Die vielen Brüche in der bayerischen Herzogsreihe
des 11. Jahrhunderts beendete Welf IV. fürs erste. Er hatte
zwei Söhne hinterlassen, Welf V. und Heinrich "den
Schwarzen". Sein Beiname entstammte zwar erst dem ausgehenden 13. Jahrhundert;
er wird hier aber zur Unterscheidung vom gleichnamigen Sohn, Enkel und
Urenkel benutzt.Wie die STAUFER verschwendeten
die WELFEN solches Kinderglück
nicht gleich an die Kirche und wiesen den Nachgeborenen nicht in die geistliche
Laufbahn ein.
Aus eigener Erfahrung von 1055 wußte man im welfischen
Haus um die Wichtigkeit von Ehe, Familie und Kindern, möglichst von
Söhnen. In vorbildlicher Weise sorgte der jüngere Sohn Welfs
IV. und Judiths,
Heinrich, für Nachkommen. Mit drei
Söhnen und vier Töchtern wurde er zum biologischen Gestalter
welfischer
Zukunft und 1120 zum Nachfolger des kinderlos verstorbenen Bruders.
Die Teilung von Besitz und Herrschaft entwickelte sich bei den WELFEN
fortan - wie in anderen Adelsfamilien des Reichs - zur Garantie für
dynastische Kontinuität.
Die Güterausstattung des jüngeren Bruders Heinrich
bleibt in ihrer konkreten Ausgestaltung undeutlich, ebenso die Verteilung
der otbertinischen Erbschaft in Oberitalien. Zur ersten Garnitur junger
radikaler Neuerer, die 1105/06 endlich die alten Zeiten archaischen Gottesgnadentums
abschaffen und die Zukunft der salischen
Monarchie durch eine Modernisierunskur sichern wollten, gehörten Welf
V. und Heinrich augenscheinlich nicht. Sie blieben gleichwohl
verläßliche Parteigänger der salischen
Sache. Welfs Bruder Heinrich der Schwarze zog später
zu den Hoftagen HEINRICHS V. 1121 in
Regensburg, 1122 in Bamberg, 1123 in Speyer und Neuhausen. Die Zeugenlisten
der Herrscherurkunden lassen allmählich ein personales Geflecht erkennen:
Welf
V. (1101-1120) und sein Bruder Heinrich der Schwarze (1120-1126)
führten als Herzöge bei Hof dei bayerischen Großen, Markgrafen
und Grafen an. Dies ist ein deutliches Zeichen für die zunehmende
Integration des Dukats, den Welf IV. noch vom westlichen Grenzraum
her beherrschte.
Den Italienzug des Kaisers von 1116 machte nicht Welf,
sondern sein Bruder Heinrich mit. Nachdem Mathilde von Tuszien
1115 gestorben war, ging es um mehr als die üblichen Verhandlungen
mit dem Papst. Im Beisein Heinrichs des Schwarzen reklamierte der
SALIER
jetzt die mathildische Erbschaft für sich. Genauere Kenntnisse über
einen Erbverzicht
Welfs V. besitzen wir nicht. Die behauptete Übereinkunft
über den Tausch der welfischen
Ansprüche in Tuszien gegen die Zusicherung einer erblichen Herzogswürde
oder die Überlassung der Königsrechte in Bayern läßt
sich aus den Quellen nicht belegen, auch wenn
HEINRICH
V. tatsächlich seit 1111 zunehmend seltener in Bayern agierte.
In der Tat mußte sich Welf V. um die Sicherung seiner Nachfolge
sorgen. Nach dem Tod seiner bereits vor zwei Jahrzehnten verstoßenen
Gemahlin ging er keine neue Ehe mehr ein. Also trug er Sorge um die Sicherung
der welfischen Erbfolge im Reich nördlich
der Alpen, insbesondere um die Dauerhaftigkeit der bayerischen Herzogsherrschaft.
Vielleicht machte der salische Kaiser
Zugeständnisse. Weil genaue Quellen fehlen, blühen die Spekulationen.
Zuverlässig verharrten die welfischen
Brüder
jdenfalls bei der Krone, 1118 gemeinsam mit den beiden
staufischen Brüdern (Friedrich II. und KONRAD)
und 1119 bei den Verhandlungen mit Papst Calixt II.
Solch erstaunliche Treue zahlte sich aus. Die WELFEN
erhielten sich die Modernität, die sich im frühen 12. Jahrhundert
kaum mehr in blinder Papsttreue bewähren konnte. Nach Jahrzehnten
des ausweglosen Dissenses um unüberwindliche Grundsatzpositionen von
Kaiser und Papst waren jetzt begehbare Wege in die Zukunft gefragt, Kompromißbegabung,
Politikfähigkeit, Pragmatismus. Der welfische
Zugriff
auf den Kern des Reiches setzte sich fort, anders als in der Epoche Welfs
IV., doch weiterhin selbstbewußt: Man wußte sich als Glied
des öffentlichen Wohls, als Teilhaber am Reich.
An diesem Ausgleich (Wormser Konkordat 1122) hatte Heinrich
der Schwarze, der seit 1120 Nachfolger seines Bruders als Herzog
von Bayern, entscheidenden Anteil. Sogleich suchte er mit anderen Fürsten
Wege zum Kompromiß von Worms. Mit Bischof Otto von Bamberg und dem
Grafen von Sulzbach führte Heinrich schon 1121 eine Vermittlungsmission
des Kaisers mit den Bayern an, "zu Ehren und Nutzen des Reichs".
Lösungen waren in der zugespitzten Lage am Ende
des Investiturstreits nur noch konsenual zu gestalten. Darum blieben die
Fürsten in das Einigungswerk zwischen Papst und Kaiser von 1122 an
prominenter Stelle einbezogen. Namentlich genannte geistliche und weltliche
Fürsten garantieren die Versprechungen ihres Kaisers an den Papst,
die Apostel Petrus und Paulus sowie die heilige katholische Kirche. Nach
den zwei Erzbischöfen und sechs Bischöfen testierte als erster
der Laienfürsten Herzog Heinrich der Schwarze, vor den Herzögen
Friedrich II. von Schwaben, Simon von Ober-Lothringen, Berthold von Zähringen
und anderen Herren. Am Ende des großen Kampfes von Ideen, Pergamenten
und Waffen hatten die WELFEN ihren
hervorragenden Platz als Vermittler im Kreis der Fürsten des Reichs
behauptet! An der Bewältigung der großen Krise besaßen
Welf
V. und Heinrich der Schwarze beträchtlichen Anteil: Die
welfischen
Brüder
waren als "Häupter des Staates" mitten im Reich angekommen.
Welf V. und Heinrich der Schwarze zogen
ihren politischen Erfolg aus der Verschränkung unterschiedlicher Handlungsfelder
in Reich und Region. Der Lechraum um Augsburg büßte nach 1098
seine einstige Bedeutung als Kampfgebiet zwischen WELFEN
und Augsburger Bischöfen offenbar ein. Dafür bauten die Söhne
Welfs
IV. dort Burgen und zentrale Orte wie Peiting, Schongau und Kaufering
weiter aus. Nachdem die Erblichkeit der bayerischen Herzogswürde
- nicht nur vom Vater auf den Sohn, sondern 1120 sogar vom älteren
auf den jüngeren Bruder - gesichert war, griffen die WELFEN
mit zeittypischen Mitteln konsequenter auf ihren Dukat zu. Sie bedienten
sich früher Formen territorialer Besitzsicherung durch Burgenbau und
verstanden es, den bayerischen Adel bei königlichen Hoftagen immer
deutlicher an eine herzogliche Mittlerstellung zu binden. Endlich bezogen
sie Reichsgut in ihre Herrschaft ein.
Über den angestammten süddeutschen Besitz hinaus
gelang unter Heinrich dem Schwarzen ein beachtlicher Ausgriff in
den Norden des Reichs. In den Traditionen ausgreifender welfischer
Heiratspolitik hatte Heinrich der Schwarze Wulfhild geheiratet,
die Tochter des billungischen Herzogs Magnus von Sachsen
und der
ungarischen Königs-Tochter Sophia.
Als Magnus bald darauf söhnelos starb, wurde das Herzogtum
Sachsen 1106 vom König an Lothar von Süpplingenburg
vergeben. Die billungischen Eigengüter, vor allem im Nordosten
und Norden des Dukats gelegen, fielen an die beiden Erbtöchter Wulfhild
unf Eilika, die eine mit dem WELFEN
Heinrich, die andere mit dem ASKANIER Otto von Ballenstedt verheiratet.
Größere Ländereien um Lüneburg, dem Zentral- und Bergräbnisort
der
billungischen Familie, gelangten damals an den WELFEN.
Wie seine Vorfahren in karolingischer
Zeit vereinte er damit großen Besitz in weit entfernten Reichen,
von Italien über Schwaben und Bayern bis nach Sachsen, von der Niederelbe
bis in die Lombardei.
Mit der großen Nachkommenschar Heinrichs
und Wulfhilds - neben früh verstorbenen Kindern überlebten
drei Söhne und vier Töchter - vermochten die WELFEN
ebenfalls in eine expansive Heiratspolitik einzutreten. Mit Heinrich
dem Stolzen und Welf VI. besaß das Haus zwei Herrschaftsträger.
Die erneute Doppelung erklärt sich aus den Vorteilen biologisch-dynastischer
Reservebildung, vielleicht auch aus den intensiveren Nutzungsmöglichkeiten
komplexer Herrschaftsräume. In der Zeit Heinrichs des Schwarzen
und seiner Gemahlin prägte es nicht nur die Reichsgeschichte, sondern
knüpfte auch engste Bindungen zu fast allen großen Adelsfamilien
der Zeit. Daraus erwuchsen Chancen und Gefahren zugleich. Als nach dem
kinderlosen Tod Kaiser HEINRICHS V.
1125 die Zukunft des Königtums verhandelt wurde, fiel dem welfischen
Herzog eine Schlüsselrolle zu. Er wußte sie geschickt zu nutzen,
wenn auch im Ergebnis überraschend. Mit seiner Entscheidung stürzte
er seine Söhne, Töchter und Enkel in lange Konflikte um Herrschaft
und Vorrang im Reich.
Nach der Beisetzung Kaiser HEINRICHS
V. nahm erneut eine Gruppe geistlicher und weltlicher Fürsten
die Verantwortung für das Reich in die Hände und lud für
den 24. August zu einem Hoftag ohne Herrscher nach Mainz, um über
Zustand und Nachfolge im Reich zu beraten. Wie schon beim Wormser Konkordat
stand Heinrich der Schwarze an der Spitze der Laienfürsten.
Da im Reich seit mehr als hundert Jahren der Sohn dem Vater im Königtum
gefolgt war, mußten die Entscheidungswege zur Königswahl unter
Leitung Erzbischof Adalberts I. von Mainz neu bedacht werden. Drei Kandidaten
standen zur Verfügung: Herzog Friedrich II. von Schwaben, über
seine Mutter Agnes Vetter des verstorbenen
SALIERS,
Markgraf Leopold III. vonm Österreich, der zweite Ehemann jener salischen
Kaiser-Tochter
Agnes, dazu Herzog Lothar von Sachsen.
Über die Ereignisse informiert am ausführlichsten die Narratio
de electione Lotharii, freilich aus der Perspektive des Wahlsiegers
Lothar. Seine Demut erscheint im grellen Gegensatz zum angeblichen
Hochmut des STAUFERS Friedrich von
Schwaben, der das Königtum als nächster wie ältester Verwandter
gleichsam kraft Erbrechts für sich zu reklamieren schien und an den
Beratungen gar nicht erst teilnahm.
Geschickt wußte der Versammlungsleiter sie Stimmung
der Versammlung im Ausspielen von Erb- und Wahlrecht zu lenken. Nach einer
ersten tumultartigen Erhebung Lothars
verlangten insbesondere die bayerischen Bischöfe Aufschub und Beratungsmöglichkeiten
mit ihrenm abwesenden Herzog. Als Heinrich der Schwarze am 30. August
erschien, wurde Lothar "auf einhelligen
Beschluß und Bitte der Fürsten als Gott gefälliger König
zur Königswürde erhoben."
Die ausschlaggebende Parteinahme Heinrichs des Schwarzen
für den SÜPPLINGENBURGER
muß auf den ersten Blick Erstaunen hervorrufen. Schließlich
stand mit dem STAUFER Friedrich II.
der Schwiegersohn des WELFEN zur Wahl.
Letztlich bleiben die Motive unklar. Ob der bayerische Herzog wie viele
seiner Zeitgenossen in der bloßen Fortsetzung der salisch-staufischen
Herrschaft keine zukunftsweisende Perspektive für das Reich erblickte,
ist nicht zu entscheiden. Doch das Potential der Reformkräfte im Reich,
zu denen die WELFEN seit Jahrzehnten
engste Bindungen unterhielten, darf nicht überschätzt werden.
Vielleicht verabredeten König LOTHAR und
Herzog
Heinrich damals auch eine Ehe ihrer Kinder, typisches Mittel für
die Herstellung von Bindung und Loyalität. Schon 1126 erschien Heinrich
der Stolze tatsächlich als Schwiegersohn des Königs. Unter
dieser Voraussetzung hätte sich der welfische
Herzog 1125 zugunsten einer künftigen königlichen Schwiegertochter
gegen den staufischen Schwiegersohn
entschieden.
Daß die WELFEN
schon 1125/26 auf die Nachfolge im Königtum des Schwiegervaters spekulierten,
ist nicht zwingend zu vermuten. Zu deutlich war die Mainzer Entscheidung
vom Gedanken der freien Fürstenwahl und der Ablehnung eines Erbrechts
aus weiblicher Linie getragen.
In dieser prekären Konstellation starben kurz nacheinander
im Dezember 1126 Heinrich der Schwarze und Wulfhild. Noch
vor seinem Tod hatte der Herzog allen weltlichen Würden entsagt und
war in den Weingartener Mönchskonvent eingetreten. Ob dies der Vermeidung
des bewaffneten Konflikts mit dem staufischen
Schwiegersohn oder - wahrscheinlicher - zeittypischen Formen der Adelsbekehrung
entsprach, ist nicht mehr zu klären. Wie Bruder, Vater und Vorväter
ließ sich Heinrich der Schwarze in der welfischen
Grablege im Kloster Weingarten beisetzen; seine Gemahlin folgte ihm wenige
Tage später in diese Gruft. Doch mit Heinrich und Wulfhild
fand das letzte welfische Herrscherpaar
sein Grab im traditionsreichen schwäbischen Gedächtnisort der
frühen WELFEN.