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Sonntag, 16. Juni 1991
Der heutige Tag ist der amerikanische Vatertag. Leider kann ich mir kein Bild davon machen, wie bedeutungsvoll er in den USA ist und wie er dort begangen wird.
Mit Ausgangspunkt Page fahren wir zunächst nach Kanab, einer Stadt, die ihren Ruhm dem Umstand verdankt, daß sie schon mehrfach Schauplatz spannender Wildwestfilme war. In der Tat ist dieser Landstrich Arizonas wahrhaft atemberaubend. Der Landschaftscharakter kommt dem des Monument Valleys schon recht nahe, mit dem Unterschied, daß der Farbgrundton des Gesteins nicht rot, sondern gelb ist. In diese einzigartige Landschaft eingebettet findet sich das Navajo National Monument, ein in eine riesige, natürlich überdachte Aushöhlung der Felswand hineingebautes Pueblo. Das Höhlendorf liegt malerisch, tief drunten, in einem Canyon. Mannigfaltig ist auch die Flora dieser Region, in der Kakteen aller Arten vorkommen, die in den schönsten Farben blühen.
Am frühen Nachmittag erreichen wir schließlich das Tal der Monumente, den absoluten Höhepunkt unter allen Landschaften Arizonas. Der Inselberg Gran Capitane begrüßt uns als erster unter einer ganzen Reihe völlig freistehender Felstürme, deren Gestein offenbar härter und gegen die Abtragung resistenter war als das des sie umgebenden Materials. Eine etwa dreistündige Erkundungsfahrt mit eingeborenen Navajo-Indianern führt uns zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Tales. Zu den in gewöhnlichen Reiseführern nicht erwähnten Anlaufstellen zählen der Ford Point, die Universal Studios und etliche natürliche Steinbögen, denen die Fantasie die Form von Augen oder Ohren angedichtet hat. Überhaupt lassen sich vielfältige Gestalten in den Gebilden erkennen: der schlafende Drache, eine steinerne Faust mit fünf Fingern, die drei Schwestern mit den Initialen Welcome Visitors, ein Elefant, der Kopf eines Adlers sowie ein Kamel.
Unser Fahrer, ein waschechter Indio, will nun wissen, ob wir ein indianisches Lied hören möchten. Als wir dem zustimmen, hebt er an zu singen, zunächst mit sehr hoher, dann fast klagender Stimme, und schließlich tönt es fast wehleidig aus seiner Kehle. Es ist dies eine ganz andere Art des Gesangs, als wir sie gewohnt sind, aber nicht disharmonisch. Der Text handelt vom Glück der Mutter Erde, denn die Indianer glauben, daß sie der Erde entsprossen sind.
Nachdem ich bereits auf unserem Ritt durch den Bryce Canyon die Rolle eines Dolmetschers übernommen habe, offenbar zur allgemeinen Zufriedenheit, erwartet man selbiges ein weiteres Mal von mir. Daher wird mir der Platz an der Seite des Fahrers zuteil, den ich natürlich auch sonst nicht ausgeschlagen hätte.
Nach dem Abendessen, das wie immer recht schmackhaft ist - es gibt heute Chili con carne - wird noch eine kürzere Bergtour unternommen, und zwar auf die nächstgelegene Erhebung, die mit dem Canyonrand abschließt. Der Anstieg ist relativ unschwierig, kann aber dennoch, quasi als Konditionstraining, als Einstimmung auf den morgigen Ausflug hinab in den Grand Canyon dienen. Lediglich eine etwas schwierigere Stelle, bei der man sich flach auf einen Felsen legen muß, muß überwunden werden, wobei man keinesfalls abrutschen darf. Zum Glück kann ich mich halten, sonst wäre mir der weitere Aufstieg verwehrt gewesen. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Gipfel, und schon habe ich ihn bezwungen. Die Rundsicht und der Blick von dort oben hinab auf die aus einer schier endlos scheinenden Ebene steil herausragenden Monumente, die in tiefem Rot erleuchten, kann nur als grandios bezeichnet werden. Dabei bedauere ich sehr, daß ich weder Video- noch Filmmaterial mitführe, um diese fantastische Szenerie festzuhalten. Auf einer Plattform, die sich ganz oben befindet, ist ein geodätischer Punkt mit folgender Inschrift in den Stein gemeißelt: US Coast & Geodetic Survey Information Station, For Information ask the Director, Washington D.C. 1951.
Morgen soll unser geplanter Flug über den Grand Canyon stattfinden, auf den ich sehr gespannt bin. Zumindest was das Wetter angeht, kann wohl kaum noch etwas schiefgehen, denn dieses ist ganz einfach fabelhaft.
Montag, 17. Juni 19991
Der Tag beginnt früh, da ich etwas unsanft aus dem Schlaf gerüttelt werde. Den Sonnenaufgang im Monument Valley erleben wir als glatten Reinfall, denn die Sonne zeigt sich noch nicht einmal. Nach mehrstüdiger Fahrt erreichen wir den Grand Canyon am Desert View. Mein erster Eindruck ist eher enttäuschend, da die Luft nicht sonderlich klar ist, so daß auch die Konturen nicht messerscharf hervortreten. Der Rand des Plateaus, in welches der Colorado River sich eingegraben hat, befindet sich in einer Höhe von etwa 1800 Metern über dem Flußlauf.