Engels Odilo: Seite 38-43,46,315-319
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"Stauferstudien"

Was KONRAD III. 1138 veranlaßt haben konnte, der einer Überrumpelung der deutschen Fürstenmajorität gleichkommenden "Wahl", die vom Kardinallegaten Dietwin und von Erzbischof Albero von Trier betrieben wurde, in Koblenz am 7. März zuzustimmen, muß mehr gewesen sein als purer Ehrgeiz. Zumindest brauchte man eine einleuchtende Erklärung, die den terminwidrig vorgezogenen Wahlgang rechtfertigte und die Mehrheit der überraschten Großen zur nachträglichen Zustimmung bewegen konnte.
Heinrich der Stolze, der Schwiegersohn des verstorbenen Kaisers, war im Besitz der Reichsinsignien; ob er daraus einen Erbanspruch ableitete, ist nicht sicher, jedenfalls konnte er der Wahl mit Zuversicht entgegensehen, da die Fürsten offenbar - Otto von Freising gibt es in der Chronik indirekt zu - gewillt waren, den Mächtigsten unter ihnen zum Nachfolger LOTHARS zu erheben, so wie sie sich auch 1125 gegen den Erbanspruch der STAUFER für den mächtigeren SUPPLINBURGER entschieden hatten. Heinrich selbst waren im übrigen während der Vakanz die Hände gebunden, da Albrecht der Bär, Sohn einer BILLUNGERIN, ebenfalls Erbansprüche auf das sächsische Herzogtum stellte und sie mit Gewalt anzumelden wußte. Diese Situation verstand KONRAD zu nutzen. Ob die kirchliche Partei zuerst an KONRAD herantrat oder die Initiative von diesem ausging, ist unerheblich. KONRAD jedenfalls griff zu und zwar in einer Weise, die an seine Erhebung zum Gegenkönig erinnert.
Otto von Freising, der Kronzeuge unter den Geschichtsschreibern für den Wahlvorgang, bestätigt dieses Mißverhältnis. Statt sich auf den Erbgedanken zu berufen, legt Otto größtes Gewicht auf die Idoneität KONRADS und auf die mangelhafte Idoneität Heinrichs, so als wollte er die Wählbarkeit seines Halbbruders noch nachträglich herausstreichen. Währenddessen stieg Herzog Heinrich von Bayern so hoch, dass er auf alle herabsehen und sich nicht dazu verstanden habe, jemanden um seine Wahl zum König zu bitten. Die Wahl zu Koblenz wurde akzeptiert, weil der Haß gegen Kaiser HEINRICH V. (als dessen Erben die STAUFER auftraten) in den meisten Herzen erloschen sei, und weil sich Heinrich, dessen herzogliche Gewalt von der dänischen bis an die sizilische Grenze reichte, pro nota superbie bei fast allen, die an der letzten Italienfahrt LOTHARS teilgenommen hätten, völlig unbeliebt gemacht habe.
Die inneren Widersprüche weisen in dieselbe Richtung: Laut Chronik war die Mehrheit der Fürsten geneigt, Heinrichzum König zu erwählen, hatte also nichts gegen dessen Idoneität einzuwenden, obwohl sie, wenn man Otto glauben will, objektiv nichts gegeben war. Laut Gesta aber war der Idoneitätsmangel der eigentliche Grund, weswegen man allgemein den WELFENablehne.
Wollte man demgegenüber argumentieren, KONRAD habe aus rein erbrechtlichen Motiven gehandelt, aber dieses Motiv sei aus taktischen Gründen anschließend überspielt worden, dann bleibt immer noch offen, warum er die Fürstenschaft nach dem Koblenzer Akt mit Hinweisen auf seine Abstammung zu gewinnen suchte und offensichtlich auch zur nachträglichen Anerkennung veranlaßt hat. Die Alternative lautet somit wohl kaum Erbfolge oder Idoneität, sondern ausschlaggebend scheint ein anderer Beweggrund gewesen zu sein, der natürlich nicht vorgetragen wurde.
Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass KONRAD auch 1138 die Wiederherstellung der staufischen Hausmacht in ihrem vormals eigentlichen Wert im Auge hatte. In diesem Falle hätte dann KONRAD III. den territorialpolitischen Beweggrund auf die Ebene geblütsrechtlicher Nachfolge transportiert. Und es würde erklären, warum sich die Fürsten nicht gegen die bereits vollendete Tatsache auflehnten, nachdem sie vorher den Schwiegersohn des Kaisers begünstigt hatten. Heinrich der Stolze war nämlich in einer Hinsicht den STAUFERN gegenüber im Nachteil. Mochte LOTHAR III. ihn auch zum Nachfolger gewünscht haben, der WELFE war nur sein Schwiegersohn und nicht Blutsverwandter einer stiprs regia. Friedrich und KONRAD waren Söhne einer Kaisertochter, die ihren Bruder HEINRICH V. überlebt hatte. Dieser Verwandtschaftsgrad hatte zwar 1125 nicht dazu ausgereicht, die Zustimmung der Fürsten zur Königserhebung zu finden. Aber war offenbar immer noch hinreichend zugkräftiges Argument, und den bereits Gekrönten in resignierender Zustimmung als auf andere Weise geeignet zu akzeptieren.
Der Knick erfolgte auf dem Reichstag zu Bamberg am Pfingstfest des Jahres 1138, das auf den 22./23. Mai fiel. Hier gab die zusammengekommene Mehrheit der Fürsten bis auf Heinrich den Stolzen der schon vollzogenen Königserhebung ihre nachträglich Zustimmung, nachdem die Sachsen bis dahin, um mit den Worten Ottos von Freising zu sprechen, die Behauptung ausgestreut hatten, KONRADS Wahl sei nicht legitime erfolgt.
Die Mehrzahl der Quellen ordnet die Übertragung des Sachsen-Herzogtums durch LOTHAR III. in den Zusammenhang der Hochzeit seiner Tochter Gertrud mit Heinrich dem Stolzen im Sommer 1127 oder wenig später, als LOTHAR vor Nürnberg außer der Hilfe des Böhmenherzogs auch die des Bayernherzogs benötigte. Lediglich Helmold von Bosau plaziert dieses Ereignis in die Zeit nach 1134 und vor den Aufbruch des Kaisers zur 2. Italienfahrt (1136). Akzeptiert hat die Geschichtsforschung diese Daten nicht. Und es ist in der Tat bemerkenswert, dass Heinrich der Stolze den Titel eines Sachsenherzogs nicht führte, solange sein Schwiegervater lebte, während sein Titel eines Markgrafen von Tuszien kurz nach der Übernahme dieser Würde belegt ist. Deshalb entwickelt sich in der neueren Geschichtsschreibung als zweite Möglichkeit zu einer Art Kanon die Nachricht des Bibliothekats von Montecassino, Petrus Diaconus, Kaiser LOTHAR habe auf seinem Sterbebett in Breitenwang bei Reute den WELFEN Heinrich als seinen Erben über das Herzogtum Sachsen eingesetzt. Offen blieb lediglich die Frage, ob diese Einsetzung auch in Form einer Belehnung erfolgt sei, da sich der Chronist darüber ausschweigt. Wie fragwürdig jedoch die Mitteilung des Petrus ist, geht aus einem Schreiben hervor, das auf dem Hoftag in Bamberg versammelte Fürsten zu Pfingsten 1138 an den Salzburger Erzbischof Konrad I. richteten; um den Erzbischof zu bewegen, auf dem nächsten Hoftag in Regensburg KONRAD III. als König anzuerkennen, teilten sie ihm wohl nicht beiläufig mit, dass Heinrich der Stolze die Reichsinsignien nicht herausgebe. Er wird bei dieser Gelegenheit nur als dux Bavariorum, aber nicht als dux Saxonum bezeichnet, obwohl ihm das Sachsenherzogtum zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell aberkannt war. Dabei hatte Herzog Heinrich gleich nach der Beisetzung des Kaisers mit dem Anspruch Albrechts des Bären auf das Sachsen-Herzogtum - ebenfalls als Erbe - zu kämpfen. Die dritte Möglichkeit bestünde dann darin, dass Heinrich der Stolze überhaupt nicht, in welcher Form auch immer, in das sächsische Herzogsamt eingewiesen worden ist, sondern sich, weil er der Schwiegersohn LOTHARS war, der als Kaiser das sächsische Herzogsamt behalten hatte, als den natürlichen Erben aufgrund seiner Ehe mit Gertrud, der Erbtochter LOTHARS, betrachtete. Auf dieser Basis sehen auch die sächsischen Quellen das erbliche Anrecht des WELFEN. Der ASKANIER Albrecht der Bär gründete indessen seinen Anspruch auf seinen Großvater mütterlicherseits, eine Rechtsgrundlage, die allerdings auch Heinrich der Stolzegeltend machen konnte. Trifft die dritte Möglichkeit zu, dann versetzte sie den neuen König KONRAD III. in die Lage, in einem Erbstreit schon dadurch entscheiden zu müssen, dass die Belehnung eines von beiden mit dem Sachsen-Herzogtum nicht zu umgehen war, wenn er nicht gar einen unbeteiligten Dritten mit dem Amt betrauen wollte. Und da beide in gleicher Weise erbberechtigt waren, konnte sich KONRAD III. nur mit einem politischen Argument zu dem ASKANIER Albrecht entscheiden: Es sei unrecht, dass ein Fürst zwei Herzogtümer innehabe.
Die dritte Möglichkeit besitzt nicht höchste Wahrscheinlichkeit, trägt aber zur Plausibilität des dramatischen Übergangs von LOTHAR zu KONRAD III. bei. Weil die Erinnerung an das Sachsen-Herzogtum zur OTTONEN-Zeit verblaßt war und man sich noch nicht vorstellen konnte, dass ein Herrscher sein bisheriges Herzogsamt beibehalten wollte, suchten die Geschichtsschreiber nach dem Tode LOTHARS eine Erklärung in der Ämterübergabe zum Zeitpunkt der Hochzeit Heinrichs oder kurz danach. Zugleich erfaßten sie damit den Vorsprung des WELFENvor seinem Rivalen Albrecht. Heinrich der Stolze hatte sich durch seine Heirat mit der Erbtochter LOTHARS der Königsfamilie angesippt - später erkennbar in der entscheidenden Hilfe der Kaiserin-Witwe Richenza bei der widerrechtlichen Inbesitznahme Sachsens und in der Beisetzung Heinrichs neben seinem Schwiegervater in Königslutter - und vertraute auf die gleichsam erbrechtliche Nachfolge seines Schwiegervaters auch im Königtum, weswegen vielleicht eine förmliche Übertragung Sachsen unterblieben war. Die rechtswidrige Königswahl in Koblenz war offensichtlich nicht von ihm vorauszusehen gewesen.
Boshoff ist zuzustimmen, dass es in Regensburg, wo Heinrich der Stolze die Reichsinsignien übergab, aber persönlich nicht zugelassen wurde, um die Verhandlungen mit dem König direkt zu führen, schon nicht mehr um die nachträgliche Anerkennung der Königserhebung KONRADS ging, sondern um die Herzogtümer Bayern und Sachsen in der Hand des WELFEN. In Augsburg, dem nächsten Termin in der 1. Hälfte des Monats Juli, führen die Verhandlungen keinen Schritt weiter. Der Anonymus der Historia Welforum berichtet, dass, nachdem Heinrich den Vergleich zu den Bedingungen KONRADS ausgeschlagen und einen ungewissen Ausgang des Konflikts vorgezogen hatte, der König metuens aliquid in se machinari des Nachts heimlich mit kleiner Begleitung nach Würzburg davongeritten sei. In Anlehnung an die Übersetzung von Erich König hatte nach Boshoff der STAUFER Angst vor einem "Anschlag" infolgedessen erfolgte in Würzburg die gerichtliche Ächtung Heinrichs des Stolzen wegen Hochverrats (Vermutung eines Anschlags auf die Person des Königs). Faßt man hingegen den Begriff etwas weiter im Sinne von "etwas gegen ihn zu unternehmen", dann hätte man keine Schwierigkeiten mit der Klage Heinrichs des Löwen, des Sohnes Heinrichs des Stolzen, 1147 auf dem Frankfurter Hoftag auf Rückgabe des Bayern-Herzogtums. Die dortige Begründung lautete schließlich, seinem Vater sei dieses Herzogtum unrechterweise aberkannt worden. Ob der junge WELFE diese Begründung mit Aussicht auf Erfolg hätte vorbringen können und Otto von Freising sie ohne zusätzliche Bemerkung wiedergegeben hätte, wenn mehr als eine Huldigungsverweigerung - eben ein Mordabsicht - angesichts der Forderung des Königs vorgelegen hätte, ist eine große Frage.
Die Ächtung Heinrichs des Stolzen muß noch im Juli 1138 ausgesprochen worden sein. Die Lehnsübergabe des Herzogtums Sachsen an Albrecht den Bären erfolgte erst zu Weihnachten in Goslar und die des Herzogtums Bayern an den BABENBERGER Leopold IV. von Österreich, Halbbruder KONRADS III., gar erst im Frühjahr 1139. Normalerweise stand dem Geächteten eine Frist von einem Jahr bis zur Verkündung der Oberacht zu, bevor seine Rechtstitel anderweitig vergeben werden konnten; doch inwieweit eine solche Formenstrenge schon erforderlich war, ist umstritten.
Heinrich der Stolze starb am 20. Oktober 1139 und ließ sich in Königslutter an der Seite seines Schwiegervaters beisetzen. Die beiden Witwen, Richenza und Gertrud, konnten die faktische Herzogsmacht in Sachsen gegen die Ansprüche des ASKANIERS behaupten. Die Vormundschaft über Heinrichs Sohn, Heinrich den Löwen, stand dessen Onkel Welf VI. zu, obgleich er wohl nichts davon realisieren konnte.