MikrouV fragkouV ecomen - Einige
Franken haben wir! |
Durchs
Rauhe
Kilikien
oder
Auf den
Spuren der
Kreuzritter

latt, fast zu glatt, fing alles an,
eine Reise, die keiner großen Vorbereitungen bedurfte, wohl aber
einer solchen unausgesetzten Härte unterworfen war, daß sie
eigentlich nur im Alleingang hätte bewältigt werden können. Am
Anfang einer jeden Reise steht sonst immer das Organisatorische,
aber hier wurde rein gar nichts organisiert, außer dem
Mietwagen. Als wir uns nach Ankunft in Antalya zum Schalter der
Autofirma Sixt begeben, fallen mir als erstes die schuldbewußten
Gesichter auf, ganz so, als habe man unser Kommen bereits
erwartet. Schon bald wird uns eröffnet, daß man kein Fahrzeug
für uns habe, und man erklärt mir, daß auch keine Reservierung
eingegangen sei. Dabei habe ich bei einem renommierten deutschen
Reiseveranstalter gebucht, und ich schenke daher den Leuten
keinen Glauben. Nun bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ein
zweites Fahrzeug zu mieten, und das wird ganz schön teuer. Wie
ich den bereits vorausbezahlten Preis für das reservierte Auto
zurückbekomme, das sei meine Sache, erklärt man mir, denn man
sei an der verfahrenen Situation schließlich nicht schuld, denn
die Schlamperei liege allein in Deutschland, auch wenn man das
Vorgefallene zutiefst bedaure. Das Ersatzfahrzeug wiederum
entspricht nicht ganz meinen Vorstellungen, womit sich denn auch
der höhere Spritverbrauch nicht rechnet. Der Chef der
Niederlassung spricht ausgezeichnet Deutsch, die anderen
Schlitzohren sind schon stolz, daß sie eine Lösung für mich
gefunden haben. So müssen wir denn, auch weil ich das
Kleingedruckte nicht gelesen habe, ohne Vollversicherung mit
einem nicht aufgetankten Fahrzeug die Reise antreten, und mir ist
unwohl dabei, denn der kleinste Steinschlag kann mich eine neue
Windschutzscheibe kosten. Aber ich habe ja einen guten Anwalt,
und auch die Telephonverbindung nach Deutschland klappt, was will
man mehr?
Das
Hotel am Konyalti-Strand, das ich per Internet habe reservieren
lassen, beeindruckt aufgrund seiner Sauberkeit sowie der
Freundlichkeit, die man uns dort entgegenbringt, auch wenn ich
zur Parkplatzsuche mehrfach um den Häuserblock fahren muß. Ein
erster Blick nach dem Erwachen in den neuen Tag offenbart die
ganze Herrlichkeit der Bergkulisse, die Antalya umgibt. An seiner
Westseite reicht das Taurus-Gebirge bis ans Meer heran, in das es
mit einem Steilabfall abbricht. Die um diese Jahreszeit noch
schneebedeckten Berge, die eine Höhe von über 3000 m erreichen,
zeigen sich in der ganzen Pracht, die der Frühling ringsum
entfaltet. Unser erstes Tagesziel ist das antike, am Eurymedon
gelegene Aspendos, mit einem der besterhaltensten römischen
Theater überhaupt. Die antike Stadt liegt auf einem rundum
abschüssigen Tafelberg und hat in ihrer Anlage gewaltige
Ausmaße. Vom nahen Taurusgebirge kommend verläuft ein
Aquädukt, der in großen Teilen noch gut erhalten ist. An
weiteren Gebäuden ist neben dem Theater nur wenig auf unsere
Zeit gekommen, das gesamte Gelände ist überwachsen und von
Macchia überwuchert, und speziell um diese Jahreszeit ertrinkt
alles in einem Meer von Blumen. Angelegte Wege gibt es beinahe
nicht, so daß man sich, wenn man die Stadt umschreiten will,
durchs Gestrüpp kämpfen muß. Neben strategischen
Gesichtspunkten - die Stadt war ohne ein Abschneiden der
Wasserversorgung kaum einzunehmen - hatten die Griechen seit
jeher ein besonderes Augenmerk auf landschaftliche Reize gelegt.
Sie wußten wohl, wie sehr es dem Menschen zuträglich ist, von
einer majestätischen Natur umgeben zu sein. Von Aspendos geht es
durch die zwar fruchtbare, aber landschaftlich wenig
überzeugende Ebene Pamphyliens nach Side, einer hellenistischen
Gründung, die in der Antike berüchtigt war für ihren
Sklavenmarkt. Davon zeugt noch heute die gewaltige Agora. Das
Theater von Side ist weitgehend eingestürzt, doch dank
Sanierungsmaßnahmen ist das Halbrund der Sitzreihen noch immer
imposant genug. Der zunehmend versandende Hafen beendete die
Glanzzeit Sides. Die Größe der einstigen antiken Stadt, die auf
einem sich weit ins Meer erstreckenden Sandsporn liegt und deren
einziger Schutz das Meer ist, ist beachtlich. Gewaltig sind noch
immer die Reste der hellenistischen Stadtmauer gegen die
Landseite, die mit zwei imposanten Toren das ausglich, was andere
Stadtanlagen aufgrund ihrer Unerreichbarkeit besaßen. Ansonsten
findet man in der Stadt außer einem Nymphäum, dem sogenannten
Marktbrunnen, sowie einer als Bibliothek gedeuteten Fassade und
dem Apollon-Tempel, von dem heute kaum mehr als fünf Säulen
erhalten sind, nicht mehr viel, abgesehen vielleicht von einigen
byzantinischen Kirchenbauten. Um
uns schnell zurechtzufinden, sind wir immer wieder auf fremde
Hilfe angewiesen, und da ist die türkische Hilfsbereitschaft
sprichwörtlich. Nachdem auch das Wetter nicht weiß was es will
und vom Taurus herab Gewitter niedergehn, deren Ausläufer sich
bis an die Küste erstrecken, verzichten wir auf die Fahrt nach
Seleukia und biegen nicht weit hinter Yesiliköy in Richtung
Alara Han ab. Es ist aber nicht die seldschukische Karawanserei,
die uns dazu veranlaßt, obwohl sie als die besterhaltenste der
ganzen Südküste gilt, sondern es ist die byzantinische Burg,
die Alaettin Kaykobat zuerst an sich bringen mußte, ehe er die
Karawanserei errichten konnte. Durch erholsame Pinienwälder
führt die Fahrt zunächst hinauf ins Gebirge, immer das Tal das
Alara Çayi entlang, eines milchig-weißen Gebirgsflusses, wie
wir ihn etwa vom Inn her kennen. Wen würde das wundern? denn die
Alpen und der Taurus sind geologisch etwa zur selben Zeit
entstanden. An einer Wegbiegung sehen wir die byzantinische
Festung zum ersten Mal, anfangs noch winzig klein, auf einem
extrem steilen Felsen thronend, einem Adlerhorst gleich, obwohl
wir sie, wenn wir gezielt nach ihr gesucht hätten, schon längst
hätten sehen müssen. Es hat sich eingetrübt, aber trotz der
farblosen Stimmung ist die an eine Alpenregion erinnernde
Landschaft etwas ganz Besonderes, etwas von einem eigenartigen
Zauber Umgebenes. Ich wage meinen Augen nicht zu trauen ob dessen
was ich da sehe, und ich muß gestehen, daß ich niemals und
nirgendwo auf der ganzen Welt jemals eine solche Burg gesehen
habe, die so hoch droben auf einem Felsen sitzt wie diese und
deren Mauern sich von ganz unten über viele hundert Meter nach
oben erstrecken. Es mutet wie etwas Sagenumwobenes, kaum zu
Glaubendes, Andersartiges und völlig Fremdes an, wie ein
Phantasiegebilde von einem Königsschloß, das sich hoch zum
Himmel türmt, aber dennoch nichts als Wirklichkeit ist. Es ist,
als würde man ein zweites Machu Picchu erleben, aber in einem
ganz anderen Teil der Welt. Um die Träume auszuräumen, müssen
Taten folgen, vollendete Tatsachen geschaffen werden. Innerlich
habe ich den Entschluß dort hinaufzusteigen bereits gefaßt,
aber noch bin ich im Zweifel, ob ich das Wagnis angesichts der
späten Stunde und der ständig schwelenden Gefahr eines
Regengusses eingehen soll. Da reißt mich die Stimme einer
türkischen Frau aus meinen Gedanken, und sie muß meine Gedanken
gelesen haben, als sie mich zu sich winkt. Sie winkt mit einer
Taschenlampe, die ich brauchen werde, wie sie meint. Dann
erklärt sie mir mit ein paar unbeholfenen Brocken Deutsch, was
ich alles zu beachten hätte. Wasser sollte ich mitnehmen; ich
würde in ein Tunell kommen, entnehme ich ihren Erklärungen, das
man nur mit künstlichem Licht durchqueren könne. Mit den
Händen beschreibt sie den Weg, den ich gehen müsse, um ans Ziel
zu gelangen. Zwei Stunden, meint sie, würde der Aufstieg
beanspruchen, doch diese Zeit haben wir bei weitem nicht, denn es
ist schon später Nachmittag. Den skeptischen Blicken einiger
Dorfbewohner zum Trotz beginne ich das Unternehmen, da sich von
selbst ergeben dürfte, ab wann ein Umkehren unumgänglich wird.
Mit besten Wünschen entlassen, breche ich auf. In der Tat ist
der Einstieg zu Füßen des Berges bald erreicht, aber dann
beginnen Kehren um Kehren, Serpentinen um Serpentinen, und ehe
ich es mich versehen habe, ist der Alara-Fluß bereits turmhoch
unter mir. Nun reißen zu meinem Glück, oder sollte ich sagen
Unglück, die Himmel auf und die Sonne fängt an zu stechen, der
Schweiß von der Stirn zu triefen. Wie gut, daß ich auf den Rat
der Alten gehört habe. Zug um Zug fließt das kühle Naß die
Kehle hinunter, aber ich bin noch längst nicht droben. Ständig
schöner werdende Tiefblicke eröffnen sich, aber den besten
Blick werde ich von ganz oben haben. Plötzlich ist es soweit,
daß ich am unteren Ende des Tunnels stehe, der, kaum hoch genug,
daß ein Mann aufrecht in ihm gehen kann, mich wie ein schwarzes
Loch angähnt. Und dorthinein werde ich müssen! Die Taschenlampe
leuchtet nicht, sie hat einen Wackelkontakt. Keine Chance
hindurchzukommen! Nachdem ich sie kräftig durchgeschüttelt
habe, endlich Licht! Ich muß es wagen. In der Tat, ich hätte
mir das Genick gebrochen, hätte ich keine Lampe bei mir gehabt.
Nach hundert Metern durch das Labyrinth wird es wieder hell, und
ich stehe draußen im gleißenden Sonnenlicht. Silbern glitzert
jetzt der Fluß in der Tiefe, der, wenn ich senkrecht
hinabschaue, doch nur ein Wildbach ist. Richtig! dort gegen das
Meer hin müssen sich mehrere Flüsse vereinigen. Nun beginnt der
Weg ausgesetzter zu werden, Hände und Füße müssen eingesetzt
werden. Doch wie soll das gehen, wenn man in der einen Hand die
Wasserflasche hält, in der anderen die Taschenlampe? Doch Not
macht erfinderisch! Ich binde mir die Taschenlampe an den
Kamera-Tragriemen, somit habe ich zum Klettern wenigstens eine
Hand frei. Um die religiösen Gefühle meiner Gastgeber nicht zu
verletzen, trage ich natürlich lange Hosen, doch jetzt fluche
ich darüber. Die Hosenbeine verkleben mit dem Schweiß der Haut,
der nun in Strömen fließt, und beengen den Schritt. Doch was
mir soeben noch zum Nachteil gereichte, darüber bin ich schon
bald darauf wieder froh, und zwar wegen der vielen Dornen. Dieses
Gestrüpp hat mittlerweile meine Hand zerkratzt, wo ich auch
hinfasse sticht es. Meine Stirn sieht aus, als hätte ich eine
Dornenkrone getragen, überall tritt Blut aus. Doch was könnte
einen Menschen von seinem Vorhaben abbringen, wenn er es sich
wirklich zum Ziel gesetzt hat? doch wohl nur Furcht, mangelnder
Ehrgeiz! Höher und höher klimme ich unter Einsatz von Händen
und Füßen, so daß ich mich fragen muß, wie bewaffnete
Soldaten mit Lanze, Schild und Schwert, mit Kettenhemd, Helm und
Bogen es wohl angestellt haben mögen, um hier heraufzukommen.
Immer wieder muß ich durch halbverfallene Türme krabbeln, mich
an Mauern hochziehen, bis ich ganz oben bin. Von der höchsten
Plattform bietet sich nun ein schwindelerregender Blick hinab auf
den Wildwasserfluß, der sich in zahlreichen Kehren unerbittlich
sein Bett gegraben hat, von hohen Steilwänden nicht daran
gehindert. "Wie wundersam sind doch die Werke des
Herrn!" hätte es in der Sprache der Kreuzfahrer geheißen.
Wäre das Wetter von Anfang an schön gewesen, hätte ich auf den
Aufstieg vielleicht verzichtet und mich mit einem gelungenen
Photo begnügt. Weil aber die Sonne nicht schien, als die
Entscheidung anstand, machte ich mich der Situation nichts
Besseres abgewinnend auf den Weg, und wieder unten angelangt
werde ich doppelt belohnt, dadurch daß die Lichtverhältnisse
jetzt besser nicht sein könnten, zumal die bereits flach
einfallende Sonne den ganzen Berg mit Gold überzieht. Trotz
schmerzender Beine denn der Abstieg ist bekanntlich
schwieriger als der Aufstieg bin ich froh, als ich
anschließend bei den Wirtsleuten gutherzigen Menschen
sitze und einen herrlichen Schluck eiskalten Getränks
genieße. Und nun können wir wirklich von Glück sagen,
daß wir Alanya noch erreichen, denn dort ist unser Sprit zu
Ende, und was wäre gewesen, wenn uns das irgendwo draußen in
der Einöde passiert wäre? Das Fahrzeug kommt mitten im
Stadtzentrum ins Stocken, immer wieder stirbt der Motor ab, und
nur der Hilfsbereitschaft dreier Türken ist es zu verdanken,
daß der Tank mit einem geliehenen Reservekanister bald wieder
nachgefüllt ist.
Nach
einem tiefen und erholsamen Schlaf beginnt unser neuer Tag erst
spät gegen neun Uhr. Über Nacht hat es aufgeklart, und Alanya
präsentiert sich in den lichtesten Farben. Am Hafen fällt der
Rote Turm ins Auge, von Alaettin Kaykobat errichtet. Er ist
gewaltig in seinen Ausmaßen und diente zum Schutz der Werft. Vom
Meer bis hinauf zum Burgberg ziehen sich auf einer Länge von 6,5
km die Mauern von Korakesion, die von dem berüchtigten
Seeräuber Diodoros Tryphon im 2. Jahrhundert v. Chr. angelegt
wurden, womit die Feste den kilikischen Seeräubern als
Zufluchtsstätte diente. Doch Cäsars Widersacher Pompeius machte
diesem Unwesen entlang der kilikischen Küste ein Ende. Hat man
den beschwerlichen Aufstieg auf den Burgberg von Korakesion
hinter sich gebracht, eröffnet sich von ganz oben ein wahrhaft
märchenhafter Ausblick auf die einst zedernreiche Bucht von
Alanya, die Antonius der Kleopatra zum Bau einer Flotte schenkte.
Während sich an den Stränden bereits Badegäste tummeln, liegt
hoch in den Bergen noch Schnee. Alanya hat sich neben Antalya in
den letzten Jahren zu einem Touristen-Eldorado gemausert, und wer
halbwegs Abstand sucht, wird den Touristenrummel und die
Plattenbauten fliehen. Der ganze Abschnitt zwischen Antalya und
Alanya leidet darunter, daß immer mehr häßliche Plattenbauten
wie Pilze aus dem Boden schießen. Der Bauboom scheint
ungebremst. Auf wie viele Touristen, frägt man sich, will das
Land sich angesichts rückläufiger Buchungen einstellen? Im
Ort Mahmutlar zweigt eine Stichstraße zu der schon von Strabon
erwähnten Bergfeste Laertes ab. Um nach dort zu gelangen,
müssen schier unglaubliche Höhenunterschiede überwunden
werden, aber der Weg lohnt sich. Vom Ende der Fahrstraße sind es
nochmals zweieinhalb Kilometer zu Fuß, die man bis zu den Ruinen
zurücklegt. Der Anstieg führt durch eine ungeschützte Gegend,
wo man voll der Sonne ausgesetzt ist, und es ist gerade die Zeit
des höchsten Sonnenstandes. Kein Mensch ist nach hier unterwegs,
und man kann völlig ungestört der Ruhe und des frischen Windes
genießen, der die Sonne erträglicher macht. Am Eingang zur
Ruinenstätte begrüßt uns freundlich, sogleich mittels
Handschlag, ein einzelner alter Soldat im Tarnanzug, der offenbar
die Stellung hier hält. Ich vermag nicht zu beurteilen, welchen
Auftrag er hat, aber er läßt uns bereitwillig eintreten. Leider
ist von den antiken griechischen Mauern nicht mehr allzuviel
erhalten, nicht viel mehr als ein paar eindeutige, in Stein
gemeißelte Inschriften, die mir nichts Rechtes besagen. Die
aussichtsreiche Lage, die Quellen in der Nachbarschaft und der
umfassende Ausblick müssen zum Bau der strategisch wichtigen
Festung geführt haben, von der aus man in antiker Zeit die
gesamte Bucht überschauen und kontrollieren konnte. Es ist mir
nichts darüber bekannt, was einst zur Schleifung der Festung
geführt hat, die auf dem Hochplateau ein doch ansehnliches Areal
einnimmt. Bei guter Fernsicht konnte man von hier aus schon von
weitem eine sich nähernde feindliche Flotte ausmachen und
entsprechende Vorkehrungen treffen. Nachdem es nicht viel mehr zu
entdecken gibt und wir im übrigen wenig Zeit haben, kehren wir
alsbald zu unserem Fahrzeug zurück, um uns unserem nächsten
Fahrtziel zuzuwenden, der ehemals griechischen Stadt Syedra, auch
sie von Strabon bereits erwähnt. Etwa sechs Kilometer hinter
Mahmutlar zweigt nach links eine Stichstraße ab, die wieder
über schlechte, steinschlaggefährdete Straßen führt, bis der
weitere Weg schließlich nur mehr zu Fuß zurückgelegt werden
kann. Für mich ist dies heute schon der dritte beschwerliche
Anstieg zu einer entlegenen Ruinenstätte, und an meinen Füßen
haben sich bereits blutende Blasen gebildet, und auch einen Wolf
habe ich mir gelaufen.
Die
Anlage der Stadt Syedra ist durch und durch einzigartig. Sie ist,
obwohl sie sich nicht Bergfestung nennt wie Laertes, im Gegensatz
zu diesem wirklich auf der äußersten Spitze eines Berges
erbaut, und sie hat ebenfalls ansehnliche Ausmaße. Man findet
Reste einer Kolonnadenstraße, von Thermen und Zisternen, allein
die Reste eines Theaters findet man nicht. Das meiste dürfte
noch gar nicht ausgegraben sein, und um auf den höchsten Punkt,
der von einem Tempel oder der Akropolis eingenommen worden ist,
zu gelangen, muß man sich seinen Weg durch Dornen und Disteln
bahnen, mit seinem Blute dafür bezahlen, die einzigartige
Aussicht auf die hinter dem Burgberg aufragenden Berge des Rauhen
Kilikien zu genießen. Die Griechen hatten für ihre
Stadtgründungen, wo immer dies möglich war, stets zwei
Gegensätze miteinander zu vereinen gesucht: das Meer als das
äußerst Waagrechte und das Gebirge als das äußerst
Senkrechte. Als seefahrende Nation brauchten sie die Nähe zum
Meer, als schutzbedürftiges kleines Volk wollten sie aber auch
das Sicherheit bietende schroffe Gebirge nicht missen, denn sie
haben für die Ewigkeit gebaut, mit Marmor und Zedernholz. Wir
sind noch keine dreißig Kilometer von Alanya entfernt, und doch
neigt sich die Sonne bereits dem Horizont zu. Auf das antike
Selinous werden wir daher für heute verzichten müssen, wir
lassen es also rechts des Weges liegen und treten statt dessen
die Fahrt entlang des abschüssigen Küstenufers an, welches
Strabon Plataistios nennt. Es ist eine zeit- und wirklich
atemberaubende Fahrt, eine Strecke von etwa achtzig Kilometern,
den Steilabfall immer zur Rechten und den Gegenverkehr zur
Linken, dazu Schlaglöcher und Steinschlag. Direkt am Meer
gelegen, stößt man unvermutet auf die antiken Ruinen von
Iotape, von dem aber nicht mehr viel erhalten ist. Dieser
Abschnitt, der sich bis Anamur hinzieht, ist so windungs- und
kehrenreich, daß man kaum mehr als 60 km/h fahren kann, und wenn
ein Lkw vor einem fährt, kann man ihn nicht überholen. Als die
Nacht anbricht, erreichen wir Kap Anamur, die südlichste Spitze
an der kilikischen Küste. Am
nächsten Morgen hat wieder stärkere nebelartige Wolkenbildung
eingesetzt, und diese Wolken, die der Wind vom Meer her weht,
lichten sich durch die aufsteigende Sonne nur langsam. Schon von
weitem sieht man die verstreuten Reste der ausgedehnten Anlage,
die jedoch nur dann als solche bezeichnet werden kann, wenn die
Nekropole miteinbezogen wird. Die eigentliche Stadt, die sich
hinter dem Vorgebirge Anemurion verbirgt, war, wie man am Verlauf
der ehemaligen Stadtmauer erkennen kann, weit weniger ausgedehnt.
Abgesehen von dem Kastell bzw. seinen Resten, die hoch oben über
der Ausgrabungsstätte den südlichsten Punkt der Landspitze
ausmachen, sind die Bestattungstürme, wie man sie ähnlich in
Syrien findet, das erste, womit der Ankömmling Bekanntschaft
macht. Von der Burg der kleinarmenischen Fürsten hat sich leider
nicht mehr viel erhalten. Trotzdem lohnt der Aufstieg, allein
schon wegen der phantastischen Aussicht, die man von dort oben
genießt. Auf der einen Seite breiten sich gewaltige weiße
Sandstrände aus, auf der anderen werden unter dem Steilabfall
bizarre Felsgebilde vom ewig blauen Meer bespült. Über dem
Vorgebirge ragt schroff der Taurus auf. Man erkennt deutlich,
daß die Burg, die aus Natursteinmauerwerk bestanden hat, an
ihren Fundamenten ebenmäßig behauene Quader aufweist, was
heißen will, daß hier bereits seit frühester Zeit auf
griechischem Mauerwerk eine Akropolis oder ein Tempel gestanden
haben muß. Bedingt durch den Kapeffekt weht ein rauhes Lüftchen
hier oben, zu dem sich rhythmisch im Takt der Windböen die
Blumenwiesen an den Hängen wiegen. Wo im Herbst nur noch
Silberdisteln anzutreffen sind, blühen jetzt Roter Klee,
Klatschmohn, Dotterblumen und Oleander. Wie bei allen antiken
Stätten, die wir seit Anbeginn der Reise aufgesucht haben, ist
auch hier das Areal überwuchert, es gibt keine erkennbar
angelegten Wege, und den Pauschaltouristen verbleiben somit nur
die tristen Niederungen, wohingegen wir uns in unwegsame Höhen
aufschwingen. Mögen sie sich dort wohlfühlen, während uns der
Schweiß aus den Poren dringt. Ist ihnen doch der Gang zur
nächstliegenden Taverne, wo man weich sitzt und innerlich gut
durchgespült wird, viel wichtiger! Dennoch würden wir nicht mit
ihnen tauschen wollen.
Unser weiterer Weg führt uns nach Schloß Anamur, über dessen
Entstehung die widersprüchlichsten Angaben existieren. Glauben
wir das, was vor Ort auf der Tafel steht, so haben die Römer den
Grundstein zur Burg gelegt. Andere wiederum wollen hinter der
späteren Anlage das Werk der Kreuzfahrer sehen, und ich bin
dieser Theorie nicht abgeneigt, obwohl mir die Verwendung von
Naturstein als Mauerwerk auch jene Theorie nicht abwegig
erscheinen läßt, wonach die Herrscher von Karaman maßgeblich
am Bau beteiligt waren. Auch die bauchigen, sich nach oben
verjüngenden Rundtürme dürften auf diesen Einfluß
zurückgehen. Gleichwie, die Burg - denn ein Schloß vermögen
wir aufgrund fehlender Repräsentationsbauten nicht darin zu
erkennen - dürfte wohl die stolzeste und mächtigste aller
Burgen längs der gesamten türkischen Mittelmeerküste
darstellen, sowohl was ihre Größe anbelangt als auch ihren
Erhaltungszustand. Und wieder sind kaum Besucher zugegen, obwohl
direkt an der Küstenstraße gelegen, die unmittelbar daran
vorbeiführt. Seelenruhig schreiten wir die hohen Mauern ab, die
oftmals beängstigend schmal werden. Ein Fehltritt und alle
Knochen wären gebrochen! In der Türkei ist man, was
Sicherheitsvorschriften angeht, weitaus weniger zimperlich als in
Deutschland. Wer dort zuviel riskiert, muß die Konsequenzen
selber tragen.
Auf
der Weiterfahrt begegnet, in den meisten Reiseführern gar nicht
erwähnt, doch wegen ihrer einmaligen Lage kaum zu übersehen,
die Höhenburg Sofita Kalesi, über deren Geschichte wir so gut
wie nichts in Erfahrung bringen. Gleichwohl reizt es uns, die
Ruine zu erkunden. Einen regelrechten Aufstieg finden wir nicht,
jeder muß sich seinen Weg selber suchen. Leider habe ich nicht
das Glück, einen einfachen Weg zu finden, sondern wähle eine
ziemliche Kletterpartie, zu deren guter Letzt ich, um in den
Burghof zu gelangen, auch noch die Außenmauer kletternd
überwinden muß. Selbst nach sorgfältigster Suche finde ich
kein Tor nach draußen, denn die Burg scheint, kaum zu begreifen,
von allen Seiten zugemauert. Obwohl der Erhaltungszustand im
großen und ganzen recht ansehnlich ist, erkennt man dennoch
Spuren der Zerstörung. Gleichwohl, es war wieder eines der
gewohnten Abenteuer, die reichlich mit Eindrücken entlohnt
wurden. Nur hat mein Schuhwerk mittlerweile derart gelitten, daß
mir die ersten Stacheln schmerzhaft ins Fleisch dringen. Nach
diesem Abstecher geht es weiter über Aydincik, dem antiken
Kelendris, wo alles Archäologische eingezäunt ist, Richtung
Ovacik. Die Fahrt längs der Küste, zumeist hoch über dem
Steilufer und durch dichte Pinienwälder führend, eröffnet
immer wieder Ausblicke aufs herrlich blaue Meer, während auf der
Gegenseite schroffe Steilwände aufragen. Wie beschwerlich
müssen früher diese Wege gewesen sein, so es sie überhaupt
schon gab. Der Name Rauhes Kilikien trifft mehr als zu. Die Burg
Karatepe Kalesi finden wir wohl aus diesem Grund auch nicht, sie
muß irgendwo gut versteckt über dem Abgrund sitzen. Beim Ort
Ovacik erstreckt sich eine gewaltige Halbinsel hinaus aufs Meer,
an deren Spitze sich früher die Stadt Zephyrion befand, auch
Aphrodisias genannt. Wenngleich außer ein paar bescheidenen
Säulen- und Mauerresten und einiger vom Sande zugedeckter
Mosaiken von der alten Pracht kaum mehr etwas zu finden ist,
lohnt die Fahrt landschaftlich gesehen allemal. Ein vierzehn
Kilometer langer Abstecher auf schmaler und windungsreicher
Straße führt, dabei beträchtliche Höhenunterschiede
überwindend, um die Ovacik-Halbinsel herum direkt hinab zum
Meer, welches an dieser Stelle eine ungewöhnlich blaue Farbe
aufweist. Die durch eine vorgelagerte Insel geschützte Bucht
eignete sich vortrefflich für die Anlage eines Hafens. Zephyrion
liegt vermutlich unausgegraben auf dem Hügel dort, wo die
baulichen Überreste zu finden sind; das Gelände ist aber
eingezäunt.
Die
Sonne steht schon tief, und weiter wie bis Silifke, dem antiken
Seleucia am Kalykadnos, werden wir heute wohl nicht mehr kommen.
Durch ein von hohen Felswänden eingeengtes Tal führt die Fahrt,
als mir hoch über uns Turmruinen auffallen. Etwa zwanzig
Kilometer vor unserem Ziel zeigt dann ein Wegweiser nach Tokmar
Kale, dem wir unversehens folgen. In den angezeigten drei
Kilometern schwingt sich die Straße in schwindelerregende Höhen
auf, und wie unerwartet stehen wir vor einer düster-dämmrigen
Burg, die ihrer Herkunft nach zu urteilen fränkisch ist. Die Art
der Buckelquader, das sorgfältig behauene Mauerwerk, all das
deutet darauf hin, daß wir es hier mit einer Kreuzfahrerburg zu
tun haben, die straßenseitig in einem relativ guten
Erhaltungszustand ist. Das Berauschende, das den Ankömmling
völlig in den Bann zieht, ist die grandiose Landschaft, in die
die Festung eingebettet liegt. Tausend Meter tief fällt der
Blick hinab, jäh endend in einem langgezogenen, von einem Fluß
ausgewaschenen Längstal. Tausend Meter über uns steigen die
Berge im letzten blassen Licht in den Himmel. Jeder Ritter würde
sich glücklich schätzen, eine Burg wie Tokmar sein eigen zu
nennen. Tief ist alles hier, selbst das Staunen zuckt zusammen,
wenn es so etwas sieht.
Wieder ist es Nacht geworden, und in der Ferne ist auch schon das
Johanniterschloß über Silifke zu erkennen, erleuchtet wie am
hellichten Tag, so als hätte es unser Kommen erwartet. Was in
vielen Reiseführern fälschlich als armenische Burg bezeichnet
wird, ist in Wirklichkeit die Kreuzfahrerfestung Camardesium. Sie
trägt eindeutig das Sigel der Johanniter, denen sie tatsächlich
überantwortet war; dies stellt man untrüglich fest, wenn man
sie mit dem Krak des Chevaliers in Syrien vergleicht, dem sie in
der Art ihrer Anlage ziemlich ähnlich ist, allerdings beileibe
nicht so imposant. Immerhin besitzt auch sie dreiundzwanzig
Türme und zwei Umwallungen. Selbst der Burggraben ist gemauert.
An die fränkische Bauweise erinnert auch das unverkennbar
abendländische Buckelquadermauerwerk. Die kreidebleichen
Kalksteine leuchten weithin ins Land, und sie ist strategisch so
angelegt, daß sie das ganze Tal des Kalykadnos einsehen kann,
der tief drunten silbrig glänzend sich in vielen Biegungen durch
die Stadt windet. Zur Stadtseite hin haben die Türken direkt
unterhalb der Mauern ein Ausflugslokal errichtet, wodurch die
altehrwürdige Bausubstanz erheblich in ihrem Erscheinungsbild
getrübt wird. Gleichermaßen sieht es nach einer Verhöhnung des
Feindes aus, wenn über einer Kreuzritterburg noch immer das
Siegeszeichen des türkischen Halbmondes flattert. Es würde
nicht dort wehen, wenn Er gekommen wäre, der die Stadt gerade
nicht mehr erreichte, weil sein Leben jäh an dieses Stelle
endete. Gemeint ist Friedrich I. Barbarossa, der unweit des
ehemaligen Seleucia, einer Gründung Seleukos Nikators, ein
Stück weit den Kalykadnos flußaufwärts, ertrank. Eine
Gedenktafel an der Uferstraße hoch über dem Fluß, den man im
Mittelalter den Saleph nannte, weist auf die Stelle hin, unweit
der sich das ereignete. Großartig ist die Bergwelt ringsum, ein
würdiger Ort zum Sterben. Eigentlich versteht niemand es, der
dort hinabsieht zu dem friedlich dahinziehenden Fluß, wie sich
so etwas vor den Augen aller abspielen konnte. Sein Pferd muß
gestrauchelt sein, und seine schwere Rüstung zog ihn auf den
Grund. Die Fluten rissen ihn mit sich fort. Ein Stück weit
unterhalb konnte man ihn nur noch tot bergen. Sein Fleisch und
seine Gebeine wurden getrennt voneinander bestattet. Mit ihm war
das Römische Reich um einen großen Kaiser und Feldherrn ärmer
geworden. Der dritte, der deutsche Kreuzzug löste sich nach
seinem Tod auf. Erst seinem Enkel Friedrich II. von Hohenstaufen,
römischer Kaiser und König beider Sizilien, war es vorbehalten,
Jerusalem zurückzuerobern. Er durfte sich daraufhin auch noch
König von Jerusalem nennen. Zweifellos wäre es jedoch auch
Barbarossa, der zuvor Ankara eingenommen und Kilidsch Arslan des
Weges verwiesen hatte, gelungen, den Kreuzzug siegreich zu
beenden. "Der Herr hats gegeben, der Herr hats
genommen." Wegen ihrer Sünden war es den Rittern vom
heiligen Johannes nicht vergönnt, dauerhaft zu besitzen, was
ihnen gehörte.
In
Seleucia selbst ist nicht mehr viel erhalten geblieben vom Glanz
vergangener Tage. Daher fahren wir hinauf nach Diocaesarea, das
hoch in den Bergen auf 1100 m über dem Meeresspiegel liegt, um
wenigstens dort Bruchstücke der Vergangenheit anzutreffen. Die
Fahrt führt durch wilde Schluchten, auf schmalen und schlechten
Straßen durch lichte Pinienwälder. Es geht vorbei an der
römischen Stadt Imbriogon, an mehreren hellenistischen
Mausoleen. Der Burgberg von Olba weist kaum noch erkennbare
Bauten auf, denn das meiste wurde hier direkt aus dem Stein
gehauen. Eindrucksvollstes Relikt ist der Aquädukt des Kaisers
Pertinax sowie das darunter liegende Wasserkastell. Vermutlich
wurde ein Teil des Wassers, das man in die Gräben des Kastells
hat fließen lassen, dem Aquädukt abgezweigt. Auch wenn Olba
wenig Reste aufzuweisen hat, so sind es dort mehr die
landschaftlichen Eindrücke, die man von einer Besichtigung
mitnimmt. Man lasse es sich keinesfalls entgehen, bis zur
Akropolis hinaufzusteigen, man wird mit einer märchenhaften
Aussicht auf die den Berg umgebenden, tief eingeschnittenen
Täler belohnt. Deren Felswände sind übersät und durchlöchert
mit Grabhöhlen. Unweit von Olba liegt das Zeusheiligtum
Diocaesarea. Leider findet hier gerade eine türkische
Festveranstaltung statt, die massenhaften Andrang findet. Die
Menschen sind mit zahlreichen Bussen herangekarrt worden, und
somit erspare ich es mir, auf die einzelnen Heiligtümer näher
einzugehen. Nicht übergehen möchte ich jedoch den gewaltigen
hellenistischen Turm aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert.
Ich schätze seine Höhe auf gut 20 m und muß gestehen, daß
unter sämtlichen antiken Bauwerken, die ich jemals zu Gesicht
bekam, niemals ein solch riesenhafter Turm zu finden war, und
gerade das macht ihn so einzigartig. Olba, das schon bei Strabon
erwähnt ist, führt seine Gründung zurück auf Teukros, den
Vater des Großen Ajax aus der Ilias. Das von ihm sich ableitende
Geschlecht der Teukriden beherrschte das gesamte westliche
Kilikien. Eine Besichtigung von Olba-Diocaesarea sollte man auf
die frühen Morgenstunden verlegen, da bereits gegen Mittag wegen
der doch recht ansehnlichen Höhenlage Wolken aufziehen können.
Wieder unten im Tal angelangt, schlagen wir erneut den Weg
entlang der Küstenstraße ein. Das antike Korasion wegen seiner
geringen Reste gar nicht weiter beachtend, steuern wir Kurs auf
Kizkalesi, das hinter den Korykischen Grotten mitten in einer
Bucht auf einer Insel liegt. Nach einer Legende soll ein Emir
diese Festung gebaut haben, um seine Tochter vor dem
Schlangenbiß zu bewahren, der ihr von einen Wahrsager prophezeit
worden war. Als der Emir ihr sodann Früchte in einem Korb
entsandte, habe die darin versteckte Schlange sie dennoch
gebissen, woraufhin das Mädchen verstarb und den Vater unendlich
traurig zurückließ. Der Wahrheit näherkommen dürfte, daß das
Wasserschloß als Teil einer Reihe von Seefestungen von den
Byzantinern zu Anfang des 12. Jahrhunderts errichtet worden ist,
während die auf der gegenüberliegenden Landseite liegende Burg
Korykos auf Resten einer bereits bestehenden Anlage frühestens
ab dem 4. Jahrhundert erbaut worden sein dürfte. Beide Burgen
waren mit Sicherheit Seeräuberschlupflöcher. Die Bucht von
Kizkalesi zählt zu den schönsten Aufenthaltsorten, die man
längs der Riviera für einen Ferienaufenthalt wählen kann.
Über Korykos befinden sich noch ausgedehnte antike Reste
einschließlich der Nekropole der Stadt. Weniger bedeutende
Ruinen trifft man in Elaiussa an, welches auch Sebaste genannt
wird. Dieses lag vormals auf einer Insel. Man ließ sich offenbar
dazu hinreißen, den Kanal zwischen dieser und dem Festland
aufzuschütten, um die Straße besser führen zu können.
Ebenfalls sehr störend tritt in Erscheinung, daß mitten auf dem
alten Ruinengelände die Menschen sich Behausungen eingerichtet
haben und die Bauern dort ihre Gärten anlegen. In Elaiussa
stehen noch ein kleineres Theater, Reste von Thermen und ein
Rundtempel. Zur Meeresseite hin sind die Ruinen vom Versanden
bedroht. Über Tarsus, der Heimat des Paulus, mit dem
einzigen aus der Vergangenheit erhaltenen Rest, dem sogenannten
Tor der Kleopatra, gelangen wir nach Adana, dem heutigen Zentrum
des Ebenen Kilikien.
Am
Morgen des nächsten Tages werden wir vom Sheitan abkassiert. An
den vereinbarten Preis scheint sich das Hotel nicht zu erinnern.
Dafür ist das Auto über Nacht blitzsauber gewaschen. Der arme
Teufel, der dies unaufgefordert getan hat, bekommt dafür ein
Almosen. Adana verläßt sicher jeder gern. Das erste
Tagesziel ist Mopsuestia, das Mallos Strabons, das noch gar nicht
richtig ausgegraben ist. Unweit von diesem fließt der Pyramos
Richtung Meer, der nächstgrößere Fluß nach dem Kydnos. Es
wurden hier mehrere schöne Mosaiken gefunden, die alle in dem
kleinen benachbarten Museum ausgestellt sind. Das Ruinengelände
liegt zu Füßen des Amanischen Gebirges, welches ein Ausläufer
des Taurus ist. In diesem Gebirge liegt auch die sogenannte
Schlangenburg, Yilanlikale auf Türkisch. In manchen
Reiseführern wird sie als armenischen Ursprungs bezeichnet, doch
trägt ihre fränkische Bauweise ganz eindeutig die Züge der
Kreuzritter. Sie steht hochaufgetürmt, das Umland beherrschend,
über einer Flußschleife des Pyramos auf einem isoliert
stehenden Felskegel, der allseits gut zugänglich ist. Manchmal
muß man sich fragen, wie sie wohl früher ihre Pferde
heraufgebracht haben. Sie werden, um die schwierigsten Stellen zu
überbrücken, wahrscheinlich Bretter oder ähnliches verlegt
haben. Von oben schweift der Blick über das Ebene
Kilikien, die ehemalige Kornkammer Roms, sowie die Ausläufer des
Amanos-Gebirges. Die Luft ist trotz der brütenden Hitze derart
klar und die Sicht derart weit, daß man sich fast schon an die
Gestade des Euphrats versetzt fühlt. In extremer Kletterei im
durchlöcherten scharfkantigen Fels erklimme ich zuerst einen
Vorberg und danach noch einen zweiten, um die günstigsten
Photostandplätze einzunehmen, die nicht so ohne weiteres zu
erzwingen sind. Nach schweißtreibender ausgesetzter Kletterei in
den Ruinen gebe ich mich endlich zufrieden, wenngleich es mir
schwerfällt, diesen überaus bezaubernden Ort zu verlassen. Auch
hier sind wir, wie fast immer, die einzigen Besucher, und gerade
die Distanz zu den Menschen macht den Aufenthalt so angenehm. Von
der Schlangenburg geht es weiter Richtung Kozan nach Anavarza,
welches einst eine weitläufige, von Wall und Graben umgebene
antike Stadt war, die Hauptstadt des östlichen Kilikien.
Zweihundert Meter hoch über der Stadt, auf einem jäh gegen
diese abfallenden Felsen, zieht sich die ausgedehnte Burganlage
hin, die an Größe alles übertrifft, was wir bisher auf dieser
Reise gesehen haben. In Fels gehauene Stufen führen hinauf. Der
Stein ist von den häufigen Tritten spiegelglatt abgeschliffen,
daß selbst mit gutem Schuhwerk Abrutschgefahr besteht. Dies
macht die Bezwingung an den abschüssigen Stellen nicht
ungefährlich. Ein einziger Fehltritt, und das wäre es gewesen.
Wenn man in alten Gemäuern herumklettert, sind Schwindelfreiheit
und Trittsicherheit, wozu auch gutes Schuhwerk gehört,
Grundvoraussetzung. Von oben hat man nicht nur einen
hervorragenden Blick bis zu den schneebedeckten Taurusbergen,
sondern auch hinab auf die alte Stadtanlage, von der außer einem
größeren Torbogen und Resten der Stadtmauer nichts mehr
erhalten ist. Man kann aber noch die einfallenden Straßen bis zu
ihrem Kreuzungspunkt verfolgen. Wer ganz aufsteigt, wird sich dem
Zauber, der den einsamen Besucher dort oben gefangennimmt, kaum
entziehen können. Außer einigen Kindern, die augenscheinlich
die Schule schwänzen, sind einzig Bergziegen meine
Weggefährten. Drunten im Dorf sind die Leute noch freundlich zu
Fremden, begrüßen jeden Neuankömmling und sind überaus
auskunftsfreudig und hilfsbereit. Sonnenverbrannt steige ich zu
Tale. Dieses Erlebnis, wahrlich, nimmer möcht ichs
missen! Der Frühling in Kleinasien ist eine herrliche Jahreszeit
für den, der nur den braunen ausgedörrten Herbst kennt. Alles
blüht so mannigfaltig, und geschmeidig wiegt es sich im Wind.
Über diese äußerst anstrengende Tour ist es Nachmittag
geworden, so daß höchstens noch ein weiteres anspruchsvolles
Tagesziel in Angriff genommen werden kann, und das kann
eigentlich nur Toprakkale sein, weil jedes andere zu fern wäre.
Niemand, wen wir auch fragen, ist in der Lage, uns, die wir kein
Türkisch verstehen, den Weg dorthin zu erklären. Ohne den
Zugang zu kennen, bahne ich mir meinen Weg zuerst durch Getreide-
und Zwiebelfelder, anschließend durch einen rutschigen
Pinienwald, bis ich irgendwann unvermutet auf der geteerten
Auffahrtsstraße stehe. Und diesmal haben wir es wirklich mit
einer armenischen Burg zu tun. Ihre Bauweise ist der unsrigen
ganz verschieden. Sie - die Armenier - setzten die Blöcke höher
als breit, verwendeten auch quadratischere Steine, während die
Franken klassische Quader formten. Auch ist die Anlage von
Toprakkale längst nicht so ausgesetzt wie die der bisherigen
Höhenburgen, viel sanfter zugänglich, an Wucht des Mauerwerks
dem unsrigen nicht nachstehend. Nachdem sich die Sonne
bereits gesenkt hat, bleibt uns nur mehr die Abendstimmung für
das Aufsuchen der Ruinen von Issos, dem Ort der
Alexanderschlacht, wo die Perser Fersengeld geben mußten. Von
der Stadt sind nur noch Teile des Aquädukts zu sehen, unter
einem Hügel verborgen läßt sich das Theater erahnen. Von
diesem Hügel aus dürfte man auch das historische Schlachtfeld
überblicken, und man darf nun seiner Phantasie freien Lauf
lassen, sich die lanzenstarrende Phalanx vorzustellen, an der die
persischen Reiter sich die Zähne ausbissen, als die Griechen,
ihren Paian anstimmend, zu Fuß gegen sie anrannten. Die Phalanx
war die allen anderen Kampfesweisen der Antike überlegene
Schlachtordnung, und sie begründete immerhin ein Weltreich, wie
es in späteren Zeiten nur noch die auf flinken Pferden
einherreitenden, Wolken von Pfeilen verschießenden Horden der
Mongolen taten. Ein spätes Pendant finden wir zur
Landsknechtszeit, womit es dann mit den Rittern vorbei war. Bis
heute ist nicht begreiflich, wie die römische sich der
griechischen Kampfesweise als überlegen erweisen konnte,
wahrscheinlich beruhte alles nur auf Kriegsglück. Nach
Issos reicht die Zeit nur mehr für die Weiterfahrt bis
Antiochien, die uns an Iskenderun vorbeiführt, das früher
Alexandretta (das kleine Alexandria) hieß und die erste
Stadtgründung Alexanders des Großen war. Heute ist es ein
Zentrum der petrochemischen Industrie. Über den Belen-Paß, der
die Grenze zwischen Kilikien und Syrien darstellt, schwingt sich
die Straße, um jenseits wieder auf Meeresniveau gegen das
Orontestal abzufallen. Bei stockdunkler Nacht in Antiochien
angekommen, finden wir erst einmal kein Hotel, doch nach einigem
Durchfragen kommen wir spät an diesem Tag zur Ruhe. Für
den nächsten Tag haben wir uns die Besichtigung Antakyas
vorgenommen. Einen Blick zumindest sollte man in das dortige
Mosaikenmuseum werfen, wo sich die größte Sammlung römischer
Mosaiken befindet, die es überhaupt gibt. Die Kathedrale Sankt
Peter, wo die Heilige Lanze aufgefunden wurde, mit der Longinus
die Seite des Erlösers durchbohrte, steht längst nicht mehr.
Diese darf nicht mit der Grottenkirche Sankt Peter verwechselt
werden, die ganz in der Nähe an den Hängen des Mons Silpius
liegt. Hier hat angeblich der Apostel Petrus gepredigt, denn
Antiochien ist zugleich die Stadt, wo die frühen Christen sich
das erste Mal selbst so nannten. Dort wurden sie auch von den
Römern verfolgt. Der Fluchttunnel im Hinteren der Grotte wird
diesem Zweck gedient haben. Die langen und mächtigen
Stadtmauern, für die Antiochien berühmt war, sind im unteren
Stadtbereich völlig verschwunden. An den Hängen des Mons
Silpius ist ihr Verlauf aber noch gut zu erkennen. Daß sie so
breit gewesen seien, daß ein Viergespann auf ihnen fahren
konnte, kann ich für diesen Teil zumindest nicht bestätigen.
Schon vor Beginn der Reise hatte ich geplant, die gewaltigen
Mauern von Antiochien, wenigstens was den erhaltenen Teil angeht,
zu umschreiten. Von der Petrusgrotte steige ich dazu den
nördlich der Zitadelle gelegenen Seitengipfel hinauf, wo sich
erste spärliche Mauerreste finden. Doch ein Übergang zu dem um
einiges höheren Hauptgipfel scheint nicht möglich, so daß ich,
um auf den letzteren zu gelangen, wieder hinabsteigen muß. Um
den Weg deutlich abzukürzen, quere ich ein bäuerliches Anwesen.
Die Frauen dort schauen mich zuerst mit furchtsamen Blicken an,
denn die Männer scheinen außer Hause; doch mit einem
freundlichen Gruß gebe ich zu verstehen, daß ich ihnen nichts
Böses will. Da kommen auch schon drei bellende Hunde angelaufen.
Zuerst denke ich, daß Hunde eben bellen, wenn sie einen Fremden
sehen, was etwas ganz Natürliches sei. Die Bäuerin versucht die
Hunde zu beruhigen und deutet mir an, doch einfach weiterzugehen,
so als wolle sie sagen, sie seien nicht gefährlich. Doch die
Hunde laufen laut bellend wütend hinter mir her, und der erste
von ihnen versucht sich meinem Bein zu nähern. Zuerst versuche
ich ihn zu verscheuchen, doch dann bin ich es, der sich eines
schnelleren Schrittes befleißigt. Dies scheint die drei eher
noch zu ermutigen, so daß sie mich einzukreisen versuchen. Von
der Bäuerin ist nichts mehr zu sehen. Immer näher kommend,
greifen die Hunde mich tatsächlich an. Ich fange ständig lauter
werdend auf sie einzubrüllen an. Als auch das nichts hilft,
bleibt mir wegen der gefährlichen Nähe des ersten angreifenden
Hundes, der sich wie ein Lindwurm schlängelt, auf mich zukriecht
und mein Bein schnappen will, nichts anderes übrig, als nach ihm
zu treten. Geschickt weicht der Hund meinem Tritt aus und beißt
in meinen Schuh, so daß sich seine Zähne durchs Leder bohren.
Der zweite erwischt unterdessen mein linkes Bein und reißt ein
Stück von meiner Hose ab. Seine Zähne bohren sich dabei in
meine Knochen. Ich weiß in dem Moment nur, daß ich keinen der
Hunde, die trotz der vielen Haken, die ich austeile, immer wieder
an mir hochspringen, an meine Kehle lassen darf, sonst ist es
aus. Dem einen schlage ich meine Wasserflasche um die Ohren, daß
das Wasser nur so spritzt. Ich war schon hingefallen, und sie
waren bereits über mir, Aug in Aug, als ich, selbst
zähnefletschend und nach Art eines Hundes Grimassen ziehend, den
lautesten Schrei meines Lebens ausstoße, was für die
empfindlichen Hundeohren anscheinend zuviel gewesen sein muß.
Die drei weichen, sichtlich erschrocken, fürs erste zurück. Die
Gelegenheit nutzend, springe ich auf und ergreife zwei große
Feldsteine. Da stürzt die Bäuerin heraus, durch meinen Schrei
offenbar wachgerüttelt, und ruft die Beißgesellen zurück. Sie
hat nicht einmal gesehen, wie mich ihre Tiere zugerichtet haben,
während ich wiederum schon zu weit entfernt bin, als daß ich
ihr meine blutenden Wunden und das aufgeschlitzte Hosenbein
zeigen könnte. Außerdem hätte das alles keinen Sinn, denn sie
würde mich nicht verstehen, und ich verstehe kein Türkisch.
Trotz der Steine in Händen wage ich nicht weiterzugehen, die
Bestien versperren mir lauernd den Weg. So muß ich denn wohl
oder übel vom Weg abweichen und querfeldein gehen, meinen
Feinden stets den Blick zugewandt. Schon wollen sie es erneut
wissen, drei gegen einen! Da werfe ich einen großen Stein über
einige Meter Entfernung, und ich weiß nur, daß mich soeben noch
ein Augenpaar angestarrt hat. Das war ein Volltreffer, mitten
zwischen die Augen oder an der Stirn! Der Hund war entweder
sofort tot oder er lag mit zerschmettertem Schädel unter den
Büschen. Von den dreien sehe ich fortan nur mehr zwei. Diese
beiden bellen nun nicht einmal mehr, so sehr hat sie der Verlust
ihres Gefährten getroffen, und ich ziehe ungehindert von dannen.
Was ist schon das Leben eines beißwütigen Hundes gegen meine im
Kampf abgestreifte und verlorengegangene Armbanduhr, meine
aufgeschlitzte Hose und meine zerbissenen Schuhe, die ich
wegwerfen kann, nicht zu vergessen den tiefsitzenden Schock. Mein
Bein brennt fürchterlich, aber bei genauerem Hinsehen sind es
keine tiefen Wunden. Ob meine Tetanusimpfung allerdings noch
ausreichenden Schutz gewährt, wüßte ich auf Anhieb nicht zu
sagen. Hätten Tiere die Intelligenz des Menschen, so würden sie
mich von allen Seiten angegriffen haben, und ich hätte nicht die
geringste Chance gehabt, mich ihrer zu erwehren; aber sie kamen -
Glück im Unglück, möchte man sagen - alle von der gleichen
Seite auf mich eingestürmt, und dieser Umstand hat mich
gerettet, so mir nicht mein Schutzengel geholfen hat, denn meine
Zeit war gleichsam noch nicht gekommen. Wie durch ein Wunder kam
ich davon, aber ich habe dem Tod ins Auge gesehen. Es ist
merkwürdig, aber während des eigentlichen Kampfes, als es um
Sekunden ging, hatte ich keine Spur von Angst, ich kam
gewissermaßen nicht dazu, weil ich nichts anderes tat als
verbissen um mein Leben kämpfen, gegen drei geifernde Bestien
mit schwarzen Lippen. Hätte ich nur ein Messer besessen,
wahrlich, dann hätte alles anders ausgesehen! Unbehelligt, doch
ohne Wasser, komme ich unten beim Eisernen Tor an. Kaum
bin ich ein Stück in die Schlucht hineingegangen, als dort
erneut ein Hund auftaucht, doch ein Erlebnis der beschriebenen
Art reicht mir. Schon war ich im Begriff umzukehren, als
plötzlich ein Junge auftaucht und mir auf Englisch erklärt, ich
hätte nichts zu befürchten, denn es sei sein Hund, den ich da
gesehen habe, und ich solle ruhig kommen. Er führt mich zu einem
Aquädukt, der Teil der Wasserversorgung Antiochiens war, und
frägt mich, ob er mich auf die Festung führen dürfe, was ein
ganz besonderes Erlebnis sei. Und weil ich die Besteigung des
Burgberges als schwierig einstufe und ohne genaue Kenntnis des
Weges als aussichtslos, so nehme ich denn sein Angebot an. Der
Junge heißt Asnar und ist Kurde. Zudem versichert er mir, daß
es oben auf dem Berg Wasser zu kaufen gebe und der Weg nicht mehr
als eineinhalb Kilometer betrage. In schweißtreibender,
schwindelerregender Kletterei geht es steil bergauf zu Bohemunds
Burg. Auf ihr ließ der Normanne nach der siegreichen Einnahme
der Stadt, die durch den Verrat des Firuz zustande kam, nach
Übergabe der Zitadelle durch den türkischen Emir, sein rotes
Banner hissen. Es ist das nämliche Banner, welches die Ursache
war, daß ein heller Aufschrei durch ganz Antiochien ging, der
noch draußen im Lager der Kreuzfahrer zu hören war, als die
Bürger nach Ersteigung der Mauern durch die Franken es
erblickten. Heute sind von Bohemunds Burg nur mehr geringe Reste
vorhanden. Mehrfach bietet sich mein junger Führer an,
mir meine Phototasche zu tragen, doch lehne ich ab, da ich es mir
im Verlaufe vieler Reisen zur Angewohnheit werden ließ, weder
Kamera noch Papiere aus der Hand zu geben. Völlig erschöpft,
d.h. erschöpft bin eigentlich nur ich, erreichen wir den Gipfel.
Trotzdem bin ich stolz, daß ich mit dem Kurdenjungen mithalten
konnte. Ihm sieht man nicht das geringste Anzeichen einer
Ermüdung an. Oben angelangt, reiße ich dem Wirt fast die
Flasche aus den Händen. Mein kleiner Führer bekommt ein
erkleckliches Trinkgeld und später dann dazu den Rest des
Wassers, nachdem zuerst ich meinen Durst gelöscht habe, denn
ohne ihn hätte ich selbiges entweder gar nicht oder nur unter
wesentlich anderen Umständen geschafft, jedenfalls nicht in der
Kürze der Zeit. Die Aussicht vom Mons Silpius wäre an
sich sehr schön, wenn nicht die Türken ähnlich hohe Erhebungen
ringsum in Steinbrüche verwandelt hätten, was der Landschaft
entsetzlichen Abbruch tut. Wie schön muß einst der Blick auf
die antike Stadt gewesen sein, als der Orontes oder Fernus, wie
er auch genannt wurde, noch einen anderen Lauf nahm und große
Teile der vor den Stadtmauern gelegenen Flächen Sumpfgebiete
waren. Längst sind die Mauern in der Unterstadt abgetragen, den
Turm des Firuz, ihn gibt es nicht mehr. Nur die Worte, die der
Verräter auf Griechisch sprach, nachdem die Franken im Schutz
der Nacht an Strickleitern über die Mauer geklettert waren,
klingen mir jetzt im Ohr: "Micró Francos echomé!" was
heißt: "Einige Franken haben wir!"
Heute ist Antakya eine hektische, lärmende Großstadt, obwohl
bereits in der Antike hier eine halbe Million Menschen gelebt
haben, also fünfmal mehr als jetzt, und die Stadt nach Rom und
Alexandrien die drittgrößte des Römischen Weltreichs war. Ihre
einstige Bedeutung durch die Lage an sich kreuzenden Handelswegen
verwundert insofern, als Antiochia in seiner unmittelbaren Nähe
keinen Hafen hatte, sondern Waren vom Meer her über den Orontes
heraufgeschifft werden mußten. Antiochiens Hafen liegt in dem
zweiundzwanzig Kilometer entfernten Seleucia Pieria, von
Alexanders Nachfolger, dem Diadochen Seleukos Nikator, als
Hauptstadt seines Reiches gegründet. Doch erlangte Seleucia nie
die Bedeutung, die einer Hauptstadt gebührt. In späterer Zeit
verkam es sogar zum Warenumschlagplatz Antiochiens. Im
Mittelalter gab man ihm den Namen Sankt Simeon nach dem
gleichnamigen, in der Nähe befindlichen Kloster. Hierher flohen
die abtrünnigen Verräter und Feiglinge, die sich im Verlauf der
Belagerung Antiochiens über die Mauer abgeseilt hatten und mit
zerschundenen Füßen hier ankamen. Von Sankt Simeon aus stachen
sie dann mit den hier vor Anker liegenden Schiffen in See,
nachdem sie den Seeleuten falsche Behauptungen aufgetischt
hatten, wonach Antiochien von den Türken bereits eingenommen sei
und all ihre Gefährten getötet. Im Altertum ließ Kaiser
Titus mit Hilfe von jüdischen Kriegsgefangenen am Abhang der
Berge ein künstliches Flußbett aus dem Felsen hauen, das nach
starken Regenfällen das den künstlichen Hafen bedrohende
Überflutungswasser ins Meer ableitete und diesen so vor
Versandung schützte. Dieser sogenannte Titus-Tunnel ist 1,3 km
lang, sechs Meter breit und fünf Meter tief und stellt eine für
die damalige Zeit bemerkenswerte technische Leistung dar.
Seleucia verfügt über ein sehr ausgedehntes Ruinenfeld und ist
landschaftlich herrlich gelegen, eingebettet in eine
Schwemmlandebene zwischen zwei direkt aus dem Meer aufsteigenden
hohen Bergen, deren einer der Mons Cassius hieß. An antiken
Resten sind außer dem Fundament eines größeren Bauwerks,
vermutlich des Zeustempels, keine nennenswerten Ruinen erhalten.
Reizvoll ist auch die Fahrt auf das antike Vorgebirge Rhosicum,
wo in der Nähe des Kaps die Ruinen einer Kreuzritterburg liegen.
Leider ist die Küstenstraße, die entlang einer wildromantischen
Steilküste führt, die immer wieder phantastische Ausblicke auf
die Klippen gewährt, nicht geteert. Weil ich meinem
"Geländefahrzeug" die ständig schlechter werdenden
Pistenverhältnisse nicht länger zumuten kann, kehren wir auf
halber Strecke um und fahren mit den letzten Strahlen der
untergehenden Sonne nach Antakya zurück. Nach einem exzellenten
Frühstück im exklusivsten Hotel der Stadt brechen wir am
nächsten Morgen auf in Richtung Daphne, dem einstigen, von
sprudelnden Quellen und pittoresken Hainen durchzogenen
Villenvorort Antiochias. Allein, ich kann nichts Beschauliches
mehr entdecken, nichts was geeignet wäre, mich in seinen Bann zu
ziehen; vom erquickenden Bade in dem von Zypressen bestandenen
Teich zu Füßen des Wasserfalls mit der spröden Nymphe muß ich
lassen. Außerdem steht uns der Sinn nach etwas ganz anderem: es
ist die Burg Kürschat, eine jener Burgen, die zu dem
antiochenischen Verteidigungsgürtel gehörten, der um die Stadt
gelegt war. Wieder, wie so häufig, müssen wir uns durchfragen,
und jedesmal geben die Leute aufs freundlichste Auskunft. Völlig
unerwartet, hinter dem Ort Sofular, taucht sie auf. Nicht
einsehbar, geradezu suchenden Blicken entzogen, verbirgt sie sich
auf einem Felsen im Zusammenlauf vierer Täler. Sie liegt, als
hätten ihre Erbauer mit Fleiß beabsichtigt, daß sie nicht
gefunden werde. Doch der Mameluckensultan Baibars fand sie und
nahm sie 1275 ein. Von Kürschat blieb nicht viel mehr übrig als
zwei, allerdings gewaltige Türme, die aus zyklopenhaften Quadern
errichtet wurden. Die Franken bevorzugten hellen, gelben Stein
für den Burgenbau, woran man fast immer eine Kreuzritterburg
erkennt. Die Sarazenen hingegen, wie sie überhaupt die
unheimlichsten Menschen sind, liebten mehr das düstere
Erscheinungsbild, Grau- und Schwarztöne. Obwohl nicht besonders
aussichtsreich gelegen, konnte man auf Kürschat dennoch die
Himmelsrichtung, aus der ein anrückender Feind sich nur nähern
konnte, gut einsehen. Bizarr wirken die vier umgebenden
Schluchten auf den Besucher, der wegen der relativen
Unberührtheit der Natur sowie der gänzlichen
Weltabgeschiedenheit gerne hier verweilt. Um unser nächstes Ziel
zu erreichen, hätten wir ebensogut nördliche Richtung
einschlagen können, dem Marasch-Graben folgend. Ich jedoch
mußte mich für den Umweg über Reyhanli entscheiden, der uns
nichts eingebracht hat außer den wenig sehenswerten Ruinen von
Tell Açana, einer dreitausend Jahre alten Hethiterstadt,
berühmt für die heute im Museum von Ankara aufbewahrten
"Löwen von Tell Açana". Viele dieser sogenannten
Tells, an die noch nie ein Spatenstich gesetzt wurde, sieht man
ab und an unterwegs. Ein Tell, das ist ein auffällige Erhebung
in sonst ebener Landschaft, entstand meist dadurch, daß auf die
Ruinen alter Schichten durch Überbauung und anschließende
Zerstörung immer neue Schichten gesetzt wurden und so eine
Schichtenabfolge entstand, wie man sie etwa in Troja vorliegen
hat, dem prominentesten Vertreter dieser Art Hügel. Von der
byzantinischen Burgruine, die es in Reyhanli geben soll, ist auf
weiter Flur nichts zu sehen, und die Brücke Balduins III.
vergesse ich schlichtweg im Programm. Also wenden wir uns
gewisseren Zielen zu, nämlich der Burg zu Bakras, an der wir
schon vor zwei Tagen vorübergefahren sind, ohne sie eigentlich
zu Gesicht zu bekommen, und auf deren Besuch wir wegen der
vorgerückten Stunde ohnehin hatten verzichten müssen. Bakras
wurde von den Lateinern auch Gaston genannt. Es wurde 1188 von
Saladin erobert. Die Burg liegt den Blicken gänzlich entzogen in
einem Seitental und sollte wohl den Zugang von Alexandretta über
den Belen-Paß sichern. Sie hat schwer unter der Zerstörung
gelitten. Dennoch ist der Ausblick vom Donjon auf die weite
Karasu-Ebene gewaltig. Der Aufstieg ist wenig beschwerlich und
das Wetter heute nahezu atemberaubend. Leider können wir hier
nicht länger verweilen, weil mir noch eine ganze Reihe weiterer
Ziele vor Augen schweben, so als nächstes die Templerfestung
Trapezac, die sich hinter der gleichnamigen Ortschaft Terbezek
befinden soll. Ich habe mir die beschriebene Stelle zwar
angesehen, wonach die Ruine etwa einen Kilometer nördlich des
Dorfes Alabeyli liegen müßte, komme aber zu dem Schluß, daß
an der angegebenen Stelle niemals eine Burg gestanden haben kann.
Kein Mensch der ganzen Umgebung, nicht einmal die dortigen
Bewohner wissen mir das richtig zu deuten, sintemal sich dort
Reste eines antiken Tempels befinden. Der Reiseführer ist an
dieser Stelle wenig präzise und wurde vielleicht sogar von
jemandem geschrieben, der nicht einmal vor Ort war. Das, was
einmal eine Burg gewesen sein könnte, ist als byzantinisches
Gemäuer ausgewiesen, ein wenig hoher Hügel, der erkennbar
wehrhafte Reste trägt. All meine Fragen in den genannten Orten
stoßen auf Verwunderung. Zuletzt werden die jüngeren
Einheimischen auf Motorrädern losgeschickt, um uns dort
hinzubringen und uns alles zu zeigen. Das klappt auch ganz
wunderbar, weil wir einer den andern nicht verstehen. Als wir mit
dem Motorrad wieder im Dorf zurück sind, hat sich eine
richtiggehende jugendliche Meute um uns versammelt, so daß ich
mich aufgrund der zudringlichen Art, die vielen Türken zu eigen
ist, gar nicht mehr richtig wohl fühle. Wie merkwürdig, wir
können uns nur durch Zeichensprache verständigen, wir reden nur
englisch, sie hingegen nur türkisch, ohne Rücksicht darauf, ob
einer den anderen versteht. Doch mit Gestikulieren kommt man auch
durch. Als mir dann einer andeutet, er wolle in meine Geldbörse
schauen (ob sich ein Überfall vielleicht lohnen könnte), wird
mir die Lage zu brenzlig und ich entschuldige mich mit vielerlei
Gründen, wonach wir dringend weg müßten. Mir sind diese
Menschen, in deren Augen wir doch nur Ungläubige sind, einfach
noch zu wild. Fernab jeglicher Übernachtungsmöglichkeit bleibt
uns nur der weite Weg nach Gaziantep.
Diese Strecke führt durch eine atemberaubend schöne Landschaft,
zunächst durch den erdbebengefährdeten Marasch-Graben, mit dem
hohen Nur Daglar zu unsrer Linken und den Bergen an der syrischen
Grenze zu unsrer Rechten, stets dem Lauf des Karasu Çayi
entgegen. Es ist dies die uralte Verbindungsstrecke zwischen
Antiochien und Marasch. Während der Kreuzzüge bebte die Erde
hier laufend, vom Getrampel der Hufe und durch die Schritte
Gottes. Hinter der Stadt Islamiye treffen wir auf die neuerbaute
und in schwindelerregenden Höhen über weitgespannte Brücken
sowie durch zahlreiche Tunnels verlaufende Autobahntrasse
zwischen Adana und Gaziantep, die nach offizieller Darstellung
dem Zweck dienen sollte, Südostanatolien verkehrsgünstig zu
erschließen, nach meiner Ansicht aber rein der Geltungssucht
türkischer Regierungskreise schmeichelte und übrigens ohne
fremde Hilfe gar nicht hätte gebaut werden können. Dafür
bietet sie den Vorteil, daß sie uns schnell in die ehemalige
Grafschaft Edessa bringt, dasjenige Gebiet westlich des Euphrats,
das den Joscelins zu Lehen gegeben war. Über der herben
Landschaft zieht ein zauberhaftes Abendrot auf, und weit und
breit ist das Gebiet menschenleer. Im Stockdunkeln erreichen wir
Gaziantep, und über uns funkeln bereits die Sterne aus
tausendundeiner Nacht. Dann wird Gaziantep zu einem unheimlichen
Ort, wo die Menschen ausnahmslos umtriebig sind, in unsteter und
unschlüssiger Manier zu Hunderten die Straßen bevölkern, so
als würden sie jeden Moment losschlagen, und wahre Abgründe tun
sich auf, als zugleich aus allen Moscheen der Stadt die Muezzine
zum Nachtgebet rufen und sich in das bedrohliche Stimmengewirr
ein Klagen und ein Weinen mischt. Dazu tragen die vielen
schwarzgekleideten Frauen bei und die massenhaft herumstehenden
Männer, von denen man eigentlich nicht recht weiß, was sie
wollen. Sie sehen einen nur fragend an oder beten geistesabwesend
Sure für Sure. Zudem ist viel Militär in der Stadt; an jeder
größeren Kreuzung steht ein Soldat mit der Maschinenpistole im
Anschlag. An Sehenswertem gibt es in Gaziantep nur eine
osmanische Zitadelle zu besichtigen, deren Anfänge in die
Römerzeit zurückreichen. Später wurde die Zitadelle von den
Byzantinern verstärkt, ehe sie dann die Osmanen zur starken
Festung ausbauten. Ob sie auch in der Kreuzfahrerzeit eine Rolle
gespielt hat, kann man aufgrund des wenigen, das darüber zu
lesen steht, nicht ableiten. Vielleicht wurden zu ihrem Ausbau
aber auch Steine aus dem nahegelegenen Turbessel herbeigeschafft.
Die oktogonale Bauweise einiger Türme ist jedoch untypisch für
Kreuzfahrerburgen. Die Reiseführer raten ausdrücklich
davon ab, über diese Stadt hinaus ins Innere Südostanatoliens
hineinzufahren. Unterhält man sich jedoch mit Einheimischen, so
meinen diese, daß derzeit eher keine Gefahr bestünde. Wie auch
immer, unsere Terminplanung sieht eigentlich kein weiteres
Vordringen nach Osten vor, obwohl es mich natürlich reizen
würde, über das Schlachtfeld von Harran zu schreiten oder die
Mauern von Edessa zu besichtigen. Ehe
wir unseren geplanten Exkurs nach Tell Baschir beginnen können,
müssen wir vorher, da meine Bargeldreserven erschöpft sind,
noch dringend zur Bank; doch öffnet diese erst um neun. Somit
warten wir im nahegelegenen Park, bis sie aufmacht. Dort arbeiten
Kinder, die, anstatt in die Schule zu gehen, ihren Familien
dadurch zu helfen versuchen, daß sie den Leuten die Schuhe
putzen. Ich lehne es zuerst ab, in meine vom Hund zerbissenen
Schuhe noch eine müde Lira zu investieren, aber schließlich
lasse ich mich, um des guten Werkes willen, doch dazu
breitschlagen. Der Umtausch von Travellers cheques
gestaltet sich zunehmend schwierig. Die Bank, welche eigentlich
Vertragspartner von American Express in der Türkei ist, löst
die Schecks nicht ein. Man schickt mich zu einer anderen Bank,
doch dort erlebe ich das gleiche. Ich werde einer langwierigen
und umständlichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Darüber
vergehen beinah drei Stunden des Wartens, bis mir der
Geduldsfaden reißt und ich mich spontan entschließe,
Südostanatolien unverzüglich zu verlassen, doch nicht, ohne
vorher den Grund unserer Reise dorthin zu erledigen: Tell
Baschir, die Burg Joscelins von Courtenay, der als Vasall
Balduins von Edessa die Gebiete östlich des Euphrats zu Lehen
hatte. Bedauerlicherweise geben einem die Türken immer wieder
Auskünfte, die sich dann als falsch herausstellen, offenbar weil
die Leute ihr eigenes Land nicht kennen und dies noch dazu aus
Schamgefühl nicht zugeben wollen. Gleichwohl, nach einiger
Fragerei finden wir an unser Ziel. Natürlich brauchte ich nach
der Ankunft nicht enttäuscht sein, denn bereits bei Lawrence von
Arabien, der diese Strecke lange vor uns abfuhr, war nachzulesen,
daß die Reste nur äußerst spärlich seien. In der Tat ist der
Tell noch gar nicht richtig ausgegraben, es wurden lediglich
einige Probegrabungen vorgenommen, um damit die Fundamente des
Mauerwerks der ehemaligen Anlage abzustecken. Diese erstreckte
sich über die gesamte Ausdehnung des Tells. Letzterer zeichnet
sich nicht gerade an Höhe aus, so daß es nicht weiter
verwunderlich ist, daß die Burg nach ihrer Schleifung der
vollständigen Abtragung anheimfiel. Es ist nicht immer das
Monumentale an Ausgrabungen, welches den Eindruck hinterläßt,
manchmal ist es nur die Größe der zugrunde liegenden
historischen Ereignisse, die alles übrige dagegen verblassen
läßt. Blickt man vom Tell auf die hügelige Landschaft ringsum,
die die einzigartige Klarheit des Zweistromlandes atmet, das nur
einen Steinwurf entfernt liegt, so setzt zugleich das Begreifen
ein, warum den Kreuzrittern nicht nur religiöse Motive vor Augen
schwebten, sondern sie durchaus an weltlichem Besitz Gefallen
fanden. Im Frühjahr kann sich diese Gegend mit jeder der
unsrigen an Fruchtbarkeit messen. Die fetten, mehr rötlichen als
braunen Böden bringen mehrere Ernten über das ganze Jahr
hervor, und so erst versteht man die Anekdote, warum der Graf von
Edessa dem Grafen von Turbessel, wie es bei Wilhelm von Tyrus
heißt, seinen gesamten Besitz wieder wegnahm, als dieser alles
im Überfluß genoß, während er selbst an Kargheit litt, und
jenem trotz des verliehenen Reichtums nicht in der Not helfen
wollte. Nachdem wir der blühenden Landschaften dort ausgiebig
genossen und die frische Luft tief durch Brust und Nüstern haben
strömen lassen, fahren wir durch Wald und Flur zurück nach
Gaziantep, und nur einem Zufall ist es zu verdanken, was wir
daraufhin erleben sollten. Am
Ortsausgang, an der Straße nach Kilis, entdecke ich ein Schild
mit der Aufschrift "Ravanda Kalesi 38 km". Aus der
Namensgebung schließe ich, daß es sich dabei um die Burg
Ravendel handeln muß, welche ebenfalls im Besitz der Franken war
und die ich in dieser Gegend überhaupt nicht erwartet hätte.
Wie selbstverständlich folgen wir dem Schild und gelangen nach
längerer Fahrt und kleineren Umwegen, versteht sich,
tatsächlich an den besagten Ort. Schon von weitem erblickt man
die markanten Ruinen von Schloß Ravendel auf einem allseits
ebenmäßigen vulkanförmigen Kegel, umgeben von einer
einzigartigen landschaftlichen Kulisse mit wilden Bergen und
malerischen Orten. Wie immer haben die Erbauer der Burg neben
strategischen Gesichtspunkten die Ästhetik nicht außer acht
gelassen, worauf man früher allgemein mehr Wert gelegt hat als
heute, wahrscheinlich weil die Menschen zunehmend den Sinn für
das Schöne verloren haben. Dort sind auch im weiten Umkreis noch
keine Zerstörungen an der Natur erkennbar. Es ist die ländliche
Idylle schlechthin. Es leben hier ausschließlich zufriedene und
hilfsbereite Menschen, Bauern und Hirten, die aufgrund der
Fruchtbarkeit der Böden keine geringen Erträge erzielen. Man
kann mit dem eigenen Wagen ziemlich weit hinauffahren, so daß
uns dieses Mal ein mühsamer Anstieg erspart bleibt. Der Blick
auf die Wälder und Berge ringsum vom Burgberg ist Balsam für
die Seele. Kein Auto, das einem begegnen würde auf der
stundenlangen Fahrt, nur ab und zu ein Bus! Ravendel wurde
ebenfalls geschleift wie fast alle Burgen der Grafschaft Edessa,
und es ging damals ein Aufschrei durch die antiochenischen Lande,
als es hieß, Edessa sei gefallen und von den Muslimen
zurückerobert. Dies war der Auslöser des dritten Kreuzzugs,
den, wie wir oben gesagt haben, Friedrich Rotbart Lobesam
anführte. Verbleibt mir nur zu berichten, daß unsere Rückfahrt
trotz des ständigen Gegenlichtes aus Westen einen
Höhenunterschied von 1100 m überwand, phantastische Tiefblicke
von der Paßhöhe bietend. Nach
einer Übernachtung in Osmaniye steuern wir gen Karatepe, der
berühmten Hethiterstadt. Auf dem Weg dorthin liegt die
Kreuzritterburg Bodrum Kalesi, wahrscheinlich die aus den Quellen
bekannte Burg Batrun. Sie liegt hoch über der Ruinenstätte des
antiken Hierapolis, in dessen Zusammenhang auch der Name Cicero
erwähnt wird, der dort das Amt eines Prokonsuls von Syrien
verwaltete. Von den Ruinen ist nicht mehr allzuviel auf unsere
Zeit gekommen: ein Theater, Thermen, Grottengräber und einige
Säulen der Kolonnadenstraße, aber alles, wie gesagt, nur noch
sehr spärlich erhalten. Hingegen ist die über dem
Ruinengelände thronende Burg noch in erstaunlich gutem Zustand.
Sie liegt malerisch auf einem isolierten Felsgipfel. Da der
Aufstieg für mich nicht ersichtlich ist, versuche ich es im
Osten, muß aber trotz halsbrecherischer Kletterei scheitern,
weil ich an der Mauer keinen Einlaß finde. Schließlich entdecke
ich dann doch einen ganz leichten Anstieg auf der Westseite. Von
oben hat man einen herrlichen Rundblick auf das Amanos-Gebirge
und die schneebedeckten Gipfel des Taurus sowie auf die vom
Pyramos durchflossene kilikische Ebene. Die auch unter dem Namen
Castaballa bekannte Stadt zu Füßen der Burg war lange Zeit
Schauplatz einer besonderen Zeremonie, und zwar liefen in der
Antike in Ekstase geratene Priester barfuß über heiße Kohlen,
ohne sich dabei die Füße zu verbrennen. Die späteren
Kreuzritterbarone scheinen beim Bau der Burg keine Steine der
antiken Ruinenstätte verwendet zu haben. Sicher ist, daß diese
Festung zum Einflußbereich des Fürstentums Antiochien gehörte,
welcher sich ja, wie wir bereits wissen, bis über die
uneinnehmbare, weiter westlich gelegene Festung Anavarza hinaus
erstreckte.
Durch eine liebliche Landschaft gelangen wir weiter nordwärts
ziehend an den heute am Ufer des aufgestauten Pyramos liegenden
hethitischen Stadtpalast Karatepe, einem Überbleibsel des
Großhethitischen Reiches. Von der Stadt selbst ist nur mehr
wenig erhalten. Man kann sich aber aufgrund von Rekonstruktionen
ihr Aussehen gut vorstellen. Die ganze Anlage ist zu einem
Freilichtmuseum umgestaltet. Photographieren ist auf dem Gelände
strengstens untersagt. Zufälligerweise ist eine deutsche
Reisegruppe zugegen, mit deutschsprachiger Reiseleitung, der wir
uns anschließen. Aus berufenem Munde erfahren wir einiges, was
uns den Aufenthalt lohnend erscheinen läßt. Und zwar wurde hier
in Karatepe eine bilinguale Inschrift entdeckt, die die
Entzifferung der hethitischen Hieroglyphenschrift ermöglichte.
Den parallel in phönizischer Schrift angegebenen Text des
Königs Azitawadda konnte man seinerzeit bereits lesen. Die
beiden Haupttore müssen unwahrscheinlich prächtig verziert
gewesen sein. Zwar können die hethitischen Reliefs keineswegs
mit persischen konkurrieren, doch lernt man einiges daraus über
die Kultur der Hethiter. Dargestellt sind vor allem Jagdszenen -
es waren damals noch Löwen in dieser Gegend anzutreffen -,
Kampfhandlungen, die die Bewaffnung zeigen und den Gebrauch des
hethitischen Streitwagens bezeugen, ja selbst ein hethitisches
Schiff ist zu sehen, obwohl die Hethiter keine Seefahrernation
waren. Die Reliefs sind etwas grobschlächtig und derb, doch wenn
man bedenkt, wie weit um dieselbe Zeit die Kultur in den
germanischen Wäldern gediehen war, so wird man diese
Errungenschaften zu würdigen wissen. Im übrigen waren die
Hethiter ein indogermanisches Volk, welches bedeutenden Einfluß
auf die Kulturen des Zweistromlandes ausübte. Schließlich geht
es aber bei einer Kultur auch nicht so sehr um sichtbare
Hinterlassenschaften, sondern um die allumspannende Macht, die
sie ausübte. So haben etwa die Mongolen so gut wie nichts
Sichtbares hinterlassen, und dennoch war ihr Machtbereich
größer als der irgendeines anderen Volkes. Während des
Vortrags gibt es scheinbar für die deutsche Reisegruppe nichts
Wichtigeres, als sich über die Modalitäten der Überreichung
eines angemessenen Trinkgeldes für die Reiseleitung zu einigen.
Wir ziehen uns daher von solchen Leuten, die ihre Alltagssorgen
mit auf die Reise genommen haben und von ihren Schuldgefühlen
selbst im Urlaub nicht loskommen, liebend gerne zurück. Da wir
allerdings keine Möglichkeit sehen, wie wir zu der auf der
anderen Seite des Stausees liegenden Ruinenstätte Domoztepe
kommen sollen, setzen wir statt dessen die Rückreise fort. Sie
führt uns mit einem lohnenden Abstecher zur armenischen Burg
Amuda, die ein Geschenk Leons I. an den Deutschen Orden war, der
sich nach seiner Vertreibung aus dem Heiligen Land zunächst hier
festsetzte. Diese Burg zeigt nicht wie die typischen
Kreuzfahrerburgen geordnetes Mauerwerk, sondern hier wurde
wesentlich gröber gearbeitet. Die Anlage, von der heute nicht
mehr viel zu sehen ist, liegt an einer Flußschleife des Pyramos,
und ihr Ausblick reicht ebenso weit hinaus auf die kilikische
Ebene wie jener der bereits erwähnten Burg Bodrum. Somit müssen
Franken und Armenier eine Zeitlang gute Nachbarn gewesen sein. Die
Weiterfahrt erfolgt nun retour bis Osmaniye und von dort bis
Ceyhan, wo wir uns noch die bereits auf der Hinfahrt gesichtete
Burg Dumlu ansehen, die sowohl von der Schlangenburg aus zu sehen
ist als auch von der Festung Anazarbos. Wahrhaftig, das ganze
Land scheint übersät zu sein mit diesen Zeugen großer Kämpfe,
die einst hier stattfanden. Dumlu Kalesi befindet sich in einem
außerordentlich guten Erhaltungszustand, eine Frankenburg vom
Feinsten. Sie ist leicht von allen Seiten zugänglich und liegt
majestätisch auf einer einzelstehenden Bergkuppe. Allein,
hineinzukommen gelingt mir nicht. Es wäre ohne Seil eine
außerordentlich riskante Kletterei geworden, die es erfordert
hätte, daß ich mein Gepäck hätte unten lassen können. Aber
als ich schon mit dem Aufstieg begonnen habe, entdecke ich
drunten im Tal einen Nomadenjungen, der sich für meinen Wagen zu
interessieren scheint, immer den Blick auf mich gerichtet, ob ich
nicht irgendwann hinter einem Felsen verschwinde. Dies beunruhigt
mich zusehends, denn was wäre, wenn er mir, unterdessen ich auf
dem Berg bin, die Scheibe einwirft. Immer wieder muß ich mich
umdrehen, und mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß die
Menschen hier zum Teil noch wie die Zigeuner in Zelten leben.
Mein Argwohn sollte sich jedoch nicht bestätigen, so daß ich
unser Fahrzeug, nachdem ich zurück bin, unversehrt vorfinde,
wohl auch deswegen, weil ich erkennbar keine Wertsachen darin
zurückgelassen habe. Unten angelangt, kommt der Junge, den ich
soeben am liebsten noch geohrfeigt hätte, auf mich zugerannt und
hält die Hand auf, andeutungsweise, damit ich ihm Geld gebe.
Nachdem er mir aber einen längeren Aufenthalt unmöglich machte,
bin ich so frei und gebe ihm nichts. Unbehelligt, jedoch besorgt,
daß er mir Steine hinterherschmeißen und dann wegrennen
könnte, fahre ich von dannen. Nunmehr haben wir noch ein gutes
Stück Weg zurückzulegen durch die kilikische Ebene. Auf einen
Abstecher zu den Kilikischen Pforten verzichten wir angesichts
der schon vorgerückten Tageszeit. Als die Sonne nur noch glasig
durch den schwachen Dunst am Horizont schimmert, schlagen wir in
der Nähe des antiken Soloi-Pompeiopolis Quartier. An diesem Ort
wurden nach ihrer Ausräucherung durch Pompeius Magnus die
besseren Elemente der kilikischen Seeräuber angesiedelt, die er
der Schonung für wert hielt. Die griechische Stadt Soloi erhielt
ihm zu Ehren in römischer Zeit den Namen Pompeiopolis. Vieles
hat sich dort leider nicht erhalten, die Steine wurden
weggetragen und sind in dem aufkeimenden Mersin verbaut. Dieses
Mersin ist eine schreckliche Stadt; sie ist vornehmlich aus
größenwahnsinnigen Bauprojekten hervorgegangen. Ganze
Straßenzüge leerer Wohnblöcke stehen wie Ruinen einer
Geisterstadt, und es gibt niemanden, der sie bezieht. Gehen doch
die arbeitslosen Türken lieber nach Europa zum Verdienen, denn
wer bleibt, dem ist ohnehin nicht viel an Arbeit gelegen.
Überall auf den Dörfern, durch die wir kommen, sitzen die
Männer untätig herum und ergehen sich in Geselligkeit. Frauen
sieht man nicht in der Öffentlichkeit. Und mit dem Tourismusboom
wird es auch nicht so weitergehen wie bisher. Allerorts sind
Bestrebungen erkennbar, die leerstehenden Hotelbauten mit
Urlaubsgästen aufzufüllen. Nirgendwo nämlich gab es bisher ein
Problem, ein freies Zimmer zu finden.
Gleich mit den ersten Morgenstrahlen machen wir uns an die
Besichtigung Solois, doch werden wir wirklich herb enttäuscht.
Einige eingezäunte Säulenreihen der einstmals vierhundert Meter
langen Kolonnadenstraße sind das einzige, was es hier noch zu
sehen gibt. Der Mensch ist doch wahrhaftig der größte
Kulturschänder, er besitzt vor nichts Achtung oder Respekt, und
zudem sind sie Menschen dumm und faul. Anstatt aus dem Fels
brechen sie die Steine lieber aus dem Verbund, müssen sie aber
dennoch transportieren, vielleicht nur etwas weniger weit, um sie
andernorts wieder zusammenzufügen. Und die Thermen haben sie
vermutlich abgetragen, weil sie sich lieber im Meere wuschen. -
Bei der Stadt Tece liegt das gleichnamige Tece Kalesi, allerdings
nicht genau dort, wo es in der Karte eingezeichnet ist, sondern
nur unweit der Durchgangsstraße. Trotz vorher eingezogenen
Erkundigungen ist es ohne die Hilfe der Einheimischen kaum
möglich, die Ruine auszumachen. Hilfsbereit wie die Türken
sind, stets darauf bedacht, sich Freunde zu schaffen, bietet sich
ein Teestubenbesitzer an, mich nach dort zu begleiten. Obwohl wir
uns so gut wie nicht miteinander verständigen können, geht aus
dem Small talk und den Gesten doch so einiges hervor. Tece
Kalesi, so es dies überhaupt gibt, was wir hiermit in Zweifel
ziehen, ist nicht mehr als ein freistehender
auseinandergebrochener Frankenturm, eindeutig ein Relikt der
Kreuzfahrerzeit. Wieder müssen erst bellende Hunde zur Raison
gebracht werden, um wenigstens ein Photo schießen zu können.
Der Teeverkäufer lädt uns anschließend noch zu einem Glas
aromatischen türkischen Tees ein. Immer wieder begeht man den
Fehler, da man sich in einem Lokal niedergelassen hat, das
Angebotene bezahlen zu wollen, aber das ist noch immer eine
geringere Beleidigung, als eine Einladung ganz auszuschlagen. -
Der schon bei Strabon erwähnte Flecken Lamos trägt heute den
Namen Limonlu.
Auf
dem weiteren Weg kommen wir dann am antiken Kanytelleis vorüber,
welches von Strabon nicht erwähnt wird. Von der Stadt ist noch
erstaunlich viel übriggeblieben verglichen mit dem, was von den
Ruinenstätten, die direkt am Meer gelegen sind, erhalten blieb.
Kanytelleis liegt nämlich landeinwärts vom Meer hoch in den
Bergen, etwa 3 km von der Küstenstraße entfernt, und dies
bedeutet, daß es für einen Abtransport der Steine bereits
wieder zu weit entfernt gewesen sein dürfte. Das Interessanteste
in Kanytelleis ist ein hellenistischer Turm, den die
Teukrospriester von Diocaesarea zu Ehren des Zeus Olbias erbauen
ließen. Die wichtigsten Gebäude der Stadt reihen sich rings um
einen riesigen Einsturzkrater, in den ein Weg hinabführt. Es ist
aber ein recht unheimliches Unterfangen, sich dort unten alleine
aufzuhalten. Die überall wachsenden Brennesseln dringen selbst
durch lange Hosen, und mit kurzärmligem Hemd ist eine Berührung
unvermeidlich. Mit einem unangenehmen Brennen, das am ganzen
Körper zu verspüren ist, suche ich dem Kessel schnellstmöglich
wieder zu entfliehen, so faszinierend dieser Ausflug in die
Unterwelt auch gewesen sein mag. Kanytelleis ist übrigens
untrennbar mit dem Namen jener Frau verbunden, die sich Aba
nannte und die an die Herrschaft gelangt war, nachdem sie sich
aus ihrer Vormundschaft losgesagt und sich dann bei Antonius und
Kleopatra angedient hatte, um an der Macht zu bleiben. Später
wurde sie aber dennoch gestürzt.
Unweit von Korykos liegen die Korykischen Grotten, von denen
Strabon berichtet, daß in ihnen der beste Safran wächst. Erst
der Islam hat ihnen den Namen Himmel und Hölle verliehen, Cennet
ve Cehennem. Cennet ist die größere von beiden, mehr als 100 m
tief sind sie beide, aber Cennet ist 500 m lang und geht in eine
echte Höhle über, an deren Ende ein unterirdischer Fluß
vorbeiströmt, der etwas unterhalb, am Meer, wieder austritt.
Während man in Cennet hinabsteigen kann, ist Cehennem nichts als
ein tiefer kreisrunder Schlund mit senkrechten Wänden, die so
steil sind, daß nichts an ihnen wächst. Eigentlich hatte ich
gedacht, wir würden in die Hölle hinabsteigen, während wir
statt dessen in den Himmel "aufstiegen". Weiter
drunten, wo das richtige Dunkel beginnt, werden die vom
Fußabrieb ohnehin schon glattgeschliffenen Stufen durch den
aufgebrachten Schlamm, den die Regengüsse vor kurzem
hinabgespült haben, noch glitschiger und rutschiger, so daß ein
Weiterkommen ohne hinzufallen fast nicht möglich ist. In meine
aufgeschlitzten Schuhe dringt nun noch roter, dicker Lehm ein,
auf dem ich laufend ausgleite, wobei mir selbst die geübteste
Gleichgewichtsakrobatik nichts hilft, so daß ich von Glück
sagen kann, daß ich nicht gleich auf dem Hintern lande, sondern
lediglich auf die Hände falle. Allen anderen geht es ähnlich.
Fluchend verlasse ich darauf den Himmel, ohne des
Unterweltflusses ansichtig geworden zu sein. Über der Grotte
steht, wie schon in Kanytelleis, ein Zeustempel. Besonders
störend ist dort, wie meist an Touristenzentren, die
Aufdringlichkeit der Kinder, die sich schon im zartesten Alter
als Schlepper verdingen, ungeniert unser Auto genauestens unter
die Lupe nehmen, ob sich darin nicht irgend etwas Brauchbares
findet. Eine Ohrfeige würde aber keinen Sinn machen, wenn man
sich anschließend vom Fahrzeug entfernt. - Im Anschluß suchen
wir auf der Weiterfahrt nach der in meiner Karte eingezeichneten
Burg Karatepe - nicht zu verwechseln mit der hethitischen
Ausgrabung -, die wir aber bei den widersprüchlichen Auskünften
der Einheimischen nicht auffinden können. Der Rest des Weges
bietet nichts, was wir nicht ohnehin schon kennen. Etwas früher
als sonst treffen wir an diesem Abend in Anemurion ein, wo wir
uns auf eine ordentliche Körperreinigung freuen. Auch unser
Vermieter ist hocherfreut, als er uns nach soviel Tagen
wiedersieht.
Als
sich am nächsten Morgen der Dunst, der während der Fahrt die
Ruinen einer an der Küstenstraße gelegenen Burg freigibt, nach
und nach gelichtet hat, schwenken wir kurz vor Gazipascha nach
Antiochia ad Cragum ein, ein Platz, der schon bei Strabon genannt
wird. Er ist zwar kaum 5 km von der Hauptstraße entfernt, doch
ist die Fahrt dorthin äußerst beschwerlich. Schon bald nämlich
endet die Teerstraße und wird zu einer staubigen, steilen, nur
noch einspurigen Sandstraße, die mit Steinen geradezu übersät
ist. Das macht das Fahren zu einem ausgesprochenen Abenteuer. Es
gibt kaum Ausweichmöglichkeiten im Falle, daß ein Fahrzeug
entgegenkommt, doch zum Glück auch nahezu keinen Verkehr. Hier
in der Abgeschiedenheit der Steilküste leben nur Bauern, die
entweder vom Bananenanbau leben oder als Ziegenhirten ein
kümmerliches Dasein fristen. Freundlich gesonnen sind die Leute
dem Fremden hier nicht. Zu selten wagt sich ein Reisender in
diese Gegend. Kaum ist eine Anhöhe erreicht, wo das Meer
sichtbar wird, geht es auf der anderen Seite wieder fast so weit
hinab, wie wir aufgestiegen sind. Hinter einer Kehre, durch
erstes antikes Mauerwerk angekündigt, fällt der Blick
unvermutet auf den Kragos, den Felsen, der von einer malerischen
Burg gekrönt ist. Diese besitzt einen doppelten Mauerring, eine
Ober- und Unterburg, die den gesamten Gipfelbereich einnimmt. Der
Kragos ragt isoliert ins Meer hinaus, gab deswegen einen
strategisch günstigen Vorposten ab, ideal für die Anlage einer
Befestigung. Rechts und links des Felsens, der jäh und steil
abfällt, tost das Meer an die Klippen und schäumt weiß am
azurblauen Strand. Linker Hand hat ein Felsdurchbruch einen
geschützten natürlichen Hafen geschaffen, der mehreren Triremen
Platz geboten hat. Wenn die See allerdings rauh gimg, war nach
meinem Dafürhalten weder die Aus- noch Einfahrt möglich. Der
Zugang zur Festung, die griechischen Ursprungs sein dürfte,
führt durch dichtes Gestrüpp, ist aber als solcher nicht
sonderlich beschwerlich, d.h. man muß nicht klettern, um
hinaufzukommen. Das feuchte Gras erhöht allerdings die Gefahr
des Abrutschens. Wild und unheimlich ist es hier heroben wie
überall ringsum, wie muß sich das erst bei stürmischer See
ausnehmen? Tausendfach tost das wogende Meer, und in das
Kreischen der Seevögel mischt sich das Rauschen der Brandung
tief unter uns. Die vorgelagerte Küste wirkt bizarr, beinahe
gespenstisch in neblig-gelben Pastellfarben. Die Mauerreste
selbst sind allerdings nur mehr wenig beeindruckend. Auch auf den
beiden Nachbarfelsen, die zusammengewachsen sind, finden sich
Reste von umgestürzten Säulen, ein Hinweis darauf, daß dort
einst ein Tempel gestanden hat. Zwei Jünglinge, die einen
Packesel führen, sind die einzigen, die mir begegnen. Einsam ist
es hier, aber schauderlich schön. So unheilgeschwängert wie die
Herfahrt verläuft auch die Rückfahrt. Um die übrigen Ruinen
kümmern wir uns kaum, wir lassen sie daher links liegen. Es
gäbe nämlich noch zwei weitere Ruinenstätten am Weg, doch kann
man nicht alles visitieren, zu welchem Behufe wir nicht
hierherkamen. Wir müssen uns auf das Wesentliche beschränken,
denn es gibt noch genug bedeutendere Orte. Dazu gehört ganz
sicher Selinous, das wir als nächstes erreichen. In einer
Schwemmlandebene, wo ein dem Namen nach unbedeutender Fluß sich
ins Meer ergießt, steht auf dem isolierten Vorgebirge Seli ein
festes Kastell hoch oben über der ehemals phönizischen
Gründung. Sie ist berühmt geworden, weil hier im Jahre 117 n.
Chr. Kaiser Trajan auf seiner Rückkehr vom Partherfeldzug
verstarb. Zum Kastell hinauf führt eine Treppe, die den Aufstieg
um einiges erleichtert. Jäh stürzt der Fels nach der andern
Seite ins Meer. Den gesamten Westhang des Burghügels zog sich
eine vieltürmige Stadtmauer hinauf. Die alten Ausmaße der Stadt
lassen sich nur schwer erahnen, denn das Gelände ist, wie immer
in solchen Fällen, von türkischen Familien bewohnt. Die Tomaten
scheinen in der Tat desto besser zu gedeihen, je altehrwürdiger
eine Ausgrabungsstätte ist. Im Hafenbecken, auf das man von der
Zitadelle herab einen wunderbaren Blick hat, ankert verloren eine
Jacht. Die endlosen Strände scheinen von Menschen leergefegt,
d.h. die wenigen Badenden verlieren sich an ihnen. Die heutige
Stadt Gazipascha liegt ca. 3 km von der Küste entfernt im
Hinterland, und das ist gut so. Schweißbedeckt komme ich zu
unserem Fahrzeug zurück, aber mein Tatendrang läßt mich nicht
zur Ruhe kommen. Immer wieder müssen neue Ufer erreicht, neue
Ziele gesteckt werden, und daran wird sich bis zum Ende der Reise
auch kaum etwas ändern.
Durch Alanya, wo uns die Touristen das Grausen lehren, fahren wir
einfach hindurch. Erst hinter Manavgat kommt wieder etwas, was
wir auf der Hinfahrt ausgelassen haben, das ist Seleukia. Dieses
liegt in luftigen Höhen und ist nur über eine Landstraße zu
erreichen. Daher ist auch hier niemand anzutreffen, als wir
ankommen. Nur ein Liebespaar scheint sich in den dunklen Wäldern
verirrt zu haben. Die gesamte Ruinenstätte ist nahezu
vollständig von lichtem Lärchenbestand überwachsen. Die Sonne
fällt zu dieser Abendstunde schon ganz waagrecht ein und taucht
den dunklen Fels in weiches, mildes Licht. Am Himmel hat sich der
Dunst aufgelöst, so daß das Grün der Lärchennadeln jetzt
härter wirkt als am Tage. Die Ruinen liegen verstreut im weiten
Umkreis über den ganzen Berg verteilt. Niemand kann mehr sagen,
welchem Zweck sie einmal gedient haben. Die Agora jedenfalls hat
die Zeiten gut überdauert, und auch ein Teil der
Kolonnadenstraße steht noch. Das Theater suche ich vergeblich,
aber dafür finden wir die Thermen. Es kann nicht sein, daß eine
beliebige griechische Stadt kein Theater habe, auch an weiterem
Baumaterial hätte es sicher nicht gefehlt. Die Natur selbst hat
hier aus Konglomeratgestein Bauten geschaffen und dabei
märchenhafte Gebilde zustande kommen lassen. Wie verzaubert
erscheint diese Welt, als ob man im dichten Dschungel alte
Maya-Tempel wiederentdecken und ausgraben würde. Man ist bei
seiner Suche ganz auf sich allein gestellt. Es gibt keine
Wegweiser, weder Hinweistafeln noch Erklärungen. Dort wo die
Straße für ein gewöhnliches Fahrzeug nicht mehr fahrbar ist,
läßt man sein Gefährt am besten stehen und legt den Rest zu
Fuß zurück. Als weit und breit niemand mehr ist und die Sonne
nur noch hinter Bergkuppen hervorblinzelt, wird es Zeit für uns,
daß wir uns in Sicherheit bringen und dem dunkler werdenden Wald
entfliehen. Zu groß ist die Gefahr des Stolperns und
Ausrutschens auf den glatten Lärchennadeln. Wieder hat ein Tag
völlig unerwartet neue Höhepunkte gebracht und die Seele in
Taumel versetzt. Da ist es nur allzu begreiflich, daß wir uns
mit Rückkehrgedanken tragen, auf einen früheren Flug umbuchen
wollen. Zu gewaltig stürzen die Ereignisse auf uns ein. All das,
was wir in nur zwölf Tagen gesehen haben, übersteigt, was ein
Mensch in dieser Zeit zu verarbeiten imstande ist.
Dort, wo das Gebirge westlich von Antalya ans Meer herantritt,
verlassen wir Pamphylien und betreten lykischen Boden. Die erste
Stadt, auf die wir treffen, ist Phaselis. Sie liegt direkt am
Meer und hat Zugang zu drei Buchten, unter denen eine der
sogenannte alte Kriegshafen ist, wo einst die griechischen und
römischen Dreiruderer festmachten. Der Aquädukt tritt bis ans
Meer heran. Er führte frisches Wasser aus den bewaldeten und
hochaufragenden lykischen Bergen heran, die den Ort, wäre da
nicht das Meer, mit einer gewissen Enge umgeben. Zu besichtigen
gibt es das antike Theater, eine gepflasterte Hafenstraße sowie
die sonstigen üblichen Bauten, die man in griechisch-römischen
Städten antrifft. Die wesentlich flachere Badebucht bietet gute
und geschützte Ankerplätze für Jachten, allerdings gibt es
keine Marina dort, und ein Landgang, außer eben zu den Ruinen,
wird wenig bringen. Mithin eine Idylle zum Faulenzen, wo man
aber, will man nicht vor Müßiggang umkommen, nicht allzulang
verweilen wird. Der nächste Ort, den wir aufsuchen, ist
Chimära, welches man von der in große Höhen sich
aufschwingenden Küstenstraße nur wieder in schwindelerregender
Talfahrt erreicht. Am Ende einer von steilen Anhöhen
eingeschlossenen Küstenebene kommt man zu einem Parkplatz, von
dem ein Weg in 15 Minuten hinauf nach dem sagenumwobenen Chimära
führt. Die Chimäre soll ein feuerspeiendes Ungeheuer gewesen
sein mit dem Kopf eines Löwen, den Greifen eines Adlers und dem
Schwanz eines Krokodils. Homer erzählt in der Ilias den Mythos
von Bellerophontes, welcher der Chimära ein grausiges Ende
bereitete. Seit fast drei Jahrtausenden treten am Hang aus
zahlreichen Erdspalten brennbare Gase aus, was die Griechen dazu
veranlaßt hat, hier ihrem Hephästos, dem Gott des Feuers und
der Schmiedekunst, einen Tempel zu errichten. Auf den Ruinen
dieses Tempels wurde in christlicher Zeit eine byzantinische
Kirche erbaut. Die Athleten entzündeten aus Anlaß der
olympischen Spiele dort ihre Fackeln und trugen das olympische
Feuer hinab in die Stadt Olympos. Hier fanden die ersten
olympischen Spiele auf kleinasiatischem Boden statt. Auf dem Berg
über Chimära, dem man den Namen Olympos gab, vermutete man in
der Antike den Sitz des Zeus. Es muß für die antiken Seefahrer
gespenstisch gewesen sein, wenn sie draußen auf See mitten in
der Steilwand eines Berges lodernde Flammen brennen sahen. Die
Zusammensetzung der Gase ist bis heute nicht vollständig
geklärt, ein Bestandteil soll aber Methan sein. Mir war
allerdings, nach dem schweißtreibenden Anstieg über den
felsigen Pfad, als wäre ich dort inmitten der züngelnden
Flammen leicht benommen gewesen. Nach solch mystischen
Erlebnissen zieht es uns wie magisch ans Meer, wo sich bereits
Bootsausflügler aus Antalya in der Sonne aalen. Hier liegt die
antike Stadt Olympos, von der oben die Rede war. Man erreicht sie
nur durch tiefen Sand watend. Zu gerne möchte man sich als Mann
den gutgebauten Frauen zugesellen, die dort nach den Herren der
Schöpfung Ausschau halten, doch bin ich gehalten, der Antike den
Vorrang einzuräumen. Bademöglichkeiten gibt es nämlich an
allen Stränden im Land, solch erhabene Stätten aber nicht
überall! Man läuft vom Meer weg direkt in ein enges,
schilfbestandenes und von hohen Wänden umschlossenes Tal hinein,
das gerade im vollen Saft des Frühlings steht, während seine
Fruchtbarkeit durch die markanten Felskegel ringsum noch eine
Steigerung erfährt. Alles sprießt, rauscht, plätschert, wo man
auch hinsieht. Blumenteppiche überziehen die enge Schlucht, es
ist wie in einem lichtdurchfluteten Hain, und die Halme des
Schilfs wiegen sich im Einklang mit den Wogen des Meeres. Nur der
Mensch stört dieses Paradies. Dort wo die Wege flach sind,
mißfällt er zuhauf, weil er durch sein lärmendes Betragen den
Ort seiner Ruhe beraubt, allein auf die Akropolis, wo es am
allerschönsten ist, will keiner hinauf, dort ist man mit sich
und der Welt allein. Die unten aus den Booten aussteigen, um mit
ihren Füßen den Boden, den sie betreten, zu entehren, mich
gehen sie dort droben auf dem Felsen gar nichts an. Wie Ameisen
so klein sehen sie aus, und sie tummeln sich hurtig. Von der
anderen Seite herüber grüßt das mittelalterliche, von
Seeräubern angelegte Kastell, oder wie sonst sollte man
genuesische Kaufleute bezeichnen, die eine Handelsniederlassung
zu gründen die Levante zu plündern kamen. Wie ein schmaler
weißer Saum zieht sich der Strand über hunderte von Metern in
die Länge, hoch von der Steilküste überragt. Am Abend werden
hier die Lagerfeuer aufflammen. Ein Geheimtip für alle Segler,
die in dieser ehemaligen Seeräuberbucht vor Anker gehen!
Weiter führt die Fahrt, zuerst nach Kumluca, wo ich Geld abheben
muß. Das Prozedere mit dem Eintauschen der Travellers
cheques dauert hier nicht ganz so lange wie in Südostanatolien,
doch erscheinen mir die Schalterangestellten hier auch nicht
wesentlich flexibler. Dieses Kribbeln befällt mich jedesmal aufs
neue, wenn ich am Schalter Geldgeschäfte abwickle und dabei eine
Traube von Menschen im Nacken stehen habe, die überhaupt keine
Diskretion zu kennen scheinen, sondern mir neugierig über die
Schulter blicken, ins Portemonnaie und in die Phototasche, die
ich ab und zu öffnen muß, mit großen Augen in meinen Paß
schauen und mich so dicht belagern, daß ich nicht umhin kann,
ihren Schweißgeruch einzuatmen. Meine äußerste Aufmerksamkeit
gilt meinem Geldbeutel, meinen Knöpfen und Reißverschlüssen,
obwohl ich mir immer wieder logisch klarmache, daß diese Leute
hier ehrlicher sind als die, die ich von daheim kenne. Die
Weiterfahrt führt uns am mondänen Jachthafen von Finike vorbei,
immer längs der Küstenstraße, die direkt über dem Meer
verläuft und immer wieder mit reizvollen Badebuchten aufwartet,
mit azurblauem Wasser und weißen Sandstränden. Bei der Stadt
Kale liegt, wie der Name schon sagt, eine Burg hoch auf einem
Felsen, und die Abzweigung führt nach Myra, wo der heilige
Nikolaus herstammt. Auch Paulus hat sich hier aufgehalten. Von
der antiken Stadt ist noch ein gut erhaltenes Theater geblieben,
das sich direkt an die steilen Felswände lehnt. Darüber
befinden sich zahlreiche lykische Felsengräber. Die alten Lykier
hatten nämlich durchaus sonderbare Jenseitsvorstellungen, über
die nicht viel bekannt ist. In einiger Entfernung zur Stadt
befindet sich der alte Hafen Myras, Andriakae, der heute
weitgehend versumpft ist. Dennoch sind die Reste so unbedeutend
nicht, wie es in manchen Reiseführern dargestellt wird. Die
meisten Gebäude sind noch gar nicht richtig ausgegraben, vieles
ist von Sanddünen zugeschüttet. Ein Bauwerk, das wegen seiner
Monumentalität Beachtung findet, ist ein Tempel, aus gewaltigen
Quadern errichtet, der am Fries die folgende Inschrift trägt:
HORREA ... CAESARIS DIVI TRAIANI PARTHICI. Vermutlich war er dem
zu einem Gott erhobenen Kaiser Trajan geweiht, nachdem dieser auf
der Rückreise vom Partherfeldzug in Selinous, wie wir oben
gehört haben, gestorben war. Nirgends wird man jemals so
viele und so große Spinnen erleben wie in Andriakae, d.h. aber
auch, daß diese Ruinen schon lange keiner mehr aufgesucht hat.
Immer wieder sind wir gezwungen, Spinnweben aufzutrennen, die ein
Herauskommen aus dem Dickicht behindern. Hunderte, Tausende von
Spinnen sind um mich und über mir. Die größten Netze werfe ich
mit Steinen frei. Natürlich weiß ich, daß Spinnen geschützt
sind und vom Aussterben bedroht, doch wer würde wohl weite,
halsbrecherische Umwege in Kauf nehmen, nur um es einer Spinne zu
ersparen, sich ein neues Netz ziehen zu müssen. Die Sonne steht
nun schon waagrecht, so daß ich mir den Marsch auf die Akropolis
verkneifen muß, damit wir noch vor Einbruch der Dunkelheit Kasch
erreichen, das antike Antiphellos. Von den Höhen des lykischen
Gebirges steigen wir herab, auf gut ausgebauter Straße, die in
zahlreichen Kehren an den malerischen, in eine Inselwelt
eingebetteten Hafen führt. Hierher müssen wir gesondert noch
einmal kommen. Zwei Dutzend antike Stätten liegen im Umkreis des
Ortes, zu viel für uns, um alle am letzten verbleibenden Tag
aufzusuchen. Mein Herz schlägt für Xanthos, aber dieses bleibt
dem morgigen Tag vorbehalten. Nach
einer Übernachtung in einem äußerst bescheidenen Quartier
brechen wir zeitig am Morgen auf. Der Himmel ist wolkenlos, und
die Fahrt längs der lykischen Steilküste scheint
vielversprechend. Vorbei an Kalkan, einem malerischen
Hafenstädtchen mit mondäner Marina, taucht beim Ort Kinik der
Wegweiser "Xanthos" auf. An der Abzweigung nach Patara
stoppt uns eine Anhalterin, und ich hätte sie in ihrer dünnen
Bluse auch mitgenommen, wenn sie sich ein bißchen mehr für
Kultur interessiert hätte. Doch sie will nach Fethiye, Xanthos
kennt sie gar nicht. - Der Burgberg von Xanthos liegt an einer
Schleife des gleichnamigen Flusses und bietet bei klarer Sicht
einen weiten Blick über die fruchtbare Schwemmlandebene, wo
heute in unzähligen Treibhäusern unendlich viele Tomaten
gezüchtet werden. Die gesamte Türkei wäre wahrscheinlich nicht
in der Lage, diese vielen Tomaten zu verzehren - man ißt sie
hierzulande mit Messer und Gabel -, also können sie nur für den
Export bestimmt sein. Damit der vitamingeplagte Europäer jahrein
jahraus seine geliebten wässrigen Tomaten verzehren kann,
müssen großflächige Landschaften durch Treibhäuser entstellt
werden. Überall stoßen einem diese Glashäuser und
Plastikplanen, die jedes Photo verderben, auf. Wenn das die
einzigen Produkte sind, mit denen die Türkei der Europäischen
Union beitreten will, so kann man darüber nur den Kopf
schütteln. Es wird kaum ausreichen, nur Tomaten in riesigen
Mengen zu produzieren oder aus Bauwut ganze Berge abzutragen,
damit für Touristen immer mehr häßliche Betonbauten entstehen.
Zurück zu Xanthos: Die alte Stadtmauer bezog auch die Nekropole
mit ein, ihr Verlauf kann noch gut bis über den Akropolishügel
verfolgt werden. Von oben hat man einen besonders schönen Blick
auf das Theater aus römischer Zeit. Die Lykier waren ein
nichtgriechisches indogermanisches Volk mit einer eigenen
Sprache. Sie kämpften im Trojanischen Krieg auf Seiten der
Trojaner. Neben dem Theater sind es wieder die Felsgräber, die
Beachtung finden, darunter das sogenannte Harpyiengrab. Die Toten
wurden stets an den Felswänden beigesetzt oder auf hohen Stelen,
wobei man den Sarkophag mit den Graburnen zuoberst plazierte. Man
dachte, daß die Seelen der Toten von vogelgleichen Wesen in die
Unterwelt mitgenommen würden, daher sind alle Steilhänge in der
Nähe ihrer Städte mit Grabnischen übersät, wobei die
besonders schönen Gräber sogar skulptierte Verzierungen
aufweisen. - In Xanthos ereignete sich während des
Persereinfalls unter Harpagos ein kollektiver Suizid, ähnlich
dem in Massada. Die Lykier töteten zuerst ihre Frauen und Kinder
und schworen dann einen fürchterlichen Eid. Sie traten dem
überlegenen Feind vor der Stadt entgegen und starben den
Heldentod, wobei sie bis zum letzten Mann kämpften. So
wenigstens berichtet es Herodot. Längst abgewaschen ist das Blut
von den Steinen, und noch immer nimmt der Xanthos seinen alten
Lauf. Man spürt allenthalben die Erhabenheit dieses Ortes, den
so berühmte Persönlichkeiten wie Brutus der Cäsarmörder
aufgesucht haben, um hier Geld für den Kampf gegen Marcus
Antonius einzufordern.
Unweit Xanthos liegt das Letoon, das Hauptheiligtum der Lykier,
etwas ferner den Bergen, ohne schützenden Burghügel. Da es ein
Theater besaß, muß es nahe seinen drei Tempeln, die Leto,
Apollon und Artemis geweiht waren, auch eine Stadtanlage besessen
haben. Doch nichts davon ist ausgegraben, und selbst wenn man
hier graben wollte, müßte man zuvor die türkischen Bauern
vertreiben, denn die süßesten Früchte wachsen bekanntlich auf
alten Ruinen. Hier scheint die Devise zu gelten: Heißt du den
Besucher willkommen, so begrüße ihn ehrerbietig mit Kuhfladen
und Ziegendung! Einen schwachen Trost bieten die vielen
griechischen Landschildkröten, über die man immer wieder
stolpert. Und die Tempel stehen heute so tief im Wasser, daß es
eine Lust für die Seele ist, die Frösche dort quaken zu hören. Wem
Xanthos und das Letoon noch nicht genügen, der kann wie wir
über Patara weiterfahren, das wir oben bereits erwähnten. Hier
ist die Eintrittsgebühr sehr hoch, aber es lohnt sich. Patara
war der Hafen von Xanthos, und sein Schicksal war besiegelt in
dem Moment, wo er versandete. Heute wächst Schilf an der Stelle
des alten Hafens, der teils Lagune ist, teils Sumpf. Die von den
Badegästen so geschätzten Sanddünen haben das Schicksal der
Stadt besiegelt. Auch den Schicksalsspruch des Theaters von
Patara haben die Sanddünen gefällt: Sand, soweit das Auge
reicht, und es ist menschenleer hier. Wie kulturbeflissen muß
ein Volk gewesen sein, das in so enger Nachbarschaft gleich drei
große Theater besessen hat! nicht wie heutzutage, wo jedes
kleine Dorf nur eine Videothek hat. Die Scharen der wie Pilger
zum Heiligtum zum Bade Schreitenden ziehen vorbei, als hätten
sie Angst, in den Sümpfen zu versinken. Dabei ist dies das wahre
Leben: Stein für Stein in die Hand zu nehmen, umzudrehen, von
allen Seiten zu begutachten, immer neue Bauwerke, auch wenn sie
von Grün überwuchert sind, auszukundschaften und sich immer
weiter hineinzuwagen ins Unbekannte, bei jeden Tritt aufpassen zu
müssen, daß man nicht unversehens in einem Loch verschwindet.
Nie war mir bisher aufgefallen, wie schön lila die Disteln
blühen, jene stechenden Gefährten. Und zu allem Entzücken
stehen wir vor einem formvollendeten Hadriansbogen. Trümmer der
Kolonnadenstraße, die einst vom Hafenbecken direkt zum Theater
führte, vermitteln die Illusion, als befände man sich in einer
mit Marmorfußböden ausgelegten Einkaufszone. Es ist nun des
weitern Weges zu weit, zu sehr giert die durstige Kehle nach
Flüssigem, verhindert, wie im Rausche immer weiter hineingezogen
zu werden in den Sumpf. Dabei ruft sich mir der Name Apollonia in
Erinnerung. War nicht auch diese Stadt hier ganz in der Nähe?
Wir beginnen sie zu suchen, fahren auf die Kekova-Halbinsel
hinab, doch dort sagt man uns, es sei zum Gehen zu weit und
könne außerdem nur zu Fuß erreicht werden. Die Bucht von
Kekova ist nämlich einzigartig unter den Buchten, eine Reihe
aufs malerischste wie zu einer Perlenkette aufgereihter Eilande,
herausragend unter den Inseln des Lichts. Eine gut ausgebaute
Zubringerstraße führt von der Küstenstraße hinab, bis man
nach etwa zwanzig Kilometern den Ort Kaleüçagiz erreicht. Die
kleine Ansiedlung hat sich zum Touristenanziehungspunkt
gemausert. Im Hafen liegen massenhaft bunte Fischerboote und
warten auf Ausflugsgäste. Doch derer gibt es wenige. Eine Wolke
hat sich vor die Sonne geschoben, so daß wir die Zeit nutzen,
fangfrischen Fisch zu probieren, und ich muß sagen, er schmeckt
ausgezeichnet. Im Hintergrund schaut ein mittelalterliches
Kastell herüber. Man kann aus der Ferne aber nicht erkennen, ob
es genuesischer Herkunft ist oder ob die Ritter vom heiligen
Johannes hier eine Ordensburg anlegen ließen. Nach ihrer
Vertreibung aus dem Heiligen Land, mit Zwischenaufenthalt auf
Zypern, haben sich die Hospitaliter auf Rhodos eine dauerhafte
Bleibe gesucht, die bis zu ihrer gänzlichen Vertreibung immerhin
noch einige Jahrhunderte währte, während derer die rhodischen
Ritter zum Schrecken des östlichen Mittelmeers wurden. Mit dem
Rammsporn ihrer Galeeren bohrten sie die feindlichen Schiffe auf
den Grund des Meeres, und an die Ruderbänke gekettet wurden
muselmanische Sklaven gegen ihre eigenen Leute eingesetzt, womit
ihnen für ihren Unglauben die gerechte Strafe zuteil wurde. Erst
mit dem Fall Konstantinopels waren die Kreuzzüge wirklich
vorbei. - Ein drohendes Gewitter beschert uns einige
Regentropfen, die ersten nach zwei Wochen. Dafür klart die Luft
über der See nun auf, und man kann alle Inseln und Vorgebirge
aufs schärfste sich abzeichnen sehen. Eine bizarre Landschaft
von Blautönen! Es muß nicht besonders erwähnt werden, wie
lichtblau das Wasser, von Gischt gekrönt, unter Wogen in einige
der Buchten rollt, türkis, grünlich, laugenbleich schimmernd,
und so manch einer nutzt die Gelegenheit, die Sonne dort
anzubeten. Durch eine herrlich klare Gebirgslandschaft kommen wir
zurück nach Attaleia, wo unsere Rundreise denn auch endet. Hier
schiffte sich König Ludwig IX. von Frankreich, der Heilige, auf
seinem Weg ins Morgenland ein.
Wieder bricht ein strahlend schöner Tag an, welcher der letzte
auf dieser 15tägigen Reise sein sollte. Es verbleibt uns noch,
Ziele in der unmittelbaren Umgebung Antalyas aufzusuchen,
wenngleich ich diese Stätten schon kenne. Der morgendlich blasse
Himmel bietet sich geradezu an, nach Termessos hinaufzufahren,
einer ehemals griechischen Stadt, die schon zu Pisidien gehört.
Sie liegt achthundert Meter über dem Meerespiegel, die Nekropole
nochmals um zweihundert Meter höher. In vielen Kehren
schlängelt sich die Straße bergauf, durch gelb blühenden
Ginster und Wälder, überreich an langnadligen Lärchen und
Pinien. Der Parkwächter will mit uns hinauffahren. Dafür zahlen
wir denn auch nicht eine Lira Eintritt. Er spricht Deutsch und
erweist sich als überaus hilfsbereit, wenngleich ich ihm gesagt
habe, daß ich schon einmal hier war, wenn auch nur kurz. Somit
haben wir jetzt ausgiebig Zeit, damit ich mir alles noch einmal
in aller Ruhe ansehen kann. Noch ist kein Mensch hier heroben in
den rauhen Bergen, wo uns ein frischer Wind entgegenbläst,
welcher vom Meer her kommt. Noch am Strand hätte er uns beinahe
den Frühstücksteller abgeräumt. Dafür ist die Sicht aufs
Gebirge, das noch immer schneebedeckt ist, frei von Wolken, die
der Wind ins Hinterland treibt. Die gleiche majestätische
Bergwelt tut sich auf, als wir den beschwerlichen Aufstieg
beginnen. Termessos will erobert sein. Bereits die alten Griechen
mußten alles dort hinaufschleppen, denn auf den Bergen gibt es
absolut nichts, weder Felder noch Wasser. Letzteres mußte in
riesigen Zisternen aufgefangen werden, die sich direkt unter der
Agora befanden. Die reichlichen Winterregen trugen zu deren
Füllung bei. Die antiken Ruinen sind durchweg von hohem Baum-
und Buschbewuchs überzogen. Die wenigen Wege, die es gibt,
werden von Disteln gesäumt, so daß ein Durchkommen nur mit
langärmligen Hosen möglich ist. Gebückte Haltung ist beinahe
überall angesagt, wenn man nicht andauernd mit dem Kopf gegen
die Äste schlagen will. Die wenigen Ruinen, die verblieben sind,
sind schnell erkundet: das Theater, das Odeion, der Tempel des
Zeus Soluman, die Stadttore und -mauern aus riesigen hellgrauen
Kalksteinquadern. Was mir beim letzten Mal entging, soll diesmal
nicht ausgespart bleiben, nämlich die Nekropole, das ist die
Totenstadt mit ihren Grüften. Riesige Steinsarkophage
überziehen den gesamten Berghang zur Rechten wie zur Linken auf
dem Weg hinauf zur Akropolis, Sarkophage so groß, daß leicht
fünf bis zehn Menschen darin Platz gefunden hätten. Alle sind
sehr einheitlich gestaltet in ihrem Schmuck; der schönste, den
wir gesehen haben, ist mit zwei einander zugewandten Löwen
geschmückt. Sie alle tragen Inschriften, ob arm ob reich, vermag
heute niemand mehr zu sagen. Durch lichter werdendes Gestrüpp
bahne ich mir den Weg nach oben, dem Lichte zu. Immer kleiner
werden die Ruinen, die nur mehr wie vereinzelte Reste aus dem
dichten Wald herausragen. Diese Landschaft hat sehr viel mit
Machu Picchu gemein, nur die Vegetation sowie die Art des
Gesteins sind anders. Natürlich gibt es hier auch keine Lianen,
an denen man sich festhalten könnte. Mehrmals rutsche ich auf
dem losen Schotter aus, dabei breche ich mir fast das Genick. Die
exponierte Stelle, von der ich mir einen idealen Standpunkt
verspreche, um das Theatron aus der Vogelperspektive zu
photographieren, läßt sich nur quer durch die pure wilde Natur
erreichen. Überall wimmelt es nur so von geöffneten
Sarkophagen. Hier scheint ein Erdbeben tonnenschwere Quader
aufeinandergeworfen zu haben. Wer wohl käme bei uns auf die
Idee, sich seinen Weg durch einen Friedhof zu bahnen? Man soll
die Ruhe der Toten nicht stören, das tun nur Verrückte. Hier
aber entwickelt sich das Verrückte zum Rausch, der Rausch zum
Verhängnis, ein unsteter Drang ist es, der uns antreibt; und
schließlich bin ich am Ende der Totenstadt angelangt, auf einem
der Gipfel über Termessos. So unheimlich wie der Weg hinauf ist
der Weg hinab. Es bietet sich eine Abkürzungsmöglichkeit,
zwischen Sarkophagen hindurch, über Sarkophage hinüber, mein
Auge quillt über davon! Wohlan, könnten helmbewehrte Hopliten
von den Toten auferstehn und uns von ihren Heldentaten singen!
Die Zeiten waren voll der Fährnisse, und überall herrschte der
Krieg. Die Höhe und Stärke der Mauern sind ein Maß für die
Angst, welcher die Menschen jener Zeit ausgesetzt waren.
Untergegangen ist Termessos, von Homer besungen. Quälender Durst
bringt mich zu unserem Fahrzeug zurück. Wahrlich, wenn der
Körper an seine Grenzen gerät, beginnen die Sinne zu taumeln.
Zurück auf dem Parkplatz, entschwinden die Träume, und die
Ernüchterung kehrt ein. Dem Parkplatzwächter winken wir noch
ein letztes Mal zu, dann dröhnen die Motoren in den engen
Schluchten ringsum.
Nun
wenden wir uns östlich und versuchen noch nach Perge zu kommen,
einer einstmals bedeutenden Stadt in Pamphylien. Mächtige Teile
der Anlage sind noch erhalten, vor allem das berühmte Stadttor,
genauer gesagt seine Reste, die gewissermaßen das Wahrzeichen
Perges darstellen. Gleich am Eingang steht das Theater; es wird
derzeit restauriert und kann nicht betreten werden. Sodann folgt
das Stadion, in dem einstmals die Wagenrennen ausgetragen wurden
und Tierhetzen stattfanden. Auch Teile der Stadtmauer sind in
gutem Erhaltungszustand, nicht zu übersehen die einzigartige
Kolonnadenstraße. Ich erklimme das Stadttor, weil ich mir von
oben sensationelle Aufnahmen erhoffe. Niemand hindert mich daran,
kein Aufpasser, der mich zur Ordnung ruft. Lediglich ein paar
Touristen wundern sich, wonach der dort oben wohl sucht. Was für
die meisten antiken Stätten gilt, gilt insbesondere auch für
Perge. Wer außerhalb der Hauptruinen angesiedelte Reste
aufsucht, muß sich seinen Weg durch das jetzt im Frühling im
vollen Saft stehende hohe Gras bahnen. Meine Kleidung hat bereits
gelitten, ich bin schmutzig von oben bis unten, habe keine
sauberen Sachen mehr; meine Schuhe sind aufgerissen, von den
Hunden zerbissen. Am Abend müssen wir das Fahrzeug zurückgeben.
Dreitausend Kilometer sind wir gefahren, ohne Panne und ohne
erkennbaren Schaden, die gesamte kilikische Küste entlang,
Pamphylien weit hinter uns lassend, bis wir kurz vor dem Euphrat
standen, und längs der lykischen Küste sind wir fast bis
Fethiye gekommen. Es war eine große Reise, geprägt von
unvergessenen Eindrücken, die dicht gedrängt wie Blitzgewitter
aufeinanderfolgten. Was ich mitgenommen habe von dieser Reise,
das steht in diesem Bericht. Als
wir am Flughafen eintreffen, will man noch immer keine
Fahrzeugreservierung erhalten haben und uns ein weiteres Mal
abkassieren, aber ich weigere mich zu bezahlen. Wieder vergehen
zwei Stunden, bis ich die Überzeugungsarbeit geleistet habe,
daß alles seine Richtigkeit habe. Nirgendwo im ganzen Land haben
wir Probleme gehabt, es sei denn mit einem deutschen
Touristikunternehmen und einem renommierten Autoverleiher. Wie
ein Händler auf dem Basar bin ich mir vorgekommen, und als ich
nach dem Einchecken den Dicken hinter mir herrennen sehe, wie er
mit den beiden blanko ausgestellten Kreditkartenbelegen winkt und
auf mich zukommt, sich entschuldigt und mir die Hand drückt, da
habe ich fast ein wenig Mitleid.
Copyright © Manfred Hiebl,
2002. Alle Rechte vorbehalten.
|