Annalen von St. Bertin
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Das Jahr 856.
 

Der Winter war sehr hart und trocken; durch eine schwere Pest wurde eine große Anzahl von Menschen fortgerafft. Ludowich, König von Italien, Lothars Sohn, beklagte sich über die Theilung des väterlichen Reichs in Francien bei seinen Oheimen Ludowich und Karl, indem er darauf hinwies, daß er Italien als Geschenk von seinem Großvater, dem Kaiser Ludowich, erhalten habe. Die Aquitanier ließen den Knaben Karl, welchen sie kürzlichst zum König erwählt hatten, wieder fallen, führten den Mönch Pippin, der aus dem Kloster des  heiligen Medardus entflohen war, aus seiner Haft und gaben ihn für ihren König aus. König Karl schloß mit dem Fürsten der Brittonen Respogius Frieden und verlobte seinen Sohn Ludoich mit der Tochter des Respogius, dem er das  Cenomannische Herzogthum bis zu dem Wege verlieh, welcher von der Stadt Lotitia der Parisier nach der Stadt Cäsaredunum der Turoner führt. Die Großen aus dem Reich des verstorbenen Kaisers Lothar bestellen seinen Sohn Lothar, indem sie ihm auch die heilige Salbung ertheilen lassen, zum König von Francien.
 
Die dänischen Seeräuber kamen am 18. April nach der Stadt Aurelianis, plünderten dieselbe und kehrten dann  ungestraft zurück.
 
Fast alle Grafen aus dem Reiche König Karls verschworen sich im Verein mit den Aquitaniern gegen Karl und forderten Ludowich, den König der Deutschen, auf, zu kommen, um ihren Plan durchzuführen; indem aber dieser sehr lange durch einen Feldzug gegen die Sclaven zurückgehalten wurde, wobei er einen großen Theil seines Heeres verlor, wollten jene solche Verzögerung nicht abwarten und versöhnten sich wieder mit Karl. Und die Aquitanier, Pippin fallen lassend, nahmen den Knaben Karl, den Sohn König Karls, den sie früher vertrieben hatten, wieder zum Könige an und führten ihn nach Aquitanien zurück.
 
Wiederum drangen andre dänische Seeräuber um die Mitte des Monats August in die Sequana ein, und nachdem sie die Städte auf beiden Ufern des Flusses sowie auch die mehr abseits gelegenen Klöster und Dorfschaften geplündert und verwüstet hatten, erwählten sie einen der Sequana nahen, durch  seine natürliche Beschaffenheit sehr geschützten Ort, der Graben des Givaldus genannt, und verbrachten daselbst den Winter in Ruhe.
 
Edilwulf, König der West-Angeln, von Rom zurückkehrend, feierte nachdem im Juli die Verlobung stattgefunden, am ersten Oktober in der Pfalz Vermaria seine Vermählung mit Judith, der Tochter König Karls, und nach der Segensertheilung durch Ingmar, den Bischof von Durocortorum der Remer, setzte er ihr ein königliches Diadem aufs Haupt und zierte sie mit dem Namen der Königin, was bisher bei seinem Volke nicht Sitte war; und nachdem die Vermählung beiderseits mit königlichem Aufwand und Geschenken gefeiert war, begab er sich mit ihr zu Schiff nach seinem Reich Brittannien.
 
Ludowich, der Kaiser von Italien, und sein Bruder Hlothar, König von Francien, hielten eine Zusammenkunft mit ihrem Bruder, dem Knaben Karl, zu Urba; und sie waren hier so uneinig über die Theilung des väterlichen Reiches, daß sie fast die Waffen gegen einander ergriffen hätten. Sie gaben  aber schließlich dem Bruder Karl die Provinz und das Lugdunensische Herzogthum der väterlichen Bestimmung gemäß, nachdem die Großen denselben dem Bruder Lothar entrissen hatten, der die Absicht hatte, ihn zum Mönch scheren zu lassen.

Die Saracenen von Benevent bemächtigten sich durch List der Stadt Neapolis und plünderten, verwüsteten und zerstörten dieselbe von Grund aus.
 

Das Jahr 858.

 
In diesem Jahre [als Karl auf die Insel der Sequana, Oscellus genannt, kam, wo er große Gefahr  bestand, wie damals vielen bekannt wurde; und als sein Bruder Hludowich mit seiner ganzen Heeresmacht über ihn kam, aber durch Gottes reiche Gnade ohne Ehre zurückkehrte] am Tage der Geburt des Herrn fanden zu Mogontia während der Nacht und des Tages starke und wiederholte Erderschütterungen statt denen eine große Sterblichkeit unter den Menschen folgte.
 
Im Gebiete ..... warf das Meer einen mit den Wurzeln ausgerissenen, im Gallischen Lande bis dahin ganz unbekannten Baum an's Ufer. Derselbe hatte keine Blätter, sondern an Stelle der Belaubung trug er ganz kleine Zweige, wie Grashalme, nur etwas länger, und an Stelle der Blätter dreieckige Figuren, in der Farbe wie die menschlichen Nägel oder die dünneren Fischgräten, und diese saßen an der Spitze jener grasartigen Zweige so, als ob sie von außen angesetzt wären, in der Art der Zierrathen, welche aus verschiedenen Metallen auf die Gürtel der Menschen oder das Geschirr der Pferde außerhalb aufgesetzt zu werden pflegen. Im Senonischen Gau, am Tage des Herrn, als der Presbyter in der Kirche der heil. Porcaria die Messe las, kam plötzlich ein Wolf in die Kirche, verwirrte umherlaufend das gegenwärtige Volk, that dasselbe wiederholt auch bei den Frauen und verschwand schließlich wieder.
 
Edilwulf, der König der Westsachsen starb, und sein Sohn Aedalbold nahm die Wittwe des Vaters, die Königin Judith, zur Gemahlin. Berno, der Führer des Theils der Seeräuber, die in der Sequana sich festgesetzt hatten, kam zu König Karl nach der Pfalz Vermeria, übergab sich seiner Huld, und  leistete ihm sofort den Eid der Treue.

Ein anderer Theil dieser Seeräuber nahm Ludowich, den Abt des Klosters vom heiligen Dionysius, mit seinem Bruder Gauzlen gefangen, und legte ihnen für ihre Befreiung eine ungeheure Summe auf, für welche auf Befehl König Karls viele Schätze der Kirchen Gottes in seinem Reiche erschöpft wurden; da diese aber durchaus nicht ausreichten, so wurde von dem Könige, von allen Bischöfen, Aebten, Grafen und anderen mächtigen Männern wetteifernd viel beigesteuert, um jene Summe voll zu machen.
 
Die Grafen König Karls, mit den Brittonen verbunden, fielen von Karl ab, vertrieben seinen Sohn Ludowich und dessen Begleiter aus dem Cenomanischen Gebiet und zwangen ihn, die Sequana zu überschreiten und sich zu seinem Vater zu flüchten.
 
König Lothar befestigte die Freundschaft mit seinem Bruder Karl, dem Könige der Provinz, indem er ihm vonseinem Reich das Gebiet von zwei Bisthümern schenkte, nämlich Bilisium und Tarantasia; seinerseits übergab Karl sein Reich dem Bruder Lothar in der Weise, daß, wenn er stürbe, bevor  er eine Frau genommen und Kinder gezeugt hätte, Lothar als Erbe ihm nachfolgen sollte.
 
Im Monat Mai trat in dem Ort Leudicum, wo der Leib des heiligen Landbert ruht, plötzlich durch Regengüsse eine solche Ueberschwemmung ein, daß die Häuser und steinernen Mauern und überhaupt Gebäude aller Art mit den Bewohnern  und allem, was sich nur darin fand, ja selbst die Kirche des  heiligen Landbert durch die Gewalt der Fluthen in den Fluß Mosa fortgerissen wurden.
 
Die Dänen fielen in Sachsen ein, wurden aber zurückgeschlagen. Benedict, der römische Papst starb; Nikolaus trat an seine Stelle, mehr in Folge der Anwesenheit und durch die Gunst König Ludowichs und seiner Großen, als durch die Wahl der Geistlichkeit.
 
König Lothar nahm, von den Seinigen gezwungen, die Gemahlin, welche er verstoßen hatte, wieder auf; er ließ sie aber nicht in sein Ehebett, sondern gab sie in Gewahrsam.
 
König Karl kam im Monat Juli nach der Insel Oscellus, um die Dänen zu belagern, welche sich darauf festgesetzt hatten; daselbst traf sein Sohn, der Knabe Karl, aus Aquitanien bei ihm ein. Mit diesem zugleich empfing er den, nun als Laien auftretenden Pippin, und schenkte ihm Grafschaften und Klöster in Aquitanien. Auch König Lothar kam nach dieser Insel im Monat August geeilt, um seinem Oheim Hülfe zu bringen. Und nachdem sie daselbst bis zum 23. September, ohne die Belagerung zu fördern, geweilt hatten, kehrten sie wieder nach Haus zurück.
 
Inzwischen führten die Grafen aus König Karls Reich den König der Deutschen, Ludoich, herbei, den sie schon fünf Jahre hindurch eingeladen hatten. Am ersten September traf er auf dem königlichen Hofgut Ponteo ein, und begab sich weiter über Catalauni und Cupedenses nach Ajedincum der  Senonen; von da zog er nach dem Aurelianensischen Gau, empfing aus Aquitanien, Niustrien und von den Brittonen die, welche zu ihm zu kommen versprochen hatten, und kehrte dann fast auf demselben Wege nach Cupedenses zurück. Als dies König Karl vernommen hatte, zog er eilends über Catalauni,  nach dem Orte Breo, wo er, während die vornehmsten Burgunds zu ihm eilten, den Ludoich, der ihm folgte, erwartete; Gesandte wurden hin und her gesandt; da jedoch eine friedliche Verständigung nicht zu Stande gebracht werden konnte, rüsteten sie sich am dritten Tage, das ist dem 12. November,  beiderseitig zur Schlacht. Karl aber, als er sah, daß er plötzlich von den Seinigen verlassen wurde, wich zurück und wandte  sich nach Burgund.
 
Ludoich seinerseits, nachdem er die, welche von Karl  abgefallen waren, aufgenommen hatte, zog nach Augusta der Tricer, vertheilte hier unter denen, die ihn gerufen hatten, Grafschaften, Klöster, königliche Güter und Besitzungen, und kehrte dann nach der Pfalz Attiniacus zurück. Hierher kam zu ihm König Lothar, und kehrte, nach neubekräftigtemBündniß, wieder in sein Reich zurück. Ludoich aber begab sich über Durocortorum der Römer und den Laudunensischen Gau nach der Stadt Augusta der Veromander, um daselbst im Kloster des heiligen Quintinus das Fest der Geburt des Herrn zu  begehen.
 
Inzwischen war ein Mönch aus dem Kloster des heiligen Märtyrers Vincentius und des heiligen Bekenners Germanus, von Corduba, der Stadt in Hispanien, zurückgekehrt, und brachte die Leiber der seligen Märtyrer, Georgs des Diakonen und des Aurelius, sowie das Haupt der Nathalie mit sich, und legte sie in dem Ort Acmantum in besonderen Behältnissen zur Aufbewahrung nieder.
 

Das Jahr 862.

 
Karl begab sich über Remi nach der Stadt  Suessionis, wo er die unzweifelhafte Nachricht erhielt, daß seine Tochter Judith, die Wittwe des Königs der Angeln Edelbold, welche, nachdem sie die im Reiche der Angeln erhaltenen Besitzungen verkauft hatte, zum Vater zurückgekehrt war, und in der Stadt Silvanectis mit den ihr als Königin gebührenden Ehren unter dem Schutz des Vaters und Königs, sowie unter bischöflicher Obhut gelebt hatte, bis sie, falls sie sich nicht enthalten könnte, nach dem Wort des Apostels eine passende und gesetzmäßige Ehe eingehen würde, dem Grafen Balduin sich  hingegeben habe, und ihm mit Bewilligung ihres Bruders Hludowich in einer Verkleidung gefolgt sei; daß ferner sein Sohn Hludowich, von den obengenannten Guntfrid und Gozfrid verlockt, die Getreuen des Vaters verlassend, mit wenigen Nachts entflohen, und als Ueberläufer zu denen, die ihn verlockt hatten, gekommen sei. In Folge dessen berieth sich König Karl mit den Bischöfen und übrigen Großen seines Reiches, und nach erfolgtem Spruch des weltlichen Gerichts forderte er die Bischöfe auf, über Balduin und über Judith, die mit dem Dieb entlaufen war, und sich zur Genossin der Unzucht gemacht hatte, auch das geistliche Urtheil nach dem Decret des seligen Gregorius zu fällen, daß, wenn jemand eine Wittwe entführt, um sie zu seiner Frau zu machen, er und alle, die dem zugestimmt, verflucht sein sollen. Und die Abtei des heiligen Martinus, die er unbedachter Weise seinem obengenannten Sohn Hludowich, gegeben hatte, schenkte er, auch nicht sehr überlegt, dem Hucbert, einem verheiratheten Pfaffen. Von dort begab er sich nach Silvanectum; während er hier verweilte, erwartend, daß das Volk sich um ihn schaarte, um je auf beiden Ufern der einzelnen Flüsse, d. h. der Isara, der Matrona und Sequana einen Heerhaufen zum Schutz dagegen aufzustellen, daß die Normannen nicht ihre Plünderungszuge unternehmen könnten, erhielt er die Nachricht, daß eine Schaar Dänen von denen, welche in Fossata sich festgesetzt hatten, auf kleinen Schiffen gegen die Stadt der Meldenser gerückt wäre. Darauf eilte er, mit denen, welche er bei sich hatte, dorthin zu ziehen; und weil er, da die Normannen die Brücken zerstört und der Schiffe sich bemächtigt hatten, an sie nicht herankommen konnte, stellte er, von der Nothwendigkeit Rath nehmend, eine Brücke bei der Insel in der Nähe von Trejectum wieder her, und schnitt den Normannen die Möglichkeit der Fahrt abwärts ab; zugleich entsandte er auch noch zum Schutz  Heerhaufen auf beiden Seiten der Matrona.

Hierdurch äußerst bedrängt, sandten die Normannen auserwählte Geiseln an Karl, die dafür haften sollten, daß sie alle Gefangenen, welche sie gemacht hätten, nachdem sie nach der Matrona gekommen wären, freigeben, und entweder mit den andern Normannen an einem festgesetzten Tag die Sequana  verlassen und in See gehen würden, oder aber, wenn die übrigen mit ihnen nicht fortziehen wollten, vereint mit dem Heere Karls die sich Weigernden mit den Waffen angreifen würden; und darauf hin wurde ihnen, nachdem sie zehn Geiseln gestellt, gestattet, zu den Ihrigen zurückzukehren. Ungefähr zwanzig Tage darauf kam nun Weland selbst zu Karl, huldigte ihm als seinem Herrn und leistete sofort mit denen, welche er mit sich führte, eidliches Gelöbniß. Von da wieder zu den Schiffen  zurückgekehrt, fuhr er mit der ganzen Flotte der Dänen bis hinab nach Gemeticum, wo sie ihre Schiffe ausbessern und die Frühlings-Sonnenwende abwarten wollten.
 
Nachdem die Dänen ihre Schiffe wieder in Stand gesetzt, gingen sie in getrennten Geschwadern zur See und steuerten je nach dem verschiedenen Belieben hierhin und dorthin. Der größte Theil aber zog zu den Brittannern, die unter ihrem Herzog Salomon in Niustrien wohnen; und mit diesen verbanden sich auch diejenigen, welche in Hispanien gewesen waren.

Rotbert nahm denselben auf dem Flusse Liger zwölf Schiffe, welche Salomon zum Widerstand gegen ihn gemiethet hatte, und tödtete alle, welche auf diesen Schiffen sich befanden, mit Ausnahme weniger, die flüchtend sich verbargen.Da aber Rotbert sich nicht stark genug fühlte gegen Salomon und jene Normannen, welche aus der Sequana kamen, so verhandelte er mit diesen noch ehe sie Salomon gegen ihn herbeirief, und vereinigte sich mit ihnen durch Vertrag unter beiderseitig gegebenen Geiseln für 6000 Pfund Silbers gegen Salomon.
 
Karlmann, der Sohn Hludowichs, des Königs von Deutschland, versöhnte sich mit seinem Vater, indem er von diesem den Theil des Reichs, dessen er früher sich bemächtigt, erhielt und einen Eid leistete, daß er fernerhin ohne des Vaters Willen keines weiteren Gebietes sich bemächtigen werde.
 
Hludowich endlich, der Sohn König Karls, der sich auf den Rath des Guntfrid und Gozfrid zu Salomon begeben, erhielt einen starken Heerhaufen Brittonen, griff mit diesen den Getreuen seines Vaters, Rotbert, an, und verheerte mit Mord, Feuer und Raub das Gebiet von Andegavum und alle Gaue, wohin er gelangen konnte. Rotbert jedoch griff die mit großer Beute zurückkehrenden Brittonen an, tödtete mehr als 200 Edle der Brittonen und nahm ihnen ihre Beute ab. Wiederum griff darauf Hludowich den Rotbert an, wurde aber von diesem in die Flucht geschlagen und entkam, während seine Genossen zerstreut wurden, selbst kaum mit dem Leben.
 
Karl, der König der Aquitanier, König Karls Sohn, nahm, noch nicht ganz fünfzehn Jahre alt, von Stephan überredet, ohne Willen und Wissen des Vaters, die Wittwe des Grafen Humbert zur Gemahlin. Und auch der obengenannte Hludowich, sein Bruder, heirathete, seinem Beispiel folgend,  unverzüglich zu Anfang der Fasten die Tochter des verstorbenen Grafen Harduin, die Schwester seines vielgeliebten Freundes Odo. Karl, dieser beiden Vater, hieß alle Grafen seines Reichs an einem Ort, der Pistis heißt, wo von der einen Seite die Andella und von der andern die Audura in die Sequana einfließt, zu Anfang Juni mit vielen Werkleuten und Karren sich versammeln, errichtete daselbst Befestigungen in der Sequana, und schnitt der Normannen wegen allen Schiffen die Möglichkeit des Hinauf- und des Hinabfahrens ab. Er selbst, von seiner Gemahlin begleitet, hatte an dem Fluß Liger,  in dem Ort, der Maidunus heißt, nachdem die Seinigen Eide geleistet, eine Unterredung mit seinem Sohne Karl; und da dieser, in Worten unterwürfig, aber von widerspenstigem Geiste, plötzlich sich entfernte und nach Aquitanien zurückkehrte, begab er sich wieder nach Pistis, wohin er einen Reichstag und eine Synode berufen hatte, und verhandelte, indem er auch jene Arbeiten betrieb, mit seinen Getreuen über die Angelegenheiten der Kirche und des Reichs.
 
Hierhin kam nun Rothad, Bischof von Suessionis, ein Mensch von merkwürdigem Unverstand, um sich, nachdem er in einer Provinzialsynode rechtmäßig von der Gemeinschaft der Bischöfe ausgeschlossen war, in seiner Hartnäckigkeit der Versammlung der Bischöfe der vier Provinzen vorzustellen. Die Versammlung seiner Brüder, um ihn nicht ganz zu entsetzen, beschloß, daß er bis zur Entscheidung seiner Appellation an den heiligen Stuhl in Haft gehalten würde. Da er aber nach dem Urtheil dieses Concils noch immer dahin wollte, wohin er seine Appellation gerichtet hatte, so wurde, nachdem von dieser Synode zwölf Richter zur Ausführung des Urtheils bestellt waren, Rothad, dieser neue Pharao in seines Herzens Härtigkeit und als ein zum Thier verwandelter Mensch ein Vertreter der alten heidnischen Zeiten, wegen der ungehörigen Handlungen, welche in der Geschichte seines Verhaltens aufgezeichnet sind, weil er sich nicht bessern wollte, in der Vorstadt der Stadt Suessionis entsetzt.

In jener Zeit trug sich in der Stadt Morinum ein  Wunder zu. Als nämlich der Diener eines Bürgers dieser Stadt am Morgen des Festes der Himmelfahrt der seligen Jungfrau Maria ein leinenes Gewand, das man Hemd zu nennen pflegt, zu plätten anfing, damit sein Herr, wenn er  zur Messe ging, es anziehen könnte, zeigte sich daß das Gewand nach dem ersten Strich, den er mit dem aufgesetzten  Plätteisen that, einen blutigen Streifen hatte; und so oft er  mit dem Eisen darüber hinfuhr, kam immer wieder Blut  hervor, bis zuletzt das ganze Gewand von frischem Blute  durchzogen war. Dies Gewand ließ sich Hunfrid, der ehrwürdige Bischof der Stadt, bringen und in der Kirche zum Zeugniß  aufbewahren. Und da dieses Fest von den Bewohnern dieser Diöcese nicht gefeiert wurde, befahl er, daß dasselbe fortan von allen mit gebührender Ehre begangen und gefeiert würde.
 
Hludowich, der vor einiger Zeit von seinem Vater abgefallen war, kehrte zu ihm zurück, und von ihm, sowie auch von den Bischöfen Verzeihung für seine Uebelthaten erbittend, verband er sich mit schwersten Eiden, seinem Vater künftig treu bleiben zu wollen. Sein Vater gab ihm die Meldensische  Grafschaft und die Abtei des heiligen Crispin, und hieß denselben mit seiner Frau aus Niustrien zu ihm kommen. Dem Hunfrid, welchen Warengaud der Untreue angeklagt hatte, erließ er, auf Bitten seiner Getreuen, den Kampf der Waffen zu bestehen, und versöhnte ihn und Warengaud wieder  miteinander.
 
Hludowich, der König von Deutschland, lud seinen Neffen Hlothar zur Zusammenkunft nach Moguntia ein und bat denselben, daß er im Verein mit ihm gegen die Wineder, welche ....  heißen und gegen ihren Häuptling . . . .  mit einer Heeresmacht zöge; Hlothar versprach zuerst, daß er kommen würde, hielt jedoch später sein Versprechen nicht. Hludowich aber, nachdem er seinen Sohn Karl im Vaterlande zurückgelassen hatte, weil er vor kurzem die Tochter des Grafen Erkangar als Gattin heimgeführt hatte, zog, von seinem Sohn Hludowich  begleitet, gegen die Wineder; nachdem er daselbst mehrere seiner Großen verloren und nichts ausgerichtet hatte, kehrte er mit Geiseln, die ihm gestellt waren, nach seiner Pfalz Frankonofurth am Fluß Moenus zurück. Die Dänen verwüsteten einen großen Theil seines Reiches mit Feuer und Schwert; aber auch andere, bisher jenen Völkern unbekannte Feinde, welche Ungarn genannt werden, verheerten sein Reich.
 
Hlothar, durch böse Zauberkünste, wie es heißt, bethört, und von blinder Liebe zu seinem Kebsweibe Waldrada getrieben, um deren willen er seine Gemahlin Theutberga verstoßen hatte, krönte diese seine Beischläferin und nahm sie förmlich als Ehegattin und Königin an. Und hierbei unterstützten ihn sein Oheim Liutfrid und Waltarius, die eben deswegen ihm so nahe standen, und, unerhört zu sagen, selbst einige Bischöfe seines Reiches gaben dazu ihre Zustimmung. Seine Freunde aber beklagten und verwarfen diese That.

Hinkmar, Bischof von Remi, weihte in Gegenwart König Karls und seiner Suffraganbischöfe, die Metropolitankirche dieser Provinz der heiligen Maria, der schon die alte Kirche  geweiht gewesen war.
 
Hludowich, der König von Deutschland, schickte sehr freundliche Botschaft an seinen Bruder Karl und ließ ihn zu einer  Unterredung nach dem Tullensischen Gebiet einladen; und da Karl nicht eher mit Hlothar eine Besprechung halten wollte, als bis er seinem Bruder das mitgetheilt hätte, was ihm in Hlothars Verhalten mißfiel, so erhob sich darüber ein nicht geringer Streit in der Unterredung. Zuletzt übergab Karl in Gemeinschaft mit den Bischöfen, die er bei sich hatte, dem Hludowich und den Bischöfen, die dieser bei sich hatte, eine Schrift, in der einzeln die Gründe aufgeführt waren, um  welcher willen er nicht mit Hlothar Gemeinschaft haben wollte, wenn dieser nicht verspräche, genügende Rechenschaft für sein Verhalten zu leisten, oder der Autorität gemäß eine genügende Besserung vorzunehmen.
 
Nach diesem Versprechen nahmen unter solcher Bedingung Karl und die Bischöfe, welche mit ihm waren, den Hlothar in  ihre Gemeinschaft auf; nachdem aber die Erklärungen, welche sie über ihre Zusammenkunft dem Volke geben sollten, niedergeschrieben und den Rathgebern vorgelesen waren, verwarfen Hludowich und Hlothar dieselben vollständig, damit nicht dem Volke die Dinge bekannt würden, die Karl dem Hlothar vorwarf, indem sie dabei insbesondere dem Rathe des Chunrad, ihres Rathgebers und Oheims von Karl folgten, der wie gewöhnlich auf ein hochmüthiges und doch eitles, weder ihm noch andern nützliches Wissen sich stützte; Karl aber ließ gegen den Willen derselben alle vollständig wissen, daß er, weil Hlothar seine Gemahlin wider die Autorität des Evangeliums und der  Apostel verlassen und eine andere sich genommen habe, und weil sie mit der Frau des Boso und mit Balduin, welcher seine Tochter entführt und zur Frau genommen hatte, Verkehr gepflogen, obgleich jene excommunicirt worden waren, mit  Hlothar vor gedachter Erklärung nicht habe Gemeinschaft haben wollen. Und nachdem sie für eine neue Zusammenkunft einen Reichstag im künftigen Monat October auf der Grenze der  Mosomagensischen und Vonzensischen Grafschaft festgesetzt hatten, schieden sie von einander.
 
Hludowich zog nach Baiern, um seinen Sohn Karlmann, der mit Hülfe des Restiz, des Häuptlings der Winider, gegen den Vater sich empört hatte, in Güte zu gewinnen oder ihm mit Gewalt entgegenzutreten. Karl kehrte vom Tullensischen Gebiet über Pontigo und dann längs dem Fluß Matrona seinen Weg nehmend nach Carisiacus zurück und beging daselbst aufs festlichste den Tag der Geburt des Herrn.
 

Das Jahr 863.

Kapitel 5.
 

Von den Aussprüchen und Verboten des apostolischen Stuhles.

Wenn jemand die vom Inhaber des heiligen Stuhles in heilsamer Weise erlassenen Lehrsätze, Mandate, Verbote, Bestätigungen und Beschlüsse für den katholischen Glauben, die kirchliche Disziplin, die Zurechtweisung der Gläubigen, die Besserung der Verbrecher, das Verbot naher oder fernerer Uebel mißachtet, so soll er verflucht sein. 
Wir wünschen, daß es Eurer Heiligkeit in Christo wohl ergehen möge. -
 
Karl hielt am 25. October eine Synode in der Pfalz Vermeria, erstritt sich hier nach dem Gesetz den Besitz der Abtei des heiligen Carilephus, gegen Rotbert, den Bischof der Cinomanischen Stadt, der behauptete, daß dieselbe kraft päpstlicher Zuweisung zum Besitze seines Bisthums gehöre, und schickte den kürzlich entsetzten Rothad, wie ihm der heilige Vater aufgetragen hatte, mit seinen und der Bischöfe Briefen und Abgeordneten nach Rom.
 
Seine Tochter Judith nahm er auf die Bitte des apostolischen Herrn in Frieden wieder auf, und empfing in feierlicher Weise den Gesandten des Mahomet, Königs der Sarracenen, der große und viele Geschenke, so wie Briefe überbrachte, die von Frieden und freundschaftlichem Bündniß handelten, und der König Karl bestimmte, daß derselbe mit Ehren und unter gebührendem Schutz, so wie mit allem Nothwendigen  ausgerüstet, in der Stadt Silvanectis den geeigneten Zeitpunkt abwarten sollte, wo er ihn ehrenvoll zu seinem Könige zurückschicken könnte. Von da brach er mit einer starken Heeresmacht gegen Aquitanien auf, um seinen Sohn Karl, wenn er anders nicht kommen wollte, durch die Waffen in seine Gewalt zu bringen, und kam bis nach der Stadt Autisiodorum; und hier gestattete er, wie der heilige Vater ihn gebeten hatte und nach dem Rath seiner Getreuen, daß seine Tochter Judith mit Balduin, dem sie bisher gefolgt war, in gesetzlich gültiger Ehe sich verband, darauf zog er nach der Stadt Nivernum, wo er seinen Sohn Karl, der zu ihm kam, empfing; und er befahl seinem Sohne, durch einen Eid Treue und schuldige Unterwerfung zu geloben, und ließ sich auch von allen Großen Aquitaniens von neuem einen Eid leisten.
 
Auch zwei Normannen, welche vor einiger Zeit mit Weland die Schiffe verlassen und das Christenthum zum Schein, wie es damals hieß und später klar wurde, gefordert hatten, klagten jenen der Untreue an; und da Weland es leugnete, kämpfte einer von beiden mit demselben nach der Sitte ihres Volkes vor dem Könige und tödtete ihn im Kampfe. Um diese Zeit vernahm man die traurige Kunde, daß die Normannen nach Pictavis gekommen waren, und zwar die Stadt gegen Lösegeld verschont, aber die Kirche des heiligen Hilarius, des großen Bekenners, verbrannt hatten. König Karl feierte das Weihnachtsfest in der Nähe der Stadt Nivernum an dem Ort, wo er seinen Sohn empfangen hatte.