geschilderten Eingriffe HEINRICHS
II. in die billungische
Einflußsphäre in Verden und Kemnade, verbunden mit der Protektion,
die der Kaiser den Mördern Wichmanns
angedeihen ließ,
kennzeichnen Stationen einer Politik der systematischen Beschneidung der
Macht des sächsischen Herzogsgeschlechtes, wo immer sich die Möglichkeit
dazu bot. Es fällt schwer, die sogenannten Aufstände der BILLUNGER
in den Jahren 1019/20 nicht in diesem Zusammenhang zu sehen und auch als
Reaktion auf die geschilderten Vorgänge zu interpretieren. Die BILLUNGER
suchten
die Fehde, da sie vom Kaiser ihr Recht auf die Bestrafung des Mörders
eines Verwandten verweigert glaubten.
Ist also in der Handlungsweise
HEINRICHS II. eine konsequente Zielsetzung nicht zu verkennen,
so läßt sich gleiches bei den billungischen
Aktionen der fraglichen Zeit ebenfalls bemerken. Verfolgt man den kaiserlichen
Reiseweg des Jahres 1020, so fällt auf, dass HEINRICH
II. im Sommer des Jahres gegen den aufständischen Balduin
von Flandern zog und Gent belagerte. Über die Ursachen dieses Feldzuges
sagen die Quellen nichts aus. Da Balduin von Flandern jedoch ein Verwandter
der BILLUNGER war und er, wie auch seine Gattin Otgiva, im Lüneburger
Necrolog begegnet, ist zumindest nicht unwahrscheinlich, dass der Zeitpunkt
einer Erhebung in Abstimmung mit den billungischenVerwandten
gewählt wurde, die sich, wie gesagt, im gleichen Jahr ebenfalls gegen
HEINRICH II. erhoben. Die anzunehmende
Koordination ist geeignet, das Ausmaß und die Gefährlichkeit
der Opposition gegen HEINRICH II. noch
einmal nachhaltig vor Augen zu führen.
Will man angesichts der geschilderten Ereignisse die
Frage nach Aktion und Reaktion im Verhältnis der BILLUNGER
zum Königtum beantworten, so ist festzustellen, dass beide Parteien
eine von ihrem Standpunkt aus konsequente Politik betrieben: die BILLUNGER
durch
das planmäßige Zusammenwirken mit ihrer weitverzweigten Verwandtschaft
und durch eine Opposition, die dem Kaiser offensichtlich keine Möglichkeit
eines zentralen Eingriffs in ihren Herrschaftsbereich bot; der Kaiser dagegen
durch das Ausnutzen jeder Möglichkeit, seinen Einfluß zu verstärken.
Fassen wir zusammen: Erst durch die Einbeziehung des
Lüneburger Necrologs ließ sich die Politik des billungischenGeschlechts
in der Regierungszeit HEINRICHS differenzierter
beurteilen. Der Personenkreis des Totengedenkens machte die Distanz der
BILLUNGER
zum Herrscher und deren Zugehörigkeit zu den oppositionellen Kräften
Sachsens in vollem Umfang sichtbar. Vor diesem neuen Hintergrund erschienen
andere, bisher unbeachtete und scheinbar unwesentliche Angaben der Quellen
nun gleichfalls in einem neuen Licht. Es konnte die konsequente Abkehr
der
billungischen Politik vom Königtum
und die Aktionen HEINRICHS zur Begrenzung
des billungischen Machtbereichs gezeigt
werden. Einen Sieger gab es in dieser mit diplomatischen, rechtlichen und
zum Schluß auch mit militärischen Mitteln geführten Auseinandersetzung
nicht. Während HEINRICH die Opposition
der BILLUNGER nicht zuletzt den langwierigen und erfolglosen Aufwand
der Polenkriege bescherte, spürten auch die BILLUNGER gerade
in der Endphase der Regierungszeit HEINRICHS II.,
was es bedeutete, den Kaiser nicht zum Partner, sondern zum Gegner zu haben.
Dennoch sah das beginnende 11. Jahrhundert die BILLUNGER
auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Schon im Jahre 1002 hatten sie selbstbewußt
einen Verwandten, Ekkehard von Meißen, als Thronprätendenten
präsentiert. Die Bemerkung Adalbolds von Utrecht, Herzog Bernhard
I. habe zu den mächtigsten Männern des Reiches gezählt,
und er sei lediglich zu klug gewesen, selbst die Königswürde
anzustreben, ist wohl auch so zu verstehen, dass eine Königskandidatur
durchaus im Bereich des Denkbaren und Möglichen lag. Bernhard I.
stand
jedoch im Jahre 1002 bereits in einem höheren Alter, so dass das Zurücktreten
zugunsten eines jüngeren Verwandten und die Unterstützung desselben
verständlich und sinnvoll erscheint. Eindrucksvoll zeigt in jedem
Fall der Personenkreis des billungischen
Totengedenkens in dieser Zeit, wie verankert diebillungische
Macht in Sachsen war und wie gefährlich eine solche Konstellation
werden mußte, wenn sich kein Ausgleich zwischen den Interessen des
Königtums und des sächsischen Stammes erzielen ließ.
e) Versuche des Ausgleichs und Verschärfung der Opposition:
Die Billunger unter den Saliern
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Man sieht gerade am Diagramm der Bischofseinträge
sehr deutlich, dass mit dem Tode HEINRICHS II.
eine Zäsur hinsichtlich der Aufnahme von Bischöfen ins billungischeTotengedenken
gegeben ist. Schon zu Beginn der SALIER-Zeit
gingen allem Anschein nach die engeren Beziehungen, die die BILLUNGER
in der Regierungszeit HEINRICHS II.
zu den sächsischen Bischöfen geknüpft hatten, verloren.
Erhalten blieben sie in Sachsen lediglich zu einigen wenigen Bistümern,
die zumeist den Herrschaftszentren der BILLUNGER benachbart waren.
Ähnlich wie bei den Bischöfen zeigt das Diagramm
der weltlichen Würdenträger eine abnehmende Frequenz der Einträge.
Zwar sind bis zum Ende des 11. Jahrhunderts weiterhin Angehörige und
Verwandte der billungischen Familie
im Gebetsgedenken bewahrt worden, doch bleiben diese Einträge, von
wenigen Ausnahmen abgesehen, die einzigen, die das Weiterbestehen der Praxis
des Totengedenkens belegen. Sie sind nicht mehr geeignet, Erkenntnisse
zuzulassen, die über das aus anderen Quellen bekannte Wissen über
die BILLUNGER in der Endphase ihrer Geschichte hinausgingen. Lediglich
aus der frühen
SALIER-Zeit sind
im Lüneburger Necrolog noch einige Bischöfe verzeichnet, die
Aufschlüsse über die Entwicklung des Verhältnisses der BILLUNGER
zum Königtum und zur Reichskirche ermöglichen. Sie erlauben zumindest
einige Hinweise auf das Verhältnis KONRADS
II. zu den BILLUNGERN und dem sächsischen Stamm,
über das bisher wenig bekannt ist.
An der Wahl KONRADS II.
in Kamba und seiner Krönung in Mainz hatte sich der sächsische
Stamm, wie schon an der Wahl HEINRICHS II.,
nicht beteiligt. Allerdings verlautet in diesem Fall nichts davon, dass
die Sachsen einen eigenen Kandidaten aufgestellt hätten. Die Anerkennung
des neuen Königs wurde vielmehr Weihnachten 1024 in Minden nachgeholt.
Mit der Wahl des SALIERS verlor Sachsen
an Gewicht in der Reichspolitik. Die Forschung konstatiert denn auch ein
indifferentes Verhältnis des ersten Königs aus dem salischen
Hause zum sächsischen Stamm. Sie verweist im Zusammenhang der Ostpolitik
auf die Kündigung des Liutizenbündnisses und auf die Wiedereinführung
der slawischen Tribute. Der neue König kam also in der Ostpolitik
den Sachsen ein Stück weit entgegen und revidierte die Politik seines
Vorgängers nach sächsischen Wünschen. Doch ist zurecht betont
worden, dass die Quellenlage eine genauere Rekonstruktion der Ostpolitik
KONRADS
II. bisher vereitelt hat. Auch über das spezielle Verhältnis
der BILLUNGER
zu KONRAD II.
schweigen die bisher herangezogenen Quellen. Immerhin ist bemerkenswert,
dass er der einzige Herrscher des 11. Jahrhunderts ist, gegen den die billungischeFamilie
keinen Aufstand unternahm.
Befragt man das Necrolog, so fällt zunächst
ins Auge, dass nicht nur KONRAD II.
zu seinem Todestag begegnet, sondern dass auch dessen Gemahlin Gisela zum
15. Februar verzeichnet ist. Sie ist neben der Gemahlin
HEINRICHS I., Mathilde, und der Gemahlin LOTHARS
von Supplinburg, Richenza,
die einzige deutsche Herrscherin im Lüneburger Necrolog. Da bei Mathilde
und Richenza verwandtschaftliche Gründe
für die Aufnahme ins Gedenken angeführt werden können, ist
der Eintrag Giselas, für den Gleiches
nicht gelten kann, also als außergewöhnlich zu bewerten. Er
signalisiert eine Verbesserung der Beziehungen der BILLUNGER zum
Königtum in der Frühphase der SALIER-Zeit.
Dieser erste Eindruck wird durch die Untersuchung der anderen Personen
aus der gleichen Zeit nachhaltig bestätigt.
Hierbei kommt der Interpretation der Bischofseinträge
eine hervorragende Bedeutung zu. Wie gesagt, nahm der intensive Kontakt
der BILLUNGERzu den sächsischen Bischöfen nach dem Tode
HEINRICHS
II. verhältnismäßig schnell ab. Er blieb nach
dieser Zeit überhaupt nur zu den Bistümern Hamburg/Bremen, Verden,
Hildesheim und Münster erhalten, während die Nachfolger der anderen
Bischöfe, die in der Zeit HEINRICHS II. in
das Lüneburger Necrolog eingetragen wurden, hierin nicht mehr vertreten
sind. Man muß diesen Umschwung sicher als genau so gravierend ansehen
wie die plötzliche Ausweitung der
billungischen
Beziehungen zu Beginn des 11. Jahrhunderts.
Neben dieser Schrumpfung des Beziehungsnetzes ist jedoch
andererseits eine Ausweitung insofern zu bemerken, als in der Regierungszeit
KONRADS
II., wie das Necrolog zeigt, andere Reichsbischöfe mit
den BILLUNGERN in näheren Kontakt getreten sind. Sie stammen
aus Diozösen, die in der Regierungszeit
HEINRICHS
II. nicht im Lüneburger Necrolog vertreten waren. Im Diagramm
fallen sie nicht direkt ins Auge, da sie zum Teil erst nach dem Tode KONRADS
II. verstarben. Es handelt sich vor allem um die Bischöfe
Pilgrim von Köln (+ 1036), Brun von Würzburg (+ 1045), Bardo
von Mainz (+ 1051) und Hermann von Köln (+ 1056). 2 von ihnen, Brun
und Bardo, waren Verwandte des salischen
Herrscherpaares; alle Genannten sind als besondere Vertraute KONRADS
II. anzusprechen. In diesem Zusammenhang ist auch auf einen
weiteren Verwandten KONRADS hinzuweisen,
und zwar auf Brun von Toul, der als Leo IX. (+ 1054) die Papstwürde
erlangte. Auch er erscheint zu seinem Todestag im Lüneburger Necrolog.
Gerade eine Kontaktaufnahme der BILLUNGER mit diesem Papst scheint
schwer erklärbar, wenn man nicht dessen enges Verhältnis zu den
SALIERN
berücksichtigt. Dies um so mehr, als mit Papst Clemens II. (+ 1047)
ein
weiterer Papst eingetragen ist, der als Vertrauter KONRADS
II. gelten kann, aus dessen Hofkapelle er aufstieg.
Diesen 6 Bischöfen ist also gemeinsam, dass sie
in einem engen Vertrauensverhältnis zum ersten salischen Herrscher
standen und entscheidend an der Ausrichtung der Politik KONRADS
beteiligt
waren. Da sie nicht in sächsischen Diozösen amtierten, ist ihre
Aufnahme ins billungische Totengedenken
angesichts der sonstigen Beschränkungen auf sächsische Personen
seitens der BILLUNGER muß daher in Zusammenhang mit der Vertrauensstellung
gesehen werden, die gerade diese Bischöfe bei
KONRAD
II. hatten. Es findet sich allem Anschein nach der Beraterkreis
des 1. SALIERS nicht zufällig
im Lüneburger Necrolog, sondern die Bischöfe wurden dort verzeichnet,
weil sie als Berater des Herrschers auch in Kontakt mit den BILLUNGERN
gekommen waren. Wir können also feststellen: Parallel zu dem Wiederanknüpfen
der Verbindungen mit dem Königtum vollzog sich eine vollständige
Veränderung der billungischenBeziehungen
zu den Reichsbischöfen. Die fast lückenlose Nennung sächsischer
Bischöfe, wie sie in der Regierungszeit HEINRICHS
II. erreicht wurde, ist nicht durchgehalten. Ausgeweitet wurden
jedoch die Beziehungen zu außersächsischen Bischöfen. In
der frühen SALIER-Zeit treten
uns also zwar quantitativ erheblich weniger Bischöfe im billungischen
Totengedenken entgegen, diese sind jedoch höchst bedeutsam, da es
sich um die wichtigsten Ratgeber des Königs handelt. Der Schluß,
dass es in der Regierungszeit KONRADS II.
zu einem Ausgleich zwischen den BILLUNGERN und dem Herrscher gekommen
ist, wird durch diese Gebetsbeziehung zwingend nahegelegt.
Er erhält eine willkommene Bestätigung durch
die Beziehungen, die KONRAD II. zu
den Söhnen des Markgrafen Ekkehard von Meißen, Hermann und Ekkehard
knüpfte. Sie dokumentieren sich vor allem in der Verlegung des Bistums
Zeitz in die Naumburg, die auf Eigengut der Markgrafen von Meißen
erbaut worden war. Der Plan der Verlegung entsprach mit einiger Sicherheit
den Wünschen der EKKEHARDINER, die auf diese Weise ein Zentrum der
Memoria für ihren ermordeten Vater schaffen wollten, dessen Gebeine
sie auch nach der Transferierung des Bistums nach Naumburg überführten.
Im Westchor des Naumburger Domes zeugen noch heute die Figuren der Stifter
von der Memoria - Intention der Verlegung. Die Bemühungen der Brüder
erscheinen um so verständlicher, als sie selbst keine Kinder hatten.
Die weitere Pflege der Memoria ihrer verstorbenen Ahnen und ihre eigene
war also nicht gesichert. Sie konnte wohl am besten dadurch dauerhaft verankert
werden, dass man eine geistliche Gemeinschaft, wie etwa ein Domkapitel,
zu dieser Aufgabe verpflichtete. Das drohende Aussterben einer Familie
hat im Mittelalter im übrigen nicht selten Anlaß gegeben, die
Memoria durch besondere Stiftungen zu sichern.
Zur Durchführung dieses Plans war jedoch nicht nur
die Zustimmung des betroffenen Bischofs Hildeward von Zeitz nötig,
sondern auch die des Magdeburger Erzbischofs, des Papstes und des Königs.
Es genügt auf die Schwierigkeiten, die OTTO
DER GROSSE im Zusammenhang mit der Gründung Magdeburgs,
HEINRICH
II. bei der Gründung Bambergs hatte, hinzuweisen, um deutlich
zu machen, dass hier kein einfaches Vorhaben angegangen wurde. Dies mag
wohl auch die ungewöhnliche Beobachtung erklären, dass die beiden
ekkehardinischen Brüder 1026 als einzige laikale Große des Reiches
bei der Kaiserkrönung KONRADS II.
in Rom bezeugt sind. Es spricht wohl viel dafür, dass schon bei dieser
Gelegenheit die päpstliche Zustimmung eingeholt werden sollte. Jedenfalls
zeigen die Aktivitäten um die Verlegung des Bistums die EKKEHARDINER
in so engem Kontakt mit KONRAD II.,
dass man von einer grundlegenden politischen Neuorientierung sprechen kann,
die sich seit dem Tode HEINRICHS II.
ereignet haben muß.
Als Grund für die Verlegung des Bistums, der auch
vor dem kanonischen Recht bestehen konnte, gab man seine Gefährdung
durch die Einfälle der Slawen an. Und diese schien in der Tat gegeben
zu sein, da Mieszko von Polen gerade
im Jahre 1028 einen ausgedehnten Raubzug in den Gebieten zwischen Elbe
und Oder unternahm. Noch 1028 jedenfalls holten Boten die päpstliche
Zustimmung ein, die auch gegeben wurde: 1032 besiegelte KONRAD
II. durch eine königliche Schenkung die Verlegung.
Die in so kurzer Zeit durchgeführte Transferierung
des Bistums setzt eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten und
Betroffenen voraus; sie ist also ein hervorragendes Zeugnis für das
Einvernehmen zwischen KONRAD II. und
den EKKEHARDINERN. Da BILLUNGER und EKKEHARDINER aber verwandtschaftlich
verbunden waren und im endenden 10. Jahrhundert und in der Regierungszeit
HEINRICHS
II. sehr häufig gemeinsam ihre politischen Interessen vertreten
hatten, kann man wohl davon ausgehen, dass das gute Einvernehmen mit dem
salischen
Herrscher auch für die
BILLUNGER gilt. Diese Annahme findet
in den Befunden des Lüneburger Necrologs nun eine wertvolle Stütze:
Neben KONRAD II., seiner Gemahlin Gisela
und seinen Ratgebern finden sich im Necrolog auch der Bischof Hildeward
von Zeitz/Naumburg und viele Familienmitglieder der EKKEHARDINER.
Fragt man ferner nach den Motiven KONRADS
II. für diese auffallende Unterstützung der Markgrafen
von Meißen, stößt man auf die Nachricht Hermanns von der
Reichenau, der den Tod des Markgrafen Ekkehard so meldet: Eggehardus marchio
ditissimus subiti moriens, praediorum suorum regen reliquit heredem. Es
scheint, als seien bei der Verlegung des Bistums von Zeitz nach Naumburg
die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt worden: Der Adelsfamilie
wurde eine Stätte angemessener Memoria für ihre Angehörigen
eingerichtet, das Reichsbistum mit Teilen des ekkehardinischen Besitzes
dotiert, und die Verfügungsgewalt über den übrigen Besitz
erhielt der König.
Die guten Beziehungen zum salischen
Herrscherhaus hielten die BILLUNGER offensichtlich nicht lange aufrecht.
Schon aus der Regierungszeit HEINRICHS III.,
zum Jahre 1048, wird berichtet, dass der BILLUNGER Thietmar einen
Mordanschlag auf den Herrscher geplant habe. Im gerichtlichen Zweikampf,
der Thietmar
auf Grund dieses Vorwurfes abverlangt wurde, unterlag
der BILLUNGER und wurde getötet. HEINRICH
III. nutzte, wie vor ihm schon HEINRICH
II. in ähnlicher Situation, die Lage zur Beschneidung derbillungischen
Macht. Zwar sind die Hintergründe dieser Auseinandersetzung wiederum
verborgen, doch wird allgemein angenommen, dass die BILLUNGER in
Konflikt mit der Hamburg/ Bremer Kirche gerieten, deren Erzbischöfe
die Unterstützung des Königs genossen. In Hamburg hatte im Jahr
1043 Erzbischof Adalbert den Erzstuhl bestiegen, von dessen Kampf gegen
die BILLUNGER der Domkleriker Adam in seiner Geschichte der Hamburger
Kirche ausführlich zu berichten weiß. Bei ihm erscheinen die
BILLUNGER
schon seit alters her als die heftigsten Verfolger und notorischen Feinde
der Hamburger Kirche. Hierin widersprechen ihm die Lüneburger Necrologbefunde
nachdrücklich, die nachweisen, dass bis zum Jahre 1035 kontinuierliche
Gebetsbeziehungen zwischen den Erzbischöfen und der billungischen
Familie bestanden. Danach scheinen die Verbindungen jedoch in der Tat nachhaltig
gestört gewesen zu sein, denn nach 1035 begegnet bis zum Aussterben
der BILLUNGER kein Hamburger Erzbischof mehr im Lüneburger
Necrolog.
Gründe für den massiven Konflikt der BILLUNGER
mit dem Hamburger Erzbischof Adalbert ergeben sich vor allem aus dessen
Bemühen, den gewachsenen Einfluß der Herzogsfamilie im Bereich
seines Bistums zurückzudrängen und in größerem Umfang
die Grafschaften in seinem Sprengel in den Besitz der Kirche zu bringen.
Diese Politik tangierte die Interessen der BILLUNGER
und anderer
sächsischer Adelsfamilien zentral. Die Unterstützung, die Adalbert
vom salischen Herrscherhaus erhielt,
trug daher zur Konfrontation des sächsischen Adels mit dem Königtum
bei.
Die sich unter HEINRICH III.
anbahnenden Konflikte mit dem salischen Königtum
wurden vom sächsischen Adel immerhin so gravierend angesehen, dass
man schon nach dem Tode HEINRICHS III.
überlegte, ob man nicht dessen unmündigem Sohn das Königtum
verweigern solle, um ihn zu hindern, die Politik seines Vaters fortzuführen.
Die Interessengegensätze entluden sich bekanntlich später in
den Sachsenkriegen HEINRICHS IV. Obwohl
die billungische Beteiligung an diesen
Auseinandersetzungen durchaus greifbar ist - so wurde etwa Herzog Magnus
längere Zeit von HEINRICH IV.
gefangen gehalten und der König besetzte im Verlaufe der Kämpfe
sogar die Lüneburg -, geben die Lüneburger Necrologeinträge
keinen genauen Einblick in die billungischenVerbindungen
während dieser Krisenzeit. Zwar steht außer Zweifel, dass das
Necrolog weitergeführt wurde, doch ist kaum glaubhaft, dass die wenigen
Einträge aus dieser Zeit einen repräsentativen Überblick
über die billungischenBeziehungen
geben. In der Forschung wurde zwar schon häufiger darauf hingewiesen,
dass die BILLUNGER im Verlauf des 11. Jahrhunderts - und namentlich
in den Sachsenkriegen - in der Führung des sächsischen Stammes
immer weiter zurückgetreten seien , doch scheint der Grund für
die Verminderung der Necrologeinträge eher darin zu suchen zu sein,
dass das Totengedenken des Lüneburger Konvents nicht mehr in gleicher
Intensität wie in früheren Zeiten das Beziehungsfeld der billungischen
Familie erfaßte. Dies erlaubt mittelbar natürlich auch eine
Aussage über den Rückgang des billungischenEinflusses,
aber eben nur mittelbar.
Es läßt sich nicht genau erkennen, warum der
politische Einfluß der BILLUNGER im endenden 11. Jahrhundert
abnahm und auch die Intensität ihres Totengedenkens zurückging.
Doch verbietet der Befund, die Nachrichten des Lüneburger Necrologs
für die Geschichte der BILLUNGER in der 2. Hälfte des
11. Jahrhunderts überzubewerten. Der enge Kreis der aus dieser Zeit
in das Necrolog eingetragenen Personen gibt keine ausreichenden Möglichkeiten
zu einer differenzierten Beurteilung der
billungischen
Beziehungen in dieser Zeit. Es handelt sich nur um einen Ausschnitt aus
dem realen Beziehungsfeld der Herzogsfamilie, ohne dass wir feststellen
könnten, nach welchen Kriterien man bei einer Auswahl der Personen
verfuhr. Den Untersuchungen der Forschung zu den Problemen der Sachsenkriege
und der billungischenGeschichte im
ausgehenden 11. Jahrhundert ist durch die Bearbeitung des Necrologs jedenfalls
wenig Neues hinzuzufügen. Ausschließen läßt sich
allerdings auch nicht, dass der festzustellenden Rückgang des politischen
Einfluß' und die Verminderung der Intensität des Totengedenkens
in einem Zusammenhang stehen könnten. Man kann jedoch nur mit aller
Vorsicht darauf hinweisen, dass die Koinzidenz beider Phänomene auf
die gleichen Ursachen deutet. Diese selbst sind jedoch nicht mehr zu eruieren.
5. Zusammenfassung
---------------------------
Auf Grund der vorgelegten Beobachtungen und Untersuchungen
erweist sich das Lüneburger Necrolog als ein wichtiges Zeugnis für
die Geschichte der billungischen Familie.
Es darf den Charakter eines 'Selbstzeugnisses' beanspruchen, da außer
Zweifel steht, dass die Familie als der Stifter und Initiator des Gedenkens
anzusprechen ist. Nach der Gründung des Michaelsklosters übernahm
die Mönchsgemeinschaft in Lüneburg die Aufgabe, für die
verstorbenen Angehörigen, Verwandten und Freunde der billungischen
Familie das Totengedenken zu leisten. Für die zur Gedenkleistung nötigen
materiellen Voraussetzungen sorgten die Mitglieder der Herzogsfamilie.
Sie taten dies in so ausreichendem Maße, dass noch im 13. Jahrhundert,
also lange nach dem Aussterben der BILLUNGER, an deren Angehörigen
in Lüneburg in gleich feierlicher Weise gedacht wurde wie der verstorbenen
Äbte des Konvents von St. Michael selbst.
Es zeigte sich aber auch, dass die Anfänge des Gedenkens
früher anzusetzen sind als die Gründung des Michaelsklosters.
Sie gehörten also ursprünglich in einem anderen Zusammenhang
und sind später dem Konvent von St. Michael zur Bewahrung und zum
Vollzug übergeben worden. Diese älteren Traditionen weisen in
die Richtung der Nachfahren Widukinds, mit denen die frühen BILLUNGER
offenbar
verwandtschaftlich verbunden waren. Im Bereich dieser Verwandtengruppe,
die vor allem in Personen faßbar wird, die hohe geistlich Ämter
innehatten, entstand die älteste Schicht des Gedenkens. In einer 2.
Phase dominierten die Verbindungen, die die Nachkommen
Wichmanns des
Älteren, der jüngere Wichmann und Egbert, knüpften.
Wir haben also verschiedene Stufen des Gedenkens der adeligen Verwandtengruppe
zu unterscheiden, die für die Geschichte dieser Verwandtengruppe wichtig
sind. An welchen Orten die Traditionen begründet wurden, ist nicht
mehr zu eruieren. Sie sind vielmehr nur deshalb überliefert, weil
sie innerhalb der Verwandtengruppe weitergegeben wurden und sich immer
wieder Personen fanden, die sich zum Gedenken an die aufgezeichneten Personen
verpflichtet fühlten.
Das im Zuge des Herrschaftsbildung der Herzogsfamilie
installierte Hauskloster St. Michael in Lüneburg diente also nicht
nur der Ableistung aktueller Gedenkverpflichtungen der Klostergründer.
Es trat auch ein in die Bewahrung älterer Traditionen. Diese wären
jedoch unzureichend, wenn nicht gar falsch charakterisiert, wenn man sie
einfach als 'billungisches'Totengedenken
apostrophieren wollte. Es empfiehlt sich vielmehr, den Begriff 'BILLUNGER'
nur auf die Angehörigen des Herzogsgeschlechts anzuwenden. Dies ist
charakterisiert durch das Herzogsamt, den Stammsitz Lüneburg und das
Hauskloster St. Michael, das als Grablege des Geschlechts fungierte. Bei
den anderen Personengruppen, den 'Nachfahren Widukinds' und den Nachkommen
Wichmanns des Älteren handelt es sich dagegen um Vorfahren und Verwandte
der 'BILLUNGER'. Diese erwuchsen aus der Verwandtengruppe, sie erbten
deren Besitz und konnten die Vornehmheit des Geblüts für sich
reklamieren. Da sie sich in der Tat als die Erben der Verwandtengruppe
und die Nachfahren Widukinds fühlten, beweist nichts deutlicher als
die Tatsache, dass sie in deren Verpflichtungen zum Totengedenken eintraten.
Da man das Zentrum des Totengedenkens auch als den Mittelpunkt
eines Bewußtseins der verwandtschaftlichen Zusammengehörigkeit
ansprechen muß, und dieser Mittelpunkt nicht zuletzt eine Führungsposition
innerhalb dieser Gruppe markiert, erklären sich die Auseinandersetzungen
innerhalb der Gruppe. Durch die Bestellung Hermanns zum princeps
militiae wurde offensichtlich die Hierarchie in der Verwandtengruppe tangiert.
OTTO
DER GROSSE unterlief mit seiner Berufung Hermanns den Führungsanspruch,
den Wichmann der Ältere zu haben glaubte.
Hermann Billung hat die Bevorzugung zu einer eigenständigen
Herrschaftsbildung zu nutzen gewußt. Es ist daher gewiß kein
Zufall, dass sich das Michaelskloster in Lüneburg zum neuen Zentrum
entwickelte. Herrschaftsbildung zog die Verantwortung für das Gedenken
an die Personen nach sich, die diese Herrschaft stützten oder an ihr
partizipierten. Bezeichnend für die gravierende Umwälzung, die
sich im Verlaufe des 10. Jahrhunderts in der sächsischen Verwandtengruppe
vollzog, scheint zu sein, dass es lange dauerte, ehe das vom Herzogsgeschlecht
geprägte Gedenken eine größere Breite erreichte. Dies geschah
erst in den 90-er Jahren des 10. Jahrhunderts, erst in der Regierungszeit
Bernhards
I. also. Und genauso bezeichnend ist es, dass das neue Zentrum des
Gedenkens die älteren Traditionsstränge aufnahm und weiterpflegte.
Der Zeitpunkt der Übertragung, die nicht genau zu datieren ist, fällt
wohl in die Zeit, in der auch andere Quellen die Beendigung der Auseinandersetzungen
innerhalb der Sippe signalisieren. Die Übernahme selbst macht deutlich,
dass man im Herzogsgeschlecht ein Zusammengehörigkeitsbewußtsein
mit der Verwandtengruppe, aus der es erwuchs, lebendig geblieben war.
Seit den 90-er Jahren spiegelt das Lüneburger Necrolog
das Totengedenken einer 'formierten' Personengruppe, das Herzogsgeschlecht
der BILLUNGER. Es zeigt sich jedoch, dass bezüglich des praktizierten
Gedenkens kein prinzipieller Unterschied zwischen den unterschiedlichen
Phasen des Formierungsprozesses festzustellen ist. In der Hierarchie der
Gedenkverpflichtungen standen immer die Angehörigen und Verwandten
der Stifter des Gedenkens an erster Stelle. Die Bedeutung des 'bündnisstiftenden'
Charakters der Eheschließungen im Mittelalter tritt so plastisch
vor Augen. Die politische Geschichte der Verwandtengruppe wie des Herzogsgeschlechts
ist kaum zureichend zu verstehen, sieht man sie nicht vor dem Hintergrund
der verwandtschaftlichen Bindungen, die entscheidend politische Parteinahme
und Herrschaftsansprüche beeinflußten.
Um diesen Kern einer durch Verwandtschaft geprägten
Gemeinschaft weist das Necrolog eine Fülle von Personen aus, die als
deren soziales Umfeld anzusprechen sind. Bei vielen der eingeschriebenen
Namen fehlt jede Kenntnis der gemeinten Personen. Bei einigen ließ
ihr Tod in den Slawenkriegen vermuten, dass sie unter dem militärischen
Oberbefehl der BILLUNGER standen. Andere wiederum, vor allem die
sogenannten Würdenträger, die als Personen mit geschichtlicher
Wirksamkeit anzusprechen sind, eröffnen Einblicke in die weiteren
politischen Beziehungsfelder der BILLUNGER. Sie vor allem stellten
das personengeschichtliche Material dar, auf dessen Grundlage die billungische
Geschichte neu diskutiert werden konnte. Fassen wir vor diesem Hintergrund
noch einmal die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammen.
Neben den Königs- und Privaturkunden, die zumindest
in Umrissen Vorstellungen von billungischenHerrschaftsbereichen
und -zentren vermitteln, fußte das Wissen um die Geschichte der billungischen
Sippe bisher weitgehend auf den Aussagen von 3 Historiographen - Widukind
von Corvey, Thietmar von Merseburg und Adam von Bremen -, die alle in unterschiedlicher
Weise besonderes Interesse an den 'BILLUNGERN' hatten. Da jeder
für seine Zeit im Hinblick auf die Nachrichten über die BILLUNGER
weitgehend ohne historiographische Parallelquellen dasteht, war eine methodisch
fundierte Kritik ihrer Aussagen kaum möglich. Für diese bietet
das Necrolog nun reichhaltiges Material, das oftmals die Aussagen der Geschichtsschreiber
im neuen Licht erscheinen läßt.
Dies gilt schon für die Frage nach den 'Anfängen'
der Sippe. Während bei Widukind von Corvey nichts über die Herkunft
Hermann
Billungs und seiner Brüder Wichmann und Amelung
gesagt wird, diffamiert Adam von Bremen den Herzog als Abkömmling
armer Eltern. Die Bemühungen der Forschung um die Vorfahren der genannten
Brüder brachten zwar die Sammlung von Personen, die im 9. Jahrhundert
in Sachsen Herrschaft ausübten und sogenannte BILLUNGER-Namen
trugen. Es ist angesichts der beigebrachten Hinweise kaum zweifelhaft,
dass mit diesen Personen einige Vorfahren der BILLUNGER
namhaft
gemacht sind. Doch war bisher kein Zeugnis bekannt, das einen Einblick
in die Struktur der Sippe und ihrer Herrschaft ermöglicht hätte.
Es sprach eher alles dafür, als habe die Sippe den Prozeß der
Formierung, der durch die Weitergabe von Besitz und Herrschaft und die
Kristallisation von Herrschaftskernen charakterisiert ist, in dieser Zeit
noch nicht begonnen und daher auch das Bewußtsein einer eigenständigen
Tradition noch nicht entwickelt.
So konnte sich der Eindruck von dem unvermittelten Eintreten
der 'BILLUNGER' in die Geschichte und von ihrem rapiden Aufstieg
bilden. Das Totengedenken beweist jedoch, dass dieser Eindruck falsch ist.
Als Vorfahren der BILLUNGER sind Angehörige einer Verwandtengruppe
zu erkennen, die als 'Nachfahren Widukinds' zum höchsten sächsischen
Adel gehörten und im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert eine
außergewöhnliche Machstellung sowohl im weltlichen als auch
im geistlichen Bereich im nördlichen Sachsen innehatten. Der Beginn
eines sippenbezogenen Gedenkens in dieser Zeit, der kirchliche Institutionen
im Dienste der Sippe und den Willen zur Traditionsbildung voraussetzt,
zeigt, dass das Zusammengehörigkeitsbewußtsein der Sippe in
dieser Zeit bereits entwickelt war, der Prozeß der Formierung also
schon begonnen hatte. Als die Erben dieser offensichtlich sehr weit gestreuten
Verwandtengruppe sind die Brüder Wichmann und Hermann
nicht nur deshalb anzunehmen, weil sie später in den nördlichen
Regionen Sachsens zur Herrschaftsbildung fähig waren, also wohl reichen
Besitz geerbt haben müssen, sondern vor allem, weil sie in die Verpflichtung
zum Gedenken der 'Nachfahren Widukinds' eintraten. Es war mit anderen Worten
bei den Erben durchaus das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit
und das Wissen um die Herkunft lebendig. Ihr Selbstverständnis erhellt
sich sehr charakteristisch in der Reaktion Wichmanns
auf die Einsetzung
seines jüngeren Bruders zum princeps militiae: Sie fühlten sich
zu Führungspositionen berufen und nicht mehr geneigt, sie betreffende
königliche Entscheidungen ohne Widerstand hinzunehmen. Die ursprüngliche
Dominanz der Familie Wichmanns des Älteren weist auch noch
die 2. Phase des Totengedenkens aus. Sie ist geprägt von den Beziehungen
seiner Söhne Wichmann
und Egbert. Die Familie Hermanns
hat
dagegen zu dieser Zeit offensichtlich noch keine intensive Pflege des Gedenkens
praktiziert, da dieses sonst wohl ins Lüneburger Necrolog eingegangen
wäre. Das hat zur Konsequenz, dass die Necrologeinträge in 1.
Linie Auskünfte über die Geschichte der Nachkommen Wichmanns
des Älteren geben. Sie ermöglichen Aussagen über Bindungen
und Beziehungen der in die Auseinandersetzungen unterlegenen Partei, was
sie eher noch wertvoller macht.
Auffällig für die Zeit dieser und späterer
Auseinandersetzungen und Aufstände ist, wie zahlreich sich Teilnehmer
an Erhebungen gegen das Königtum im Lüneburger Necrolog nachweisen
lassen. Diese Beobachtung lenkte den Blick auf bisher unbeachtete Formen
der Verbindungen innerhalb des Adels der OTTONEN-Zeit.
In diesen Verbindungen waren Verhaltensweisen und -normen üblich,
wie wir sie auch von den frühmittelalterlichen Gilden und Bruderschaften
kennen. Man verpflichtete sich gegenseitig zu Schutz und Hilfe, bekräftigte
dies unter Umständen sogar mit einem Eid, feierte gemeinsame Feste
und Zusammenkünfte an bestimmten Orten, und sorgte schließlich
für gegenseitiges Gedenken im Gebet. Da die Forschung bisher davon
ausgeht, dass es keine Selbstzeugnisse genossenschaftlicher Vereinigungen
des Frühmittelalters gibt, gewinnt der Nachweis, dass sich solche
im Gebetsgedenken zeigen lassen, noch an Bedeutung. Angesichts der Befunde
des Lüneburger Necrologs muß man wohl davon ausgehen, dass die
Wirksamkeit der Erhebungen gegen das Königtum in der
OTTONEN-Zeit nicht zuletzt darin begründet war, dass genossenschaftliche
Bindungen schnell genutzt werden konnten und daher im politischen Kräftefeld
von einiger Relevanz waren. Dieser Befund, der der weiteren Erforschung
bedarf, verdient wohl als wichtigstes Ergebnis der Necrologanalyse, soweit
sie das 10. Jahrhundert betrifft, festgehalten zu werden.
Das billungische
Herzogsgeschlecht selbst und seine Verbindungen standen, wie gezeigt, noch
nicht unter Hermann Billung, sondern erst seit Herzog Bernhard
I. im Zentrum des Lüneburger Gedenkens. Dieses Gedenken hatte
seine intensivste Phase zweifellos am Ende des 10. und vor allem zu Beginn
des 11. Jahrhunderts. Für diese Zeit hat die Forschung konstatiert,
dass die BILLUNGER die Königsnähe verloren und bei der
Verfolgung ihrer partikularen Interessen in Kollision mit dem Königtum
und der Reichskirche gerieten. Der Personenkreis, den das Lüneburger
Necrolog enthält, bietet nun eine neue Möglichkeit zur differenzierten
Beurteilung der billungischen
Politik, vor allem in der Regierungszeit HEINRICHS
II.
Auf Grund der Befunde der Necrologanalyse gehörten
die
BILLUNGER zu der mächtigsten Partei des sächsischen
Adels, die gegen die Ostpolitik des Königs Obstruktion betrieb. Das
Necrolog dokumentiert auch, dass sie eine führende Rolle innerhalb
der Opposition spielten. Die BILLUNGER erwiesen sich durch ihre
verwandtschaftlichen Bindungen in Sachsen und darüber hinaus, sowie
durch ausgezeichnete Beziehungen zu den sächsischen Bischöfen
- was der bisherigen Forschung verborgen geblieben war - als ernst zu nehmende
Gegner HEINRICHS II. Die verbreitete
Meinung, man könne in Sachsen zu Beginn des 11. Jahrhunderts von einer
Koalition Königtum/Kirche gegen den sächsischen Adel ausgehen,
bedarf angesichts dieser Befunde dringend der Revision.
Die wiederholten Versuche HEINRICHS
II., die Machtposition der BILLUNGER zu schmälern,
verraten, dass er den Ernst der Situation durchaus erkannt hatte. Trotz
mehrfacher königlicher Eingriffe blieb die Stellung der
BILLUNGER
jedoch im wesentlichen unangefochten. Ein zentraler Angriff auf die Herrschaft
der Billunger war dem Kaiser offensichtlich nicht möglich. Angesichts
der zahlreichen Necrologeinträge gerade aus dieser Zeit ist zu fragen,
ob die Zunahme der Verbrüderungen Ausdruck einer krisenhaften Zuspitzung
der billungischen Geschichte ist, oder
ob sie mit einem allgemeinen Aufschwung des Verbrüderungswesens am
Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts erklärt werden muß,
wie er auch durch andere Zeugnisse dieser Zeit nachgewiesen wird.
Die Intensität des Gedenkens hielt nicht lange vor,
was den Quellenwert des Lüneburger Necrologs für die SALIER-Zeit
beeinträchtigt. Während sich der billungisch-salische
Ausgleich
in der Regierungszeit KONRADS II. auf
Grund signifikanter Bischofseintragungen belegen ließ, ist der Horizont
des Necrologs in der späten SALIER-Zeit
weitgehend reduziert auf die Angehörigen und Verwandten der BILLUNGER.
Diese Erkenntnis ist angesichts der Auseinandersetzungen der SALIER
mit dem sächsischen Stamm schmerzlich, beraubt sie uns doch der Möglichkeit,
die Necrologeinträge auch für eine neue Beurteilung der billungischen
Politik in diesem Zentrum zu nutzen. Die Meinung jedoch, das Beziehungsfeld
der BILLUNGER sei zum Ende des 11. Jahrhunderts wirklich so geschrumpft,
wie es die Necrologeinträge suggerieren möchten, erweist sich
auf Grund anderer Quellen als unhaltbar. Man hat daher zu konstatieren,
dass die Sorge um das Gedenken seitens der
billungischen
Familie in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts nachließ. Es muß
offenbleiben, ob dies die gleichen Ursachen hat wie das von der Forschung
gleichzeitig angesetzte Nachlassen ihrer politischen Bedeutung.