Was KONRAD III. 1138
veranlaßt haben konnte, der einer Überrumpelung der deutschen
Fürstenmajorität gleichkommenden "Wahl", die vom Kardinallegaten
Dietwin und von Erzbischof Albero von Trier betrieben wurde, in Koblenz
am 7. März zuzustimmen, muß mehr gewesen sein als purer Ehrgeiz.
Zumindest brauchte man eine einleuchtende Erklärung, die den terminwidrig
vorgezogenen Wahlgang rechtfertigte und die Mehrheit der überraschten
Großen zur nachträglichen Zustimmung bewegen konnte.
Heinrich der Stolze,
der Schwiegersohn des verstorbenen Kaisers, war im Besitz der Reichsinsignien;
ob er daraus einen Erbanspruch ableitete, ist nicht sicher, jedenfalls
konnte er der Wahl mit Zuversicht entgegensehen, da die Fürsten offenbar
- Otto von Freising gibt es in der Chronik indirekt zu - gewillt waren,
den Mächtigsten unter ihnen zum Nachfolger LOTHARS
zu erheben, so wie sie sich auch 1125 gegen den Erbanspruch der STAUFER
für den mächtigeren SUPPLINBURGER entschieden
hatten. Heinrich selbst waren im übrigen während der Vakanz die
Hände gebunden, da Albrecht der Bär, Sohn einer BILLUNGERIN,
ebenfalls Erbansprüche auf das sächsische Herzogtum stellte und
sie mit Gewalt anzumelden wußte. Diese Situation verstand KONRAD
zu nutzen. Ob die kirchliche Partei zuerst an
KONRAD herantrat oder die Initiative von diesem ausging, ist
unerheblich. KONRAD jedenfalls griff
zu und zwar in einer Weise, die an seine Erhebung zum Gegenkönig erinnert.
Otto von Freising, der Kronzeuge unter den Geschichtsschreibern
für den Wahlvorgang, bestätigt dieses Mißverhältnis.
Statt sich auf den Erbgedanken zu berufen, legt Otto größtes
Gewicht auf die Idoneität KONRADS
und auf die mangelhafte Idoneität Heinrichs,
so als wollte er die Wählbarkeit seines Halbbruders noch nachträglich
herausstreichen. Währenddessen stieg Herzog
Heinrich von Bayern so hoch, dass
er auf alle herabsehen und sich nicht dazu verstanden habe, jemanden um
seine Wahl zum König zu bitten. Die Wahl zu Koblenz wurde akzeptiert,
weil der Haß gegen
Kaiser HEINRICH V. (als
dessen Erben die STAUFER auftraten)
in den meisten Herzen erloschen sei, und weil sich Heinrich,
dessen herzogliche Gewalt von der dänischen bis an die sizilische
Grenze reichte, pro nota superbie bei fast allen, die an der letzten Italienfahrt
LOTHARS
teilgenommen
hätten, völlig unbeliebt gemacht habe.
Die inneren Widersprüche weisen in dieselbe Richtung:
Laut Chronik war die Mehrheit der Fürsten geneigt, Heinrichzum
König zu erwählen, hatte also nichts gegen dessen Idoneität
einzuwenden, obwohl sie, wenn man Otto glauben will, objektiv nichts gegeben
war. Laut Gesta aber war der Idoneitätsmangel der eigentliche Grund,
weswegen man allgemein den WELFENablehne.
Wollte man demgegenüber argumentieren, KONRAD
habe aus rein erbrechtlichen Motiven gehandelt, aber dieses Motiv sei aus
taktischen Gründen anschließend überspielt worden, dann
bleibt immer noch offen, warum er die Fürstenschaft nach dem Koblenzer
Akt mit Hinweisen auf seine Abstammung zu gewinnen suchte und offensichtlich
auch zur nachträglichen Anerkennung veranlaßt hat. Die Alternative
lautet somit wohl kaum Erbfolge oder Idoneität, sondern ausschlaggebend
scheint ein anderer Beweggrund gewesen zu sein, der natürlich nicht
vorgetragen wurde.
Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass KONRAD
auch 1138 die Wiederherstellung der staufischen
Hausmacht in ihrem vormals eigentlichen Wert im Auge hatte. In diesem Falle
hätte dann KONRAD III. den territorialpolitischen
Beweggrund auf die Ebene geblütsrechtlicher Nachfolge transportiert.
Und es würde erklären, warum sich die Fürsten nicht gegen
die bereits vollendete Tatsache auflehnten, nachdem sie vorher den Schwiegersohn
des Kaisers begünstigt hatten. Heinrich der
Stolze war nämlich in einer
Hinsicht den STAUFERN gegenüber
im Nachteil. Mochte LOTHAR III. ihn
auch zum Nachfolger gewünscht haben, der WELFE
war
nur sein Schwiegersohn und nicht Blutsverwandter einer stiprs regia. Friedrich
und KONRAD waren Söhne einer Kaisertochter,
die ihren Bruder HEINRICH V. überlebt
hatte. Dieser Verwandtschaftsgrad hatte zwar 1125 nicht dazu ausgereicht,
die Zustimmung der Fürsten zur Königserhebung zu finden. Aber
war offenbar immer noch hinreichend zugkräftiges Argument, und den
bereits Gekrönten in resignierender Zustimmung als auf andere Weise
geeignet zu akzeptieren.
Der Knick erfolgte auf dem Reichstag zu Bamberg am Pfingstfest
des Jahres 1138, das auf den 22./23. Mai fiel. Hier gab die zusammengekommene
Mehrheit der Fürsten bis auf Heinrich den
Stolzen der schon vollzogenen Königserhebung ihre nachträglich
Zustimmung, nachdem die Sachsen bis dahin, um mit den Worten Ottos von
Freising zu sprechen, die Behauptung ausgestreut hatten, KONRADS
Wahl sei nicht legitime erfolgt.
Die Mehrzahl der Quellen ordnet die Übertragung
des Sachsen-Herzogtums durch LOTHAR III.
in den Zusammenhang der Hochzeit seiner Tochter Gertrud
mit Heinrich dem Stolzen im Sommer
1127 oder wenig später, als LOTHAR
vor Nürnberg außer der Hilfe des Böhmenherzogs auch die
des Bayernherzogs benötigte. Lediglich Helmold von Bosau plaziert
dieses Ereignis in die Zeit nach 1134 und vor den Aufbruch des Kaisers
zur 2. Italienfahrt (1136). Akzeptiert hat die Geschichtsforschung diese
Daten nicht. Und es ist in der Tat bemerkenswert, dass Heinrich
der Stolze den Titel eines Sachsenherzogs
nicht führte, solange sein Schwiegervater lebte, während sein
Titel eines Markgrafen von Tuszien kurz nach der Übernahme dieser
Würde belegt ist. Deshalb entwickelt sich in der neueren Geschichtsschreibung
als zweite Möglichkeit zu einer Art Kanon die Nachricht des Bibliothekats
von Montecassino, Petrus Diaconus, Kaiser LOTHAR
habe auf seinem Sterbebett in Breitenwang bei Reute den WELFEN
Heinrich
als
seinen Erben über das Herzogtum Sachsen eingesetzt. Offen blieb lediglich
die Frage, ob diese Einsetzung auch in Form einer Belehnung erfolgt sei,
da sich der Chronist darüber ausschweigt. Wie fragwürdig jedoch
die Mitteilung des Petrus ist, geht aus einem Schreiben hervor, das auf
dem Hoftag in Bamberg versammelte Fürsten zu Pfingsten 1138 an den
Salzburger Erzbischof Konrad I. richteten; um den Erzbischof zu bewegen,
auf dem nächsten Hoftag in Regensburg KONRAD
III. als König anzuerkennen, teilten sie ihm wohl nicht
beiläufig mit, dass Heinrich der Stolze
die Reichsinsignien nicht herausgebe. Er wird bei dieser Gelegenheit nur
als dux Bavariorum, aber nicht als dux Saxonum bezeichnet, obwohl ihm das
Sachsenherzogtum zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell aberkannt war.
Dabei hatte Herzog Heinrich gleich
nach der Beisetzung des Kaisers mit dem Anspruch Albrechts des Bären
auf das Sachsen-Herzogtum - ebenfalls als Erbe - zu kämpfen. Die dritte
Möglichkeit bestünde dann darin, dass Heinrich
der Stolze überhaupt nicht, in welcher Form auch immer,
in das sächsische Herzogsamt eingewiesen worden ist, sondern sich,
weil er der Schwiegersohn
LOTHARS war,
der als Kaiser das sächsische Herzogsamt behalten hatte, als den natürlichen
Erben aufgrund seiner Ehe mit Gertrud, der Erbtochter LOTHARS,
betrachtete. Auf dieser Basis sehen auch die sächsischen Quellen das
erbliche Anrecht des WELFEN. Der ASKANIER
Albrecht der Bär gründete indessen seinen Anspruch auf seinen
Großvater mütterlicherseits, eine Rechtsgrundlage, die allerdings
auch Heinrich der Stolzegeltend machen
konnte. Trifft die dritte Möglichkeit zu, dann versetzte sie den neuen
König
KONRAD III.
in die Lage, in einem Erbstreit schon dadurch entscheiden
zu müssen, dass die Belehnung eines von beiden mit dem Sachsen-Herzogtum
nicht zu umgehen war, wenn er nicht gar einen unbeteiligten Dritten mit
dem Amt betrauen wollte. Und da beide in gleicher Weise erbberechtigt waren,
konnte sich KONRAD III. nur mit einem
politischen Argument zu dem ASKANIER Albrecht entscheiden: Es sei unrecht,
dass ein Fürst zwei Herzogtümer innehabe.
Die dritte Möglichkeit besitzt nicht höchste
Wahrscheinlichkeit, trägt aber zur Plausibilität des dramatischen
Übergangs von LOTHAR zu KONRAD
III. bei. Weil die Erinnerung an das Sachsen-Herzogtum zur OTTONEN-Zeit
verblaßt war und man sich noch nicht vorstellen konnte, dass ein
Herrscher sein bisheriges Herzogsamt beibehalten wollte, suchten die Geschichtsschreiber
nach dem Tode LOTHARS eine Erklärung
in der Ämterübergabe zum Zeitpunkt der Hochzeit Heinrichs
oder
kurz danach. Zugleich erfaßten sie damit den Vorsprung des WELFENvor
seinem Rivalen Albrecht.
Heinrich der Stolze
hatte sich durch seine Heirat mit der Erbtochter
LOTHARS
der
Königsfamilie angesippt - später erkennbar in der entscheidenden
Hilfe der Kaiserin-Witwe Richenza bei
der widerrechtlichen Inbesitznahme Sachsens und in der Beisetzung Heinrichs
neben seinem Schwiegervater in Königslutter - und vertraute auf die
gleichsam erbrechtliche Nachfolge seines Schwiegervaters auch im Königtum,
weswegen vielleicht eine förmliche Übertragung Sachsen unterblieben
war. Die rechtswidrige Königswahl in Koblenz war offensichtlich nicht
von ihm vorauszusehen gewesen.
Boshoff ist zuzustimmen, dass es in Regensburg, wo Heinrich
der Stolze die Reichsinsignien
übergab, aber persönlich nicht zugelassen wurde, um die Verhandlungen
mit dem König direkt zu führen, schon nicht mehr um die nachträgliche
Anerkennung der Königserhebung KONRADS
ging, sondern um die Herzogtümer Bayern und Sachsen in der Hand des
WELFEN.
In Augsburg, dem nächsten Termin in der 1. Hälfte des Monats
Juli, führen die Verhandlungen keinen Schritt weiter. Der Anonymus
der Historia Welforum berichtet, dass, nachdem Heinrich
den Vergleich zu den Bedingungen KONRADS ausgeschlagen
und einen ungewissen Ausgang des Konflikts vorgezogen hatte, der König
metuens aliquid in se machinari des Nachts heimlich mit kleiner Begleitung
nach Würzburg davongeritten sei. In Anlehnung an die Übersetzung
von Erich König hatte nach Boshoff der STAUFER
Angst vor einem "Anschlag" infolgedessen erfolgte in Würzburg die
gerichtliche Ächtung Heinrichs des Stolzen
wegen Hochverrats (Vermutung eines Anschlags auf die Person des Königs).
Faßt man hingegen den Begriff etwas weiter im Sinne von "etwas gegen
ihn zu unternehmen", dann hätte man keine Schwierigkeiten mit der
Klage Heinrichs des Löwen, des Sohnes Heinrichs
des Stolzen, 1147 auf dem Frankfurter Hoftag auf Rückgabe
des Bayern-Herzogtums. Die dortige Begründung lautete schließlich,
seinem Vater sei dieses Herzogtum unrechterweise aberkannt worden. Ob der
junge WELFE diese Begründung mit
Aussicht auf Erfolg hätte vorbringen können und Otto von Freising
sie ohne zusätzliche Bemerkung wiedergegeben hätte, wenn mehr
als eine Huldigungsverweigerung - eben ein Mordabsicht - angesichts der
Forderung des Königs vorgelegen hätte, ist eine große Frage.
Die Ächtung Heinrichs des
Stolzen muß noch im Juli 1138 ausgesprochen worden sein.
Die Lehnsübergabe des Herzogtums Sachsen an Albrecht den Bären
erfolgte erst zu Weihnachten in Goslar und die des Herzogtums Bayern an
den BABENBERGER Leopold IV. von Österreich, Halbbruder KONRADS
III., gar erst im Frühjahr 1139. Normalerweise stand dem
Geächteten eine Frist von einem Jahr bis zur Verkündung der Oberacht
zu, bevor seine Rechtstitel anderweitig vergeben werden konnten; doch inwieweit
eine solche Formenstrenge schon erforderlich war, ist umstritten.
Heinrich der Stolze
starb am 20. Oktober 1139 und ließ sich in Königslutter
an der Seite seines Schwiegervaters beisetzen. Die beiden Witwen, Richenza
und Gertrud, konnten die faktische
Herzogsmacht in Sachsen gegen die Ansprüche des ASKANIERS behaupten.
Die Vormundschaft über Heinrichs
Sohn, Heinrich den Löwen, stand dessen Onkel Welf VI. zu, obgleich
er wohl nichts davon realisieren konnte.