MikrouV fragkouV ecomen - Einige Franken haben wir!

Durchs Rauhe Kilikien

oder

Auf den Spuren der Kreuzritter

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latt, fast zu glatt, fing alles an, eine Reise, die keiner großen Vorbereitungen bedurfte, wohl aber einer solchen unausgesetzten Härte unterworfen war, daß sie eigentlich nur im Alleingang hätte bewältigt werden können. Am Anfang einer jeden Reise steht sonst immer das Organisatorische, aber hier wurde rein gar nichts organisiert, außer dem Mietwagen. Als wir uns nach Ankunft in Antalya zum Schalter der Autofirma Sixt begeben, fallen mir als erstes die schuldbewußten Gesichter auf, ganz so, als habe man unser Kommen bereits erwartet. Schon bald wird uns eröffnet, daß man kein Fahrzeug für uns habe, und man erklärt mir, daß auch keine Reservierung eingegangen sei. Dabei habe ich bei einem renommierten deutschen Reiseveranstalter gebucht, und ich schenke daher den Leuten keinen Glauben. Nun bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ein zweites Fahrzeug zu mieten, und das wird ganz schön teuer. Wie ich den bereits vorausbezahlten Preis für das reservierte Auto zurückbekomme, das sei meine Sache, erklärt man mir, denn man sei an der verfahrenen Situation schließlich nicht schuld, denn die Schlamperei liege allein in Deutschland, auch wenn man das Vorgefallene zutiefst bedaure. Das Ersatzfahrzeug wiederum entspricht nicht ganz meinen Vorstellungen, womit sich denn auch der höhere Spritverbrauch nicht rechnet. Der Chef der Niederlassung spricht ausgezeichnet Deutsch, die anderen Schlitzohren sind schon stolz, daß sie eine Lösung für mich gefunden haben. So müssen wir denn, auch weil ich das Kleingedruckte nicht gelesen habe, ohne Vollversicherung mit einem nicht aufgetankten Fahrzeug die Reise antreten, und mir ist unwohl dabei, denn der kleinste Steinschlag kann mich eine neue Windschutzscheibe kosten. Aber ich habe ja einen guten Anwalt, und auch die Telephonverbindung nach Deutschland klappt, was will man mehr?
    Das Hotel am Konyalti-Strand, das ich per Internet habe reservieren lassen, beeindruckt aufgrund seiner Sauberkeit sowie der Freundlichkeit, die man uns dort entgegenbringt, auch wenn ich zur Parkplatzsuche mehrfach um den Häuserblock fahren muß. Ein erster Blick nach dem Erwachen in den neuen Tag offenbart die ganze Herrlichkeit der Bergkulisse, die Antalya umgibt. An seiner Westseite reicht das Taurus-Gebirge bis ans Meer heran, in das es mit einem Steilabfall abbricht. Die um diese Jahreszeit noch schneebedeckten Berge, die eine Höhe von über 3000 m erreichen, zeigen sich in der ganzen Pracht, die der Frühling ringsum entfaltet. Unser erstes Tagesziel ist das antike, am Eurymedon gelegene Aspendos, mit einem der besterhaltensten römischen Theater überhaupt. Die antike Stadt liegt auf einem rundum abschüssigen Tafelberg und hat in ihrer Anlage gewaltige Ausmaße. Vom nahen Taurusgebirge kommend verläuft ein Aquädukt, der in großen Teilen noch gut erhalten ist. An weiteren Gebäuden ist neben dem Theater nur wenig auf unsere Zeit gekommen, das gesamte Gelände ist überwachsen und von Macchia überwuchert, und speziell um diese Jahreszeit ertrinkt alles in einem Meer von Blumen. Angelegte Wege gibt es beinahe nicht, so daß man sich, wenn man die Stadt umschreiten will, durchs Gestrüpp kämpfen muß. Neben strategischen Gesichtspunkten - die Stadt war ohne ein Abschneiden der Wasserversorgung kaum einzunehmen - hatten die Griechen seit jeher ein besonderes Augenmerk auf landschaftliche Reize gelegt. Sie wußten wohl, wie sehr es dem Menschen zuträglich ist, von einer majestätischen Natur umgeben zu sein. Von Aspendos geht es durch die zwar fruchtbare, aber landschaftlich wenig überzeugende Ebene Pamphyliens nach Side, einer hellenistischen Gründung, die in der Antike berüchtigt war für ihren Sklavenmarkt. Davon zeugt noch heute die gewaltige Agora. Das Theater von Side ist weitgehend eingestürzt, doch dank Sanierungsmaßnahmen ist das Halbrund der Sitzreihen noch immer imposant genug. Der zunehmend versandende Hafen beendete die Glanzzeit Sides. Die Größe der einstigen antiken Stadt, die auf einem sich weit ins Meer erstreckenden Sandsporn liegt und deren einziger Schutz das Meer ist, ist beachtlich. Gewaltig sind noch immer die Reste der hellenistischen Stadtmauer gegen die Landseite, die mit zwei imposanten Toren das ausglich, was andere Stadtanlagen aufgrund ihrer Unerreichbarkeit besaßen. Ansonsten findet man in der Stadt außer einem Nymphäum, dem sogenannten Marktbrunnen, sowie einer als Bibliothek gedeuteten Fassade und dem Apollon-Tempel, von dem heute kaum mehr als fünf Säulen erhalten sind, nicht mehr viel, abgesehen vielleicht von einigen byzantinischen Kirchenbauten.
    Um uns schnell zurechtzufinden, sind wir immer wieder auf fremde Hilfe angewiesen, und da ist die türkische Hilfsbereitschaft sprichwörtlich. Nachdem auch das Wetter nicht weiß was es will und vom Taurus herab Gewitter niedergehn, deren Ausläufer sich bis an die Küste erstrecken, verzichten wir auf die Fahrt nach Seleukia und biegen nicht weit hinter Yesiliköy in Richtung Alara Han ab. Es ist aber nicht die seldschukische Karawanserei, die uns dazu veranlaßt, obwohl sie als die besterhaltenste der ganzen Südküste gilt, sondern es ist die byzantinische Burg, die Alaettin Kaykobat zuerst an sich bringen mußte, ehe er die Karawanserei errichten konnte. Durch erholsame Pinienwälder führt die Fahrt zunächst hinauf ins Gebirge, immer das Tal das Alara Çayi entlang, eines milchig-weißen Gebirgsflusses, wie wir ihn etwa vom Inn her kennen. Wen würde das wundern? denn die Alpen und der Taurus sind geologisch etwa zur selben Zeit entstanden. An einer Wegbiegung sehen wir die byzantinische Festung zum ersten Mal, anfangs noch winzig klein, auf einem extrem steilen Felsen thronend, einem Adlerhorst gleich, obwohl wir sie, wenn wir gezielt nach ihr gesucht hätten, schon längst hätten sehen müssen. Es hat sich eingetrübt, aber trotz der farblosen Stimmung ist die an eine Alpenregion erinnernde Landschaft etwas ganz Besonderes, etwas von einem eigenartigen Zauber Umgebenes. Ich wage meinen Augen nicht zu trauen ob dessen was ich da sehe, und ich muß gestehen, daß ich niemals und nirgendwo auf der ganzen Welt jemals eine solche Burg gesehen habe, die so hoch droben auf einem Felsen sitzt wie diese und deren Mauern sich von ganz unten über viele hundert Meter nach oben erstrecken. Es mutet wie etwas Sagenumwobenes, kaum zu Glaubendes, Andersartiges und völlig Fremdes an, wie ein Phantasiegebilde von einem Königsschloß, das sich hoch zum Himmel türmt, aber dennoch nichts als Wirklichkeit ist. Es ist, als würde man ein zweites Machu Picchu erleben, aber in einem ganz anderen Teil der Welt. Um die Träume auszuräumen, müssen Taten folgen, vollendete Tatsachen geschaffen werden. Innerlich habe ich den Entschluß dort hinaufzusteigen bereits gefaßt, aber noch bin ich im Zweifel, ob ich das Wagnis angesichts der späten Stunde und der ständig schwelenden Gefahr eines Regengusses eingehen soll. Da reißt mich die Stimme einer türkischen Frau aus meinen Gedanken, und sie muß meine Gedanken gelesen haben, als sie mich zu sich winkt. Sie winkt mit einer Taschenlampe, die ich brauchen werde, wie sie meint. Dann erklärt sie mir mit ein paar unbeholfenen Brocken Deutsch, was ich alles zu beachten hätte. Wasser sollte ich mitnehmen; ich würde in ein Tunell kommen, entnehme ich ihren Erklärungen, das man nur mit künstlichem Licht durchqueren könne. Mit den Händen beschreibt sie den Weg, den ich gehen müsse, um ans Ziel zu gelangen. Zwei Stunden, meint sie, würde der Aufstieg beanspruchen, doch diese Zeit haben wir bei weitem nicht, denn es ist schon später Nachmittag. Den skeptischen Blicken einiger Dorfbewohner zum Trotz beginne ich das Unternehmen, da sich von selbst ergeben dürfte, ab wann ein Umkehren unumgänglich wird. Mit besten Wünschen entlassen, breche ich auf. In der Tat ist der Einstieg zu Füßen des Berges bald erreicht, aber dann beginnen Kehren um Kehren, Serpentinen um Serpentinen, und ehe ich es mich versehen habe, ist der Alara-Fluß bereits turmhoch unter mir. Nun reißen zu meinem Glück, oder sollte ich sagen Unglück, die Himmel auf und die Sonne fängt an zu stechen, der Schweiß von der Stirn zu triefen. Wie gut, daß ich auf den Rat der Alten gehört habe. Zug um Zug fließt das kühle Naß die Kehle hinunter, aber ich bin noch längst nicht droben. Ständig schöner werdende Tiefblicke eröffnen sich, aber den besten Blick werde ich von ganz oben haben. Plötzlich ist es soweit, daß ich am unteren Ende des Tunnels stehe, der, kaum hoch genug, daß ein Mann aufrecht in ihm gehen kann, mich wie ein schwarzes Loch angähnt. Und dorthinein werde ich müssen! Die Taschenlampe leuchtet nicht, sie hat einen Wackelkontakt. Keine Chance hindurchzukommen! Nachdem ich sie kräftig durchgeschüttelt habe, endlich Licht! Ich muß es wagen. In der Tat, ich hätte mir das Genick gebrochen, hätte ich keine Lampe bei mir gehabt. Nach hundert Metern durch das Labyrinth wird es wieder hell, und ich stehe draußen im gleißenden Sonnenlicht. Silbern glitzert jetzt der Fluß in der Tiefe, der, wenn ich senkrecht hinabschaue, doch nur ein Wildbach ist. Richtig! dort gegen das Meer hin müssen sich mehrere Flüsse vereinigen. Nun beginnt der Weg ausgesetzter zu werden, Hände und Füße müssen eingesetzt werden. Doch wie soll das gehen, wenn man in der einen Hand die Wasserflasche hält, in der anderen die Taschenlampe? Doch Not macht erfinderisch! Ich binde mir die Taschenlampe an den Kamera-Tragriemen, somit habe ich zum Klettern wenigstens eine Hand frei. Um die religiösen Gefühle meiner Gastgeber nicht zu verletzen, trage ich natürlich lange Hosen, doch jetzt fluche ich darüber. Die Hosenbeine verkleben mit dem Schweiß der Haut, der nun in Strömen fließt, und beengen den Schritt. Doch was mir soeben noch zum Nachteil gereichte, darüber bin ich schon bald darauf wieder froh, und zwar wegen der vielen Dornen. Dieses Gestrüpp hat mittlerweile meine Hand zerkratzt, wo ich auch hinfasse sticht es. Meine Stirn sieht aus, als hätte ich eine Dornenkrone getragen, überall tritt Blut aus. Doch was könnte einen Menschen von seinem Vorhaben abbringen, wenn er es sich wirklich zum Ziel gesetzt hat? doch wohl nur Furcht, mangelnder Ehrgeiz! Höher und höher klimme ich unter Einsatz von Händen und Füßen, so daß ich mich fragen muß, wie bewaffnete Soldaten mit Lanze, Schild und Schwert, mit Kettenhemd, Helm und Bogen es wohl angestellt haben mögen, um hier heraufzukommen. Immer wieder muß ich durch halbverfallene Türme krabbeln, mich an Mauern hochziehen, bis ich ganz oben bin. Von der höchsten Plattform bietet sich nun ein schwindelerregender Blick hinab auf den Wildwasserfluß, der sich in zahlreichen Kehren unerbittlich sein Bett gegraben hat, von hohen Steilwänden nicht daran gehindert. "Wie wundersam sind doch die Werke des Herrn!" hätte es in der Sprache der Kreuzfahrer geheißen. Wäre das Wetter von Anfang an schön gewesen, hätte ich auf den Aufstieg vielleicht verzichtet und mich mit einem gelungenen Photo begnügt. Weil aber die Sonne nicht schien, als die Entscheidung anstand, machte ich mich der Situation nichts Besseres abgewinnend auf den Weg, und wieder unten angelangt werde ich doppelt belohnt, dadurch daß die Lichtverhältnisse jetzt besser nicht sein könnten, zumal die bereits flach einfallende Sonne den ganzen Berg mit Gold überzieht. Trotz schmerzender Beine – denn der Abstieg ist bekanntlich schwieriger als der Aufstieg – bin ich froh, als ich anschließend bei den Wirtsleuten – gutherzigen Menschen – sitze und einen herrlichen Schluck eiskalten Getränks genieße. – Und nun können wir wirklich von Glück sagen, daß wir Alanya noch erreichen, denn dort ist unser Sprit zu Ende, und was wäre gewesen, wenn uns das irgendwo draußen in der Einöde passiert wäre? Das Fahrzeug kommt mitten im Stadtzentrum ins Stocken, immer wieder stirbt der Motor ab, und nur der Hilfsbereitschaft dreier Türken ist es zu verdanken, daß der Tank mit einem geliehenen Reservekanister bald wieder nachgefüllt ist.
    Nach einem tiefen und erholsamen Schlaf beginnt unser neuer Tag erst spät gegen neun Uhr. Über Nacht hat es aufgeklart, und Alanya präsentiert sich in den lichtesten Farben. Am Hafen fällt der Rote Turm ins Auge, von Alaettin Kaykobat errichtet. Er ist gewaltig in seinen Ausmaßen und diente zum Schutz der Werft. Vom Meer bis hinauf zum Burgberg ziehen sich auf einer Länge von 6,5 km die Mauern von Korakesion, die von dem berüchtigten Seeräuber Diodoros Tryphon im 2. Jahrhundert v. Chr. angelegt wurden, womit die Feste den kilikischen Seeräubern als Zufluchtsstätte diente. Doch Cäsars Widersacher Pompeius machte diesem Unwesen entlang der kilikischen Küste ein Ende. Hat man den beschwerlichen Aufstieg auf den Burgberg von Korakesion hinter sich gebracht, eröffnet sich von ganz oben ein wahrhaft märchenhafter Ausblick auf die einst zedernreiche Bucht von Alanya, die Antonius der Kleopatra zum Bau einer Flotte schenkte. Während sich an den Stränden bereits Badegäste tummeln, liegt hoch in den Bergen noch Schnee. Alanya hat sich neben Antalya in den letzten Jahren zu einem Touristen-Eldorado gemausert, und wer halbwegs Abstand sucht, wird den Touristenrummel und die Plattenbauten fliehen. Der ganze Abschnitt zwischen Antalya und Alanya leidet darunter, daß immer mehr häßliche Plattenbauten wie Pilze aus dem Boden schießen. Der Bauboom scheint ungebremst. Auf wie viele Touristen, frägt man sich, will das Land sich angesichts rückläufiger Buchungen einstellen?
    Im Ort Mahmutlar zweigt eine Stichstraße zu der schon von Strabon erwähnten Bergfeste Laertes ab. Um nach dort zu gelangen, müssen schier unglaubliche Höhenunterschiede überwunden werden, aber der Weg lohnt sich. Vom Ende der Fahrstraße sind es nochmals zweieinhalb Kilometer zu Fuß, die man bis zu den Ruinen zurücklegt. Der Anstieg führt durch eine ungeschützte Gegend, wo man voll der Sonne ausgesetzt ist, und es ist gerade die Zeit des höchsten Sonnenstandes. Kein Mensch ist nach hier unterwegs, und man kann völlig ungestört der Ruhe und des frischen Windes genießen, der die Sonne erträglicher macht. Am Eingang zur Ruinenstätte begrüßt uns freundlich, sogleich mittels Handschlag, ein einzelner alter Soldat im Tarnanzug, der offenbar die Stellung hier hält. Ich vermag nicht zu beurteilen, welchen Auftrag er hat, aber er läßt uns bereitwillig eintreten. Leider ist von den antiken griechischen Mauern nicht mehr allzuviel erhalten, nicht viel mehr als ein paar eindeutige, in Stein gemeißelte Inschriften, die mir nichts Rechtes besagen. Die aussichtsreiche Lage, die Quellen in der Nachbarschaft und der umfassende Ausblick müssen zum Bau der strategisch wichtigen Festung geführt haben, von der aus man in antiker Zeit die gesamte Bucht überschauen und kontrollieren konnte. Es ist mir nichts darüber bekannt, was einst zur Schleifung der Festung geführt hat, die auf dem Hochplateau ein doch ansehnliches Areal einnimmt. Bei guter Fernsicht konnte man von hier aus schon von weitem eine sich nähernde feindliche Flotte ausmachen und entsprechende Vorkehrungen treffen. Nachdem es nicht viel mehr zu entdecken gibt und wir im übrigen wenig Zeit haben, kehren wir alsbald zu unserem Fahrzeug zurück, um uns unserem nächsten Fahrtziel zuzuwenden, der ehemals griechischen Stadt Syedra, auch sie von Strabon bereits erwähnt. Etwa sechs Kilometer hinter Mahmutlar zweigt nach links eine Stichstraße ab, die wieder über schlechte, steinschlaggefährdete Straßen führt, bis der weitere Weg schließlich nur mehr zu Fuß zurückgelegt werden kann. Für mich ist dies heute schon der dritte beschwerliche Anstieg zu einer entlegenen Ruinenstätte, und an meinen Füßen haben sich bereits blutende Blasen gebildet, und auch einen Wolf habe ich mir gelaufen.
    Die Anlage der Stadt Syedra ist durch und durch einzigartig. Sie ist, obwohl sie sich nicht Bergfestung nennt wie Laertes, im Gegensatz zu diesem wirklich auf der äußersten Spitze eines Berges erbaut, und sie hat ebenfalls ansehnliche Ausmaße. Man findet Reste einer Kolonnadenstraße, von Thermen und Zisternen, allein die Reste eines Theaters findet man nicht. Das meiste dürfte noch gar nicht ausgegraben sein, und um auf den höchsten Punkt, der von einem Tempel oder der Akropolis eingenommen worden ist, zu gelangen, muß man sich seinen Weg durch Dornen und Disteln bahnen, mit seinem Blute dafür bezahlen, die einzigartige Aussicht auf die hinter dem Burgberg aufragenden Berge des Rauhen Kilikien zu genießen. Die Griechen hatten für ihre Stadtgründungen, wo immer dies möglich war, stets zwei Gegensätze miteinander zu vereinen gesucht: das Meer als das äußerst Waagrechte und das Gebirge als das äußerst Senkrechte. Als seefahrende Nation brauchten sie die Nähe zum Meer, als schutzbedürftiges kleines Volk wollten sie aber auch das Sicherheit bietende schroffe Gebirge nicht missen, denn sie haben für die Ewigkeit gebaut, mit Marmor und Zedernholz. Wir sind noch keine dreißig Kilometer von Alanya entfernt, und doch neigt sich die Sonne bereits dem Horizont zu. Auf das antike Selinous werden wir daher für heute verzichten müssen, wir lassen es also rechts des Weges liegen und treten statt dessen die Fahrt entlang des abschüssigen Küstenufers an, welches Strabon Plataistios nennt. Es ist eine zeit- und wirklich atemberaubende Fahrt, eine Strecke von etwa achtzig Kilometern, den Steilabfall immer zur Rechten und den Gegenverkehr zur Linken, dazu Schlaglöcher und Steinschlag. Direkt am Meer gelegen, stößt man unvermutet auf die antiken Ruinen von Iotape, von dem aber nicht mehr viel erhalten ist. Dieser Abschnitt, der sich bis Anamur hinzieht, ist so windungs- und kehrenreich, daß man kaum mehr als 60 km/h fahren kann, und wenn ein Lkw vor einem fährt, kann man ihn nicht überholen. Als die Nacht anbricht, erreichen wir Kap Anamur, die südlichste Spitze an der kilikischen Küste.
    Am nächsten Morgen hat wieder stärkere nebelartige Wolkenbildung eingesetzt, und diese Wolken, die der Wind vom Meer her weht, lichten sich durch die aufsteigende Sonne nur langsam. Schon von weitem sieht man die verstreuten Reste der ausgedehnten Anlage, die jedoch nur dann als solche bezeichnet werden kann, wenn die Nekropole miteinbezogen wird. Die eigentliche Stadt, die sich hinter dem Vorgebirge Anemurion verbirgt, war, wie man am Verlauf der ehemaligen Stadtmauer erkennen kann, weit weniger ausgedehnt. Abgesehen von dem Kastell bzw. seinen Resten, die hoch oben über der Ausgrabungsstätte den südlichsten Punkt der Landspitze ausmachen, sind die Bestattungstürme, wie man sie ähnlich in Syrien findet, das erste, womit der Ankömmling Bekanntschaft macht. Von der Burg der kleinarmenischen Fürsten hat sich leider nicht mehr viel erhalten. Trotzdem lohnt der Aufstieg, allein schon wegen der phantastischen Aussicht, die man von dort oben genießt. Auf der einen Seite breiten sich gewaltige weiße Sandstrände aus, auf der anderen werden unter dem Steilabfall bizarre Felsgebilde vom ewig blauen Meer bespült. Über dem Vorgebirge ragt schroff der Taurus auf. Man erkennt deutlich, daß die Burg, die aus Natursteinmauerwerk bestanden hat, an ihren Fundamenten ebenmäßig behauene Quader aufweist, was heißen will, daß hier bereits seit frühester Zeit auf griechischem Mauerwerk eine Akropolis oder ein Tempel gestanden haben muß. Bedingt durch den Kapeffekt weht ein rauhes Lüftchen hier oben, zu dem sich rhythmisch im Takt der Windböen die Blumenwiesen an den Hängen wiegen. Wo im Herbst nur noch Silberdisteln anzutreffen sind, blühen jetzt Roter Klee, Klatschmohn, Dotterblumen und Oleander. Wie bei allen antiken Stätten, die wir seit Anbeginn der Reise aufgesucht haben, ist auch hier das Areal überwuchert, es gibt keine erkennbar angelegten Wege, und den Pauschaltouristen verbleiben somit nur die tristen Niederungen, wohingegen wir uns in unwegsame Höhen aufschwingen. Mögen sie sich dort wohlfühlen, während uns der Schweiß aus den Poren dringt. Ist ihnen doch der Gang zur nächstliegenden Taverne, wo man weich sitzt und innerlich gut durchgespült wird, viel wichtiger! Dennoch würden wir nicht mit ihnen tauschen wollen.
    Unser weiterer Weg führt uns nach Schloß Anamur, über dessen Entstehung die widersprüchlichsten Angaben existieren. Glauben wir das, was vor Ort auf der Tafel steht, so haben die Römer den Grundstein zur Burg gelegt. Andere wiederum wollen hinter der späteren Anlage das Werk der Kreuzfahrer sehen, und ich bin dieser Theorie nicht abgeneigt, obwohl mir die Verwendung von Naturstein als Mauerwerk auch jene Theorie nicht abwegig erscheinen läßt, wonach die Herrscher von Karaman maßgeblich am Bau beteiligt waren. Auch die bauchigen, sich nach oben verjüngenden Rundtürme dürften auf diesen Einfluß zurückgehen. Gleichwie, die Burg - denn ein Schloß vermögen wir aufgrund fehlender Repräsentationsbauten nicht darin zu erkennen - dürfte wohl die stolzeste und mächtigste aller Burgen längs der gesamten türkischen Mittelmeerküste darstellen, sowohl was ihre Größe anbelangt als auch ihren Erhaltungszustand. Und wieder sind kaum Besucher zugegen, obwohl direkt an der Küstenstraße gelegen, die unmittelbar daran vorbeiführt. Seelenruhig schreiten wir die hohen Mauern ab, die oftmals beängstigend schmal werden. Ein Fehltritt und alle Knochen wären gebrochen! In der Türkei ist man, was Sicherheitsvorschriften angeht, weitaus weniger zimperlich als in Deutschland. Wer dort zuviel riskiert, muß die Konsequenzen selber tragen.
    Auf der Weiterfahrt begegnet, in den meisten Reiseführern gar nicht erwähnt, doch wegen ihrer einmaligen Lage kaum zu übersehen, die Höhenburg Sofita Kalesi, über deren Geschichte wir so gut wie nichts in Erfahrung bringen. Gleichwohl reizt es uns, die Ruine zu erkunden. Einen regelrechten Aufstieg finden wir nicht, jeder muß sich seinen Weg selber suchen. Leider habe ich nicht das Glück, einen einfachen Weg zu finden, sondern wähle eine ziemliche Kletterpartie, zu deren guter Letzt ich, um in den Burghof zu gelangen, auch noch die Außenmauer kletternd überwinden muß. Selbst nach sorgfältigster Suche finde ich kein Tor nach draußen, denn die Burg scheint, kaum zu begreifen, von allen Seiten zugemauert. Obwohl der Erhaltungszustand im großen und ganzen recht ansehnlich ist, erkennt man dennoch Spuren der Zerstörung. Gleichwohl, es war wieder eines der gewohnten Abenteuer, die reichlich mit Eindrücken entlohnt wurden. Nur hat mein Schuhwerk mittlerweile derart gelitten, daß mir die ersten Stacheln schmerzhaft ins Fleisch dringen.
    Nach diesem Abstecher geht es weiter über Aydincik, dem antiken Kelendris, wo alles Archäologische eingezäunt ist, Richtung Ovacik. Die Fahrt längs der Küste, zumeist hoch über dem Steilufer und durch dichte Pinienwälder führend, eröffnet immer wieder Ausblicke aufs herrlich blaue Meer, während auf der Gegenseite schroffe Steilwände aufragen. Wie beschwerlich müssen früher diese Wege gewesen sein, so es sie überhaupt schon gab. Der Name Rauhes Kilikien trifft mehr als zu. Die Burg Karatepe Kalesi finden wir wohl aus diesem Grund auch nicht, sie muß irgendwo gut versteckt über dem Abgrund sitzen. Beim Ort Ovacik erstreckt sich eine gewaltige Halbinsel hinaus aufs Meer, an deren Spitze sich früher die Stadt Zephyrion befand, auch Aphrodisias genannt. Wenngleich außer ein paar bescheidenen Säulen- und Mauerresten und einiger vom Sande zugedeckter Mosaiken von der alten Pracht kaum mehr etwas zu finden ist, lohnt die Fahrt landschaftlich gesehen allemal. Ein vierzehn Kilometer langer Abstecher auf schmaler und windungsreicher Straße führt, dabei beträchtliche Höhenunterschiede überwindend, um die Ovacik-Halbinsel herum direkt hinab zum Meer, welches an dieser Stelle eine ungewöhnlich blaue Farbe aufweist. Die durch eine vorgelagerte Insel geschützte Bucht eignete sich vortrefflich für die Anlage eines Hafens. Zephyrion liegt vermutlich unausgegraben auf dem Hügel dort, wo die baulichen Überreste zu finden sind; das Gelände ist aber eingezäunt.
    Die Sonne steht schon tief, und weiter wie bis Silifke, dem antiken Seleucia am Kalykadnos, werden wir heute wohl nicht mehr kommen. Durch ein von hohen Felswänden eingeengtes Tal führt die Fahrt, als mir hoch über uns Turmruinen auffallen. Etwa zwanzig Kilometer vor unserem Ziel zeigt dann ein Wegweiser nach Tokmar Kale, dem wir unversehens folgen. In den angezeigten drei Kilometern schwingt sich die Straße in schwindelerregende Höhen auf, und wie unerwartet stehen wir vor einer düster-dämmrigen Burg, die ihrer Herkunft nach zu urteilen fränkisch ist. Die Art der Buckelquader, das sorgfältig behauene Mauerwerk, all das deutet darauf hin, daß wir es hier mit einer Kreuzfahrerburg zu tun haben, die straßenseitig in einem relativ guten Erhaltungszustand ist. Das Berauschende, das den Ankömmling völlig in den Bann zieht, ist die grandiose Landschaft, in die die Festung eingebettet liegt. Tausend Meter tief fällt der Blick hinab, jäh endend in einem langgezogenen, von einem Fluß ausgewaschenen Längstal. Tausend Meter über uns steigen die Berge im letzten blassen Licht in den Himmel. Jeder Ritter würde sich glücklich schätzen, eine Burg wie Tokmar sein eigen zu nennen. Tief ist alles hier, selbst das Staunen zuckt zusammen, wenn es so etwas sieht.
    Wieder ist es Nacht geworden, und in der Ferne ist auch schon das Johanniterschloß über Silifke zu erkennen, erleuchtet wie am hellichten Tag, so als hätte es unser Kommen erwartet. Was in vielen Reiseführern fälschlich als armenische Burg bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit die Kreuzfahrerfestung Camardesium. Sie trägt eindeutig das Sigel der Johanniter, denen sie tatsächlich überantwortet war; dies stellt man untrüglich fest, wenn man sie mit dem Krak des Chevaliers in Syrien vergleicht, dem sie in der Art ihrer Anlage ziemlich ähnlich ist, allerdings beileibe nicht so imposant. Immerhin besitzt auch sie dreiundzwanzig Türme und zwei Umwallungen. Selbst der Burggraben ist gemauert. An die fränkische Bauweise erinnert auch das unverkennbar abendländische Buckelquadermauerwerk. Die kreidebleichen Kalksteine leuchten weithin ins Land, und sie ist strategisch so angelegt, daß sie das ganze Tal des Kalykadnos einsehen kann, der tief drunten silbrig glänzend sich in vielen Biegungen durch die Stadt windet. Zur Stadtseite hin haben die Türken direkt unterhalb der Mauern ein Ausflugslokal errichtet, wodurch die altehrwürdige Bausubstanz erheblich in ihrem Erscheinungsbild getrübt wird. Gleichermaßen sieht es nach einer Verhöhnung des Feindes aus, wenn über einer Kreuzritterburg noch immer das Siegeszeichen des türkischen Halbmondes flattert. Es würde nicht dort wehen, wenn Er gekommen wäre, der die Stadt gerade nicht mehr erreichte, weil sein Leben jäh an dieses Stelle endete. Gemeint ist Friedrich I. Barbarossa, der unweit des ehemaligen Seleucia, einer Gründung Seleukos Nikators, ein Stück weit den Kalykadnos flußaufwärts, ertrank. Eine Gedenktafel an der Uferstraße hoch über dem Fluß, den man im Mittelalter den Saleph nannte, weist auf die Stelle hin, unweit der sich das ereignete. Großartig ist die Bergwelt ringsum, ein würdiger Ort zum Sterben. Eigentlich versteht niemand es, der dort hinabsieht zu dem friedlich dahinziehenden Fluß, wie sich so etwas vor den Augen aller abspielen konnte. Sein Pferd muß gestrauchelt sein, und seine schwere Rüstung zog ihn auf den Grund. Die Fluten rissen ihn mit sich fort. Ein Stück weit unterhalb konnte man ihn nur noch tot bergen. Sein Fleisch und seine Gebeine wurden getrennt voneinander bestattet. Mit ihm war das Römische Reich um einen großen Kaiser und Feldherrn ärmer geworden. Der dritte, der deutsche Kreuzzug löste sich nach seinem Tod auf. Erst seinem Enkel Friedrich II. von Hohenstaufen, römischer Kaiser und König beider Sizilien, war es vorbehalten, Jerusalem zurückzuerobern. Er durfte sich daraufhin auch noch König von Jerusalem nennen. Zweifellos wäre es jedoch auch Barbarossa, der zuvor Ankara eingenommen und Kilidsch Arslan des Weges verwiesen hatte, gelungen, den Kreuzzug siegreich zu beenden. "Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen." Wegen ihrer Sünden war es den Rittern vom heiligen Johannes nicht vergönnt, dauerhaft zu besitzen, was ihnen gehörte.
    In Seleucia selbst ist nicht mehr viel erhalten geblieben vom Glanz vergangener Tage. Daher fahren wir hinauf nach Diocaesarea, das hoch in den Bergen auf 1100 m über dem Meeresspiegel liegt, um wenigstens dort Bruchstücke der Vergangenheit anzutreffen. Die Fahrt führt durch wilde Schluchten, auf schmalen und schlechten Straßen durch lichte Pinienwälder. Es geht vorbei an der römischen Stadt Imbriogon, an mehreren hellenistischen Mausoleen. Der Burgberg von Olba weist kaum noch erkennbare Bauten auf, denn das meiste wurde hier direkt aus dem Stein gehauen. Eindrucksvollstes Relikt ist der Aquädukt des Kaisers Pertinax sowie das darunter liegende Wasserkastell. Vermutlich wurde ein Teil des Wassers, das man in die Gräben des Kastells hat fließen lassen, dem Aquädukt abgezweigt. Auch wenn Olba wenig Reste aufzuweisen hat, so sind es dort mehr die landschaftlichen Eindrücke, die man von einer Besichtigung mitnimmt. Man lasse es sich keinesfalls entgehen, bis zur Akropolis hinaufzusteigen, man wird mit einer märchenhaften Aussicht auf die den Berg umgebenden, tief eingeschnittenen Täler belohnt. Deren Felswände sind übersät und durchlöchert mit Grabhöhlen. Unweit von Olba liegt das Zeusheiligtum Diocaesarea. Leider findet hier gerade eine türkische Festveranstaltung statt, die massenhaften Andrang findet. Die Menschen sind mit zahlreichen Bussen herangekarrt worden, und somit erspare ich es mir, auf die einzelnen Heiligtümer näher einzugehen. Nicht übergehen möchte ich jedoch den gewaltigen hellenistischen Turm aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert. Ich schätze seine Höhe auf gut 20 m und muß gestehen, daß unter sämtlichen antiken Bauwerken, die ich jemals zu Gesicht bekam, niemals ein solch riesenhafter Turm zu finden war, und gerade das macht ihn so einzigartig. Olba, das schon bei Strabon erwähnt ist, führt seine Gründung zurück auf Teukros, den Vater des Großen Ajax aus der Ilias. Das von ihm sich ableitende Geschlecht der Teukriden beherrschte das gesamte westliche Kilikien. Eine Besichtigung von Olba-Diocaesarea sollte man auf die frühen Morgenstunden verlegen, da bereits gegen Mittag wegen der doch recht ansehnlichen Höhenlage Wolken aufziehen können.
    Wieder unten im Tal angelangt, schlagen wir erneut den Weg entlang der Küstenstraße ein. Das antike Korasion wegen seiner geringen Reste gar nicht weiter beachtend, steuern wir Kurs auf Kizkalesi, das hinter den Korykischen Grotten mitten in einer Bucht auf einer Insel liegt. Nach einer Legende soll ein Emir diese Festung gebaut haben, um seine Tochter vor dem Schlangenbiß zu bewahren, der ihr von einen Wahrsager prophezeit worden war. Als der Emir ihr sodann Früchte in einem Korb entsandte, habe die darin versteckte Schlange sie dennoch gebissen, woraufhin das Mädchen verstarb und den Vater unendlich traurig zurückließ. Der Wahrheit näherkommen dürfte, daß das Wasserschloß als Teil einer Reihe von Seefestungen von den Byzantinern zu Anfang des 12. Jahrhunderts errichtet worden ist, während die auf der gegenüberliegenden Landseite liegende Burg Korykos auf Resten einer bereits bestehenden Anlage frühestens ab dem 4. Jahrhundert erbaut worden sein dürfte. Beide Burgen waren mit Sicherheit Seeräuberschlupflöcher. Die Bucht von Kizkalesi zählt zu den schönsten Aufenthaltsorten, die man längs der Riviera für einen Ferienaufenthalt wählen kann. Über Korykos befinden sich noch ausgedehnte antike Reste einschließlich der Nekropole der Stadt. Weniger bedeutende Ruinen trifft man in Elaiussa an, welches auch Sebaste genannt wird. Dieses lag vormals auf einer Insel. Man ließ sich offenbar dazu hinreißen, den Kanal zwischen dieser und dem Festland aufzuschütten, um die Straße besser führen zu können. Ebenfalls sehr störend tritt in Erscheinung, daß mitten auf dem alten Ruinengelände die Menschen sich Behausungen eingerichtet haben und die Bauern dort ihre Gärten anlegen. In Elaiussa stehen noch ein kleineres Theater, Reste von Thermen und ein Rundtempel. Zur Meeresseite hin sind die Ruinen vom Versanden bedroht. – Über Tarsus, der Heimat des Paulus, mit dem einzigen aus der Vergangenheit erhaltenen Rest, dem sogenannten Tor der Kleopatra, gelangen wir nach Adana, dem heutigen Zentrum des Ebenen Kilikien.
    Am Morgen des nächsten Tages werden wir vom Sheitan abkassiert. An den vereinbarten Preis scheint sich das Hotel nicht zu erinnern. Dafür ist das Auto über Nacht blitzsauber gewaschen. Der arme Teufel, der dies unaufgefordert getan hat, bekommt dafür ein Almosen. – Adana verläßt sicher jeder gern. Das erste Tagesziel ist Mopsuestia, das Mallos Strabons, das noch gar nicht richtig ausgegraben ist. Unweit von diesem fließt der Pyramos Richtung Meer, der nächstgrößere Fluß nach dem Kydnos. Es wurden hier mehrere schöne Mosaiken gefunden, die alle in dem kleinen benachbarten Museum ausgestellt sind. Das Ruinengelände liegt zu Füßen des Amanischen Gebirges, welches ein Ausläufer des Taurus ist. In diesem Gebirge liegt auch die sogenannte Schlangenburg, Yilanlikale auf Türkisch. In manchen Reiseführern wird sie als armenischen Ursprungs bezeichnet, doch trägt ihre fränkische Bauweise ganz eindeutig die Züge der Kreuzritter. Sie steht hochaufgetürmt, das Umland beherrschend, über einer Flußschleife des Pyramos auf einem isoliert stehenden Felskegel, der allseits gut zugänglich ist. Manchmal muß man sich fragen, wie sie wohl früher ihre Pferde heraufgebracht haben. Sie werden, um die schwierigsten Stellen zu überbrücken, wahrscheinlich Bretter oder ähnliches verlegt haben. – Von oben schweift der Blick über das Ebene Kilikien, die ehemalige Kornkammer Roms, sowie die Ausläufer des Amanos-Gebirges. Die Luft ist trotz der brütenden Hitze derart klar und die Sicht derart weit, daß man sich fast schon an die Gestade des Euphrats versetzt fühlt. In extremer Kletterei im durchlöcherten scharfkantigen Fels erklimme ich zuerst einen Vorberg und danach noch einen zweiten, um die günstigsten Photostandplätze einzunehmen, die nicht so ohne weiteres zu erzwingen sind. Nach schweißtreibender ausgesetzter Kletterei in den Ruinen gebe ich mich endlich zufrieden, wenngleich es mir schwerfällt, diesen überaus bezaubernden Ort zu verlassen. Auch hier sind wir, wie fast immer, die einzigen Besucher, und gerade die Distanz zu den Menschen macht den Aufenthalt so angenehm.
    Von der Schlangenburg geht es weiter Richtung Kozan nach Anavarza, welches einst eine weitläufige, von Wall und Graben umgebene antike Stadt war, die Hauptstadt des östlichen Kilikien. Zweihundert Meter hoch über der Stadt, auf einem jäh gegen diese abfallenden Felsen, zieht sich die ausgedehnte Burganlage hin, die an Größe alles übertrifft, was wir bisher auf dieser Reise gesehen haben. In Fels gehauene Stufen führen hinauf. Der Stein ist von den häufigen Tritten spiegelglatt abgeschliffen, daß selbst mit gutem Schuhwerk Abrutschgefahr besteht. Dies macht die Bezwingung an den abschüssigen Stellen nicht ungefährlich. Ein einziger Fehltritt, und das wäre es gewesen. Wenn man in alten Gemäuern herumklettert, sind Schwindelfreiheit und Trittsicherheit, wozu auch gutes Schuhwerk gehört, Grundvoraussetzung. – Von oben hat man nicht nur einen hervorragenden Blick bis zu den schneebedeckten Taurusbergen, sondern auch hinab auf die alte Stadtanlage, von der außer einem größeren Torbogen und Resten der Stadtmauer nichts mehr erhalten ist. Man kann aber noch die einfallenden Straßen bis zu ihrem Kreuzungspunkt verfolgen. Wer ganz aufsteigt, wird sich dem Zauber, der den einsamen Besucher dort oben gefangennimmt, kaum entziehen können. Außer einigen Kindern, die augenscheinlich die Schule schwänzen, sind einzig Bergziegen meine Weggefährten. Drunten im Dorf sind die Leute noch freundlich zu Fremden, begrüßen jeden Neuankömmling und sind überaus auskunftsfreudig und hilfsbereit. Sonnenverbrannt steige ich zu Tale. Dieses Erlebnis, wahrlich, nimmer möcht‘ ich‘s missen! Der Frühling in Kleinasien ist eine herrliche Jahreszeit für den, der nur den braunen ausgedörrten Herbst kennt. Alles blüht so mannigfaltig, und geschmeidig wiegt es sich im Wind. Über diese äußerst anstrengende Tour ist es Nachmittag geworden, so daß höchstens noch ein weiteres anspruchsvolles Tagesziel in Angriff genommen werden kann, und das kann eigentlich nur Toprakkale sein, weil jedes andere zu fern wäre. Niemand, wen wir auch fragen, ist in der Lage, uns, die wir kein Türkisch verstehen, den Weg dorthin zu erklären. Ohne den Zugang zu kennen, bahne ich mir meinen Weg zuerst durch Getreide- und Zwiebelfelder, anschließend durch einen rutschigen Pinienwald, bis ich irgendwann unvermutet auf der geteerten Auffahrtsstraße stehe. Und diesmal haben wir es wirklich mit einer armenischen Burg zu tun. Ihre Bauweise ist der unsrigen ganz verschieden. Sie - die Armenier - setzten die Blöcke höher als breit, verwendeten auch quadratischere Steine, während die Franken klassische Quader formten. Auch ist die Anlage von Toprakkale längst nicht so ausgesetzt wie die der bisherigen Höhenburgen, viel sanfter zugänglich, an Wucht des Mauerwerks dem unsrigen nicht nachstehend. – Nachdem sich die Sonne bereits gesenkt hat, bleibt uns nur mehr die Abendstimmung für das Aufsuchen der Ruinen von Issos, dem Ort der Alexanderschlacht, wo die Perser Fersengeld geben mußten. Von der Stadt sind nur noch Teile des Aquädukts zu sehen, unter einem Hügel verborgen läßt sich das Theater erahnen. Von diesem Hügel aus dürfte man auch das historische Schlachtfeld überblicken, und man darf nun seiner Phantasie freien Lauf lassen, sich die lanzenstarrende Phalanx vorzustellen, an der die persischen Reiter sich die Zähne ausbissen, als die Griechen, ihren Paian anstimmend, zu Fuß gegen sie anrannten. Die Phalanx war die allen anderen Kampfesweisen der Antike überlegene Schlachtordnung, und sie begründete immerhin ein Weltreich, wie es in späteren Zeiten nur noch die auf flinken Pferden einherreitenden, Wolken von Pfeilen verschießenden Horden der Mongolen taten. Ein spätes Pendant finden wir zur Landsknechtszeit, womit es dann mit den Rittern vorbei war. Bis heute ist nicht begreiflich, wie die römische sich der griechischen Kampfesweise als überlegen erweisen konnte, wahrscheinlich beruhte alles nur auf Kriegsglück. – Nach Issos reicht die Zeit nur mehr für die Weiterfahrt bis Antiochien, die uns an Iskenderun vorbeiführt, das früher Alexandretta (das kleine Alexandria) hieß und die erste Stadtgründung Alexanders des Großen war. Heute ist es ein Zentrum der petrochemischen Industrie. Über den Belen-Paß, der die Grenze zwischen Kilikien und Syrien darstellt, schwingt sich die Straße, um jenseits wieder auf Meeresniveau gegen das Orontestal abzufallen. Bei stockdunkler Nacht in Antiochien angekommen, finden wir erst einmal kein Hotel, doch nach einigem Durchfragen kommen wir spät an diesem Tag zur Ruhe.
    Für den nächsten Tag haben wir uns die Besichtigung Antakyas vorgenommen. Einen Blick zumindest sollte man in das dortige Mosaikenmuseum werfen, wo sich die größte Sammlung römischer Mosaiken befindet, die es überhaupt gibt. Die Kathedrale Sankt Peter, wo die Heilige Lanze aufgefunden wurde, mit der Longinus die Seite des Erlösers durchbohrte, steht längst nicht mehr. Diese darf nicht mit der Grottenkirche Sankt Peter verwechselt werden, die ganz in der Nähe an den Hängen des Mons Silpius liegt. Hier hat angeblich der Apostel Petrus gepredigt, denn Antiochien ist zugleich die Stadt, wo die frühen Christen sich das erste Mal selbst so nannten. Dort wurden sie auch von den Römern verfolgt. Der Fluchttunnel im Hinteren der Grotte wird diesem Zweck gedient haben. Die langen und mächtigen Stadtmauern, für die Antiochien berühmt war, sind im unteren Stadtbereich völlig verschwunden. An den Hängen des Mons Silpius ist ihr Verlauf aber noch gut zu erkennen. Daß sie so breit gewesen seien, daß ein Viergespann auf ihnen fahren konnte, kann ich für diesen Teil zumindest nicht bestätigen. Schon vor Beginn der Reise hatte ich geplant, die gewaltigen Mauern von Antiochien, wenigstens was den erhaltenen Teil angeht, zu umschreiten. Von der Petrusgrotte steige ich dazu den nördlich der Zitadelle gelegenen Seitengipfel hinauf, wo sich erste spärliche Mauerreste finden. Doch ein Übergang zu dem um einiges höheren Hauptgipfel scheint nicht möglich, so daß ich, um auf den letzteren zu gelangen, wieder hinabsteigen muß. Um den Weg deutlich abzukürzen, quere ich ein bäuerliches Anwesen. Die Frauen dort schauen mich zuerst mit furchtsamen Blicken an, denn die Männer scheinen außer Hause; doch mit einem freundlichen Gruß gebe ich zu verstehen, daß ich ihnen nichts Böses will. Da kommen auch schon drei bellende Hunde angelaufen. Zuerst denke ich, daß Hunde eben bellen, wenn sie einen Fremden sehen, was etwas ganz Natürliches sei. Die Bäuerin versucht die Hunde zu beruhigen und deutet mir an, doch einfach weiterzugehen, so als wolle sie sagen, sie seien nicht gefährlich. Doch die Hunde laufen laut bellend wütend hinter mir her, und der erste von ihnen versucht sich meinem Bein zu nähern. Zuerst versuche ich ihn zu verscheuchen, doch dann bin ich es, der sich eines schnelleren Schrittes befleißigt. Dies scheint die drei eher noch zu ermutigen, so daß sie mich einzukreisen versuchen. Von der Bäuerin ist nichts mehr zu sehen. Immer näher kommend, greifen die Hunde mich tatsächlich an. Ich fange ständig lauter werdend auf sie einzubrüllen an. Als auch das nichts hilft, bleibt mir wegen der gefährlichen Nähe des ersten angreifenden Hundes, der sich wie ein Lindwurm schlängelt, auf mich zukriecht und mein Bein schnappen will, nichts anderes übrig, als nach ihm zu treten. Geschickt weicht der Hund meinem Tritt aus und beißt in meinen Schuh, so daß sich seine Zähne durchs Leder bohren. Der zweite erwischt unterdessen mein linkes Bein und reißt ein Stück von meiner Hose ab. Seine Zähne bohren sich dabei in meine Knochen. Ich weiß in dem Moment nur, daß ich keinen der Hunde, die trotz der vielen Haken, die ich austeile, immer wieder an mir hochspringen, an meine Kehle lassen darf, sonst ist es aus. Dem einen schlage ich meine Wasserflasche um die Ohren, daß das Wasser nur so spritzt. Ich war schon hingefallen, und sie waren bereits über mir, Aug‘ in Aug‘, als ich, selbst zähnefletschend und nach Art eines Hundes Grimassen ziehend, den lautesten Schrei meines Lebens ausstoße, was für die empfindlichen Hundeohren anscheinend zuviel gewesen sein muß. Die drei weichen, sichtlich erschrocken, fürs erste zurück. Die Gelegenheit nutzend, springe ich auf und ergreife zwei große Feldsteine. Da stürzt die Bäuerin heraus, durch meinen Schrei offenbar wachgerüttelt, und ruft die Beißgesellen zurück. Sie hat nicht einmal gesehen, wie mich ihre Tiere zugerichtet haben, während ich wiederum schon zu weit entfernt bin, als daß ich ihr meine blutenden Wunden und das aufgeschlitzte Hosenbein zeigen könnte. Außerdem hätte das alles keinen Sinn, denn sie würde mich nicht verstehen, und ich verstehe kein Türkisch. Trotz der Steine in Händen wage ich nicht weiterzugehen, die Bestien versperren mir lauernd den Weg. So muß ich denn wohl oder übel vom Weg abweichen und querfeldein gehen, meinen Feinden stets den Blick zugewandt. Schon wollen sie es erneut wissen, drei gegen einen! Da werfe ich einen großen Stein über einige Meter Entfernung, und ich weiß nur, daß mich soeben noch ein Augenpaar angestarrt hat. Das war ein Volltreffer, mitten zwischen die Augen oder an der Stirn! Der Hund war entweder sofort tot oder er lag mit zerschmettertem Schädel unter den Büschen. Von den dreien sehe ich fortan nur mehr zwei. Diese beiden bellen nun nicht einmal mehr, so sehr hat sie der Verlust ihres Gefährten getroffen, und ich ziehe ungehindert von dannen. Was ist schon das Leben eines beißwütigen Hundes gegen meine im Kampf abgestreifte und verlorengegangene Armbanduhr, meine aufgeschlitzte Hose und meine zerbissenen Schuhe, die ich wegwerfen kann, nicht zu vergessen den tiefsitzenden Schock. Mein Bein brennt fürchterlich, aber bei genauerem Hinsehen sind es keine tiefen Wunden. Ob meine Tetanusimpfung allerdings noch ausreichenden Schutz gewährt, wüßte ich auf Anhieb nicht zu sagen. Hätten Tiere die Intelligenz des Menschen, so würden sie mich von allen Seiten angegriffen haben, und ich hätte nicht die geringste Chance gehabt, mich ihrer zu erwehren; aber sie kamen - Glück im Unglück, möchte man sagen - alle von der gleichen Seite auf mich eingestürmt, und dieser Umstand hat mich gerettet, so mir nicht mein Schutzengel geholfen hat, denn meine Zeit war gleichsam noch nicht gekommen. Wie durch ein Wunder kam ich davon, aber ich habe dem Tod ins Auge gesehen. Es ist merkwürdig, aber während des eigentlichen Kampfes, als es um Sekunden ging, hatte ich keine Spur von Angst, ich kam gewissermaßen nicht dazu, weil ich nichts anderes tat als verbissen um mein Leben kämpfen, gegen drei geifernde Bestien mit schwarzen Lippen. Hätte ich nur ein Messer besessen, wahrlich, dann hätte alles anders ausgesehen! Unbehelligt, doch ohne Wasser, komme ich unten beim Eisernen Tor an.
    Kaum bin ich ein Stück in die Schlucht hineingegangen, als dort erneut ein Hund auftaucht, doch ein Erlebnis der beschriebenen Art reicht mir. Schon war ich im Begriff umzukehren, als plötzlich ein Junge auftaucht und mir auf Englisch erklärt, ich hätte nichts zu befürchten, denn es sei sein Hund, den ich da gesehen habe, und ich solle ruhig kommen. Er führt mich zu einem Aquädukt, der Teil der Wasserversorgung Antiochiens war, und frägt mich, ob er mich auf die Festung führen dürfe, was ein ganz besonderes Erlebnis sei. Und weil ich die Besteigung des Burgberges als schwierig einstufe und ohne genaue Kenntnis des Weges als aussichtslos, so nehme ich denn sein Angebot an. Der Junge heißt Asnar und ist Kurde. Zudem versichert er mir, daß es oben auf dem Berg Wasser zu kaufen gebe und der Weg nicht mehr als eineinhalb Kilometer betrage. In schweißtreibender, schwindelerregender Kletterei geht es steil bergauf zu Bohemunds Burg. Auf ihr ließ der Normanne nach der siegreichen Einnahme der Stadt, die durch den Verrat des Firuz zustande kam, nach Übergabe der Zitadelle durch den türkischen Emir, sein rotes Banner hissen. Es ist das nämliche Banner, welches die Ursache war, daß ein heller Aufschrei durch ganz Antiochien ging, der noch draußen im Lager der Kreuzfahrer zu hören war, als die Bürger nach Ersteigung der Mauern durch die Franken es erblickten. Heute sind von Bohemunds Burg nur mehr geringe Reste vorhanden. – Mehrfach bietet sich mein junger Führer an, mir meine Phototasche zu tragen, doch lehne ich ab, da ich es mir im Verlaufe vieler Reisen zur Angewohnheit werden ließ, weder Kamera noch Papiere aus der Hand zu geben. Völlig erschöpft, d.h. erschöpft bin eigentlich nur ich, erreichen wir den Gipfel. Trotzdem bin ich stolz, daß ich mit dem Kurdenjungen mithalten konnte. Ihm sieht man nicht das geringste Anzeichen einer Ermüdung an. Oben angelangt, reiße ich dem Wirt fast die Flasche aus den Händen. Mein kleiner Führer bekommt ein erkleckliches Trinkgeld und später dann dazu den Rest des Wassers, nachdem zuerst ich meinen Durst gelöscht habe, denn ohne ihn hätte ich selbiges entweder gar nicht oder nur unter wesentlich anderen Umständen geschafft, jedenfalls nicht in der Kürze der Zeit. – Die Aussicht vom Mons Silpius wäre an sich sehr schön, wenn nicht die Türken ähnlich hohe Erhebungen ringsum in Steinbrüche verwandelt hätten, was der Landschaft entsetzlichen Abbruch tut. Wie schön muß einst der Blick auf die antike Stadt gewesen sein, als der Orontes oder Fernus, wie er auch genannt wurde, noch einen anderen Lauf nahm und große Teile der vor den Stadtmauern gelegenen Flächen Sumpfgebiete waren. Längst sind die Mauern in der Unterstadt abgetragen, den Turm des Firuz, ihn gibt es nicht mehr. Nur die Worte, die der Verräter auf Griechisch sprach, nachdem die Franken im Schutz der Nacht an Strickleitern über die Mauer geklettert waren, klingen mir jetzt im Ohr: "Micró Francos echomé!" was heißt: "Einige Franken haben wir!"
    Heute ist Antakya eine hektische, lärmende Großstadt, obwohl bereits in der Antike hier eine halbe Million Menschen gelebt haben, also fünfmal mehr als jetzt, und die Stadt nach Rom und Alexandrien die drittgrößte des Römischen Weltreichs war. Ihre einstige Bedeutung durch die Lage an sich kreuzenden Handelswegen verwundert insofern, als Antiochia in seiner unmittelbaren Nähe keinen Hafen hatte, sondern Waren vom Meer her über den Orontes heraufgeschifft werden mußten. Antiochiens Hafen liegt in dem zweiundzwanzig Kilometer entfernten Seleucia Pieria, von Alexanders Nachfolger, dem Diadochen Seleukos Nikator, als Hauptstadt seines Reiches gegründet. Doch erlangte Seleucia nie die Bedeutung, die einer Hauptstadt gebührt. In späterer Zeit verkam es sogar zum Warenumschlagplatz Antiochiens. Im Mittelalter gab man ihm den Namen Sankt Simeon nach dem gleichnamigen, in der Nähe befindlichen Kloster. Hierher flohen die abtrünnigen Verräter und Feiglinge, die sich im Verlauf der Belagerung Antiochiens über die Mauer abgeseilt hatten und mit zerschundenen Füßen hier ankamen. Von Sankt Simeon aus stachen sie dann mit den hier vor Anker liegenden Schiffen in See, nachdem sie den Seeleuten falsche Behauptungen aufgetischt hatten, wonach Antiochien von den Türken bereits eingenommen sei und all ihre Gefährten getötet. – Im Altertum ließ Kaiser Titus mit Hilfe von jüdischen Kriegsgefangenen am Abhang der Berge ein künstliches Flußbett aus dem Felsen hauen, das nach starken Regenfällen das den künstlichen Hafen bedrohende Überflutungswasser ins Meer ableitete und diesen so vor Versandung schützte. Dieser sogenannte Titus-Tunnel ist 1,3 km lang, sechs Meter breit und fünf Meter tief und stellt eine für die damalige Zeit bemerkenswerte technische Leistung dar. Seleucia verfügt über ein sehr ausgedehntes Ruinenfeld und ist landschaftlich herrlich gelegen, eingebettet in eine Schwemmlandebene zwischen zwei direkt aus dem Meer aufsteigenden hohen Bergen, deren einer der Mons Cassius hieß. An antiken Resten sind außer dem Fundament eines größeren Bauwerks, vermutlich des Zeustempels, keine nennenswerten Ruinen erhalten.
    Reizvoll ist auch die Fahrt auf das antike Vorgebirge Rhosicum, wo in der Nähe des Kaps die Ruinen einer Kreuzritterburg liegen. Leider ist die Küstenstraße, die entlang einer wildromantischen Steilküste führt, die immer wieder phantastische Ausblicke auf die Klippen gewährt, nicht geteert. Weil ich meinem "Geländefahrzeug" die ständig schlechter werdenden Pistenverhältnisse nicht länger zumuten kann, kehren wir auf halber Strecke um und fahren mit den letzten Strahlen der untergehenden Sonne nach Antakya zurück. Nach einem exzellenten Frühstück im exklusivsten Hotel der Stadt brechen wir am nächsten Morgen auf in Richtung Daphne, dem einstigen, von sprudelnden Quellen und pittoresken Hainen durchzogenen Villenvorort Antiochias. Allein, ich kann nichts Beschauliches mehr entdecken, nichts was geeignet wäre, mich in seinen Bann zu ziehen; vom erquickenden Bade in dem von Zypressen bestandenen Teich zu Füßen des Wasserfalls mit der spröden Nymphe muß ich lassen. Außerdem steht uns der Sinn nach etwas ganz anderem: es ist die Burg Kürschat, eine jener Burgen, die zu dem antiochenischen Verteidigungsgürtel gehörten, der um die Stadt gelegt war. Wieder, wie so häufig, müssen wir uns durchfragen, und jedesmal geben die Leute aufs freundlichste Auskunft. Völlig unerwartet, hinter dem Ort Sofular, taucht sie auf. Nicht einsehbar, geradezu suchenden Blicken entzogen, verbirgt sie sich auf einem Felsen im Zusammenlauf vierer Täler. Sie liegt, als hätten ihre Erbauer mit Fleiß beabsichtigt, daß sie nicht gefunden werde. Doch der Mameluckensultan Baibars fand sie und nahm sie 1275 ein. Von Kürschat blieb nicht viel mehr übrig als zwei, allerdings gewaltige Türme, die aus zyklopenhaften Quadern errichtet wurden. Die Franken bevorzugten hellen, gelben Stein für den Burgenbau, woran man fast immer eine Kreuzritterburg erkennt. Die Sarazenen hingegen, wie sie überhaupt die unheimlichsten Menschen sind, liebten mehr das düstere Erscheinungsbild, Grau- und Schwarztöne. Obwohl nicht besonders aussichtsreich gelegen, konnte man auf Kürschat dennoch die Himmelsrichtung, aus der ein anrückender Feind sich nur nähern konnte, gut einsehen. Bizarr wirken die vier umgebenden Schluchten auf den Besucher, der wegen der relativen Unberührtheit der Natur sowie der gänzlichen Weltabgeschiedenheit gerne hier verweilt. Um unser nächstes Ziel zu erreichen, hätten wir ebensogut nördliche Richtung einschlagen können, dem Marasch-Graben folgend. Ich jedoch mußte mich für den Umweg über Reyhanli entscheiden, der uns nichts eingebracht hat außer den wenig sehenswerten Ruinen von Tell Açana, einer dreitausend Jahre alten Hethiterstadt, berühmt für die heute im Museum von Ankara aufbewahrten "Löwen von Tell Açana". Viele dieser sogenannten Tells, an die noch nie ein Spatenstich gesetzt wurde, sieht man ab und an unterwegs. Ein Tell, das ist ein auffällige Erhebung in sonst ebener Landschaft, entstand meist dadurch, daß auf die Ruinen alter Schichten durch Überbauung und anschließende Zerstörung immer neue Schichten gesetzt wurden und so eine Schichtenabfolge entstand, wie man sie etwa in Troja vorliegen hat, dem prominentesten Vertreter dieser Art Hügel. Von der byzantinischen Burgruine, die es in Reyhanli geben soll, ist auf weiter Flur nichts zu sehen, und die Brücke Balduins III. vergesse ich schlichtweg im Programm. Also wenden wir uns gewisseren Zielen zu, nämlich der Burg zu Bakras, an der wir schon vor zwei Tagen vorübergefahren sind, ohne sie eigentlich zu Gesicht zu bekommen, und auf deren Besuch wir wegen der vorgerückten Stunde ohnehin hatten verzichten müssen. Bakras wurde von den Lateinern auch Gaston genannt. Es wurde 1188 von Saladin erobert. Die Burg liegt den Blicken gänzlich entzogen in einem Seitental und sollte wohl den Zugang von Alexandretta über den Belen-Paß sichern. Sie hat schwer unter der Zerstörung gelitten. Dennoch ist der Ausblick vom Donjon auf die weite Karasu-Ebene gewaltig. Der Aufstieg ist wenig beschwerlich und das Wetter heute nahezu atemberaubend. Leider können wir hier nicht länger verweilen, weil mir noch eine ganze Reihe weiterer Ziele vor Augen schweben, so als nächstes die Templerfestung Trapezac, die sich hinter der gleichnamigen Ortschaft Terbezek befinden soll. Ich habe mir die beschriebene Stelle zwar angesehen, wonach die Ruine etwa einen Kilometer nördlich des Dorfes Alabeyli liegen müßte, komme aber zu dem Schluß, daß an der angegebenen Stelle niemals eine Burg gestanden haben kann. Kein Mensch der ganzen Umgebung, nicht einmal die dortigen Bewohner wissen mir das richtig zu deuten, sintemal sich dort Reste eines antiken Tempels befinden. Der Reiseführer ist an dieser Stelle wenig präzise und wurde vielleicht sogar von jemandem geschrieben, der nicht einmal vor Ort war. Das, was einmal eine Burg gewesen sein könnte, ist als byzantinisches Gemäuer ausgewiesen, ein wenig hoher Hügel, der erkennbar wehrhafte Reste trägt. All meine Fragen in den genannten Orten stoßen auf Verwunderung. Zuletzt werden die jüngeren Einheimischen auf Motorrädern losgeschickt, um uns dort hinzubringen und uns alles zu zeigen. Das klappt auch ganz wunderbar, weil wir einer den andern nicht verstehen. Als wir mit dem Motorrad wieder im Dorf zurück sind, hat sich eine richtiggehende jugendliche Meute um uns versammelt, so daß ich mich aufgrund der zudringlichen Art, die vielen Türken zu eigen ist, gar nicht mehr richtig wohl fühle. Wie merkwürdig, wir können uns nur durch Zeichensprache verständigen, wir reden nur englisch, sie hingegen nur türkisch, ohne Rücksicht darauf, ob einer den anderen versteht. Doch mit Gestikulieren kommt man auch durch. Als mir dann einer andeutet, er wolle in meine Geldbörse schauen (ob sich ein Überfall vielleicht lohnen könnte), wird mir die Lage zu brenzlig und ich entschuldige mich mit vielerlei Gründen, wonach wir dringend weg müßten. Mir sind diese Menschen, in deren Augen wir doch nur Ungläubige sind, einfach noch zu wild. Fernab jeglicher Übernachtungsmöglichkeit bleibt uns nur der weite Weg nach Gaziantep.
    Diese Strecke führt durch eine atemberaubend schöne Landschaft, zunächst durch den erdbebengefährdeten Marasch-Graben, mit dem hohen Nur Daglar zu unsrer Linken und den Bergen an der syrischen Grenze zu unsrer Rechten, stets dem Lauf des Karasu Çayi entgegen. Es ist dies die uralte Verbindungsstrecke zwischen Antiochien und Marasch. Während der Kreuzzüge bebte die Erde hier laufend, vom Getrampel der Hufe und durch die Schritte Gottes. Hinter der Stadt Islamiye treffen wir auf die neuerbaute und in schwindelerregenden Höhen über weitgespannte Brücken sowie durch zahlreiche Tunnels verlaufende Autobahntrasse zwischen Adana und Gaziantep, die nach offizieller Darstellung dem Zweck dienen sollte, Südostanatolien verkehrsgünstig zu erschließen, nach meiner Ansicht aber rein der Geltungssucht türkischer Regierungskreise schmeichelte und übrigens ohne fremde Hilfe gar nicht hätte gebaut werden können. Dafür bietet sie den Vorteil, daß sie uns schnell in die ehemalige Grafschaft Edessa bringt, dasjenige Gebiet westlich des Euphrats, das den Joscelins zu Lehen gegeben war. Über der herben Landschaft zieht ein zauberhaftes Abendrot auf, und weit und breit ist das Gebiet menschenleer. Im Stockdunkeln erreichen wir Gaziantep, und über uns funkeln bereits die Sterne aus tausendundeiner Nacht. Dann wird Gaziantep zu einem unheimlichen Ort, wo die Menschen ausnahmslos umtriebig sind, in unsteter und unschlüssiger Manier zu Hunderten die Straßen bevölkern, so als würden sie jeden Moment losschlagen, und wahre Abgründe tun sich auf, als zugleich aus allen Moscheen der Stadt die Muezzine zum Nachtgebet rufen und sich in das bedrohliche Stimmengewirr ein Klagen und ein Weinen mischt. Dazu tragen die vielen schwarzgekleideten Frauen bei und die massenhaft herumstehenden Männer, von denen man eigentlich nicht recht weiß, was sie wollen. Sie sehen einen nur fragend an oder beten geistesabwesend Sure für Sure. Zudem ist viel Militär in der Stadt; an jeder größeren Kreuzung steht ein Soldat mit der Maschinenpistole im Anschlag. An Sehenswertem gibt es in Gaziantep nur eine osmanische Zitadelle zu besichtigen, deren Anfänge in die Römerzeit zurückreichen. Später wurde die Zitadelle von den Byzantinern verstärkt, ehe sie dann die Osmanen zur starken Festung ausbauten. Ob sie auch in der Kreuzfahrerzeit eine Rolle gespielt hat, kann man aufgrund des wenigen, das darüber zu lesen steht, nicht ableiten. Vielleicht wurden zu ihrem Ausbau aber auch Steine aus dem nahegelegenen Turbessel herbeigeschafft. Die oktogonale Bauweise einiger Türme ist jedoch untypisch für Kreuzfahrerburgen. – Die Reiseführer raten ausdrücklich davon ab, über diese Stadt hinaus ins Innere Südostanatoliens hineinzufahren. Unterhält man sich jedoch mit Einheimischen, so meinen diese, daß derzeit eher keine Gefahr bestünde. Wie auch immer, unsere Terminplanung sieht eigentlich kein weiteres Vordringen nach Osten vor, obwohl es mich natürlich reizen würde, über das Schlachtfeld von Harran zu schreiten oder die Mauern von Edessa zu besichtigen.
    Ehe wir unseren geplanten Exkurs nach Tell Baschir beginnen können, müssen wir vorher, da meine Bargeldreserven erschöpft sind, noch dringend zur Bank; doch öffnet diese erst um neun. Somit warten wir im nahegelegenen Park, bis sie aufmacht. Dort arbeiten Kinder, die, anstatt in die Schule zu gehen, ihren Familien dadurch zu helfen versuchen, daß sie den Leuten die Schuhe putzen. Ich lehne es zuerst ab, in meine vom Hund zerbissenen Schuhe noch eine müde Lira zu investieren, aber schließlich lasse ich mich, um des guten Werkes willen, doch dazu breitschlagen. – Der Umtausch von Traveller‘s cheques gestaltet sich zunehmend schwierig. Die Bank, welche eigentlich Vertragspartner von American Express in der Türkei ist, löst die Schecks nicht ein. Man schickt mich zu einer anderen Bank, doch dort erlebe ich das gleiche. Ich werde einer langwierigen und umständlichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Darüber vergehen beinah drei Stunden des Wartens, bis mir der Geduldsfaden reißt und ich mich spontan entschließe, Südostanatolien unverzüglich zu verlassen, doch nicht, ohne vorher den Grund unserer Reise dorthin zu erledigen: Tell Baschir, die Burg Joscelins von Courtenay, der als Vasall Balduins von Edessa die Gebiete östlich des Euphrats zu Lehen hatte. Bedauerlicherweise geben einem die Türken immer wieder Auskünfte, die sich dann als falsch herausstellen, offenbar weil die Leute ihr eigenes Land nicht kennen und dies noch dazu aus Schamgefühl nicht zugeben wollen. Gleichwohl, nach einiger Fragerei finden wir an unser Ziel. Natürlich brauchte ich nach der Ankunft nicht enttäuscht sein, denn bereits bei Lawrence von Arabien, der diese Strecke lange vor uns abfuhr, war nachzulesen, daß die Reste nur äußerst spärlich seien. In der Tat ist der Tell noch gar nicht richtig ausgegraben, es wurden lediglich einige Probegrabungen vorgenommen, um damit die Fundamente des Mauerwerks der ehemaligen Anlage abzustecken. Diese erstreckte sich über die gesamte Ausdehnung des Tells. Letzterer zeichnet sich nicht gerade an Höhe aus, so daß es nicht weiter verwunderlich ist, daß die Burg nach ihrer Schleifung der vollständigen Abtragung anheimfiel. Es ist nicht immer das Monumentale an Ausgrabungen, welches den Eindruck hinterläßt, manchmal ist es nur die Größe der zugrunde liegenden historischen Ereignisse, die alles übrige dagegen verblassen läßt. Blickt man vom Tell auf die hügelige Landschaft ringsum, die die einzigartige Klarheit des Zweistromlandes atmet, das nur einen Steinwurf entfernt liegt, so setzt zugleich das Begreifen ein, warum den Kreuzrittern nicht nur religiöse Motive vor Augen schwebten, sondern sie durchaus an weltlichem Besitz Gefallen fanden. Im Frühjahr kann sich diese Gegend mit jeder der unsrigen an Fruchtbarkeit messen. Die fetten, mehr rötlichen als braunen Böden bringen mehrere Ernten über das ganze Jahr hervor, und so erst versteht man die Anekdote, warum der Graf von Edessa dem Grafen von Turbessel, wie es bei Wilhelm von Tyrus heißt, seinen gesamten Besitz wieder wegnahm, als dieser alles im Überfluß genoß, während er selbst an Kargheit litt, und jenem trotz des verliehenen Reichtums nicht in der Not helfen wollte. Nachdem wir der blühenden Landschaften dort ausgiebig genossen und die frische Luft tief durch Brust und Nüstern haben strömen lassen, fahren wir durch Wald und Flur zurück nach Gaziantep, und nur einem Zufall ist es zu verdanken, was wir daraufhin erleben sollten.
    Am Ortsausgang, an der Straße nach Kilis, entdecke ich ein Schild mit der Aufschrift "Ravanda Kalesi 38 km". Aus der Namensgebung schließe ich, daß es sich dabei um die Burg Ravendel handeln muß, welche ebenfalls im Besitz der Franken war und die ich in dieser Gegend überhaupt nicht erwartet hätte. Wie selbstverständlich folgen wir dem Schild und gelangen nach längerer Fahrt und kleineren Umwegen, versteht sich, tatsächlich an den besagten Ort. Schon von weitem erblickt man die markanten Ruinen von Schloß Ravendel auf einem allseits ebenmäßigen vulkanförmigen Kegel, umgeben von einer einzigartigen landschaftlichen Kulisse mit wilden Bergen und malerischen Orten. Wie immer haben die Erbauer der Burg neben strategischen Gesichtspunkten die Ästhetik nicht außer acht gelassen, worauf man früher allgemein mehr Wert gelegt hat als heute, wahrscheinlich weil die Menschen zunehmend den Sinn für das Schöne verloren haben. Dort sind auch im weiten Umkreis noch keine Zerstörungen an der Natur erkennbar. Es ist die ländliche Idylle schlechthin. Es leben hier ausschließlich zufriedene und hilfsbereite Menschen, Bauern und Hirten, die aufgrund der Fruchtbarkeit der Böden keine geringen Erträge erzielen. Man kann mit dem eigenen Wagen ziemlich weit hinauffahren, so daß uns dieses Mal ein mühsamer Anstieg erspart bleibt. Der Blick auf die Wälder und Berge ringsum vom Burgberg ist Balsam für die Seele. Kein Auto, das einem begegnen würde auf der stundenlangen Fahrt, nur ab und zu ein Bus! Ravendel wurde ebenfalls geschleift wie fast alle Burgen der Grafschaft Edessa, und es ging damals ein Aufschrei durch die antiochenischen Lande, als es hieß, Edessa sei gefallen und von den Muslimen zurückerobert. Dies war der Auslöser des dritten Kreuzzugs, den, wie wir oben gesagt haben, Friedrich Rotbart Lobesam anführte. Verbleibt mir nur zu berichten, daß unsere Rückfahrt trotz des ständigen Gegenlichtes aus Westen einen Höhenunterschied von 1100 m überwand, phantastische Tiefblicke von der Paßhöhe bietend.
    Nach einer Übernachtung in Osmaniye steuern wir gen Karatepe, der berühmten Hethiterstadt. Auf dem Weg dorthin liegt die Kreuzritterburg Bodrum Kalesi, wahrscheinlich die aus den Quellen bekannte Burg Batrun. Sie liegt hoch über der Ruinenstätte des antiken Hierapolis, in dessen Zusammenhang auch der Name Cicero erwähnt wird, der dort das Amt eines Prokonsuls von Syrien verwaltete. Von den Ruinen ist nicht mehr allzuviel auf unsere Zeit gekommen: ein Theater, Thermen, Grottengräber und einige Säulen der Kolonnadenstraße, aber alles, wie gesagt, nur noch sehr spärlich erhalten. Hingegen ist die über dem Ruinengelände thronende Burg noch in erstaunlich gutem Zustand. Sie liegt malerisch auf einem isolierten Felsgipfel. Da der Aufstieg für mich nicht ersichtlich ist, versuche ich es im Osten, muß aber trotz halsbrecherischer Kletterei scheitern, weil ich an der Mauer keinen Einlaß finde. Schließlich entdecke ich dann doch einen ganz leichten Anstieg auf der Westseite. Von oben hat man einen herrlichen Rundblick auf das Amanos-Gebirge und die schneebedeckten Gipfel des Taurus sowie auf die vom Pyramos durchflossene kilikische Ebene. Die auch unter dem Namen Castaballa bekannte Stadt zu Füßen der Burg war lange Zeit Schauplatz einer besonderen Zeremonie, und zwar liefen in der Antike in Ekstase geratene Priester barfuß über heiße Kohlen, ohne sich dabei die Füße zu verbrennen. Die späteren Kreuzritterbarone scheinen beim Bau der Burg keine Steine der antiken Ruinenstätte verwendet zu haben. Sicher ist, daß diese Festung zum Einflußbereich des Fürstentums Antiochien gehörte, welcher sich ja, wie wir bereits wissen, bis über die uneinnehmbare, weiter westlich gelegene Festung Anavarza hinaus erstreckte.
    Durch eine liebliche Landschaft gelangen wir weiter nordwärts ziehend an den heute am Ufer des aufgestauten Pyramos liegenden hethitischen Stadtpalast Karatepe, einem Überbleibsel des Großhethitischen Reiches. Von der Stadt selbst ist nur mehr wenig erhalten. Man kann sich aber aufgrund von Rekonstruktionen ihr Aussehen gut vorstellen. Die ganze Anlage ist zu einem Freilichtmuseum umgestaltet. Photographieren ist auf dem Gelände strengstens untersagt. Zufälligerweise ist eine deutsche Reisegruppe zugegen, mit deutschsprachiger Reiseleitung, der wir uns anschließen. Aus berufenem Munde erfahren wir einiges, was uns den Aufenthalt lohnend erscheinen läßt. Und zwar wurde hier in Karatepe eine bilinguale Inschrift entdeckt, die die Entzifferung der hethitischen Hieroglyphenschrift ermöglichte. Den parallel in phönizischer Schrift angegebenen Text des Königs Azitawadda konnte man seinerzeit bereits lesen. Die beiden Haupttore müssen unwahrscheinlich prächtig verziert gewesen sein. Zwar können die hethitischen Reliefs keineswegs mit persischen konkurrieren, doch lernt man einiges daraus über die Kultur der Hethiter. Dargestellt sind vor allem Jagdszenen - es waren damals noch Löwen in dieser Gegend anzutreffen -, Kampfhandlungen, die die Bewaffnung zeigen und den Gebrauch des hethitischen Streitwagens bezeugen, ja selbst ein hethitisches Schiff ist zu sehen, obwohl die Hethiter keine Seefahrernation waren. Die Reliefs sind etwas grobschlächtig und derb, doch wenn man bedenkt, wie weit um dieselbe Zeit die Kultur in den germanischen Wäldern gediehen war, so wird man diese Errungenschaften zu würdigen wissen. Im übrigen waren die Hethiter ein indogermanisches Volk, welches bedeutenden Einfluß auf die Kulturen des Zweistromlandes ausübte. Schließlich geht es aber bei einer Kultur auch nicht so sehr um sichtbare Hinterlassenschaften, sondern um die allumspannende Macht, die sie ausübte. So haben etwa die Mongolen so gut wie nichts Sichtbares hinterlassen, und dennoch war ihr Machtbereich größer als der irgendeines anderen Volkes. – Während des Vortrags gibt es scheinbar für die deutsche Reisegruppe nichts Wichtigeres, als sich über die Modalitäten der Überreichung eines angemessenen Trinkgeldes für die Reiseleitung zu einigen. Wir ziehen uns daher von solchen Leuten, die ihre Alltagssorgen mit auf die Reise genommen haben und von ihren Schuldgefühlen selbst im Urlaub nicht loskommen, liebend gerne zurück. Da wir allerdings keine Möglichkeit sehen, wie wir zu der auf der anderen Seite des Stausees liegenden Ruinenstätte Domoztepe kommen sollen, setzen wir statt dessen die Rückreise fort. Sie führt uns mit einem lohnenden Abstecher zur armenischen Burg Amuda, die ein Geschenk Leons I. an den Deutschen Orden war, der sich nach seiner Vertreibung aus dem Heiligen Land zunächst hier festsetzte. Diese Burg zeigt nicht wie die typischen Kreuzfahrerburgen geordnetes Mauerwerk, sondern hier wurde wesentlich gröber gearbeitet. Die Anlage, von der heute nicht mehr viel zu sehen ist, liegt an einer Flußschleife des Pyramos, und ihr Ausblick reicht ebenso weit hinaus auf die kilikische Ebene wie jener der bereits erwähnten Burg Bodrum. Somit müssen Franken und Armenier eine Zeitlang gute Nachbarn gewesen sein.
    Die Weiterfahrt erfolgt nun retour bis Osmaniye und von dort bis Ceyhan, wo wir uns noch die bereits auf der Hinfahrt gesichtete Burg Dumlu ansehen, die sowohl von der Schlangenburg aus zu sehen ist als auch von der Festung Anazarbos. Wahrhaftig, das ganze Land scheint übersät zu sein mit diesen Zeugen großer Kämpfe, die einst hier stattfanden. Dumlu Kalesi befindet sich in einem außerordentlich guten Erhaltungszustand, eine Frankenburg vom Feinsten. Sie ist leicht von allen Seiten zugänglich und liegt majestätisch auf einer einzelstehenden Bergkuppe. Allein, hineinzukommen gelingt mir nicht. Es wäre ohne Seil eine außerordentlich riskante Kletterei geworden, die es erfordert hätte, daß ich mein Gepäck hätte unten lassen können. Aber als ich schon mit dem Aufstieg begonnen habe, entdecke ich drunten im Tal einen Nomadenjungen, der sich für meinen Wagen zu interessieren scheint, immer den Blick auf mich gerichtet, ob ich nicht irgendwann hinter einem Felsen verschwinde. Dies beunruhigt mich zusehends, denn was wäre, wenn er mir, unterdessen ich auf dem Berg bin, die Scheibe einwirft. Immer wieder muß ich mich umdrehen, und mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß die Menschen hier zum Teil noch wie die Zigeuner in Zelten leben. Mein Argwohn sollte sich jedoch nicht bestätigen, so daß ich unser Fahrzeug, nachdem ich zurück bin, unversehrt vorfinde, wohl auch deswegen, weil ich erkennbar keine Wertsachen darin zurückgelassen habe. Unten angelangt, kommt der Junge, den ich soeben am liebsten noch geohrfeigt hätte, auf mich zugerannt und hält die Hand auf, andeutungsweise, damit ich ihm Geld gebe. Nachdem er mir aber einen längeren Aufenthalt unmöglich machte, bin ich so frei und gebe ihm nichts. Unbehelligt, jedoch besorgt, daß er mir Steine hinterherschmeißen und dann wegrennen könnte, fahre ich von dannen. Nunmehr haben wir noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen durch die kilikische Ebene. Auf einen Abstecher zu den Kilikischen Pforten verzichten wir angesichts der schon vorgerückten Tageszeit. Als die Sonne nur noch glasig durch den schwachen Dunst am Horizont schimmert, schlagen wir in der Nähe des antiken Soloi-Pompeiopolis Quartier. An diesem Ort wurden nach ihrer Ausräucherung durch Pompeius Magnus die besseren Elemente der kilikischen Seeräuber angesiedelt, die er der Schonung für wert hielt. Die griechische Stadt Soloi erhielt ihm zu Ehren in römischer Zeit den Namen Pompeiopolis. Vieles hat sich dort leider nicht erhalten, die Steine wurden weggetragen und sind in dem aufkeimenden Mersin verbaut. Dieses Mersin ist eine schreckliche Stadt; sie ist vornehmlich aus größenwahnsinnigen Bauprojekten hervorgegangen. Ganze Straßenzüge leerer Wohnblöcke stehen wie Ruinen einer Geisterstadt, und es gibt niemanden, der sie bezieht. Gehen doch die arbeitslosen Türken lieber nach Europa zum Verdienen, denn wer bleibt, dem ist ohnehin nicht viel an Arbeit gelegen. Überall auf den Dörfern, durch die wir kommen, sitzen die Männer untätig herum und ergehen sich in Geselligkeit. Frauen sieht man nicht in der Öffentlichkeit. Und mit dem Tourismusboom wird es auch nicht so weitergehen wie bisher. Allerorts sind Bestrebungen erkennbar, die leerstehenden Hotelbauten mit Urlaubsgästen aufzufüllen. Nirgendwo nämlich gab es bisher ein Problem, ein freies Zimmer zu finden.
    Gleich mit den ersten Morgenstrahlen machen wir uns an die Besichtigung Solois, doch werden wir wirklich herb enttäuscht. Einige eingezäunte Säulenreihen der einstmals vierhundert Meter langen Kolonnadenstraße sind das einzige, was es hier noch zu sehen gibt. Der Mensch ist doch wahrhaftig der größte Kulturschänder, er besitzt vor nichts Achtung oder Respekt, und zudem sind sie Menschen dumm und faul. Anstatt aus dem Fels brechen sie die Steine lieber aus dem Verbund, müssen sie aber dennoch transportieren, vielleicht nur etwas weniger weit, um sie andernorts wieder zusammenzufügen. Und die Thermen haben sie vermutlich abgetragen, weil sie sich lieber im Meere wuschen. - Bei der Stadt Tece liegt das gleichnamige Tece Kalesi, allerdings nicht genau dort, wo es in der Karte eingezeichnet ist, sondern nur unweit der Durchgangsstraße. Trotz vorher eingezogenen Erkundigungen ist es ohne die Hilfe der Einheimischen kaum möglich, die Ruine auszumachen. Hilfsbereit wie die Türken sind, stets darauf bedacht, sich Freunde zu schaffen, bietet sich ein Teestubenbesitzer an, mich nach dort zu begleiten. Obwohl wir uns so gut wie nicht miteinander verständigen können, geht aus dem Small talk und den Gesten doch so einiges hervor. Tece Kalesi, so es dies überhaupt gibt, was wir hiermit in Zweifel ziehen, ist nicht mehr als ein freistehender auseinandergebrochener Frankenturm, eindeutig ein Relikt der Kreuzfahrerzeit. Wieder müssen erst bellende Hunde zur Raison gebracht werden, um wenigstens ein Photo schießen zu können. Der Teeverkäufer lädt uns anschließend noch zu einem Glas aromatischen türkischen Tees ein. Immer wieder begeht man den Fehler, da man sich in einem Lokal niedergelassen hat, das Angebotene bezahlen zu wollen, aber das ist noch immer eine geringere Beleidigung, als eine Einladung ganz auszuschlagen. - Der schon bei Strabon erwähnte Flecken Lamos trägt heute den Namen Limonlu.
    Auf dem weiteren Weg kommen wir dann am antiken Kanytelleis vorüber, welches von Strabon nicht erwähnt wird. Von der Stadt ist noch erstaunlich viel übriggeblieben verglichen mit dem, was von den Ruinenstätten, die direkt am Meer gelegen sind, erhalten blieb. Kanytelleis liegt nämlich landeinwärts vom Meer hoch in den Bergen, etwa 3 km von der Küstenstraße entfernt, und dies bedeutet, daß es für einen Abtransport der Steine bereits wieder zu weit entfernt gewesen sein dürfte. Das Interessanteste in Kanytelleis ist ein hellenistischer Turm, den die Teukrospriester von Diocaesarea zu Ehren des Zeus Olbias erbauen ließen. Die wichtigsten Gebäude der Stadt reihen sich rings um einen riesigen Einsturzkrater, in den ein Weg hinabführt. Es ist aber ein recht unheimliches Unterfangen, sich dort unten alleine aufzuhalten. Die überall wachsenden Brennesseln dringen selbst durch lange Hosen, und mit kurzärmligem Hemd ist eine Berührung unvermeidlich. Mit einem unangenehmen Brennen, das am ganzen Körper zu verspüren ist, suche ich dem Kessel schnellstmöglich wieder zu entfliehen, so faszinierend dieser Ausflug in die Unterwelt auch gewesen sein mag. Kanytelleis ist übrigens untrennbar mit dem Namen jener Frau verbunden, die sich Aba nannte und die an die Herrschaft gelangt war, nachdem sie sich aus ihrer Vormundschaft losgesagt und sich dann bei Antonius und Kleopatra angedient hatte, um an der Macht zu bleiben. Später wurde sie aber dennoch gestürzt.
    Unweit von Korykos liegen die Korykischen Grotten, von denen Strabon berichtet, daß in ihnen der beste Safran wächst. Erst der Islam hat ihnen den Namen Himmel und Hölle verliehen, Cennet ve Cehennem. Cennet ist die größere von beiden, mehr als 100 m tief sind sie beide, aber Cennet ist 500 m lang und geht in eine echte Höhle über, an deren Ende ein unterirdischer Fluß vorbeiströmt, der etwas unterhalb, am Meer, wieder austritt. Während man in Cennet hinabsteigen kann, ist Cehennem nichts als ein tiefer kreisrunder Schlund mit senkrechten Wänden, die so steil sind, daß nichts an ihnen wächst. Eigentlich hatte ich gedacht, wir würden in die Hölle hinabsteigen, während wir statt dessen in den Himmel "aufstiegen". Weiter drunten, wo das richtige Dunkel beginnt, werden die vom Fußabrieb ohnehin schon glattgeschliffenen Stufen durch den aufgebrachten Schlamm, den die Regengüsse vor kurzem hinabgespült haben, noch glitschiger und rutschiger, so daß ein Weiterkommen ohne hinzufallen fast nicht möglich ist. In meine aufgeschlitzten Schuhe dringt nun noch roter, dicker Lehm ein, auf dem ich laufend ausgleite, wobei mir selbst die geübteste Gleichgewichtsakrobatik nichts hilft, so daß ich von Glück sagen kann, daß ich nicht gleich auf dem Hintern lande, sondern lediglich auf die Hände falle. Allen anderen geht es ähnlich. Fluchend verlasse ich darauf den Himmel, ohne des Unterweltflusses ansichtig geworden zu sein. Über der Grotte steht, wie schon in Kanytelleis, ein Zeustempel. Besonders störend ist dort, wie meist an Touristenzentren, die Aufdringlichkeit der Kinder, die sich schon im zartesten Alter als Schlepper verdingen, ungeniert unser Auto genauestens unter die Lupe nehmen, ob sich darin nicht irgend etwas Brauchbares findet. Eine Ohrfeige würde aber keinen Sinn machen, wenn man sich anschließend vom Fahrzeug entfernt. - Im Anschluß suchen wir auf der Weiterfahrt nach der in meiner Karte eingezeichneten Burg Karatepe - nicht zu verwechseln mit der hethitischen Ausgrabung -, die wir aber bei den widersprüchlichen Auskünften der Einheimischen nicht auffinden können. Der Rest des Weges bietet nichts, was wir nicht ohnehin schon kennen. Etwas früher als sonst treffen wir an diesem Abend in Anemurion ein, wo wir uns auf eine ordentliche Körperreinigung freuen. Auch unser Vermieter ist hocherfreut, als er uns nach soviel Tagen wiedersieht.
    Als sich am nächsten Morgen der Dunst, der während der Fahrt die Ruinen einer an der Küstenstraße gelegenen Burg freigibt, nach und nach gelichtet hat, schwenken wir kurz vor Gazipascha nach Antiochia ad Cragum ein, ein Platz, der schon bei Strabon genannt wird. Er ist zwar kaum 5 km von der Hauptstraße entfernt, doch ist die Fahrt dorthin äußerst beschwerlich. Schon bald nämlich endet die Teerstraße und wird zu einer staubigen, steilen, nur noch einspurigen Sandstraße, die mit Steinen geradezu übersät ist. Das macht das Fahren zu einem ausgesprochenen Abenteuer. Es gibt kaum Ausweichmöglichkeiten im Falle, daß ein Fahrzeug entgegenkommt, doch zum Glück auch nahezu keinen Verkehr. Hier in der Abgeschiedenheit der Steilküste leben nur Bauern, die entweder vom Bananenanbau leben oder als Ziegenhirten ein kümmerliches Dasein fristen. Freundlich gesonnen sind die Leute dem Fremden hier nicht. Zu selten wagt sich ein Reisender in diese Gegend. Kaum ist eine Anhöhe erreicht, wo das Meer sichtbar wird, geht es auf der anderen Seite wieder fast so weit hinab, wie wir aufgestiegen sind. Hinter einer Kehre, durch erstes antikes Mauerwerk angekündigt, fällt der Blick unvermutet auf den Kragos, den Felsen, der von einer malerischen Burg gekrönt ist. Diese besitzt einen doppelten Mauerring, eine Ober- und Unterburg, die den gesamten Gipfelbereich einnimmt. Der Kragos ragt isoliert ins Meer hinaus, gab deswegen einen strategisch günstigen Vorposten ab, ideal für die Anlage einer Befestigung. Rechts und links des Felsens, der jäh und steil abfällt, tost das Meer an die Klippen und schäumt weiß am azurblauen Strand. Linker Hand hat ein Felsdurchbruch einen geschützten natürlichen Hafen geschaffen, der mehreren Triremen Platz geboten hat. Wenn die See allerdings rauh gimg, war nach meinem Dafürhalten weder die Aus- noch Einfahrt möglich. Der Zugang zur Festung, die griechischen Ursprungs sein dürfte, führt durch dichtes Gestrüpp, ist aber als solcher nicht sonderlich beschwerlich, d.h. man muß nicht klettern, um hinaufzukommen. Das feuchte Gras erhöht allerdings die Gefahr des Abrutschens. Wild und unheimlich ist es hier heroben wie überall ringsum, wie muß sich das erst bei stürmischer See ausnehmen? Tausendfach tost das wogende Meer, und in das Kreischen der Seevögel mischt sich das Rauschen der Brandung tief unter uns. Die vorgelagerte Küste wirkt bizarr, beinahe gespenstisch in neblig-gelben Pastellfarben. Die Mauerreste selbst sind allerdings nur mehr wenig beeindruckend. Auch auf den beiden Nachbarfelsen, die zusammengewachsen sind, finden sich Reste von umgestürzten Säulen, ein Hinweis darauf, daß dort einst ein Tempel gestanden hat. Zwei Jünglinge, die einen Packesel führen, sind die einzigen, die mir begegnen. Einsam ist es hier, aber schauderlich schön. So unheilgeschwängert wie die Herfahrt verläuft auch die Rückfahrt. Um die übrigen Ruinen kümmern wir uns kaum, wir lassen sie daher links liegen. Es gäbe nämlich noch zwei weitere Ruinenstätten am Weg, doch kann man nicht alles visitieren, zu welchem Behufe wir nicht hierherkamen. Wir müssen uns auf das Wesentliche beschränken, denn es gibt noch genug bedeutendere Orte. Dazu gehört ganz sicher Selinous, das wir als nächstes erreichen. In einer Schwemmlandebene, wo ein dem Namen nach unbedeutender Fluß sich ins Meer ergießt, steht auf dem isolierten Vorgebirge Seli ein festes Kastell hoch oben über der ehemals phönizischen Gründung. Sie ist berühmt geworden, weil hier im Jahre 117 n. Chr. Kaiser Trajan auf seiner Rückkehr vom Partherfeldzug verstarb. Zum Kastell hinauf führt eine Treppe, die den Aufstieg um einiges erleichtert. Jäh stürzt der Fels nach der andern Seite ins Meer. Den gesamten Westhang des Burghügels zog sich eine vieltürmige Stadtmauer hinauf. Die alten Ausmaße der Stadt lassen sich nur schwer erahnen, denn das Gelände ist, wie immer in solchen Fällen, von türkischen Familien bewohnt. Die Tomaten scheinen in der Tat desto besser zu gedeihen, je altehrwürdiger eine Ausgrabungsstätte ist. Im Hafenbecken, auf das man von der Zitadelle herab einen wunderbaren Blick hat, ankert verloren eine Jacht. Die endlosen Strände scheinen von Menschen leergefegt, d.h. die wenigen Badenden verlieren sich an ihnen. Die heutige Stadt Gazipascha liegt ca. 3 km von der Küste entfernt im Hinterland, und das ist gut so. Schweißbedeckt komme ich zu unserem Fahrzeug zurück, aber mein Tatendrang läßt mich nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder müssen neue Ufer erreicht, neue Ziele gesteckt werden, und daran wird sich bis zum Ende der Reise auch kaum etwas ändern.
    Durch Alanya, wo uns die Touristen das Grausen lehren, fahren wir einfach hindurch. Erst hinter Manavgat kommt wieder etwas, was wir auf der Hinfahrt ausgelassen haben, das ist Seleukia. Dieses liegt in luftigen Höhen und ist nur über eine Landstraße zu erreichen. Daher ist auch hier niemand anzutreffen, als wir ankommen. Nur ein Liebespaar scheint sich in den dunklen Wäldern verirrt zu haben. Die gesamte Ruinenstätte ist nahezu vollständig von lichtem Lärchenbestand überwachsen. Die Sonne fällt zu dieser Abendstunde schon ganz waagrecht ein und taucht den dunklen Fels in weiches, mildes Licht. Am Himmel hat sich der Dunst aufgelöst, so daß das Grün der Lärchennadeln jetzt härter wirkt als am Tage. Die Ruinen liegen verstreut im weiten Umkreis über den ganzen Berg verteilt. Niemand kann mehr sagen, welchem Zweck sie einmal gedient haben. Die Agora jedenfalls hat die Zeiten gut überdauert, und auch ein Teil der Kolonnadenstraße steht noch. Das Theater suche ich vergeblich, aber dafür finden wir die Thermen. Es kann nicht sein, daß eine beliebige griechische Stadt kein Theater habe, auch an weiterem Baumaterial hätte es sicher nicht gefehlt. Die Natur selbst hat hier aus Konglomeratgestein Bauten geschaffen und dabei märchenhafte Gebilde zustande kommen lassen. Wie verzaubert erscheint diese Welt, als ob man im dichten Dschungel alte Maya-Tempel wiederentdecken und ausgraben würde. Man ist bei seiner Suche ganz auf sich allein gestellt. Es gibt keine Wegweiser, weder Hinweistafeln noch Erklärungen. Dort wo die Straße für ein gewöhnliches Fahrzeug nicht mehr fahrbar ist, läßt man sein Gefährt am besten stehen und legt den Rest zu Fuß zurück. Als weit und breit niemand mehr ist und die Sonne nur noch hinter Bergkuppen hervorblinzelt, wird es Zeit für uns, daß wir uns in Sicherheit bringen und dem dunkler werdenden Wald entfliehen. Zu groß ist die Gefahr des Stolperns und Ausrutschens auf den glatten Lärchennadeln. Wieder hat ein Tag völlig unerwartet neue Höhepunkte gebracht und die Seele in Taumel versetzt. Da ist es nur allzu begreiflich, daß wir uns mit Rückkehrgedanken tragen, auf einen früheren Flug umbuchen wollen. Zu gewaltig stürzen die Ereignisse auf uns ein. All das, was wir in nur zwölf Tagen gesehen haben, übersteigt, was ein Mensch in dieser Zeit zu verarbeiten imstande ist.
    Dort, wo das Gebirge westlich von Antalya ans Meer herantritt, verlassen wir Pamphylien und betreten lykischen Boden. Die erste Stadt, auf die wir treffen, ist Phaselis. Sie liegt direkt am Meer und hat Zugang zu drei Buchten, unter denen eine der sogenannte alte Kriegshafen ist, wo einst die griechischen und römischen Dreiruderer festmachten. Der Aquädukt tritt bis ans Meer heran. Er führte frisches Wasser aus den bewaldeten und hochaufragenden lykischen Bergen heran, die den Ort, wäre da nicht das Meer, mit einer gewissen Enge umgeben. Zu besichtigen gibt es das antike Theater, eine gepflasterte Hafenstraße sowie die sonstigen üblichen Bauten, die man in griechisch-römischen Städten antrifft. Die wesentlich flachere Badebucht bietet gute und geschützte Ankerplätze für Jachten, allerdings gibt es keine Marina dort, und ein Landgang, außer eben zu den Ruinen, wird wenig bringen. Mithin eine Idylle zum Faulenzen, wo man aber, will man nicht vor Müßiggang umkommen, nicht allzulang verweilen wird. Der nächste Ort, den wir aufsuchen, ist Chimära, welches man von der in große Höhen sich aufschwingenden Küstenstraße nur wieder in schwindelerregender Talfahrt erreicht. Am Ende einer von steilen Anhöhen eingeschlossenen Küstenebene kommt man zu einem Parkplatz, von dem ein Weg in 15 Minuten hinauf nach dem sagenumwobenen Chimära führt. Die Chimäre soll ein feuerspeiendes Ungeheuer gewesen sein mit dem Kopf eines Löwen, den Greifen eines Adlers und dem Schwanz eines Krokodils. Homer erzählt in der Ilias den Mythos von Bellerophontes, welcher der Chimära ein grausiges Ende bereitete. Seit fast drei Jahrtausenden treten am Hang aus zahlreichen Erdspalten brennbare Gase aus, was die Griechen dazu veranlaßt hat, hier ihrem Hephästos, dem Gott des Feuers und der Schmiedekunst, einen Tempel zu errichten. Auf den Ruinen dieses Tempels wurde in christlicher Zeit eine byzantinische Kirche erbaut. Die Athleten entzündeten aus Anlaß der olympischen Spiele dort ihre Fackeln und trugen das olympische Feuer hinab in die Stadt Olympos. Hier fanden die ersten olympischen Spiele auf kleinasiatischem Boden statt. Auf dem Berg über Chimära, dem man den Namen Olympos gab, vermutete man in der Antike den Sitz des Zeus. Es muß für die antiken Seefahrer gespenstisch gewesen sein, wenn sie draußen auf See mitten in der Steilwand eines Berges lodernde Flammen brennen sahen. Die Zusammensetzung der Gase ist bis heute nicht vollständig geklärt, ein Bestandteil soll aber Methan sein. Mir war allerdings, nach dem schweißtreibenden Anstieg über den felsigen Pfad, als wäre ich dort inmitten der züngelnden Flammen leicht benommen gewesen. Nach solch mystischen Erlebnissen zieht es uns wie magisch ans Meer, wo sich bereits Bootsausflügler aus Antalya in der Sonne aalen. Hier liegt die antike Stadt Olympos, von der oben die Rede war. Man erreicht sie nur durch tiefen Sand watend. Zu gerne möchte man sich als Mann den gutgebauten Frauen zugesellen, die dort nach den Herren der Schöpfung Ausschau halten, doch bin ich gehalten, der Antike den Vorrang einzuräumen. Bademöglichkeiten gibt es nämlich an allen Stränden im Land, solch erhabene Stätten aber nicht überall! Man läuft vom Meer weg direkt in ein enges, schilfbestandenes und von hohen Wänden umschlossenes Tal hinein, das gerade im vollen Saft des Frühlings steht, während seine Fruchtbarkeit durch die markanten Felskegel ringsum noch eine Steigerung erfährt. Alles sprießt, rauscht, plätschert, wo man auch hinsieht. Blumenteppiche überziehen die enge Schlucht, es ist wie in einem lichtdurchfluteten Hain, und die Halme des Schilfs wiegen sich im Einklang mit den Wogen des Meeres. Nur der Mensch stört dieses Paradies. Dort wo die Wege flach sind, mißfällt er zuhauf, weil er durch sein lärmendes Betragen den Ort seiner Ruhe beraubt, allein auf die Akropolis, wo es am allerschönsten ist, will keiner hinauf, dort ist man mit sich und der Welt allein. Die unten aus den Booten aussteigen, um mit ihren Füßen den Boden, den sie betreten, zu entehren, mich gehen sie dort droben auf dem Felsen gar nichts an. Wie Ameisen so klein sehen sie aus, und sie tummeln sich hurtig. Von der anderen Seite herüber grüßt das mittelalterliche, von Seeräubern angelegte Kastell, oder wie sonst sollte man genuesische Kaufleute bezeichnen, die eine Handelsniederlassung zu gründen die Levante zu plündern kamen. Wie ein schmaler weißer Saum zieht sich der Strand über hunderte von Metern in die Länge, hoch von der Steilküste überragt. Am Abend werden hier die Lagerfeuer aufflammen. Ein Geheimtip für alle Segler, die in dieser ehemaligen Seeräuberbucht vor Anker gehen!
    Weiter führt die Fahrt, zuerst nach Kumluca, wo ich Geld abheben muß. Das Prozedere mit dem Eintauschen der Traveller‘s cheques dauert hier nicht ganz so lange wie in Südostanatolien, doch erscheinen mir die Schalterangestellten hier auch nicht wesentlich flexibler. Dieses Kribbeln befällt mich jedesmal aufs neue, wenn ich am Schalter Geldgeschäfte abwickle und dabei eine Traube von Menschen im Nacken stehen habe, die überhaupt keine Diskretion zu kennen scheinen, sondern mir neugierig über die Schulter blicken, ins Portemonnaie und in die Phototasche, die ich ab und zu öffnen muß, mit großen Augen in meinen Paß schauen und mich so dicht belagern, daß ich nicht umhin kann, ihren Schweißgeruch einzuatmen. Meine äußerste Aufmerksamkeit gilt meinem Geldbeutel, meinen Knöpfen und Reißverschlüssen, obwohl ich mir immer wieder logisch klarmache, daß diese Leute hier ehrlicher sind als die, die ich von daheim kenne.
    Die Weiterfahrt führt uns am mondänen Jachthafen von Finike vorbei, immer längs der Küstenstraße, die direkt über dem Meer verläuft und immer wieder mit reizvollen Badebuchten aufwartet, mit azurblauem Wasser und weißen Sandstränden. Bei der Stadt Kale liegt, wie der Name schon sagt, eine Burg hoch auf einem Felsen, und die Abzweigung führt nach Myra, wo der heilige Nikolaus herstammt. Auch Paulus hat sich hier aufgehalten. Von der antiken Stadt ist noch ein gut erhaltenes Theater geblieben, das sich direkt an die steilen Felswände lehnt. Darüber befinden sich zahlreiche lykische Felsengräber. Die alten Lykier hatten nämlich durchaus sonderbare Jenseitsvorstellungen, über die nicht viel bekannt ist. In einiger Entfernung zur Stadt befindet sich der alte Hafen Myras, Andriakae, der heute weitgehend versumpft ist. Dennoch sind die Reste so unbedeutend nicht, wie es in manchen Reiseführern dargestellt wird. Die meisten Gebäude sind noch gar nicht richtig ausgegraben, vieles ist von Sanddünen zugeschüttet. Ein Bauwerk, das wegen seiner Monumentalität Beachtung findet, ist ein Tempel, aus gewaltigen Quadern errichtet, der am Fries die folgende Inschrift trägt: HORREA ... CAESARIS DIVI TRAIANI PARTHICI. Vermutlich war er dem zu einem Gott erhobenen Kaiser Trajan geweiht, nachdem dieser auf der Rückreise vom Partherfeldzug in Selinous, wie wir oben gehört haben, gestorben war. – Nirgends wird man jemals so viele und so große Spinnen erleben wie in Andriakae, d.h. aber auch, daß diese Ruinen schon lange keiner mehr aufgesucht hat. Immer wieder sind wir gezwungen, Spinnweben aufzutrennen, die ein Herauskommen aus dem Dickicht behindern. Hunderte, Tausende von Spinnen sind um mich und über mir. Die größten Netze werfe ich mit Steinen frei. Natürlich weiß ich, daß Spinnen geschützt sind und vom Aussterben bedroht, doch wer würde wohl weite, halsbrecherische Umwege in Kauf nehmen, nur um es einer Spinne zu ersparen, sich ein neues Netz ziehen zu müssen. Die Sonne steht nun schon waagrecht, so daß ich mir den Marsch auf die Akropolis verkneifen muß, damit wir noch vor Einbruch der Dunkelheit Kasch erreichen, das antike Antiphellos. Von den Höhen des lykischen Gebirges steigen wir herab, auf gut ausgebauter Straße, die in zahlreichen Kehren an den malerischen, in eine Inselwelt eingebetteten Hafen führt. Hierher müssen wir gesondert noch einmal kommen. Zwei Dutzend antike Stätten liegen im Umkreis des Ortes, zu viel für uns, um alle am letzten verbleibenden Tag aufzusuchen. Mein Herz schlägt für Xanthos, aber dieses bleibt dem morgigen Tag vorbehalten.
    Nach einer Übernachtung in einem äußerst bescheidenen Quartier brechen wir zeitig am Morgen auf. Der Himmel ist wolkenlos, und die Fahrt längs der lykischen Steilküste scheint vielversprechend. Vorbei an Kalkan, einem malerischen Hafenstädtchen mit mondäner Marina, taucht beim Ort Kinik der Wegweiser "Xanthos" auf. An der Abzweigung nach Patara stoppt uns eine Anhalterin, und ich hätte sie in ihrer dünnen Bluse auch mitgenommen, wenn sie sich ein bißchen mehr für Kultur interessiert hätte. Doch sie will nach Fethiye, Xanthos kennt sie gar nicht. - Der Burgberg von Xanthos liegt an einer Schleife des gleichnamigen Flusses und bietet bei klarer Sicht einen weiten Blick über die fruchtbare Schwemmlandebene, wo heute in unzähligen Treibhäusern unendlich viele Tomaten gezüchtet werden. Die gesamte Türkei wäre wahrscheinlich nicht in der Lage, diese vielen Tomaten zu verzehren - man ißt sie hierzulande mit Messer und Gabel -, also können sie nur für den Export bestimmt sein. Damit der vitamingeplagte Europäer jahrein jahraus seine geliebten wässrigen Tomaten verzehren kann, müssen großflächige Landschaften durch Treibhäuser entstellt werden. Überall stoßen einem diese Glashäuser und Plastikplanen, die jedes Photo verderben, auf. Wenn das die einzigen Produkte sind, mit denen die Türkei der Europäischen Union beitreten will, so kann man darüber nur den Kopf schütteln. Es wird kaum ausreichen, nur Tomaten in riesigen Mengen zu produzieren oder aus Bauwut ganze Berge abzutragen, damit für Touristen immer mehr häßliche Betonbauten entstehen. Zurück zu Xanthos: Die alte Stadtmauer bezog auch die Nekropole mit ein, ihr Verlauf kann noch gut bis über den Akropolishügel verfolgt werden. Von oben hat man einen besonders schönen Blick auf das Theater aus römischer Zeit. Die Lykier waren ein nichtgriechisches indogermanisches Volk mit einer eigenen Sprache. Sie kämpften im Trojanischen Krieg auf Seiten der Trojaner. Neben dem Theater sind es wieder die Felsgräber, die Beachtung finden, darunter das sogenannte Harpyiengrab. Die Toten wurden stets an den Felswänden beigesetzt oder auf hohen Stelen, wobei man den Sarkophag mit den Graburnen zuoberst plazierte. Man dachte, daß die Seelen der Toten von vogelgleichen Wesen in die Unterwelt mitgenommen würden, daher sind alle Steilhänge in der Nähe ihrer Städte mit Grabnischen übersät, wobei die besonders schönen Gräber sogar skulptierte Verzierungen aufweisen. - In Xanthos ereignete sich während des Persereinfalls unter Harpagos ein kollektiver Suizid, ähnlich dem in Massada. Die Lykier töteten zuerst ihre Frauen und Kinder und schworen dann einen fürchterlichen Eid. Sie traten dem überlegenen Feind vor der Stadt entgegen und starben den Heldentod, wobei sie bis zum letzten Mann kämpften. So wenigstens berichtet es Herodot. Längst abgewaschen ist das Blut von den Steinen, und noch immer nimmt der Xanthos seinen alten Lauf. Man spürt allenthalben die Erhabenheit dieses Ortes, den so berühmte Persönlichkeiten wie Brutus der Cäsarmörder aufgesucht haben, um hier Geld für den Kampf gegen Marcus Antonius einzufordern.
    Unweit Xanthos liegt das Letoon, das Hauptheiligtum der Lykier, etwas ferner den Bergen, ohne schützenden Burghügel. Da es ein Theater besaß, muß es nahe seinen drei Tempeln, die Leto, Apollon und Artemis geweiht waren, auch eine Stadtanlage besessen haben. Doch nichts davon ist ausgegraben, und selbst wenn man hier graben wollte, müßte man zuvor die türkischen Bauern vertreiben, denn die süßesten Früchte wachsen bekanntlich auf alten Ruinen. Hier scheint die Devise zu gelten: Heißt du den Besucher willkommen, so begrüße ihn ehrerbietig mit Kuhfladen und Ziegendung! Einen schwachen Trost bieten die vielen griechischen Landschildkröten, über die man immer wieder stolpert. Und die Tempel stehen heute so tief im Wasser, daß es eine Lust für die Seele ist, die Frösche dort quaken zu hören.
    Wem Xanthos und das Letoon noch nicht genügen, der kann wie wir über Patara weiterfahren, das wir oben bereits erwähnten. Hier ist die Eintrittsgebühr sehr hoch, aber es lohnt sich. Patara war der Hafen von Xanthos, und sein Schicksal war besiegelt in dem Moment, wo er versandete. Heute wächst Schilf an der Stelle des alten Hafens, der teils Lagune ist, teils Sumpf. Die von den Badegästen so geschätzten Sanddünen haben das Schicksal der Stadt besiegelt. Auch den Schicksalsspruch des Theaters von Patara haben die Sanddünen gefällt: Sand, soweit das Auge reicht, und es ist menschenleer hier. Wie kulturbeflissen muß ein Volk gewesen sein, das in so enger Nachbarschaft gleich drei große Theater besessen hat! nicht wie heutzutage, wo jedes kleine Dorf nur eine Videothek hat. Die Scharen der wie Pilger zum Heiligtum zum Bade Schreitenden ziehen vorbei, als hätten sie Angst, in den Sümpfen zu versinken. Dabei ist dies das wahre Leben: Stein für Stein in die Hand zu nehmen, umzudrehen, von allen Seiten zu begutachten, immer neue Bauwerke, auch wenn sie von Grün überwuchert sind, auszukundschaften und sich immer weiter hineinzuwagen ins Unbekannte, bei jeden Tritt aufpassen zu müssen, daß man nicht unversehens in einem Loch verschwindet. Nie war mir bisher aufgefallen, wie schön lila die Disteln blühen, jene stechenden Gefährten. Und zu allem Entzücken stehen wir vor einem formvollendeten Hadriansbogen. Trümmer der Kolonnadenstraße, die einst vom Hafenbecken direkt zum Theater führte, vermitteln die Illusion, als befände man sich in einer mit Marmorfußböden ausgelegten Einkaufszone. Es ist nun des weitern Weges zu weit, zu sehr giert die durstige Kehle nach Flüssigem, verhindert, wie im Rausche immer weiter hineingezogen zu werden in den Sumpf. Dabei ruft sich mir der Name Apollonia in Erinnerung. War nicht auch diese Stadt hier ganz in der Nähe? Wir beginnen sie zu suchen, fahren auf die Kekova-Halbinsel hinab, doch dort sagt man uns, es sei zum Gehen zu weit  und könne außerdem nur zu Fuß erreicht werden. Die Bucht von Kekova ist nämlich einzigartig unter den Buchten, eine Reihe aufs malerischste wie zu einer Perlenkette aufgereihter Eilande, herausragend unter den Inseln des Lichts. Eine gut ausgebaute Zubringerstraße führt von der Küstenstraße hinab, bis man nach etwa zwanzig Kilometern den Ort Kaleüçagiz erreicht. Die kleine Ansiedlung hat sich zum Touristenanziehungspunkt gemausert. Im Hafen liegen massenhaft bunte Fischerboote und warten auf Ausflugsgäste. Doch derer gibt es wenige. Eine Wolke hat sich vor die Sonne geschoben, so daß wir die Zeit nutzen, fangfrischen Fisch zu probieren, und ich muß sagen, er schmeckt ausgezeichnet. Im Hintergrund schaut ein mittelalterliches Kastell herüber. Man kann aus der Ferne aber nicht erkennen, ob es genuesischer Herkunft ist oder ob die Ritter vom heiligen Johannes hier eine Ordensburg anlegen ließen. Nach ihrer Vertreibung aus dem Heiligen Land, mit Zwischenaufenthalt auf Zypern, haben sich die Hospitaliter auf Rhodos eine dauerhafte Bleibe gesucht, die bis zu ihrer gänzlichen Vertreibung immerhin noch einige Jahrhunderte währte, während derer die rhodischen Ritter zum Schrecken des östlichen Mittelmeers wurden. Mit dem Rammsporn ihrer Galeeren bohrten sie die feindlichen Schiffe auf den Grund des Meeres, und an die Ruderbänke gekettet wurden muselmanische Sklaven gegen ihre eigenen Leute eingesetzt, womit ihnen für ihren Unglauben die gerechte Strafe zuteil wurde. Erst mit dem Fall Konstantinopels waren die Kreuzzüge wirklich vorbei. - Ein drohendes Gewitter beschert uns einige Regentropfen, die ersten nach zwei Wochen. Dafür klart die Luft über der See nun auf, und man kann alle Inseln und Vorgebirge aufs schärfste sich abzeichnen sehen. Eine bizarre Landschaft von Blautönen! Es muß nicht besonders erwähnt werden, wie lichtblau das Wasser, von Gischt gekrönt, unter Wogen in einige der Buchten rollt, türkis, grünlich, laugenbleich schimmernd, und so manch einer nutzt die Gelegenheit, die Sonne dort anzubeten. Durch eine herrlich klare Gebirgslandschaft kommen wir zurück nach Attaleia, wo unsere Rundreise denn auch endet. Hier schiffte sich König Ludwig IX. von Frankreich, der Heilige, auf seinem Weg ins Morgenland ein.
    Wieder bricht ein strahlend schöner Tag an, welcher der letzte auf dieser 15tägigen Reise sein sollte. Es verbleibt uns noch, Ziele in der unmittelbaren Umgebung Antalyas aufzusuchen, wenngleich ich diese Stätten schon kenne. Der morgendlich blasse Himmel bietet sich geradezu an, nach Termessos hinaufzufahren, einer ehemals griechischen Stadt, die schon zu Pisidien gehört. Sie liegt achthundert Meter über dem Meerespiegel, die Nekropole nochmals um zweihundert Meter höher. In vielen Kehren schlängelt sich die Straße bergauf, durch gelb blühenden Ginster und Wälder, überreich an langnadligen Lärchen und Pinien. Der Parkwächter will mit uns hinauffahren. Dafür zahlen wir denn auch nicht eine Lira Eintritt. Er spricht Deutsch und erweist sich als überaus hilfsbereit, wenngleich ich ihm gesagt habe, daß ich schon einmal hier war, wenn auch nur kurz. Somit haben wir jetzt ausgiebig Zeit, damit ich mir alles noch einmal in aller Ruhe ansehen kann. Noch ist kein Mensch hier heroben in den rauhen Bergen, wo uns ein frischer Wind entgegenbläst, welcher vom Meer her kommt. Noch am Strand hätte er uns beinahe den Frühstücksteller abgeräumt. Dafür ist die Sicht aufs Gebirge, das noch immer schneebedeckt ist, frei von Wolken, die der Wind ins Hinterland treibt. Die gleiche majestätische Bergwelt tut sich auf, als wir den beschwerlichen Aufstieg beginnen. Termessos will erobert sein. Bereits die alten Griechen mußten alles dort hinaufschleppen, denn auf den Bergen gibt es absolut nichts, weder Felder noch Wasser. Letzteres mußte in riesigen Zisternen aufgefangen werden, die sich direkt unter der Agora befanden. Die reichlichen Winterregen trugen zu deren Füllung bei. Die antiken Ruinen sind durchweg von hohem Baum- und Buschbewuchs überzogen. Die wenigen Wege, die es gibt, werden von Disteln gesäumt, so daß ein Durchkommen nur mit langärmligen Hosen möglich ist. Gebückte Haltung ist beinahe überall angesagt, wenn man nicht andauernd mit dem Kopf gegen die Äste schlagen will. Die wenigen Ruinen, die verblieben sind, sind schnell erkundet: das Theater, das Odeion, der Tempel des Zeus Soluman, die Stadttore und -mauern aus riesigen hellgrauen Kalksteinquadern. Was mir beim letzten Mal entging, soll diesmal nicht ausgespart bleiben, nämlich die Nekropole, das ist die Totenstadt mit ihren Grüften. Riesige Steinsarkophage überziehen den gesamten Berghang zur Rechten wie zur Linken auf dem Weg hinauf zur Akropolis, Sarkophage so groß, daß leicht fünf bis zehn Menschen darin Platz gefunden hätten. Alle sind sehr einheitlich gestaltet in ihrem Schmuck; der schönste, den wir gesehen haben, ist mit zwei einander zugewandten Löwen geschmückt. Sie alle tragen Inschriften, ob arm ob reich, vermag heute niemand mehr zu sagen. Durch lichter werdendes Gestrüpp bahne ich mir den Weg nach oben, dem Lichte zu. Immer kleiner werden die Ruinen, die nur mehr wie vereinzelte Reste aus dem dichten Wald herausragen. Diese Landschaft hat sehr viel mit Machu Picchu gemein, nur die Vegetation sowie die Art des Gesteins sind anders. Natürlich gibt es hier auch keine Lianen, an denen man sich festhalten könnte. Mehrmals rutsche ich auf dem losen Schotter aus, dabei breche ich mir fast das Genick. Die exponierte Stelle, von der ich mir einen idealen Standpunkt verspreche, um das Theatron aus der Vogelperspektive zu photographieren, läßt sich nur quer durch die pure wilde Natur erreichen. Überall wimmelt es nur so von geöffneten Sarkophagen. Hier scheint ein Erdbeben tonnenschwere Quader aufeinandergeworfen zu haben. Wer wohl käme bei uns auf die Idee, sich seinen Weg durch einen Friedhof zu bahnen? Man soll die Ruhe der Toten nicht stören, das tun nur Verrückte. Hier aber entwickelt sich das Verrückte zum Rausch, der Rausch zum Verhängnis, ein unsteter Drang ist es, der uns antreibt; und schließlich bin ich am Ende der Totenstadt angelangt, auf einem der Gipfel über Termessos. So unheimlich wie der Weg hinauf ist der Weg hinab. Es bietet sich eine Abkürzungsmöglichkeit, zwischen Sarkophagen hindurch, über Sarkophage hinüber, mein Auge quillt über davon! Wohlan, könnten helmbewehrte Hopliten von den Toten auferstehn und uns von ihren Heldentaten singen! Die Zeiten waren voll der Fährnisse, und überall herrschte der Krieg. Die Höhe und Stärke der Mauern sind ein Maß für die Angst, welcher die Menschen jener Zeit ausgesetzt waren. Untergegangen ist Termessos, von Homer besungen. Quälender Durst bringt mich zu unserem Fahrzeug zurück. Wahrlich, wenn der Körper an seine Grenzen gerät, beginnen die Sinne zu taumeln. Zurück auf dem Parkplatz, entschwinden die Träume, und die Ernüchterung kehrt ein. Dem Parkplatzwächter winken wir noch ein letztes Mal zu, dann dröhnen die Motoren in den engen Schluchten ringsum.
    Nun wenden wir uns östlich und versuchen noch nach Perge zu kommen, einer einstmals bedeutenden Stadt in Pamphylien. Mächtige Teile der Anlage sind noch erhalten, vor allem das berühmte Stadttor, genauer gesagt seine Reste, die gewissermaßen das Wahrzeichen Perges darstellen. Gleich am Eingang steht das Theater; es wird derzeit restauriert und kann nicht betreten werden. Sodann folgt das Stadion, in dem einstmals die Wagenrennen ausgetragen wurden und Tierhetzen stattfanden. Auch Teile der Stadtmauer sind in gutem Erhaltungszustand, nicht zu übersehen die einzigartige Kolonnadenstraße. Ich erklimme das Stadttor, weil ich mir von oben sensationelle Aufnahmen erhoffe. Niemand hindert mich daran, kein Aufpasser, der mich zur Ordnung ruft. Lediglich ein paar Touristen wundern sich, wonach der dort oben wohl sucht. Was für die meisten antiken Stätten gilt, gilt insbesondere auch für Perge. Wer außerhalb der Hauptruinen angesiedelte Reste aufsucht, muß sich seinen Weg durch das jetzt im Frühling im vollen Saft stehende hohe Gras bahnen. Meine Kleidung hat bereits gelitten, ich bin schmutzig von oben bis unten, habe keine sauberen Sachen mehr; meine Schuhe sind aufgerissen, von den Hunden zerbissen. Am Abend müssen wir das Fahrzeug zurückgeben. Dreitausend Kilometer sind wir gefahren, ohne Panne und ohne erkennbaren Schaden, die gesamte kilikische Küste entlang, Pamphylien weit hinter uns lassend, bis wir kurz vor dem Euphrat standen, und längs der lykischen Küste sind wir fast bis Fethiye gekommen. Es war eine große Reise, geprägt von unvergessenen Eindrücken, die dicht gedrängt wie Blitzgewitter aufeinanderfolgten. Was ich mitgenommen habe von dieser Reise, das steht in diesem Bericht.
    Als wir am Flughafen eintreffen, will man noch immer keine Fahrzeugreservierung erhalten haben und uns ein weiteres Mal abkassieren, aber ich weigere mich zu bezahlen. Wieder vergehen zwei Stunden, bis ich die Überzeugungsarbeit geleistet habe, daß alles seine Richtigkeit habe. Nirgendwo im ganzen Land haben wir Probleme gehabt, es sei denn mit einem deutschen Touristikunternehmen und einem renommierten Autoverleiher. Wie ein Händler auf dem Basar bin ich mir vorgekommen, und als ich nach dem Einchecken den Dicken hinter mir herrennen sehe, wie er mit den beiden blanko ausgestellten Kreditkartenbelegen winkt und auf mich zukommt, sich entschuldigt und mir die Hand drückt, da habe ich fast ein wenig Mitleid.

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