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Reiseberichte.com

Im Land der Königin von Saba

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Während der Jemen bereits seit längerer Zeit als Geheimtip unter Globetrottern gilt, ist über das Nachbarland Oman nur wenig bekannt. Wer indes wahrhat, daß dieses Sultanat auf der Arabischen Halbinsel liegt, am Eingang zum Persischen Golf, in dem wird bereits eine ungefähre Vorstellung reifen, was ihn dort erwarten mag. Es ist die Rede von ergiebigen Ölquellen, dem Schwarzen Gold, das all den märchenhaften Reichtum hervorgezaubert hat, für den die Ölscheichs bekannt sind: Wunder aus Tausendundeiner Nacht wird er zu erleben sich wähnen und will all die sagenhaften Schätze des Orients vor Augen geführt wissen, die auf jahrtausendealten Karawanenwegen quer durch die Wüste transportiert wurden. Das Land der Königin von Saba, das es einmal war, zieht es sich als ein schmaler Küstenstrich längs des Arabischen Meeres hin, eine uralte Handelsbrücke zwischen dem Indischen Ozean und dem Roten Meere bildend. Hier flossen dereinst die Warenströme des Morgenlandes vom indischen Subkontinent nach der afrikanischen Ostküste und umgekehrt, und auch als der Seeweg nach Indien gefunden war, ebbte der Warenverkehr längst nicht ab, sondern schwang sich mehr noch zu neuer Blüte auf. Seit alters her tasteten sich arabische Seefahrer auf ihren Dhaus längs der zerklüfteten Küste um die Arabische Halbinsel herum und stellten auf schwer schiffbaren Routen die erste Handelsverbindung zwischen dem Golf von Oman und dem jordanischen Akaba her, von wo aus die Waren dann auf dem Landweg nach Alexandria oder durch das Jordantal bis nach Damaskus gelangten, welches seinen sagenhaften Reichtum nicht zuletzt diesem Umstand verdankte. Doch schon viel früher findet man in babylonischen Urkunden des Landes von Magan Erwähnung getan, und mit Kupfer beladene Lastkähne fuhren hin nach Mohenjodaro im Industal. Felix arabia, "glückliches Arabien", nannten es die Römer, wegen des Weihrauchhandels, der seit dem Altertum hier blühte und seinen Bewohnern einen erklecklichen Reichtum bescherte.
    In Fortsetzung ihrer glorreichen Vergangenheit haben die Golfstaaten weitere Berühmtheit, leider eine etwas traurige, erst in unserer Zeit erlangt, als Geburtsstätten des internationalen Terrorismus, dem ersprießlicher Nährboden, von dem fanatische Moslems, den Köpfen einer Hydra gleich, ihren Ausgang nehmen. Ungeachtet einer allgemein erhöhten Gefährdungssituation aufgrund terroristischer Anschläge, die für den gesamten Nahen und Mittleren Osten gilt, hat das Auswärtige Amt speziell für den Oman keine Reisewarnung herausgegeben, reisen wir doch zu einer Zeit, da der irakische Staatschef Saddam Hussein den Amerikanern soeben ins Netz gegangen ist, aber genau dieser Umstand hätte die Tourismusbranche zu erhöhter Wachsamkeit aufrufen sollen. So betreten wir denn unser Reiseland mit äußerst gemischten Gefühlen, denn auch die jüngste Geiselnahme mehrerer Sahara-Touristen liegt noch nicht allzuweit zurück. Ein etwas unbehagliches Gefühl wird von Anbeginn an unser ständiger Begleiter sein, auch wenn der Oman sich bemüht, nicht in die Aktivitäten des al-Qaida-Netzwerks hineingezogen zu werden; viele wissen, worauf sie sich eingelassen haben, nehmen es aber billigend in Kauf. Des Menschen Natur muß wohl so beschaffen sein, daß er für sich keinen Grund erkennt, warum es ausgerechnet ihn erwischen sollte. Doch auch bei sachlicher Abwägung aller Risiken ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden, als außerordentlich gering einzustufen. Aber genau dieses geringe Restrisiko wiederum ist es, das bei vielen einen geradezu prickelnden Reiz auslöst, der geeignet ist, den Genuß eines Reiseerlebnisses noch zu steigern. Was Bedenkenträgern für einen Frevel gilt, gerät Lebenskünstlern zum Elexier, und Elexiere des Teufels scheinen es in der Tat zu sein, die uns dazu verleiten, uns in die "Höhle des Löwen" zu wagen. Soeben stand nämlich auf der Titelseite der in der Abflughalle ausliegenden Zeitung zu lesen, daß amerikanische Staatsbürger nun auch aufgefordert würden, das Nachbarland Saudi-Arabien zu verlassen, und es steht zu befürchten, daß die Woge der Feindseligkeiten gegen westliche Staatsbürger nun auch auf die angrenzenden Emirate überschwappt. Schließlich sieht man uns nicht an, daß wir keine Amerikaner sind.
    Hinter jeder der zwielichtigen Gestalten im Wartesaal des Frankfurter Flughafens könnte sich in der Tat ein potentieller Flugzeugentführer verbergen, was bei den verschärften Sicherheitskontrollen jedoch äußert unwahrscheinlich ist. Von den zahlreichen Indern unter den Passagieren droht eher keine Gefahr auszugehen, zu weich sind ihre Gesichter im Vergleich zu denen der Araber. Auch die zahlreich in Erscheinung tretenden Reisegäste westlicher Herkunft sind kaum mehr als ein Häuflein "Lebensmüder", zumeist Menschen auf dem Absprung, die überwiegend nichts anderes wollen als ihrem heimischen Weihnachtsrummel entgehen. Das Flugzeug ist fast ausgebucht, allein die befürchtete Bombenexplosion, sie bleibt aus; die Reise mit Zwischenlandung in Dubai verläuft planmäßig. Unmittelbar nach Ankunft in Muscat werden die Visaformalitäten abgewickelt, wobei sich, nicht gerade auf die Belange des Gastes abgestimmt, lange Warteschlangen an den Schaltern bilden. Wer dabei den Fehler begeht, die Visagebühren in Euro zu entrichten, zahlt bedeutend mehr als in Landeswährung.
    Nach nur mit viel Geduld zu ertragenden Verzögerungen gewinnen wir auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel erste Eindrücke von der sogenannten Capital Area rund um Muscat, der Hauptstadt des Oman, die vornehmlich wegen ihrer modernen, im arabischen Stil gehaltenen Architektur besticht und wie eine Neuauflage aus Tausendundeiner Nacht auf den Besucher wirkt. Alles was hier künstlich hell erleuchtet ist, ist ausnahmslos ebenso märchenhaft wie prunkvoll, und auch die fast ausschließlich neuwertigen Fahrzeuge, die durchweg der gehobenen Mittelklasse angehören, lassen unschwer erkennen, welcher Reichtum im Lande herrscht. Wie wird es darum bestellt sein, sollte das Öl irgendwann nicht mehr so reichlich fließen? eine Frage, die sich derzeit noch kaum stellt. Ein Rückfall ins Beduinentum wird wohl auch dann nicht zu befürchten sein, denn bis dahin hat sich hier soviel Reichtum angesammelt, daß das Land von seinem riesigen Vermögen noch auf Jahre hinaus zehren kann, zumal, wenn die Mittel langfristig sinnvoll angelegt werden.
    Omans Hauptstadt besteht nicht nur aus dem historischen Alt-Maskat, sondern gleich aus mehreren Orten, die alle zusammen die Hauptstadtregion bilden: dazu gehören neben dem modernen Muscat Mutrah, Ruwi, Qurum, wo auch unser Hotel liegt, al-Khuwair und Bowshar. Im Ortsteil al-Khuwair befinden sich überwiegend Banken, Ministerien und Botschaften, die architektonisch, ohne dabei aufdringlich zu wirken, mehr als überschwenglich sind. Einem Erlaß des Sultans zufolge darf kein öffentliches oder privates Gebäude gebaut werden, das nicht seiner Art und Bauweise nach dem arabischen Baustil treu ist. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß verfremdende Elemente sich in die Bauweise einschleichen und es zu einem Stilbruch in der überkommenen Architektur kommt. Auf Erhalt der Naturräume hingegen wurde in der Hauptstadtregion weniger geachtet. So hat etwa die Erbauung der neuen Autobahn, die sich kilometerlang am Meer hinzieht, dem natürlichen Mangrovenbestand einigen Abbruch getan. Dem muß zugute gehalten werden, daß es in der ganzen Stadt nicht ein Hotel gibt, das über einen eigenen Strandabschnitt verfügt: eines von vielen Beispielen, wie sich Entscheidungen eines einzelnen, nämlich des Sultans, zum Wohle aller auswirken.
    Bei al-Azaiba befindet sich die mit Abstand größte Moschee des Landes, die Sultan-Qaboos-Moschee, zu der auch Nichtmuslimen Zutritt gewährt wird. Diese Moschee, mit der sich Sultan Qaboos ein Denkmal seiner selbst gesetzt hat, hat Milliardenbeträge verschlungen, so daß ihre Erbauung auch im eigenen Land nicht unumstritten war, und sie hat gleich mit zwei Superlativen Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde gefunden: aufgrund des größten freihängenden Kronleuchters, der je eine Moschee geziert hat, sowie des größten geknüpften Teppichs der Welt. Edelster Carara-Marmor hat hier Verwendung gefunden, der von spiegelnder Politur ist, und man ist halb geblendet vom Glanz des Bauwerks, wo immer die Sonne darauf fällt. Die weitläufigen Böden sind von einer Ebenheit, daß es den Eindruck erweckt, man habe eine spiegelnde Wasseroberfläche vor Augen, und dennoch: es ist dies kein originelles Bauwerk von hohem künstlerischem Rang – es liefert uns allenfalls ein abgeschmacktes Beispiel dafür, wie mit modernsten technischen Mitteln Wunder und Glanz der Vergangenheit in neuem Licht erstrahlen können, sofern nur die gebende Hand eines kunstsinnigen Spenders mitwirkt.
    Sultan Qaboos genießt großes Ansehen im Land. Hielt sein Vater noch beharrlich am Althergebrachten fest, sich jeglichem westlichen Einfluß widersetzend und der Moderne den Einzug verwehrend, so zeichnet sich sein Sohn gerade durch das Gegenteil aus. Seit den siebziger Jahren, als Qaboos durch einen Putsch gegen den eigenen Vater an die Macht kam, boomt das Land: Krankenhäuser, Schulen und Behörden schießen wie Pilze aus dem Boden. Zur Durchführung der gewaltigen Vorhaben, die sich das Sultanat zur Aufgabe gemacht hat, wurden dreihunderttausend indische Gastarbeiter ins Land geholt, denn der bevölkerungsschwache Oman hätte nicht genügend Arbeitskräfte bereitstellen können, um dieses immense Wachstum anzukurbeln. Die Inder gaben auch den Grund dafür, warum Moscheen nicht wie in der übrigen arabischen Welt betreten werden dürfen, denn sie hinterlassen auf Schritt und Tritt ihr Unreines, ganz, wie sie es von zu Hause gewohnt sind. Zudem hat die Beschäftigung von immer mehr Indern im Land dazu geführt, daß viele Omanis ohne Job sind, was den Sultan wiederum dazu veranlaßt hat, Indern die Ausübung bestimmter Berufe, beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr, zu untersagen: ein Modell, das bald auch bei uns Schule machen könnte. Im Oman bekommt ein Arbeitsloser trotz des großen Reichtums des Landes nichts an Arbeitslosenunterstützung, sondern er fällt der Familie zur Last. Der Staat ist nicht nur größter, sondern auch begehrtester Arbeitgeber, denn, man höre und staune: Staatsbeamte können hier zum Teil bereits ab vierzig in Rente gehen, und das bei voller Auszahlung ihrer Altersbezüge. Leider ist der Sultan trotz seiner vielen guten Eigenschaften bislang ehelos geblieben und hat noch keinen Thronerben gezeugt. Niemand weiß bis heute, wer einmal sein Nachfolger werden wird, obwohl dieser testamentarisch bereits feststeht; wer es ist, ruht in einem geschlossenen Umschlag, der nicht vor Ableben des Sultans geöffnet werden darf.
    Der Oman blickt auf eine 5000 Jahre alte Geschichte zurück, deren älteste Zeugnisse gerade die interessantesten sind, denn sie verweisen in den Bereich der Archäologie. Gesammelt wurden die Exponate auf einem Hügel zwischen Medinat Qaboos und Qurum, dort befindet sich, neben Informationsministerium und Fernsehstudios, das Museum für omanische Archäologie und Geschichte, welches ausführlich über den antiken Weihrauchhandel, das traditionelle Kunsthandwerk, insbesondere die vorgeschichtliche Kupfergewinnung, das von den Persern übernommene Falaj-System sowie die Verflechtung des internationalen Überseehandels und nicht zuletzt über die verschiedenen Bootstypen Auskunft gibt.
    Vom Museum geht es weiter nach Mutrah. Die Nachbarstadt Muscats verfügt zwar über eine ebenso geschützte Bucht und einen ebenso sicheren Hafen, stand jedoch im Laufe ihrer Geschichte lange Zeit hinter diesem zurück. Wie Muscat wird auch Mutrah von zwei die Hafeneinfahrt flankierenden Festungen bewacht, deren eine allerdings dem Ausbau des Hafens zum Opfer gefallen ist. Das noch erhaltene portugiesische Fort, das einst den ganzen Hafen beherrschte, befindet sich in Staatsbesitz und ist für Besucher nicht zugänglich. Alte Dhaus sieht man heute kaum mehr im Hafenbecken liegen, statt dessen sticht um so mehr die Luxusyacht des Sultans ins Auge, die häufig für Empfänge reserviert ist. Am angrenzenden Strand dehnt sich der Fischmarkt aus. Nachdem Fisch im Arabischen Meer noch reichlich vorhanden ist, können die hiesigen Fischer sich über zurückgehende Fangquoten jedenfalls nicht beklagen. Die zumeist stattlichen Exemplare der verschiedensten Arten werden fangfrisch, direkt vor den Augen des Käufers, auf Matten gebettet, einfach auf dem Boden ausgebreitet. Während in Muscat die Souks der Anlage des Sultanspalastes zum Opfer gefallen sind, haben letztere in Mutrah ihren Charakter weitgehend bewahrt. Zu den Gerüchen des Orients gesellt sich hier noch der Duft von Weihrauch. Ein lohnendes Mitbringsel sind die sogenannten Weihrauchbrenner, die es überall zu kaufen gibt.
    Am Ende der Corniche, der alten Uferstraße, beginnt beim kleinen Ort Riyam die alte Paßstraße nach Muscat. Sie war die erste Teerstraße in Oman und wurde 1929 von den Engländern gebaut. Die schönste Aussicht auf die Bucht von Muscat hat man von der Paßhöhe aus. Auf einem vorgelagerten Felsen hoch über der Stadt steht im Osten der Bucht Fort Jalali, im Westen Fort Mirani. Beide Festungen wurden an Stelle älterer omanischer Forts errichtet. Am äußerst westlichen Ende der Bucht erhebt sich die Festung Sirat al-Gharbiyah, gegenüber auf der Insel Jazirat Muscat steht eine weitere kleine Wehranlage namens Sirat al-Sharqiyah. Eine Stadtmauer mit vier Toren, dem Bab Muthab, Bab Kabir, Bab Saghir und Bab Waljat, riegelte die Stadt vom Hinterland ab. Die heutige Anlage wurde 1979 rekonstruiert und hat nichts mehr mit dem alten Bauwerk gemein. In die Verteidigungsanlagen einbezogen war ein System zusammenwirkender Wacht- und Wehrtürme, die auf den umliegenden Bergkuppen gruppiert sind. Der Sultanspalast wurde anstelle des ehemaligen britischen Gouverneurspalastes errichtet, und selbst Teile der Altstadt mußten Erweiterungsbauten wegen dem Bauvorhaben weichen. Ich muß mich nicht wiederholen, mit welch überschwenglicher Pracht auch dieser Palast ausgeführt ist. Viel zu den farbigen Impressionen trägt, wegen der einzigartigen Klarheit der Luft, das stechend-grelle Licht bei. Es ist gerade die Zeit der Wintersonnenwende, doch trotz der kurzen täglichen Sonnenscheindauer herrschen angenehm milde Temperaturen. Wenn in der Hitze des Sommers die Luft von Feuchtigkeit geschwängert ist und undurchdringlicher Dunst die Sicht trübt, flauen die Kontraste ab, und die Farbtöne wirken blasser. Daher ist der Winter die ideale Reisezeit für die Arabische Halbinsel.
    Die von schwarzen Ophiolithfelsen umrahmte Hafenbucht von Alt-Maskat und die benachbarte Bucht Mukalla galten in portugiesischer Zeit als uneinnehmbar, zumal die Lage des Forts es erlaubte, nicht nur die Bucht, sondern auch das Gebiet vor den Stadttoren unter Beschuß zu nehmen. Nach der Einnahme von Hormuz durch die Perser im Jahre 1622 – die Stadt lag auf der gegenüberliegenden Seite des Persischen Golfs –, wurde Muscat zur wichtigsten Rückzugsbastion der Portugiesen in der Golfregion. Sie erhofften sich vom Ausbau der Fortifikationen die Aufrechterhaltung ihrer Monopolstellung im äußerst ertragreichen Gewürzhandel mit Südostasien. Den Auftakt zum portugiesischen Weltreich gab bereits Vasco da Gamas Erkundung des Seewegs nach Indien, und wie das Schicksal es wollte, war es ein Omani, nämlich der berühmte Seefahrer Ahmad ibn Majid, der Da Gama den weiteren Weg nach Calicut zeigte: ein folgenschwerer Fehler, wie sich bald danach zeigte! Im Jahre 1510 tauchte nämlich der vorab zum Gouverneur von Ostindien ernannte Afonso de Albuquerque vor Maskat auf. Gegen ihn war jeder Widerstand zwecklos, besaß er doch die Kanonen, welche den Arabern damals fehlten! Die Stadt wurde geplündert und niedergebrannt. Allen, ob Männern, Frauen oder Kindern, ließ er, so sie sich ihm auch nur geringfügig widersetzten, harte Bestrafung zuteil werden, die im Abschneiden von Lippen und Nase gipfelte, der damals üblichen Form der Körperstrafe. Bis zur Rückeroberung Muscats durch Sultan bin Saif 1650 blieb die Stadt Drehscheibe und Angelpunkt des portugiesischen Weltreichs.
    Stellvertretend für die Kühnheit arabischer Seefahrt steht Sindbad der Seefahrer, der aus Sohar stammende Kaufmann und Entdeckungsreisende, dem es lange vor Marco Polo gelungen war, auf einer Dhau, dem traditionellen arabischen Schiff, bis nach China zu segeln; schwer beladen kehrte er nach dreißig Jahren in seine Heimatstadt zurück, mit Kostbarkeiten, die bis dahin auch in Arabien unbekannt waren: Seide, Porzellan, Moschus, Gold und Gewürzen. Der sagenhafte Reichtum Sindbads, der in Wirklichkeit kein Araber, sondern ein Jude war, weckte auch die Begehrlichkeit des Kalifen von Bagdad. Als die Häscher Harun al-Raschids Sindbad unter einem Vorwand festnehmen wollten, kam es unter den Kaufleuten Sohars zu einem Aufstand, so daß die Gesandten die Flucht ergreifen mußten; Sindbad aber lebte hinfort ohne Sorgen.
    Einem irischen Abenteurer namens Timothy Severin, der beweisen wollte, daß im 8. Jahrhundert Seereisen zwischen Arabien und China möglich gewesen sind, war es gelungen, Sultan Qaboos davon zu überzeugen, eines dieser uralten Kauffahrteischiffe, für deren Bau nicht ein einziger Nagel verwendet wurde, nachbauen zu lassen, um damit die historische Reise Sindbads nachzusegeln. Bis heute gibt es keine Baupläne, aus denen zu ersehen wäre, wie Schiffe wie das von Sinbad gezimmert wurden. Die "Sohar", die nach Sindbads Heimatstadt benannt wurde, steht heute auf dem Rund des Kreisverkehrs vor dem Al Bustan Palace Hotel, dem weitaus besten 5-Sterne-Hotel im gesamten Mittleren Osten. Für die Reise von Muscat nach Kanton benötigte Captain Timothy Severin siebeneinhalb Monate; er folgte dabei exakt der damaligen arabischen Handelsroute über die Lakkadiven, die Malabarküste, Ceylon, die Straße von Malakka bis ins südchinesische Meer. Die Reise war genauso abenteuerlich wie damals: Krankheit, Hitze, Stürme, Mastbruch, Wassermangel, Proviantknappheit und Piraterie gehörten zu den Erlebnissen, die Timothy Severin nach seiner Rückkehr in Buchform veröffentlichte.
    Zurück in Qurum, wo auf der vorgelagerten Landspitze Ras al-Hamra sensationelle frühgeschichtliche Ausgrabungsfunde gemacht wurden, die belegen, daß der Mensch schon vor 5000 Jahren als Jäger und Sammler in Oman lebte, bleibt noch genügend Zeit für eine ausgedehnte Wanderung an den kilometerlangen Sandstränden, die so hartgepreßt und glatt sind, daß sie den sportbegeisterten Jugendlichen als Fußballfeld dienen.
    Im Gebiet um die Haupstadt Muscat liegt auch der höchste Berg des Oman, der 3009 m hohe Jebel Shams, zentrale Berggestalt des Jebel-Akhdar-Massivs, ganz im Norden des Landes. Die Küste am Golf von Oman ist zugleich das Gebiet mit den höchsten Erhebungen im Sultanat: weite Sandstrände wechseln mit landschaftlich sehr schönen Steilküsten ab. Unsere Fahrt durchs Gebirge treten wir in geländegängigen Toyota Land Cruisern an, die bis zum Rand mit unserer Camping-Ausrüstung vollgepackt sind. Bald schon verlassen wir die zur Autobahn ausgebaute Küstenstraße und biegen in Richtung auf das in Dunst getauchte Gebirge ab, das sich blaß schimmernd hinter dem schmalen Küstenstreifen verbirgt. Vor dem Hintergrund der großartig anmutenden Hochgebirgskulisse des Jebel-Nakhl-Massivs ragt auf einem Felskegel beim gleichnamigen Ort ein uraltes omanisches Fort auf, dessen Anfänge in die persisch-sassanidische Zeit zurückreichen. Die persische Herrschaft in Oman währte von der Regierungszeit Kyros II. bis in die griechische Diadochenzeit. Den Persern haben die Omanis auch das ausgeklügelte Falaj-Bewässerungssystem zu verdanken.
    Weiter in Richtung Berge zweigt wenige Kilometer hinter Awabi das Wadi Bani Awf ab. Vom berühmten Wasserreichtum aus vergangenen Tagen bemerken wir kaum mehr etwas, da es im ganzen Land seit drei Jahren keine ergiebigen Niederschläge mehr gegeben hat. Anstelle hochkommenden Spritzwassers rauben uns heute beim Queren der Furten, wo einst die Reifen sich tief in die aufgeweichten Schlammassen gruben, die von den vorausfahrenden Fahrzeugen aufgewirbelten Staubmassen die Sicht. Zu beiden Seiten der engen Schlucht erstrecken sich abweisend rötliche Steilwände mehrere hundert Meter senkrecht in den Himmel, während im tiefen Grund, auf den kaum jemals ein Lichtstrahl trifft, immergrüne Palmen den Boden säumen, auf dem sogar ein bescheidener Feldbau möglich ist. Wadis können Wanderern leicht zum Verhängnis werden, wenn in der Umgebung größere Niederschlagsmengen fallen, die sich schnell in reißende Sturzbäche verwandeln können. Die Schlangenschlucht, ein schmales, tief eingeschnittenes Wadi unweit von hier, wurde vor einigen Jahren einer Gruppe von Amerikanern, die die gutgemeinten Warnungen der Einheimischen in den Wind schlugen, zum Verhängnis. Von der Gewalt der einbrechenden Wassermassen an den Felsen gedrückt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt, boten ihre Leichen den Rettungskräften einen schrecklichen Anblick.
    In atemberaubenden Steigungen zieht sich die Straße nun hinauf zum 2030 m hohen Hat-Paß, um sich auf der anderen Seite, weniger spektakuläre Ausblicke bietend, in den Ort Tanuf hinabzuschlängeln. Unser junger unerfahrener Chauffeur, den die anderen Fahrer als Anfänger in die Mitte des Konvois genommen haben, verpaßt den Anschluß, so daß wir eine gute halbe Stunde auf Abwegen umherirren, bis wir schließlich, dem eigenen Erinnerungsvermögen folgend, den richtigen Weg wiederfinden.
    Unser erstes Zeltlager auf dieser Reise schlagen wir nahe der omanischen Festung Jabrin auf. Der Zeltaufbau gerät, da die Dämmerung sich naturgemäß nur über einen kurzen Zeitraum erstreckt, aufgrund unserer späten Ankunft ins Dunkel. Wo soeben noch angenehme Sonnenstrahlen den Rücken wärmten, tritt rasch merkliche Kühle ein; ein leises Frösteln treibt uns alsbald in den wärmenden Schlafsack. In der Klarheit einer mondlosen Nacht finden wir lange keinen Schlaf unter den Tausenden von Sternen. Einem Brautschleier gleich, erscheint das silbrig glänzende Band der Milchstraße wie an den Himmel geheftet. Jetzt hält der Mensch Hochzeit mit der Natur, die am Ende doch stets den Sieg über ihn davonträgt, so daß er sich in ihrem Schoße niemals auch nur annähernd in Sicherheit wiegen kann.
    Ebenso rasch wie im Abendrot des vorausgegangenen Tages steigt am nächsten Morgen, nach einem kurzen Grauen, die Sonne über den Horizont. Scharfkantig zeichnen sich in der morgendlichen Kühle die ersten Umrisse des Jebel-Akhdar-Massivs ab: ein neuer Tag bricht an, der bald mit einer ebenso unerbittlichen Hitze aufziehen wird wie des Nachts die Abkühlung eintrat. Unseren Lagerplatz haben wir bewußt so gewählt, daß wir den nahegelegenen Sultanspalast von Jabrin gleich nach dem Frühstück besichtigen können. Ursprünglich war der im 16. Jahrhundert errichtete Palast gar kein Fort, sondern er wurde in ein solches umgewandelt, nachdem im Bruderstreit um die Nachfolge auf dem Sitz des Imam Saif, der Bezwinger der Portugiesen, seinen Bruder Bilarub zu bekriegen begann. Letzter war ein Schöngeist und hatte an seinem Hofe Astrologen, Rechtsgelehrte, Historiker, Mediziner und Poeten um sich geschart; außerdem war er Begründer einer Theologenschule. Nachdem Saif mit Rückhalt verschiedener Stammesfürsten zum Imam gewählt worden war, belagerte er seinen Bruder in dem inzwischen mit Kanonen bestückten und zum Fort ausgebauten Palast so lange, bis dieser in seinem "goldenen Käfig" starb. Saif verlegte daraufhin die Residenz nach Rustaq. Der Palast als solcher besitzt keine nennenswerten Reize und zeigt im Prinzip nichts weiter als die Stagnation der arabischen Kultur, die sich seit dem 12. Jahrhundert nicht wesentlich weiterentwickelt hat. Noch immer mußte man, und wir schreiben bereits das 17. Jahrhundert, auf dem Boden sitzen, während man im Europa derselben Zeit, als der Sonnenkönig in Frankreich einen glänzenden Hofstaat unterhielt, schon längst auf Stühlen saß.
    Von Jabrin erreichen wir die in östlicher Richtung gelegene archäologische Stätte al-Ayn, die der Hafit-Periode zuzurechnen ist, welche von 3000-2700 v. Chr. gedauert hat. Hier finden sich zu Füßen des kolossalen Jebel Misht, des "Kamm"-Berges, einundzwanzig sogenannte Bienenkorbgräber, wie zu einer Perlenkette aufgereiht. Alles in dieser archaischen Umgebung atmet den Hauch des Mystischen, zumal jene Epoche der Frühgeschichte noch weitgehend im dunkeln liegt. Zwar gibt es auf Tontafeln der Sumerer Hinweise auf Handelsverbindungen mit Dilmun, Magan und Meluhha, doch wo Magan lag, vermochten die Archäologen lange nicht zu entschlüsseln. Heute glaubt man, daß Magan das Gebiet des heutigen Oman war, jenes Land also, aus dem das so begehrte Kupfer kam. Man stellte fest, daß das Metall einiger im dritten Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien hergestellter Kupfergegenstände aus dem Oman stammte.
    Zurück in Jabrin, erreichen wir in Richtung Nizwa die Oase Bahla, wo sich das größte Fort des Oman befindet, Hisn Tamah, das von der UNESCO in die Liste der Weltkulturgüter aufgenommen wurde. Das Fort ist zwar noch nicht wiederhergestellt, doch selbst die Ruinen des in Lehmziegelarchitektur errichteten Bauwerks sind eindrucksvoll. Die Oase besitzt die mit dreizehn Kilometern längste Stadtmauer Omans. Zudem ist Bahla für seine Töpferwaren bekannt, wenngleich der Beruf des Töpfers im Aussterben begriffen ist.
    Von der Oase schlagen wir den Weg ins Gebirge ein. Dort klebt an den Abhängen des Jebel Akhdar das Bergdorf Misfah, dessen Ursprünge bis auf die Perserzeit zurückreichen. Ein alter persischer Wachtturm im höchsten Punkt liefert hierfür den Beweis. Der alte Ortskern ist vollständig aus Natursteinen gemauert; enge und winklige Gassen, umgeben von aus Falaj-Kanälen bewässerten Palmenhainen, bieten dem Photographen eine Vielzahl an Motiven. Die steigenden Touristenzahlen riefen in der Vergangenheit unter der einheimischen Bevölkerung einigen Unmut hervor, und die Fremdenfeindlichkeit hält immer noch an. So werden auch wir, während wir uns vorsichtig durch die engen Gassen hindurchtasten, von oben herab aus den Fenstern bespuckt. Mittlerweile ist das Photographierverbot wieder aufgehoben, doch wohlfühlen kann man sich in den engen Häuserschluchten kaum. Auf dem gegenüberliegenden Steilhang sind mehrere astronomische Uhren aufgestellt, mit denen man früher den Beginn der für die Bewässerung wichtigen Jahreszeit durch Peilung eines bestimmten Gestirns herausfinden konnte.
    Von Misfah fahren wir nach al-Hamra hinab, einem noch in traditioneller Lehmziegelbauweise vollständig erhaltenen Ort, der vor ein paar Jahren nach einer Flutkatastrophe schwer in Mitleidenschaft gezogen war. Die Schäden sind bis heute nicht vollständig beseitigt. Auffallend viele der in der Stadt lebenden Menschen leiden an der durch Stechfliegen übertragenen ägyptischen Augenkrankheit, die zur Erblindung führt. Auch junge Leute sind davon betroffen. Al-Hamra verfügte nie über eine Stadtmauer, leglich ein System von Wachtürmen auf den umliegenden Bergen und Hügeln sorgte für Sicherheit.
    Durch das Wadi Ghul, einen der schönsten Streckenabschnitte Omans, fahren wir bei schon niedrigem Sonnenstand auf den Jebel Shams hinauf, den Berg der Sonne. Unterhalb des Gipfelplateaus befindet sich der sogenannte "Grand Canyon" Omans, ein wahrhaft atemberaubendes Labyrinth von Schluchten, in dem sich die Blicke in der Tiefe verlaufen. Über das etwa 2000 m hoch gelegene und gegen Winde völlig ungeschützte Plateau, wo wir auch die Nacht zubringen, stürzen die teilweise überhängenden Steilwände tausend Meter tief in den Abgrund – nichts für schwache Nerven –, während sich über uns der Jebel Shams, der mit 3009 m höchste Berg Omans, nochmals tausend Meter höher in den Himmel erhebt. Der in der Abendsonne zu Gold erstarrte Berg nimmt in der aufkommenden Dunkelheit gespenstische Züge an, und nachts kann es hier bitterkalt werden. Ein umgestürzter Baum liefert ausreichend Brennholz, um damit ein lang anhaltendes Lagerfeuer zu entfachen, das bis in die frühen Morgenstunden brennt. Nachdem der schwache Lichterschein über der Glut zusammengesunken ist, erblicken wir über uns einen Sternenhimmel von berauschender Schönheit, wie er sich einzig in der staubfreien und klaren Luft in Höhen wie dieser zeigt. Als wir am nächsten Morgen aus unseren Zelten kriechen, hat die Sonne, obwohl sie noch unwirklich lange Schatten wirft, bereits ihre wärmende Kraft wiedererlangt, ein Tag von unberührter Schönheit kündigt sich an. Wie unaufgefordert, wandern wir im ersten blaßblauen Morgenlicht den Canyonrand entlang, während hoch in den Lüften ein einzelner Adler seine Kreise zieht. Tief drunten im Tal kann man ein einsames Dorf erkennen, und Schwalbennestern gleich krallen sich einige Feldterrassen an den Steilabstürzen fest, in unzugänglicher Lage den Menschen ein karges Auskommen sichernd. Längst ist der Quell versiegt, der sie einst mit Wasser speiste, kein noch so spärlicher Wasserfall stürzt mehr zu Tal, und die Menschen, die hier heroben ihre Teppiche zum Verkauf anbieten, haben es schwer, nach überkommener Sitte ihr Dasein zu fristen.
    Nachdem wir diese entrückte Welt ausgiebig erkundet haben, fahren wir auf demselben Weg, den wir gekommen sind, wieder ins Tal hinunter. Von der anderen Seite grüßt der Jebel Misht herüber, hinter dem sich die geheimnisumwitterten Bienenkorbgräber befinden, die wir tags zuvor in Augenschein genommen haben. Zurück durch das Wadi Ghul, schlagen wir, nochmals vorbei an al-Hamra, den Weg nach Nizwa ein, das besonders im 17. Jahrhundert ein blühendes Zentrum von Religion, Kunst und Handel war. Eine bedeutendere Rolle spielte Nizwa bereits im 6. und 7. Jahrhundert als Hauptstadt der Julanda-Dynastie. Im Jahre 751 wurde Julanda bin-Masud zum Imam der Ibaditen und Nizwa zu seiner Residenz ernannt, im 12. Jahrhundert ging diese Vorrangstellung an Bahla verloren. Im 14. Jahrhundert kam der arabische Weltreisende Ibn Batuta hierher, und ab dem 17. Jahrhundert war die Stadt Sitz der Yaruba-Dynastie. Sultan bin Saif bin Malik al-Yaruba war es, der den mit 40 Metern Durchmesser und 20 Metern Höhe mächtigsten Turm Omans errichten ließ. Dieses monumentale Festungswerk konnte niemals eingenommen werden, nicht einmal durch britische Fliegerbomben Ende der 50er Jahre. Vom Zinnenkranz dieses Bollwerks mit seinen vielen in die Irre führenden Scheintüren genießt man einen herrlichen Blick über die Oase bis hin zu den malerischen Bergen der Umgebung. Die Souks von Nizwa haben durch moderne Restaurierungsarbeiten viel von ihrem Charme eingebüßt, auch die Lehmziegel-Stadtmauer hat ihre Ursprünglichkeit weitgehend verloren.
    Nizwa ist unsere letzte Station in Nordoman, unser Sprungbrett sozusagen in den Süden. Auf zumeist geteerten Straßen führt unsere weitere Etappe von hier aus in den Dhofar, durch unendlich monotone Landschaft, in der es weder Sträucher noch Ansiedlungen noch irgendwelche Spuren einer menschlichen Behausung gibt. Nur die Pipeline zu unserer Linken ist unser ständiger Begleiter. Als die Sonne sich wie ausgebrannt dem Horizont nähert und dem Himmel ein eigenartiges mattblaues Aussehen verleiht, wird selbst die ständig sich wiederholende Musik aus dem Lautsprecher, die unser Chauffeur offenbar als Ausdruck einer inneren Leere in einer für Europäer kaum nachzuvollziehenden Weise schon zum hundersten Male abspielt, zu einem Erlebnis, welches selbst dem Nichts noch etwas abzugewinnen vermag. Eine sich bietende Übernachtungsmöglichkeit in einem Rasthaus mit allen Vorteilen, welche die Zivilisation für uns bereithält, vermag zwar nicht den Staub aus Haaren und Kleidern zu entfernen, hält in uns aber das Gefühl wach, daß wir noch Menschen sind.
    Von unserer Herberge in al-Ghaftain führt die Straße ziemlich dicht an die Ausläufer der Sandwüste Rub al-Khali heran, doch sind es zunächst noch relativ niedrige Dünen, die nach und nach in immer größere übergehen. Insgesamt setzt sich die Fahrt durch die endlos monotone, unendliche Weite bis zum Rasthaus Quitbit fort. Dort werden letzte Wasserreserven gebunkert, ehe es dann von der Teerstraße ab in die große Sandwüste hinausgeht. Schon gleich zu Beginn, noch ehe der Reifendruck an die geänderten Pistenverhältnisse angepaßt worden ist, sanden zwei unserer Fahrzeuge ein. Je mehr Gas unser Fahrer gibt, desto tiefer graben sich die Reifen in den Sand, bis wir schließlich mit dem Unterboden aufsitzen. Erst nachdem eines der anderen Fahrzeuge die festgefahrenen wieder befreit hat, können wir die Fahrt fortsetzen. Nun muß endgültig der Reifendruck erniedrigt werden, damit Vorfälle wie dieser sich nicht laufend wiederholen. Doch wer Erfahrung in Sachen Wüste hat, weiß nur zu gut, daß dies erst der Anfang ist. Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hat, suchen wir unter einer der letzten Baumgruppen, bevor die Halbwüste vollends zur Wüste wird, Schutz vor der Sonne, um für unsere Mittagsrast wenigstens noch den Halbschatten auszunutzen. Die Verpflegung ist wie alles deutlich spartanischer geworden, doch wichtiger als zu essen ist es, stets ausreichend zu trinken. Im grellen Tageslicht verblassen in der Wüste die Farben, doch je weiter die Tageszeit voranschreitet, desto kräftiger treten sie in Erscheinung. Schon am späten Nachmittag, kurz vor Sonnenuntergang, beginnen die Dünen in den schönsten Rottönen zu leuchten. Hier in der Rub al-Khali, dem "Leeren Viertel", der größten Sandwüste der Erde, findet man zugleich die höchsten Dünen der Welt. Kein Besucher wird sich dem Reiz entziehen können, diese "Sandburgen" zu bezwingen. Am Abend, als die brütende Hitze allmählich nachgelassen hat, genießen wir von ganz oben den Sonnenuntergang.
    Es ist ein gar mühsames Unterfangen, sich den Strapazen einer Dünen-Gratwanderung zu unterziehen, die durchaus vergleichbar sind mit denen von Alpinisten, die schneebedeckte Berge besteigen. Bis über die Knöchel eingesunken, rutscht man bei jedem Schritt wieder einen halben zurück, so daß die tatsächliche Besteigung viel länger dauert, als der zurückzulegende Weg Zeit in Anspruch nähme. Als ich nach einer solchen "Kletterpartie" die im weiten Umkreis höchste Düne bestiegen habe, sehen meine Kameraden, die lediglich die viel niedrigere vorgelagerte Düne bezwungen haben, nur noch ganz winzig aus. Von oben schweift mein Blick hinüber zu den Nachbardünen, die sich in der untergehenden Sonne wie täuschend echte Gebirgsketten ausnehmen. Die dazwischen liegenden Salzebenen sind verblaßt. Die Orientierung gestaltet sich schwieriger in der Dunkelheit, für anspruchsvolle Umwege bleibt daher kaum Zeit, schon gar nicht ohne Taschenlampe. Daher ziehe ich es vor, auf dem Rückweg besser den Tritten zu folgen, die ich bereits beim Aufstieg hinterlassen habe, anstatt alternative Routen zu begehen, wenngleich diese durchaus hätten interessant sein können. Nach einem kurzen Abendrot senkt sich die Nacht herab, und immer mehr Sterne leuchten auf am Firmament.
    Abends beim Lagerfeuer geben unsere "Gastgeber" sich alle erdenkliche Mühe, unser Herz mit heimischen Weisen zu erfreuen, doch passen die Gesänge so gar nicht zu unserer weihnachtlichen Stimmung. Wir Deutschen haben bekanntlich verlernt, das Weihnachtsfest in der gebührenden Weise zu feiern, unsere Herzen sind erkaltet, die Gemüter leer. Wie kann daher Freude aufkommen? Einzig die Faszination des Feuers, die zurückreicht, seit der Mensch damit umzugehen gelernt hat, vermag dem gedanklichen Austausch aufzuhelfen, doch dürfte die Philosophie durch unsere Laiengespräche keinen wesentlichen Auftrieb erhalten haben. Und während sich das Band von Mensch zu Mensch enger knüpft, wird sich niemand, der auch nur zum Sternenzelt aufblickt, des Eindrucks erwehren können, den die unendlichen Weiten des Alls in ihm hinterlassen. Als die Glut des Feuers in sich zusammengesunken ist, versinken auch wir, die letzten Aufrechten, in einen erquickenden Schlaf.
    Anderntags, frühmorgens, vernehme ich von draußen die ersten Stimmen derer, die es zur Morgenröte hinzieht, doch bedeutungslos ist ein Sonnenaufgang in der Wüste: zu farblos, zu wenig effektvoll bietet das Naturschauspiel sich dar, kurz nur und täglich gleich. Auch unser zweiter Tag in der Rub al-Khali verläuft nicht viel anders als der erste, größer noch sind allein nur die Dünen. Fahrerische Kunststücke, Glanzleistungen des Tiefsandfahrens, vollbringen unsere Fahrer allemal, und bald ist auch der Skeptischste unter uns von der Ungefährlichkeit des Unternehmens überzeugt und verfällt ganz diesem Rausch, im hurtigen Auf und Nieder eine Düne nach der anderen bezwingen zu wollen, steil hinab und weniger steil nach oben. Mit steigender Drehzahl müssen dazu die Mulden angefahren werden, in der Hoffnung, mit Vollgas die Kuppen zu nehmen; heult ein Motor erst auf, ist dies ein sicheres Anzeichen dafür, daß das Fahrzeug alsbald im Hang steckenbleibt. In diesem Fall muß umgekehrt und erneut Anlauf genommen werden. Eine halbe Stunde Wartens ist durchaus kein Zeitraum, bis sämtliche Fahrzeuge wieder freigekommen sind. Meistens muß dazu auch ausgestiegen und mit vereinten Kräften angeschoben werden.
    Phantastische Anblicke tun sich auf, nachdem wir auch die höchsten Sandberge erklommen haben: weiße Salzseen, vom roten Sand verblasenes weißes Gestein, vereinzelte grüne Büschel; und immer wieder tauchen Dromedare auf, so will es das ewig gleiche Bild der Wüste. Wie zu einer Gebirgslandschaft reihen sich immer mächtigere Sandstöcke aneinander, während zwischendrin Sand völlig zu fehlen scheint. Kein Nachdenken vermag zu erfassen, wie weit sich dieses Gebiet nach Nordwesten erstreckt, den Kern der Arabischen Halbinsel umfassend. Die Rub al-Khali, es ist wie ein schöner Traum, hat uns ganz in ihren Bann geschlagen.
    Auf- und Absitzen, so vergeht die Zeit! Dazwischen, in dichte Staubwolken gehüllt, über Kiesflächen, auf denen die Reifenspuren tiefe Rillen hinterlassen, hinweg, nimmt unser Konvoi einen uns unbekannten Weg, nur mit Hilfe von GPS die vorgegebenen Wegepunkte ansteuernd, einer Technologie vertrauend, ohne die solches nicht möglich wäre. Kein Menschenleben weit und breit! Ein Nomadenzelt ist alles, was uns den Tag über begegnet, ansonsten sind die Geräusche des Windes das einzige, was die Lautlosigkeit unterbricht. Die Klänge arabischer Musik aus den Lautsprechern rufen Phantasiebilder aus Tausendundeiner Nacht hervor: fliegende Teppiche, Dschinns und Fakire, die mit Flötentönen Schlangen beschwören, und Stunden erlebter Einsamkeit vermitteln eine Vorstellung, wie das Leben in der Wüste vor Zeiten ablief. Hier in der Rub al-Khali, wo es kaum Leben gibt, wartet die Natur mit geologischen Merkwürdigkeiten auf, aus Sand gepreßten Steinkugeln, die in ihrem Innern Quarzkristalle bergen, sogenannte Geoden. Sie liegen zuhauf zwischen den Dünen und sind beliebte Mitbringsel, wenngleich sie nicht ausgeführt werden dürfen. Was die Natur im Laufe von Jahrtausenden gebildet hat, vermag der Mensch mit einem Steinwurf zu zerstören, um es danach achtlos liegenzulassen. Gegen Abend machen wir uns abermals zu einer Dünenwanderung auf; von einem spektakulären Grat ziehen sich riesige, endlos scheinende Sanddünen hin, Hunderte von Metern hoch, die höchsten und spektakulärsten, die es auf der Welt gibt.
    Unser Lager haben wir diesmal unweit einer Stadt namens Fasad geschlagen, in die wir bald am Morgen hineinkommen. Sie wirkt verlassen, doch können wir hier wenigstens unseren Müll deponieren. Wie es der Zufall will, erleben wir kurz nach Abfahrt unsere erste Reifenpanne, der sich im Laufe des Tages, getreu Murphys Gesetz, noch zwei weitere hinzugesellen. Doch sind die Ersatzräder jeweils schnell gewechselt, zumal das Beheben von Reifenpannen zum täglichen Handwerkszeug eines jeden echten Offroaders gehört.
    Unser nächstes Ziel ist die Wüstenstadt Ubar nahe dem heutigen Shisr. Ihrer wird schon im Koran gedacht; sie soll wegen ihres Reichtums und der Lasterhaftigkeit ihrer Bewohner von Gott vernichtet worden sein. Entdeckt wurde die am Kreuzungspunkt ehemaliger Karawanenstraßen liegende Ausgrabungsstätte durch Satellitenaufnahmen der Raumfähre Challenger. Die Funde, die hier gemacht wurden, weisen auf weitreichende Handelsverbindungen hin, unter anderem fand man in Shisr die wohl ältesten Schachfiguren der Welt. Die spärlichen Ruinen, die sich über einer wasserführenden Grotte erheben, sind von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgewiesen worden. Vergleiche mit Atlantis, wie "Lawrence von Arabien" sie anstellt, sind jedoch stark übertrieben und meines Erachtens verfehlt, denn der Umfang der Stadt, wenn man von einer Stadt überhaupt sprechen will, kann jedenfalls nicht groß gewesen sein. Bemerkenswert ist in jedem Fall die Steinbauweise der Gebäude, die zuletzt als Karawanserei gedient haben, eine Besonderheit, die man in jener Gegend, wo sonst alles aus Lehm errichtet wird, nicht erwarten würde.
    Mit Shisr haben wir das Gebiet der Dünen nun endgültig hinter uns gelassen. Auf einer mit Wüstenlack überzogenen Steinwüste setzen wir unseren Weg fort. Etwa 2000 km haben wir auf unserer Fahrt in den Süden Omans bisher zurückgelegt. Dabei ist die Höhe unmerklich auf nahezu 1000 m über dem Meeresspiegel angestiegen. Ebenso unmerklich ist die Geröllwüste in eine Zeugenberglandschaft übergegangen. Auf dem Hochplateau, welches wir überqueren müssen, gelangen wir in den Ort Mudayy, wo hauptsächlich Inder leben, zu denen die Omanis, wie bereits erwähnt, ein gespaltenes Verhältnis haben. Plötzlich wankt ein Bettler auf uns zu, auch so etwas gibt es, trotz des großen Reichtums im Sultanat.
    Unbeirrt setzen wir unsere Fahrt fort, der feine Staub von den vorausfahrenden Fahrzeugen ist lange Zeit unser ständiger Begleiter. Unsere vollklimatisierten Fahrzeuge bieten zwar jeden erdenklichen Schutz gegen Hitze und Austrocknen, allein gegen das Eindringen von Staubpartikeln sind alle Schutzvorkehrungen zwecklos. Unsere Fahrer haben sich gegen den feinen Sand bestens gewappnet, sie tragen eine Art Shesh um Mund und Nase gewickelt. Da ich nichts gegen den Staub bei mir habe und man mir offenbar anmerkt, wie sehr ich dagegen ankämpfe, bietet mir unser Chauffeur spontan sein Gesichtstuch an, ein Freundschaftsdienst, den ich nicht zurückweise, denn die unausgesetzte Belastung dieser Art kann einem einen solchen Wüstentrip ordentlich verleiden. Überhaupt sollte man einem Araber am besten überhaupt nichts abschlagen, wenn man ihn nicht beleidigen will, er wird nichts Unmögliches fordern.
    Die Zeugenberglandschaft, die wir befahren, ist nun allmählich einem Hochplateau gewichen, das mäanderförmig von tief eingeschnittenen Wadis durchzogen wird. Obwohl wir gewiß gerne eine Wanderung in eines der Täler machen würden, läßt unser "Expeditionsleiter" nicht einmal einen Photostop zu, bis wir am Jebel al-Qamar angelangt sind. Dies ist einer der östlichen Ausläufer des Hadramaut und bildete vor noch nicht allzulanger Zeit die natürliche Grenze zum Jemen, ein Gebiet, das auch nach dem Ende der früher üblichen Stammesfehden immer noch vermint ist. Heute überwindet den Jebel al-Qamar eine der spektakulärsten Bergstrecken Omans, die sich in zahlreichen Spitzkehren durch das Wadi Afawl hinabzieht, dabei einen Höhenunterschied von gut 500 m überwindend, bis sie bei Mughsayl, wo sie aus dem Gebirge austritt, das Meer erreicht. An den grandiosen Abhängen des Gipfelplateaus wachsen zahlreich die typischen Drachenblutbäume. Während des Monsuns kann es an der zerklüfteten Küste, bei den sogenannten "Blowholes", zu fontänenartigen, bis zu 10 m hohen Ausbrüchen des Meerwassers kommen, das sich vermöge der Brandung durch die Löcher im weichen Kalkgestein Austritt verschafft. Ein markanter Felsüberhang an jener Stelle bildet den Schauplatz zu diesem bei schwachem Seegang leider ausbleibenden Naturschauspiel. Dafür entschädigen die kilometerlangen weißen Sandstrände westlich von Salalah, das wir nach gut 40 Kilometern erreichen.
    Für die Stadt, die nach Muscat Sultanssitz war, gilt das gleiche, wie wir es schon von der Hauptstadt gesagt haben: die Moderne hat hier ebenso Einzug gehalten wie im Norden. Die Stadt beherbergt viele Inder, und da sich gerade die Gelegenheit bietet, nutzen wir die Zeit nach Ankunft für Einkäufe und Erledigungen, ich insbesondere, um einen der zahlreichen Barbiere aufzusuchen. Der Geschäftstüchtigkeit von Indern sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Wollte ich zu Beginn eigentlich nur einen Trockenhaarschnitt, bin ich am Ende doch nicht ohne Gesichts- und Kopfmassage davongekommen, gegen Entrichtung des vierfachen Aufpreises natürlich. Dabei ist gerade die Kunst des Massierens eine ureigene indische Angelegenheit, worauf sich dieses Volk trefflich versteht, und wegen des Islams bei Männern Männersache. Ehe ich es mich versehe und wohl auch, weil ich zu allem nur Ja und Amen sage, ist mir eine Maske aufgetragen. Danach wird meine Gesichtsmuskulatur unter Verwendung verschiedener Öle, die vornehmlich nach Kokosmilch duften, wie ein Brotteig durchgeknetet, die Augenbrauen gekniffen und an den Wangen gezerrt. Ohne daß ich es recht mitbekomme, brennt meine Haut plötzlich wie Feuer, so als würden mich Tausende Akupunkturnadeln stechen. Nach einer langwierigen Zeremonie, während der mein mich behandelnder Masseur fortgesetzt den Raum verläßt und ihn nach kurzem wieder betritt, ich weiß nicht aus welchem Grund, werde ich schließlich, mit dem selbstgefälligen Lächeln eines großen Meisters, in Ehren entlassen und fühle mich danach, nach all dem Schlagen und Hämmern, wie neugeboren.
    Am nächsten Morgen widmen wir uns den wenigen Sehenswürdigkeiten, die die Stadt zu bieten hat. Die von einem privaten Spender erbaute Shanfari-Moschee ist kein Zeugnis von hohem künstlerischen Wert: ein bloßer Aufguß von Althergebrachtem, ist sie lediglich eine in ein modernes Gewand gekleidete, ohne die Schwierigkeit der Herstellung hervorgebrachte Imitation, die vielleicht der Eitelkeit eines einzelnen schmeichelt, aber keine wirklich neuen Akzente setzt. An alten Häusern, die denen im Jemen recht ähnlich sehen, findet man kaum noch Zeugnisse in Salalah. Etwas außerhalb, hoch über der Stadt, befindet sich auf einem Hügel, unter der darüber erbauten Moschee, das sogenannte Hiobsgrab, jenes Propheten aus dem Alten Testament, der, obgleich er alles, was er besaß, verlor, dennoch seinen Glauben an Gott niemals aufgab. "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen", soll er, der Versuchung des Teufels widerstehend, den Boten geantwortet haben. Der Fußabdruck des Hiob, den uns der Wächter voller Stolz zeigt, ist wohl eher in den Bereich der Fabel zu verweisen, als daß er den gewöhnlich Sterblichen von seiner Echtheit zu überzeugen vermag. Wäre da nicht dieser Dunst, so hätte man von diesem "biblischen" Ort einen ausgezeichneten Blick auf die Stadt. Im Anschluß an unseren Besuch fahren wir wieder zurück, durch eine an Sodomsäpfeln reiche Gegend, die von zahlreichen verlassenen Termitenhügeln übersät ist. Termiten ernähren sich von absterbenden Bäumen, bevorzugen demnach Gebiete fortschreitender Verwüstung. Aufgrund der globalen Erwärmung blieb jedoch auch in diesem Jahr der Monsun weitgehend aus, ein Umstand, der nicht zuletzt den Termiten die Nahrungsgrundlage entzog. Auch Raubvögel kann man in dieser Gegend noch häufig finden. Die Falknerei wurde in Oman jedoch niemals wirklich ausgeübt, wohl auch wegen des fast völligen Fehlens von jagdbarem Wild.
    Der Sultanspalast darf nicht betreten werden, auch der zugehörige Strandabschnitt ist für die Allgemeinheit gesperrt. Direkt an den Palastbezirk angrenzend, schräg gegenüber, befindet sich der neuangelegte Souk. Die am meisten gehandelte Ware ist Weihrauch, aber auch andere arabische Gerüche werden an den Mann, oder besser gesagt, an die Frau gebracht. Fast völlig eingeebnet worden sind der alte Weihrauchhafen und was von der Siedlung al-Baleed noch übriggeblieben ist. Insgesamt wenig spektakuläre Reste, wurden sie dennoch von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Betreten werden können sie derzeit noch nicht. Was noch erhalten ist, stammt vorwiegend aus islamischer Zeit, darunter die Moschee mit den tausend Säulen, aber auch Spuren aus der Römerzeit sind zutage getreten. Die Stadt Dulfar, wie sie dereinst hieß, von Marco Polo als großartig und schön gepriesen, war damals Umschlagplatz für Pferde und hellen Weihrauch. Durch ihre Lage an gleich zwei Lagunen begünstigt, verfügte sie über einen geschützten natürlichen Hafen. Mit einem Abstecher zu den vor der Stadt gelegenen Bananenplantagen, wo man auch Kokosnüsse zu kaufen bekommt oder erfrischendes Kokoswasser trinken kann, beenden wir unsere Stadtrundfahrt.
    Am frühen Nachmittag verlassen wir Salalah auf unserem Weg zurück in den Norden. Ein Abstecher zu den Quellen von Ain Razat enttäuscht insofern, als wegen der dort bestehenden Bilharziosegefahr ein Baden in den Süßwasserteichen nicht möglich ist. Zudem werden die aus vielen Erdlöchern entspringenden Quellen in einem gemauerten Kanal gefaßt, was den Ort des Eindrucks der Ursprünglichkeit beraubt und die Idylle, die ihm ohne dies anhaften würde, zerstört, nicht zuletzt auch durch den liegengebliebenen Unrat.
    Von Ain Razat geht es hinab zur Lagune Khor Rouri, wo einst der alte Weihrauchhafen Samhuram lag. Der Sage nach soll sich hier ein Palast der Königin von Saba befunden haben. Heutigentags wird der Zutritt des Meeres, der früher mühsam freigehalten werden mußte, durch eine Sanddüne verhindert. Die Lagune war beidseitig von zwei ins Meer vorspringenden Tafelbergen flankiert, auf denen sich noch Reste ehemaliger Befestigungsanlagen befinden, deren Aufgabe es war, die einstige Hafeneinfahrt zu sichern. Samhuram war zwar nur einer von mehreren Häfen, aus denen Weihrauch verschifft wurde, doch erlaubte er aufgrund seiner Lage die lückenlose Kontrolle des gesamten Warenumschlags in die südjemenitische Stadt Qana. Die Zeiten, als man noch ohne weiteres durch den Zaun schlüpfen konnte, um die der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Ausgrabungen zu besichtigen, gehören der Vergangenheit an, die Aufpasser werden schon unruhig, sobald jemand auch nur Anstalten trifft, sich der Umzäunung zu nähern.
    Samhuram, das griechische Moscha an der sachalitischen Küste, war eine Gründung der Könige von Hadramaut auf dem Gebiet von Zafar, der antiken Umschreibung des heutigen Dhofar. Der Anfang der als Hafen- und Handelskolonie gegründeten, von einer Mauer umschlossenen Stadt geht auf das 1. Jh. v. Chr. zurück, was zeitlich so gar nicht mit der Lebenszeit der historischen Königin von Saba übereinstimmen will, die König Salomo, der im 8. Jh. v. Chr. gelebt hat, mit einer Karawane von vierundsechzig Kamelen besucht haben soll, wie es in der Bibel und auch im Koran geschrieben steht und wie es der römische Historiker Plinius berichtet. Insofern ist die Anlage sogar jünger als die von al-Baleed, welches von Marco Polo und auch von Ibn Batuta als große und geschäftige Stadt beschrieben wurde. Die Befestigungen an der Hafeneinfahrt sind sogar noch jüngeren Datums und gehen auf die Abbasidenzeit zurück. So ist es einmal mehr an der Zeit, mit einem Mythos aufzuräumen, der in unseren Tagen vielleicht noch fortdauern mag, sich aber als Irrtum herausgestellt hat, nämlich, daß wir uns hier an dem lange im Dunkel der Geschichte liegenden Ort befinden, den bereits die Füße der legendären Königin von Saba betreten haben, was schon allein daraus erhellt, daß die grob behauenen Steine königlichen Prunks unwürdig sind. Auch der einst aus strahlend weißen, heute von den Monsunregen schwarz verfärbten Felsblöcken errichtete Tempel, der wahrscheinlich dem im Jemen verehrten Mondgott Sin geweiht war, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Ort bei weitem nicht die ihm zugemessene Bedeutung besaß, obgleich sich von hier aus der gesamte Weihrauchhandel inmitten feindlichen Gebiets kontrollieren ließ. Warum die Anlage, die nur drei- bis vierhundert Jahre überdauert hat, aufgegeben wurde, ist nicht bekannt, hängt aber vermutlich mit einer politischen Wende im Jemen zusammen.
    Unweit von Khor Rouri schlagen wir direkt am Strand unsere Zelte auf. Dort eignet sich das Meer vortrefflich zum Baden, was wegen der gefährlichen Unterströmung an weiten Teilen der Küste sonst nicht möglich ist. Die feinsandigen Strände entfalten in der glühenden Mittagshitze eine blendend-weiße Farbe, zu welcher das türkisgrüne Meer einen wundervollen Kontrast bildet. Was aber das weitaus Angenehmste ist: sie sind über weite Strecken völlig menschenleer, ein Paradies für alle, welche die Abgeschiedenheit suchen. Holz für ein Lagerfeuer findet sich nicht gerade reichlich, sollte es hingegen jemand wagen, im Oman einen intakten Baum zu fällen, so drohen ihm hohe Haftstrafen. Wohl aufgrund des eingeschlossenen Harzes entwickeln die lodernden Flammen eine dottergelbe Farbe. In der Nacht legt sich der stürmische Wind, der bei unserer Ankunft das Aufbauen der Zelte so sehr erschwerte, und als ich in den frühen Morgenstunden nach draußen trete, sehe ich, während der Große Wagen genau mit der Deichsel nach unten zeigt, über dem Meer das Kreuz des Südens.
    Nach dem Aufstehen reicht die Zeit kaum für ein erfrischendes Bad; nach einem kurzen Frühstück brechen wir auf, und über Gesteinsbrocken und Trümmer hinweg suchen sich unsere Land Cruiser ihren Weg durch den Canyon, hinauf zur Hauptstraße. Auf dieser geht es erst einmal ein ganzes Stück weit ins Landesinnere hinein, da ein Weiterkommen längs der Steilküste hinter Mirbat nur noch per Boot möglich ist. In der Ortschaft Taqah müssen wir unsere Reifen flicken. Das Taqah Fort, früher Sitz eines Wali, wirkt im Unterschied zu den Anlagen, die wir in Nordoman gesehen haben, recht bescheiden. Immer der Weihrauchstraße folgend, treffen wir schließlich im Wadi Dauka, das zusammen mit al-Baleed und Samhuram in die Liste der Weltkulturgüter aufgenommen worden ist, auf eine größere Ansammlung von Weihrauchbäumen. Das Harz dieser Bäume war es, das epochemachende Geschichte geschrieben hat. Die Angelsachsen haben für Weihrauch ein eigenes Wort geschaffen, sie nennen es Francinsense, zu deutsch "Duft der Franken." Dieser Name dürfte auf die Kreuzfahrerzeit zurückgehen, als Weihrauch, den insbesondere die Kirchen sehr zu schätzen wußten, ein begehrtes Handelsgut war, mit dem sich im Abendland hohe Gewinne erzielen ließen, was wiederum den Levantestädten einen nicht geringen Reichtum bescherte.
    Eine mächtige Wolkenfront ist mittlerweile aufgezogen, und nicht selten bereiten Wolkenbrüche Reisen wie dieser ein jähes Ende. Wieder vergehen Stunden endloser Monotonie auf staubigen Pisten, bis wir schließlich, die Ölfelder von Marmul hinter uns lassend, unvermutet an einer phantastischen Abbruchkante des Küstengebirges stehen. Wer hätte das in dieser Einöde erwartet! Unseren Augen bietet sich in der bereits untergehenden Sonne ein prächtiges Farbenspiel: ein traumhaftes Panorama aus unterschiedlichen Grau- und Beigetönen. Aus mit schwarzem Wüstenlack überzogenem Kalkgestein, das sich in phantastischen Steilwänden über dem flachen Küstenstrich erhebt, hat die Winderosion im Laufe von Jahrmillionen skurrile Figuren herausgearbeitet. Unter angsterweckenden Überhängen zeigt sich uns die Natur von ihrer monumentalsten Seite. Unser heutiger Übernachtungsplatz liegt in dem östlich des Ortes Fadhi gelegenen Wadi Shuwaymiyah, aus dem es, ähnlich einer Sackgasse, keinen Ausgang gibt. Tief in den Schluchten des Wadis hat die Wassererosion im Fels buchtenartige Steilkessel hinterlassen, Höhlen ausgewaschen, die von prächtigen Stalaktiten überdacht sind; längs des ehemaligen Flußlaufs gedeihen Palmen, deren Grün die kalkweißen Felswände vor dem Hintergrund des tiefen Himmelsblaus in einem einzigartigen Kontrast erscheinen läßt. Zwischen den perlweißen Steilwänden haben sich freistehende Zeugenberge herausgeschält, deren Abdachungen wie schwarze Kapuzen aussehen. Die fein zermahlenen, im Laufe von Äonen zerriebenen und vom Winde verwehten Sandmassen lehnen sich, Schutthalden gleich, gegen die höhlenzerfressenen Wände, zu denen es kein Hinaufkommen gibt, es sei denn mit Haken und Seil. Ein unter einem Wasserfall gelegener Palmenhain, der von einer schwefelhaltigen Quelle gespeist wird, bildet eine Art natürliches Schwimmbecken, in dem es auch Wasserschlangen geben soll. Wer nach längerer Zeit wieder einmal mit Süßwasser in Berührung kommen möchte, kann hier natürlich gern ein erfrischendes Bad nehmen.
    Auf dem gleichen Weg, den wir ins Wadi hineingefahren sind, kommen wir aus diesem auch wieder heraus. Wir wählen nun den weiteren Weg durch den Sahil al-Jazir längs der omanischen Küste. Auf ihm stößt man vereinzelt auf Lagunen, die nicht zuletzt auch für Ornithologen interessant sind und deren etliche sogar gänzlich vom Meer abgeschnitten sind. Eine typische Vertreterin ihrer Art ist die sogenannte "Pink Lagoon" bei al-Kahil, die ihren Namen der eigentümlichen, von einer Algenart herrührenden Färbung verdankt. Bei Ras Madrakah, wo die Landschaft überwiegend vulkanischen Ursprungs ist und fast aussieht wie auf dem Mond, schlagen wir direkt am Meer, in einer felsigen Bucht mit feinstem Sandstrand, unser Lager auf. Die ganze Gegend ist reich an Ophiolithen, die hier in einer lila bis anthrazitfarbenen, zum Teil ins Graugrüne gehenden Farbe leuchten, eingebettet in ein Meer von hellstem Sand. Nachts gesellt sich zum Knistern des Lagerfeuers noch das angenehme Rauschen der Brandung.
    Erstes Ziel des morgenden Tages sind die Klippen über Ras Madrakah. Der ganze Küstenstrich hat etwas Wildromantisches an sich; ein gestrandeter griechischer Frachter, der tief drunten langsam vor sich hin rostet, macht den Aufenthalt auf den windigen Klippen zu einem besonderen Erlebnis, trägt viel zu dieser Stimmung von Weltabgeschiedenheit bei. Aufgrund der zahlreichen Reifenpannen müssen wir nun einen längeren Stop einlegen. An den Tankstellen geschieht das Reifenwechseln oft noch auf herkömmliche Art mit primitiven Hilfsmitteln, so daß viel Zeit und Geduld erforderlich ist. Man sollte es nicht für möglich halten, aber selbst in der Wüste, auf schnurgerader Straße, geschehen noch Unfälle. Zuerst kommt es mir so vor, als ob eins unserer Fahrzeuge in den Unfall verwickelt wäre, der sich da vor meinen Augen abspielt. Ein mit Fisch beladener Pick-up fährt einfach auf die Teerstraße hinaus und prallt frontal mit einem entgegenkommenden Personenkraftwagen zusammen. Es tut einen gewaltigen Schlag, zwei Fahrzeuge wirbeln durch die Luft, der Fisch liegt über die Straße verteilt. Eine aufgebrachte Menschenmenge läuft schreiend zusammen, um den schwerverletzten Beifahrer des Unglücksfahrzeuges aus dem Führerhaus zu bergen. Keiner weiß zu diesem Zeitpunkt, ob und wann er seinen schweren Verletzungen erliegen wird. Die weitaus meisten Unfälle in der Wüste ereignen sich jedoch nicht etwa aufgrund menschlichen Versagens, sondern durch über die Straße laufende Kamele. Wegen der Unfallgefahr, die aus querenden Kamelen resultiert, ist es gefährlich, bei Nacht durch die Wüste zu fahren. Die gesetzliche Regelung sieht vor, daß, wenn der Unfall sich bei Dunkelheit ereignet, der Kamelhalter verantwortlich ist, ereignet er sich am Tage, der Halter des Fahrzeugs.
    Nach eintöniger Fahrt durch eine an Eindrücken arme Geröllwüste wechselt endlich das Landschaftsbild wieder, und erneut tauchen erste Dünen auf. Sie gehören zu den Wahiba Sands, neben der Rub al-Khali der zweiten großen Sandwüste im Oman. Unsere Mittagsrast halten wir diesmal unter einem Akazienbaum, von einer Herde Ziegen umringt. Diese sind so frech, daß sie, würde ihnen nicht Einhalt geboten, am liebsten noch aus unseren Tellern und Schüsseln fressen würden. Nach dem Mahl werden die Reste den Ziegen verfüttert, doch dann herrscht Hauen und Stechen unter ihnen, und ich denke mir: In vielerlei Hinsicht verhalten wir Menschen uns, die wir uns für die Krone der Schöpfung halten und es eigentlich besser machen könnten, auch nicht viel anders. Nach einem kurzen Aufenthalt am Strand, um von den Beduinen Fisch einzukaufen, gelangen wir schließlich in eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, eine Art "Skulpturenpark", wo die Natur buchstäblich steinerne Plastiken in den Sand gesetzt hat: Köpfe, die auf überaus schlanken Hälsen sitzen, die täuschend echte Nachbildung einer Schildkröte und mehrere andere phantasievolle Gestalten. Nach Überquerung einer für die Halbinsel Bar al-Hikman typischen ebenen Sandfläche geraten wir in ein Areal, auf dem sich ausgedehnte Salzpfannen gebildet haben. Ich breche ein Stück Salzkruste ab und koste davon: unverkennbar Salz!
    Weiter geht es, zunächst noch über harte Piste, bis wir schließlich das Gebiet der eigentlichen Wahiba Sands erreichen. Anfangs versuchen unsere Fahrer ohne Erniedrigung des Reifendrucks durch die Dünen zu kommen, gerade so, als würden die Naturgesetze plötzlich nicht mehr gelten; speziell unserem Fahrer mißlingt der Versuch, wir bleiben, da wir zuviel an Geschwindigkeit eingebüßt haben, in den Sandmassen stecken. Wer aber den Schwung einmal verloren hat, dem gelingt es in der Regel nicht mehr, erneut Fahrt aufzunehmen, denn die Räder drehen nur noch durch. Als wir dann entsprechend Luft abgelassen haben, nehmen wir erneut Anlauf, und siehe da, es gelingt uns, das Fahrzeug freizubekommen. Doch die Freude währt nicht lange. Nach abschüssiger Fahrt verlieren wir über der nächsten Dünenkante erneut an Schwung und versacken tief im Sand. Wieder ist es unser Fahrer, der die Probleme hat, wohl weil er der Unerfahrenste ist, und wieder sieht man Araber durch die Wüste laufen. Danach passieren abermals Dinge, die einem zu denken geben: wir geraten in ein Sandloch, aus dem es kein Entrinnen gibt. Nahezu alle Fahrzeuge versinken in den Sandmassen, doch mindestens ein freies Fahrzeug wird benötigt, um die anderen freizuschleppen. Unserem Reiseleiter, der selbst einer der Fahrer ist, gelingt es als erstem, freizukommen und sich auf eine Sanddüne zu retten. Nach und nach schaffen es auch die anderen. Fast alle sind wir nun ausgestiegen und versuchen aus Leibeskräften, die Fahrzeuge durch Anschieben zu bewegen. Doch wenn ein Fahrzeug erst mit dem Unterboden aufsitzt, sämtliche Räder sich tief eingegraben haben und alle vier Räder nur noch durchdrehen, hilft nichts mehr. Nur durch stundenlanges schweißtreibendes Schaufeln könnte es dann gelingen, den Radstand soweit zu erniedrigen, daß die Räder wieder greifen. Wir wären aber nicht imstande, dieses Spiel lange durchzuhalten, denn die Sonne neigt sich bereits zum Horizont; also bleiben wir heute nacht hier, wo wir sind, nahe Ras Ruways.
    Das Lagerfeuer will in dieser Nacht nicht so recht brennen, und es dauert eine Ewigkeit, bis sich Glut bildet. Doch ist Feuer in der Wüste das einzige, was dem Menschen Licht ins Dunkel bringt, wohltuende Wärme spendet und einander sozial näherrückt. Jetzt versöhnen auch die sich wieder, die sich tagsüber feind waren, und der Mensch findet zurück zur Harmonie. Am nächsten Morgen sind unsere Zelte von kondensiertem Tau durchnäßt, wohl wegen der großen Nähe zum Meer. Wir können daher unser Lager erst abbrechen, nachdem die rasch aufkommenden Sonnenstrahlen die Wassertröpfchen zum Verdunsten gebracht haben. Fahl und blaß liegt die Wüste vor uns, als sich die Sonne frühmorgens über den Horizont erhebt, und erneut beginnen die Strapazen einer Wüstendurchquerung, inmitten der Dünen. Ständig bleibt eines der Fahrzeuge im Sande stecken, und stets ist es ein Fiasko, es wieder freizubekommen. Doch das Meer ist nicht weit. Bald sind die Klippen erreicht, die an jener Stelle, wo die Wüste bis ans Meer heranreicht, nicht aus Fels, sondern aus gepreßtem Sand, sogenannten Aeolianiten, besteht. Dieser weiche Sandstein läßt sich sogar von Hand brechen und schuppt plattenförmig ab. Hier, an den Gestaden des Arabischen Meeres, hat die Wind-erosion in dem weichen Material, in Form von Windschliff, deutliche Spuren hinterlassen, so daß man glauben könnte, es sei ein Volk von Riesen mit Rechen darüber hinweggezogen. Schwärme von Möwen und andere Seevögel bevölkern den Strand, und beim geringsten Anzeichen einer Annäherung fliegt der ganze Schwarm kreischend auf, wie in rhythmischen Fontänen zu den auslaufenden Wellen. Noch immer ziehen die Fischer, zumeist über die Küste verstreut lebende Beduinen, Fische verschiedenster Art in Massen aus dem Meer, das einen nahezu unerschöpflichen Reichtum birgt. Unsere Land Cruiser nehmen den Weg direkt an der Küste entlang, auf dem harten Sandstrand, teils zu Füßen der Klippen, zwischen verstreut liegenden Felsen hindurch, teils auch auf nassem, von weißen Schaumkronen bespültem Meersand. Unaufhörlich rollen die gischtgekrönten grünen Wogen heran, ein Schauspiel, welches die Natur nach ewig gleichem Gesetz schon seit Jahrmillionen zelebriert. Die Luft ist von einer einzigartigen Klarheit, die Sicht aufs Meer schier unbegrenzt, bis an den Horizont reichend, so daß auf spiegelglatter Fläche gar die Erdkrümmung zu erkennen ist. Nichts, soweit das Auge reicht, stört diese Idylle, nicht einmal ein Schiff ist draußen auf dem Meer zu entdecken. Außer einigen Beduinen, deren Gesichter selbst im Lachen noch finster wirken, und einem gestrandeten Wal sind während des ganzen Tages, mit Ausnahme des ungetrübten Badevergnügens wohlgemerkt, keine nennenswerten Eindrücke zu vermelden.
    Nach weitgehend eintöniger Fahrt, bereits unkend, daß uns nun der Wind aus den Segeln genommen scheint, nehmen wir, nachdem wir die letzten Kilometer nur mehr auf Teerstraßen zurückgelegt haben, bei Kap Ras al-Hadd erneut Tuchfühlung mit dem Meer auf. Hier, auf der äußerst östlichen Landspitze der Arabischen Halbinsel, erhebt sich eine dramatisch schöne Steilküste, unter der sich nach Südwesten kilometerlange Sandstrände hinziehen, die am späten Nachmittag in gleißendes Licht getaucht sind, während sich nach Norden tiefblaues Meer ausdehnt, das tosend an die steil und in Überhängen ins Meer abstürzende Klippenküste brandet. Funde, die gleich an mehreren Ausgrabungsstätten auf der flachen Landzunge gemacht wurden, reichen bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. zurück. Es wird angenommen, daß sich nahe Ras al-Hadd auch der Ausfuhrhafen für das im Wadi Samad gefundene Kupfer befand. Die Handelsverbindungen reichten bis ins Industal, wie sich anhand gefundener Keramiken leicht nachweisen läßt. Das Kap selbst bietet eine ausgezeichnete Aussicht auf die draußen auf dem Meer um die Landspitze segelnden Schiffe, und die Zahl der Fahrzeuge, die diese Stelle, seit der Mensch zur See fährt, passiert haben mögen, mag ins Unermeßliche reichen. Soeben läuft eine Dhau an uns vorüber, doch leider unter Motor: ein ungewohnter Anblick, so ganz ohne Segel! Doch am Wind scheint es nicht zu liegen, oder aber, dieser wird durch den Kapeffekt nur vorgetäuscht. Am Meer entlang lassen sich, dem Hochufer folgend, einsame Spaziergänge unternehmen, wo man außer Möwen auf kein anderes Lebewesen trifft. An einem Abbruch endet unser Ausflug jäh: Unter uns breiten sich im flutenden Gegenlicht endlose weiße Sandstrände aus, welche von den Grünen Riesenmeeresschildkröten zur Eiablage aufgesucht werden. Der flach zum Meer abfallende Strand südwestlich von uns zieht sich um die ganze Halbinsel herum, aufgrund seiner Ausdehnung ein idealer Ort also für ein sicheres Versteck.
    Unser heutiger Campingplatz, Ras al-Junayz, ist ein eigens ausgewiesener Ort, um diese vom Aussterben bedrohten Schildkröten bei ihrem nächtlichen Treiben zu beobachten. Das Weibchen legt etwa dreimal im Jahr ein Dutzend Eier, die Hauptlegezeit währt von Mai bis Juni, doch soll es auch um diese Jahreszeit noch hinreichend Gelegenheit geben, einige Exemplare dieser mitunter ältesten Spezies auf Erden beobachten zu können. Schildkröten kommen, ihrem Instinkt folgend, der sie immer wieder an dieselbe Stelle zurückführt, wo sie geschlüpft sind, zur Eiablage an Land. Die Zahl der Jungen, welche nach dem Schlüpfen das Erwachsenenalter erreichen, liegt unterhalb des Promillebereichs; die Geschlechtsreife tritt erst im Alter von 25-30 Jahren ein. Da unser Camp direkt am Strand liegt, müssen wir nur wenige Meter zu Fuß zurücklegen, um das Schauspiel im Schutz der Dunkelheit aus nächster Nähe verfolgen zu können. Im Mondlicht einer angenehm lauen Silvesternacht lagern wir uns also in Grüppchen aus zwei bis drei Personen im Sand, um das "aufregende" Geschehen mitzuerleben. Tatsächlich haben wir Glück, denn bald schon ruft uns der Aufseher zu der Stelle, wo ein Muttertier sich soeben an Land begeben hat, um an einem geeigneten Platz einen Trichter für das Gelege auszuheben. Nachdem es etwa ein Dutzend Eier gelegt hat, buddelt es den ausgehobenen Trichter sorgfältig wieder zu, um buchstäblich alle Spuren, die den Legeplatz verraten könnten, bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen, so daß Feinde, zu denen an Land vor allem der Wüstenfuchs gehört, nicht in Verlegenheit kommen, das Versteck zu entdecken. Als weiteres Täuschungsmanöver gräbt die Schildkröte noch einen Scheintrichter, ehe sie sich wieder ins Meer zurückzieht. Viele Menschen scheinen von so einem Urerlebnis ziemlich angetan, und wer hätte gar gedacht, daß es so viele nach Mitternacht hierherziehen würde, um diesem Naturschauspiel beizuwohnen? Die Vielzahl der Besucher wirkt sich aber auf uns, die wir es gewohnt waren, bislang immer und überall die einzigen zu sein, störender aus als auf die Schildkröten.
    Am nächsten Morgen brechen wir nach unserer letzten Zeltübernachtung auf dieser Reise auf nach Sur. Ab Ras al-Junayz haben wir zunächst wieder reine Teerstraße vor uns. Welch ein Kontrast zu den Fahrten quer durch die Wüste! Wenn man, aus Richtung al-Ashkhara kommend, sich Sur nähert, einer modernen Stadt mit alter Bausubstanz, fallen sogleich die für ganz Oman typischen Wachtürme auf, die sich auf nahezu allen Erhebungen über der Stadt in ihrer näheren Umgebung befinden, ohne irgendeine Verbindung untereinander außer durch Sicht, und die recht reizvoll erscheinen, weil sie aus Materialien errichtet sind, welche die Natur selbst zur Verfügung stellt. Direkt vor al-Ayjah müssen wir hart nach links schwenken, da wir durch die Lagune daran gehindert werden, die Stadt auf geradem Wege zu erreichen. Sur hat erst Bedeutung erlangt, nachdem Qalhat von den Portugiesen zerstört worden war, und galt lange Zeit als Hochburg des Schiffsbaus, wo lange noch nach dessen Hochblüte nach uralter Tradition die typischen Dhaus gefertigt wurden. Kaum ein Omani will sich jedoch diesem Handwerk mehr verschreiben, daher besteht die Gefahr, daß das alte Wissen verwässert und irgendwann ganz verlorengeht. Zum Glück haben einige Inder sich jener aussterbenden Kunst angenommen und führen, wenngleich unter recht kommerziellen Aspekten, die alte Tradition fort. Bei Löhnen, für die ein stolzer Omani kaum die Hand rühren würde, arbeiten sie zu Stundensätzen, unter denen auch ein größeres Schiff zu einem vergleichsweise günstigen Preis erschwinglich ist. Die Traditions-Dhau Fatah al-Khair vom Ghandjah-Typ, eine der letzten ihrer Art im Verkehr zwischen Indien und Ostafrika, steht aufgebahrt am Strand der Lagune, ihre Wiederinbetriebnahme wäre aufgrund der hohen Unterhaltskosten für den Erhalt ihrer Seetüchtigkeit zu kostspielig. Mithin spürt man in den alten Dhauwerften deutlich, wie der Zahn der Zeit an ihnen nagt und wie die alte Welt der Beduinen, von der westlichen Welt verdrängt, sich mehr und mehr zu Ende neigt. Ein Volk, das sich ohnehin auf wenig eigenes berufen kann, mit Ausnahme der Verbreitung des Dezimalsystems, saugen die Araber alles, was an irdischen Gütern über sie ausgestreut wird, begierig in sich auf, und der Westen hat alle Not, sich die im alten Orient schlummernden Märkte zu erschließen, denn auch der Ferne Osten ist mit Produkten vertreten, mit denen zu konkurrieren ihm nicht immer leicht gemacht wird. Seine malerische Lagune und die traditionell weiß getünchten Häuser der Altstadt ausgenommen, hat Sur, außer zwei kleineren Forts, nicht viel zu bieten, so daß sich ein längerer Aufenthalt rein um der Stadt willen kaum lohnt. Aus seiner Geschichte sei vielleicht noch erwähnt, daß sich hier im vorigen Jahrhundert eine nicht unbedeutende Minderheit wahhabitischer Saudis festzusetzen suchte, um sich politisch zu etablieren, ein Bestreben, dem die Engländer einen Strich durch die Rechnung machten.
    Im Osten des Oman, der sogenannten ash-Sharqiyah, wo wir uns gerade befinden, liegt das Wadi Bani Khalid, wegen seiner palmenbestandenen türkisgrünen Wasserbecken eines der schönsten im ganzen Land. Wir erreichen es, wenn wir auf der Strecke von al-Kamil nach Ibra rechts der Hauptstraße dem Weg ins östliche Hajar-Gebirge folgen. Zunächst noch eine weite Kiesebene, verjüngt sich das ausgetrocknete Flußbett allmählich, genauer gesagt nach gut 30 Kilometern, zur engen Schlucht. Früher mußte, wer hierherkommen wollte, eine zwei- bis dreitägige Fußwanderung einplanen. Doch diese Zeiten gehören der Vergangenheit an, bedauerlicherweise, muß man sagen, denn seitdem die Teerstraße hierherführt, finden sich zunehmend größere Touristengruppen hier ein, die dem Ort viel von seiner Ursprünglichkeit rauben. Das Wadi Bani Khalid hat nämlich die Besonderheit, daß es, was sich nur von wenigen Wadis behaupten läßt, über einen ansehnlichen Wasserreichtum verfügt. Doch zu einem erfrischenden Bad in dem kühlen Naß mag keine rechte Lust aufkommen, wenn man sich vor Augen führt, daß dies in der arabischen Welt nicht gern gesehen und argwöhnisch beäugt wird. Was sich aber in jedem Fall empfiehlt, ist eine Wanderung durch die enger werdenden Schluchten, was stets auch mit einiger Kletterei verbunden ist. Das im hellen Sonnenschein türkis leuchtende Wasser nimmt sich im Schatten der Steilwände fast schwarz aus. Auch eine Höhle unweit des Eingangs gibt es zu erkunden. Für einen längeren Aufenthalt mit eventueller Übernachtung ist der hintere Teil des Wadis jedoch ungeeignet, da man nirgendwo zelten kann. Somit fühlen wir uns angesichts der knappen Zeit, die uns noch verbleibt, zur Eile gedrängt, denn zum krönenden Abschluß wollen wir uns ein letztes Mal dem kurzen Spiel der Dünen überlassen, und nochmals geht es hinaus in die rote Ramlat al-Wahiba. Unser letztes Übernachtungsziel ist das Golden Desert Camp, in dessen Nähe die begehrtesten Rennkamele Omans gezüchtet werden. Die Treiber reagieren äußerst empfindlich auf Verstöße gegen das Rücksichtnahmegebot den Tieren gegenüber, die mit menschlichen Ausscheidungen möglichst nicht in Berührung gebracht werden sollten. Selbst das kurze Aussteigen will man uns verwehren, woraufhin es zu einem heftigem Wortwechsel, ja sogar zum Streit mit ihnen kommt, dem wir als die Klügeren, ohne uns groß aufzuhalten, aus dem Wege gehen. In der Abendsonne fangen die Dünen in einem kräftigen Rot zu leuchten an. Nach einigen absichtlich eingelegten, nur unserem Vergnügen dienenden Steilfahrten in der schon einsetzenden Dämmerung sehen wir von einer Anhöhe aus unvermutet das fortähnliche Wüstencamp unter uns. Der Hausherr empfängt uns, nachdem er uns auf den ausgebreiteten Teppichen Platz zu nehmen gebeten hat, mit duftendem arabischen Kaffee. Die Unterkunft ist recht bescheiden, doch verglichen mit dem harten Matrazenlager der vergangenen Tage eine erquickende Wohltat, an die man sich erst wieder gewöhnen muß.
    In der nächsten Frühe soll uns zum glücklichen Ende der Reise Gelegenheit gegeben werden, zusammen mit einigen Beduinen einen morgendlichen Ausritt auf dem Kamel zu unternehmen. Besonderes Ungeschick beweist hierin eine unserer Damen, denn anstatt sich an der Decke festzuhalten, versucht sie sich im Rodeo, was sie, kaum im "Sattel" sitzend, Sekunden später bereut, indem sie, Glück im Unglück, im hohen Bogen abgeworfen, auf dem Steißbein landet. Furchtsam geworden, gebricht es nun einigen anderen, die sich vordem kühn und wagemutig deuchten, am gehörigen Mut, das geplante "Husarenstückchen" auszuführen, und sie ziehen den Kameltreibern die Dollars wieder aus den Händen, die sie ihnen schon zugesteckt hatten. Das Kamel gilt deswegen für arrogant und trägt die Nase ganz hoch, weil es als einziges zu den neunundneunzig Namen, die Allah vom Koran zugewiesen werden, seinen hundertsten Namen kennt. Nach diesen schmerzhaften Erfahrungen neigt sich auch unser Abenteuerurlaub langsam dem Ende zu. Nachdem wir ein Stück des Wegs zurück auf die Hauptstraße gefahren sind, geht es in rascher Fahrt weiter, der Hauptstadt entgegen. Einen kurzen Abstecher zu einigen auf dem Wege liegenden Sehenswürdigkeiten können wir aber zeitlich noch einlegen.
    Unter den historischen Ortskernen der Sharqiyah-Oasen nimmt al-Mudayrib an Schönheit eine Vorrangstellung ein. Der Ort liegt zwischen zwei Hügeln eingebettet und wird von zahlreichen Wehrtürmen überragt, so daß es den Anschein hat, als bestünde er ausschließlich aus Mauern und Türmen. Einst gürtete ihn eine Stadtmauer mit drei Stadttoren. Während der Blütezeit des Ostindienhandels bauten sich vornehme Familien eigene Wehrburgen, die von zinnengekrönten, mit Schießscharten versehenen Mauern umgeben waren. Vom Reichtum dieser Familien zeugen noch heute die kunstvoll geschnitzten Haustüren, für die eigens aus Ostafrika stammendes Holz eingeführt wurde.
    Hinter al-Mudayrib sind die schwarzen Lavaberge zu Ende, eine steppenähnliche Landschaft zieht auf. Bei der Oase Fanja, die sich hinter dem Suma’il-Paß verbirgt, der den westlichen vom östlichen Hajar trennt, ist auch mein Filmmaterial zu Ende, rechtzeitig zum Ende der Reise. Fast wäre ich versucht gewesen, mich zu dem Satz hinreißen zu lassen, daß dieser letzte Abschnitt der abenteuerlichste auf der ganzen Reise war. Unserem Fahrer nämlich, der zuletzt in Sur den Anschluß verpaßt hatte, scheint die Angst, erneut abgehängt zu werden, noch immer im Nacken zu sitzen. Daß er bei Tempo 120 mit einem Sicherheitsabstand von nur 10 Metern seinem Vordermann nicht noch hintendrauf fährt, grenzt an eines der ungelösten Rätsel aus Tausendundeiner Nacht. Als wir am späten Nachmittag, mit einem Bein bereits im Flugzeug, in die Capital Area um Muscat zurückkommen, uns wie in einem Triumphzug gleichsam als Sieger fühlend, die die Rub al-Khali und die Ramlat al-Wahiba im Schlepptau hinter sich herziehen, bleibt etwas von mir mit Wehmut in der Wüste zurück, etwas, wonach wir in der Hektik unserer Großstädte vergeblich suchen und das uns wie magisch immer wieder nach dorthin zurückzieht, wo am Ende alles endet.

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