»Die Träume unseres Daseins legen sich wie ein Schleier um unser Haupt, wenn über Bora Bora leuchtend die Sonne versinkt, und schnell wird es dunkel und still, ohne daß uns fröstelt, bis auf das ewige Rauschen der Brandung draußen vor dem Atoll.«

 

 

 

 

 

 

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IM GARTEN DER IRDISCHEN LÜSTE

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EIN SEGELTÖRN DURCH FRANZÖSISCH-POLYNESIEN

Reiseberichte.com

Es war die Zeit, da im Mittleren Osten die ersten Hochkulturen schon wieder zu verblühen begannen und der Stern von rweil der Mensch in seinem knapper werdenden Lebensraum überhand nahm und nach neuen Ufern Ausschau hielt. In den weiten Raum Südostasiens stießen von Norden her palämongolide Gruppen vor und bedrängten die dortigen Europiden hart, so daß diese, wollten sie nicht in Abhängigkeit geraten, hinaus aufs offene Meer weichen mußten. Manches Palämongolide nahmen sie auf ihrer Reise mit, die nunmehr beginnen sollte, denn sie schickten sich an, Boote auszurüsten und in die Weiten des Pazifiks hinauszusteuern, wohin ihre Feinde ihnen nicht folgen konnten. Von den Küsten Taiwans und den Philippinen waren sie gekommen, ihre neue Heimat, den Großen, den Stillen Ozean zu besiedeln, Insel für Insel sich immer weiter hinaustastend ins endlos schäumende Meer. Stürme und heftige Regengüsse konnten ihnen nichts anhaben, zu sehr saß die Angst vor ihren Feinden ihnen im Nacken. Melanesien und die Gestade Papua-Neuguineas, voll unbekannter feindseliger Völker, links liegen lassend gelangten sie zuerst nach Fidschi, sodann nach Tonga und Samoa und von dort zu den Cook-Inseln sowie auf die Marquesas. Neuseeland wurde erst Mitte des 14. Jahrhunderts besiedelt, von Raritonga aus, der größten der Cook-Inseln.

Und wer kennt sie nicht, die Geschichten von Jules Vernes „In achtzig Tagen um die Welt“ und die darin geschilderten Begebnisse beim Überschreiten der Datumsgrenze? So mag es auch dem modernen Reisenden ergehen, der heutigentags mit Großraumflugzeugen die gleiche Strecke in ungleich kürzerer Zeit zurücklegt, aber dennoch nach gut zwei Tagen ununterbrochenen Wachens nicht mehr weiß, welches Datum vorliegt, geschweige denn in seinem Zustand noch angeben kann, ob er die Datumsgrenze schon überschritten hat. Die Flugroute nach Los Angeles, dem Sprungbrett in den Pazifik, folgt weitgehend dem Großkreis, und der führt über Island, Grönland, die Davisstraße und Buffin Island und dann die amerikanische Westküste hinab nach Kalifornien. Wir haben Glück mit dem Wetter und können bei wolkenlosem Himmel und strahlendem Sonnenschein die tief verschneiten Bergzüge und die gigantischen Eiswüsten Grönlands bewundern. Das Treibeis auf der Davisstraße ermöglicht um diese Jahreszeit noch kein Durchkommen. Wie mag es wohl Reinhard ergangen sein, der mit seiner Crew schon aufgebrochen sein dürfte, die Nordwestpassage zu durchqueren? Er hat mich von dieser Pionierreise ausgeschlossen, und genau das ist der Grund, warum ich mir ein anderes Reiseziel gewählt habe – die gänzlich konträre Südsee.

Nach unendlichen Schikanen durch die amerikanischen Einwanderungsbehörden, die das bislang erfolgreichste Sicherheitskonzept entdeckt haben – welches zwar das Problem des Terrorismus nicht löst, die Amerikaner aber durch ihr Festhalten an Israel weiterhin zum verhaßtesten aller Völker auf dem Erdkreis macht –, steige ich kurz vor Mitternacht, in einem seltsamen Zustand zwischen Wachen und Schlafen, in die Maschine, die uns in gut acht Stunden nach Papeete bringt. Eigentlich müßte eine derart lange Flugzeit unser ökologisches Gewissen wachrütteln, daher wundert mich, wie viele Menschen durch einfaches Hin- und Herreisen, immer noch völlig unbeeindruckt von der Menge des Kohlendioxids, das sie dabei in die Luft blasen, kräftig auf ihre Selbstzerstörung hinarbeiten, denn sie wollen einfach nicht einsehen, daß sie ihren Beitrag durch gewöhnliches Daheimbleiben leisten können. Alle scheinen sich auf Wanderschaft zu befinden, um die Industrieländer, denen sie ungebremst zuströmen, in noch größere Not zu bringen, und letztere scheinen noch immer nicht begriffen zu haben, daß sie immer höhere Kredite aufnehmen müssen, um jene in Brot und Arbeit zu bringen.

Nach etlichen Umständen, die mir beim Einkauf im Duty free bereitet werden, sowie den Gefahren durch die Schweinegrippe, denen man durch Messung der Körpertemperatur zu begegnen versucht, werden wir auf dem Airport von Tahiti freundlich empfangen, mit Life-Musik und einer Blume, die uns allen zur Begrüßung angesteckt wird. Auch das weibliche Flughafenpersonal trägt, um seine Tradition stolz zur Schau zu tragen, Blumen im Haar. Die Temperaturen auf dem Flughafen sind relativ warm, obwohl noch nicht einmal die Sonne aufgegangen ist, und die Luftfeuchtigkeit ist noch erträglich.

Als Landessprache gilt natürlich Französisch, daneben hört man aber auch einheimische Sprachen recht häufig. Und es existiert eine eigene Landeswährung, der Polynesische Franc.

Auch körperlich bedeutet diese Reise eine Umstellung. Mein Bart ist durch das viele Trinken nur so gesprossen, doch ich fühle mich, obwohl ich mich nicht unbedingt als ausgeruht bezeichnen möchte, nicht so schlecht, wie man es aufgrund der zwölfstündigen Zeitverschiebung vielleicht vermuten möchte. Kaum, daß die Sonne aufgegangen ist, treten bizarr auch schon die wildzerklüfteten Berggipfel der Insel zutage.

Für die interinsularen Flüge stehen uns nagelneue Propellermaschinen des französischen Flugzeugbauers Aérospatîale zur Verfügung, deren Triebwerke kaum Lärm verursachen. Der Flug von Tahiti nach Raiatea dauert knappe 45 min. Noch im Landeanflug überfliegen wir die nördlich von Raiatea liegende Insel Tahaa, deren vorgelagerte Außenriffe einen herrlichen tiefblauen Saum um die Insel ziehen, eine tropisch-grüne Hölle einschließend, eine Landschaft wildester Vulkane, die von unten bis oben von dichtem Grün überwachsen ist.

Am Flughafen angekommen, miete ich einen Leihwagen an, um die nähere Umgebung zu erkunden. Die Insel selbst kann nahtlos auf Teerstraßen umfahren werden, ins Landesinnere, das völlig unbewohnt ist, stoßen jedoch kaum gangbare Wege vor, alles ist unberührt wie vor tausend Jahren, als die letzten Pazifikinseln von den Polynesiern in Besitz genommen wurden. Denn immer, wenn die Bevölkerung einer Insel gemessen an ihren Erträgen zu groß wurde, rüsteten die Polynesier Schiffe aus, um nach weiterem bewohnbarem Land zu suchen. Auf diese Weise betrieben sie über Jahrtausende hinweg die vollständige Kolonisierung des Pazifiks. Dadurch, daß von ihnen nicht die in Afrika praktizierte Brandrodung betrieben wurde, hat sich der Primärwald bis auf unsere Tage erhalten. Schlagartig wird uns dabei auch klar, daß der schwarze Mensch für Afrika kein Segen war, denn die Wälder hier sind unvergleichlich denen auf dem Schwarzen Kontinent, und auch die Rodungen sind auf den Küstenbereich beschränkt. Feldwirtschaft, wie sie bei uns gebräuchlich ist, kennt man auf den Inseln nicht, alles Getreide muß eingeführt werden, speziell um das in der französischen Küche unverzichtbare knusprige Weißbrot backen zu können, das heute die Haupternährungsgrundlage der Insulaner darstellt.

Raiatea ist nicht groß, höchste Erhebung ist der 1032 m hohe Berg Toomaru, der jedoch ständig unter Wolken ist, so daß wir sein wahres Aussehen niemals kennen. Vor der großen Inselrundfahrt suche ich noch schnell mein Hotel auf. Es ist auf Pfählen gebaut, ganz nach Art der Ureinwohner: luftiger hoher Innenraum, mit Palmwedeln gedecktes Dach, die Außenwandungen aus Bambus, die Trennwände aus Bast geflochten. Nur die Grundkonstruktion ist aus festem Holz gebaut, wie überhaupt die Kultur der Polynesier keine Metallverarbeitung kennt. Natürlich darf man von einer polynesischen Behausung nicht die üblichen europäischen Standards erwarten.

Nachdem wir, mit Blumen bekränzt, unseren Empfangscocktail geschlürft haben, starten wir zu unserer großen Inselerkundung, die sogleich großartige Ausblicke auf die grün überwucherten Bergspitzen eröffnet. In Raiatea Ort biegen wir ab zur Faaroa-Bucht, erklimmen eine Anhöhe und fahren auf der andern Seite durchs Faaroatal den Vaiatarau-Fluß zur Bucht Faatemu hinab. Über die Ortschaften Puohine und Opoa geht es an einigen Aussichtspunkten vorbei, wo sich immer wieder faszinierende Blicke auf die vorgelagerten Riffränder eröffnen. Nach einer erneuten Durchquerung des Inselinnern kehren wir über Fetuna, Vaiaau und Tehurui nach Tevaitoa und Uturoa zurück, ohne daß sich die Eindrücke nennenswert ändern. Es überkommt uns dabei das beklemmende Gefühl, daß es auf dieser Insel nichts sonst zu erleben gibt, als sich dem ungetrübten Bade- und Tauchgenuß hinzugeben. Markierte Wanderwege gibt es nicht, die Polynesier sind überhaupt keine Bergfreunde, von schönen Ausblicken, wie man sie nur auf einer Bergtour erleben kann, halten sie offenbar nichts. Keinen von ihnen hat es jemals gereizt, auf einem Gipfel zu stehen und dem Himmel ein Stück näher zu sein. Somit kann die Unberührtheit, Unerschlossenheit und Undurchdringlichkeit der Natur schnell zum inneren Rückzug führen, was zwar gut für die Artenvielfalt ist, aber schlecht für unser Gemüt.

Nach kaum acht Stunden haben wir nahezu alles erschlossen, was es zu erschließen gibt, und in den Niederungen unten am Meer kann man es bei dieser Durchmischung von Ursprünglichem mit Westlichem kaum aushalten. Das Verhältnis von Wert und Preis ist vollkommen unrealistisch, doch mag das daran liegen, daß man in Französisch-Polynesien keine Steuern zahlt. Der Staat finanziert sich ausschließlich aus den Abgaben, die er auf alles und jedes erhebt, und diese trägt, wie übrigens auch bei uns, nicht der Unternehmer, sondern sie werden auf den Konsumenten abgewälzt. Dies verteuert alle Waren und Dienstleistungen ungemein.

Am nächsten Morgen schließe ich mich mangels Möglichkeiten, meine Unternehmungen selbst zu gestalten, einer der in einem völligen Mißverhältnis zur erbrachten Leistung stehenden Ausflugsfahrten an. Nachdem sämtliche Teilnehmer wie von einem Lumpensammler aufgelesen worden sind, setzen wir mit unserem Schnellboot zur Insel Tahaa über, die noch unberührter ist als Raiatea. Ihre höchste Erhebung erreicht noch nicht einmal 500 m. Tahaa lebt neben dem Tourismus auch vom Export seiner Vanille, daher werden wir zunächst ins Vanille-Tal gebracht, wo wir uns die üblichen langatmigen Vorträge anhören müssen und solange festgehalten werden, bis hinreichend viele von uns Souvenirs gekauft haben. Danach geht es weiter zum Motu Mahaea zu einem kurzen Badestop. Dieses Inselchen ist Teil des Außenriffs und besitzt herrliche palmengesäumte Strände, mit dem typischen Flair einer ungetrübten Südsee-Idylle. Doch schon drängt unser Guide zum Aufbruch. Es handelt sich bei ihm um den typischen französischen Aussteiger: braungebrannt und voller Falten, mit langem ungepflegtem Haar. Er scheint mit einer Insulanerin verheiratet, jedenfalls dem Aussehen seiner Tochter nach zu urteilen, das so gar nicht zu dem seinen paßt. Er hat sie während der Tour an Bord geholt, damit sie uns begleite.

Und wie es auf solchen Reisen immer geht, bei denen stets das Kommerzielle mitschwingt, führt der nächste Abstecher zu einer Perlenzuchtfarm, wo uns ein Einheimischer einen Einführungsvortrag über diesen für die Insel typischen Erwerbszweig hält. Leider verstehe ich von dem in nicht ganz akzentfrei vorgetragenem Französisch nicht allzuviel, jedoch der Mann scheint kompetent und geschäftstüchtig, und wie nicht anders zu erwarten, werden wir mit Hinweis auf die besonders günstigen Konditionen zum Kauf der Perlen eingeladen. Wie viele von uns schließlich den Kaufanreizen erlegen sind, kann ich nicht beurteilen, ich glaube aber, viele waren es nicht.

Nachdem die Mittagszeit herangerückt ist, fahren wir zurück, woher wir zuletzt gekommen sind, zum Motu Toahotu, um dort das im Reisepreis inbegriffene traditionelle Mahl einzunehmen. Es handelt sich dabei um ein einfaches Essen, das nach Art der kreolischen Küche entweder lauwarm oder kalt serviert wird und ganz an die Karibik erinnert. Wem kalte Kartoffeln und die Yamsfrucht, dazu Kokosbrot, munden, den mögen diese kulinarischen Köstlichkeiten auf die landesübliche Lebensweise eingestimmt haben, mich für meinen Teil konnte außer zum Verzehr von Reis nichts so richtig ermuntern. Es muß sich jedoch um die Art Ernährung handeln, bei der man schlank bleibt, was bei mir wiederum Verwunderung hervorruft darüber, daß viele Polynesier dennoch so übergewichtig sind. Es muß an den geänderten Eßgewohnheiten liegen, denn wirklich schlanke Menschen findet man unter ihnen kaum. Vor allem die Leiber der Frauen wirken regelrecht aufgedunsen wie vollgesogene Schwämme. Die Männer hingegen haben wenig Muskulatur, dafür aber reichlich Bindegewebe. Die Nasen der Polynesierinnen erscheinen bisweilen recht fleischig, der Teint wirkt unvornehm bräunlich bis gelb, dazu die dunklen Augen und schwarzen Haare, und kaum ein Ausdruck von Sinnlichkeit im Blick. Dabei  ist diese Welt voller Sinnlichkeit: die Sonne, die Ruhe, die saubere Luft und das Meer steigern das Verlangen nach körperlicher Vereinigung ins Unermeßliche. Zwei junge Menschen könnten hier nächtelang unbeschwert ihren Lüsten und Begierden frönen, Knechte der Lust könnten sie sein.

Um unser Ausflugserlebnis noch zu steigern, jagen wir in unserem Schnellboot zum nördlichen Teil des Motus Tautau, die dortige Unterwasserwelt zu erkunden. Olivier, so heißt unser Chauffeur, kippt kleine Reste toter Fische ins Meer, um damit Scharen schillernder Korallenfische anzulocken. In allen Farben beginnt das Meer plötzlich zu leuchten, und vor unseren Augen, zum Greifen nah, tummeln sich die buntesten Fische in unüberschaubarer Zahl. Wer es etwa versäumt haben sollte, sich seine Tauchausrüstung mitzubringen, dem sind unvergessene Eindrücke entgangen, denn die Üppigkeit der tropischen Unterwasserfauna läßt sich kaum irgendwo besser erleben.

Von dem kleinen Eiland, dessen seichte Ufer wir durchwaten, bietet sich ein fantastischer Blick auf die wie eine Festung aus dem Meer aufsteigende Vulkaninsel Bora Bora. Seit jeher zog es mich wie magisch dorthin, wo unter den tosenden Urgewalten der Frühzeit der Gott des Meeres die Insel, die sich wie der Turmbau zu Babel gen Himmel erstreckt, dem Meer entriß. Dort muß auch der Sitz jenes unbekannten Gottes gewesen sein, denn nur dieser Ort ist heilig.

Als die Sonne zum abendlichen Bade ins Meer eintaucht, sind wir zurück, und mit einem leisen „Goodbye my friend“ streckt mir Olivier beim Abschied wehmutsvoll seine Hand entgegen. An einer üppig wuchernden tropischen Vegetation vorbei, Abhängen, die an die Hängenden Gärten der Semiramis erinnern, kehren wir ins Hotel zurück.

An unserem nunmehr dritten Tag in der Südsee, die Balboa entdeckt hat, mache ich erste Erfahrungen mit dem Klima, das offensichtlich anders ist, als wir es in den Reiseprospekten erleben, wo stets nur blaues Meer, weiße Sandstrände und wolkenloser Himmel locken, die für das Klischee sorgen, in Wirklichkeit aber nicht real sind. Denn soeben haben wir noch unter der Schwüle gelitten, ist meine Haut innerhalb nur weniger Minuten verbrannt, da ziehen auch schon dunkle Wolken auf, und ich beginne unter der schlagartig einsetzenden Verdunstungskälte zu frieren.

Mit Empörung habe ich soeben in einem Artikel gelesen, welche Folgen sich für die Südsee-Insulaner aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels bereits heute ergeben oder noch ergeben werden. Man könnte vor Mitleid zerfließen. Dabei haben genau diejenigen, die heute vor Weisheit nur so strotzen, noch vor nicht allzu langer Zeit geleugnet, bestritten und verharmlost, sind mit impertinenten Äußerungen, die nur ein Eingeständnis ihrer eigenen Unzulänglichkeit waren, an die Öffentlichkeit getreten, um von ihren egoistischen Lebenszielen abzulenken und damit ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Nunmehr, möchte man meinen, ist Gott es leid, die jetzt Reumütigen in Gnaden wiederaufzunehmen. Zerstören wir sie doch einfach, unsere Erde, wo es doch ohnehin schon zu spät ist, damit die wertlose Menschheit hinweggespült wird und die Apokalypse endlich Gestalt annimmt. Nicht die, die sowieso kein Gramm Fett zuviel auf dem Körper tragen, sollen sich überlegen, wieviel CO2 ihre Flugreise hinterläßt, sondern das sollen gefälligst die tun, deren überflüssige Pfunde hauptsächlich zur Erhöhung des Kerosinverbrauchs beitragen. Denn die wenigen, die viele Tausende Kilometer einmal im Jahr fliegen, sind vergleichsweise nichts zu den Massen, die täglich ihren Weg zur Arbeit nicht mit dem Fahrrad, sondern mit dem eigenen Wagen zurücklegen. Welchen Sinn würde es auch machen, eine Sondersteuer auf Flugreisen zu erheben, anstatt vom eigentlichen Übel, dem Fliegen schlechthin, Abstand zu nehmen. Verruchte Menschheit! Anstatt sich zu überlegen, wieviel Kohlendioxid jedes überflüssige Gramm Fett produziert, stellen sie lieber Überlegungen an, wie sie ihr unsägliches Tun endlos fortsetzen können. Über all den trübseligen Gedanken ist nun endlich die Nacht hereingebrochen, in der es friedvoller zugeht.

Nach Stunden des Müßiggangs ist es dann soweit. Ein Taxi bringt mich, nachdem uns die Dame an der Rezeption noch mit einem Blumenkranz verabschiedet hat, zu unserer Crew; ich bin der letzte, der an Bord geht. Die Jacht liegt in der einzigen Marina der Insel, in Apooiti. Es handelt sich um einen gemessen an unserer Zahl relativ geräumigen und fast nagelneuen Katamaran, der uns anstelle des Dickschiffs, das wir eigentlich gebucht hatten, ersatzweise gestellt wurde. Meine Mitsegler lerne ich auch sogleich kennen, und wir geben uns alle die größte Mühe im gegenseitigen Umgang. Es folgt eine Einweisung in das Schiff durch unseren Skipper Werner. Trotz bester Vorsätze, noch heute auszulaufen, wird das Ablegen auf morgen vertagt, insbesondere Gottfried, unser Ältester, ist von den Strapazen der überlangen Reise noch zu geschwächt. Werner betraut mich sogleich mit dem Ankerholen und -ausbringen, denn dazu, meint er, sei Kraft erforderlich. Ein Großteil der Einkäufe ist bereits erledigt, auch ein Speiseplan wurde ausgearbeitet, und für  das Kochen hat sich Gottfried bereiterklärt. Ein derartiger Gemeinsinn ist mir schon lange nicht mehr untergekommen.

Zwei unserer Mitseglerinnen sind noch relativ jung. Als ich die beiden ansehe, wird mir schlagartig klar, daß mir der Teufel mit seinen Verlockungen ein Bein stellen würde, um mich in Versuchung zu führen, nämlich in Gestalt von Daniela, aber auch durch den die Sinne vernebelnden Sundowner. So geleitete mich denn der Teufel heimlich, in Danielas Körper geschlüpft, an einen Ort des Vergessens, wo Männlein und Weiblein zueinander finden. Dort wäre es mir ohne weiteres möglich gewesen, sie durch eine der geöffneten Türen zu ziehen, abzuschließen und sie die Süße meines Schwertes fühlen zu lassen. Wir durften das aber nicht tun, denn mein Herz gehört einer andern. Nachts in meinen Träumen suchte mich der Teufel erneut mit seinen Verführungskünsten heim, geleitete mich durch den Garten der irdischen Lüste. Am nächsten Morgen war der Spuk fürs erste vorbei.

Ein gemeinsam zubereitetes Frühstück, und wir sind zum Auslaufen bereit. Unser Ablege-manöver klappt perfekt. Unter Bilderbuchwetter legen wir von Raiatea ab, und die Welt scheint ein einziger, nie endender Traum: Farbkontraste, die das Herz zerspringen lassen.

Ausgelaufen, steuern wir bei sehr schwachem Wind unter Segeln das Motu von Tahaa an, welches ich schon vor Tagen mit einer anderen Gruppe besucht habe. Heute sind wir die einzigen auf diesem traumhaften Eiland, und diesmal habe ich mein Schnorchelzeug nicht vergessen. Die kunterbunten Fische geben sich auch diesmal in dem seichten, stark strömenden Wasser ihr Stelldichein. Wenn man sie einmal gesehen hat, die unzähligen Arten, die den Fischreichtum der Tropen ausmachen, kommen sie einem irgendwie bekannt vor, und es ist nun nicht die Freude des Neuentdeckten, sondern des Wiedererkennens, der man sich hingibt. Verglichen mit der Artenvielfalt im Meer geht es an Land deutlich kärger zu.

Unsere Crew hat im Geldausgeben keine Mühen und Wege gescheut, es sind eben die typisch Deutschen, bei denen das überschwengliche Lustbedürfnis und die Vergnügungssucht im Urlaub am stärksten zum Vorschein kommen. Besonders ausgeprägt treten die körperlichen Süchte bei unseren weiblichen Seglern hervor, doch ihre Begehrlichkeiten richten sich in erster Linie auf das Kulinarische: Frauen mittleren Alters, ohne festen Freund, bei denen das Sexuelle ersatzweise durch den Magen geht. Derart verstehe ich jetzt Inas Andeutung, daß sie mich – aus einer Art Versorgungstrieb heraus, den eine Frau wohl nie ganz ablegen kann – schon gut füttern würden, so daß ich überhaupt nicht zu kochen bräuchte.

Als die wärmende Kraft der Sonne bereits nachgelassen hat, bereitet unser Skipper erneut einen Liebestrank, der uns der Sünde geneigter machen soll. Wie ein Schatten fällt die Nacht, und schnell färbt der Himmel sich schwarz. Fast aus dem Nichts tauchen plötzlich die Sterne auf, in einer Fülle, wie man sie in unseren heimischen Breiten nur selten sieht. Das gesamte Band der Milchstraße zeichnet sich in der glasklaren Luft wie ein Brautschleier ab, von einem Horizont zum andern, und die Sterne drohen uns ob ihrem Glanz zu blenden. Nach längerem Suchen an einem für uns Europäer ungewohnten Ort finde ich als erstes Orion, der in der südlichen Hemisphäre auf dem Bauch liegt. Ganz deutlich sind Gürtel und Schwert zu erkennen, und auch der Mond scheint zu liegen, so daß die Sichel die Form einer Schale besitzt. Nur durch Umdenken ist es mir möglich, diese andersgearteten Naturerscheinungen richtig zu deuten, und demnach müssen wir zunehmenden Mond haben.

Wie erwartet, entfacht sich eine Diskussion über das Kreuz des Südens. Gerade ist es mir gelungen, den Großen Wagen auszumachen und durch Verlängerung der beiden hinteren Sterne die Nordrichtung zu extrapolieren. Nun müßte sich das Kreuz des Südens genau in meinem Rücken befinden, und siehe da!, da ist es auch, unverkennbar. Abends liegen wir noch lange im Freien an Deck und starren den Himmel ob seiner vielen Wunder an, als sich plötzlich Satan wieder bei mir meldet, der große Verführer. Es liegt der Geruch eines Weibes in der Luft, und die natürlichen Regungen sind kaum zu bezwingen. Erst als mich fröstelt, ziehe ich mich in meine Kajüte zurück, und durch die offene Luke, durch die der kühlende Wind zieht, ist mein Blick genau auf das Kreuz des Südens gerichtet.

Eine seltsame Mischung aus Harmonie und Disharmonie liegt über diesem Schiff. Rein äußerlich klappt alles perfekt, wenn da nicht diese abgrundtiefen Regungen in mir wären, die nach mehr verlangen. Denn im Paradiese lebt stets auch die Schlange, die tückische. Mein ganzes Sinnen und Trachten rankt sich nur noch um das eine, derart sind die Verlockungen des Gartens Eden, und der Mensch schöpft aus dem Vollen.

Das Abendessen fällt an diesem Tage, obwohl sich die Zubereitenden die größte Mühe gegeben haben, nicht zu meiner vollsten Zufriedenheit aus: der Thunfisch ist zu trocken, der Wein nicht nach meinem Geschmack. Carola ist mir zu esoterisch, sie lebt in ihrer eigenen Welt, die nicht die meinige ist. Ina, aus sinnlichem Verlangen auf Abwege geraten, gibt sich wirklich die größte Mühe mit mir, aber ich bin für sie wie ein Fels in der Brandung, an dem sich das Meer zerbricht, während sie mich, jegliche weibliche Scheu ablegend, wie eine Hündin um ein Stück Fleisch anbettelt. Als wir am nächsten Tag beim Schnorcheln in der Nähe des Hotels Le Taha’a Island die mir bereits bekannten Fischgründe absuchen − einer schmalen Passage, in der starke Strömung setzt, folgend − verliert Daniela plötzlich ihr Selbstvertrauen. Erst nachdem sich ihre Panik etwas gelegt hat, schnorcheln wir alle zusammen in dem seichten Wasser, umgeben von den buntesten Fischen, die man sich nur vorstellen kann, immer hautnah über den messerscharfen Korallen. Als wir auf der anderen Seite des Kanals an Land gehen, bin ich, obwohl ich als einziger Flossen anhabe, dann doch derjenige, der sich die blutigsten Wunden geholt hat. Im seichten, korallenfreien Teil der Durchfahrt waten wir problemlos hinüber auf das nächste Motu, wo wir von einem Einheimischen mit den Worten „Willkommen im Paradies!“ empfangen werden. Und in der Tat: Zwei frisch gehackte Kokosnüsse löschen schnell den Durst. In die Hotelanlage der Schönen und Reichen, die hier dem süßen Nichtstun frönen, will man uns nicht so ohne weiteres Einlaß gewähren. Wir benötigten zuerst einen „Account“, erklärt man uns, und erst nach Erhalt desselben würden wir an der palmenbekränzten Bar willkommen geheißen. Da wir in diesem Ressort augenscheinlich nicht gern gesehen sind, verzichten wir schweren Herzens darauf, uns dazuzugesellen. Ohne Bitterkeit im Herzen kehren wir mit dem Schlauchboot auf unseren Katamaran zurück.

Aufkommender Wind läßt uns sofort Fahrt aufnehmen, und rings um uns herrscht eine Welt aus den zahlreichsten Blautönen, die man jemals gesehen hat; in der Ferne dazu das trutzige, alles beherrschende Bora Bora. An den urwaldbedeckten Abhängen von Tahaa entlang nähern wir uns dem ersehnten Ziel weiblicher Lust und Begierde, den unermeßlichen Reichtümern des Pazifiks, dem Hort der Perlenzucht. Unsere weibliche Gesellschaft übertrifft sich förmlich im Ersteigern jener Objekte der Sinneslust, und es gehen Beträge über den Ladentisch, die nach Schätzungen ein Viertel des Reisepreises ausmachen. Daran erkennen wir sehr wohl, daß wir es hier nicht mit ganz armen Leuten zu tun haben, aber wieviel von dem zur Schau gestellten Reichtum echt oder vorgetäuscht ist, vermag man daraus nicht zu ersehen. Doch gönnen wir den Menschen ihr bescheidenes Glück, handelt es sich doch oft um unentrinnbare Schicksale.

Nach den Anstrengungen, welche die Begutachtung der Reichtümer verursacht hat, nehmen wir anschließend an einem Folkloreabend teil. Das Buffet ist ganz in seiner gewohnten Art, denn es ist wie jeden Tag. Die einheimische Küche ist spartanisch und fantasielos. Mit der richtigen Zusammenstellung und Soßenwahl kann indes auf eine zwar weniger gaumenfreudige, aber doch innerlich befriedigende Art Sättigung erzielt werden.

Nach den Essen beginnen die Folklore-Veranstaltungen, zu denen Leute aus dem Publikum auf die Bühne gebeten werden. Vorne sitzend zähle ich zu den ersten, die aufs Parkett gezogen werden, wo man mich zunächst mit traditionellen Schals und Schleiern umwickelt, einmal als Leibrock geschnürt, ein andermal zum Lendenschurz geknüpft. Natürlich wird dieses Spektakel von meinen Mitseglern mit Hohn und Spott bedacht. Traditionelle Darbietungen wie diese werden leider zunehmend unter Einbeziehung der Touristen ins Lächerliche gezogen, womit auch deren ursprünglicher Charakter immer mehr verschwindet. Aber Vergnügungen dieser Art gehören nun einmal zum Touristenrummel, dem sich kein Reisender entziehen kann. Nach Beendigung der Veranstaltung, wobei wohl keiner von uns das Twisten so gut beherrscht wie die Einheimischen, artet das Ganze in eine Disco-Veranstaltung aus, und natürlich sind es hier vor allem unsere jungen Frauen, die auf ihre eigene Kultur auch in der Fremde nicht verzichten möchten. Besonders Daniela spricht in vollen Zügen dem Alkohol zu, und ich kenne den Grund dafür. Schwer zu sagen, ob entweder die westliche Welt oder die noch verbliebenen Naturvölker als erstes Opfer der kulturellen Verschmelzung werden, wobei zunehmend auch Weiße ihre Sinnkrise offenbar durch erhöhten Alkoholkonsum zu meistern versuchen. Dabei bedarf es immer stärkerer Reize, um die Befriedigung des Verlangens auf gleichem Niveau zu halten.

Am nächsten Morgen legen wir zeitig von Tahaa ab, fahren an der Insel Raiatea vorbei, durch die Passage Irini, und nehmen unter Segeln Kurs auf die Insel Huahine. Mit dem ersten eingelegten Reff erreichen wir Geschwindigkeiten von bis zu 6,5 kn, was uns die Überfahrt wie vorgesehen ermöglicht, ohne daß wir dabei Gefahr laufen, das Nachtfahrtverbot zu verletzen. Carola ist bereits seekrank, sie ist diejenige, die das Schaukeln des Katamarans am wenigsten verträgt. Alle anderen aber sind wohlauf. Es ist erneut ein Tag wie aus dem Bilderbuch, und ein Tag ist schöner als der andere. Sonne, Wind und Meer haben sich in einer nie gekannten Harmonie zusammengefunden, und auch die Stimmung an Bord scheint sich dieser Harmonie angeschlossen zu haben. Nur spätabends verfallen unsere Damen in langatmige Diskussionen, die aber am wesentlichen vorbeigehen. Ihr Redefluß ist derart ungebremst, daß es den Anschein hat, als ob sie ihre heimische Realität bereits wieder eingeholt hat, so daß dann am nächsten Morgen eine jede von ihnen mit etwas betretener Mine beim Frühstück erscheint. Denn mittlerweile hat auch der Teufel mit all seinen Verführungskünsten von mir abgelassen, ihm fällt offenbar nichts mehr ein, wie er mich zur Sünde verleiten könnte. Nur nachts, wenn ich zwischendurch wachliege, treibt er sein böses Spiel mit mir. Die Enge an Bord läßt aber der Freiheit keinen Raum. Es ist eine kleine Welt, die an Bord eines Schiffes, das im Paradies auf dem Meere treibt. Am besten kommt derjenige mit ihr zurecht, der sich wie in einem Kloster benimmt, sittsam und streng zu sich selbst. Wir gehen uns auf eine seltsame Weise aus dem Wege, der Teufel und ich. Es würde jedoch an Vermessenheit grenzen zu glauben, daß Satan nicht immer wiederkommt. Denn von nun an peinigte er mich mit den ausgesuchtesten Martern und Qualen, die hier im Paradies auf einen lauern, nachts beim Wachliegen und tagsüber in allen Lebenslagen.

Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die Insel Huahine, wo wir erneut aus der Fülle schöpfen. Abends wird an Bord der Grill gefeuert, und bei rotem Wein oder Rosé munden die Snacks ganz vorzüglich. Daniela und Ina schmeißen den ganzen Laden, die beiden engagieren sich wirklich aufs bewundernswerteste, um uns Männer an Bord zu verwöhnen. Mir ist nur leider die Beziehung zwischen den beiden nicht ganz klar. Sie tanzen miteinander, teilen ihr Geld miteinander, und tun Dinge, die Männer zusammen nicht tun würden.

Der nächste Tag dient dem Bunkern von Vorräten. Es werden Lebensmittel an Bord geschleppt, als ginge es in den kommenden Tagen ums Überleben. Nachmittags machen wir uns dann auf zum Schnorcheln an der Pointe Ripae. Dabei kommen wir an der Bucht Bourayne vorbei, in der Captain Cook angeblich geankert hat. Erneut sind wieder wir drei, Daniela, Ina und ich die einzigen, die Lust haben zu tauchen. Carola setzen wir am Sandstrand ab. Leider wird unser Schnorchelerlebnis von dem des Vortages nicht überboten, so daß wir alle ein wenig enttäuscht auf unser Boot zurückkehren. Zum Übernachten fahren wir nach Fare zurück, dem Hauptort der Insel. Unser Leben besteht nun aus wirklich nichts anderem mehr als aus süßem Nichtstun.

Am zweiten Tag unseres Aufenthalts auf Huahine entschließen wir uns zu einer Inselrundfahrt. Viel darf man sich davon freilich nicht versprechen. Unser hiesiger Reiseleiter, ein Palästinenser amerikanischer Staatsangehörigkeit, weiß vieles zu berichten, aber das kulturelle Erbe der Vergangenheit spielt sich hauptsächlich in unserer Fantasie ab. Ein Vorurteil hingegen muß ganz schnell aus der Welt geschafft werden: Von einem Paradies kann bei der Südsee keine Rede sein. Es mag wohl zutreffen, daß die ersten Entdecker den Eindruck eines unbeschwerten Lebens gewannen, aber die ständigen Kriege, die Menschenopfer und der permanente Kampf gegen die zumeist eingeschleppten Krankheiten haben damit rein gar nichts zu tun. Daß den Frauen einige Freizügigkeit nachgesagt wurde, reicht allein noch nicht hin, um die Augen vor den restlichen Problemen zu verschließen, mit denen die Polynesier heute kämpfen: Landflucht, Alkohol- und Drogenkonsum, Identitätsverlust. Frankreich steckt Unsummen in die Erhaltung seiner Kolonien. Letzten Endes kommt alles Geld, das zur Stabilisierung der Verhältnisse in die Inseln fließt, aus der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die jungen Leute sind arbeitslos, Bodenschätze gibt es nicht, also bleibt den Einheimischen nur eine Existenz in der Landwirtschaft oder Fischerei.

Unser Guide bringt uns anschließend zu einer Aalfütterung. Die Tiere wirken wie jede Schlangennatur unheimlich und riesenhaft. Auch in Huahine zeichnet sich keine Möglichkeit zu einem Abstecher ins Inselinnere ab. Lediglich ein etwas höher gelegener Aussichtspunkt vermittelt einen majestätischen Ausblick auf die zweigeteilte Insel, deren beide Hälften durch einen Kanal voneinander getrennt sind. Unser Weg verläuft, ähnlich wie auf Raiatea, ein gutes Stück die Küste entlang. Viele Häuser stehen leer, wirken aufgegeben, das Land selbst teilen sich Familienclans. Verbleibt uns nur festzustellen, daß  die Kultur der Polynesier nicht das verspricht, was ich in meinen Reiseführern darüber gelesen habe. Dieses Volk besitzt keine Schrift, hat keine Aufzeichnungen hinterlassen, alles wurde nur mündlich überliefert. Insofern kann seine Kultur auch nicht sehr hochstehend gewesen sein. Gewiß, die Entwicklung einer Handwerkstechnik, die ganz ohne Nägel auskommt, mag ein wenig beeindrucken, aber selbst die vielgepriesenen nautischen Kenntnisse und seemännischen Fähigkeiten müssen einigermaßen bezweifelt werden. Zumindest sind keine schriftlichen Überlieferungen bekannt, wonach ein regelrechter interinsularer Verkehr stattgefunden hat. Dieser wäre wegen der aus stets gleicher Richtung wehenden Passatwinde auch kaum denkbar gewesen. Wuchs also die Bevölkerung einer Insel über das erträgliche Maß hinaus, so wurden Schiffe ausgerüstet und die Überzähligen, denen ohnehin der Hungertod beschieden gewesen wäre, zur Entdeckung neuen Landes aufs Meer hinaus geschickt. Hatten diese Neuland entdeckt, kehrten sie niemals mehr zurück, denn sie hatten alles mitgenommen, wessen sie zur Errichtung neuer Kolonien bedurften, Mann und Maus, Kind und Kegel. Viele Schiffe werden niemals angekommen sein und sich in den Weiten des Pazifiks verloren haben, nachdem die Vorräte aufgebraucht waren. Wer gehen mußte und wer bleiben durfte und ob jemand sich weigern konnte, wissen wir nicht. Auf jeden Fall sind alle heute lebenden Polynesier Nachfahren von solchen, die erfolgreich waren, und es steht zu vermuten, daß dies nur ein kleiner Prozentsatz derer ist, die insgesamt ausgesandt wurden. Diese Vorgehensweise ist vergleichbar nur mit der, die versuchen würde, im Zuge der weltweiten Überbevölkerung einen Teil der Menschheit zur Erschließung neuer Planeten ins All hinauszuschießen, so man über die technischen Möglichkeiten verfügen würde. Die Wahrscheinlichkeit, auf solchen Reisen, die sich über Wochen und Monate hinzogen, eine bewohnbare Insel anzutreffen, ist insgesamt als recht gering einzustufen. Daß es so, und nicht anders gewesen sein muß, wird durch den sogenannten Founder effect belegt, das sind genetische Zufallsanhäufungen bestimmter Allele, die alle auf einen oder mehrere „Gründer“ zurückgehen.

Besucherzaehlern: justify; text-indent: 12.0pt; text-autospace: none; margin-top: 0; margin-bottom: 0"> Über die Herkunft der Polynesier gibt es verschiedene Theorien. Diejenigen, die besagen, daß Polynesien von Amerika aus besiedelt worden ist, sind heute widerlegt. Richtig erscheinen vielmehr diejenigen Thesen, die eine Besiedlung des Pazifiks vom südchinesischen Raum aus befürworten. Denn genetische Marker der mitochondrischen Eva oder des Adam des Y-Chromosoms deuten eindeutig auf eine Häufung dieser Erbanlagen auf der Insel Taiwan hin, und Gene können nicht lügen. Im übrigen ist auch das Aussehen der Polynesier sowohl dem bestimmter indianischer Bevölkerungen Süd- und Mittelamerikas ähnlich als auch der südostasiatischen Bevölkerung des austronesischen Raums. Man erkennt durchaus sinide Gesichtszüge in diesen Menschen, die allerdings auch noch einiges Europide an sich haben. Mongolide Rassenelemente finden wir unter den Polynesiern allerdings kaum, ihr Hauttyp gleicht am meisten dem der Thais oder Taiwanesen.

In gleicher Weise, wie die alten Polynesier einst ihre Inseln besiedelten, segeln nunmehr wir mit unserem Katamaran von der Insel Huahine ab, bei relativ gutem Wind und Wetter, aber auf dem falschen Kurs, d.h. wir werden heute einen sehr langen Schlag in Kauf nehmen müssen, um zur Insel Bora Bora zu gelangen, die wir uns als unser heutiges Tagesziel vorgenommen haben.

Auch unterdessen ließen die Martern des Teufels nicht nach, sie steigerten sich sogar noch. Niemandem, der einen Segeltörn plant, sei empfohlen, diesen zu unternehmen, wenn zuviel sündiges Fleisch an Bord ist, denn ein Schiff selbst kommt der Hölle schon recht nah. Man muß sich darüber im klaren sein, daß Fleisch beinah unvermutet auf Tuchfühlung geht. Eigentlich lebe ich auf diesem Schiff wie ein Maharadscha, ich brauche  nur die Hand nach Früchten auszustrecken, und sie fallen mir – wie gebratene Täubchen – förmlich in den Mund. Jeder, der dabei war, ging seinen prickelnden Fantasien nach, und das Salz in der Suppe gab Sigmund Freud dazu. Es ist aber recht merkwürdig, und vermutlich liegt es an mir, daß es bisher zu keinerlei Irritationen an Bord gekommen ist. Teilweise trägt aber auch unser Skipper Werner zu dem insgesamt recht guten Einvernehmen bei. Werner ist ein alter Haudegen, gewesener Fregattenkapitän, und übt heute nur noch ehrenamtliche Tätigkeiten aus. Er will demnächst einen Vortrag über James Cook halten, und manchmal glaube ich, es ist Cook selbst, mit dem ich hier unterwegs bin. Nicht, wie man es bei anderen, vor allem jüngeren Skippern häufig erlebt, die irgendwie alles auf die leichte Schulter nehmen, trägt er noch nach gewohnter Manier alle Kurse gewissenhaft in der Karte ein, wie gute Seemannschaft es erfordert. Er beherrscht auch die Kunst des Erzählens, und man kann ihm stundenlang zuhören, ohne sich gelangweilt abwenden zu müssen. Und weil jeder Mensch auch einen Fehler besitzt, so neigt auch er ein wenig mehr, als zuträglich ist, dem Trunk  zu, was aber bei einem rauhen Seemann, der lange von zuhause fernbleibt, auch nicht weiter verwunderlich ist. Alles, was er sagt und tut, macht er mit einer gewissen Bedachtsamkeit und Planung. Man hat niemals den Eindruck, daß er nicht wüßte, wovon er spricht.

Gottfried ist noch ein bißchen älter als Werner, war von Beruf Finanzberater bei einem größeren Unternehmen. Er hat keine Kinder und ist nicht verheiratet. Aber er sagte was von einer Freundin, was aber bei einer Unternehmung wie dieser gar nicht von Wichtigkeit ist. Seglerisch ist er auch nicht sehr bewandert, macht viele Fehler und wird von Werner deswegen häufig gerügt. Groß Geld ausgeben ist eher nicht das Seine, und ein bißchen rechthaberisch ist er zudem. Seine Kochkünste sind auch nicht gerade berühmt, er scheint ein Resteverwerter, also nicht von meiner Art, die alles frisch zubereitet.

Carola ist promoviert, sie ist schon ein älteres Fräulein, macht aber noch alles mit. Spießig ist sie ganz bestimmt nicht. Streng erzogen, wirkt sie eher bescheiden und zurückhaltend. Unser Übereinkommen, alles selbst organisieren zu wollen, vereinbart sich nicht mit ihren Erwartungen, sie möchte sich lieber bedienen lassen. Für erotische Abenteuer kommt sie eher nicht mehr in Betracht, dazu hat der Zahn der Zeit schon zu sehr an ihr genagt.

Ina wiederum ist selbstbewußt und dominant, versteht es, sich gewählt auszudrücken, und weiß sehr gut, was sie will. Sie ist noch ein wenig hin und her gerissen zwischen Selbstbestimmung und dem Wunsch, sich von einem Mann führen zu lassen. Als ich sie einmal bitte, mir den Rücken einzucremen, macht sie es bereitwillig, und ich empfinde es als sehr angenehm. Sie hat einen empfindlichen Hauttyp, und viel Sonne ist für sie eigentlich nicht das Richtige. Ansonsten ist sie sehr fürsorglich und schießt bereitwillig vor, ohne sogleich eine Gegenleistung einzufordern. Leider neigt sie etwas zur Fülle und ist für ihr jugendliches Alter schon viel zu mollig, als daß sie meine Aufmerksamkeit auf sich lenken könnte. Daniela schließlich, ihre Busenfreundin, hat gerade ein Lebensjahrzehnt abgeschlossen, und sie ist mir ein Buch mit sieben Siegeln. Von ihr fühle ich mich sexuell angezogen, und sie ist auch der Grund für meine Qualen. Doch dieses Schiff bietet erstens keine Gelegenheit für intime Zweisamkeit, und zweitens habe ich ein Treuegelöbnis zu erfüllen, welches zu brechen mich der Teufel schon seit Anbeginn der Reise zu verleiten versucht. Wenn es ihm gelänge, mich auf Abwege zu bringen, wäre meine Seele keinen Schuß Pulver mehr wert. Nachdem ich mich ihr also enthalten muß, vergehen die Tage in süßen Qualen. Denn ich spüre nur allzu deutlich, daß auch sie voller Verlangen ist, und dies setzte mich vollends den grausamsten Martern aus. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, warum Odysseus sich beim Gesang der Sirenen an den Mast seines Schiffes ketten ließ. Denn um uns ist, wie zum Hohne allen irdischen Glücks, das Paradies, zu dem uns leider der Zutritt verwehrt ist.

Die Distanzen zwischen den einzelnen Gesellschaftsinseln sind im allgemeinen nicht sehr groß, lediglich Tahiti liegt etwas abseits von den übrigen. Den ganzen Tag schon herrschen gute Windverhältnisse, so daß die Maschine erst gar nicht zum Einsatz kommt. So steuern wir denn, nur von der Fock gezogen, am Vorabend des Pfingstfests über die Passe Paipai in die Lagune von Tahaa ein und nehmen Kurs auf die Bucht Hurepiti, die, äußerst abgeschieden, wegen der Tiefe, in der sie sich ins Landesinnere hineinschiebt, ein äußerst ruhiges Liegen gestattet. Leider sind bereits dunkle Wolken aufgezogen, so daß sich die Bucht in einem eher düsteren Gewande präsentiert. Zudem setzt Regen ein, was uns dazu nötigt, unser gemeinsames Abendessen zum ersten Mal auf diesem Törn im Salon einzunehmen.

Nach dem Essen geben die ersten bald auf, selbst unsere sonst so genußsüchtigen Frauen werden von Müdigkeit übermannt. Zurück bleiben sehnsüchtige Männer. Die Nacht über liegen wir ruhig und friedlich, im Gegensatz zur vergangenen.

Am nächsten Morgen zeigt sich die Bucht im goldenen Sonnenschein, alles sprießt aufs üppigste und ist zugleich unerreichbar und unzugänglich. Ein erfrischendes Bad in den Fluten, und schon sind wir unterwegs nach Bora Bora, dem ultimativen Ziel aller menschlichen Sehnsüchte. Mit Wind und Wetter wie gehabt stellt sich „Caligula feeling“ ein, denn unser Katamaran ist zu einem römischen Prunkschiff mutiert, auf dem der Genuß die einzig vorherrschende Regung ist. Im Liegen nehmen wir alkoholische Getränke zu uns, nachdem Ina mir wunschlos den Rücken gesalbt hat. Es ist eine Lustbarkeit der ganz besonderen Art, geprägt von Dekadenz in Zeiten der Finanzkrise. Fast unbekleidet liege ich auf dem Vorschiff, umringt von drei Frauen, und die beiden älteren Herren steuern das Schiff.

In der Bucht von Povaie gehen wir an die Mooring-Boje. Die Hotelanlagen, die wir unterwegs passiert haben, sind sämtlich menschenleer. Die Wirtschaftskrise scheint nun auch Polynesien erreicht zu haben. Die Urlauberzahl sei schon im letzten Jahr spürbar zurückgegangen, berichtet man uns. Drüben am Strand liegt die Bar Bloody Mary, die mit den besten Ruf auf der Insel hat, am heutigen Feiertag aber muß sie geschlossen bleiben. Drohender Regen macht uns die Hochstimmung wieder ein wenig zunichte, anstatt im Freien müssen wir im Salon speisen. Und erneut wird der Grill gefeuert und mariniertes Fleisch gebraten. Dazu genießen wir, fast schon zu einer Regelmäßigkeit geworden, eiskalten Rosé. Nach dem Essen ziehe ich mich zurück, will von niemandem mehr etwas wissen, denn ich fühle mich aufgrund der Diskussionen meiner Mitsegler, deren Gesprächsstoff sich immer um die gleichen Themen rankt, allmählich gelangweilt und mag nicht mehr zuhören, und umgekehrt versteht es auch niemand an Bord, mich so sehr zu faszinieren, daß ich ihm über Gebühr meine Aufmerksamkeit schenken möchte. Nachdem ich mich heute offenbar selbst nicht leiden kann, gehe ich früh zu Bett und genieße die kühle Brise, welche nachts durchs Schiff streicht. Die Nächte auf diesem Schiff sind von Sehnsüchten überschattet und unerfüllt. Ganz entrückt erscheinen jetzt alle Verlockungen und Verführungen der Teufels, denn seine Bräute langweilen mich zu Tode, verhalten sich völlig konträr zu jeder schlechten Absicht, denn sie verschwinden, wenn ich länger bleibe, ziehe ich mich dagegen zurück, so harren sie aus. Manchmal, denke ich mir, erscheint mir das Verhältnis unserer beiden Freundinnen inniger, als es die Zucht gebietet, aber dann bin ich mir auch wieder nicht sicher.

Die beiden nächsten Tage liegen wir vor Bora Bora bei überwiegend strahlendem Sonnenschein. Unser gesamtes Treiben besteht aus Essen, Trinken, Schwimmen und Schnorcheln, und die Verführungskünste der Frauen erreichen einen neuen Höhepunkt, besonders die von Daniela. Sie verfällt darauf, sich mit gegenüber mit sündhaft weit gespreizten Beinen zu plazieren, was ich wiederum als ihren unbewußten Wunsch nach körperlicher Vereinigung interpretiere. Ich komme mir durch diese einladende Herausforderung vor wie ein Narr, der schwer von Begriff ist. Ein andermal kam sie und legte sich direkt zu meinen Füßen nieder, was ich als starke Unterwürfigkeitsgeste empfand, so daß ich mich nur neben sie zu legen brauchte, abwartend, was geschieht. Und als ich es dann tue, ist plötzlich eine unsichtbare Schranke zwischen uns. Doch nicht nur das. Wann immer ich mit ihr allein sein wollte, um dem drängenden Verlangen nachzugeben, gesellen sich plötzlich – aus meiner Sicht gänzlich ungebeten – die anderen dazu und stören unsere Zweisamkeit. Es gab auf diesem Schiff keinen Ort, wohin man sich hätte zurückziehen können, um tiefere Leidenschaften zu entfachen. Nachts lag Gottfried in meiner Kajüte, und in der ihrigen lag Ina. Doch Frauen denken an so etwas natürlich nicht, und so wurde denn auch nichts daraus. Nachts lag ich wach und war ganz Spielball meiner Fantasien, und mein Leben bestand aus harten Tatsachen. So lebten wir denn einerseits im Paradiese und waren dennoch unendlich weit davon entfernt. Und weil ich nicht vom verbotenen Baume essen wollte, sondern die Arglist der Schlange durchschaute, konnte ich mich auch weiterhin frei im Paradiese bewegen. Eine Liebe aus Verzweiflung wäre nicht der geeignete Weg, das Menschengeschlecht zu erhalten. Und so sprachen denn Ina und Daniela verstärkt dem Alkohol zu, ein Wesenszug, den ich schon vorher an ihnen bemerkt hatte. Allein Carola stand über alledem, sie schien die schwelende Glut auf dem Abgrund unserer Seelen nicht einmal zu erahnen.

Auch an unserem zweiten Tag auf Bora Bora vermag sich kein optimales Wetter mehr einzustellen. Unsere Versuche, aufs Riff hinauszufahren, um die dortige Unterwasserwelt zu erkunden, schlagen fehl, erstens, weil wir unseren Dingi-Anker vergessen haben, und zweitens, weil das Revier dort derart voller Seeigel ist, daß sich die Tauchgänge nur unter Gefahren durchführen lassen. Dadurch verschlechterte sich meine Laune zusehends. Seinen Hauptgrund hatte das aber in etwas anderem: Unsere beiden jungen Damen erscheinen und verschwinden stets gemeinsam, was für meinen Geschmack auf ein etwas zu inniges Verhältnis schließen läßt. Keine hat jemals von einem früheren Freund erzählt, dessen Verfehlungen zu rühmen sich Frauen sonst häufig nicht enthalten können. Ihr beider Interesse an Männern reicht offenbar nicht weiter, als man es einer mit einem Begattungsorgan ausgestatteten Schaufensterpuppe entgegenbringt. So vergehen denn unsere letzten gemeinsamen Tage spannungsgeladen und voller Gereiztheit, einzig durch die Trinkfestigkeit von Ina und Daniela etwas aufgelockert. Gegen Ende der Reise geben die beiden dann doch noch eine Kostprobe ihrer Geheimniskrämerei: Gemeinsam ziehen sie sich am hellichten Tag in ihre Doppelkabine zurück und erscheinen erst nach Stunden wieder, ersichtlich entspannt.

Nach zwei Tagen sehnsüchtigen Abwartens kehrt endlich der wolkenlose Himmel zurück, der die seichten Stellen des Riffs in allen Blautönen schimmern läßt. Schlagartig beginnt auch die Welt wieder in den buntesten Farben zu leuchten. Beinah täglich mache ich jetzt mit Ina und Daniela Ausflüge im Dingi, um die Unterwasserwelt zu erkunden. Doch kaum ein Tag vergeht auch, ohne daß ich mich an den scharfkantigen Korallen verletze. Die Navicula, so heißt unser Katamaran, liegt vor Piti uu Tai vor Anker, und von hier aus, direkt gegenüber dem Sofitel auf dem Motu Piti uu Uta, hat man einen ausgezeichneten Blick auf den Mont Otemanu, der mit seinen 727 Metern Höhe die höchste Erhebung von Bora Bora ist. Er und der Mont Pahia (661 m) bilden die charakteristische Doppelspitze, die das Wahrzeichen der Insel ist. Beide Gipfel sind durch einen schmalen Grat miteinander verbunden und stellen den Rand eines riesigen Kraters dar, dessen Wände extrem steil zum Innenrand abfallen.

Da es für unsere Jacht wegen der unfahrbaren Untiefen kein Durchkommen zur Südspitze der Insel gibt, beschließen wir, letztere mit dem Dingi zu umrunden. Während sich also Daniela, Ina und meine Wenigkeit im Schlauchboot auf die Reise begeben, steuern Werner, Gottfried und Carola das Schiff um die Nordspitze herum, in der Absicht, uns zum verabredeten Zeitpunkt in der Bucht, in der das Hotel Bora Bora liegt, zu treffen. Obwohl dieses Hotel nicht mehr betrieben wird, hat dennoch das Restaurant immer noch für Gäste geöffnet. Unter den wenigen Besuchern der Insel sind es nur einige Franzosen und Amerikaner, die hier der Finanzkrise zum Trotz ungetrübte Urlaubsfreuden genießen.

Am Abend suchen wir die berühmte Bar Bloody Mary auf, wo sich Prominente und Hollywoodstars jeglichen Genres in hölzernen Inschriften verewigt haben, darunter so renommierte Busenlegenden wie Raquel Welch und Pamela Anderson, die sich anläßlich ihrer Dreharbeiten hier aufgehalten haben. Auch eine Reihe von Jazzgrößen und namhaften Pop-Musikern wie Ringo Starr von den Beatles zählen zu den Besuchern. Das Interieur ist ganz im traditionellen polynesischen Stil gehalten, man läuft barfuß im Sand. Am Tresen, der mit mahagonifarbenen Edelhölzern ausgelegt ist, genießen wir wie gewohnt unseren Sundowner und amüsieren uns dabei über die illustren Gäste, die sämtlich aus den Reihen der Schönen und Reichen stammen. Der distinguierte homophile Barkeeper würdigt uns nicht des geringsten Blickes. Homosexuelle sollen unter den Polynesiern ein hohes Ansehen genießen. Sie werden schon früh in eine weibliche Rolle gedrängt. Auch einen Einhandsegler aus Kiel treffen wir an, der auf uns zukommt, nachdem wir uns als Deutsche entpuppt haben, die sich ja kaum irgendwo auf der Welt verleugnen können. Es mag selbst für passionierte Segler kaum nachvollziehbar sein, was jemanden dazu bewegen kann, sich den Strapazen einer Weltumseglung zu unterziehen, doch gänzlich der Nachvollziehbarkeit entzieht sich dem Normalsterblichen die monatelange Einsamkeit, die es zu ertragen gilt. Doch immer wieder begegnen uns solch stille Größen, Ausnahmemenschen gleichsam, die kaum Beachtung finden und als komische Käuze verschrien ein Schattendasein am Rande unserer Gesellschaft führen.

Nach unserer Stippvisite begeben wir uns zurück aufs Boot, um dort unser Abendessen einzunehmen, das diesmal Gottfried zubereiten wird. Und wie immer schlürfen wir zum Essen den herrlich erfrischenden Rosé, der uns ein Inbegriff für Genuß schlechthin geworden ist. Nun stellt sich allmählich auch das bedrückende Gefühl ein, daß es bald Abschied nehmen heißt. Besonders Daniela ist an diesem Abend für mich voll anmutiger Reize, und beinahe hätte ich mich noch in sie verliebt. Doch mein Herz gehört einer andern, und in dem Moment empfinde ich Mitleid mit ihr.

Durch die Passe Teavanui segeln wir am nächsten Morgen hinaus aufs offene Meer, die Insel Bora Bora, die Hartumkämpfte, verlassend. Vielleicht werden wir sie niemals mehr wiedersehen, aber sie ist ein unbedingtes Muß, sie gesehen zu haben der Inbegriff einer jeden Südseeromantik.

Bei gutem, wenngleich nicht aus der idealen Richtung wehendem Wind halten wir an diesem Tage auf die Insel Raiatea zu, wo wir vor knapp 14 Tagen unseren Ausgang nahmen. Der Mond ist zwischenzeitlich voll geworden, der Sternenhimmel nicht mehr so klar wie zu Beginn unserer Reise. Mag es nun am vollen Monde gelegen haben oder weil am Ende einer Reise sich immer jeder etwas freier gibt, geraten wir auf dem Motu Nao Nao erstmals schärfer aneinander. Besonders Ina, unsere jüngste und vorlauteste Mitseglerin, schießt an diesem Tag deutlich übers Ziel hinaus. Durch ihre pausenlose Besserwisserei und ihr ständiges Dagegenreden hat sie nicht nur bei Gottfried, sondern auch bei mir Unwillen erregt. Menschen ihres Charakters erkennen meist nicht, daß sie sich durch die besagte unangenehme Eigenschaft selbst an den Rand der Gruppe stellen, mit dem Erfolg, nicht mehr angesprochen zu werden. Diese Ausgrenzung führt dann bei Personen wie ihr zu einer Frustration darüber, daß sich plötzlich nicht mehr alles nur um sie dreht. Andere auch einmal zu Wort kommen zu lassen fällt manchen Menschen ohnehin schon schwer. Selbst wollen sie alles gerne loswerden, für die Belange anderer hingegen haben sie kaum Gehör, und für deren Gefühle erst recht kein Gespür. Dabei könnte selbiges leicht vermieden werden, indem man das eigene Ego nicht mehr in den Mittelpunkt der Welt rückt. Durch die Enge und den Verzicht auf fleischliche Gelüste sind wir alle etwas aggressiver geworden. Eine Frau löst ihr Problem für gewöhnlich dadurch, daß sie ihrem Appetit die Zügel schießen läßt. Daß sie durch uneingeschränkten Alkoholkonsum ohne Rücksicht auf ihre gute Figur handelt, indem sie nicht mehr auf die richtige Dosierung achtet, gibt ihr überdies keinen Grund zu der Annahme, daß dies beim Manne genauso sein müsse. Denn der Mann läßt sich zu derart unüberlegten Schritten niemals hinreißen, sondern bleibt wenigstens einigermaßen Herr der Lage. Zudem bedürfen berufserfahrene Männer keiner Einweisung in punkto Jobbewältigung durch eine relativ junge, unerfahrene Frau, die es nur nach Dominanz gelüstet.

Das Motu Nao Nao, für viele das schönste der Gesellschaftsinseln, liegt am Außenriff zu Füßen einer majestätischen Landschaft im Süden Raiateas. Im Zweiten Weltkrieg befand sich auf der Insel ein Militärflugplatz der Amerikaner; sie kann aber trotz des äußerlichen Eindrucks unverfälschter Ursprünglichkeit nicht ganz dem alten Zustand gerecht werden. Besonders die langen, scharfkantigen Korallenstrände laden zu einem Spaziergang ein. Kurz vor dem Anlegen im Dingi können wir im seichten Wasser einen Rochen beobachten, der sich auf die kleine Huk zubewegt, welche die Insel nach Norden abgrenzt. Nachdem ich kein korallenfestes Schuhwerk am Mann habe und barfuß laufen muß, verliere ich zu den andern, die sich wenig um mein Zurückbleiben kümmern, den Anschluß. Das untiefe Wasser und der aufgewirbelte Sand rauben uns schon wieder die Illusion auf ein Taucherlebnis.

Abends bereiten wir mit viel Aufwand ein köstliches Kartoffelgratin zu und genießen dazu den herrlichen französischen Roséwein, der diesmal aus einer besonderen Rebsorte gekeltert ist. Bald geht es recht lässig zu, und wir begehen dabei alle den Fehler, den man tunlichst vermeiden sollte, uns nämlich auf politische Diskussionen einzulassen. Später als sonst ziehen wir uns dann wie nach einem Remis in unsere  Kojen zurück.

Nachts werde ich von Werner unsanft geweckt. In Panik geraten, ist er plötzlich der Meinung, unser Schiff sei in seichtes Wasser abgedriftet. Im Regen stehend holen wir den Anker auf und lassen ihn erneut fallen. Dabei verheddert sich auch noch der Hanepot, was wir in der Dunkelheit nicht rechtzeitig erkennen konnten. Als alle diese Manöver vorüber sind, wir eine gute Stunde Schlafs eingebüßt haben, sind wir am nächsten Morgen auch nicht besonders munter und frisch. Doch das Unternehmen muß glücklich zu Ende gebracht werden, und daher beteilige ich mich trotz des Erlasses am gemeinsamen Abwasch. Man ist gezwungen, auf einem solchen Törn Kompromisse einzugehen, und das ist auch nötig, selbst wenn man die Leute in der Regel in seinem Leben niemals mehr wiedersieht.

Unter Maschine laufen wir an unserem letzten Tag mit nachlassender Gemütsbewegung an der wolkenverhangenen Küste von Raiatea entlang, um die letzten gemeinsamen Stunden noch halbwegs sinnvoll zu gestalten. Einziges Highlight des Tages ist eine Schlauchbootfahrt auf dem Apoomau-Fluß, der das Tal von Faaroa entwässert. Zu beiden Seiten dieses nicht sehr tiefen Gewässers bilden Urwaldriesen und Kokospalmen ein beinah geschlossenes Dach über uns, so als würden wir uns Windung für Windung in eine immer tiefer und dunkler werdende, grasgrün ausgemalte Grotte hineintasten. Orchideen und nie gesehene Blüten erfüllen die Kronen ganzer Bäume mit ihrem Zauber, es ist eine Welt der Elfen und Kobolde, die aber alles Bedrohlichen entbehrt, denn Krokodile und anderes gefährliches Raubgetier gibt es in dieser  grünen Hölle nicht. Dafür regnet es in Strömen, aber es ist ein warmer Regen, so daß wir noch nicht einmal zu frösteln brauchen. Auf dem Rückweg schlagen die Wellen hoch, Wasser schwappt ins Boot, so daß ich unentwegt mit dem Ösen beschäftigt bin. Der Wind hat stark zugenommen und peitscht das Meer, als wir hinaus auf die See, zurück in unsere Ankerbucht steuern.

Unser letztes gemeinsames Essen erinnert daran, daß wir uns bald trennen müssen und einander wahrscheinlich niemals mehr wiedersehen werden. Am nächsten Morgen ist rasch klar Schiff gemacht, dann heißt es Lebewohl sagen. Besonders Daniela drücke ich beim Abschied eng an mich und halte sie mit den Wangen fest. Mehr konnte ich ihr nicht geben, womit die Liebe an uns vorbeigegangen ist. Aus Ina wiederum spricht eine gewisse Erbitterung, so daß sich unser Abschied auf ein flüchtiges Zuwinken beschränkt. Doch auch wenn unser Segeltörn sich nunmehr seinem Ende zuneigt, so war mein Südseeaufenthalt damit noch keineswegs beendet. Während die anderen sich noch zu einer Inselrundfahrt entschließen, versuche ich, der ich diese Tour schon unternommen habe, einen früheren Flug nach Tahiti zu bekommen. Doch die Maschine ist voll, so daß ich Ina, Daniela und Carola auf dem Flugplatz noch einmal wiedersehe.

In Tahiti empfängt mich das Wetter nicht gerade freundlich, so daß die für den nächsten Tag vorgesehene Inselrundfahrt von Wolken überschattet ist. Doch wenigstens bleibt es trocken. Am Sonntag ruht die gesamte Inselbevölkerung. Man hat es auch nicht nötig zu arbeiten, dafür sind lange Staus durch Familienausflügler angesagt. Überall trifft man sich öffentlich zu gemeinsamen Picknicks, denn Essen ist in Polynesien eine wichtige Sache. Dies zeigt sich an der ausgesprochenen Fettleibigkeit der Inselbevölkerung, die die modernen Eßgewohnheiten der Burger-Gesellschaft übernommen hat.

Das Grab von Pomare V., König von Tahiti, darf am Sonntag nicht besichtigt werden, auch weil dort gerade ein Gottesdienst abgehalten wird. Die turmartige Grabstätte wirkt überaus schmucklos.

Am Venus Point, wo James Cook 1769 den Venusdurchgang beobachtete, steht ein 25 m hoher Leuchtturm, der an Wochenenden beliebtes Ausflugsziel der Insulaner ist. 

In Papenoo nimmt eine mehrtägige Trekkingtour, die quer über die Insel zur Südküste führt, ihren Ausgang. Von dort aus kann man auch den Kraterrand des 2241 m hohen Mont Orohena besteigen, jedoch nicht ohne einen einheimischen Bergführer mitzunehmen.

An der malerisch schönen Steilküste bei Trou du Souffleur zweigen einige Pfade am Fluß entlang ins Binnenland ab, denen ich gemütlich folge, bis ich schließlich an den steilen Klippen stehe, von denen insgesamt drei Wasserfälle herabstürzen. Diese Wanderung zeigt uns auch ein wenig das wahre Gesicht Tahitis, die Behausungen armer Menschen, die in ihren armseligen, auf Stelzen erbauten Hütten ein kärgliches Dasein fristen. Überhaupt ist die ganze Insel ein einziger stinkender Müllberg. Von irgendwoher weht ganztags immer irgendein Rauch, der einem den Aufenthalt auf Tahiti außerordentlich verdrießen kann.

Bei Hitiaa ankerte im April 1768 der französische Seefahrer Louis-Antoine de Bougainville, dessen Bericht über das freizügige Liebesleben der Insulaner entscheidend zur Entstehung des Mythos über Tahiti beigetragen hat. Doch kann daran nur wenig wahr gewesen sein, denn die heutigen Tahitianerinnen interessieren sich überhaupt nicht für ausländische Männer. Sie entsprechen umgekehrt auch nicht dem europäischen Schönheitsideal, denn schöne Menschen sind unter den Polynesiern höchst selten, und falls doch, dann sind sie mit Europäern vermischt. Was aber noch nachteiliger ist, das ist ihre ausgesprochene Schlaffheit in allen Lebensäußerungen: die Bewegungen langsam, das Minenspiel ohne Anteilnahme, Apathie, Desinteresse und Antriebslosigkeit sind die vorherrschenden Charakterelemente.

In Taravao zweigen wir auf die Halbinsel Tahiti Iti ab, nachdem wir Tahiti Nui im Uhrzeigersinn halb umrundet haben, und fahren längs der Ostküste bis zum Ort Tautira, wo die asphaltierte Straße endet. Ab und an gewährt ein Flußtal den Blick ins Landesinnere, auf den 1197 m hohen Mont Teatara, den Mont Teava und den 1306 m hohen Mairenui, den Mont Orofaamu und den Mont Urau, die alle von bis zum Gipfel bewachsenen pyramidenförmigen Spitzen gekrönt sind. Gerade diese majestätischen Gipfelformationen sind es, die die Wildheit und Entrücktheit von Klein-Tahiti ausmachen, versunkene sagenumwobene Berggestalten, die der Urwald fest im Griff hält und die jeden noch so ambitionierten Bergsteiger mit Erfolg von sich fernhalten. Es wäre gewiß eine Bergfahrt allerersten Ranges, sich dieser Gipfelziele zu bemächtigen.

Schon auf dem Weg nach Taravao zieht uns diese Halbinsel in ihren Bann, nimmt uns völlig gefangen durch die Einzigartigkeit ihrer Eindrücke. Vor Tautira ankerte auch James Cook. Durch das Vaitepiha-Tal längs des gleichnamigen Flusses gelangt man zu einer archäologischen Stätte im Landesinnern, was insofern Seltenheitswert besitzt, als die meisten Heiligtümer längs der Meeresküste gelegen sind. Nur geländegängigen Fahrzeugen bleibt es vorbehalten, weiter ins Inselinnere vorzudringen. Seltsame steinerne Inschriften soll es dort geben, und vielleicht ist noch längst nicht alles erforscht, was uns die Kultur der Polynesier erzählen kann.

Zurück in Taravao, fahren wir hinauf zum gleichnamigen Plateau, nach Vaiafaufa, bei herrlich blauem Himmel, wie man ihn in den Alpen nur bei Föneinfluß kennt. Von dort oben genießt man bei Gegenlicht die  Gebirgssilhouette von Tahiti. Weit hinab fällt der Blick auf die vorgelagerten Korallenriffe.

Auch an der Westküste der Halbinsel kann man auf asphaltierter Straße bis zum Faremahora-Punkt vorstoßen, wo sich ebenfalls bezaubernde Ausblicke auf die Berge von Te Ure Vai Arava erhaschen lassen. Hier ist es vor allem der 1332 m hohe Mont Ronui, der unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Auch endet hier die befahrbare Straße, weiter zur Vaipoiri-Grotte gelangt man nur mit dem Geländewagen. Eine Umrundung der Halbinsel ist indessen völlig ausgeschlossen, und ich bezweifle auch, daß man mit dem Boot bis hierher vordringen kann.

Auf dem Rückweg machen wir noch Station beim Marae Nuutere, wo seltsame Steinplatten an die ursprünglichen Kulte erinnern. Unser weiterer Weg klammert beinah alle Sehenswürdigkeiten aus, da die Nacht bereits hereinbricht und das Licht nicht mehr ausreicht, um weiteres Fotomaterial zu sammeln. Denn dies ist der Unterschied zwischen den gemäßigten Breiten und den Tropen, daß in den letzteren Tag und Nacht immer gleich lang sind.

Meine letzten Tage in der Südsee sind vom Wetter her nicht mehr so schön wie auf unserem Segeltörn. Daher beschließe ich am nächsten Morgen, koste es, was es wolle, mit der Fähre nach Moorea der Vielgepriesenen überzusetzen, um meinen Hunger nach unberührten Landschaften zu stillen. Es sind außer mir kaum Passagiere an Bord. Bei unserer Ankunft zeigt sich Moorea noch im strahlenden Sonnenschein, doch schon bald ziehen Quellwolken auf, welche die fantastisch gezackten, bis obenhin bewaldeten Gipfel mit ihrem Weiß einhüllen. Ein Mietwagen ist schnell organisiert, und in ein paar Stunden habe ich die ganze Insel umfahren. Zwei Sehenswürdigkeiten ersten Ranges sind es, die der Besucher nicht missen sollte: die Fahrt zum Roto Nui, einem herrlich gelegenen Aussichtspunkt hoch über der Insel, und ein Rundgang durch den Marae Titiroa, einer uralten Kultstätte, wie Cook sie noch erlebt hat, der im Jahre 1769 nicht wie fälschlich oft berichtet in der nach ihm benannten Bucht ankerte, sondern in der um einiges idyllischeren Opunohu-Bucht. Diese und die Cook Bay markieren den Kraterboden eines von scharfkantigen Spitzen besetzten Kraterrandes, der steil ins Innere abfällt und eine fremde Welt vor Augen führt wie von einem anderen Stern. Moorea ist gewiß die imposanteste aller Gesellschaftsinseln, welche Auszeichnung sie sich allenfalls mit Bora Bora teilt. Auf ihr sind, mehr als auf allen anderen, Wanderungen ins Innerste und Oberste möglich. Geheimnisvolle Zeugen heidnischer Vergangenheit entrücken uns an magische Orte, überdacht von moosbewachsenen, riesigen Bäumen, mit übermannsgroßen, sich ins Uferlose verlierenden Wurzeln. Wäre da nicht die Gewißheit, daß wir ringsum von tropischen Gewächsen umgeben sind, so könnten wir uns leicht im Zauberwald Merlins verlaufen haben, wo Kobolde und Elfen ihr Unwesen treiben, einem gespenstischen Urwald, den der Gralsritter durchwandern muß, um den Stein der Weisen zu finden. Und wie die Zinnen der Gralsburg ragen die spitzen Basaltzacken des Kraterrandes über jähen Steilabstürzen empor, unter sich ein feuchtigkeitsgeschwängertes, heiß dampfendes Blätterdach, das Marae von Titiroa bedeckend, das verheißungsvolle Opfer gekannt haben muß. Wer könnte sie da nicht entdecken, die eintausend Kriegskanus der Eroberer, die ihre Lust im Kriegführen fanden, als das Volk der Polynesier noch menschenverachtend war und seine Mäuler vor Blut trieften. Über solchen Schreckensbildern brütend fahre ich, obwohl mein Fahrzeug nicht geländegängig ist, die Lateritpiste zur Cook Bay hinab, um die letzte Fähre nach Tahiti noch zu erreichen. Sonst hätte ich wohl oder übel auf der Insel übernachten müssen.

Moorea wirkt plötzlich ganz düster, als meine Fähre aus dem Hafen von Vaiare ausläuft, zweimal kräftig ins Horn stoßend. Und als ich nach zögerlicher Fahrt in den Hafen von Papeete einlaufe, ist soeben ein Platzregen über der Stadt niedergegangen, die sich umgehend in eine Kloake verwandelt. Hier leben die Menschen nach europäischen Maßstäben, geprägt von Alkoholismus und Arbeitslosigkeit. Der Bus, der mich zurück ins Hotel bringen soll, kommt nicht, die Hinweistafel verwirrt mich. Keiner kann mir Auskunft geben, bis ich nach zahlreichen Fehlversuchen meinem Schutzengel begegne. Eine vornehme Dame erbarmt sich meiner, nimmt mich ohne Furcht mit in die Tiefgarage, bittet mich einzusteigen, und ohne daß ich sie darum gebeten habe, fährt sie mich bereitwillig in mein Hotel. Sie entschuldigt sich sogar bei mir, daß die Busse nicht verkehren würden. Eine solche Zuvorkommenheit würde man im alten Europa heute kaum mehr finden, doch auf den „glückseligen“ Inseln gibt es sie offenbar noch. Wir unterhalten uns während der gesamten Fahrt auf Französisch, denn Englisch spricht die Dame nicht. Sie habe drei Kinder, erzählt sie mir, die rund um den Pazifik verstreut wohnten. Sie selbst lebe in der Mitte, daher falle es ihr schwer, nach Frankreich zurückzukehren. Ihr Urteil über die einheimische Bevölkerung fällt sehr negativ aus. Obwohl die Franzosen im Lande unbeliebt seien, sagt sie, liebe man dennoch ihr Geld, welches nach Polynesien gepumpt werde, damit die Ureinwohner alle nur erdenklichen Vergünstigungen hätten. Der Polynesier sei von Natur aus faul und arbeitete nur soviel, wie er zum Leben braucht. Auf das hiesige Schönheitsideal angesprochen, meint sie, es sei keineswegs so, daß dicke Menschen als schön gelten, nur würden die meisten nicht wissen, wann sie satt seien. Es werde rund um die Uhr gegessen, ohne die Folgen zu bedenken. Dabei litten viele Einheimische an Diabetes und besäßen zuviel Cholesterin. Doch daran, denke ich mir im stillen, sind nicht die Eingeborenen schuld, sondern diejenigen, welche ihnen die Zivilisation überbrachten. Die meisten Inselbewohner seien durch Kredite so sehr verschuldet, daß sie mehr als vier Jahre benötigten, um ihren Neuwagen abzubezahlen. Und selbst für Urlaube würden sie noch Kredite aufnehmen. Dies wiederum, entgegne ich, sei vorrangiges Ziel unserer kapitalistischen Weltordnung, die Menschen in Schulden zu stürzen, die sie niemals mehr im Leben zurückzahlen können, um sie damit in die Schuldknechtschaft zu treiben wie zu Zeiten der alten Römer. Jenes Ausbluten des Mittelstandes ist auch der Grund, warum dieses Urlaubsparadies jedes Jahr leerer wird. Was aber, wenn die Einnahmen noch weiter zurückgehen? Dann könnte Frankreich sich leicht von seinen ehemaligen Kolonien lossagen, erwidert sie, und dann wären die hier lebenden Menschen plötzlich auf sich allein gestellt und dem Chaos preisgegeben. Über solchen Disputen erreichen wir schließlich unser Hotel, wo ich mich aufs freundlichste bedanke und mich für die Abreise bereit mache.

Es war ein Urlaub, der sehr gemischte Gefühle hinterläßt. Einerseits sind da der uneingeschränkte Genuß in einer paradiesischen Umgebung, großartige Naturerlebnisse und ungetrübte Tage fernab jeder Hektik, andererseits fällt unser Blick auf eine sinkende, todgeweihte Zivilisation, die es wert wäre, sie zu erhalten. Die Träume unseres Daseins legen sich wie ein Schleier um unser Haupt, wenn über Bora Bora leuchtend die Sonne versinkt, und schnell wird es dunkel und still, ohne daß uns fröstelt, bis auf das ewige Rauschen der Brandung draußen vor dem Atoll.

 

 

 

Copyright © 2009, Manfred Hiebl. Alle Rechte vorbehalten.