THEROUANNE
 

Lexikon des Mittelalters: Band VIII Spalte
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Therouanne
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[1] Stadt: Vorort der Civitas der Morini, wurde Th. um die Mitte des 7. Jh. Bf.ssitz, doch blieb die von Mauern umwehrte Stadt von bescheidener Dimension (zwei Pfarreien 'intra muros') und wurde von den Nachbarstädten Aire und St-Omer weit überflügelt. In den Kämpfen zw. den Kg.en v. Frankreich und Hzg.en v. Burgund (bes. unter Karl d. Kühnen) blieb diebfl. Herrschaft ('Régale de Th.') eine frz. Enklave im burg. Artois. Häufig belagert (1513) und eingenommen (1303, 1346, 1486, 1537), wurde die Stadt 1553 auf Befehl Ks. Karls V. geschleift, so daß nur mehr die dörfl. Siedlung im Bereich des alten Faubourg St-Martin 'outre eau' fortbestand; die ma. Stadtwüstung ist heute wichtige archäol. Forschungsstätte.

[2] Bistum: Die Diöz. Th. umfaßte die gesamte Civitas, den westl. (Hauptort Boulogne) wie den östl. Teil. Der erste sicher belegte Bf. war der von Kg. Dagobert geförderte hl. Audomarus († um 670), der die große Abtei Sithiu (St-Bertin/ St-Omer) gründete. Seine (schlecht belegten) Nachfolger waren oft Mönche aus Sithiu. Im 10. Jh. diente Boulognelange als Bf.ssitz. Eine Krise erschütterte das Bm. Th. 1077-99: Die Anhänger der Gregorian. Reform sahen sich nacheinander konfrontiert mit vier, vom Gf.en v. Flandern unterstützten (und immer wieder ausgewechselten) Bf.en, bis sich schließlich die Papsttreuen mit Johannes v. Warneton (1099-1130) durchsetzten. Die Bf.e des 12. Jh. waren vorwiegend Regular-, dann Säkularkanoniker. Unter den avignones. Päpsten hatten oft Südfranzosen das Bm. inne, im 15.-16. Jh. dann Mitglieder von ndl. Adelsfamilien. Insgesamt amtierten 57 Bf.e.Die Diöz. Th. war gespalten, sprachlich (der S pikardofrz., der N fläm.) wie politisch: Bis zum späten 11. Jh. gehörte der größere Teil zur Gft. Flandern, der kleinere zur Gft. Boulogne; unter Philipp II. Augustus zerfiel das Diözesangebiet in drei Teile, infolge der Annexion des Artois durch Frankreich; unter den Hzg.en v. Burgund war es zw. 1416 und 1477 erneut vereinigt, danach wieder zw. zwei gegner. Staaten geteilt, den ndl. Territorien Maximilians und den Besitzungen des Kg.s v. Frankreich (Boulonnais und Bf.sstadt Th.). Außerdem unterstand Calais mit seinem Umland seit 1347 der engl. Monarchie und war de facto dem Ebm. Canterbury unterstellt. Nach der Zerstörung von Th. (1553) hob der Papst die Diöz. auf (Bulle »Super universas«, 12. Mai 1559) und teilte Gebiet und Güter unter die neuen Bm.er Boulogne, St-Omer und Ypern auf.
Die Diöz. war begrenzt im S durch den Fluß Canche, im W durch Kanal und Nordsee (bis zur Mündung der IJzer), im O durch den Mittellauf der Leie und der Clarence. Sie umfaßte 6007 km2 und zählte ab 1350 mindestens 517 Pfarreien. Das Archidiakonat Th. im S war gegliedert in 14 Dekanate (zuzügl. der Stadt Th.) mit frz. Sprache; das Archidiakonat Flandern zählte 9 Diakonate, mehrheitlich flämischsprachig. Um 1350 bestanden 10 Säkularkapitel, 17 Abteien und Propsteien der Regularkanoniker, 2 Viktorinerabteien, 13 Benediktiner(innen)abteien, 8 Zisterzienser(innen)abteien, eine Cluniazenserabtei, 2 Kartausen, 1 Wilhelmitenabtei, 12 Bettelordenskonvente (davon 4 in Ypern) und zahlreicheBeginenhäuser. Vier Abteien kamen im 14-15. Jh. ab.

B. Delmaire

  Quelle: Lexikon des Mittelalters, CD-ROM-Ausgabe. Verlag J. B. Metzler 2000. LexMA 8, 679-680